Kitabı oku: «Der letzte Flug des Chyratos», sayfa 4
Wer ist Dominique?
Nachdem Toni wieder gegangen war und uns für die nächsten Wochen versorgt hat, zog ich mich zurück. Ich wollte einfach allein sein. In meinem Versteck geht mir viel durch den Kopf. Bilder von einer zerstörten, kontrollierten Welt ziehen an mir vorüber, und allein die Vorstellung, dass es da draußen wirklich so zugeht, ist erschreckend. Doch wovor ich noch mehr Angst habe, ist, dass ich der Retter sein soll, der Auserwählte. Ich kann doch überhaupt nichts, außer vielleicht jagen und fliegen. Was kann ich schon gegen eine überdimensionale Energie ausrichten? Es wäre viel einfacher, wenn Femina da wäre, sie wüsste, was zu tun ist, sie hatte immer eine Idee und einen Plan, sie war meine Mentorin in allen Lagen, aber alleine fühle ich mich so hilflos. „Du bist nicht allein“, höre ich da wieder diese Stimme in mir. Sie ist wohl vertraut und ich kenne sie genau. „Femina, bist du das?“, rede ich so in mich hinein. Ohne Zögern spricht sie weiter: „Du musst dir vertrauen und du musst Dominique vertrauen. Zweifle nicht an deinen Fähigkeiten, und denk schon gar nicht an ein Scheitern.“ Femina spricht immer weiter: „Du bist nicht allein, du bist nicht allein, und deinem Licht werden viele folgen.“ Und da beginnt es wieder zu leuchten, das Licht in mir, und ich habe das Gefühl, Femina ist ganz bei mir, und dieses Gefühl genieße ich noch eine Weile.
„Ich muss mit dir reden“, spreche ich Dominique an. „Komm nur herein, Frederik, und setz dich zu mir. Wir sind alleine und das passt mir auch gut so. Du kannst mich alles fragen“, gibt Dominique vor. „Wer bist du, Dominique?“, frage ich ohne zu zögern. „Ich habe schon darauf gewartet, dass du mich dies einmal fragen würdest, und ich will dir mein Geheimnis anvertrauen. Dafür muss ich weit ausholen, doch das bin ich dir schuldig.“ Dominique beginnt zu erzählen, und berichtet vor ihren Eltern, von ihrer Schule, und dass sie immer schon Dinge gesehen hat, welche andere nicht gesehen haben. Sie konnte die Aura bei anderen Menschen sehen und spüren. Sie nahm sogar Umrisse von fremden Gestalten wahr, und konnte mit ihnen kommunizieren. Für dieses Verhalten wurde sie gemobbt und ausgestoßen, sogar ihre Eltern hielten sie für verrückt und drängten sie dazu, mit diesen Dingen aufzuhören. Als sie alt genug war, büxte Dominique von zu Hause aus, und begann ihr eigenes Leben, da sie ihre Fähigkeiten nicht ablegen wollte. Sie machte Kurse und Ausbildungen in den verschiedensten Fächern, wie Kräuterkunde, Physiobereich, und landete schließlich bei esoterischen Lehrmeistern, wo auch Scharlatane dabei waren und für ihr „Nichtskönnen“ nur abkassieren wollten. „Natürlich waren auch die Künste der Schwarzen Magie dabei, es kommt aber nur auf die Anwendung an“, scherzt Dominique so nebenbei. „Die Zeit war reif für eine eigene Praxis. Viele Menschen kamen zu mir, und vielen konnte ich auch helfen“, berichtet Dominique weiter. „Durch meine abstrakten Heilmethoden wurde ich sogar ein wenig berühmt. Ich kann nämlich in den Geist der Menschen eindringen, ihre Blockaden lösen, und die Selbstheilungskräfte aktivieren. Eigentlich hat sich jeder meiner Patienten selbst geheilt, und dies mit ganz einfachen Mitteln, ich habe sie nur hingeführt, und diese Fähigkeiten