Kitabı oku: «Die moderne Erlebnispädagogik», sayfa 2

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Abschließend an dieser Stelle noch eine Beschreibung von Werner Michl:

Da sie nur eine Methode ist, hat sie zu einer sehr wichtigen Diskussion über pädagogische Zielsetzung geführt.

 Das Prinzip des „Learning by doing“ ist in der Erlebnispädagogik am konsequentesten verwirklicht worden.

 Auch die Diskussion über Führung, Leitung, Verantwortung, kurzum über eine Ethik des Erziehens ist durch sie neu belebt worden.

 Die Begründung einer neuen Spielpädagogik, die sich mit dem Terminus „kooperative Abenteuerpädagogik“ beschreiben lässt und die Entdeckung pädagogischer Möglichkeiten der Stadt ist ihr Verdienst.

 Schließlich ganzheitliches Lernen: Lernen mit Kopf, Herz und Hand ist nicht nur der Leitspruch von Johann Heinrich Pestalozzi, sondern auch von Kurt Hahn, dem Begründer der modernen Erlebnispädagogik.

 Und ein letzter Hinweis: der Dienst an der Gemeinschaft und das Projektlernen haben so eine Renaissance erfahren.31

1.2 Erlebnispädagogischer Grundwortschatz

Die erlebnispädagogische Literatur verfügt über einen Grundwortschatz, dessen sie sich bedient um Erlebnispädagogik zu definieren. Dabei werden unterschiedliche Merkmale genutzt, um sowohl ganze Programme, als auch einzelne Aktivitäten zu beschreiben.32

Michael Ernst versucht die begrenzte Aussagekraft einzelner Definitionen für das heterogene Feld der Erlebnispädagogik durch das Postulat eines „Grundwortschatzes“ zu umgehen. Diese Verfahrensweise erscheint sehr vielversprechend, um das heterogene Feld zu beschreiben. Denn im Gegensatz zu den notwendigen Einschränkungen und Präzisierungen bei Definitionen lassen sich durch diese Wortfelder einzelne Aspekte sehr dicht beschreiben. Wendet man diese Verfahrensweise auf die vorherigen Definitionen an, lässt sich der folgende Wortschatz generieren. Dabei wurde versucht diesen Wortschatz „sinnvoll“ zu strukturieren, wobei je nach Fokus vollkommen andere Stichwörter und Kombinationen der Beschreibung entstehen. Handelt es sich auch nicht um eine exakte wissenschaftliche Methode, ermöglicht sie doch einen sehr guten Einstieg in die Welt der „erlebnispädagogischen Leitbegriffe“:


