Kitabı oku: «Drei Romane», sayfa 3
Weiterfahrt nach Komo Ombo
Linda und Jakob hatten sich in das hinterste Eck des Decks verzogen. Sie wollten wahrscheinlich nicht gestört werden.
Toni lag weiter vorne in der Nähe der Tische auf einer der Liegen, mit einem Tee-Cocktail auf dem Beistelltisch. Ich setzte mich neben sie und bestellte einen der schrecklich schmeckenden Cappuccinos. Wir zündeten uns eine Zigarette an.
Toni fragte: „Wie lange seid ihr eigentlich schon zusammen, Paul und du?“
„Seit zwanzig Jahren.“
„Wie Richard und ich.“
„Habt ihr zusammengewohnt?“
„Na klar, wir waren doch verheiratet.“
„Wir wohnen nicht zusammen.“
„Aber ihr seid verheiratet, oder?“
„Nein, wir genießen unsere Freiheiten. Das funktioniert super, man freut sich immer wieder, den anderen zu sehen.“
„Das verstehe ich nicht. Ich hätte nicht alleine wohnen wollen in der Zeit mit Richard. Ist dir eigentlich aufgefallen, dass Paul gar nicht mit mir redet?“
„Paul redet nicht mit Leuten, die er nicht kennt.“
„Richard hat das auch nicht gemacht.“
„Mal was anderes, wie wär‘s, wenn wir Adressen tauschen? Oft verliert man sich ja nach so einem Urlaub aus den Augen.“
„Super Idee, Annika!“
Wir wühlten beide in unseren Taschen nach den Visitenkarten. Als Toni meine Visitenkarte in den Händen hielt, war es fast so, als ob sie sie für einen Schatz hielte, denn sie starrte mindestens eine Minute lang darauf. Danach steckte sie sie an die vorderste Stelle in ihren Geldbeutel. Vielleicht wollte Toni doch etwas von mir. Ich jedenfalls würde mir nichts anmerken lassen. Ich wollte mir eine Enttäuschung ersparen.
Die Sache mit der Perücke rumorte noch in mir und ich fragte sie:
„Warum trägst du eigentlich diese Perücke?“
„Woher weißt du das?“
„Gestern Nacht hast du dich mit Reiner unterhalten, da hast du die Perücke in der Hand gehalten.“
„Mist!“, entfuhr es ihr. Aber da hatte sie sich schon wieder gefangen. „Mir macht es Spaß, mich zu verwandeln. Ich trage immer verschiedene Perücken. Außerdem sind meine Haare nicht so toll.“
„Aha“, sagte ich nur gedehnt.
Das Schreiben ist eine gefährliche Waffe, man kann damit Menschen bis auf ihre Knochen sezieren. Ich sollte vorsichtig damit umgehen, was ich für meinen Teil meistens nicht tue, denn ich liebe Skelette, die wie in einer Totenstadt auf ihr endgültiges Ende warten, das sie nie haben werden, denn nach der Bibel leben sie ja anscheinend unendlich.
16 Uhr 30 Besichtigung des Doppeltempels Komo Ombo
Nachdem das Schiff in Komo Ombo angelegt hatte, war es Zeit für die nächste Besichtigung. Die Sonne verschenkte gerade ihre letzte Kraft, als unsere Reisegruppe in Richtung Doppeltempel ging. Wir hüllten uns in unsere Jacken, denn es wehte ein kalter Wind. Wieder kamen uns unzählige Händler entgegen, die uns bedrängten. Es gab auch Frauen, aber die saßen hinter ihren Waren und trauten sich nicht, uns anzusprechen. Der Tempel war nicht nur durch die Abendsonne beleuchtet, sondern auch durch elektrische Strahler. Wie ein Schmuckstück glänzte er uns entgegen. Leider besuchten diesmal viele Touristen den Tempel, nicht so wie auf unseren frühmorgendlichen Touren, wenn unsere Gruppe fast alleine zwischen alten Steinen herumklettern konnte. Die eine Hälfte des Tempels war dem Gott Sobek, die andere dem Gott Horus gewidmet. Erbaut wurde er circa 300 Jahre vor Christus in der Zeit der Ptolemäer. Der Gott Sobek hat einen Krokodilkopf und der Gott Horus wird, wie schon erwähnt, als Falke dargestellt. Die alten Ägypter mumifizierten die Krokodile, da sie sie verehrten. Der Reiseführer erklärte, dass leider die meisten Bildhauerarbeiten durch die Christen zerstört wurden, denn für die Christen waren die Ägypter Heiden.