besitze ich nun einmal, ob ich will oder nicht. Für die Behandlungen habe ich nichts verlangt, bekam aber so viele Gaben und Gelder, dass ich mir ein schönes Leben in Wohlstand und Fülle leisten konnte. Du musst aber wissen, Frederik, dass es nicht nur gute Menschen auf der Erde gibt, viele Neider und Unmenschen bevölkern diesen Planeten, und diese hatten es auch auf mich abgesehen. Ärzte, Heilpraktiker und Vertreter der Pharmaindustrie wollten schon gar nicht, dass sich meine Heilmethoden verbreiten, weil sie dadurch nicht mehr so viel verdienen würden. Ich wurde mit unwahren Regel- und Gesetzesverstößen belastet. Sie schafften es sogar, für mich ein Arbeitsverbot auszusprechen, und vollzogen dies auch mit der Justiz und der Polizei. Über Zeitungen und andere Medien wurde ich als Schwarze Hexe und Vergifterin der Menschen und ihrer Gedanken bezichtigt, da es für meine Heilmethoden weder Fakten noch Zulassungen gäbe. Ich wurde in der Presse zerrissen, mir wurde sogar mit Gefängnis gedroht, sollte ich nicht aufhören. Der Arm und die Macht der Unlichtmenschen sind groß, und sie scheuen vor keinen Mitteln zurück, um Angst zu schüren. Zuerst ließ ich mich nicht einschüchtern und praktizierte weiter. Ich wollte einfach nur den Menschen etwas Gutes tun und hatte wirklich nichts Böses im Sinn. Trotz der Anschuldigungen hatten viele Menschen Vertrauen zu mir. Sie kamen sogar in Scharen daher, um Heilung zu erfahren. Die Folge daraus ließ nicht lange auf sich warten, ich wurde eingesperrt und angeklagt. Das Gericht folgte gekauften und falschen Gutachtern der Pharmaindustrie und es wurde ein Ausübungsverbot ausgesprochen sowie eine fünfjährige Haftstrafe wegen Nötigung, körperlicher und geistiger Misshandlung. Außerdem wurde eine psychiatrische Behandlung vorgeschrieben, um mir meine irren Ansichten auszutreiben.“ „Und ist ihnen das gelungen?“, frage ich dazwischen. „Nein, wie du siehst, bin ich immer noch verrückt, und mache meine Versuche“, Dominique lacht dabei. „Sogar meine Ermordung blieb erfolglos“, fügt sie hinzu. „Was, sie wollten dich ermorden?“, fahre ich erschrocken auf. „Ja, aber meine Fähigkeiten haben mich gerettet, denn ich habe sie kommen sehen, und sie in eine Falle gelockt, dabei habe ich einen Kessel explodieren lassen, sie mit greller gelber Leuchtfarbe versehen, einen Zauberspruch ausgesprochen, und sie als Nasenaffen am Dorfplatz angebunden. Dieser Scherz ist bei den Menschen gut angekommen, und die Bevölkerung hatte Riesenspaß dabei, doch ich musste daraufhin flüchten und untertauchen, denn die Macht der Unlichtigen ist überall. Spürhunde wurden ausgesendet, eine Kopfprämie auf mich ausgesetzt, und alles getan um mich auszuschalten. Doch es ist schwer, unsichtbar zu bleiben, wenn man nirgends Freunde hat, und die Leute eingeschüchtert werden. Ich floh in den Wald, und die Natur gab mir ein Geschenk, ich lief in ein weites Tal, dann in einen Graben, durch den starken Regen löste sich ein Hang und begrub alles hinter mir, ich lief weiter und weiter, stieg den Berg hinauf, und da habe ich diese Hütte gefunden, und hier lebe ich nun als Geächtete und Verfolgte in meiner eigenen Welt“, dabei fließen jetzt Tränen über Dominiques Gesicht. Sanft lege ich meinen gesunden Flügel über ihre Schultern und spreche leise: „Ich vertraue dir und werde dir helfen!