Kitabı oku: «Wie angelt man sich einen Prinzen?», sayfa 4

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VIER

Sein Knöchel brachte Stephen beinahe um, als er mit Thomas über den Parkplatz auf den Haupteingang von Harbor’s Edge zuging, dem Luxuskomplex aus Eigentumswohnungen am Flussufer.

Der Türsteher musterte sie zweifelnd von oben bis unten. »Sie wollen zu Miss Del Rey?«

»Ja, sie erwartet uns.«

Mit einem Nicken trat der Mann beiseite. »Oberste Etage. Penthouse. Rechts.«

Im Lift schwieg Stephen. Er rang mit seinen Gedanken und sortierte seine Gefühle. Sie weckte etwas in ihm, von dem er nicht gedacht hatte, dass er es noch besaß.

»Sie ist sehr schön«, sagte Thomas, der unverwandt geradeaus starrte.

»Das stimmt.«

»Auch sehr entschlussfreudig.«

»Ja, doch. Ziemlich.«

»Ich mag sie.«

Stephen sah seinem Sicherheitsoffizier direkt ins Gesicht, während der Aufzug seine Fahrt verlangsamte und sie in der obersten Etage ablieferte. »Wir sind nicht hier, um sie zu mögen.« Während Thomas Angestellter der königlichen Garde gewesen war, war er über die Jahre auch Stephens Freund geworden. Er war ein fast ständiger Begleiter, wenn Stephen mit den Brighton Eagles reiste, bei jedem internationalen Spiel.

»Ich sage nur –«

»Na, dann sag es eben nicht.« Stephen klopfte auf die Umhängetasche, die er über der Schulter trug. »Ich bin hergekommen, um sie zu bitten, die Unterlagen für die Annullierung zu unterzeichnen. Ende der Geschichte.«

»Rein geschäftlich?«

»Ja, rein geschäftlich.«

Aber er log und versuchte nur, sich selbst ein besseres Gefühl zu verschaffen, indem er die Lüge in einen Hauch Wahrheit kleidete. Er war wegen der Annullierung gekommen, aber unter der Oberfläche lauerte noch viel mehr. In dem Augenblick, als er ihren Namen ausgesprochen und sie sich zu ihm umgedreht hatte, waren seine Gefühle für sie wieder erwacht und flatterten wie Schmetterlinge in seiner Brust herum.

Er mochte sie. Immer noch. Sehr. Aber seine Gefühle änderten nichts an dem Grund, aus dem er gekommen war. Und auch nichts an dem Geheimnis über Afghanistan, das er bewahrte.

Er konnte ihr die Wahrheit, warum er ihre Ehe beendet hatte, nicht sagen. Aus Gründen der nationalen Sicherheit, seiner persönlichen Sicherheit und der seiner Familie. Und zum Wohle des Volkes, der Krone und des 460 Jahre alten Hauses Stratton waren die Einzelheiten über den Tag in Torcham auf höchster Geheimhaltungsstufe versiegelt.

Der Lift hielt an, und die Türen öffneten sich. Stephen ging mit Thomas über den Flur auf Corinas Tür zu. Er atmete tief durch, hielt inne, anstatt zu klopfen, und sah Thomas an. »Hör mal, alter Freund, kannst du uns einen Moment unter vier Augen reden lassen? Eine Audienz kommt mir ein bisschen unangebracht vor.«

Mit einem Schulterklopfer zog sich Thomas zurück. »Ich bin gleich hier draußen.« Er zeigte auf ein Plüschsofa an der Wand und hielt sein Smartphone hoch. »Da kann ich solange meine Mails abarbeiten.«

»Danke.« Noch ein, zwei Atemzüge, dann klopfte Stephen leise. Und dann noch einmal etwas energischer, während er auf Geräusche auf der anderen Seite der Tür lauschte.

Gleich nachdem er mit einem Herzen aus Stein aus Afghanistan zurückgekehrt war, hatte er sich selbst davon überzeugt, dass Corina wegmusste. Erstens konnte er ihr sein Herz nicht schenken, denn wenn sie die Wahrheit wüsste, würde sie ihn verabscheuen.

Zweitens würde er sich jedes Mal, wenn er sie sah, an das erinnern, was er doch unbedingt vergessen wollte.

Und drittens konnte man ihr mit der Wahrheit nicht trauen. Das Verteidigungsministerium hatte den Vorfall als eine Frage der nationalen Sicherheit eingestuft. Corina und die Del Reys waren eine mächtige Familie mit Einfluss und Zugang zu allem Möglichen.

