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II

Hitlers Theologie und die katholische Kirche
1. Vorbild: Was Hitler von den Kirchen lernen wollte

Hitler hat die Kirchen als rivalisierende Loyalitätszentren gleichermaßen umworben wie bekämpft.1 Hitler beschäftigte sich in seinen Schriften und Reden aber nicht nur tagespolitisch und somit in einem taktischen Kontext, sondern auch analytisch und damit sehr grundsätzlich mit den Kirchen. Hitler versucht dabei, sein eigenes politisches Projekt in Kontrast zu den christlichen Kirchen, aber auch in partieller Identität zu profilieren. Für ihn sind die Kirchen zuerst Modelle sozialer Organisation von Religion, also von etwas, das er, wie den Nationalsozialismus, vor allem erst einmal als „Weltanschauung“ begreift.

Hitlers Überlegungen zeugen in Zustimmung wie Kritik von einer intensiven Abgrenzungsarbeit gegenüber den Kirchen. Sie belegen übrigens auch eine nicht zu unterschätzende Lernfähigkeit Hitlers. Er bekämpft die Kirchen als rivalisierende soziale Organisationen, doch er will auch von ihnen lernen. Sein Interesse an den Kirchen ist primär analytisch motiviert. Hitler untersucht die Konstitutionsprinzipien der Kirchen, kritisiert ihre Glaubensinhalte, ist aber auch davon fasziniert, wie die Kirchen, speziell die katholische, sich über Jahrhunderte organisiert und behauptet haben. Immer wieder bestimmt Hitler sein eigenes Projekt einer rassisch definierten Volksgemeinschaft gerade auch in Anschluss und Kontrast zu Geschichte und Gegenwart der christlichen Kirchen. Dabei gibt es eine deutliche Linie von früher Bewunderung zu sich intensivierender Kritik. Hitlers positive Einschätzung der Kirchen als Muster einer erfolgreichen Weltanschauungsorganisation ist früh belegbar und findet sich, wie zu erwarten, vor allem in Äußerungen und Schriften der so genannten „Kampfzeit“. Der Blick auf andere historisch erfolgreiche Organisationen mit massivem Normierungsanspruch und vor-demokratischer Legitimation lag zu dieser Zeit besonders nahe.

a) Der totale Anspruch der Kirchen

Hitler bewundert vor allem die Durchsetzungsfähigkeit des Christentums auf der Basis seiner ideologischen Kompromisslosigkeit. Diese Bewunderung findet sich bereits in einem Text aus dem Jahre 1922. Das „Ablehnen jedes Kompromisses“, die Zurückweisung jeder „Verbindung mit sogenannten ähnlichen Ideen“ habe, so Hitler, dem Christentum „diese unerhörte Kraft“ gegeben. „Die größte Kraft auf dieser Welt liegt nicht in Arbeitsgemeinschaften, sondern im blinden Glauben an die Richtigkeit des eigenen Ziels und an die eigene Berechtigung des Kampfes dafür“2, so Hitler in einem NSDAP-Mitteilungsblatt vom 26.4.1922.

Fast identisch findet sich diese Argumentation auch in „Mein Kampf“: „Die Größe jeder gewaltigen Organisation als Verkörperung einer Idee auf dieser Welt liegt im religiösen Fanatismus, indem sie sich unduldsam gegen alles andere, fanatisch überzeugt vom eigenen Recht, durchsetzt. Wenn eine Idee an sich richtig ist und, in solcher Weise gerüstet, den Kampf auf dieser Erde aufnimmt, ist sie unbesiegbar und jede Verfolgung wird nur zu ihrer inneren Stärkung führen. Die Größe des Christentums lag nicht in versuchten Vergleichsverhandlungen mit etwa ähnlich gearteten philosophischen Meinungen der Antike, sondern in der unerbittlichen fanatischen Verkündigung und Vertretung der eigenen Lehre.“3 Das Christentum, so Hitler, „konnte sich nicht damit begnügen, seinen eigenen Altar aufzubauen, sondern mußte zwangsläufig zur Zerstörung der heidnischen Altäre schreiten. Nur aus dieser fanatischen Unduldsamkeit heraus konnte sich der apodiktische Glauben bilden, diese Unduldsamkeit ist sogar die unbedingte Voraussetzung für ihn“4.

In einer Rede vor Lehrern in Nürnberg beruft sich Hitler dann darauf, „dass ein Christentum siegen konnte, nicht weil es die Majorität der Zahl, sondern die Majorität der Energie bekam“. Genau dies ist ihm Beleg für seinen optimistischen Blick auf die Zukunft der damals noch unbedeutenden NSDAP. „Wenn ich durch einen Prozess verstehe, aus einem Staat wertvolle Menschen herauszuziehen, wenn dann die kräftigsten herausgezogen sind und zu einem gewissen Zeitpunkt konzentriert erscheinen, dann gibt es eine neue Bewegung. Das ist das, was mir vorschwebte, als ich daran ging, eine neue Organisation zu bilden“5 – so Hitler in dieser Rede vom 8.12.1928.