“ Dominique lehnt sich an mich und für einige Momente genießen wir den Frieden und die Einigkeit. „Dominique, darf ich noch etwas fragen?“, beende ich die Stille. „Frag ruhig“, antwortet sie und wischt die Tränen ab. „Ist Toni dein Freund oder auch dein Liebhaber?“ „Du frecher, großer Adler du, es geht dich zwar nichts an, aber ich will es dir trotzdem verraten“, spricht Dominique. „Toni ist weit mehr als ein Freund, aber viel weniger als ein Liebhaber, er ist so eine Art Seelen-Bruder, und er vertraut mir.“ Wie sich herausstellte, war Toni einer der ersten Patienten von Dominique. Er war durch einen Unfall behindert geworden, und konnte dadurch seinen Beruf als Jäger nicht mehr ausüben. Er fühlte sich als Krüppel, als Ausgestoßener, und ist von der normalen Medizin abgeschrieben worden ohne Heilungschancen. Er hat sich mit seinem Schicksal schon abgefunden, und spielte oft den Narren, um seine Unsicherheit zu verbergen. Dann traf er Dominique, und sie vollbrachte das Wunder. Sie brach ihm das lahme Bein nochmal dreimal durch, richtete es wieder ein, schiente das gesamte Bein, goss angereicherten Beinwellsud darüber, sprach ihre Zauberformeln und hypnotisierte Toni, legte ihn einige Stunden in einen Gesundheitsschlaf, und nach dreimonatigem täglichem Training war Tonis Bein gerade, ohne Blockaden und voll einsatzfähig. Ärzte und andere Therapeuten konnten sich diese Heilung nicht vorstellen und sprachen von einem kleinen Wunder, und dies war es auch. Toni übt seither den Beruf wieder aus und kann auch jeden steilen Berghang wieder besteigen. Er hat ihr vertraut, und sie hat ihn geheilt, das verbindet und daran können auch die „Unlichter“ nichts ändern.
„Hab ich euch auch schon geküsst?“, wirft Niki mit einem Mal ein, welche mich in der Umarmung mit Dominique erwischt. „Nein, wir haben uns geschnabelt, und sind nun vereint im ewigen Kampf, die Superhexe und der Kaiseradler, schräg, oder was?!“ „Na, eure Kinder werden erst ausschauen, das will ich mir gar nicht vorstellen, eine Art Arabella auf Stöckelschuhen und mit Flügel“, kichert bzw. gackert Niki. „Egal wie sie aussehen, sie haben eine aufgescheuchte, aufgetakelte, weise Tante Namens Niki, und dies reicht für ihre Erziehung und die zu bestehenden Abenteuer!“
Meine Ausbildung
„Ich wünsche einen wunderschönen guten Morgen“, weckt mich Dominique nicht gerade sanft. „Aufstehen, heute ist der Tag des Neubeginns.“ Ganz verschlafen mache ich mich gerade. Was soll heute schon für ein Tag sein? Ein Tag wie jeder andere hier oben auf der Alm. „Mach schon, wir haben keine Zeit zu verlieren“, treibt mich Dominique an. „Heute beginnt dein Training, und dafür ist es besser, einen leeren Magen zu haben, mit freiem Kopf und freiem Geist.“ Verkrampft humple ich ihr nach. „Ach, könnt ich nur so ein dummes Huhn sein wie Niki, dann könnte ich weiterschlafen, aber nein, die Schöpfung hat mit mir Besonderes vor“, sinniere ich so vor mich hin. Gemeinsam mit Dominique nehme ich draußen vor der Hütte Stellung. Dominique tritt mir gegenüber, schaut mir in die Augen, und fragt: „Vertraust du mir voll und ganz, ohne Wenn und Aber?“ Ohne zu überlegen antworte ich mit einem „Ja“. „Gut, dann bringen wir dich in Form, als Erstes werde ich dein lahmes Bein heilen, dafür habe ich dir eine Suppe gekocht, ich nenne sie soupe aux jambes de cigogue (Storchenbeinsuppe).