Es wurde schlagartig dunkel. Die Wände und Säulen des Tempels warfen unheimliche Schatten. Toni folgte mir den ganzen Weg über durch den Tempel wie ein Schoßhündchen. Sie schien in der Dunkelheit Angst zu haben. Einmal zupfte sie mich am Jackenärmel und sagte: „Ich weiß nicht, was es ist, Annika. Aber irgendwie fühle ich mich sicher, wenn du in meiner Nähe bist.“ Dabei schaute sie mich treuherzig an.
Wir standen gerade vor einer Wand, die übersät war mit Hieroglyphen, als der Reiseleiter fortfuhr mit seinen Belehrungen:
„Hier sieht man die einzelnen Kräuter, mit denen die Ägypter versucht haben, zu heilen. Was haben die Ägypter erfunden? Die Medizin. Noch heute werden an den Universitäten Teile der ägyptischen Lehre weiter verbreitet. Viele Ägypter leiden an einer Augenkrankheit, die Trachom genannt wird. Am Anfang äußert sich die Krankheit durch tränende Augen und den Ausfluss eines Sekrets. Die Krankheit kann zur Erblindung führen. Antibiotika können helfen.“
Der Reiseleiter ging zu einer weiteren Bildhauerarbeit. Er stand vor dem Relief des Vogels Ba, Symbol für die Exkursionsseele, und meinte: „Die Seele eines toten Ägypters ist nur gesund, wenn ihre Statue oder ihr Relief erhalten bleibt. Deshalb haben die Christen die Statuen und Reliefs zerstört. Wird nach dem Glauben der Ägypter das Abbild des verstorbenen Menschen, das in der Statue ewig weiterleben soll, zerstört, wandert die Seele herum, bis sie sich einen neuen Körper sucht. Diese Seele kann in dem neuen Körper psychische Schädigungen auslösen und ihn dämonisieren bis zum Wahnsinn. Die Ägypter versuchten, die Seelenwanderung durch Gespräche zu heilen. Wer hat also die Psychotherapie erfunden? Die alten Ägypter.“
Auf dem Rückweg besuchten wir noch die Krokodilhalle, in der in einem riesigen Glaskasten mehrere Krokodilmumien ausgestellt waren. Toni verpasste die Halle, da sie mal wieder auf der Toilette war.
Zurück in der Kabine googelte ich die drei folgenden Begriffe: Seelenwanderung, Wahnsinn, altes Ägypten. Google fand nichts. Ich fragte Paul, der gerade lesend auf dem Bett lag.
Er meinte: „Das mit der Seelenwanderung habe ich noch nie gehört. Das ist doch eher indischer Glaube. Wahrscheinlich hat der Reiseleiter das aus einer ägyptischen Bildzeitung. Der hat schon mehrere falsche Sachen gesagt. Dem glaube ich nicht alles.“ Damit war für ihn das Thema beendet und er las weiter. Ich ging an Deck. Ich wollte mir vor dem Essen einen Wein genehmigen. Toni saß alleine an einem der Tische. Ich setzte mich zu ihr und sagte:
„Wie wär‘s mit einem kleinen Vorabend-Drink?“
„Vor dem Essen?“
„Warum nicht?“ Sie willigte ein. Ich ging an die Bar und bestellte zwei Gläser Rotwein.
Als der Ober die Gläser vor uns hingestellt hatte, meinte Toni:
„Dein Paul würde mich interessieren.“
„Wieso? Inwiefern? Als Mann?“
„Als Gesprächspartner, er ist so intelligent.“
„Aber du verstehst dich doch anscheinend gut mit Reiner.“
„Ja, aber der macht nur ständig irgendwelche Witze. Reiner ist mir zu oberflächlich. Er ist ja wie ein Clown. Paul dagegen scheint sehr tiefgründig zu sein.“
Ich machte mir Gedanken über Tonis Manöver. Was sollte das jetzt? Zuerst drang sie in die Beziehung von Gisela und Reiner ein, und jetzt auch noch das! Und was war mit mir? Ich glaubte ihr nicht, dass sie Paul nur als Gesprächspartner haben wollte. Aber sie konnte mir Paul nicht wegnehmen. Er würde sich bestimmt nicht mit einer älteren Beamtin aus einem tristen Loch, wie Calw es war, einlassen. In so jemanden verliebte sich nur ein Narr wie ich. Ich trank meinen Wein aus und verabschiedete mich von Toni. Ich war stinksauer. Das Schiff legte gerade ab in Richtung Assuan.