Art der Pädagogikmoderne Erlebnispädagogik neue Spielpädagogik Indoor-Pädagogik Outdoor-Pädagogik kooperative Abenteuerpädagogik Outdoor-Training in der Reformpädagogik verwurzelt
Zielepädagogische Zielsetzung pädagogisch zielgerichtet pädagogisch zielgerichtet in einem Konzept erzieherisch definiert pädagogischem Zweck dienend ökologischer Bildungsanspruch betrieblicher Zweck betrieblich relevante Eigenschaften betriebliche Qualifikation Qualifikationsziel auf praktische Umsetzung ausgerichtet Vermittlung außerfachlicher Qualifikationen Ziel Teamentwicklung Persönlichkeitsentwicklung präventiver, sozialpädagogischer und/oder therapeutischer Einfluss auf die Persönlichkeitsentfaltung
Art der Veranstaltungaußerschulische Bildungsarbeit Outdoor-Seminare Seminar naturbezogene Weiterbildungsmaßnahme Schulung und Ausbildung
Lernenintensives und nachhaltiges Lernen Lernen mit Herz, Hand und Verstand Erlebnis als zentrales pädagogisches Mittel des Lernens Learning by doing exemplarischer Lernprozess handlungsorientiertes Lernen soziales Lernen rezeptive Lernmethoden Erlebnis als pädagogisches Lernmittel ganzheitliche (emotional, motorisch und kognititve) Lernprozesse Projektlernen
Didaktische GestaltungErnstsituation Ernstcharakter ernsthafte Situationen/unausweichliche Situationen Echtheit der Aufgabe Echtheit der Situation real und nicht spielerisch Konsequenzen des Handelns Herausforderung physisch/psychisch/soziale Herausforderung räumlich und sozial herausfordernd herausfordernde Situationen überraschende Situationen Trainingssituation subjektiv schwer ungewohnte/bewältigbare Anforderungen nicht unüberwindliche Anforderung (sozialer) Aufforderungscharakter Grenzerkundung/Grenze Rahmen/Inhalt/Methode muss auf Zielgruppe und Ziel abgestimmt sein förderlicher Rahmen
Ausrichtungganzheitlich körperlich/emotional/kognitiv handlungsorientiert erlebnisorientiert trainieren
Methode(n)handlungsorientierte Methode erlebnisorientierte Methode Methoden der Sozialarbeit Methoden der Psychotherapie ungewöhnliche Methode
ArbeitsebeneEinzelne/Gruppe Einzelperson im Rahmen der Gruppe Auseinandersetzung mit sich selbst Auseinandersetzung mit der Gruppe Auseinandersetzung mit der Natur Personen und Gruppe zum Handeln bringen Selbstverantwortung/Gruppenverantwortung Gruppe Gruppenentscheidungen Gruppe in Kooperation Gruppensteuerung Unterstützung durch die Gruppe Individuum individuelle Entscheidungen individuelle Grenzen individuelle Erlebnisse personale Erlebnisse Persönlichkeit Persönlichkeitsentwicklung Einzelne/Natur Aufgabe/Natur/Gruppe Natur/Erlebnis/Gemeinschaft Erlebnis/Gruppe/Natur
Form der Aktivitätensportliche Aktivitäten Natursportarten primär natursportliche Unternehmungen bewegungs- und sportbezogene Aktivitäten für alle zumutbare Aktivitäten Outdoor-Aktivitäten soziale Aktivitäten musisch-kreative Aktivitäten organisatorische Aktivitäten künstlerisch/musisch/kulturell/technischer Bereich
Ortim Freien „außer Haus“ Outdoor Natur Natur als Medium natürliche Umwelt wenig beeinträchtigte Natur naturnaher und pädagogisch unerschlossener Raum Seminarraum Indoor
AlternativeAlternative zu tradierten/etablierten Erziehungs- und Bildungseinrichtungen Ergänzung zu tradierten/etablierten Erziehungs- und Bildungseinrichtungen kein traditioneller Ansatz Zusatzangebot ungewöhnliche Methoden kreative Problemlösungsansätze außergewöhnliche Resultate ausprobieren Seminarraum entfliehen Erlebnispädagogik gewinnt in dem Maße neuerlich an Bedeutung, je mehr sich Schul- und Sozialpädagogik kreativer Problemlösungsansätze verschließen … sucht Erlebnispädagogik neue Wege außerhalb bestehender Institutionen als Ergänzung … neue Ansätze innerhalb alter Strukturen wieder zu finden

1.3 Wissenschaft, Methode, Verfahren oder pädagogische Grundhaltung?

Eine wesentliche (wissenschaftliche) Frage in der modernen Erlebnispädagogik ist die, ob es sich bei der Erlebnispädagogik um eine Wissenschaft oder um eine Methode handelt. Argumente für eine Erlebnispädagogik als (Teil)Wissenschaft liefert Jörg Ziegenspeck:

„Erlebnispädagogik“ als „(Teil)Wissenschaft“ 33

Wenn Erlebnispädagogik als (Teil)Wissenschaft definiert wird, kann verallgemeinert werden, dass eine Wissenschaft selbst nie gleichzeitig auch Methode sein kann. Was für die Medizin, Theologie oder Betriebswirtschaft gilt, gilt daher auch für die Erlebnispädagogik: wird in den aufgezählten Disziplinen von Methoden gesprochen, sind die der jeweiligen Disziplinen theoretisch und praktisch verpflichtet gemeint (z.B. spricht man von sozialwissenschaftlichen Methoden, nie aber von der Sozialwissenschaft als einer Methode, von medizinischen Behandlungsmethoden, von Forschungsmethoden in den jeweiligen wissenschaftlichen Disziplinen). Mit anderen Worten: auch die Erlebnispädagogik hat ihre eigenen Methoden und wird im Zuge ihrer weiteren Entwicklung und differenzierenden Ausgestaltung spezifische Methoden zu entwickeln wissen.

Betrachten wir also die „Erlebnis-Pädagogik“, bedeutet dies, dass wir uns in einer speziellen wissenschaftlichen Disziplin mit seiner speziellen Gegenstandskonstruktion (Was wird innerhalb dieser Disziplin wissenschaftlich betrachtet) und speziellen Wegen der Erkenntnisgewinnung (Wie gelange ich zu wissenschaftlichem Wissen) bewegen.

