Kitabı oku: «Zenjanisches Feuer», sayfa 6

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Die Hilflosigkeit zerriss Geryim. Nichts unternehmen zu können, während einer der ihren um sein Leben kämpfte, war grausamer, als er sich je hätte vorstellen können. Warum griffen die anderen nicht ein? Warum richteten sie nicht eine der Schiffskanonen auf ein nahes Gebäude und setzten einen Warnschuss ab? Es hatte sich doch gar nichts geändert. Die Kinder waren immer noch in ihrer Hand. Das konnten die Zenjaner unmöglich vergessen haben.

Da huschte eine andere Bewegung durch Syvs Sichtfeld. Jemand stürmte die Treppe zum oberen Laderaum herauf. Jemand, der zwar keine Rüstung trug, dafür aber eines der wuchtigsten Breitschwerter, die Geryim je gesehen hatte. Auch wenn der Schatten des Mastes die Gestalt verbarg, wusste er, wem diese Klinge gehörte.

»Janis…«, flüsterte er tonlos. An seiner Seite vernahm er ein scharfes Einatmen und eine Frage, die er nicht verstand.

Obwohl ausnahmslos alle Assassinen an Deck standen – die meisten mit Bögen bewehrt –, bemerkte offenbar keiner von ihnen, was vor sich ging. Erst, als Janis die Freitreppe zum Steuerrad erklomm und von dort auf den Kai sprang, stieg ein vielstimmiger Schrei auf. Theasas Krächzen war am deutlichsten zu vernehmen.

Janis drohte niemandem und forderte niemanden heraus. Er lief mit gesenktem Kopf in die Menge hinein, als würde ihn sein ausgestrecktes Breitschwert nach vorn reißen. Geryims Knie wurden weich, als er das erste Blut aufspritzen sah. Es gehörte einem älteren Mann, der ungläubig auf die abgetrennte Hand zu seinen Füßen starrte, und sich nicht erklären konnte, wie sie dorthin gelangt war.

Für einen Augenblick wurde es still im Hafen. Den Stadtvätern standen die Münder offen und die Bewohner Zenjas starrten den Verrückten an, der so sorglos in ihre Mitte gesprungen war. Selbst der Tumult um Szaprey hatte nachgelassen.

Dann setzte eine Wellenbewegung ein. Ein erster Bürger trat einen Schritt nach vorn und stellte sich Janis entgegen. Ihm folgte ein weiterer. Dann zwei Frauen, die Dreschflegel in den Händen hielten. Das Letzte, was Geryim von Janis zu sehen bekam, war ein breites Grinsen. Dann wurde er von den Zenjanern überrollt.

Wie durch einen Schleier wurde Geryim Zeuge, wie sich der Kampf verlagerte. Plötzlich sah er Szaprey, der auf allen vieren die Planke hinaufkroch. Er erlebte mit, wie sich die Luke zum Laderaum schloss und die Henkersbraut fast im selben Moment den Anker lichtete.

Er wollte Theasa – oder wer immer den Befehl zum Auslaufen geben hatte – anschreien, sie daran erinnern, dass mit Janis das Herzstück ihrer Bruderschaft noch an Land war. Doch dann wurde ihm bewusst, dass niemand den Kampf gegen einen Mob überleben konnte. Nicht einmal einer von ihnen. Janis hatte sich für sie in die Bresche geworfen und Theasa würde nicht erlauben, dass sein Opfer vergebens war.

Geryim verlor den Zugriff auf Syvs Sinne, als ihn ein harter Schlag am Kinn traf. Sothorns erhobene Faust tauchte vor ihm auf und versprach weitere Prügel, wenn er nicht sofort zu sich kam.

»Red mit mir! Was geht da vor sich?«, forderte Sothorn zweifelsohne zum wiederholten Male.

In Geryim stieg eine Ernüchterung auf, wie er sie selten empfunden hatte. Teilweise fußte sie auf Erschöpfung. Er nutzte Syvs Augen selten so lange. Doch in erster Linie nährte sie sich aus Leere. Tatsächlich kam es ihm vor, als hätte ihm jemand ein Stück Fleisch aus der Brust gerissen und nichts als einen Hohlraum zurückgelassen.