“ Ich schaue sie an, und frage: „Sind da wirklich Storchenbeine drinnen?“ „Natürlich“, sagt sie lachend, „die fallen bei mir so vom Himmel. Trink jetzt einfach, und du musst alles auf einmal austrinken, sonst hinkst oder springst du noch mehr.“ Gesagt und getan, leere ich die Brühe in vollem Zug hinunter, und warte, was passiert. Als sich nach einer Weile nichts rührt, mache ich mir schon Sorgen. „Wirkt sie nicht?“, gebe ich Dominique zu verstehen. „Geduld, mein Lieber, Geduld, du wirst schon sehen.“ Es vergeht eine halbe Stunde, ich stehe da und warte, und als ich schon kopfschüttelnd weggehen will, fährt mir ein Schmerz durch den Körper. Dieser Schmerz sucht seinen Weg und fährt der Wirbelsäule entlang, schnurstracks durch mein lahmes, gebrochenes Bein. Ich würde meinen, dieser Steher kocht. Ich beginne zu hüpfen, weil ich glaube, mein Bein verbrennt. Wie wild renne ich hin und her, versuche Abkühlung zu finden, laufe zum Brunnen und halte sofort den Adlergreif hinein. Es zischt und dampft nur so, Erleichterung macht sich breit. Langsam stelle ich das Bein wieder auf die feste Erde, und sofort beginnt es zu laufen, zu springen. Ich drehe mich herum, mein zweites Bein muss einfach mit. „Ist das ein neuer Tanz?“, bemerkt Niki, welche in diesem Augenblick zur Tür heraus kommt. „Sieht cool aus“, bemerkt sie weiter. „Vielleicht sollte ich ihn Kaiserwalzer nennen, nein, nicht gut, passen würde eher Storchhaxn-Quickstep. Ach, es gibt nichts Schöneres als in der Morgensonne einen tanzenden, verrückten Adler zu sehen. Willst du auch eine Suppe?“, spricht Dominique zu Niki herüber. „Nein, bitte nicht, ich will ihre Majestät nicht in den Schatten stellen.“ „Für dich hätte ich etwas ganz Eigenwilliges, Niki, eine richtige Schwanzfederntinktur, damit könntest du auf deinen Schwanzfedern gehen und springen.“ „Echt witzig“, gibt Niki zurück. Schön langsam wird es bei mir ruhiger. Die Bewegungen werden langsamer und hören schließlich ganz auf. Nach einer kurzen Pause versuche ich, selbstständig mein kaputtes Bein zu bewegen. „Es funktioniert!“, rufe ich Dominique zu. Weiter und weiter beginne ich alles durch zu probieren, und stelle fest, dass mein lahmer Adlergreif voll bewegungsfähig ist und alle Sinne und Nerven voll auf mich reagieren. Voller Freude springe und renne ich um die Hütte, den Berg hinauf und wieder runter. In meinem Übermut packe ich Niki beim Schopf und hebe sie auf, „na, du hast aber zugenommen“, bemerke ich schadenfroh, „du kleiner fetter Vogel.“ „Du hast keine Kraft, du hochnäsiger Geier“, gibt mir Niki zurück. „Niki hat Recht“, schaltet sich Dominique ein, „du wirst deine verloren gegangene Kraft wieder auftrainieren müssen.“ Sofort zeigt sie mir meinen Trainingsparcours, welchen ich ab heute mehrmals täglich zu absolvieren habe. Zum Training gehören Laufen, Springen, Beutegreifen und Heben, sowie Adleryoga mit Dominique. Diese Abwechslung gefällt mir sehr gut, und ich weiß, dass ich auf dem richtigen Weg bin, besonders wenn ich auf das starre Huhn namens Niki neben mir blicke, welches schon beim „herabschauenden Gockel“ schlapp macht und vor sich dahin sudert. An meine Eleganz beim „Adlerkrieger“ wird Niki nie herankommen, und darauf bin ich stolz.