Als Schriftsteller ist man immer alleine. Paul ist zwar da, aber ich nehme ihn manchmal gar nicht wahr. Er ist wie ein kleines zweites Ich, das es sich in meiner Seele bequem gemacht hat und darauf wartet, auch einmal etwas sagen zu können, aber seine Worte kommen in meinem Geist nicht an.
Als Paul und ich zum Abendessen kamen, sah ich, dass sich Toni geschminkt hatte. Das nahm ihr das fahle Aussehen der letzten Tage. Ob sie sich wegen Paul geschminkt hatte? Reiner erzählte gerade wieder einen Witz:
„Was ist der Unterschied zwischen einem Kondom und dem Kölner Dom?“ Toni legte fragend den Kopf schief.
„Beim Kondom hängen die Glocken draußen.“
Sie prustete vor Lachen. Aber Gisela fauchte Reiner an:
„Kannst du nicht mal diese blöden Witze sein lassen?“
Er sagte: „Aber sie scheinen wohl doch ein paar Leute zu amüsieren.“ „Ich habe diesen Witz jetzt schon tausendmal gehört.“
Reiner schob seine Unterlippe nach vorne. Er schmollte. Während die beiden stritten, beobachtete ich Toni, die immer wieder aus den Augenwinkeln Paul anschaute. Sie schien sich nicht zu trauen, ihm direkt ins Gesicht zu blicken.
Später, in der Kabine, kurz bevor ich ins Bett ging, fragte ich Paul: „Hast du eigentlich bemerkt, dass dich Toni öfters anschaut?“
„Wer ist Toni?“
„Aber Paul, sie sitzt dir beim Essen direkt gegenüber!“
„Ach so, die! Nein, habe ich nicht bemerkt. Müsste ich das denn?“
„Nö, war nur so eine Frage.“ Damit machte ich es mir im Bett gemütlich. Ich war hundemüde.
Ich ging im Traum durch eine riesengroße Wohnung. Ich spähte immer wieder durch eine der Türen. Jedes Mal war es dunkelorange in den Räumen. Es sah aus wie im Fegefeuer, aber es war nur das Licht, das bedrohlich wirkte. Ich ging weiter. Plötzlich musste ich mich, um in den nächsten Raum zu gelangen, bücken und ganz klein machen. Ich kroch mit Anstrengung unter der Tür durch und kam ich eine Art Tropfsteinhöhle. Weiter hinten stand ein Altar mit einer weinroten Decke. Auf dem Altar lag eine nackte Frau, die Paul gerade von hinten nahm. Ich schrak hoch. Es war vier Uhr morgens.
Die blutigen, ehemals weißen Handschuhe rufen zum Gebet, aber sie wollen sich nicht aneinanderlegen, da das Blut keine Metapher ist.
4. Tag, Assuan-Staudamm und dazwischen noch der Tempel auf der Insel (Fahrt mit Boot), Philae-Tempel (Fahrt mit Boot), 14:30 bis 17:15 Bootsfahrt zu nubischem Dorf
Assuan - Stadt aus Schiffen
Paul, Toni und ich saßen schon beim Frühstück, als Reiner erschien. Toni sagte zu ihm: „Wow, jetzt ist es 6 Uhr 25, du bist aber pünktlich!“ „Weißt du, Toni, irgendwo auf der Welt ist man immer pünktlich!“ Beide brachen mal wieder in Lachen aus.
