Kitabı oku: «Das Restrisiko beim Transport von Südfrüchten», sayfa 2

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Ein staubiger, in die Jahre gekommener Laster mit schaukelndem Anhänger ruckelte vorbei. Der Fahrer grüsste achtlos und steuerte seinen Lastzug in die grosse Kurve, die das Wäldchen auf der anderen Seite halbkreisförmig begrenzte.

Luc löste die Handbremse, die er nach wie vor eisern festhielt. Behutsam drückte er das Gaspedal, der Lkw setzte sich sanft in Bewegung. Er fuhr um die Pinien und beschleunigte in der folgenden Rechtskurve, die auf eine langgezogene Ausfahrt führte. Dort setzte er den Blinker und lenkte den mit Südfrüchten beladenen Lastzug auf die Autobahn.

Madame de Rhime, eine ältere, in letzter Zeit etwas verwirrte Dame mit üppigem Silberschmuck und Foulard, hielt mit ihrem Peugeot an der gezackten Linie, um einem Lkw den Vortritt zu gewähren. Unwillkürlich duckte sie sich hinters Lenkrad, als dieser mit überhöhter Geschwindigkeit an ihr vorbeidonnerte. Sie verfluchte den Idioten von Fahrer, während aus ihrem Lautsprecher ein hörbar mitgenommener Radiosprecher von einem Attentat in Orange berichtete. Mit einem grosszügig bemessenen Sicherheitsabstand folgte sie dem Lkw auf die Ausfahrt. Sie war auf dem Weg zu ihrer Tochter, dem ersten Besuch seit dem Zerwürfnis an Ostern. In einem Korb auf dem Beifahrersitz dufteten selbstgebackene Olivenbrötchen, ein Versöhnungsgeschenk für das gemeinsame Abendessen.

Die von der Sommerhitze ausgebleichte Landschaft zog an ihrem Wagen vorbei, die abgeernteten Rebstöcke in den Weingütern waren in weiches mediterranes Licht getaucht, der wolkenlos blaue Himmel einzig durch eine schwarze Rauchsäule getrübt, die aus einem Feld nahe der Autobahn aufstieg. Jemand verbrannte Holz, Unkraut und was ihm sonst gerade überflüssig erschien. Vor der Rhonebrücke setzte Madame de Rhime den Blinker und überholte zügig den weissen Lkw. Auf eine unbestimmbare Art fühlte sie sich erleichtert, als in ihrem Rückspiegel der Sattelschlepper kleiner und kleiner wurde.

4

Der Weg über die steinernen Stufen zum prächtigen, mit Säulen eingefassten Eingang des Bezirksgerichtes war bereits bedrückend gewesen, doch nichts im Vergleich mit dem Gerichtssaal, Amtszimmer 448, in dem Luc jetzt alleine an einem zu grossen braunen Tisch sass, die Ellenbogen aufgestützt und die Hände vor dem eingezogenen Kopf ineinander verschränkt. Er hatte die Scheidung nicht gewollt, Muriel hatte sie eingereicht. Er hatte sich gewehrt und versprochen, was er meinte, versprechen zu müssen. Aber Muriels Entschluss blieb unverrückbar wie ihr Glaube, dass irgendwo da draussen der passende Mann auf sie warte.

Niemand würde je ihren Ansprüchen genügen, hatte Luc ihr wieder und wieder erklärt, das Problem sei sie selbst. Doch ausser eskalierendem Streit und giftigen Anschuldigungen hatte er nie etwas erreicht. Dazu geisterte sein Töchterchen Lara-Lea – auch so ein Zwang, als ob Lara oder Lea nicht gereicht hätte – verstört durch die Wohnung, den Stoffhund an sich gedrückt, als wäre er ihr einziger Schutz auf dieser Welt. Dieser Anblick brachte Luc erst recht in Rage: Er fluchte, warf Teller zu Boden, zweimal zerstörte er die Kaffeemaschine. Und einmal schlug er zu. Hart und mitten ins Gesicht.