Dies bedeutet aber zumeist auch, dass im Rahmen der Pädagogik wissenschafltiches Wissen generiert wird und nicht explizit praktisches Wissen (Theorie-Praxis Problem)


Erlebnispädagogik als „Verfahren“

Ein anderer Ansatz ist, die Erlebnispädagogik als „Verfahren“ zu beschreiben.

Ein Verfahren nenne ich einen in sich konsistenten Handlungsansatz zur Steuerung anspruchsvoller Beziehungsarbeiten (…) Ein Verfahren enthält nicht nur eine Theorie fachlichen Handelns (Praxeologie) – wie etwa eine Methodik – sondern auch Theorien und Konzepte zur Integration der Geschehnisse, mit denen sie befasst ist (Interpretationsfolien) und vor allem eine Philosophie, die dieses Handeln begründet und rechtfertigt.34


Ein Verfahren ist also ein stringenter Handlungsansatz mit einem speziellen Philosophie-Theorie-Praxis Verhältnis. Viele erlebnispädagogische Ansätze, die mit einem Copyright geschützt sind, können als Verfahren dargestellt werden. Betrachtet man die Internetauftritte solcher Ansätze folgen diese dem oben dargestellten Verfahrensschema (Wer sind wir, Unsere Philosophie, Was ist Erlebnispädagogik, Wie gehen wir vor), wobei aber die philosophisch-theoretisch-methodischen Ansätze durchaus aus ganz unterschiedlichen Bereichen stammen können. Es ist Aufgabe des Verfahrens diese Unterschiedlichkeiten zu einem stringenten Ganzen zu formen. Als praktisches allgemeines Beispiel sei hier das Verfahren des Neurolingusitischen Programmierens (NLP) genannt, in dem die unterschiedlichsten therapeutischen/kommunikationstheroretischen Ansätze zu einem neuen in sich schlüssigen Verfahren zusammengefasst wurden. In der Erlebnispädagogik wäre die Erlebnistherapie von Hahn ein Beispiel für ein erlebnispädagogisches Verfahren (vgl. Kapitel 10 Systematik der modernen Erlebnispädagogik).

Erlebnispädagogik als „Methode“ 35

Methoden (griech. methodos Vorgehen, Verfahren; engl. methods) 36

Methoden beschreiben das praktische „Vorgehen“, beinhalten eine methodisch-praktische Komponente und sind auf der Ebene der Handlung angesiedelt. Im englischen Sprachraum wird daher oft auch von „Tools“ gesprochen, von Werkzeug dessen man sich bedient. Ein Beispiel dafür sind z.B. die Methoden der Gesprächsführung aus der Systemischen Therapie, die eine gelungene Kommunikation ermöglichen sollen. Als Beispiel im Bereich der Erlebnispädagogik wären die handlungsorientierten Problemlösungsaufgaben zu nennen, die in speziellen Methodensammlungen (Was brauche ich, Wie leite ich an…) gesammelt werden und dann zur erlebnispädagogischen Prozessgestaltung verwendet werden können. Der Vorteil dieser „praktischen Betrachtungsweise“ liegt darin, dass Methoden nicht auf spezifische Handlungsfelder festgelegt sind: sie können in den verschiedensten Verfahren (z.B. therapeutische Verfahren wie Psychodrama) und in den unterschiedlichsten Handlungsfeldern (Betriebliche Fort- und Weiterbildung, Soziale Arbeit, Supervision und Coaching…) zur Anwendung gelangen. Mit dem Methodenbegriff ergibt sich allerdings eine (begriffliche) Problematik. Methoden unterliegen streng genommen keiner ethischen Bewertung und können auch als reine „technische Verfahren“ verstanden werden. Dieser Umstand wird oft mit der Messermetapher dargestellt (ein Messer kann als Werkzeug dienen oder als Waffe), ein erlebpädagogisches Beispiel dazu wäre der Vergleich eines Boot Camps und eines erlebnispädagogischen Langzeitprojekts - methodisch nicht so unterschiedlich aber in der Intention und Zielsetzung („pädagogischer Zweck“) und vor allem in der philosophischen Grundhaltung (Menschenbild, Ethik) wohl doch.