»Janis ist tot.« Er war nicht in der Lage, die Wucht der Nachricht abzudämpfen oder zu erklären, dass Janis in diesem Moment vielleicht noch atmete, aber trotzdem unrettbar verloren war. »Die Henkersbraut verlässt gerade den Hafen.«

In Sothorns Augen spiegelte sich dieselbe schmerzhafte Verwirrung wider, die auch Geryim empfand. Ihm war anzusehen, dass ihm hundert Fragen auf der Zunge lagen. Geryim war dankbar, dass er sie nicht stellte, denn er hätte sie nicht beantworten können. Auch er konnte nicht fassen, was geschehen war, oder wie es dazu kommen konnte. Wie sollte er sich da jemandem erklären, der kein Augenzeuge gewesen war?

Sothorn fing sich zuerst. Er sah zu Boden, rieb sich heftig im Nacken, als hätte ihn ein besonders angriffslustiges Insekt gestochen, und murmelte dann: »Wir müssen die Kinder gehen lassen. Und dann von hier verschwinden.«

Geryim nickte schwerfällig. Es waren kluge Worte, wahre Worte, aber sie drangen nicht ganz bis zu ihm vor.

Deshalb war es Sothorn, der eine Fessel nach der anderen durchtrennte, Sothorn, der sich einen letzten Tritt von dem kampflustigen Mädchen einfing und ebenfalls Sothorn, der den Kindern sagte, dass sie nach Hause laufen sollten.

Geryim stand indessen wie in Eisfäden eingewoben an seinem Platz und sah hinaus auf das Ackerland. Mit einer befremdlichen Mischung aus Hass und Sorge fragte er sich, wie es um Szaprey stehen mochte. Er wollte keinen weiteren Freund verlieren. Gleichzeitig zuckten seine Finger vor Gier, sich um Szapreys haarige Kehle zu schließen. Ohne sein unbedachtes, eigenmächtiges Handeln wäre kein einziger Tropfen Blut vergossen worden. Genauso, wie Sothorn es sich gewünscht hatte.

Wenigstens hatten sie den Kindern nichts antun müssen. Geryim beobachtete, wie eines nach dem anderen an ihm vorbeistob. Sie rannten, als hätten sie an diesem Tag noch keinen einzigen Schritt getan. Ihr Anblick ließ ihn fast übersehen, dass sich in der Ferne etwas regte.

Gerade, als er die ersten Reiter bemerkte, die sich im Galopp auf ihren Standort zubewegten, sagte Sothorn neben ihm: »Sie kommen. Wenn sie erst auf die Kinder gestoßen sind, werden sie uns bald auf die Spur kommen.«

Wieder dauerte es zu lange, bis die Worte Geryims Verstand erreichten. Sothorn versetzte ihm einen Stoß. »Komm schon!«

Endlich erwachte er aus seiner Starre. Keine weiteren Toten, sang es in ihm und trieb ihn vorwärts. Erst mit einigen langsamen Rückwärtsschritten, dann, sobald Sothorn an seiner Seite war, im vollen Lauf und mit den Gipfeln vor Augen.

Anfangs hörten sie nichts außer ihrem eigenen Atem und dem Wind, der sich in den Berghängen verfing. Dann setzten fast gleichzeitig das ferne Trommeln von Pferdehufen und das Rauschen des Wasserfalls ein. Sie schrien sich gegenseitig an, um sich anzustacheln, und stützten sich, wenn einer von ihnen ins Straucheln geriet. Irgendwann gesellten sich zu dem Donnern der Hufe auch Rufe. Der Berg, der ihnen mit seinen unwegsamen Hängen jede Luft aus den Lungen trieb, wurde plötzlich zu ihrem Verbündeten, da er all seine Bezwinger gleichermaßen verlangsamte.

Als sie den Wasserfall erreichten, wagte Geryim einen Blick nach hinten. Ihre Verfolger hatten die Pferde zurücklassen müssen. Umso entschlossener arbeiteten sie sich den Hang hinauf und übersprangen mit Leichtigkeit Hindernisse, die Geryim und Sothorn nur mit Mühe überwunden hatten.

»Wir schaffen es nicht«, behauptete Sothorn plötzlich atemlos. Seine Stimme drohte im Rasseln seines Keuchens unterzugehen. Oder war es Geryims Herz, das so laut schlug, dass es alles andere auszulöschen drohte?

Zu ihren Füßen schoss das Wasser in die Tiefe. Es traf auf mehrere Felsstufen mit niedrigen Wasserbecken, bevor es sich weiß schäumend ins Meer ergoss. Hinter ihnen näherten sich die wütenden Zenjaner.

