Kitabı oku: «Ausnahmezustand (E-Book)», sayfa 2

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Als sich die Zeichen für einen verheerenden Bankensturm mehrten, übernahmen die Zentralbanken die Rolle, für die sie ursprünglich geschaffen worden waren. Ist niemand mehr bereit, Liquidität zu geben, dann ist es die Rolle der Zentralbanken, einzuspringen; wir werden das in Kapitel 3 noch genauer erläutern. Am 9. August 2007 kündigten zuerst die Europäische Zentralbank (EZB) und später andere Zentralbanken an, den Märkten liquide Mittel in Milliardenhöhe zur Verfügung zu stellen. Dieses Geld wurde den Banken natürlich nicht geschenkt, sondern gegen Wertpapiere bereitgestellt, die sie als Sicherheiten hinterlegen mussten. Mit dieser Maßnahme gelang es vorerst, den Brand zu kontrollieren und eine pozentiell verheerende Ausbreitung des Bankensturms zu stoppen. In der Folge zeigte sich aber, dass das Feuer mehr als ein Jahr lang weiterschwelte, um sich dann mit dem Kollaps von Lehman Brothers explosionsartig auszubreiten.

2 Das Lehman-Erdbeben und die Systemkrise vom Herbst 2008

2 DAS LEHMAN-ERDBEBEN UND DIE SYSTEMKRISE VOM HERBST 2008

Chroniken der Finanzkrise neigen gerne dazu, den 9. August 2007 und den Kollaps von Lehman Brothers im Herbst 2008 als zwei unterschiedliche Schocks für das Finanzsystem zu bezeichnen. Es war aber eher so, dass der Bankensturm von 2007 Prozesse auslöste, die das Bankensystem immer fragiler machten, bis es im September 2008 sterbenskrank darniederlag. Tatsächlich hatten die Banken seit August 2007 immer größere Mühe, längerfristige – und damit gegen Bankenstürme immune – Schulden aufzunehmen. Die Geldgeber bestanden zunehmend auf extrem kurzfristige Laufzeiten, um sich gegen mögliche Bankkonkurse zu schützen. Auf die Darstellung in Abbildung 3 übertragen bedeutet das, dass die größeren Banken den Zugang zu längerfristigen Kapitalmarktkrediten zunehmend verloren (die violette Fläche schrumpfte) und daher immer stärker auf sehr kurzfristige Geldmarktkredite ausweichen mussten (die orange Fläche wurde immer grösser). Damit wurde die Finanzierungssituation der Banken im Verlaufe des Jahres 2008 immer anfälliger für weitere Bankenstürme. Lehman Brothers etwa hatte kurz vor dem Kollaps – anders als noch ein halbes Jahr zuvor – rund einen Drittel seiner Bilanz mit extrem kurzfristigen Geldmarktgeschäften finanziert. Die Bank musste deshalb jeden Tag aufs Neue rund 200 Milliarden Dollar ihrer Schulden auf den Geldmärkten refinanzieren. Das war angesichts des turbulenten Marktumfelds wahrlich ein Finanzierungsmodell auf Messers Schneide. Insgesamt waren die Banken deshalb im Herbst 2008 wesentlich kurzfristiger finanziert und damit viel stärker dem Risiko eines weiteren Bankensturms ausgesetzt als noch zu Beginn des Jahres.

DIE SYSTEMKRISE SCHRITT FÜR SCHRITT

Der Konkurs von Lehman Brothers am 15. September 2008 löste dann den perfekten Sturm aus. Im Verlauf des Nachmittags von Sonntag, dem 14. September, wurde klar, dass die Verluste der Investmentbank zu hoch waren und damit eine Rettung nicht gelingen würde. In der Woche danach wurden die Finanzmärkte massiv durcheinandergewirbelt. Lehman Brothers war über den Geldmarkt so stark mit anderen Finanzinstituten vernetzt, dass sofort ein Flächenbrand ausbrach, der das gesamte Finanzsystem erfasste. Wir können diese Mechanismen verstehen, wenn wir die Vorgänge schrittweise mit unserem Analyseinstrument der Bilanz einer größeren Bank (dargestellt in Abbildung 5) einordnen. Diese Beschreibung zeigt die Essenz von systemweiten Finanzkrisen auf; zentral ist dabei vor allem die selbstverstärkende Dynamik eines solchen Vorgangs, weshalb es im Ernstfall rasend schnell geht.