Mit der Wahrheit in den Händen hätten sie alles ans Licht bringen können. Und Stephens Plan, seine Dämonen auf dem Rugbyfeld auszutreiben, wäre gescheitert.

Die Tür flog auf. Das erschreckte ihn. »Komm rein«, sagte sie mit einer weiten Armbewegung.

Er zögerte und trat dann ein. »Danke.« Konnte es wirklich sein, dass sie ihm immer noch den Atem nahm? Am liebsten hätte er eine Pause-Taste gedrückt und sie eine Weile lang einfach angesehen. Seinen Kelch wieder randvoll gefüllt mit dem Licht ihrer haselnussbraunen Augen. Es drängte ihn, seine Finger durch den langen, seidigen Fluss ihres dunklen Haares gleiten zu lassen.

Sie war ihm das erste Mal aufgefallen, als sie in Knoxton über den Campus ging. Ihre langen Locken hatten sich hinter ihr im Wind gekräuselt, als wollten sie die Brise necken, ihnen zu folgen.

»Wo ist dein Bodyguard?«

»Der wartet im Flur.« Stephen blieb unter der Tür stehen. Das weitläufige Loft spiegelte Corinas Art, ihren Stil, sehr genau wider. Elegant und klassisch, mit Holzdielen, hohen Decken, gewölbten Torbögen und Stuckverzierungen mit vielen Details. Und dennoch wirkte es sehr bewohnt, gemütlich und heimelig. »Du hast es schön hier, Corina.«

»Danke. Mir gefällt es auch.« Sie betätigte einen Lichtschalter in der Küche, und ein goldener Glanz beleuchtete die Wände. »Kann ich dir eine Flasche Wasser anbieten?«

»Wasser wäre gut, ja.« Stephen entdeckte einen Stapel Zeitungen neben dem Komfortsessel und spürte ein altbekanntes Ziehen in der Brust. Ihr Flitter-Monat war das letzte Mal gewesen, dass er echten Frieden empfunden hatte.

»Bitteschön.« Corina reichte ihm das Wasser und blieb stehen.

Sie würde ihn wohl nicht weiter in ihr Domizil einladen, was? Er zeigte auf die Zeitungen. »Wie ich sehe, magst du nach wie vor gedruckte Neuigkeiten.«

»Richtig«, sagte sie, ohne ihn anzusehen.

Seine Erinnerungen gerannen zu einer sanften Reminiszenz in seinem Herzen, aber es war unklug, eine Reise in die Vergangenheit anzutreten. Er hatte eine Aufgabe zu erledigen.

»Was brauchst du nun also von mir?« Ihre kühle, scharfe Stimme schnitt durch seine Gedanken.

Ihre Blicke trafen sich, hielten einen Moment lang aus, und Stephens Entschluss wackelte. Ein klitzekleines Bisschen. Er brach aus ihrem Blick aus, ging hinein und stellte sein Wasser auf den Küchentisch. Dann holte er die Dokumente aus seiner Umhängetasche. »Ich bräuchte bitte hier deine Unterschrift.« Er breitete die Papiere auf dem Tisch aus.

Sie bewegte sich nicht. Starrte ihn nur an. »Es tat mir so leid, als ich hörte, dass dein Vater gestorben ist. Ich wollte noch eine Karte schicken, aber …« Sie pulte an dem Etikett ihrer Wasserflasche herum.

»Nicht der Rede wert. Das verstehe ich doch.« Stephen schob ihr die Seiten zu. Schweiß bildete sich unter seinen Armen und auf seinem Rücken. Er ignorierte den Druck, der sich in seinem Knöchel aufbaute. Er würde sich setzen können, wenn er in seine Unterkunft am Strand zurückgekehrt war. Aber jetzt … »Wir vermissen ihn alle sehr.«

»Ich vermisse Carlos.« Ihre unerwartete Ehrlichkeit zündete ein Inferno in Stephens Innerem, sengte die Regeln für den Umgang miteinander an. Verhalte dich rein geschäftsmäßig. Sei offen, aber sage nichts Intimes oder Persönliches. Kümmere dich nur um deine Aufgabe.

Ihr nussbrauner Blick strich über sein Gesicht und brachte Schweißperlen über Schweißperlen hervor. Er schraubte den Deckel von seiner Flasche und nahm einen langen, wenig eleganten Schluck. Das kalte Getränk kühlte seine heiße, ausgedörrte Seele nur wenig.