Ich bin ehrgeizig, übe und trainiere, wann immer es geht. Auch für meine Flügelkraft hat mir Dominique Übungen gezeigt, aber meine Schwinge schmerzt noch sehr, und ich brauche immer eine große Überwindung, um diese durchzuziehen. Am liebsten ist mir das Training ganz alleine. Da bin ich ganz bei mir und halte so meine innere Meditation. Gerade bin ich auf der Streckbank und dehne meinen Fuß, ich schließe meine Augen und tauche ein in meine Welt. Es ist die Welt von uns Adlern. Hoch über dem Land kreise ich elegant, meine Augen überblicken die ganze Welt unter mir. Ich gleite leicht, mit ausgestreckten Schwingen, mache dabei keinen einzigen Flügelschlag. Unter mir liegt mein Land und ober mir ist mein Himmel. So kreise ich stundenlang und keiner kann mir diese Stimmung wegnehmen. Noch schöner wäre es, wenn ich diese Stimmung mit meiner Femina teilen könnte, denn es ist genug Platz für zwei oder drei oder mehrere Adler. Es ist ein Reich von unendlicher Größe und Fülle und niemand macht mir dieses Reich streitig, dafür stehe ich und dafür kämpfe ich. Etwas schmerzt mein Bein noch beim Dehnen. Ich werde jede Qual und jede Last auf mich nehmen, nur um dieses Reich zurück zu erobern, und müsste ich auch die Atmosphäre durchbrechen, so könnte mich niemand aufhalten. „Strecken, strecken, es geht noch ein bisschen mehr“, fordert mich meine Spezialtrainerin Niki auf. Ich beiße den Schnabel zusammen und strecke mein Bein ganz durch. „So stelle ich mir das vor“, bemerkt Niki darauf. Nach einer Weile sagt sie: „Ich bewundere dich, du bist für mich der größte Adler!“ „Führst du etwas im Schilde, oder brauchst du etwas von mir?“, spreche ich zurück. „Das meine ich ehrlich, weil ich Angst habe.“ „Warum hast du auf einmal Angst?“, frage ich sie ganz leise. „Die Welt da draußen macht mir Angst, sie werden uns finden, dann machen sie uns gefügig oder töten uns sofort“, zittert Niki. „Sie werden Dominique wieder einsperren und foltern, genauso wie sie Toni erpressen werden, damit er das Versteck verrät. Wohin können wir fliehen, wenn es so weit ist?“, spricht Niki weiter. Sie senkt den Kopf und sagt: „Wir können nirgendwo hin, wir sind bereits eingesperrt!“ Mit meinem Schnabel hebe ich Nikis Kopf hoch, blicke ihr in die Augen und spreche: „Es gibt einen Weg, und wir werden ihn gemeinsam gehen! Unsere Mission heißt Hoffnung, Liebe und Glaube“, ergänze ich meine Worte. „Dominique schenkt uns Hoffnung, gibt uns Kraft, Mut und den notwendigen Schutz und Zauber. Für meine große Liebe Femina gehe ich durch Dick und Dünn, und der Glaube an uns und den Erfolg wird uns führen. Ich brauche dich, Niki, denn alleine kann ich das nicht und das weißt du ganz genau.“ Ich „umflügle“ Niki und es wird leichter. Dominique lehnt an der Tür, sie hat uns beobachtet, ein zufriedenes Lächeln ziert jetzt ihr Gesicht. In Gedanken sind wir alle eins, und das kann uns niemand nehmen!
Die erste Flugstunde
„Was bedeutet Freiheit? Bin ich wirklich frei? Habe ich noch einen freien Willen?“ Diese und ähnliche Fragen geistern mir durch den Kopf. „Werde ich manipuliert und missbraucht für eine Sache, welche ich gar nicht möchte? Benutzt mich Dominique für ihre Rache an den Menschen und an diesem System? Ist dies eigentlich mein Kampf?“ „Kannst du auch nicht schlafen?“, höre ich plötzlich Niki sprechen. „Nein, mir geht einiges durch den Kopf und viele Gedanken plagen mich“, antworte ich. „Mir auch“, spricht Niki weiter, „ich möchte dir aber danken.“ „Wofür?“, frage ich nach. „Du hast mich einfach mitgenommen und gerettet, und du stützt mich, obwohl ich sehr frech zu dir bin.“ „Ich könnte jetzt sagen, ich hatte keine andere Wahl, weil sonst keiner außer dir da war, Niki, aber letztendlich brauche ich dich, da ich niemanden mehr habe, der mich stützt. Obwohl du nur so ein kleines freches Huhn bist, hast du eine große Stärke, und das tut gut. Auch dein Humor ist nicht zu verachten, denn sonst hätten wir nichts zu lachen, und schließlich sind es auch deine Handlungen, welche zwar unvernünftig sind, aber doch zum Ziel führen, und deshalb mag und brauche ich dich.“ Es herrscht eine Stille, obwohl kein Wort fällt, sind wir verbunden. Beide verfallen wir in einen tiefen Schlaf, frei von wirren Gedanken und Belastungen.