Die erste Stufe bildet die in Kapitel 1 beschriebene Verkaufswelle bei den zweifelhaften Wertpapieren, bei den ABS also; diese verstärkte sich mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, so dass es auf diesem Markt praktisch nur noch Verkäufer und kaum noch Käufer gab. Die Folge war ein starker Einbruch der ABS-Preise. Da sich große Mengen solcher Papiere im Besitz zahlreicher Banken befanden, erlitten diese Verluste.

In der stilisierten Bilanz einer größeren Bank (Abbildung 5) reduzierte der Preiseinbruch die graue Fläche (den Wert dieser Wertpapiere). Die Verluste aus diesen Abschreibungen mussten die Eigentümer tragen, womit sich das Eigenkapital reduzierte (die rote Fläche wurde kleiner). Wie wir in Abbildung 5 sehen, führte die relativ dünne Eigenkapitaldecke einer solchen Bank dazu, dass schon relativ kleine Abschreibungen existenzbedrohend waren. Damit stieg das Risiko, dass Banken insolvent wurden, das heißt alles Eigenkapital verloren und damit die Schulden größer wurden als der Wert ihres gesamten Besitzes.

Die zweite Stufe betraf die Finanzierungssituation dieser Banken. Erinnern wir uns, dass die Banken einen großen Teil der Käufe von ABS über kurzfristige Kredite auf dem Geldmarkt finanziert hatten. Im Normalfall war es kein Problem, diese meist nur einen Tag laufenden Kredite am nächsten Tag zu erneuern. Dieses Finanzierungsmodell wurde nun aber unerwartet plötzlich zu einem gewaltigen Bumerang. Mitten in der rasant ablaufenden Krise wussten die Kreditgeber auf dem Geldmarkt nämlich nicht, welche Bank von den eben beschriebenen Verlusten auf ABS-Beständen wie stark getroffen war, welche Bank also überhaupt noch solvent war. Ein Geldgeber auf diesem Markt riskierte also, bei einem Konkurs der kreditnehmenden Bank plötzlich auf einem wertlosen Schuldschein zu sitzen (das heißt, als Wertpapier in seiner Bilanz zu haben) und damit selbst in Solvenzprobleme zu kommen. Diese Ansteckungseffekte machen solche Krisen besonders gefährlich, denn über den Geldmarkt sind zahlreiche Finanzinstitute miteinander verhängt. Die Verschuldung einer Bank (in ihrer Bilanz auf der rechten Seite als Mittelherkunft) ist die Kreditforderung einer anderen Bank (in deren Bilanz auf der linken Seite als Mittelverwendung). Geht der Schuldner Konkurs, hat plötzlich auch der Gläubiger ein Solvenzproblem – dies insbesondere dann, wenn auch der Gläubiger eine Bank mit wenig Eigenkapital ist.

Die verständliche Reaktion von potenziellen Gläubigern auf dieses Risiko war, kaum mehr Geldmarktkredite zu vergeben oder wenn, dann nur zu völlig unattraktiven Konditionen. Damit brachen die Geldmarktschulden als Finanzierungsquelle und damit die orange Fläche in der Bilanz weg und die Banken verloren rasant Bargeld (die grüne Fläche reduzierte sich), wie wir das in Abbildung 4 dargestellt haben. Die Banken sahen sich plötzlich mit einer massiven Liquiditätsknappheit konfrontiert; die typische Situation eines Bankensturms.

Die dritte Stufe wurde durch die Reaktion der betroffenen Banken auf diese Liquiditätsknappheit ausgelöst. Sie begannen verzweifelt, nach alternativen Quellen für Liquidität zu suchen. Da die Verschuldung als Liquiditätsquelle weggebrochen war, blieb nichts anderes übrig, als Dinge in ihrem Besitz zu verkaufen. Wenn wir uns die Bilanz der typischen Bank in Abbildung 3 ansehen, blieben in dieser Situation nur noch zwei Kategorien von Anlagen, die sie über Verkauf zu Bargeld machen konnten, nämlich Kredite einerseits und Wertpapiere andererseits. Wie wir bereits diskutiert haben, lassen sich Kreditforderungen nicht in vernünftiger Zeit verkaufen, weil sich kurzfristig niemand findet, der beurteilen kann, wie viel eine einzelne Kreditforderung wert ist. Also waren die betroffenen Banken gezwungen, Wertpapiere auf den Markt zu werfen. Und zwar diesmal nicht nur ABS, sondern alle Formen von Wertpapieren wie Obligationen oder Aktien. Diese Notverkäufe führten zu einem Preiseinbruch aller Klassen von Wertpapieren (weil alle verkaufen und kaum jemand kaufen wollte). Mit dem Einbruch der Preise aller Wertpapiere reduzierte sich das Eigenkapital der Banken weiter und die Spirale begann von neuem (zurück zu Stufe 1), weil die Solvenzrisiken damit noch größer wurden und die Banken noch mehr den Zugang zu Geldmarktkrediten verloren.