»Wir müssen.« Geryim wusste nicht, woher er seine Entschlossenheit nahm. Alles, was er wusste, war, dass er nicht aufgeben konnte. Nicht, nachdem er endlich den ersten Schritt zu seinem wahren Selbst getan hatte. Nicht jetzt, da er endlich haben konnte, was ihm bisher schmerzhaft gefehlt hatte.

Sothorn erwiderte nichts. Sein Umhang war auf der Bergwiese zurückgeblieben, sodass er stärker denn je der winterlichen Luft ausgesetzt war. Geryim beneidete ihn darum. Sein eigener Umhang schnürte ihm die Luft ab und würde wie ein Amboss an seinen Schultern hängen, wenn er erst mit Wasser getränkt war. Aber er konnte es sich nicht leisten, ihn aufzuschnüren. Er konnte sich überhaupt keine Verzögerungen mehr leisten.

Sothorn schien zu demselben Schluss gekommen zu sein. Er lächelte dünn. »Hoffen wir, dass Gor weiterhin ein Auge auf uns hält.« Dann machte er sich rückwärts an den Abstieg zur ersten Felsenstufe. Geryim ließ ihm einen kleinen Vorsprung, dann folgte er ihm.

Sie wussten beide, dass ihnen nicht genug Zeit blieb. Es war nicht zu übersehen gewesen, dass einige der Zenjaner lange Jagdbögen mit sich führten. Es ging ihnen gar nicht darum, die Küstenlinie zu erreichen. Nur darum, so viel Höhe wie möglich hinter sich zu lassen.

Irgendwann schwirrten ihnen die ersten Pfeile um die Ohren. Der Winkel, in dem die Schützen auf sie anlegten, war zu ungünstig, als dass ihnen ein Blattschuss gelingen konnte. Doch wenn sie nur genug Pfeile abschossen, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie irgendwann trafen oder sie so sehr störten, dass sie fehlgriffen. Der Wasserfall hatte sie bereits zweimal erfasst und mit jedem Griff an den schlüpfrigen Stein verlor Geryim weiter an Gefühl in den Händen.

Dann schrie Sothorn auf. Angst legte sich fest um Geryims Herz und drohte, es zu zerquetschen. Er sah Sothorn bereits getroffen den Halt verlieren und in die Tiefe stürzen. Doch stattdessen stellte er fest, dass Sothorn ihm etwas zeigen wollte. Er hatte sich eng an den Felsen gedrängt und deutete in die Ferne. Da entdeckte Geryim, was seine Aufmerksamkeit geweckt hatte: Hinter der Südspitze der Insel waren die Segel der Henkersbraut aufgetaucht.

Geryim blickte zwischen seinen zitternden Armen hindurch in die Tiefe. Vor ihm türmte sich schwarzer Stein wie eine Wand auf. Die letzte Felsstufe war ganz nah. Er suchte Sothorns Blick und hob fragend die Brauen. Die Antwort bestand aus einem zähen Grinsen.

Beinahe zeitgleich setzten ihre Füße auf. Auf der untersten Felsstufe angekommen, wateten sie durch das reißende Wasser. Sobald sie die Kante erreichten, sahen sie sich an. Geryim wollte nichts mehr, als Sothorn zum Abschied zu küssen. Aber die Bogenschützen würden gleich wieder anlegen und sie hatten ihr Glück an diesem Tag bereits weidlich herausgefordert.

Also beließen sie es bei einem Nicken und einem unausgesprochen Versprechen.

Dann sprangen sie.

Kapitel 6

Im Hort

Thalid hastete durch die weitläufigen Gärten, vorbei an dem halb zerfallenen Gebäude, in dem einst ein Lehrsaal beheimatet gewesen war, und über den Brunnenplatz auf die Bibliothek und den angeschlossenen Turm zu. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie verschlafen hatte. Sonst konnte sie sich immer auf ihr Zeitgefühl verlassen. Doch an diesem Morgen war sie erst zu sich gekommen, als die ersten Novizen vom Frühstück zurückgekehrt waren.

Da sie nicht wie ein aufgescheuchter Donnervogel durch die Bibliothek rennen wollte, umrundete sie das Gebäude und hielt auf den Hintereingang des sogenannten Horts zu. Normalerweise gingen dort nur die Angestellten ein und aus, aber Thalid nahm lieber den Spott der anderen Novizen in Kauf, die ihr nachriefen, dass sie endlich ihren wahren Platz eingenommen hätte, als sich weiter zu verspäten. Es gab zu wenige Menschen in der Akademie, die ihr zugetan waren, als dass sie einen von ihnen verärgern wollte.