»Du wirst sehen, dass die Unterlagen vollständig sind.« Er schob die Annullierungspapiere noch etwas näher an die Tischkante. Sie wollte eine Antwort, nicht wahr? Aber er konnte sich um nichts in der Welt dazu durchringen, in ihrer Gegenwart über ihren Bruder zu sprechen. »Lies sie durch! Überlege, ob du Fragen dazu hast!«

Er lächelte, als wollte er sie davon überzeugen, dass doch alles ganz gut lief. Es lief doch gut, oder? Aber sie bewegte sich keinen Millimeter auf ihn, den Tisch oder die Papiere zu. Er räusperte sich, verlagerte sein Gewicht und atmete sich durch das schmerzhafte Stechen in seinem Fuß. »Wohnst du schon lange hier?« Banal. Oberflächlich. Aber er gab der Versuchung nach, eine Kerbe in ihren Panzer aus Eis zu schlagen.

»Ein halbes Jahr.« Corina führte die Flasche zum Mund. »Aber du bist ja nicht viertausend Meilen weit hierher geflogen, um ein Pläuschchen zu halten.« Sie ging zum Küchentisch, schaltete eine Lampe in der Nähe ein, und besah sich die Dokumente. Stephen wartete. Was ging hinter ihren wunderschönen Augen vor sich? Sie gab ihm keinerlei Anhaltspunkte. Einen Augenblick später sah sie auf. »Wenn ich das hier unterschreiben soll, dann brauche ich vorher etwas von dir.«

Er senkte seine Arme. Versteifte den Rücken. Wie hatte er nicht vorhersehen können, dass ein Gegenangriff auf ihn wartete? Er war ein Sportler, spielte in der Offensive wie in der Defensive. Du hast deine Sinne nicht beieinander, Freundchen. Pass bloß auf.

»Also dann. Was möchtest du? Aber ich kann nichts garantieren.« Geld konnte sie doch wohl nicht wollen. Die Del Reys waren vermutlich reicher als die Strattons. Nein, es war eine Tatsache: Er wusste sicher, dass ihr Vermögen größer war. Er hatte ihr keinen Ring oder andere wertvollen Geschenke geschenkt, also konnte sie auch nicht darum bitten, irgendetwas behalten zu dürfen. Wollte sie den Titel einer Prinzessin? Bei dem Gedanken stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Nathaniel würde von ganzem Herzen Nein sagen.

»Finde heraus, was wirklich mit meinem Bruder geschehen ist.«

»Wie bitte?« Aber er hatte sie gehört. Der Raum verdunkelte sich, und er konnte den Spott seiner Dämonen in seinen Ohren rauschen hören. Sein Blut floss wie geschmolzene Lava und verbrannte ihn von innen heraus. Sein Knöchel feuerte Schüsse reinen Schmerzes durch sein Bein. »Du misst mir mehr Bedeutung bei, als ich habe. Ich – ich habe keinen Zugang zu den Akten deines Bruders. Er war in einer anderen Einheit, die sechs Wochen vor meiner ausgerückt ist. Wie soll ich das herausfinden? Ich bin nur ein kleiner Prinz.« Er konnte das Zittern in seiner Stimme kaum kontrollieren.

»Ein kleiner Prinz?« Ihr Gesichtsausdruck passte zu ihrem scharfen Tonfall. »Du bist der Prinz von Brighton. Oder das solltest du jedenfalls sein. Du hast Zugang zum Verteidigungsministerium, bis hin zur höchsten Geheimhaltungsstufe.«

»Du verwechselst mich mit meinem Bruder.«

»Dann frag deinen Bruder.« Sie trat vom Tisch weg. Ihre Augen sprühten Funken. »Mein Zwillingsbruder, Stephen. Mein bester Freund, mein Carlos, zog aus in den Krieg und kam nicht zurück. Er kommt nie mehr zurück. Die einzige Antwort, die wir aus dem Pentagon erhalten haben, lautete, dass er unter dem Kommando des Internationalen Alliiertenverbandes aus Cathedral City war. Wenn wir Antworten wollten, sollten wir uns bei deinem Verteidigungsministerium erkundigen.«

»Dann erkundigt euch. Dein Vater hat doch sicher Beziehungen.«

»Die treffen auf Stille und Stahltüren. Er bekommt keine Antworten. Uns wurde gesagt, er sei in einem Feuergefecht gestorben. Ein Held, sagen sie, aber wir haben keine Orden von ihm. Keine Auszeichnungen. Keinen Ehrenappell.«

Das Trommeln in seinen Ohren übertönte ihre Worte. Corina … Was verlangst du von mir? »Glaube mir, ich bin in meinen Privilegien wirklich eingeschränkt.«

»Dann finde einen Weg. Sprich mit Nathaniel. Beauftrage einen Privatdetektiv, einen Meisterdieb, der ins Verteidigungsministerium einbrechen kann, egal, was. Finde einfach heraus, was passiert ist. Seitdem er gestorben ist, ist nichts mehr, wie es vorher war. Ich habe alles verloren. Meine Familie. Dich.« Sie biss sich auf die Unterlippe und schwieg.