Gisela verzog keine Miene, fragte aber kurz darauf Toni, was mit ihren Augen los sei. Sie sähe da Eiter. „Hast du etwa die Augenkrankheit der Ägypter?“
„Nein, meine Liebe, ich habe eine Bindehautentzündung. Gestern im Tempel war es zugig. Würdest du jetzt bitte endlich mal deine Sticheleien lassen?“
Eine halbe Stunde später saßen wir im Kleinbus auf dem Weg zum Assuan-Staudamm. Dort angekommen hatten wir einen atemberaubenden Blick auf den Nassersee. Weiter ging‘s mit dem Bus zu einer vereinsamten Bootsanlegestelle. Wir setzten über auf eine kleine Insel. Toni half mir vom Boot an Land, indem sie mir die Hand reichte. Als ich sprang, fing sie mich in ihren Armen auf. Unsere Brüste berührten sich. Ich dachte, das ist doch eine schöne Geste. In jenem Moment war ich irgendwie glücklich und dieses Gefühl trug mich an diesem abgeschiedenen Ort noch für ungefähr eine Stunde weiter. Dass sie von Paul etwas wollte, verscheuchte ich wie ein Gespenst aus meinen Gedanken.
Auf der Insel befand sich ein kleiner Tempel mit dem Namen Neu-Kalabscha und vier weitere kleine Ausgrabungen, die vor den Überflutungen des Nassersees gerettet worden waren, indem man sie hierher versetzt hatte. Ein weißer Hund folgte uns in der morgendlichen Stille. Unsere Körper warfen riesige Schatten auf den Sand, als wir auf der Insel herumliefen. Weit und breit gab es hier keine Touristen. Als wir zurück zum Bootssteg gingen, bemerkte ich, wie sich Tonis Blicke in Pauls Rücken bohrten. Meine schönen Gedanken fielen zusammen wie ein Hochhaus, das gesprengt wurde. Die Fahrt ging weiter zum Philae-Tempel. Wieder setzten wir mit dem Boot über, aber hier war die Bootsanlegestelle von vielen Touristen heimgesucht. Der Philae-Tempel war genauso wie Neu-Kalabscha vor den Fluten des Nassersees gerettet und auf der Insel Agilkia neu errichtet worden.
Nach Besichtigung des Tempels hatten wir noch etwas Zeit und Paul und ich kletterten in den Trümmern umher. Toni war weg. Wahrscheinlich war sie mit Linda und Jakob in das kleine Café gegangen. Das strenge Programm des Reiseführers schien einige in der Gruppe zu nerven.
Irgendwann verlor ich Paul aus den Augen. Ich wurde von einem Militärpolizisten angesprochen. Er deutete auf mein Handy und meinte, er würde Fotos von mir machen. Mir war etwas mulmig, da Paul nicht in der Nähe war, aber ich dachte, was soll passieren? Dies ist eine öffentliche Anlage. Also schoss der Polizist Fotos von mir in dem Tempel mit Blick auf den See. Wie hätte es anders sein können, danach verlangte er Geld von mir. Ich gab ihm einen Euro und verabschiedete mich. Schnell fand ich auch wieder zu Paul zurück. Ich fragte ihn, ob das okay gewesen sei, dem Polizisten Geld zu geben. Paul meinte, das seien auch nur arme Schweine.
Am Nachmittag war ein weiterer Ausflug angesagt. Wir fuhren auf einem Flussarm des Nils in ein Nubierdorf. Das Boot, in dem wir fuhren, war wieder bunt angemalt und die Fahrt war überhaupt nicht langweilig, obwohl ich das befürchtet hatte. Immer wieder kamen kleine Jungen auf ihren Surfbrettern angepaddelt, hängten sich an die Boote und sangen ein Lied. Dafür wollten sie natürlich Geld. Wir fuhren an einem Mausoleum und grasenden Büffeln vorbei, bis auf der rechten Seite ein Naturschutzgebiet auftauchte. Viele Reiher reckten ihre Schnäbel zuerst ins Wasser dann in die Luft. Bald konnten wir sehen, dass Touristen zum Dromedar-Reiten verführt wurden. Während am Bergkamm eine ganze Karawane mit Dromedaren zu sehen war, sprangen zwei Leute vom Boot in den Nil. Der Reiseführer sagte, da sei so eine Art Badestrand. Und weiter ging es. Bald konnte man im Wüstensand auf einem Berg Skispuren sehen. Auch das Skifahren hätten die Ägypter erfunden, meinte der Reiseführer. Die Erfindungen der Ägypter kamen uns schon zu den Ohren heraus. Toni versuchte immer wieder während der Fahrt, Blickkontakt zu Paul aufzunehmen, aber der schien sich nur für das Nil-Panorama zu interessieren. Linda und Jakob waren zum Sonnen auf das Dach des Boots geklettert. Von oben hörte man ein furchtbares Knarren. Als sie kurz vor der Ankunft im Dorf wieder herunterkamen, behaupteten sie, einer der Stühle sei kaputt gewesen, deshalb der Lärm.
