Kitabı oku: «Wie angelt man sich einen Prinzen?», sayfa 6
SIEBEN
Am Freitagmorgen ging Stephen am Strand spazieren. Er presste sich das Handy ans Ohr und wartete darauf, dass sein Bruder den Anruf entgegennahm.
Er lehnte sich in die steife Brise und lauschte dem Rauschen der Wellen, die sich an der Küste brachen. Der Sturm – Anna, war das richtig? – machte sich daran, an Land zu gehen.
Er wollte am Nachmittag wieder abreisen, bevor der Sturm sie zum Bleiben zwingen konnte. Deswegen hatte er Thomas ans Telefon gezwungen, damit der mit dem Piloten eine Verabredung traf. Aber er musste auch unbedingt Corinas Unterschrift kriegen, bevor er flog, sonst musste er befürchten, dass gar nichts daraus werden würde.
Corina. Dieser kleine Ausflug nach Amerika sollte eine einfache Angelegenheit mit einer überschaubaren Aufgabe sein. »Bitte unterschreibe diese Nichtigkeitserklärung.« Aber wie war er nur darauf gekommen, dass dies ein einfaches Unterfangen sein könnte? Ohne Komplikationen?
Stephens Füße sanken bei jedem Schritt tief in den kühlen, nassen Sand ein. Er war sich seines empfindlichen Knöchels, dem er eine Auszeit von der Gehschiene gönnte, sehr bewusst, und der Wind presste sein Brighton Eagles-T-Shirt gegen seine Brust. Himmel, Nathaniel, müssen die dich auf dem Klo suchen oder was?
»Stephen?« Endlich!
»Warum brauchst du denn so lange, bis du rangehst?«
»Ich war noch an einem anderen Apparat. Also, wie läuft es mit Corina?«
Stephen fuhr sich mit der Hand durch die Haare und hielt das Gesicht in den Wind. »Im Wetterbericht haben sie einen Tropensturm angekündigt.«
»Ist das eine Art Zeichen? Erwartest du einen Sturm mit Corina?«
»Sie weigert sich, zu unterschreiben.«
»Sie – was? Warum?«
»Sie sagt, sie will, dass ich erst herausfinde, was mit ihrem Bruder passiert ist.« Die Wellen wuschen den weichen Sand unter seinen Füßen weg, und Stephen sank weiter ein.
Nathaniel pfiff. »Was hast du ihr erzählt?«
»Dass ich nichts weiß. Sie hat damit argumentiert, dass mein Bruder der König sei und ich Zugang zum Verteidigungsministerium habe, also sollte ich etwas herausfinden können.«
»Stephen, die Dinge, die an jenem Tag geschehen sind, sind unter Verschluss. Du weißt, was auf dem Spiel steht. Nicht einmal Mutter kennt die Einzelheiten.«
»Das brauchst du mir nicht zu predigen. Ich bringe dich nur auf den neuesten Stand. Mal davon abgesehen, dass die Details eine Frage der nationalen Sicherheit sind und auch meiner Zukunft als Rugbyspieler, will ich ihr das alles auch gar nicht erzählen. Wenn sie mich jetzt schon hasst, wird sie mich erst recht verabscheuen, wenn sie die ganze Wahrheit erfährt.« Und zu Recht. Das glaubte er mit seinem ganzen Sein.
»Ganz zu schweigen davon, dass sie eine von der Journaille ist. Hast du nicht gesagt, dass sie für die Beaumont Post arbeitet?«, fragte Nathaniel.
»Sie würde uns aber nicht hintergehen. So eine ist sie nicht.«
»Vielleicht, aber wir haben es doch schon oft genug erlebt, wie Reporter und Moderatoren, denen wir vertraut haben, uns am Ende doch hintergangen haben. Ob nun absichtlich oder nicht. Sei misstrauisch, Stephen. Bleib auf der Hut, so gut du kannst. Ich will den Palast nicht am Ende in Rauch aufgehen und Menschen sterben sehen.«
»Ob das passieren würde, wissen wir nicht.«
»Wir haben aber auch nicht geglaubt, dass es in Torcham passieren würde. Ein einziger kleiner Hauch der schmutzigen Angelegenheit in der Öffentlichkeit, und wir müssten mit unzähligen Nachahmern rechnen.«
»Was also soll ich machen?« Die Frage war nicht rhetorisch gemeint. Er brauchte den Rat und die Weisheit seines Bruders. »Ich habe noch nicht einmal angedeutet, wie ihr Bruder gestorben ist. Aber sie weigert sich, die Annullierung zu unterschreiben, wenn sie die entsprechenden Informationen nicht bekommt.«
All die Jahre lang hatte Stephen in ruhigen Momenten immer wieder versucht, sich vorzustellen, wie es wohl wäre, Corina die Wahrheit zu sagen. Aber als er sich ihren Gesichtsausdruck vor Augen führte, das Weinen in ihrer Stimme hörte, die Verachtung in ihren Augen sah, schauderte er jedes Mal und dankte Gott dafür, dass der Vorgang von höchster Stelle abgeschlossen und versiegelt worden war.