In einem umfassenderen Betrachtungsansatz werden Methoden allerdings auch als komplexere Verfahrensabläufe dargestellt:

Wir sprechen dann von der Methode Erlebnispädagogik, wenn die Elemente Natur, Erlebnis und Gemeinschaft im Rahmen von Natursportarten pädagogisch zielgerichtet miteinander verbunden werden. Die Anregung zu dieser Definition entnehmen wir dem historischen Werdegang dieses Begriffs und sehen sie als notwendige Abgrenzung zu erlebnisorientierten Methoden und Formen der außerschulischen Bildungsarbeit (Theaterspielen, kreative Methoden, Selbsterfahrung u.v.a.m.) in denen das Erlebnis ebenfalls von großer Bedeutung ist.37

Aber auch hier gilt, dass Methoden an sich keine eigenen philosophisch-ethischen Anteil beinhalten und dass sie als methodische Anweisungen (Natur-Erlebnis-Gruppe) zumeist den ethisch-theoretischen Ansätzen des jeweiligen Handlungsfeldes unterliegen. Ist dies der Fall so spricht man dann oft von „Handlungsmethoden“ (z.B. Handlungsmethode Erlebnispädagogik im Handlungsfeld Soziale Arbeit).

Handlungsmethoden werden von Praktikerinnen und Praktikern (z.B. der Sozialen Arbeit) verwendet, um ihre Intervention, ihr professionelles Handeln anzuleiten und abzusichern.38

Methoden der Sozialen Arbeit thematisieren jene Aspekte im Rahmen sozialpädagogischer/sozialarbeiterischer Konzepte, die auf eine planvolle, nachvollziehbare und damit kontrollierbare Gestaltung von Hilfeprozessen abzielen und die dahingehend zu reflektieren und zu überprüfen sind, inwieweit sie dem Gegenstand, den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, den Interventionszielen, den Erfordernissen des Arbeitsfeldes, der Institutionen, der Situation sowie den beteilgten Personen gerecht werden.39


Handlungsmethode nach Wolfgang Mutzeck, erweitert nach Michael Galuske 40

Erlebnispädagogik als „pädagogische Grundhaltung“ 41

Erlebnispädagogik ist keine Methode, sondern eine pädagogische Grundeinstellung, die darum bemüht ist, den pädagogischen Alltag in seinen Bezügen möglichst erlebnisintensiv zu gestalten. Situationen sind umso erlebnisintensiver, je mehr Kontrasterfahrungen zum Alltag sie ermöglichen und je ganzheitlicher sie sind, d.h. je mehr unterschiedliche Facetten der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen sie erfassen/abdecken. Erlebnispädagogik ist – so verstanden – keine Projektpädagogik, sondern wird aus dem Alltag abgeleitet und muss in ihren Ergebnissen in den Alltag zurückfließen.

11 dtv – Wörterbuch Pädagogik (2004), S. 133.

12 vgl. Fußnote 7.

13 Ernst (2001), S. 16.

14 zu dieser Unterscheidung vgl. im Speziellen Schneider (2006)

15 Ziegenspeck (1992), S. 21.

16 Reiners (1995), S. 35.

17 Fischer, Ziegenspeck (2000), S. 27.

18 Fischer, Lehmann (2009), S. 51.

19 Ostenrieder, Weiß (1994), S. 12.

20 Reiners (2003), S. 13.

21 Hufenus, zitiert nach Galuske (2002), S. 67.

22 Heckmair, Michl (2002), S. 161.

23 Heckmair, Michl (1998), S. 75.

24 Heckmair, Michl (1998), S. 75.

25 Reiners (2011), S. 15.

26 Positionierung der Erlebispädagogik in Oberösterreich. Richtlinien. Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, Abteilung Jugendwohlfahrt, Altstadt 30, 4021 Linz, Jänner 2004.

27 Amesberger (2003), S. 9 – 10.

28 Renner (2000), S. 7.

29 Müller (2002), S. 21 – 22.

30 König, König (2005), S. 21

31 Michl (1999), S. 12.

32 Ernst (2001), S. 16. Das Merkmalmodell von Ernst wird ausführlich in Kapitel 9 Merkmale der Erlebnispädagogik (Michael Ernst) besprochen.

33 Ziegenspeck (1992), S. 18.

34 Petzold (2004) S. 382.

35 Heckmair, Michl (1998), S. 75. Vgl. auch Definitionen nach Reiners (1995), Reiners (2011), Heckmair, Michl (2008).

36 dtv-Wörterbuch Pädagogik (2004), S. 383.