Wir kletterten über mehrere Schiffe hinweg an Land und gingen in das Nubierdorf hinein. Viele Häuserwände waren indigoblau gestrichen, als ob die Farbe die Armut übertünchen sollte. Bunt geschmückte Dromedare saßen auf den Sandwegen des Dorfes. Sogar die Motorräder, die hinten einen Lastenaufsatz für den Transport von Waren hatten, waren bunt gestrichen. Wieder ging es durch einen Basar, wo einem die Nubier billige Ketten aufdrängen wollten. Ich kaufte nichts. Wir kamen in einen Innenhof. Toni und ich suchten die Toiletten auf. Diese waren sauber und wir wunderten uns, bis uns der Reiseführer erklärte, wir seien in einem nubischen Kindergarten und Grundschule. Im Klassenzimmer schrieb der Lehrer unsere Namen in Ägyptisch an die Tafel und versuchte, uns das Alphabet beizubringen. Wir verstanden so gut wie gar nichts und konnten auch nichts davon in unseren Köpfen behalten.
Danach begegneten Toni und ich uns alleine in einer Gasse mit blau gestrichenen Häusern. Die Sonne leuchtete gerade noch zu uns herab und ein magisches Licht erfasste die Szene. Ich stand da und fotografierte das Licht. Da kam Toni an. Sie umfasste zuerst mit ihren Armen meine Schultern, dann zog sie mich an sich. Leidenschaftlich küsste sie mich kurz und zärtlich auf meine Lippen. Und genauso schnell war sie auch schon wieder weg. Im Gehen rief sie mir hinterher:
„Annika, ich liebe dich. Gib bitte keinen Deut auf das, was die anderen sagen! Oder was du meinst zu sehen.“
Weiter ging es auf den Sandwegen zu einem Nubierhaus, wo wir eine Erfrischung erhalten sollten. Ich war jetzt völlig verwirrt und konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Das Haus hatte eine Art Innenhof, dessen Boden mit Sand bedeckt war. Der Reiseleiter erklärte, dass abends der Sand glatt gerecht wurde, um morgens die Spuren giftiger Tiere wie Schlangen und Skorpione aufspüren zu können, die nachts hier manchmal eindringen würden. In dem Haus wurden zwei Krokodile in jeweils einem engen Käfig gehalten. Der Reiseführer klopfte mit einem Stab neben dem größeren Krokodil auf den Boden. Wegen des Geräuschs riss das Krokodil gefährlich weit das Maul auf. Anscheinend brauchten die Tiere während der sechs Wintermonate kein Fressen. Im Sommer würden sie jeden Tag Fisch bekommen, aber in harten Zeiten könnten Krokodile ein Jahr lang ohne Futter auskommen. Nach dem Malventee, den man uns anbot, verabschiedeten wir uns von der Hausherrin, und als wir draußen waren, sagte Linda zu mir:
„Dieser Ausflug ist unmöglich, ständig werden wir von dem Reiseführer gegängelt, hierhin und dorthin zu gehen. Das Dorf hätten wir auch auf eigene Faust erforschen können. Und diese armen Krokodile in den engen Käfigen! Das sind doch auch Lebewesen!“
Ich fragte Linda nur: „Wo ist Toni? Sie war bei den Krokodilen nicht dabei.“
Toni stieß etwas später, kurz nach dem Ablegen des Bootes, wieder zu uns. Im Halbdunkel auf der Rückfahrt konnte ich nicht ausmachen, was sie fühlte oder was ihr durch den Kopf ging. Ständig suchten meine Augen ihre Augen, aber sie ließ sich auf keinen Blickkontakt ein. Welches Geheimnis trug sie mit sich herum? Ich hatte keine Antwort. Nach dem Essen saß ich mit Paul auf dem Deck. Ich hatte ein Glas Wein bestellt, er einen Cappuccino. Wir redeten über Ägypten und seine Einwohner. Wie man ihnen aus der Armut helfen könnte. Da erschien Toni und steuerte schnurstracks auf den freien Stuhl an unserem Tisch zu.
Ich wusste die Aktion Tonis von heute Mittag nicht zu deuten, und warum starrte sie Paul ständig wie eine Gottesanbeterin an? Trotzdem spürte ich ein unzerreißbares Band zwischen Toni und mir und deshalb musste ich sie jetzt wegschicken, damit Paul keinen Verdacht schöpfen würde.