Das war die einzige Sache, für die er Gott dieser Tage dankbar war. Ansonsten fehlte ihm jedes Verständnis dafür, wie ein guter Gott Prüfungen und Ungeheuerlichkeiten wie Krieg überhaupt auf der Welt dulden konnte.
»Überzeuge sie! Du hast sie dazu bezirzt, dich zu heiraten, also musst du wohl irgendwie einen Draht zu ihr haben. Bezirze sie, die Dokumente zu unterschreiben.«
»Du hast ja ihr Gesicht nicht gesehen. Resolut. Entschlossen. Sie hat nichts zu verlieren. Sie hat bereits alles verloren.« Das Wehen der salzigen Brise rammte das Geständnis Stephen mitten ins Herz.
Eine weniger starke Frau wäre vielleicht wahnsinnig geworden vor Trauer. Aber nicht Corina. Sie machte weiter. Für sich selbst, für ihre Eltern. Es stand ihm vielleicht nicht zu, sie wieder zu lieben, aber er bewunderte sie.
»Dann finde eine Lösung. Sag ihr, dass dich das Verteidigungsministerium nicht an die Akten lässt!«
»Und aus welchem Grund? Ich war ein entsandter Offizier des RAC. Ich bin der Zweite in der Thronfolge. Mein Bruder ist der König. Warum würden sie mir verweigern, die Akten einzusehen, um einer trauernden Familie Gewissheit und Frieden zu verschaffen? Sie wird das durchschauen, das kann ich dir gleich sagen. Sie ist misstrauisch, Nathaniel. Wenn ein Mann wie ihr Vater, Donald Del Rey, mit seiner Macht und seinem Reichtum nicht die Antworten bekommt, auf die er aus ist, dann ist irgendetwas im Busch. Und ich kann ja auch nicht ewig hierbleiben und sie mürbe machen. Ich habe diesen Monat einen ziemlich vollen Terminkalender.«
»Dann finde eben einen Weg ohne die Information. Überrede sie.«
»Ich werde mein Bestes versuchen, aber ich muss auf jeden Fall am Sonntagmorgen fliegen, wenn nicht sogar vorher. Es sei denn, der Sturm zwingt uns zu bleiben. Außer einem vollen Terminkalender ist da ja auch noch die Physiotherapie, mit der ich weitermachen muss.«
»Dann sieh zu, dass du in die Gänge kommst.«
Stephen legte auf, stopfte das Telefon in die Tasche seiner Shorts und blickte über das aufgewühlte Meer. Der Tag versprach, heiß und stürmisch zu werden. Wie überaus passend.
Auf dem Weg zurück zu ihrer angemieteten Wohnung sah Stephen Thomas, der auf dem Balkon wartete und ihm entgegensah.
»Was haben wir von diesem Sturm zu erwarten?«, fragte Stephen, als er das kühle Foyer betrat. »Starken Wind, Regengüsse, Stromausfälle?«
Brighton, eine Nordseeinsel, bekam auch seinen Anteil an Hochseestürmen ab, aber Stephen hatte sein ganzes Leben lang abseits der größten Unruhen auf einem Hügel in Cathedral City gelebt.
Thomas nickte. »Oder Schlimmeres. Während Sie telefoniert haben, sind Leute hier vorbeigekommen. Wir sollen den Strand und die vorgelagerte Insel verlassen.«
Stephen sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an, während der Wind an seinen Hosenbeinen zerrte. »Und dann wohin?«
»Sie haben etwas mit Miss Del Rey zu verhandeln. Warum nicht zu ihr?«
»Mensch, alter Freund, nein. Mit ihr eine Nacht lang unter einem Dach festzusitzen, könnte für uns alle das Ende bedeuten.«
»Oder Sie könnten bekommen, wofür Sie hergekommen sind.«
Stephen zog eine Grimasse und starrte dann über den Atlantik, wo das Wasser zu kochen schien. Von allen Sicherheitsoffizieren musste er natürlich den mit dem besten Durchblick und dem frechsten Mundwerk erwischen.