Die lange Wendeltreppe schien für kleinere Menschen gebaut worden zu sein. Die Stufen waren so schmal, dass Thalids Ferse ständig über den Rand stand. Auf jedem Stockwerk lief sie an einer offenen oder geschlossenen Tür vorbei und verfluchte die Tatsache, dass ihr Ziel ganz oben unter dem kegelförmigen Dach liegen musste.

Als sie endlich den letzten Treppenabsatz erreichte und schlitternd zum Stehen kam, rann ihr der Schweiß über den Rücken und sie war nicht nur hungrig, sondern fühlte sich auch sehr unwohl in ihrer ungewaschenen Haut. Aber da dies spätestens in einer halben Stunde keine Rolle mehr spielen würde, klopfte sie an die Tür und trat ohne eine Antwort abzuwarten ein.

Sofort waberten ihr Rauchfäden entgegen. Sie kräuselten sich um die zahlreichen Glaskolben, umrundeten das Stehpult für die Rezeptbücher und zogen in unnatürlichen Schleifen und Wirbeln hoch zu den Dachluken.

Genau wie Thalid befürchtet hatte, war Magistra Quellfang bereits bei der Arbeit. Geschäftig eilte sie zwischen Werkbänken und Regalen mit Ingredienzien hin und her, schürte hier eine Flamme, rührte dort in einem irdenen Topf, wog Kräuter und Goldstaub ab und erledigte damit einen Gutteil der Arbeit, die in Thalids Aufgabenbereich fiel. Mit heißen Wangen nahm sie ihre Lederschürze vom Haken und band sie sich um, bevor sie dem Beispiel ihrer Mentorin folgte.

»Du bist zu spät«, empfing sie Thalid an der kleinen Esse.

»Ich weiß. Es tut mir leid, Magistra Quellfang.«

»Gibt es einen guten Grund?« Für eine so zierliche Frau hatte sie eine erstaunlich tiefe Stimme.

Thalid war versucht, sich eine Geschichte einfallen zu lassen, warum sie unmöglich pünktlich ihren Dienst hatte antreten können. Doch sie nahm Abstand von dieser Idee. Es war nie klug, einen Magier anzulügen. Nicht alle waren in höherer Geistmagie geschult, aber die meisten waren dennoch in der Lage, Lüge von Wahrheit zu unterscheiden. Menschenkenntnis und die daraus entstehende Befähigung zum Intrigieren standen zwar nicht auf dem umfangreichen Stundenplan der Akademie, gingen ihnen jedoch allen früher oder später in Fleisch und Blut über.

»Nein«, gestand sie daher. »Ich habe einfach verschlafen.« Als sie keine Antwort erhielt, wiederholte sie: »Es tut mir leid, Magistra Quellfang.«

»Entschuldigungen bringen mich nicht weiter. Ich kann sie schließlich kaum weiterreichen, wenn sich die Herrin Krondorf erkundigt, wie es um ihre Bestellung steht.« Ein schlanker Finger tauchte vor Thalids Nase auf, sodass sie zurückzuckte. »Und ich habe dir schon ein Dutzend Mal gesagt, dass ich keinen Wert auf Titel und Namen lege. Das eine ist meine Berufung, die werde ich wohl kaum vergessen. Und den Namen habe ich mir nicht verdient, sondern bin mit ihm geboren worden. Also fühle ich mich nicht gleich in meiner Ehre gekränkt, wenn man ihn weglässt.«

Zum dritten Mal innerhalb weniger Minuten lag Thalid eine Entschuldigung auf der Zunge, aber sie wusste es besser, als sie auszusprechen. Das hätte ihr nur eine weitere Standpauke eingebracht. »Ja, Venika«, sagte sie stattdessen. »Soll ich nach den Silberfassungen von gestern sehen?«, fügte sie sofort hinzu, um nicht untätig zu wirken.

Venikas üppiger Mund verzog sich ungnädig. »Nein, das habe ich schon erledigt. Wasch lieber die Mörser aus. Und bau die Ölpresse auf. Uns gehen die Vorräte an Würzölen aus. Wenn wir nicht bald für Nachschub sorgen, werden uns die feinen Damen und Herren wieder in den Ohren liegen.«

Thalid deutete eine Verbeugung an, dann nahm sie sich ihrer ersten Aufgaben für den Tag an. Während sie wie angeordnet den Mörser auswusch, dachte sie darüber nach, wie abfällig Venika stets von den Reichen des Landes sprach. Von ihnen und manchmal auch von den Magiern, die sich ihrer Meinung nach allzu viel auf ihre Namen einbildeten.