Zu seiner Linken, an einem identischen Tisch, sass Muriel mit ihrem Anwalt, weichlicher Typ mit dünnem Lächeln, der sie dauernd am Arm berührte. Ob sie was mit ihm hat? Er wollte für seine Rechte kämpfen; aber hier gab es nichts, das Widerstand geboten hätte. Der Richter, leicht erhöht, sah mit wässrigen Augen gelangweilt durch ihn hindurch. Hier ordnete sich alles der unsichtbaren Macht der Amtshandlungen unter, selbst die heiteren Landschaftsaquarelle an den Wänden wirkten unterwürfig, so, als ob ihnen die Farbenpracht peinlich wäre. Luc biss auf die Lippen, bittere Tränen rannen über seine Wangen, die von Muriel mit Genugtuung beobachtet wurden. Zweimal atmete er hörbar ein und aus, dann unterschrieb er die vorbereiteten Dokumente. Seine Ex-Frau betrachtete kühl, wie er die Seiten ordnete, bevor er sie in der Tischecke platzierte. Sie schüttelte den Kopf, nicht abfällig, eher bemitleidend. Das herablassende Mitgefühl derjenigen, die sich überlegen fühlen.

Luc wartete, bis der Anwalt Muriel aus dem Saal geführt hatte, ihren Ellenbogen stützend, als stünde sie vor einem Zusammenbruch, dabei hatte sie mehr bekommen, als sie erhofft hatte. Er blieb sitzen. Ob er nun ging oder blieb, es änderte nichts. Der Richter, zu gleichgültig, um die Lügen zu durchschauen, wies ihn darauf hin, dass der nächste Fall vor der Tür stehe. Da Luc keine Anstalten machte, ging er zu ihm, klopfte tadelnd auf die Schulter und liess seine kraftlose Hand dort ruhen.

»Monsieur Rapin? Es wäre Zeit …«

Luc schüttelte den Kopf und senkte den Blick.

»Kommen Sie, Monsieur Rapin.«

Er schob Luc die eine Hand unter die Achsel, die andere seitlich an den Oberarm, mit sanftem Druck half er ihm auf die Füsse. »Die ersten Schritte sind die schwersten, aber glauben Sie mir, danach wird es einfacher«, ermutigte der Richter. »Lassen Sie sich Zeit, es gibt ein Leben danach.« Luc liess sich zur Ausgangstüre begleiten. Vor der Schwelle blieb er stehen und meinte abschätzig: »Gehen Sie in den Gerichtssaal, da gehören Sie hin.«

Der Audi Quattro Turbo, Baujahr 89, stand abseits in einer Seitenstrasse. Er setzte sich hinein, startete den Motor und fuhr aus der Stadt. In einem Vorortskreisel nahm er die Ausfahrt, die bergan führte. Vue des Alpes hiess die Strasse, an deren Ende ein vergilbtes Mietshaus stand, in dem er seit einigen Monaten wohnte. Die Wohnung war mit freier Bergsicht – ›Vue splendide sur la montagne!‹ – angepriesen worden, was für die oberen Geschosse galt, aber nicht für die unteren: Eine Reihe Tannen vor seinem Balkon verdeckte die Sicht auf alles, was mehr als einen Steinwurf entfernt war.

Hamid Boulanouar, ein Mann mit wachen Augen und für sein Alter erstaunlich vollem Haar, erwartete ihn. »Salut Luc«, grüsste er mit rauchigem Timbre. »Ich soll dir ausrichten, dass der Hund von Madame Koch froh wäre, wenn du mit ihm spazieren gingest.«

Hamid tat, als suche er eine Zigarette in seiner Hosentasche. Er rauche nicht, entschuldigte sich Luc, worauf er zu einem Kaffee eingeladen wurde.

»Wenn es keine Umstände macht.«

Hamid bat ihn hinein, Luc zog die Schuhe aus und rutschte auf Socken über das Parkett. Im Wohnzimmer wurde ihm der Platz auf dem Sofa angeboten, er setzte sich. Es tat gut, in Gesellschaft zu sein. Hamid servierte Kaffee.