Die Vorstellung, einen Abend mit Corina zu verbringen, erschütterte ihn bis ins Mark. Er zog vor, Abstand zu halten. Eine Ozeanbreite Abstand. Und gute fünf Jahre dazu.
Stephen sah zu seinem Knöchel und der perfekt gezackten Narbe hinunter. Ein leiser Dialog säuselte sich durch seine Erinnerung.
»Was hast du denn mit deinem Leben so vor, Prinz Stephen?«
»Ich will für die Brighton Eagles spielen.« Er hatte seinen Herzenswunsch gleich bei ihrer ersten Verabredung gebeichtet. Als sie nicht über die Idee lachte, dass ein Prinz professionell Rugby spielen wollte, wusste er, dass sie etwas Besonderes war.
»Dann solltest du daran arbeiten.«
»Mit meinem königlichen Titel und allen Erwartungen, die daran hängen? Ich muss erst einmal meinen Militärdienst absolvieren.« Seinen Zweifeln Ausdruck zu verleihen, betonte die Schatten und Grauzonen seines Lebens.
»Blablabla, Ausreden. Sag doch gleich, wenn du Angst hast. Das nimmt dir schon keiner übel.«
»Wie bitte? Hast du gerade ›blablabla‹ gesagt? Ich habe keine Angst. Also bitte.«
»Na, wir wissen doch beide, dass mit deinen Ohren alles in Ordnung ist.«
Er hatte gelacht, sie in die Arme geschlossen und herumgewirbelt. Und beinahe geküsst. »Amerikaner. Ihr haltet euch für sooo klug.«
Ihre Augen hatten sich zu einem goldenen Speer mit haselnussbrauner Spitze verengt. »Halten? Wir halten uns nicht für klug, mein Bester, wir wissen, dass wir es sind.«
»Stephen. Sir.« Thomas kam zu ihm auf den Balkon. »Ich habe Miss Del Rey angerufen. Sie hat uns die Erlaubnis erteilt, in ihrer Wohnung unterzukommen.«
»Du hast was?« War das eine Verschwörung? »Nein. Finde eine andere Unterkunft.«
Thomas schüttelte den Kopf. »Ich bin verantwortlich für die Sicherheit, und ich tätige die Anrufe. Miss Del Reys Wohngebäude ist sicher und diskret. Ihre Wohnung ist die einfachste und sicherste Lösung.«
Stephen seufzte. Wenn sie gemeinsam reisten, kümmerte sich Thomas um strikte Kontrolle. Selbst wenn sie mit seiner Mannschaft unterwegs waren, konnte es sein, dass Thomas Stephen in ein anderes Hotel bringen ließ, wenn er den Eindruck hatte, es sei nicht hundertprozentig sicher. Seit Torcham verlangte der Palast gewisse Sicherheitsanforderungen. Stephen würde nie »einer von den Jungs« sein können. Aber er machte Abstriche, um das tun zu können, was er liebte.
Er sah Thomas scharf an. »Bist du sicher, dass es ihr nichts ausmacht?«
»Ich habe sie nicht gefragt, ob es ihr etwas ausmacht. Ich habe sie gefragt, ob sie für uns Platz hat. Was sie von der Situation insgesamt hält, ist zweitrangig und muss hinter unserer Sicherheit zurückstehen.«
Stephen seufzte und machte sich auf den Weg zur Treppe. »Wann treffen wir uns mit ihr?«
»Sie ist auf dem Nachhauseweg und macht unterwegs noch einen Zwischenstopp. In einer Stunde treffen wir uns mit ihr an ihrer Wohnung.«
Oben, unter der Dusche, überkam ihn eine Welle aus Panik. Sie tränkte sein Herz, während ihm das warme Wasser über Nacken und Rücken strömte.
Wie konnte er sie nur überzeugen? Er konnte sich wie der letzte Barbar verhalten, was die Annullierung anging, und sie dazu bringen, ihn zu hassen. Aber er war sich nicht sicher, ob er das über sich bringen würde. Oder ob das etwas an ihrem Entschluss ändern würde, dass er herausfinden sollte, was mit ihrem Bruder geschehen war.