Diese schrittweise Analyse macht klar, wieso systemweite Finanzkrisen so bedrohlich sind. Solvenzprobleme (schwindendes Eigen­kapital) und Liquiditätsprobleme (schwindendes Bargeld) von Banken verstärken sich gegenseitig, und wenn dieser Prozess nicht gestoppt wird, ist auch die gesündeste Bank rasch nicht mehr überlebensfähig. Sobald einmal das gegenseitige Vertrauen weg ist, kollabiert das gesamte Bankensystem. Und weil die Verschuldung so kurzfristig – also jederzeit kündbar – ist, kann das Ganze rasend schnell gehen. Nach dem Kollaps von Lehman Brothers war der größte und liquideste globale Finanzmarkt, der Geldmarkt nämlich, so gut wie klinisch tot. Und damit waren nicht nur sämtliche Banken in Lebensgefahr, sondern auch Unternehmen außerhalb des Finanzsektors, die sich routinemäßig auf dem Geldmarkt kurzfristige Liquidität beschaffen.

DIE DRAMATISCHE LEHMAN-WOCHE

Es gibt in der Wirtschaftsgeschichte kaum eine besser dokumentierte Woche als die Zeit vom 13. bis zum 19. September 2008. Lesenswert sind beispielsweise die Schilderungen der drei Hauptprotagonisten von US-Behördenseite; in ihren jeweiligen Autobiografien lassen der damalige Finanzminister Hank Paulson, der damalige Notenbankchef Ben Bernanke und der spätere Finanzminister Timothy Geithner diese Periode ausführlich Revue passieren.

Das wichtigste Ereignis war dabei, dass der Investmentbank Lehman Brothers keine staatliche Unterstützung gewährt und sie damit in den Konkurs geschickt wurde. So gut ausgeleuchtet diese Periode inzwischen ist, so unklar ist bis heute, ob es sich dabei um einen bewussten Entscheid handelte, ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine Rettung fehlten oder ob schlicht die Zeit ausging, um rechtzeitig zu einer tragfähigen Lösung zu kommen. Am Samstag den 13. September wurde jedenfalls im Verlaufe des Vormittags klar, dass Lehman Brothers zahlungsunfähig war. Es begann ein hektisches Wochenende, an dem versucht wurde, noch vor der Öffnung der asiatischen Märkte am frühen Montagmorgen das Finanzsystem vor dem Kollaps zu bewahren. Die Bemühungen gingen dahin, für Lehman Brothers einen Käufer zu finden, ohne dafür staatliche Mittel zu verwenden. Im Vordergrund stand zunächst eine Übernahme durch die Bank of America, die aber daran scheiterte, dass diese Bank schließlich beschloss, Merrill Lynch zu übernehmen, die nach Lehman am stärksten vom Konkurs bedrohte der großen US-Investmentbanken. Die letzte Hoffnung bestand damit in einer denkbaren Übernahme durch die britische Großbank Barclays. Diese zerschlug sich aber, als die britischen Behörden einen solchen Deal untersagten. Am Sonntagnachmittag wurde klar, dass schon aus Zeitmangel an diesem Wochenende keine Lösung mehr erreicht werden konnte.