»Du hast einen praktischen Namen«, begann Hamid die Konversation. »Kurz und klar, ein Abenteurername, passend für einen Mann um die dreissig.«

»Ich wurde nach dem Vater meiner Mutter benannt.«

»Er muss ein besonderer Mann gewesen sein«, meinte Hamid freundlich. »Oder die Mutter war sehr durchsetzungsfähig.«

Luc liess sich tiefer in das weiche Sofa fallen und nahm einen Schluck Kaffee. Da er nun das Tischchen mit der Hand nicht mehr erreichte, hielt er die leere Tasse in der Hand, er kam sich vor wie eine Tante beim Kränzchen. Aus einem ihm unerklärlichen Grund schaffte er es nicht, mit diesem Tässchen in der Hand zu antworten. Als hätte er Angst, es zu zerbrechen oder, schlimmer noch, mit der Stimme einer Frau zu antworten.

Was ein Tässchen alles auslöst, dachte er beiläufig, und dass Sprichwörter mit Tassen durchaus geeignet waren, um Verrücktheiten auszudrücken. Er begann, das Porzellan rundherum zu begutachten, drehte und wendete es. Schien es ihm erforderlich, hielt er den Kopf schief, um eine Lichtspiegelung mit besonders distanziert kritischem Auge zu betrachten. Ein Räuspern weckte ihn aus seiner Meditation.

»Hunger?«

»Danke, nein.«

»Musik?«

»Warum nicht.«

Hamid holte im Nebenzimmer eine Gitarre und einen Fussschemel, den er vor einem Stuhl platzierte. Als er sich eingerichtet hatte, entschuldigte er sich, er sei leider ausser Übung, es dauere, bis die Finger wieder Bescheid wüssten. Er zupfte einige Akkorde und lauschte den Klängen nach. Nach einem Moment der Stille fragte er: »Noch einen Kaffee?«

Luc, der immer noch mit seinem Porzellangefäss haderte, hielt ihm dankbar die Tasse hin.

»Dachte ich mir.« Hamid huschte in die Küche, von wo er mit einer vollen Tasse zurückkehrte.

»Bereits gesüsst«, erklärte er und mit einem trockenen »Et voilà« überreichte er sie.

Behutsam begann Hamid wieder die Saiten zu zupfen. Luc beobachtete seinen umtriebigen Nachbarn; er wusste nicht, wie er ihn einschätzen sollte, sinnierte darüber, liess es jedoch bald bleiben, die Melodien trugen seine Gedanken fort.

Er döste ein.

Selbstvergessen zupfte Hamid die Saiten und murmelte die Liedertexte, die er aus seiner Kindheit kannte.

Plötzlich schrak Luc hoch. Ihm war, als hätte er etwas zu erledigen. »Der Hund«, erinnerte er sich und tippte sich mit dem Finger an die Stirn. Das Spiel wurde unterbrochen.

»Der Hund?«

»Ich sollte raus mit ihm.«

Hamid stellte die Gitarre zur Seite und begleitete seinen Gast in den Flur, wo Luc seine Schuhe anzog und sich zwischen der Wohnungstür und Hamids wachen Augen etwas verloren vorkam.

»Du spielst gut, Hamid. Mit Gefühl, ein richtiger Musiker. Ich spielte Klarinette, meine Mutter wollte es so – fürs Hausorchester.«

Hamid zog eine Augenbraue hoch: »Eine musikalische Familie?«

»Ja, liegt in der Familie. Ein Onkel ist Pianist, meine Mutter singt sehr gut.« Lucs Gesicht erhellte sich, er lächelte, als er weitersprach. »Mama hatte sich rührend gekümmert, geduldig, liebevoll. Dabei war klar, dass bei mir nicht viel zu holen war; ich war sportlich interessiert. Obwohl ich ganz passabel spielte.«

»Wie meine Familie, damals. Wir spielten zu siebt auf Hochzeiten und Dorffeiern. Die ganze Nacht, alle gemeinsam.«

»Wir gaben Konzerte bei befreundeten Winzerfamilien.« Luc trat ins Treppenhaus. »Es ist Zeit«, sagte er und bedankte sich.

Ein Getriebener, dachte Hamid, trat einen Schritt zurück und sagte: »Geh mit Gott.«

Luc lachte trocken.