Bedauern. Das trug er wie einen Winterschal. Wenn er zurückreisen und irgendetwas an den Ereignissen ändern könnte, die zu dieser Nacht geführt hatten, er würde es tun. Aber das konnte er nicht, und sechs Männer waren gestorben. Für ihn.
Stephen schlug mit den Fäusten gegen die Fliesen der Dusche. Er wusste es nicht. Er wusste es nicht!
Was machte es schon für einen Unterschied, was er ihr erzählte? Er würde einfach etwas erfinden. Denn egal, ob sie die Papiere nun unterschrieb oder nicht, ein freier Mann würde er ohnehin nie sein.
Und das war eine Tatsache, mit der er für den Rest seines Lebens auskommen musste.
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Corina verließ zum vertrauten »Ping« den Fahrstuhl in ihrem Wohnkomplex, am einen Arm schwangen Plastiktüten, im anderen hielt sie eine Vase voller roter Rosen.
Gigi hatte ihre Angestellten gerade in den Feierabend geschickt, damit sie sich um ihr Zuhause und ihre Familien kümmern konnten, als Thomas angerufen und sie mit seiner freundlichen Stimme um einen Unterschlupf gebeten hatte.
»Es ist nur so, dass wir niemand anderen hier kennen und eine sichere Zuflucht brauchen.«
»Ja, also, ich weiß nicht …«
»Bitte, Corina, Sie sind unsere schnellste und sicherste Möglichkeit.«
Seufz. »Nur, wenn er sich anständig benimmt.«
Thomas lachte. »Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«
Aber mal im Ernst: Was sollte sie denn tun? Thomas absagen? »Soll der Mistkerl doch ins Meer gespült werden.« Oder: »Dann müssen Sie dem Sturm eben im Sea Joy Motel trotzen.«
Als sie ihren Einkaufswagen durch den überfüllten Supermarkt schob, fand sie den Silberstreif am Horizont. Gute 18 Stunden in ihrer Wohnung festzusitzen, während draußen ein Sturm tobte, könnte genau das Richtige sein, um Stephen die Wahrheit abzupressen.
Sie nickte Captain, dem Türsteher, zu, als sie die Eingangshalle betrat. Stephen und Thomas folgten ihr auf dem Fuße.
»Ich hoffe, wir drängen uns nicht zu sehr auf.«
Sie drehte sich um und sah Stephen, ach so selbstbewusst, mit großen Schritten auf sich zukommen.
Sie balancierte die Rosen und fasste die Griffe ihrer Plastiktüten noch einmal etwas fester. »Ich habe doch ja gesagt, oder?« Sie drückte auf den Fahrstuhlknopf. Ihr Herz schlug einen Trommelwirbel voller Gefühle.
An ihrer Wohnungstür angekommen, lud Corina die Herren ein und zeigte ihnen den Weg zu dem Schlafzimmer am Ende des kurzen, dunklen Flurs. Sie war sich sicher, dass ihr die Rosen gleich aus der Hand rutschen würden. »Im Schrank im Badezimmer sind frische Handtücher.« Sie atmete tief durch, als sie ihre Einkäufe auf der Kücheninsel abstellte.
»Corina, die Krone bedankt sich bei Ihnen«, sagte Thomas mit großer Aufrichtigkeit in seinem tiefen Bariton. »Wir werden Ihnen jegliche Ausgaben erstatten –«
»Also bitte, Ausgaben.« Sie grub eine Tüte Erdnuss-M&Ms aus einer Tasche. »Meinen Sie die extravaganten fünf Dollar, die ich für die hier bezahlt habe?«
»Das ist meine Lieblingssorte«, sagte Stephen mit einer beiläufigen, saloppen Art, die so gar nicht nach ihm klang. »Da kann ich dir die fünf Dollar auch gleich bar geben.«
Sie lachte nicht. Aber nur, weil sie wirklich nicht wusste, was er da gerade tat. Humor? Ein Ablenkungsmanöver? Scham?
Er funkelte sie ebenfalls an. »War nur ein Witz, Core.«
Core. Den Kosenamen hatte er bei ihrer zweiten Verabredung benutzt. Nachdem sie ein Semester lang dreimal die Woche bei dem Management-Seminar Stephens Flirtereien standgehalten hatte – hätte sich auf ihrem Tisch ein Tintenfass befunden, wäre es in seinen Haaren gelandet, die Sorte Flirt –, waren sie Freunde geworden. Kameraden. Als ob sie in benachbarten Häusern aufgewachsen wären. Alles war leicht. Die Gespräche. Das Lachen. Sogar die schweigsamen Momente.