Das Ergebnis war, dass Lehman Brothers am Morgen des 15. Septembers die Insolvenz anmelden musste, was auf den globalen Finanzmärkten derart panikartige Reaktionen auslöste, dass das Überleben des Finanzsystems ernsthaft gefährdet schien. Im Verlaufe dieses Montags wurde klar, was für ein verhängnisvoller Fehler es gewesen war, Lehman in den ungeordneten Konkurs gehen zu lassen. Vor allem zwei Dinge waren fatal: Erstens realisierten die Finanzmarktteilnehmer umgehend, dass der Bankrott zu einem Verkauf des riesigen Bestandes an Wertpapieren in den Büchern von Lehman führen würde, was sofort einen weiteren Preiseinbruch auslöste. Zweitens und wohl noch schlimmer war die Tatsache, dass diese Investmentbank Unmengen von Schulden bei anderen Finanzinstituten hatte, die mit dem Konkurs plötzlich wertlos wurden. Diese Ansteckungseffekte erwiesen sich als so verheerend, dass innerhalb kürzester Zeit so gut wie alle größeren Banken um ihr Überleben kämpfen mussten.

Am stärksten aber war der unmittelbare Effekt nicht auf eine Bank, sondern auf AIG (American International Group), das damals größte Versicherungsunternehmen der Welt. Eine relativ kleine Einheit dieses Giganten hatte eklatante Regulierungslücken genützt, um im großen Stil Versicherungen gegen den Ausfall von ABS und ähnlichen Wertpapieren zu verkaufen. Mit den Marktturbulenzen vom Montag wurde schlagartig klar, dass die auf diesen Absicherungen fälligen Zahlungen AIG in den Konkurs reißen würden, womit die Ausfallversicherungen wertlos würden. Die Effekte eines solchen Ausfalls auf die Solvenz großer Teile des globalen Finanzsektors wären so verheerend gewesen, dass die US-Zentralbank am Dienstag, 16. September, 85 Milliarden Dollar einsetzte, um das Überleben von AIG zu sichern. Ironischerweise musste also zwei Tage nach dem Entscheid, auf keinen Fall Steuergelder für die Rettung von Lehman zu verwenden, genau das in großem Stil getan werden, um AIG und damit das globale Finanzsystem vor dem Kollaps zu bewahren.

Damit waren die Schocks in dieser Horrorwoche aber noch lange nicht vorüber. Der nächste Schlag machte klar, dass die Probleme nicht auf den Finanzsektor beschränkt bleiben würden. Ab Montag begannen Investoren, sich im großen Stil vom Geldmarkt zurückzuziehen; auch hier war der Konkurs von Lehman der Auslöser, weil diese Bank sehr hohe kurzfristige Schulden auf dem Geldmarkt hatte. Dieser praktisch vollständige Rückzug vom Geldmarkt bildete eine noch schwerere Variante des «unsichtbaren» Bankensturms vom Sommer 2007, den wir in Kapitel 1 erläutert haben.

Um sich über das Ausmaß im Klaren zu sein: In einer typischen Woche werden auf dem Geldmarkt rund 7 Milliarden Dollar abgezogen, also entsprechende kurzfristige Kredite nicht erneuert; am Mittwoch, den 17. September 2008 – an einem einzigen Tag also – waren es alleine 144,5 Milliarden Dollar! Das brachte so gut wie alle Banken – wie wir das beschrieben haben – in schwere Liquiditätsnöte und bedrohte zusätzlich zahlreiche große Unternehmen der Realwirtschaft, die für ihre täglichen Operationen auf kurzfristige Kredite auf dem Geldmarkt angewiesen waren. Mit dem Kollaps des Geldmarktes erfasste die Finanzkrise also die gesamte Wirtschaft. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde klar, dass ohne massive wirtschaftspolitische Maßnahmen ein gigantischer Wirtschaftseinbruch drohte. Am Donnerstag, den 18. September kontaktierten Finanzminister Paulson und Notenbankchef Bernanke den US-Kongress und verlangten 700 Milliarden Dollar Soforthilfe und am 19. September kündigte Bernanke an, dass die Notenbank bereit war, in großem Stil einzuspringen, um den Geldmarkt am Leben zu erhalten.

Diese kurze Beschreibung zeigt lediglich die wichtigsten Ereignisse in den USA. Derartige Notsituationen entstanden weltweit in allen stark betroffenen Ländern; überall gab es hektische Bemühungen, eine drohende zweite Große Depression zu vermeiden. Wir werden uns nun im nächsten Kapitel den grundsätzlichen Mechanismen dieser wirtschaftspolitischen Maßnahmen zuwenden.