Hamid schloss die Tür.

Draussen kroch der kalte Novembernebel einer formlosen Anschuldigung gleich durch die Kleider bis in seine gekränkte Seele. Nach einer Runde um den Block hatte er genug und teilte dem Boxerhund mit, dass er morgen mit Frauchen wieder seinen gewohnten Rundgang habe. Der Hund winselte, er hätte gerne noch den Waldrand inspiziert. Zum Trost nahm er ihn in seine Wohnung, wo er sich freudig auf dem Teppich vor dem Fernseher wälzte. Luc füllte sich ein Glas mit Wein, setzte sich aufs Sofa und klemmte die kalten Füsse unter den Hund, der es sich widerstandslos gefallen liess. Nach dem dritten Glas kam er ins Grübeln. Er dachte an seine Zukunft; dass sein Leben dringend einer Änderung bedurfte; dass er sich vorstellen konnte, diese Wohnung nicht nur vorübergehend zu bewohnen; dass er sich keinesfalls dem Alkohol ergeben durfte. Vor allem das nicht.

5

Aziz Bounabi sass schweigend hinter Luc und Thierry. Die Pistole in seiner rechten Hand pendelte von Fahrer zu Beifahrer und wieder zurück, der Oberkörper schaukelte unruhig, ein Fuss steckte unter dem Fahrersitz, der andere zitterte unablässig.

Thierry Rodenbach dachte an Juliette, die in seinem Mercedes nach Hause fuhr, während er diesem verrückten Terroristen ausgeliefert war. Falls ihm etwas zustossen sollte, trug sie die Schuld, befand er, und irgendwie schien dieser Gedanke tröstlich; er stellte sich seine Beerdigung vor, wie Juliette unter Schuldgefühlen zusammenbricht, unablässig seinen Namen murmelnd.

Luc reihte sich auf der rechten Spur hinter einem Zementtransporter ein. Er hielt grosszügig Abstand, der Verkehr rollte unaufgeregt. Vor dem Anstieg auf die Rhonebrücke überholte der kleine Peugeot, der ihm seit der Raststätte gefolgt war.

Eine abfallende Tonfolge kündete seinen Disponenten an: »Hast du’s gehört?«, kam Meyer grusslos zur Sache.

»Ich hatte Pause«, antwortete Luc ausweichend und hielt die offene Hand beschwichtigend Richtung Aziz, Thierry versah er mit einem warnenden Blick. Dieser verstand sofort: Klappe halten.

»Schlimme Sache in Orange.«

»Ich bin auf der Rohnebrücke, die Stadt liegt direkt vor mir.«

»Ein Attentat, irgendwas in der Art, am besten schaltest du das Radio ein. Wahrscheinlich schliessen sie die Zufahrten und es gibt Kontrollen und Sperren der Autobahnpolizei.«

Luc sah unauffällig in den Fonds der Kabine, von wo aus Aziz ihn mit dunklen Augen anstarrte. Der Junge gehört also dazu, dachte er, und erstmals wurde ihm der Ernst der Lage bewusst.

»Attentat? Wann?«

»Eine Schiesserei, Tote, Verletzte, grauenhaft.«

»Ich schalte auf ›France Info‹. Die senden pausenlos die neuesten Nachrichten. Normalerweise erspar ich mir das, schlägt nämlich übel auf die Laune.«

»Gute Idee, halt dich auf dem Laufenden … Schaffst du es bis um sieben nach Aarau?«

»Wenn nichts dazwischenkommt.«

»Pass auf dich auf.«

»Keine Sorge, wir kommen klar.«

»Wir?«

»Wir?, das … ist nur so dahergesagt.«

»Ach so.«

Den Blick Aziz zugewandt, erklärte Luc, dass er jetzt das Radio einschalte und daher ein paar Knöpfe zu drücken habe. Er wies mit dem Zeigefinger auf alle Knöpfe und Tasten, die zum Gerät gehörten. »Die hier oberhalb«, er zeigte auf einige mit Zeichen versehene Tasten, »die gehören nicht dazu.«

»Wer war das?«, unterbrach ihn Aziz.