»Ihr könnt euch von allem nehmen. Gratis.« Denn das war schon von jeher die Grundregel in der Küche der Del Reys.
Während Stephen und Thomas sich im Gästezimmer einrichteten, leerte Corina ihre Einkaufstaschen. Oreos, M&Ms, Weintrauben, Kirschen und kandierte Äpfel arrangierte sie auf der Kücheninsel. Das Wasser und die Cola light verstaute sie im Kühlschrank.
In ihrem Schlafzimmer schlüpfte sie in ein paar Shorts und ein Top. Erst jetzt wurde ihr klar, wie ihr Unterbewusstsein sie gesteuert hatte, als sie die Erdnuss-M&Ms in den Einkaufswagen gepackt hatte. Sie selbst bevorzugte die einfachen Schokolinsen. Aber die mit den Erdnüssen waren tatsächlich Stephens Lieblingssorte.
Während sie durch den Supermarkt geschlendert war, hatte sie überhaupt nicht über ihre Wahl nachgedacht.
Während ihres Flitterwochenmonats hatte Stephen pfundweise Erdnuss-M&Ms gegessen. So wirkte es jedenfalls.
»Kann ja sein, dass ich keine mehr bekomme, bis ich wieder zu Hause bin.«
»Ich werde dir jede Woche eine Tüte schicken, Schatz.«
»Versprochen?« Sein Kuss schmeckte nach Schokolade.
»Versprochen.«
Sie hatte Wort gehalten und war jede Woche beim Süßwarenladen vorbeigegangen, hatte eine große Tüte M&Ms gekauft und diese dann direkt zur Post gebracht. Das hatte sie mit solcher Regelmäßigkeit gemacht, dass am Ende die Postangestellte den Karton schon fertig adressiert und frankiert vorbereitet hatte, wenn Corina vorbeigekommen war.
Sie kam gleichzeitig mit Stephen wieder in der großen Wohnküche an. Eine starke Bö traf das Penthouse, als Corina die M&Ms in eine Kristallschale schüttete.
»Ich weiß noch, wie du mir damals jede Woche ein Paket M&Ms geschickt hast.«
»Ja, das hab ich gemacht.«
Stephen warf sich ein paar davon in den Mund und wirkte verloren, unentspannt. »Oh ja, Thomas schläft eine Runde.«
»Der kann bei dem Wind schlafen?«
»Er war bei einer Spezialeinheit in Afghanistan. Er kann bei Raketenlärm, Mörserkrach und Explosionen schlafen. Ich hab mal gesehen, wie er beim Strammstehen geschlafen hat.«
»Da hat er es aber gut.«
Ihre Blicke trafen sich, und Stephens Gebaren war demütig und zerknirscht. »Danke, dass wir kommen durften.«
»Hast du über meine Bitte nachgedacht?« Sie legte ein Schneidebrett bereit und wusch die Äpfel ab. Seine Gegenwart wurde ihr immer bewusster, immer wirklicher.
Sie war verheiratet. Jetzt, in diesem Moment. Mit ihm. Was machte man denn so als Mädchen, nachdem man einen Prinzen geheiratet hatte? Nachdem man der Liebe seines Lebens »Ja, ich will« zugesagt hatte?
In der Nähe der Balkontür gab es einen lauten Knall. Corina lehnte sich an der Spüle nach hinten, um zu entdecken, dass der Adirondackstuhl gegen das Glas geschleudert worden war. »Mist. Ich habe vergessen, die Balkonmöbel reinzuholen.«
Sie trocknete sich die Hände ab, aber Stephen war schon unterwegs, öffnete die Doppeltür zum Balkon und holte die Stühle und den klapprigen Pflanztopf mit dem moribunden Efeu herein.
»Muss sonst noch was in Ordnung gebracht werden?«, fragte er und sah sich suchend im Raum um.
»Das war alles. Danke, Stephen.«
»Das war das Mindeste, was ich tun konnte.«
Ihre Blicke trafen sich. So wie jetzt war es noch nie zwischen ihnen gewesen – förmlich und unbeholfen. Nicht einmal, als er mit ihr geflirtet und sie ihn ignoriert hatte.
Zurück in der Küche, nahm sie sich ein Messer und begann, die Äpfel kleinzuschneiden. Die Aufgabe gab ihr ausreichend Deckung, um sich ihren Prinzen heimlich anzusehen. Sie wollte ihn küssen. Warum liebe ich dich immer noch?