37 Heckmair, Michl (2002), S. 161

38 Galuske (2002), S. 32.

39 Galuske (2002), S. 31.

40 vgl.dazu Mutzeck (1997).

41 Klawe zitiert nach Klawe, Bräuer (1998), S. 14.

2. Fundamentale Ansätze der Erlebnispädagogik

Aber was ist diese Black Box? Wenn wir ganz ehrlich zu uns sind, dann bleibt das ein Geheimnis. Aber Geheimnisse lieben wir nicht, wir fühlen uns unbehaglich mit der Unsicherheit und deshalb erschaffen wir Modelle und Erklärungen, um uns zufrieden zu stellen, um uns schnelle, flexible Antworten zu geben, um uns selbst davon zu überzeugen, dass wir wissen, was wir tun, wie es funktioniert und wie intelligent wir doch sind, dass wir dieses Werkzeug, genannt Erlebnispädagogik, Outdoor-Education, Erfahrungslernen, Lernen durch Herausforderung, Erlebnistherapie oder etwas mit einem anderen Phantasienamen benützen können.42

2.1 Ansatz I: Die erzieherische Erlebnis-Therapie (Kurt Hahn)


Therapie (griech. therapeia Pflege, Heilung) Behandlung von Erkrankungen oder Störungen. Dabei hängt der Einsatz spezieller Maßnahmen vom Zustandsbild, von der Krankengeschichte, von der Diagnose und vom Behandlungsplan ab.43

Unter einem Erlebnis soll ein besonderes Ereignis aus subjektiver Sicht des Erlebenden verstanden werden, das einen hohen Erinnerungsgrad aufweist.44

Ganz im Sinne der obigen Beschreibung ist die Erlebnistherapie des „Urvaters der Erlebnispädagogik“, Kurt Hahn, zu verstehen. Dieser diagnostizierte „Verfallserscheinungen“ der Jugend und arbeitete als Behandlungsplan seine „Erlebnistherapie“ aus (siehe dazu genauer Kapitel 4).45 Dabei diente das Erlebnis „als zentrales pädagogisches Mittel“46. Es stellt allerdings keine inszenierte Einzelerscheinung dar, „sondern das Endprodukt eines pädagogisch weitgehend vorbedachten Planes“. Aufgrund dieser pädagogisch gestalteten Erlebnisse entstehen bei den Jugendlichen jene „unauslöschlichen Erinnerungen“, die Hahn als „Kraftquelle“ für entscheidende Augenblicke im späteren Leben ansieht.47 In diesem Zusammenhang sind Erlebnisse also eher als „heilsame Erinnerungsbilder“48 zu verstehen und stehen somit in Bezug zu einer „Krankheitsheilung“.49 Dieser Heilungsaspekt ist fest verbunden mit der Intensitätsqualität des Erlebnisses. Denn in Bezug auf obige Definition von Erlebnis ist dessen subjektive Intensität von entscheidender Bedeutung für seinen „Erinnerungsgrad“ und dementsprechend für die Wirkung der „heilsamen Erinnerungsbilder“.50 Die Erlebnistherapie stellt im Grund einen, den vier von Hahn postulierten Verfallserscheinungen (ausführlich in Abschnitt 4.3 behandelten) entgegenwirkenden, aktivierenden Behandlungsplan der „kranken“ Jugendlichen dar, dessen wesentlichster „Wirkstoff“ das Erlebnis ist:

When you are passive you forget; when you are active you remember.51

Im Rahmen dieses Behandlungsplans wird versucht, die Wahrscheinlichkeit für die Erlebnismöglichkeiten zu erhöhen und diese Erlebnisse immunisieren sozusagen als „heilsame Erinnerungsbilder“. Diese heilsamen Bilder haben dementsprechend auch prophylaktische Wirkung, sie können sozusagen bei jedem neuen „Verfallsmoment“ wieder aktiviert werden und entfalten dementsprechend auch später wieder ihre heilende Wirkung.