Am liebsten wäre Stephen herumgelaufen, aber sein Knöchel wehrte sich. Er zog einen Stuhl hervor und setzte sich abrupt hin. Seine Gedanken wirbelten wild durcheinander, und sein Herz wütete. Sag’s ihr. Sag’s ihr einfach. Aber das konnte er nicht. Seine Beichte lag so tief, das nicht einmal das Erdbeben ihrer Bitte sie an die Oberfläche zerren konnte.

Nach einem Moment sah er zu ihr auf. »Und was ist, wenn ich nicht herausfinden kann, was mit ihm passiert ist? Wirst du die Papiere dann einfach nicht unterschreiben? Du willst doch bestimmt auch mit deinem Leben weitermachen, wieder heiraten.«

Ihr Lachen spießte seine Seele auf und provozierte ein höhnisches Kichern seiner inneren Dämonen. Du Narr. Du bist es nicht wert. »Mein Leben endete an dem Tag, als Carlos starb. Meine Eltern trauern immer noch. Sie konnten keinen Schlussstrich ziehen. Unser Haus, das früher so voller Lachen war, ist ganz stickig vor Sorge. Mein Vater hält es keine fünf Minuten mehr darin aus. Meine Mutter dagegen kann das Haus nicht verlassen. Sie weinen um Carlos, als hätten wir gerade erst frische Erde auf sein Grab geschaufelt. In den letzten fünfeinhalb Jahren habe ich mein Herz dazu gezwungen, zwischen den beiden einen Spagat zu machen. Ich habe versucht, eine Brücke zu sein, eine Art Glück zurückzubringen. Ich habe versucht, die Familie wiederherzustellen, die wir einmal waren. Aber wir heilen einfach nicht, Stephen. Sie wollen beide wissen, was mit ihrem wunderschönen Sohn passiert ist, ihrem Stern, dem Erben des Namens Del Rey und der Dynastie, die zu diesem Namen gehört.«

Corina beugte sich zu ihm vor. Indem sie die Hände auf die Armlehnen rechts und links von ihm stemmte, sperrte sie ihn ein. »Wenn das heißt, dass ich mit dir verheiratet bleiben muss, weill ich versuche, meinen Eltern zu helfen, dann bezahle ich den Preis eben. Die Frage ist, ob du den Preis bezahlen willst? Ohne Wahrheit keine Unterschrift.«

Was sah sie aufgeplustert und selbstzufrieden aus. »Du machst Witze«, schoss er zurück und zwang sich zu bissiger Entschlossenheit.

»Lache ich denn?«

»Corina, unsere Beziehung hat nichts mit dem Tod deines Bruders zu tun. Wir können doch nicht in der Schwebe bleiben –«

»Aber sicher können wir das. Wir sind doch seit fünfeinhalb Jahren in der Schwebe. Wir wussten es nur einfach nicht.« Sie sah ihn aus zusammengekniffenen Augen, mit zusammengekniffenen Lippen an, und sein Herz bebte. »Seit dem Tag, an dem ich dich nach deiner Rückkehr aus Afghanistan gesehen habe, mit blauen Flecken und sichtbaren und unsichtbaren Verletzungen, schweigend und trotzig und alles, seitdem wusste ich, dass da noch etwas ist. Irgendetwas, von dem du uns nichts gesagt hast. Und ich weiß nicht, was oder warum. Aber du weißt mehr, und ich glaube, du kannst etwas über meinen Bruder herausfinden.«

»Ich habe es dir doch gesagt. Nach der Explosion wurde mir klar, dass ich das Haus Stratton nicht gefährden darf. Ich hätte meine Anrechte auf den Thron aufgeben müssen, wenn unsere Ehe öffentlich bekannt geworden wäre. Ich habe falsch gehandelt, als ich dich heimlich geheiratet habe. Ich habe gegen das Gesetz Brightons verstoßen und das Wohl der Krone riskiert. Nicht mehr als das und nicht weniger.«