Die wenigsten Menschen in Sunda führten einen Nachnamen. Nur die Handelsherren und reiche Gildenvorsteher trugen einen als Manifestation ihrer Stellung. Und manchmal – wie in Venikas Fall – auch ihre Nachkommen. Dass den Magiern, die ihre Abschlussprüfungen bestanden hatten, dasselbe Privileg zustand, war eine uralte Tradition und entsprechend verbissen verharrten die meisten darauf, mit vollem Namen und Titel angesprochen zu werden.

Venika nicht. Sie stellte sich gegen vieles, was Tradition und guten Sitten entsprach. So hieß es, dass sie sich vor einigen Jahren geweigert hatte, den Titel der Großmeisterin der Luft anzunehmen – etwas, was als ganz und gar unerhört galt. Zum Großmeister einer der sechs Magieschulen berufen zu werden, war eine ungeheure Ehre und der Traum aller Magier. Und doch hatte Venika dankend verzichtet und war in ihre stets nach geschmolzenem Teer und Qualm riechende Werkstatt zurückgekehrt.

Darüber hinaus weigerte sie sich, Aufträge von Handelsherren anzunehmen, die sie nicht mochte, schlug die zahlreichen Bitten, ihr den Hof machen zu dürfen, mit eisiger Empörung aus und hatte sich ausgerechnet die unfähigste Novizin der Akademie als Gehilfin erwählt.

Eine Novizin, der es nicht einmal gelingt, morgens pünktlich aus dem Bett zu kommen, dachte Thalid missmutig, während sie angetrocknete Pflanzenreste aus den Mörsern schrubbte.

Sie verstand Venikas Wahl bis heute nicht und darin war sie sich mit den übrigen Magiern und Novizen ausnahmsweise einig. An einem Ort, an dem Feuer ein zuverlässiges Werkzeug sein musste, war sie nicht gut aufgehoben. Bisher hatte sie keinen Zwischenfall verursacht. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis ihre Kräfte mit ihr durchgingen und sie das Dach des wichtigsten magischen Gebäudes der Welt in Brand setzte.

Venika eilte an ihr vorbei. Wie so oft hatte sich ein Großteil ihrer braunen Lockenpracht aus dem Knoten an ihrem Hinterkopf gelöst und flatterte unbändig hinter ihr her. Wie es ihr gelang, die langen Strähnen aus siedenden Tränken, geschmolzenem Metall und Flammen herauszuhalten, war Thalid schleierhaft. Sie selbst hielt ihr Haar nicht grundlos so kurz geschoren, dass es ihr nicht in die Quere kommen konnte.

Sie unterdrückte ein Seufzen. Ihre Hände verharrten im schmutzigen Wasser.

Manchmal – und heute schien ein solcher Tag zu sein – wurde ihr in Venikas Gegenwart die eigene Unzulänglichkeit bewusster denn je. Ihre Dienstherrin hatte und war alles, was Thalid fehlte. Sie war eine hoch talentierte Magierin, die sich für einen ungewöhnlichen, aber selbstbestimmten Weg entschieden hatte, war trotz ihrer manchmal barschen Art bei den Kollegen und Novizen beliebt, von reicher Herkunft, sodass sie als Kind sicher keinerlei Entbehrungen erfahren hatte, und zudem mit ihrer zierlichen Gestalt und dem ausnehmend filigranen Gesicht eine Schönheit, die alle Blicke auf sich zog.

Letzteres sollte in Thalids Überlegungen keine Rolle spielen, das war ihr sehr wohl bewusst. Nur dachte sie oft heimlich, dass ihr Leben leichter wäre, wenn sie Venika wenigstens äußerlich etwas ähnlicher gewesen wäre. Dann wäre sie immer noch für ihre Unfähigkeit, auch nur eine Pfütze aufzuwischen, ausgelacht worden, aber man hätte sie wenigstens nicht als Wüstentrampel beschimpft. Sie bot der Welt schlicht zu viel Angriffsfläche, genau wie die Strohpuppen vor der Kaserne der Stadtwache, deren einziger Zweck es war, sich von Armbrustbolzen durchlöchern zu lassen.