Stephen wanderte mit einer weiteren Handvoll M&Ms in den Wohnbereich und sah aus dem Fenster, wo er im grauen Licht des Sturms stand. »Um deine Frage zu beantworten: Ich habe Nathaniel angerufen. Es gibt nichts zu erzählen. Dein Bruder ist in einem Feuergefecht ums Leben gekommen.«
»In Torcham? Er war in Peschawar stationiert.« Sie rammte das Messer in den süßen, knackigen Apfel. »Was hat er in Torcham gemacht?«
»Truppen werden die ganze Zeit verlegt. Es kann tausend Gründe geben, aus denen es ihn nach Torcham verschlagen hat. Ein Kurzeinsatz.«
»Aber du weißt ganz genau, warum er in Torcham war, stimmt’s?« Sie stöberte. Stocherte. Versuchte, es aus ihm herauszubekommen.
»Was willst du?« Stephen ging durchs Zimmer und lehnte sich an die Kücheninsel. »Soll ich mir etwas ausdenken? Eine großartige Geschichte erfinden, die irgendwie glaubhaft klingt? Er war in Torcham und hat seine Arbeit gemacht. Den Frieden gesichert. Das ist Sinn und Zweck des Alliiertenverbandes.« Er wies auf die Rosen. »Die sind ja schön.«
Corina funkelte ihn an. »Die sind von dir.«
»Von mir?« Er schlug sich die Hand gegen die Brust. »Ich habe sie dir nicht geschickt.«
Jetzt war er einfach grob unhöflich. »Ach ja? Und warum ist die Karte dann mit deinem Namen unterschrieben?« Corina fischte den weißen Umschlag zwischen den Blüten heraus und warf ihn ihm zu. Wenn er früher Blumen geschickt hatte, hatte er fast stündlich angerufen, bis sie endlich angekommen waren. Obwohl sie es schon komisch fand, dass er seine Initialen benutzt hatte. PS. Prinz Stephen.
»Gibt’s was Neues? Irgendwas los?«
»Nein, ich arbeite nur an einem Artikel.«
»Ruf mich an, wenn … du weißt schon. Wenn irgendwas passiert.«
»Zum Beispiel?«
»Na, irgendwas halt, Süße. Ruf mich an.«
Er hielt die Karte hoch und zog eine Show ab, als er den Text las.
»Ich halte unsere gemeinsamen Erinnerungen in Ehren. Herzlichst, PS.« Mit einem Hohnlachen sah er sie an. »Ich halte unsere Erinnerungen in Ehren? PS? Klingt das überhaupt nach mir? Erstmal wären meine Initialen ja SS. Und zweitens hätte ich wohl eher geschrieben, ›Alles Gute, Liebes.‹«
Corina schnappte sich die Karte aus seiner Hand. »Wer hat sie dann geschickt?«
»Ich habe keine Ahnung, das kann ich dir versichern. Vielleicht dein Freund.«
Er flirtete. »Ich habe keinen Freund.«
»Also bist du nicht ausgegangen, seit –«
»Seit du mich abserviert hast?« Corina fuhr mit dem Messer energisch durch einen weiteren Apfel. »Doch, ein paar Mal. Ich dachte, ich wäre Single.«
»Wie bist du zurechtgekommen?«
»Es ging.« Es war nicht wie mit dir und mir. »Es war ein alter Freund aus dem College. Aber er lebt in New York. Immer mal wieder hatte er geschäftlich in Atlanta zu tun.« Warum erzählte sie ihm das? »Er rief dann eben an, und wir trafen uns zum Essen.«
An solchen Abenden legte sie ihre Trauerkleidung ab und tat so, als wäre das Leben voller Glanz und Möglichkeiten. Tod und Herzschmerz waren eine Million Meilen weit weg. Sie war jedes Mal froh um diese Nächte, die ihr wie eine Atempause erschienen.
»Was ist passiert?«
Sie schnitt die geviertelten Äpfel in kleinere Stücke. »Was kümmert’s dich?«
»Ich will mich nur mit dir unterhalten.« Stephen griff nach einem Apfelschnitz, öffnete den Becher mit dem Karamell und stippte das Obst hinein.