»Also warst du während deines ganzen Einsatzes wahnsinnig verliebt in mich, und das ging bis … wann genau nochmal? Ich habe nichts von dir gehört, nachdem Carlos getötet wurde. Ich habe mir unglaubliche Sorgen gemacht und mich gefragt, ob dir etwas zugestoßen ist. Ich habe immer wieder angerufen, bin nach Brighton zurückgeflogen. Ich wollte gerade zur königlichen Behörde, als ich dich am Neujahrstag in meiner Wohnung gefunden habe.«

Er wusste das alles. Warum musste sie das alles noch einmal durchgehen? »Corina, es ist jetzt nicht nötig –«

»Oh doch, es ist nötig. Ich will wissen, ob mich meine Erinnerung nicht irgendwie im Stich lässt.« Sie wanderte in der Küche umher und ging dann ins Wohnzimmer, bevor sie fortfuhr. »Ich bin mit meinem Herzen in den Händen nach Brighton hinübergeflogen, wo ich den Trost und den Zuspruch meines Mannes suchte, nachdem ich gerade meinen Bruder verloren hatte. Ich habe gehofft und gebetet, dass es dir gut geht. Ich wollte einfach bei dir sein und dich auch trösten. Aber wer begrüßte mich? Ein Mann aus Stahl. Und damit meine ich nicht einen von der Superman-Sorte. Kalte, harte Augen wie polierte blaue Steine. Ich gehe auf dich zu, um dich zu küssen, und du schubst mich weg.«

Die Einzelheiten gruben sich in den trockenen, brachen Boden seines Inneren. An jenem Tag hatte er sie wieder in die Arme schließen wollen. Er hatte sie halten wollen, sie lieben, wollte sich wieder lebendig fühlen. Aber alles, was er sehen konnte, waren Blut und Tod.

»Corina …« Stephen erhob sich, die Vergangenheit war ihm gerade entschieden zu gegenwärtig.

»Ich habe dich gefragt, was denn los sei, was in Torcham passiert ist. Du hast etwas von einer Explosion gesagt. Ich berührte die Schnitte in deinem Gesicht, an deinen Händen, deinen Armen, aber du hast dich zurückgezogen und mir ohne Vorwarnung gesagt, dass es mit uns vorbei ist. Dass die ganze Heirat ein Fehler gewesen sei.« Sie packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn. Kräftig. »Ich war unsagbar verliebt in dich. Ich habe dir mein Herz geschenkt, meine Seele und meinen Körper. Und du? Überrollst mich und lässt mich am Boden zerstört zurück.«

Am Boden zerstört. Nathaniels Worte. Ihr Bekenntnis ließ ihn zittern. Er wich ihrem Blick aus, straffte seine breiten Rugby-Schultern und löste sich von ihr. »Es tut mir leid.« Er schluckte seine eigene Offenbarung herunter. »Aber so muss es eben sein.«

»Warum?« Sie beugte sich zu ihm, um ihm ins Gesicht sehen zu können, aber er hatte genug.

»Weil …« Seine Stimme dröhnte durch das weitläufige Loft. »… weil ich es gesagt habe. Genug. Wirst du die Nichtigkeitserklärung unterschreiben oder nicht?« Eine Hand auf den Tisch gestützt, rüstete er sich innerlich für ihre Antwort.

»Du kennst meine Bedingung.«

»Ich akzeptiere diese Bedingung aber nicht.«

»Das ist schlecht. Du kannst nicht immer deinen Willen haben, Stephen. Ich hatte zu viel Zeit, um über das alles nachzudenken. Keine Neuigkeiten, keine Unterschrift. Finde heraus, was mit Carlos passiert ist, und du bist ein freier Mann.«


FÜNF

Noch lange, nachdem Stephen gegangen war, hallte ihr Streit in Corinas Wohnung in ihm nach. Als die Wirkung des Adrenalins endlich nachließ, blieb Corina schwach zurück und schaltete alle Lichter aus – außer denen, die die Glasfronten ihrer Küchenschränke in ein indirektes Licht hüllten.

In ihrem Schlafzimmer schob sie die Balkontüren auf und trat in die Nacht hinaus, hinein in den Gesang der Grillen und in die steife Brise, die vom brackigen Fluss herüberwehte. Lang fielen die Lichtstrahlen von den Wohn- und Geschäftshäusern auf der vorgelagerten Insel auf das Wasser. Ein kleines Segelboot, das mit einer weihnachtlich anmutenden Lichterkette geschmückt war, trieb auf den hohen Bogen der Hebebrücke zu.