3 Wie eine zweite große Depression vermieden werden konnte

3 WIE EINE ZWEITE GROSSE DEPRESSION VERMIEDEN WERDEN KONNTE

Die Große Depression der 1930er-Jahre war mit Abstand die größte Wirtschaftskrise des letzten Jahrhunderts. Nach dem Börsencrash vom Oktober 1929 brach die Wirtschaft in den meisten Industrieländern in zuvor nie gesehenem Ausmaß ein; wir werden einige Daten dazu im nächsten Kapitel diskutieren. Diese dramatischen Ereignisse hatten nichts mit einer normalen Rezession zu tun, sondern stellten eine persistente, tiefgreifende Krise dar, die in den meisten betroffenen Ländern bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nicht überwunden war. Es ist deshalb kaum überraschend, dass dies nachhaltige Auswirkungen auf die ökonomische Analyse hatte – die Entwicklung der Makroökonomie zu einem eigenständigen Pfeiler der Wirtschaftswissenschaften ist etwa darauf zurückzuführen.

Letztlich hat die intensive Beschäftigung der Wirtschaftswissenschaften mit dem heiligen Gral der Makroökonomie – wie die Große Depression oft bezeichnet wird – stark geholfen, geeignete wirtschaftspolitische Antworten auf die Große Finanzkrise zu finden. So vielfältig und teilweise auch kontrovers die Forschungsergebnisse zur Großen Depression auch sind, über die wichtigsten Schlussfolgerungen ist man sich weitgehend einig. Hauptursache dieser historischen Krise war eine Kombination aus zwei Dingen: erstens einer Welle ansteckender Bankenzusammenbrüche, die das gesamte Finanzsystem bedrohte, und zweitens einem Einbruch der Nachfrage nach Gütern, der eine selbstverstärkende Deflation auslöste. Dass die damalige Wirtschaftspolitik diesen beiden Entwicklungen lange weitgehend tatenlos zusah, machte aus einer Finanzkrise eine langjährige schwere Wirtschaftskrise. Auf Basis dieser Erkenntnisse war nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers rasch klar, welche Stoßrichtung die wirtschaftspolitischen Reaktionen in einer so außergewöhnlichen Situation haben mussten:

1. Liquiditätshilfe an Banken

2. Stützung systemrelevanter Banken

3. Stützung der Gesamtwirtschaft

Wir wollen uns die Grundmechanismen der wichtigsten Maßnahmen in diesen drei Bereichen in der Folge genauer ansehen.

LIQUIDITÄTSHILFE AN BANKEN

Der Ursprung jeder Finanzkrise liegt in Bankenstürmen, also Situationen, in denen die Banken den Zugang zu kurzfristigen Schulden verlieren und damit in Liquiditätsengpässe geraten. In dieser Krise betraf das wie in Kapitel 2 erläutert das plötzliche Austrocknen der kurzfristigen Kreditaufnahme auf dem Geldmarkt. Wie wir in der dortigen Kausalkette der Krise gesehen haben, zwingt die Liquiditätsknappheit die Banken, ihre sonstigen Vermögensanlagen – vor allem Wertpapiere – zu verkaufen. Machen das viele Banken gleichzeitig, brechen die Preise dieser Papiere ein, was die zerstörerische Abwärtsspirale beschleunigt. Hier mit Liquiditätshilfe einzuspringen und diesen Zwang zu Notverkäufen zu brechen, ist eine der wichtigsten Aufgaben von Zentralbanken. Konkret leiht die Zentralbank einer Bank Bargeld aus und erhält dafür von der Bank Vermögenswerte als Sicherheiten, um die Zentralbank vor potenziellen Verlusten schützen. Wir können das wiederum an der stilisierten Bilanz einer Bank in Abbildung 6 analysieren:

Eine Bank in Liquiditätsnöten hat auf der Verwendungsseite der Bilanz kaum mehr Bargeld (die grüne Fläche ist sehr klein oder wie in der Abbildung inexistent), dafür aber andere, weniger liquide Anlagen. Wenig liquide heißt, dass es schwer möglich ist, solche Anlagen sehr kurzfristig zu verkaufen und damit zu Bargeld zu kommen. Das gilt einerseits für Kredite, die so gut wie nie liquide sind, andererseits aber auch für Wertpapiere, die an sich schon relativ liquide sind, in einer Finanzkrise aber gerade nicht, weil alle verkaufen wollen und niemand kaufen möchte. Die Zentralbank kann diese Situation jetzt deutlich verbessern, indem sie es der Bank ermöglicht, illiquides Vermögen in liquides Bargeld zu verwandeln. Dafür leiht die Zentralbank der Bank Bargeld (die grüne Fläche wird größer) und erhält dafür für die Laufzeit dieses Kredites als Sicherheit Wertpapiere oder Kredite (die blaue oder wie in der Abbildung dargestellt die graue Fläche werden kleiner) im Gegenwert des Bargeldes. Mit dieser Art von Liquiditätshilfe versuchten die Zentralbanken schon seit dem Beginn der Großen Finanzkrise im August 2007, die Banken zu stabilisieren. Nach dem Kollaps von Lehman Brothers im Herbst 2008 und der daraus folgenden massiven Verschlechterung der Liquidität wurden diese Operationen dann in großem Stil ausgebaut. Die Zentralbanken gaben Banken praktisch unbegrenzten Zugang zu Liquidität, indem sie nicht nur erstklassige, sondern beinahe alle Arten von Krediten und Wertpapieren als Sicherheit akzeptierten. Damit übernahmen die Zentralbanken größere Risiken, da sie ja auf diesen Sicherheiten Verluste erleiden konnten. Die Überlegung hinter dieser Aufweichung der Anforderungen an Sicherheiten ist, dass eine Zentralbank nicht Konkurs gehen kann (sie kann ja ihre Schulden theoretisch immer mit «frisch gedrucktem» Geld begleichen) und sie deshalb das Verlustrisiko auf diesen Anlagen in einer Finanzkrise besser tragen kann, als die von der Insolvenz bedrohten Banken. Die Aufweichung der Standards bei den Sicherheiten gehen aber bereits insofern deutlich über eine traditionelle Liquiditätshilfe hinaus, als hier die Zentralbank und damit die Behörden klare Verlust­risiken übernehmen.

Als die Situation im Herbst 2008 besonders dramatisch wurde, gingen gewisse Regierungen sogar zu deutlich drastischeren Liquiditätshilfen über, was zu einem noch wesentlich größeren Risikotransfer von den Banken an die Behörden führte. Diese Hilfen bestanden darin, dass die Behörden – dem Mechanismus einer Einlagensicherung folgend – Garantien für sonstige Schulden aussprachen. In der Bilanz bedeutete das, dass die Regierung bei einem drohenden Abzug dieser Schulden bereit war, Bargeld auszuzahlen, das heißt, die Banken konnten sich bei ihr verschulden. Die Bank hatte somit einen Teil ihrer sonstigen Schulden de facto nicht mehr bei Privaten, sondern direkt beim Staat. Damit konnte man zwar einen Sturm auf diese Schulden verhindern, doch es führte zum Teil zu horrenden Kosten: Die Staatsschulden z. B. von Irland stiegen durch solche Garantien an letztlich scheiternde Banken massiv an.

STÜTZUNG SYSTEMRELEVANTER BANKEN

Rasch zeigte sich, dass auch sehr weitgehende Maßnahmen zur Liquiditätssicherung allein nicht ausreichen würden, um die Gefahr einer schweren Bankenkrise nach dem Kollaps von Lehman Brothers abzuwenden. Über die Liquiditätshilfen gelang es zwar, den Preisverfall wegen Notverkäufen von Wertpapieren einzudämmen. Das Problem aber war, dass die ABS nicht nur wegen der Panikverkäufe tiefe Preise erzielten, sondern vor allem auch – wir haben es oben beschrieben – weil sie zu komplex waren, um ihren Wert in vernünftiger Zeit eruieren zu können. Trotz stabilisierender Liquiditätshilfen waren deshalb die Verluste durch den Preisverfall bei den Wertpapieren bei vielen Banken so groß, dass sich das Eigenkapital gefährlich reduzierte. Ist das Eigenkapital weg, so ist eine Bank insolvent, weil sie ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen kann (s. Abbildung 5); dann bringt Liquiditätshilfe (also der Ersatz von illiquidem Vermögen durch Bargeld mit gleichem Wert) allein nichts mehr, da sie nichts an der Überschuldung ändert. Genau eine solche Insolvenz aber drohte im Herbst 2008 zahlreichen, zum Teil auch sehr großen Banken. Rasch war deshalb klar, dass eine verheerende Bankenkrise nur verhindert werden konnte, wenn wirtschaftspolitische Maßnahmen auch die Solvenz der systemrelevanten Banken stärken würden.