Streng genommen stellt allerdings die Erlebnistherapie von Kurt Hahn natürlich keine „Therapie“ im Sinne der heute existierenden psychotherapeutischen Therapieformen dar52. Dies schon alleine deswegen, weil bei Kurt Hahn immer auch die Erziehung, somit die Pädagogik, im Vordergrund stand. Seine Umsetzungen fanden zunächst im Rahmen von Internatsschulen wie Schloss Salem statt und waren immer erzieherisch intendiert. Dementsprechend ist es auch durchaus verständlich, dass Kurt Hahn als Urvater der „ErlebnisPädagogik“ gilt und der Begriff der Erlebnistherapie von Kurt Hahn auch in der Fachliteratur meistens als Erlebnispädagogik bezeichnet wird:

In diesem Sinne ist bei Hahn Erlebnistherapie zu verstehen – faktisch handelte es sich um ein Erziehungsprogramm für die Jugend, also um Pädagogik.53

Hahns „Erlebnistherapie“ wandelte sich im Laufe der Zeit zu einer Erlebnispädagogik. (…) Hahns Erlebnistherapie (…) hatte eine bestimmte Sozietät im Auge (…). die Jugend. So gesehen war Hahns Erlebnistherapie immer schon eine Erlebnispädagogik 54

Das zeitliche Auftauchen des Begriffs Erlebnistherapie im Sprachgebrauch ist nicht genau zu datieren. Das Auftreten des Begriffs der Erlebnistherapie in den Lexika wird von Silke Bonarius auf das Jahr 1915 datiert, allerdings enthält sie sich jedes bibliographischen Nachweises.55 Bei Heckmair und Michl wird auf eine Quelle verwiesen, in der davon die Rede ist, dass „es seit 1910 die Erlebnispädagogik gibt“, aber auch hier fehlen die eindeutigen bibliographischen Zitate56. Für 1925 ist auf jeden Fall die „Erstnennung“ des Begriffs „Erlebnispädagogik“ nachgewiesen (siehe Abschnitt 2.2).

2.1.1 Einschub: Der psychotherapeutische Erlebnistherapiebegriff

Psychotherapie (griech. psyche Seele, therapeia Pflege, Heilung): Seelenheilkunde, insbesondere zur Behandlung von Neurosen und psychosomatischen Erkrankungen. Wendet unterschiedliche Verfahren an, u.a. Psychoanalyse, Gruppentherapie. In jedem Falle bedarf es einer speziellen Qualifikation und Zulassung des Therapeuten.57

Im Laufe der Nachkriegszeit und bis in die 70er Jahre entwickelten sich neue, in Abgrenzung zur Psychoanalyse und zum Behaviorismus, psychologische Ansätze, die unter dem Sammelbegriff „Humanistische Psychologie“ zusammengefasst wurden. Im Rahmen dieser Entwicklung entstanden auch neue psychotherapeutische Therapieformen. Besonders eine Person ist dabei zu benennen: Ruth Cohn, die Begründerin der so genannten Themenzentrierten Interaktion (TZI). Sie stellt in ihren Schriften auch eine namentliche Verbindung zwischen diesem humanistischen Ansatz und der Erlebnistherapie her:

Ich suchte nach einem Oberbegriff für die verschiedenen Methoden und entschied mich, mit einigem Vorbehalt, für das Wort „Erlebnistherapie“ bzw. „Experimentalismus“. Es fiel mir kein anderer Begriff ein, mit dem ich Gestalttherapie, Biogenetik, Tranksaktionsanalyse, Psychodrama, Erlebnistherapie und -pädagogik und TZI zusammenfassen konnte.58

Dabei gibt es für Ruth Cohn einen starken Zusammenhang zwischen Therapie und Pädagogik:

Pädagogik ist die Kunst, Therapien antizipierend zu ersetzen.59

Dabei sind es besonders drei Komponenten, die die Verbindung zwischen Erlebnistherapie und Erlebnispädagogik herstellen:

 der Erlebnisbegriff

 der „handlungsorientierte Ansatz“

 die verwendeten, oft identen Methoden

Diese Zusammenhänge klar darzustellen würde den Umfang dieser Arbeit bei weitem sprengen, aber einige Hinweise seien gegeben. So setzte sich Fritz Perls, der Wegbereiter der Gestalttherapie, intensiv mit Wilhelm Dilthey und Bergson auseinander; zwei Persönlichkeiten die sich sehr mit dem Begriff des Erlebnisses“ beschäftigten und auch für die Erlebnispädagogik von großer Bedeutung sind.60 Jakob Moreno, dem Begründer des Psychodramas, wird die Aussage: „Handeln ist heilender als Reden“ zugeschrieben61 und dementsprechend wird auch von „handlungsorientierten Therapieformen“ gesprochen.62 Als Methoden der Gestalttherapie werden Rollen- und Interaktionsspiele genannt, Methoden, die in der Erlebnispädagogik ebenso präsent sind.63