„Aufstehen!“, höre ich auf einmal jemanden rufen. Es ist Dominique, welche mich und Niki aus dem Schlaf reißt. „Es ist schon halber Vormittag und ihr pennt immer noch, ihr Faulpelze“, legt Dominique nach. „So gut habe ich schon lange nicht mehr geschlafen“, berichte ich Niki. „Ich auch nicht“, antwortet sie mir. „Los, nehmt schnell euer Frühstück ein, denn heut ist der Tag der Entscheidung, und den sollten wir nutzen“, fordert Dominique uns auf, unser Tempo zu beschleunigen. Schnell essen wir ein paar Happen und gehen dann vor die Hütte. Es ist heute ein wunderschöner Tag. Die Sonne scheint strahlend vom Himmel, und dieser zeigt sich in einem Blau, das mit nichts vergleichbar wäre. Dominique war sehr aktiv und hat alles hergerichtet. Auf zwei Tischen stehen Schüsseln, Kessel sowie Schalen und Teller, alle gefüllt mit Zutaten und sonstigen Gebräuen. Ich ahne schon Schlimmes, lasse mir aber nichts anmerken. „So, Frederik“, beginnt Dominique zu sprechen, „heute ist der entscheidende Tag, es ist dein erster Flugtag nach langer Pause.“ Sie kommt zu mir und nimmt mir den Verband ab, welcher den lahmen Flügel stützt, und enthüllt ihn langsam. Schmerzen habe ich keine, dafür habe ich auch kein Gefühl in dieser Schwinge. „Muss das schon sein?“, frage ich sie. „Frederik, es ist Zeit, und du brauchst keine Angst zu haben, vertrau mir einfach.“ „Ich habe aber Angst, ich habe große Angst vor dem nächsten Absturz. In mir sind noch immer die Bilder vom letzten Flug und meiner Hilflosigkeit“, entgegne ich ihr. „Ich bin einfach noch nicht so weit“, spreche ich weiter. „Doch, du bist so weit, du wirst die Angst und die Erdanziehung überwinden, dann bist du richtig frei, frei wie ein Kaiseradler.“ Dieser Gedanke ermutigt mich, trotzdem sage ich: „Kannst du dein Experiment nicht vorher mit Niki ausprobieren, so wie immer? Es schadet nicht, wenn auch sie fliegen kann.“ „Du Feigling“, höre ich Niki spotten, „immer die Kleinen zuerst hinlassen, das könnte dir so passen. Zeig und sag es ihm, Dominique, er ist der König der Lüfte und ich nur die Begleiteskorte“, spricht Niki Dominique an. „Schon gut“, rede ich dazwischen, „ich stelle mich der Herausforderung und sollte ich wieder abstürzen, dann bläst dich Dominique einfach zu einem Ballon auf und lässt dich steigen, ein gefiederter Aufklärungsballon fällt ja eh niemandem auf“, spaße ich zurück. „Ich werde dir gleich die Schwingen stutzen, du einflügelige Concorde.“ „Aufhören“, mischt sich Dominique ein, „für euer Geplänkel haben wir nicht die Zeit. Bist du bereit, Frederik?“, spricht sie mich an. „Ei, Ei, Frau Konstrukteur“, antworte ich Dominique, „es kann losgehen.“ Daraufhin zieht Dominique meine Flügel ganz sachte und langsam auseinander. Meine Spannweite ist so groß, dass auch Niki auf der einen Seite helfen muss. „Spürst du etwas?“, fragt Dominique nach. „Nein, ich spüre nichts, rein gar nichts“, antworte ich ein wenig enttäuscht. „Das ist gut, dann werden wir es zum Fließen bringen“, beginnt Dominique ihre Behandlung, oder soll ich besser sagen ihr Ritual, oder noch besser die Operation beginnt? Mit dem verkehrten Silberlöffel streift sie über meine Flügel, Bahn für Bahn, Nervenstrang für Nervenstrang, Feder für Feder. „Deine Adern sind jetzt frei“, sagt sie zu mir, „wir müssen sie nur mehr mit Energie füllen.