Außerdem war ich mir in dem Moment sicher, dass Paul nicht noch einmal auf eine Frau hereinfallen würde, um mich zu betrügen. Schließlich war er jetzt zu alt dafür. Bei uns im Bett war seit Jahren nichts mehr gelaufen, also würde es bei einer anderen auch nicht mehr funktionieren.
Ich sagte zu ihr:
„Paul und ich wollen reden. Jetzt geht es gerade nicht.“ Sie ließ den Kopf hängen, überlegte kurz, drehte sich um und sah Linda und Jakob in einiger Entfernung sitzen. Also ging sie auf deren Tisch zu, setzte sich zu ihnen und begann, den beiden etwas vorzuheulen. Ich hörte, wie sie zu Linda sagte, sie habe Selbstmordgedanken, aber Linda schien sie beruhigen zu können, also wandte ich mich wieder an Paul:
„Sie kann schon ganz schön aufdringlich sein, aber sie tut mir irgendwie leid.“ Dabei dachte ich mir insgeheim: Toni ist sehr zerbrechlich, wie bei einem kleinen Vogel könnte man ihr die Beine im Handumdrehen brechen.
„Sie ist alleine, aber sie sollte uns und die anderen auch mal in Ruhe lassen.“
„Zurück zu den Ägyptern. Paul, du hast doch so viel gelesen. Du liest jeden Tag die FAZ, da müsstest du doch eine Lösung für das Land haben. Du weißt alles über Politik, Wirtschaft und Geschichte.“
Ich formte mit meinen Händen eine Schale und streckte sie ihm hin mit den Worten:
„Hier, die Kristallkugel. Du alleine hast die Welt mit ihren komplexen Zusammenhängen in der Hand. Du hast das Ganze. Tu was!“
„Das ist wie früher im Kolonialsystem. Wir, die Reichen aus dem Westen, beuten die Armen in Ägypten aus. Wir können ihnen aber nicht helfen. Die haben eine Diktatur. Das Volk ist es gewohnt, Befehle zu erhalten. Die wollen aus ihrer Unselbstständigkeit gar nicht heraus. Und wenn hier mal eine Demokratie errichtet werden sollte, dann kann das nur ultralangsam voranschreiten.“
„Und was ist mit Europa? Auf uns kommt durch die Digitalisierung eine Massenarbeitslosigkeit zu. Hast du da eine Lösung?“
„Hm, ich glaube, es wird mal etwas Ähnliches wie das bedingungslose Grundeinkommen geben. Aber mehr kann ich dir hierzu auch nicht sagen.“ Ich schaute mich nach dem Ober um und bestellte ein weiteres Glas Wein. Ich starrte etwas missmutig auf den Boden. Das, was Paul gesagt hatte, war mir zu wenig, da er auch keine Lösung hatte.
Als der Ober den Wein servierte, fiel mir auf, dass das gesamte Personal an Bord männlich war. Es gab nicht einmal Zimmermädchen. Dieses Geschäft erledigten auch die Männer.
Nachdem wir ausgetrunken hatten, gingen Paul und ich in unsere Kabine. Die anderen würden alle heute Nacht um halb drei Uhr aufstehen, um mit dem Kleinbus nach Abu Simbel zu fahren. Ich hatte beschlossen, mir das nicht anzutun. Wenn ich mitten in der Nacht aufstehen musste, war der nächste Tag im Eimer. Ich freute mich auf den Morgen, an dem ich in Ruhe alleine herumtrödeln konnte.
Im Halbschlaf stellte ich mir vor, Toni und ich säßen nackt am Meer im Sand. Das Meer leckte unsere Füße. Der Sand hatte unsere Körper teilweise bedeckt, und da beugte sich Toni über mich und küsste mich so wie heute Mittag in ihrer leidenschaftlichen Art. Mit dem Gedanken schlief ich selig ein.
Unsere Seelen wandern in der gleichen Sphäre auf Pfaden, die keiner von uns kennt. Wir werden sie gegeneinander austauschen und uns prüfen, aber es wird immer dieses scheußliche Gefühl von Angst dabei sein, den anderen zu verlieren. Der Rasen ist jetzt definitiv zu trocken, ich muss die Schlange wieder anwerfen.