Die Ungerechtigkeit nährte einen der zahlreichen Funken in Thalids Innern und ließ Ärger keimen. Sie war nicht ohne Talent. Bei ihrem Einstand hatte man ihr großes Potenzial bescheinigt. Nur ließ es sich trotz größter Mühe in keine Form zwingen, die irgendjemandem von Nutzen war. Die anderen Magier heilten Kranke, beschworen Elementare, leiteten Flüsse um, riefen Winde in leere Segel, schufen Frieden in rastlosen Seelen oder ließen Pflanzen wachsen.

Worin lag der Sinn ihrer Macht? Darin, innerhalb eines Tages ein ganzes Waldstück zu roden? Oder einen Stadtteil abzubrennen, der neu aufgebaut werden sollte? Früher, ja, da hatte man solche wie sie für das Schlachtfeld ausgebildet, hätte sie sogar hofiert, damit sie Feuer vom Himmel fallen ließen.

Doch die Zeit der beständigen Kriege war vorüber. Die letzten Kampfmagier waren längst tot und vergessen. Wenn sich die Handelsherren in ihrer Gier nach Reichtum und Landbesitz in die Quere kamen, setzten sie niederes Gelichter wie Meuchelmörder ein. Für Thalid gab es keine Verwendung.

Die meiste Zeit über konnte sie sich damit abfinden, wenigstens keinen Schaden anzurichten, wenn sie schon nichts Gutes zuwege brachte. Aber ab und zu, tief in der Nacht und wenn die Novizen sie besonders hartnäckig beleidigt hatten, wünschte sie sich die alten Zeiten zurück. Dann stellte sie sich vor, gemeinsam mit einer Eskorte aus blutrünstigen Kampfpriestern des Qorton in eine feindliche Stadt einzufallen und ein Haus nach dem anderen in Flammen aufgehen zu lassen. Nur ein einziges Mal wollte sie ihre Kräfte entfesseln – nicht zurückhalten – und die Welt zahlen lassen. Für jede Beleidigung, jeden abfälligen Blick, jedes Kichern hinter ihrem Rücken. Meistens unterbrach sie ihre gewalttätigen Träumereien in dem Augenblick, in dem sie merkte, dass sie keineswegs eine fremde Stadt überfiel, sondern durch ein brennendes Auralis zog.

Ein Tropfen rollte von Thalids Nase und fiel ins Schmutzwasser. Im ersten Augenblick hielt sie ihn für eine Träne. Dann wurde ihr bewusst, dass das Wasser um ihre Hände brodelte und sich Dampf auf ihrem Gesicht abgesetzt hatte. Erschrocken besann sich Thalid ihrer Lektionen in Selbstbeherrschung und schloss den Quell, der ungebeten in ihr aufgesprungen war.

Während das Wasser abkühlte, sah sie sich verstohlen um. Venika schien nichts von dem Zwischenfall bemerkt zu haben. Das war wenigstens ein kleiner Segen. Als Thalid sich wieder den Mörsern zuwandte, stellte sie fest, dass zwei von ihnen durch die Hitze verformt worden waren.

Die folgenden Stunden verbrachte sie mit einer Reihe Arbeiten, die eher in einen Handwerksbetrieb als in eine Akademie passten. Sie schnitt die gelblich schimmernden Schoten getrockneter Pflanzen auf, gab sie in die kleine Ölpresse und drehte die Kurbel so lange, bis ihr von den aufsteigenden Gerüchen die Augen tränten. Sie holte Feuerholz aus dem Zwischenlager auf der vierten Ebene, half Venika, die Fassung für einen verzauberten Goldring zu gießen, und schrieb mehrere Rechnungen für geleistete Dienste. Die Anbringung eines szeneda – einer Dämonenfratze, die bei Einbruch zu schreien begann – an der Tür eines Geldverleihers hier, die Anfertigung eines Talismans, der seinen Träger gegen Gifte schützte, dort. Das tägliche Einerlei einer Akademie, die sich dem Geld verschrieben hatte.

Gegen Mittag zeigte Venika Mitleid mit dem laut knurrenden Magen ihrer Gehilfin und sandte eine Nachricht in die Küche. Kurz darauf verspeisten sie gemeinsam ein deftiges Mahl aus frischem Brot, Käse und einem Eintopf, der so dick war, dass beinahe die Löffel darin stehen blieben. Thalid gab sich Mühe, nicht allzu sehr zu schlingen, aber Venikas feines Lächeln verriet, dass es ihr nicht gelang. Dass die Magierin während des Essens mit ihr über den neuesten Tratsch aus der Arena sprach, entschädigte sie jedoch. Offensichtlich war ihr das Zuspätkommen verziehen worden.