“ Sie geht zum rechten Kessel, rührt kräftig um, schöpft die Brühe in eine Schale, streut verschiedene Kräuter und Essenzen darüber, spricht, betet oder beschwört diesen Trank mit Zauberformeln, reißt mir den Schnabel auf und leert mir die ganz Schale voll hinunter. Ich gurgle und schlucke, und weiß nicht, wie mir geschieht. Ein Blitz durchzuckt meinen Kopf, ich sehe Sterne vor mir leuchten und blinken, ein Wirbelwind dreht meine Gedanken und Gefühle wie eine Spirale nach oben, da blitzt es nochmals und ein heller Strahl kommt mir entgegen und durchflutet mich mit Kraft und Energie. Ohne zu fragen beginnen meine Flügel zu schwingen, und mit einem Satz erhebe ich mich direkt in die Lüfte. Gerade nach oben führt der Weg und es geht gar nicht schwer. „Du musst sie kontrollieren!“, ruft mir Dominique nach. Doch unaufhörlich schiebt mich mein Raketenantrieb weiter und meine Flügel funktionieren ganz automatisch, wie ein Turboantrieb. Die Geschwindigkeit steigt und steigt. Dominique und Niki sind fast schon nicht mehr zu sehen, ich kann nur mehr Umrisse erkennen. Komisch, ich verspüre keine Angst und keinen Druck, und eine Stimme in mir sagt, ich will dies einfach auskosten. So steige ich höher und höher, über die Wolken und darüber hinaus, und weil ich nicht stoppen will, durchbreche ich die Erdaußenhülle und will es einfach wissen, es gibt kein Zurück mehr, jetzt nicht mehr, und niemand kann mich aufhalten. Immer weiter schiebt mich mein Antrieb, mein Federkleid schützt mich vor dem Verglühen, wie ein Panzer hält es alles ab, was mir schaden könnte. Ich vernehme ein lautes „Plopp“, gleite weiter, und merke, wie ich jetzt schwebe, meine Flügel legen sich an, denn ich brauche sie nicht mehr. Schwerelos gleite ich weiter und es fühlt sich so unglaublich schön an, eine innere Freude durchzieht mich und meinen Körper, „so also fühlt sich Freiheit an“, sinniere ich vor mich hin und weiß, ich habe Raum und Zeit durchbrochen und befinde mich im himmlischen Universum. Dieses Gefühl möchte ich nicht mehr verlieren und fliege weiter, immer weiter in meiner freien Welt. Ich weiß nicht, wie lange ich schon so unterwegs bin, vielleicht nur ein paar Minuten, oder sind es doch Lichtjahre? Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal, unendlich ist mein Glück und unendlich mein Weg. In diesem Delirium trifft mich ein greller Strahl, und dringt tief in mein Denken ein. Ich höre wieder diese innere Stimme, welche sagt: „Du musst deine Mission erfüllen, du musst sie retten, du musst zurück!“ „Ich weiß“, spreche ich vor mich hin, „aber lass mich noch ein wenig baden in dieser himmlischen Fülle.“
Nach einer Weile habe ich das Gefühl, ganz aufgeladen zu sein, ganz langsam versuche ich meine Flügel zu bewegen, und tatsächlich, sie bewegen sich und gehorchen mir. Es ist Zeit für die Umkehr, doch ich komme wieder, denn meine Mission hat erst begonnen. Nach der ersten Orientierung sehe ich die Erde unter mir. Ich nehme Anflug, zuerst kerzengerade nach oben, kurz eine Wende und dann geht es schnurstracks direkt auf diesen blauen Ball zu. Ich kenne mich gar nicht wieder, ohne Angst und ohne nachzudenken steuere ich auf die Erde zu, lege die Schwingen an, wie ein Torpedogeschoss durchdringe ich die Erdkruste. Sofort merke ich einen Widerstand und gleich darauf den freien Fall. Ich werde schneller und schneller, falle wie ein toter Vogel vom Himmel, besinne mich Gott sei Dank rechtzeitig darauf, dass ich gebrauchsbereite Flügel besitze, breite sie auseinander, sofort wird die Geschwindigkeit reduziert. Leicht und elegant befinde ich mich jetzt im Landeanflug und nach kurzer Gegensteuerung setze ich sanft auf der Erde, direkt vor der Hütte auf. „Atterissage suplime (elegante Landung)“, ruft Dominique erfreut zu mir herüber. „Ich würde eher sagen Raketon on Karambolage (abgestürzte Rakete)“, lacht Niki, kommt zu mir gehüpft und flüstert mir ins Ohr: „Du bist der größter Adler!“
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