»Das war Meyer, mein Disponent. Er hat Zugang zum Bordcomputer. Über GPS sieht er, wo ich mich befinde.«

»Wir sollten Meyer sagen, was los ist«, meinte Thierry und Aziz erwiderte, dass es hier keine Hilfe benötige: »Ihr tut was ich sage, und alles ist gut.«

»Verstanden, reg dich nicht auf«, antwortete Thierry, »der mit Waffe hat die Macht. Auch wenn sonst die Sache anders aussehen würde.«

»Thierry, halt mal deine Klappe, die Nachrichten beginnen.«

»Thierry«, wiederholte Aziz, froh ihn beim Namen nennen zu können.

Thierry Rodenbach rieb sich mit Zeigefinger und Daumen die Nasenspitze und nestelte nervös an den Knöpfen seines rosa Hemdes; ihm war plötzlich heiss, er schwitzte und verlangte, dass Luc endlich die Klimaanlage einschalte.

»Funktioniert mit Klimaautomatik, hält die Temperatur auf konstant 23 Grad.«

»Dann öffne die Fenster. Ich krepiere.«

»Zieh die Jacke aus.«

»Ich ersticke, hier fehlt Sauerstoff! In diesem Karren wird einem übel. So eine verdammte Dreckskiste!«

»Halt die Fresse«, brüllte Luc und schlug mit der flachen Hand auf die Ablage.

»Die Fenster bleiben zu«, bestimmte Aziz und war überrascht, welche Autorität ihm die Waffe verlieh: Nicht ein Murren war zu vernehmen, nur die Radiostimme kündete eine Sondersendung an.

Radio France Info, 16:30 Uhr:

›Marianne Blésier, Sie befinden sich in Orange.‹

›Bonjour Cedric Crissier. Es herrscht Unklarheit, was genau passiert ist. Der Tatort befindet sich am Cours Aristide Briand, einem Parkplatz eingangs der Altstadt. Ersten Berichten zufolge schossen mehrere bewaffnete Männer auf eine Polizeieinheit, die sich vor dem Stadttheater aufhielt. Es heisst, dass einige der Täter fliehen konnten.‹

›Wie ist die aktuelle Situation in Orange, Marianne Blésier?‹

›Die Rettungsteams sind eingetroffen, man spricht von mindestens zwei Toten und zahlreichen Verletzten, darunter Zivilisten, die sich dort aufhielten … Ich erhalte eben eine Meldung, dass ein Juweliergeschäft überfallen wurde … Die Polizei durchkämmt die Altstadt nach weiteren Tätern.‹

›Gibt es Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund?‹

›Noch ist nichts sicher, erste Zeugenaussagen deuten darauf hin.‹

›Marianne Blésier, danke für Ihre ersten Einschätzungen.‹

»Das genügt wohl«, meinte Luc und stellte das Radio leiser. Er lenkte den Lkw über eine Brücke und eine langgezogene Linkskurve auf die A7, die Autoroute de soleil, die von Marseille nach Lyon führte.

Polizeifahrzeuge waren keine zu sehen, dafür kreisten blauweisse Helikopter am pastellfarbenen Vorabendhimmel. Luc kannte die kleine Stadt, in der das Attentat geschehen war. Auch den Parkplatz, auf dem die Einheimischen täglich um die freien Plätze kämpfen mussten mit Touristen, die von weit hergereist waren, um das römische Erbe des Städtchens zu sehen, die verwinkelten Gassen und die historischen, von Platanen beschatteten Plätze.

Thierry schaute mit zusammengekniffenen Augen zu einem Helikopter, der in geringer Höhe über der Autobahn kreiste – zu gerne hätte er gewunken, geschrien, eine Leuchtrakete geschossen, die rot brennend bogenförmig in den Himmel gestiegen wäre. Oder wenigstens einen Rettungsring aus dem Fenster geschmissen. Warten und sich dem Schicksal überlassen: das war nichts für ihn. Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, wenn er sein Leben nicht gefährden wollte. Er brauchte einen Plan und einen kühlen Kopf. Beides fehlte.

»Ich fahre über Lyon«, erklärte Luc.