Stephen. Er war zu ihr gekommen. Aber nicht, um sie als sein eigen heimzuholen, um ihr seine Liebe zu gestehen, sondern um sie einmal mehr abzuweisen. Corina lehnte sich aufs Geländer und ließ den Kopf hängen. Überwältigende Gefühle fuhren ihr durch Mark und Bein und ließen ihr Tränen über die Wangen strömen.

Ihre Ehe. Carlos. Ihr Familienleben. So viele Verluste. Als sie vorhin nach der Begegnung mit Stephen auf dem Parkplatz zu Hause angekommen war, war sie zuerst fest entschlossen gewesen, die Papiere zu unterzeichnen. Darum war es doch bei dem Umzug nach Melbourne gegangen: um einen Neuanfang, darum, ihr Leben in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Oder nicht?

Wie konnte sie neu anfangen, wenn sie nach wie vor an ihn gebunden war? Sie betete um Mut, während sie darauf wartete, dass er anklopfte. Aber als er eintrat, war ihr plötzlich die Idee mit Carlos gekommen, und dann hatte sie nicht mehr davon ablassen können.

Sie wischte sich die Augen mit dem Saum ihres Oberteils. Ihre Bitte bedauerte sie kein bisschen. Ihre kleine Ansprache an Stephen war direkt aus ihrem Herzen gekommen, und es fühlte sich gut an, sich dieser Last entledigt zu haben.

Sie brauchte Stephens Gnade nicht. Er brauchte die ihre. Was war also dabei, wenn ihre Forderung sie noch für ein paar Wochen – oder Monate, oder Jahre – länger mit ihm verband? Ihre Familie würde endlich einen Abschluss finden. Frieden. Die Chance, wieder die Del Reys zu sein. Immer zusammen. Immer lachend.

Corina setzte sich auf den hölzernen Adirondackstuhl. In solchen Momenten vermisste sie den weisen, wenn auch in aller Regel sehr vorwitzigen Rat ihres Bruders. Sie vermisste seine unerschütterliche Zuversicht. Sein dröhnendes Lachen.

Aber heute Abend vermisste sie am meisten das, was mit Stephen hätte werden können. Carlos war immer ihr bester Freund gewesen. Sie hatte sich nie vorstellen können, dass jemand seinen Platz einnehmen könnte. Bis sie Stephen kennengelernt hatte.

Sein mutiges, keckes Selbstvertrauen hatte sie für ihn eingenommen … Nun ja, zumindest so nach und nach. Corina lächelte, als sie daran dachte, wie Stephen in einem Management-Seminar hinter ihr saß und sich andauernd zu ihr vorbeugte, um ihr Fragen ins Ohr zu flüstern. Als ob er tatsächlich ihre Hilfe gebraucht hätte. Aber er war ein Schürzenjäger. Ein unverfrorener, charmanter Schürzenjäger.

Als sie dann seinem ausdauernden Werben nachgab und sich mit ihm verabredete, verlor sie ein Stück ihrer selbst an ihn. Er wurde zu ihrem Seelenverwandten, ihrer wahren Liebe. Weit mehr als ein bester Freund.

Aber das Leben hatte anderes mit ihr vor.

Corina drückte sich aus dem Stuhl hoch, ging hinein und ließ ihre Gedanken auf dem Balkon zurück. Sie fischte ihr Telefon aus der Handtasche und wählte die Nummer von Daisy, ihrer besten Freundin seit der Junior High, die inzwischen verheiratet war und zwei prächtige kleine Mädchen hatte.

Aber sie beendete den Anruf, noch bevor die Verbindung zustande gekommen war. Im Grunde war ihr gar nicht nach Reden zumute. Und Gespräche mit Daisy waren stets mit den Zwischenrufen ihrer Kinder gewürzt.

Corina warf ihr Telefon aufs Bett und ging durch den mysteriösen Duft von Stephens Rasierwasser, der immer noch in der Luft hing, zum Kleiderschrank in der Ecke ihres Schlafzimmers. Oder spielte ihr da ihre Vorstellungskraft einen Streich? Als er im Auslandseinsatz war, hatte sie sein Kopfkissen nicht gewaschen, damit sie seinen Duft beim Einschlafen noch einatmen konnte.

Aber das war lange her. Eine Geschichte aus dem Märchenbuch. Corina stellte sich vor den antiken Kleiderschrank, der einst ihrer Ururgroßmutter mütterlicherseits, Thurman, gehört hatte, gekauft im Jahre 1910 in Frankreich.