Obwohl Thalids Stundenplan vorsah, am Nachmittag gemeinsam mit anderen Novizen ins Labyrinth zu gehen und ihre erbärmlichen Schwebezauber zu verbessern, bat Venika sie, bis zum Abend zu bleiben. Es stünde zu viel Arbeit an und sie wisse nicht, wie sie diese ohne Hilfe bewältigen solle.

Thalid stimmte dankbar zu. Zum einen blieb ihr dadurch ein Nachmittag voller Demütigungen erspart. Zum anderen war dies einer der wenigen Augenblicke, in denen sie einen Sinn in ihrer Anwesenheit in der Akademie sah.

Sollten die anderen doch behaupten, dass Venika sie nur deshalb bei sich haben wollte, weil sie sich gern mit hässlichen Kröten umgab, um selbst heller zu strahlen. Oder dass sie, die für ihre Liebe zu Männern und Frauen gleichermaßen bekannt war, nur dann konzentriert arbeiten könne, wenn ihre jeweilige Hilfskraft keine Verlockung darstellte. Beides mochte stimmen.

Aber Venika hatte sie, die nutzlose Thalid, gebeten, länger zu bleiben, damit sie ihre Aufträge pünktlich ausliefern konnte. Das konnte ihr niemand wegnehmen.

Der Tag neigte sich bereits dem Ende zu, als der letzte Halbedelstein mit einem mächtigen Verschleierungszauber besprochen war. Venika verstaute die Halskette behutsam in einem Kästchen aus matt schimmerndem Holz und ließ mit einem leisen Seufzen den Deckel zufallen.

»Das wäre geschafft«, verkündete sie. Unter ihren ausdrucksstarken Augen zeigten sich Schatten. Sie hatte über den Tag Unmengen ihrer Kraft in ihre Werkstücke einfließen lassen. »Lass uns noch Ordnung in das Durcheinander bringen, dann soll es gut sein.«

Thalid ging zu der Wandvorrichtung mit den langen Hebeln, um die Luken im Dach zu schließen. Das Feuer in der Esse war bereits erloschen, die letzten Tränke von der Flamme genommen worden. Nur eine Handvoll Kerzen brannten in ihren Seen aus Wachs und warfen tanzende Gestalten auf die Bücherregale.

Venika übernahm es selbst, die Tische von Steinstaub und anderen Überbleibseln ihrer Arbeit zu befreien. Thalid wusch ein zweites Mal an diesem Tag sämtliche verschmutzten Gefäße ab. Bis sie damit fertig war, war die Sonne untergegangen und sie zu ihrer Überraschung allein im Turmzimmer. Mit gerunzelter Stirn sah sie sich um, ob Venika nicht doch in einer dunklen Ecke zugange war. Doch als sie sie nicht entdeckte, zuckte sie die Schultern und setzte ihre Arbeit fort. Bis auf das Holzpodest mit dem Stehpult hatten sie inzwischen alle Bereiche aufgeräumt.

Also nahm Thalid sich der zahlreichen, in Leder gebundenen Folianten an und sortierte sie in die im Raum verteilten Regale ein. Zum Glück war keines von ihnen so hoch wie jene in der Bibliothek, sodass sie die obersten Bretter auch ohne Hilfe eines Zaubers erreichen konnte. Mehr als einmal hielt sie inne, um einen Titel zu lesen, oder ein Buch beiseitezulegen, weil sein Einband dringend der Arbeit eines Buchbinders bedurfte. Papier und Werkstätten, in denen ständig Dampf oder Rauch in der Luft stand, vertrugen sich nicht gut miteinander.

Thalid war fast fertig, als ihr auffiel, dass in einem Regal die ganze unterste Reihe umgefallen war. Ein paar Schriftrollen drohten, in ihren Lederhüllen zerquetscht zu werden. Da sie es nicht eilig hatte, kauerte sie sich auf die Knie und zog die Schriftstücke hervor, um sie neu zu ordnen.

Sie erkannte rasch, dass es sich um auffallend alte Werke handelte. Fasziniert zeichnete sie die geschwungenen Buchstaben auf den Umschlägen und Hüllen nach. Sie waren ihr gänzlich fremd.

Thalid griff blind zum nächsten Buch und wunderte sich, dass ihre Hand etwas Kaltes streifte. Als sie den mächtigen Folianten in ihren Schoss hob, stellte sie fest, dass er seitlich mit einer Schließe versehen war. Die fremdartige Machart weckte ihre Neugier und sie drehte sich zur Seite, damit das Kerzenlicht den Einband besser ausleuchtete. Es fing sich auf der glänzenden Bronze der Schließe, die am Rand den grünen Schimmer des Alters angenommen hatte und darüber hinaus nur noch lose ins Umschlagleder eingelassen war.