Niemand antwortete. Nach einer unangenehm langen Pause sagte Aziz: »Ich habe mit diesem Attentat nichts zu tun.«

»Es sieht aber danach aus, Aziz«, entgegnete Luc.

»Aziz«, wiederholte Thierry, den letzten Konsonanten liess er lange nachzischen. Er starrte aus dem Seitenfenster, die allmählich grüner werdende Landschaft zog an ihm vorbei. Er überlegte. Ein Plan musste her, der a) den Terroristen beseitigt und b) ihn zu Juliette zurückbringt. Obwohl, dachte Thierry, b) ist unwichtig. Er hatte ja noch Anna, fast genauso hübsch, aber weniger hysterisch. Er tastete nach ihrem Handy in seiner Jackentasche.

Ob er versuchen sollte, einen Notruf zu senden?

Wenn er das Gerät vor Aziz verborgen hielt, sah Luc ihn die Nachricht schreiben. Thierry beschlich das ungute Gefühl, dass sich der Fahrer verdächtig gut mit Aziz verstand. Zu gut. Schon die Blicke, die sich die beiden zugeworfen hatten, als er eingestiegen war. Auch fuhr Luc seltsam ruhig, gerade so, als handelte es sich um eine gewöhnliche Fahrt. Wollte er überleben, musste er rausfinden, was hier wirklich gespielt wurde. Strategisch denken und vorgehen. Mit möglichst unverfänglichem Tonfall fragte er: »Was transportierst du eigentlich in deinem Anhänger?«

»Orangen, aber nicht nur.«

»Von Spanien in die Schweiz?«

»Nach Aarau, genaugenommen.«

»Das machst du gerne? So alleine herumfahren?«

»Alleine, schön wär‘s. Sieh dich mal um!«

Aziz räusperte sich.

Thierry und Luc verstummten gehorsam.

Wie eine Spinne hockte der Maghrebiner auf der Ruheliege und kontrollierte aus dem Halbdunkel seine Geiseln. Thierrys Bein begann zu zittern; er war einem Feind ausgesetzt, dem er nicht in die Augen sehen konnte, ohne Möglichkeit zur Flucht oder wenigstens zur Konfrontation. Düstere Phantasien über den weiteren Verlauf begannen in seinem Kopf zu spuken.

Luc blieb schweigsam und ruhig. Es galt abzuwarten. Entgegen der offensichtlichen Situation gelangte er allmählich zur Überzeugung, dass die eigentliche Gefahr eher von Thierry ausging; er schien unberechenbar, da er sich sowohl von Aziz als auch ihm bedroht zu fühlen schien. Bei Montélimar beruhigte sich Thierry, die gehetzten Blicke und das Nesteln an Kleidern und Gesicht verschwanden, dafür machte er jetzt einen seltsam apathischen Eindruck.

Hoffentlich ist er nur schläfrig, dachte Luc und verscheuchte seine zwiespältigen Gefühle über Thierrys psychische Verfassung. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Aziz. Dem ist recht, wenn er vergessen wird, urteilte Luc und merkte, dass ihm dieser junge Mann unter anderen Umständen durchaus sympathisch hätte sein können.

»Vor Lyon fahren wir durch eine Zahlstelle. Ich werde auf der Lastwagenspur erfasst und abgerechnet, alles elektronisch«, erklärte Luc. »Erfahrungsgemäss gibt es vor oder nach der Stadt Polizeikontrollen, vielleicht auch vor und nach. Wenn ihr ruhig bleibt, gibt es keine Schwierigkeiten. Merkt euch: unauffällig ist ungefährlich. Ich will keinen Ärger mit euch Komikern.«

Thierry schüttelte angewidert den Kopf. Für ihn war das Fluchthilfe. So einfach durfte der Typ nicht entkommen, wie auch immer er in das Attentat verwickelt gewesen war.

Nach und nach brummte der Motor die erregten Gemüter der Männer in eine Art meditative Lethargie. Sie hingen ihren Gedanken nach, die vom Stress verspannten Muskeln begannen sich zu lösen. Luc lockerte die Halsmuskulatur und Thierry verspürte einen steigenden Druck auf der Blase.

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