Die Sammelbezeichnung Erlebnistherapie für die „humanistisch-psychologischen Therapieformen“ setzte sich nicht durch, zeigt aber die offensichtliche nahe Verwandtschaft dieser beiden Begriffe. Allerdings, wie Ruth Cohn so treffend formulierte, setzt die Pädagogik vor der Therapie an und handelt in einem anderen Setting. Die vier wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale zwischen Therapie und Pädagogik sind aus meiner Sicht:

(Individual-)Therapie vs. Erziehung

Die humanistischen Psychotherapien verstehen sich, von der Psychoanalyse herkommend, genuin als Individualtherapien, wohingegen Hahns Erlebnistherapie eine bestimmte Sozietiät im Auge hatte: die Jugend. Hahns Erlebnistherapie war immer eine Erlebnispädagogik64.

Krank vs. Gesund

Psychotherapie (griech. psyche Seele, therpapeia Pflege, Heilung): Seelenheilkunde, insbesondere zur Behandlung von Neurosen und psychosomatischen Erkrankungen (…).65 Dagegen ist der Krankheitsbegriff bei Hahn als Metapher zu verstehen.

Unterschiedliches Setting

Neben dieser Gemeinsamkeit (…) besteht die Differenz im Setting, das kennzeichnend ist für die Unterscheidung zwischen Therapie und Pädagogik.66

Unterschiedlichkeit in der Profession

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal wäre die unterschiedliche Profession der im Feld Handelnden. Auf der einen Seite Pädagogen/-innen, Sozialarbeiter/-innen und Trainer/-innen und auf der anderen Seite die – anderen speziellen Zulassungsrichtlinien unterworfene – Berufsgruppe der Therapeutinnen und Therapeuten:

In jedem Falle bedarf es einer speziellen Qualifikation und Zulassung des Therapeuten.67

Allerdings beginnt in der modernen Erlebnispädagogik gerade durch die vielen differenzierenden Professionalisierungen manchmal, sozusagen über die Hintertür, wieder der Schritt hin zur „Erlebnistherapie“. Die „moderne“ Pädagogik zeichnet sich durch ihre so genannten „interdisziplinären Teams“ aus. Diese Überschneidungen führen dazu, dass Therapie/Pädagogik/Sozialarbeit in der Fallarbeit näher zusammenrücken, so z.B. in der Bewährungshilfe. Da gelangt, wenn notwendig, Psychotherapie auf der persönlichen Ebene zum Einsatz, Sozialpädagogik (oder eben Erlebnispädagogik) auf der Ebene der sozialen Defizite und die Sozialarbeit für die Bewältigung praktischer Probleme. Diese Verschränkung kann man z.B. bei Günter Amesbergers Untersuchung eines Erlebnispädagogischen Projektes im Rahmen der Bewährungshilfe erkennen.68 Die daraus entnommene Definition nach Günter Amesberger verweist daher folgerichtig auf die zur Anwendung gelangenden „Methoden der Sozialarbeit“ und „Methoden der Psychotherapie“. Zu Überschneidungen kommt es oft durch die Mehrfachqualifikationen der betreuenden Personen. So gibt es vielleicht unterschiedliche Settings, die darin agierenden Personen können aber durchaus ident sein. Es ist ja nicht selten, dass gerade Personen die im pädagogischen Bereich arbeiten, über diverse Zusatzqualifikationen verfügen: pädagogische Grundausbildung und Therapieausbildungen sind eine oft anzutreffende Kombination. Natürlich ist die Grenze des Settings, zumindest bei einer professionellen Arbeitsweise, vorhanden, aus der Außenperspektive ist dies dann oft nicht mehr zu erkennen. Katrin Leibner stellt in ihrer 2004 erstellten Arbeit fest: „Bezüglich des ursprünglich erlernten Berufes heben sich pädagogisch oder psychologisch orientierte Ausbildungen mit 71,4% deutlich ab.“69 Hinzu kommt, dass in unterschiedlichen Settings oft idente Methoden zum Einsatz gelangen.