»Er lebt in New York, und ich wohne eben hier.«
Stephen streifte sie mit einem schnellen, blauen Blick. »Ich weiß, dass diese Angelegenheit zwischen uns nicht angenehm ist.«
»Nicht angenehm?« Sie rammte das Messer in einen weiteren knackigen Apfel. »Nicht angenehm, das sind Zahnschmerzen. Wenn man sich an Papier schneidet, das ist nicht angenehm. Sein iPhone zu verlieren ist nicht angenehm. Das hier zwischen uns ist absolut furchtbar. Ich wollte dich hassen, weißt du. Übrigens hätte derjenige, der die Rosen geschickt hat, das besser nicht tun sollen. Gigi Beaumont ist den ganzen Morgen über wie ein hungriger Aasgeier um meinen Schreibtisch gekreist und hat sich gefragt, von wem die wohl sind.«
»Sag ihr, sie sind von deinem alten Verehrer.«
»Ich werde sie nicht anlügen. Und ich werde ihr nicht den kleinsten Einblick in mein Privatleben geben. Was glaubst du, wer sie geschickt hat?«
»Ich habe keine Ahnung. Aber ich werde der Sache nachgehen, wenn ich wieder zu Hause bin, das kannst du mir glauben. Es kommen nur wenige Leute dafür infrage.«
»Wann fliegst du?«
»Sonntag.«
Seine Antwort hing zwischen ihnen.
»Meine Bedingung gilt noch«, sagte sie.
»Meine Antwort auch. Ich verstehe nicht, warum du nicht selbst zu der Einsicht kommst …«
»Einsicht? Nichts hat in den letzten fünfeinhalb Jahren auch nur das kleinste Fitzelchen Sinn ergeben. Dass du mich verlassen hast nicht, dass meine Eltern sich auseinandergelebt haben auch nicht. Wenn man so will, ist Carlos‘ Tod das Einzige, dass Sinn ergibt. Er ist in den Krieg gezogen, und im Krieg sterben nun einmal Menschen. Aber wie er starb? Das ergibt auch keinen Sinn. Was soll die Geheimniskrämerei? Und dieses Schachern zwischen uns? Das ist das einzige Pfund, mit dem ich wuchern kann. Die einzige Möglichkeit für mich, herauszufinden, warum ich plötzlich so ganz alleine dastehe.«
Er schluckte und wandte sich stumm ab.
»Manchmal möchte ich heim nach Marietta fahren und sagen: ›Mama, Daddy, euer Sohn ist nicht umsonst gestorben.‹« Corina starrte in die Apfelschüssel. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Draußen trieb der jaulende Wind die ersten Regentropfen des Sturms gegen die Fensterscheiben.
So viele Apfelschnitze würden sie nie essen. Sie öffnete eine Schublade und holte eine Plastiktüte heraus.
Stephen zeigte auf seinen Fuß. »Ich müsste mal meinen Knöchel hochlegen.«
»Brauchst du Eis?«
»Nein, danke. Ich muss ihn nur hochlegen.«
Sie zeigte auf einen der Komfortsessel. »Bitte, bedien dich.«
»Corina«, sagte er langsam, zögernd, seine Gedanken abwägend. »Dein Bruder ist als Held gestorben.«
Sie sah Stephen lange forschend an, wählte ihre Worte sorgfältig. Sie war bereit, mehr Details einzufordern, darauf zu bestehen, dass er mehr wissen musste, als er zugab. Sie fühlte instinktiv, dass das der Fall war. Aber anstatt mehr zu verlangen, drängte ein Bekenntnis aus ihrem Herzen herauf. »Weißt du, worüber ich nachdenke?«
Er schüttelte den Kopf. Immer noch stand er zwischen Küche und Wohnbereich. Sein dunkles Haar wirbelte um den Kopf, seine Augen waren fest, sein Kiefer angespannt.
»Habe ich ihn genug geliebt?«
»Ihn genug geliebt?«, fragte Stephen. »Was meinst du? Ich habe noch nie Geschwister kennengelernt, die sich mehr um einander gekümmert, sich inniger geliebt hätten. Ich würde sagen, du hast ihn mehr als genug geliebt.«
Die Unterhaltung wühlte Corinas verborgene, tiefere Gefühle auf. »Aber hab ich ihn wirklich genug geliebt?«
Der Gedanke, genug zu lieben, war Corina zum ersten Mal gekommen, als sie auf dem Boden einer alten Kapelle vor den Toren Mariettas geweint hatte, gleich nach Carlos‘ Beerdigung, gleich nachdem sie Stephen zum zigsten Mal angerufen und keine Antwort bekommen hatte, als ihr erschüttertes Herz befürchtete, sie hätte auch ihn verloren.
Herr, wie kann ich nur ohne sie leben?