Die Rettung von insolventen Banken ist von einem ganz anderen wirtschaftspolitischen Kaliber als die konventionelle Liquiditätshilfe der Zentralbanken. Ein insolventes Unternehmen muss in einer funktionierenden Marktwirtschaft eigentlich Konkurs gehen können; wenn staatliche Maßnahmen das bei gewissen Unternehmen verhindern, liegt eine normalerweise unhaltbare Ungleichbehandlung vor. In der schweren Bankenkrise vom Herbst 2008 wurde jedoch rasch klar, dass dieses Tabu gebrochen werden musste, um eine zweite Große Depression zu verhindern. In vielen Ländern gingen Regierungen und Zentralbanken deshalb dazu über, mit unkonventionellen Methoden große Banken vor der Insolvenz zu bewahren. Das lässt sich im Wesentlichen auf eine direkte und eine indirekte Art bewerkstelligen.

Die Behörden können einerseits einer Bank, deren Eigenkapital durch Verluste wegschmilzt, direkt Eigenkapital zur Verfügung stellen. In der stilisierten Bilanz (s. Abbildung 3) bedeutet das, dass die rote Fläche durch den Einschuss staatlicher Mittel vergrößert wird, das heißt ein größerer Teil der Finanzierung durch Eigenkapital statt durch Verschuldung gesichert ist; die Behörden werden dadurch zum Miteigentümer von Banken und die Bank wird in die Lage versetzt, größere Verluste wegstecken zu können. Andererseits kam in vielen Ländern eine indirektere Methode zum Einsatz, die darin bestand, dass die Behörden den Banken besonders stark von Verlusten bedrohte Wertpapiere zu guten Konditionen abkauften. Das Problem ist ja, dass bei einer panikartigen Verkaufswelle die Preise der Wertpapiere deutlich unter ihren eigentlichen, «fairen» Wert fallen. Wenn die Banken gezwungen sind, genau zu diesem ungünstigen Zeitpunkt zu verkaufen, sind die Verluste so groß, dass die Insolvenz droht. Zentralbanken oder Regierungen können das verhindern, indem sie den Banken die Wertpapiere zu einem höheren als dem aktuellen Marktwert abkaufen, diese Wertpapiere in eine sogenannte Bad Bank transferieren und sie dann mit der Zeit – wenn sich die Märkte wieder beruhigt haben – idealerweise ohne Verluste verkaufen können. In der Bankbilanz (Abbildung 3) bedeutet das, dass sich wegen des Verkaufs der Wertpapiere für Bargeld der Behörden die graue Fläche verkleinert und die grüne Fläche vergrößert. Das sieht ähnlich aus wie die in Abbildung 6 erläuterte Liquiditätshilfe, aber es gibt zwei Unterschiede. Erstens ist es kein Kredit an die Bank, bei dem Wertpapiere für die Laufzeit als Sicherheit dienen, sondern ein Kauf dieser Papiere durch die Zentralbank. Zweitens übernimmt die Zentralbank bei der Bad-Bank-Lösung die Wertpapiere nicht zum Marktwert (der quasi bei Null läge), sondern zu einem deutlich höheren Preis. Es handelt sich also dabei – im Gegensatz zu einer Liquiditätshilfe – um eine glasklare Subvention an die Bank. Weil damit die Verluste auf den Wertpapieren begrenzt werden, verbessert auch diese indirekte Methode die Solvenz der Bank.

Ein Beispiel, bei dem beide Methoden zum Einsatz kamen, war die Rettung der Großbank UBS durch die Schweizer Behörden und die Schweizerische Nationalbank im Herbst 2008. Die Regierung schoss zusätzliches Eigenkapital in die UBS ein und gleichzeitig schuf die Nationalbank eine Bad Bank, in welche die besonders toxischen, also von massivem Wertverlust bedrohten Wertpapiere aus der Bilanz der UBS ausgelagert wurden.

Durch den energischen Einsatz all dieser Maßnahmen konnten in der Großen Finanzkrise – anders als in der Großen Depression – verheerende Wellen von Bankeninsolvenzen vermieden werden.