Corina knipste die Stehlampe an und öffnete die geschnitzten Türen. Dann schob sie ihre Pullover beiseite und fand den Eisenring an der Rückwand, der ein Geheimfach öffnete. Hatte sie nicht nach ihrer letzten Reise nach Brighton etwas hier hineingelegt? Als Stephen sie abgewiesen hatte?

In dem gedämpften Licht fand sie den Umschlag. Den Umschlag, den sie dort hineingestopft hatte, nachdem sie in diesem verhängnisvollen Januar vor über fünf Jahren aus Brighton zurückgekehrt war.

Noch einen Monat zuvor war sie so glücklich gewesen, hatte sich auf ein freudiges, glückliches Weihnachtsfest zu Hause gefreut. Ihr süßes Geheimnis, eine verheiratete Frau zu sein, hatte nicht gerade wenig zu ihrem ganz eigenen Privatvergnügen beigetragen.

Carlos Geschenke waren lange im Voraus in die Post gegeben worden. Und Corinas private Geschenke waren zu Stephen unterwegs.

Sie hatten vor, in den frühen Stunden des Weihnachtsmorgens miteinander zu skypen. Oh, wie heiter und warm hatte sie sich mit dem großen Schatz ihres Geheimnisses gefühlt. Der Traum einer Liebenden.

Aber der Anruf über Skype blieb unbeantwortet. Ebenso wie die Karte, die die Familie an Carlos geschickt hatte.

Was vielleicht wie eine harmlose Kleinigkeit aussah – immerhin hatten sie sich schon vorher manches Mal verpasst, wenn sie telefonieren wollten – war zu einem abscheulichen Albtraum geworden, von dem Corina glaubte, sie würde nie wieder daraus aufwachen.

Sie griff in das Geheimfach und zog den Umschlag heraus. Dann ging sie auf den Balkon. Vermutlich sollte sie das vermaledeite Ding einfach in den Fluss werfen. Gut, das Ufer war beinahe einen halben Kilometer entfernt. Egal. Das wäre dann eben ein symbolisches Wegwerfen. Eine Metapher dafür, dass sie das letzte Bisschen Stephen aus ihrem Kopf und aus ihrem Herzen tilgte.

Sie zog die Hand zurück und fragte sich, wie weit sie den leichten Umschlag wohl werfen könnte. Bei ihrem Glück würde er vom Wind erfasst und auf Mrs. Davenports Balkon geweht werden.

Corina ging zu ihrem Bett zurück und schüttelte den Inhalt heraus.

Eine Grußkarte. Ein Zeitungsausschnitt. Der Kronkorken einer Limonadenflasche. Und ein dünnes, seidiges rotes Bändchen.

Corina nahm die Karte in die Hand. Mit dem Finger strich sie über die Umrisse einer sittsamen Braut aus dem Jahre 1900, die ein Kleid mit einem hochgeschlossenen Kragen und einen langen, fließenden Schleier trug. Ihre glänzenden Locken kräuselten sich um ihre Porzellanwangen, während sie ihren umwerfenden, dunkelhaarigen Bräutigam mit blauen Augen anstrahlte.

Und sie glitt in die Erinnerung hinein.

»Er sieht aus wie ich«, sagte Stephen, der die Karte aus dem Ständer pflückte.

»Ja, aber sie sieht nicht aus wie ich.«

»Perfekt, die Karte ist genau richtig für dich. Damit du dich an mich erinnerst.« Er zog sie an sich und küsste sie leidenschaftlich und liebevoll. Was der Ladenbesitzer, der die ganze Szene beobachtete, sich dabei dachte, kümmerte ihn nicht. »Ich werde meine eigenen Erinnerungen an dich haben.« Sein durchtriebenes Grinsen zeigten ihr ganz eindeutig, welche Sorte Erinnerungen er in sich wachhalten würde, und sie errötete.