»Da war so ein Abend, kurz bevor er ausschiffte«, fing sie an, bedächtig. Sie wählte ihre Worte vorsichtig und öffnete die Tür zu ihrem Herzen nur einen kleinen Spalt breit für den Prinzen. »Carlos kam bei mir vorbei. Du warst auf dem Stützpunkt und hast da irgendwas gemacht. Natürlich waren wir da noch nicht verheiratet, aber wir waren verliebt.« Sie räusperte sich und atmete tief, um die Tränen zurückzuhalten. »Ich wollte ihm um jeden Preis von uns erzählen, dass es etwas Ernstes war mit uns. Carlos und ich hatten nie Geheimnisse voreinander gehabt. Außerdem wart ihr beide Freunde, also dachte ich, warum sollte ich ihn nicht auf den neuesten Stand bringen? Du warst meine erste wahre Liebe.
Aber irgendwie schien er etwas auf dem Herzen zu haben, also habe ich uns Tee gekocht, Kekse rausgestellt und darauf gewartet, dass er auf den Punkt kommt. Oh, der Bursche brauchte manchmal ewig, um etwas zur Sprache zu bringen, weißt du noch? Also habe ich angefangen, meine Wäsche zu machen, das Geschirr abzuwaschen, eine SMS von einer anderen Reporterin zu beantworten …
Und dann hast du angerufen, um mir zu sagen, dass du fix und fertig seist und nach Hause fahren wolltest, um dich auszuruhen. Ich saß auf dem Fußboden in der Küche, schön in die Ecke gekuschelt, lächelte und hörte mir an, wie du mir erzähltest, dass du mich liebst …« Sie unterbrach sich. Diese Unterhaltung von anno dazumal zu wiederholen führte doch zu nichts. »Als wir auflegten, fragte mich Carlos, wie’s lief. Er mochte dich, weißt du, schon seitdem ihr für den Alliiertenverband ausgebildet wurdet.«
»Hast du es ihm erzählt?«
»Nein, weil mir klar war, dass ihn etwas beschäftigte. Man musste Carlos in Frieden lassen, um ihm die Sachen entlocken zu können. Also schauten wir eine Weile fern, und dann ging er. Er hat mir nie erzählt, warum er gekommen war, ob ihn irgendetwas bekümmerte oder nicht. Zwei Tage später schiffte er aus.«
»Wie soll das denn nicht genug lieben sein? Er war ein großer Junge. Er hätte dir ja sagen können, was ihn beschäftigte, wenn er das gewollt hätte.«
»Verstehst du das nicht? Ich war so sehr mit meinem eigenen Leben beschäftigt und damit, dich zu lieben … Ich glaube, er spürte, dass sich da etwas zwischen uns gedrängt hatte. Und er war sich nicht sicher, wie er danach fragen sollte. Ich hätte es ihm einfach erzählen sollen.« Ihre tränenerfüllte Stimme brach. »Mir kam es so vor, als hätte ich ihn ignoriert, nachdem wir beide angefangen hatten, miteinander auszugehen. Ich glaube, er empfand das genauso. Ich war so eng mit dir, dass ich meine Beziehung zu Carlos vernachlässigt habe. Es war komisch, anders zwischen uns Ende Mai, bevor er abreiste.«
Sie nahm sich eine Serviette aus dem Körbchen auf dem Kühlschrank und putzte sich die Nase, wischte sich die Augen. »Ich erinnere mich, wie er an einem Abend anrief und mich fragte, was ich gerade mache, und ob ich nicht Lust hätte, im Pub was zu essen. Ich sagte nein, weil ich mit dir verabredet war. Aber habe ich Carlos eingeladen, mitzukommen? Nein, weil ich mit dir alleine sein wollte. Ich – ich glaube, er hat mich vermisst, Stephen. Ich bin ihm nach Brighton hinterhergezogen, um mit ihm dort sein, für ihn da zu sein. Aber dann ging es nur um mich und meine Gefühle.« Sie sackte gegen die Theke. In ihrer Brust drängte sich ein Schluchzer an den anderen. »Ich habe nicht bemerkt, dass mein Bruder vielleicht Angst haben könnte oder sogar schon Heimweh, weil er nicht wusste, was ihn in der Wüste in Afghanistan erwarten würde.«
Sie vergrub das Gesicht in den Händen und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Es war Jahre her, dass sie ihrem Herzen erlaubt hatte, diese düstere Straße der Erinnerung entlang zu schleichen.
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