STÜTZEN DER GESAMTWIRTSCHAFT

Ab Herbst 2008 erfasste die Krise im Finanzsektor den Rest der Wirtschaft. Weltweit setzte ein Einbruch der Wirtschaftstätigkeit ein, wie man ihn schon sehr lange nicht mehr beobachtet hatte. Rezessionen werden vereinfacht ausgedrückt immer dadurch ausgelöst, dass nicht mehr alle produzierten Güter einen Abnehmer finden. Wenn die Unternehmen auf einem Teil der Güter sitzen bleiben, drosseln sie ihre Produktion und das reduziert das Bruttoinlandsprodukt und die Beschäftigung. Ausgangspunkt ist also ein Rückgang der Nachfrage, und diese setzt sich gesamtwirtschaftlich zusammen aus der Konsum-, der Investitions- und der Exportnachfrage. Der Rückgang der Wirtschaftsleistung im Herbst 2008 war besonders stark, weil alle Teile der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage gleichzeitig stark betroffen waren: Die sehr schlechten Aussichten und die drohende Arbeitslosigkeit reduzierten die Konsumnachfrage. Die Investitionsnachfrage fiel, weil die Kreditvergabe der Banken stockte und die Wachstumsaussichten sehr schlecht waren. Und weil beides in sehr vielen Ländern gleichzeitig passierte, lahmte auch die Nachfrage aus dem Ausland – die Exporte brachen ein.

Im Unterschied zur Situation in den 1930er-Jahren war man sich dieser Effekte und ihrer Gefahren aber von Anfang an bewusst und konnte deshalb wirtschaftspolitisch Gegensteuer geben. John Maynard Keynes hatte nämlich in den 1930er-Jahren – mit dem Beispiel der Großen Depression vor Augen – diese entscheidende Rolle des Einbruchs der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage für die Erklärung einer Depression aufgezeigt. Die besondere Gefahr eines massiven Nachfrageeinbruchs besteht darin, dass dadurch eine selbstverstärkende Deflation ausgelöst werden kann. Das ist intuitiv einfach verständlich: Sinkt die Nachfrage nach Gütern stark, so werden die Preise dieser Güter fallen. Wenn ich wegen der schlechten Wirtschaftslage erwarte, dass die Preise weiter sinken, so ist es das Beste für mich, einen Kauf aufzuschieben, weil ich die Güter später billiger erhalte. Machen das viele gleichzeitig, so reduziert das die gesamte Nachfrage zusätzlich und die Preise fallen noch stärker, womit sich das Aufschieben noch stärker lohnt, usw. Mit diesem Mechanismus kann eine schwere Wirtschaftskrise zu einer starken Deflation und damit immer weiter fallender Nachfrage führen: Ein Teufelskreis. Während der Großen Depression war dieser Mechanismus tatsächlich zu beobachten, was entscheidend dazu beitrug, eine schwere Rezession in eine Jahrelange anhaltende Depression zu verwandeln.

Die Analysen von Keynes zeigten auch, wie hier wirtschaftspolitisch Gegensteuer gegeben werden kann: Reduzieren die privaten Akteure ihre Nachfrage stark, so sollte der Staat einspringen und entweder selbst Güter kaufen oder mit geeigneten Maßnahmen die private Nachfrage stimulieren. Genau das wurde ab dem Herbst 2008 mit Nachdruck und in bisher nicht gekanntem Masse weltweit gemacht. Mit einer außerordentlich expansiven Geldpolitik wurden die Zinsen möglichst stark nach unten gedrückt, um die Kosten für Investitionen und Konsum spürbar zu reduzieren. Und mit einer über Schulden finanzierten Expansion der Staatsausgaben wurde die Nachfrage zum Teil deutlich gestützt. Diese Maßnahmen stabilisierten die gesamtwirtschaftliche Nachfrage so weit, dass die Volkswirtschaften – anders als in der Großen Depression – nicht in selbstverstärkende Deflationsspiralen gerieten.

Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die wirtschaftspolitische Reaktion erklärt, warum aus der Großen Finanzkrise keine zweite Große Depression geworden ist. Anders als in den 1930er-Jahren wurde mit drastischen Maßnahmen ein Zusammenbruch des Bankensystems ebenso verhindert wie ein Jahrelanger Wirtschaftseinbruch mit verheerender Deflationsspirale.

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