Thalid stieß ein ungehaltenes Brummen aus. Die ehrenwerte Magistra Quellfang mochte eine Künstlerin sein, was verzauberte Schmuckstücke und Schutzvorrichtungen anging, aber ihr Umgang mit Büchern war sträflich.

Mit dem Folianten in den Armen stand Thalid auf und ging hinüber zum Stehpult, wo bereits andere beschädigte Bücher auf Rettung warteten. Sie legte ihren jüngsten Fund dazu und wollte sich schon abwenden, als ihr ein paar Kratzspuren in der Schließe auffielen. Sie wirkten zu regelmäßig für eine Beschädigung und bildeten sie nicht ein Zeichen, das ihr vage vertraut war?

Thalid nahm einen nahen Kerzenhalter an sich und hielt ihn näher an das Pult, sorgsam darauf bedacht, dass weder Wachs noch Flamme zu nah ans Pergament gerieten. Im hellen Lichtschein erwies sich die Schließe als noch fremdartiger als zuvor im Halbschatten. Die Bronze selbst schien auf eine Art gegossen zu sein, die Thalid nie zuvor gesehen hatte. Die vermeintlichen Kratzspuren erwiesen sich als eine vom häufigen Berühren abgetragene Schutzrune. Sie sah fast genauso aus wie jene, mit denen Venika Türen und versteckte Durchgänge vor fremden Augen und Zugriffen zu bewahren wusste.

Allerdings ahnte Thalid, dass Rune, Buch und Schließe zu beschädigt waren, als dass der Schutzzauber gehalten hätte. Sie zögerte, dann schob sie zwei Finger unter die Schließe und zog vorsichtig an der fein geschmiedeten Kette, die die Buchdeckel zusammenhielt. Genau wie vermutet gab die obere Hälfte nach und glitt widerstandslos vom Umschlag ab. Das Leder darunter hatte sich so weit zersetzt, dass jeder Versuch, das Buch vor unerwünschtem Zugriff zu schützen, vergebens war.

Eine Schande, dachte Thalid. So viel Mühe und nun scheitert alles daran, dass das Leder verrottet.

Sie strich an der Schnittkante des Buchs entlang. Das Pergament fühlte sich brüchig an. Vielleicht handelte es sich um ein Werk, von dem man besser eine Abschrift anfertigte, bevor es zu Staub zerfiel? Sicherheitshalber schlug sie das Buch auf, um den Zustand der einzelnen Seiten zu prüfen.

Ihr Blick traf auf geschwungene Buchstaben, die sich dunkelgrün vom gelblichen Untergrund abhoben. Im Gegensatz zu den Werken in der Bibliothek handelte es sich nicht um die Arbeit eines Meisters, der sorgsam Wort für Wort zu Papier brachte. Stattdessen ergoss sich die Schrift so ungestüm und schief über das Pergament, als wäre der Text in großer Eile verfasst worden.

Ohne sich bewusst dafür entschieden zu haben, begann Thalid zu lesen. Anfangs waren es nur einzelne Satzfragmente, die auf sie eindrangen. Dann, als sie merkte, dass es sich um eine Geschichte statt um ein alchemistisches Rezept oder die Anleitung eines Zaubers handelte, ließ sie sich von ihr gefangen nehmen.

… schien es fürwahr, als wäre das ganze weite Land ihr Tummelplatz, die saftigen Wiesen der Südländer wie die weiten Wälder des Nordens. Unter ihrer Hand gedieh, was wachsen wollte, und blühte, was sie erfreute. Ihre Gedanken waren von einer solchen Kraft und Reinheit, dass sie weithin trugen und jedes Herz, das sie berührten, veränderten. Es lässt sich zweifelsohne sagen, dass sich nie eine größere…

Das Buch schlug zu. Thalid, die ihm mit der Nase ähnlich nah gekommen war, wie Barim es zu tun pflegte, sprang rückwärts. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, sah sie sich Venika gegenüber. Sie erschrak angesichts des unverhohlenen Zorns in den Augen der Magierin.

»Wie kannst du es wagen?«, fuhr Venika sie an. »Wie kannst du es wagen, dich an meinen ältesten Schriften zu vergreifen? Ihre Schließen aufzubrechen? Dir Wissen anzueignen, das dir nicht zusteht?«

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