»Stephen, pssst …«

»Was denn? Du bist meine Frau. Meine Erinnerungen werden mich durch meinen Einsatz bringen. Ich bin froh, dass sie meine Erinnerungen sein werden, ganz allein meine. Keiner wird mich fragen können ›Was macht die Werteste?‹ Wenn ich ein dämliches Grinsen im Gesicht trage, werden sie einfach denken, ich hätte zu viel Eintopf gegessen.«

»Na, na, so viel Lob. Da komme ich doch tatsächlich gleichauf mit deiner Vorliebe für Eintopf.« Corina boxte ihn sanft auf die Schulter, lachte, errötete wieder. »Ich werde auch meine privaten Erinnerungen haben. Aber die Karte nehme ich trotzdem. Sie ist so schön. Und ein Souvenir an unsere Hochzeitsnacht in Hessenberg.«

»Es tut mir leid, dass wir nicht mehr machen können, Liebes«, sagte Stephen. »Aber wenn ich von dem Einsatz zurück bin, bringen wir die Heirat mit Dad und dem Parlament in Ordnung. Du suchst dir einen Ring aus den Kronjuwelen aus. Dann machen wir ein ordentliches Fest, das einem Prinzen und seiner Prinzessin angemessen ist.«

»Aus all dem mache ich mir nichts. Das weißt du doch, oder? Solange ich ganz die deine bin.« Sie küsste ihn mit brennender Liebe. »Ist das alles wahr? Du gehörst ganz mir?«

»Sehr wahr. Du hast mein Herz gefangen, Liebes, und wir haben das ganze Leben vor uns, um Erinnerungen zu schaffen.« Er segnete ihre Schläfe mit einer leichten Berührung seiner Lippen. »Aber bis dahin hast du die hier als kleine Gedächtnisstütze.« Stephen hielt die Karte hoch und ging damit zur Kasse.

Sollte der Ladenbesitzer ihn erkannt haben, so sagte er kein Wort. Jetzt öffnete Corina die Karte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie den einfachen Spruch las.

Zu sagen, ich liebe dich, geht weit über Worte hinaus.

‘s ist eine Wahrheit in meinem Herzen.

Ich liebe dich, mein Engel, und du hast mich geheiratet.

Nichts wird uns je trennen.

Darunter hatten sie beide unterschrieben. Ihre Unterschriften symbolisierten ihre endgültige Zusicherung zueinander.

Corina warf die Karte über das Bett weit von sich. Was für ein fieser Schleimer. Alles war eine Lüge. Stephen liebte nur, solange es Spaß machte, solange alles leicht und bequem war. Aber wenn sich irgendein unerwartetes Hindernis zeigte? Peng, weg war er.

Sie griff nach dem Band und wickelte es um ihren Ringfinger. Nachdem sie keine Ringe getauscht hatten, hatte Erzbischof Caldwell Stephen angeboten, das Bändchen um Corinas Finger zu wickeln, während er sein Ehegelübde ablegte.

Stephen hatte sich so sehr dafür entschuldigt, dass er nicht besser auf seinen Heiratsantrag vorbereitet gewesen war. »Aber ich verspreche dir … wenn ich zurückkomme … jeden Edelstein, den du dir wünschst.« Er hatte ihr Gesicht in seinen Händen gehalten und sie wieder und wieder geküsst.

Um die Wahrheit zu sagen, hatte Corina ihre eigenen Familienerbstücke, die sie in ihre Verbindung mit einbrachte. Der diamantene Verlobungsring ihrer Urgroßmutter Del Rey war einmal im Smithsonian ausgestellt worden. Aber wie sehr Corina doch das Band liebte und den zärtlichen, süßen, romantischen Moment, an den es sie erinnerte. Sie hob die Hand hoch und lauschte …

»Ich gelobe dir meine Liebe und Treue, meine Ehre und mein Vertrauen. Ich gelobe, dich zu ehren, bis dass der Tod uns scheidet.«

Die Erbin und der Prinz. Sie waren füreinander bestimmt. In Liebe. Für immer. Sie würden es gemeinsam schaffen, würden den Tatsachen von Wohlstand und Macht trotzen, die ein Paar in diesen modernen Zeiten auseinander zu zerren drohten.

Ihre beiden Elternpaare führten liebevolle Beziehungen. Nun ja, ihre Eltern hatten jedenfalls eine liebevolle Beziehung geführt, bis Carlos starb.

Corina steckte das Band wieder zurück ins Kuvert. Wie hatte sie sich nur so in ihm täuschen können?

Im Umschlag steckte noch ein drittes Erinnerungsstück. Ein großes Farbfoto von ihnen beiden beim Militärball, am Abend von Stephens Heiratsantrag. Eine von Corinas Freundinnen hatte den Schnappschuss mit ihrem iPhone gemacht und ihr später geschickt. »Schön abspeichern, damit du es deinen Enkeln zeigen kannst: Der Abend, an dem du mit einem Prinzen getanzt hast.« Oh, sie ahnte ja nicht …