Es ist daher aus meiner Sicht durchaus zulässig, auch von einer „Erlebnistherapie“ zu reden. Dies aber nur dann, wenn entweder „erlebnispädagogische Methoden“ durch eine therapeutisch ausgebildete Person im Rahmen einer Therapie zum Einsatz kommen bzw. wenn die „erlebnispädagogischen Methoden“ in einem interdisziplinären Therapiekonzept zum Einsatz kommen, wobei die die Methode betreuende Person kein / -e Therapeut / -in sein muss. An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal auf die Unterscheidung von „Methode“ und „Teildisziplin der Pädagogik“ hinweisen. Denn während pädagogische Konzepte per se schon eben dem Bereich der Pädagogik zuzuordnen sind, kann eine Methode, eine Verfahrensweise, in den unterschiedlichsten Bereichen zum Einsatz kommen. Der Unterschied liegt dann eben weniger im Verfahren als im Fokus, im so genannten „erkenntnisleitenden Interesse“. Hier liegt auch die Möglichkeit eines möglichen Abgrenzungsmerkmals für den „professionellen Erlebnis-Handwerker“ als „Experte für das Verfahren“ (wie z.B. Aufbau eines Seilelements, Sicherheitsregeln etc.) in einem multiprofessionellen Team. Allerdings trifft eine derartige „Degradierung“ wohl nicht auf viel Freude in der „Community“ (wenn auch im Bereich von Trainings von so genannten „Trainings-Tools“, also von Werkzeugen, gesprochen wird). Auf diese Frage der Professionalisierung wird in Kapitel 11 noch genauer eingegangen werden.

Eine ganz genaue Beschreibung des Zusammenhanges zwischen Erlebnispädagogik/Erlebnistherapie/Psychotherapie sprengt – wie erwähnt – den Umfang dieses Buches, ich verweise daher auf die sehr eingehende Darstellung der theoretischen Überschneidungen von Rüdiger Gilsdorf70 und andere Darstellungen allgemeinerer Art.71 In dieser Arbeit wird im Kapitel 7.3 noch einmal daraufnäher eingegangen.

2.1.2 (schulische) Erlebnis-Pädagogik (Waltraud Neubert)

Pädagogik (Syn. Erziehungswissenschaft: griech. pais Knabe, Kind, agein führen, paidagogike techne Knabenführungskunst; engl. pedagogy, educational theory). (…) Die Wissenschaft der Erziehung bearbeitet im Wesentlichen vier Aufgaben.

1. Beschreibung von Erziehungs-, Unterrichts- und Ausbildungsprozessen.

2. Interpretation der Programme für und der Theorie über Erziehung im Feld ihrer weltanschaulichen, wissenschaftlichen, politischen und sozialen Bedingungen. Verständlich gemacht werden sollen die Werte, Normen und Interessen, von denen her die Ziele, Formen, Maßnahmen und Methoden der Erziehung entwickelt und begründet werden bzw. worden sind.

3. Erklärung der organisatorischen und der zwischenmenschlichen Gestaltung von Erziehungsprozessen und der beobachtbaren Wirkungen von Erziehung. Gewonnen werden soll ein Wissen, mit dessen Hilfe die Voraussetzung für erfolgreiche Erziehung beschrieben und kontrolliert werden können.

4. Klärung der pädagogischen Grundbegriffe und bildungstheoretischen Analysen der gesellschaftlichen Entwicklungen, um eine reflektierte, öffentlich kontrollierbare und verantwortungsbewusste Gestaltung der pädagogischen Prozesse zu ermöglichen.72

Erziehung: (engl. education). Handlungen von Eltern, Lehrern, Ausbildern und anderen Erziehern bzw. Pädagogen, die in der bewussten Absicht erfolgen, durch den Einsatz bestimmter E.mittel und E.maßnahmen Kenntnisse und Fähigkeiten, Einstellungen und Wertorientierungen, Handlungswillen und Handlungsfähigkeit, also die individuelle Mündigkeit der Kinder oder Jugendlichen und ihrer Kompetenz zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben möglichst dauerhaft zu verbessern.73

Wie schon zuvor dargestellt, steht am Beginn der Erlebnispädagogik der Begriff der „Erlebnistherapie“, der allerdings, wie oben dargestellt, pädagogisch zu verstehen ist.

Damit treten die Merkmale „Erziehung“ und „Jugendliche“ in den Vordergrund.74 Bei der Erlebnispädagogik handelt es sich nach obiger Definition also um ein Erziehungskonzept für „die Jugend“. Die erstmalige Verwendung dieses Begriffs ist im Gegensatz zum Begriff der „Erlebnistherapie“ (vgl. dazu Ende Abschnitt 2.1) belegt: Im Jahr 1925 verwendet Waltraud Neubert in ihrer von Hermann Nohl betrauten Diplomarbeit diesen Begriff:

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