Doch Hitler zieht nicht nur eine phänomenologische Parallele zwischen der Durchsetzungsfähigkeit des Christentums und jener der nationalsozialistischen Weltanschauung. Er begründet vielmehr ausdrücklich den Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus mit der Notwendigkeit, sich des vorgängigen christlich-jüdischen Totalitarismus zu erwehren. Eine „von infernalischer Unduldsamkeit erfüllte Weltanschauung“, so Hitler, werde nämlich „nur zerbrochen werden durch eine vom gleichen Geist vorwärtsgetriebene, vom stärksten Willen verfochtene, dabei aber in sich reine und durchaus wahrhaftige neue Idee“. „Der einzelne“, so Hitler weiter, „mag heute schmerzlich feststellen, daß in die viel freiere antike Welt mit dem Erscheinen des Christentums erst der geistige Terror gekommen ist, er wird die Tatsache aber nicht bestreiten können, daß die Welt seitdem von diesem Zwange bedrängt und beherrscht wird und daß man Zwang nur wieder durch Zwang bricht und Terror nur mit Terror. Erst dann kann aufbauend ein neuer Zustand geschaffen werden. Politische Parteien sind zu Kompromissen geneigt, Weltanschauungen niemals. Politische Parteien rechnen selbst mit Gegenspielern, Weltanschauungen proklamieren ihre Unfehlbarkeit“6 – so Hitler in „Mein Kampf“.

Mag es also für Hitler „tausendmal richtig sein“, dass „diese Art von Unduldsamkeit und Fanatismus geradezu jüdische Wesensart verkörpere“, so folgt doch gerade daraus, dass auch die nationalsozialistische Weltanschauung „gebieterisch ihre eigene, ausschließliche und restlose Anerkennung sowie die vollkommene Umstellung des gesamten öffentlichen Lebens nach ihren Anschauungen (fordert). Sie kann also das gleichzeitige Weiterbestehen einer Vertretung des früheren Zustands nicht dulden.“7

In einem seiner späteren Monologe, genauer am 4. April 1942 im Führerhauptquartier, parallelisiert Hitler schließlich die exklusive Verehrung eines einzigen Gottes im Christentum mit der anti-universalistischen Beschränkung menschlicher Rechte auf das deutsche Volk in seinem eigenen Politikprojekt. So wie das Christentum „in der Ausrichtung der Liebe zu dem einen von ihm gewiesenen Gott“ am „fanatischsten, am ausschließlichsten und am unduldsamsten“ sei, so habe die „ganze Liebe“ einer „unverbildeten“ nationalsozialistischen „Führerschicht nur dem eigenen Volksgenossen unteilbar (zu) gelten“. Das Christentum sei hierin „eine gute Lehrmeisterin“. Wie jenes seinen Gott verehre, ebenso „fanatisch, ausschließlich und unduldsam müsse die ganze Zuneigung der führenden Schicht Deutschlands dem tüchtigen deutschen Volksgenossen gelten, der seine Pflicht für die Gesamtheit treu und brav erfülle“8.

Dies ist im Übrigen eine für Hitlers Theologie charakteristische Verkennung der universalistischen Konsequenzen des christlichen Monotheismus. Der eine und einzige Gott der christlich-jüdischen Tradition ist gerade kein Gott nur eines einzigen Volkes: Seine Gebote, zuerst und zuletzt jenes der Nächstenliebe, unterlaufen grundsätzlich alle Regionalisierungen auf eine bestimmte Menschengruppe oder gar ein Volk.

b) Das Dogma als Formierungsstrategie des Diffusen

Hitler entwirft mit gelehrigem Blick auf die Kirchen nun aber auch eine explizite Theorie des Dogmas. Dogmen sind ihm die kristallisierte Form notwendiger Unduldsamkeit erfolgreicher Religionen und Weltanschauungen. Denn nur im Dogma werde die diffuse Religiosität des Einzelnen gebündelt und konkretisiert, aussagbar und damit politisch kampffähig.

Ähnlich aber sei es mit der „völkischen Weltanschauung“. Hitler parallelisiert die intellektuelle wie soziale Konkretisierung und Formierung des eigenen Projekts in einer aktionsfähigen Weltanschauungspartei mit der Funktion der Kirchen und ihrer Dogmen gegenüber dem an sich unbestimmten religiösen Fühlen.

Ein längeres Zitat aus „Mein Kampf“ als exemplarischer Beleg hierfür: „Ohne den klar begrenzten Glauben würde die Religiosität in ihrer unklaren Vielgestaltigkeit für das menschliche Leben nicht nur wertlos sein, sondern wahrscheinlich zur allgemeinen Zerrüttung beitragen. Ähnlich wie mit dem Begriff ‚religiös‘ verhält es sich mit der Bezeichnung ‚völkisch‘. Auch in ihr liegen schon einzelne grundsätzliche Erkenntnisse. Sie sind jedoch, wenn auch von eminentester Bedeutung, ihrer Form nach so wenig klar bestimmt, daß sie sich über den Wert einer mehr oder minder anzuerkennenden Meinung erst dann erheben, wenn sie als Grundelemente in den Rahmen einer politischen Partei gefaßt werden. Denn die Verwirklichung weltanschauungsmäßiger Ideale und der aus ihnen abgeleiteten Forderungen erfolgt ebensowenig durch das reine Gefühl oder das innere Wollen der Menschen an sich, als etwa die Erringung der Freiheit durch die allgemeine Sehnsucht nach ihr. Nein, erst wenn der ideale Drang nach Unabhängigkeit in den Formen militärischer Machtmittel die kampfesmäßige Organisation erhält, kann der drängende Wunsch eines Volkes in herrliche Wirklichkeit umgesetzt werden. (…) Wenn aber eine geistige Vorstellung allgemeiner Art einer kommenden Entwicklung als Fundament dienen will, dann ist die erste Voraussetzung die Schaffung unbedingter Klarheit über Wesen, Art und Umfang dieser Vorstellung, da sich nur auf solcher Basis eine Bewegung bilden läßt, die in der inneren Homogenität ihrer Überzeugungen die nötige Kraft zum Kampfe zu entwickeln vermag. Aus allgemeinen Vorstellungen muß ein politisches Programm, aus einer allgemeinen Weltanschauung ein bestimmter politischer Glaube geprägt werden. (…) Diese Umsetzung einer allgemeinen weltanschauungsmäßigen idealen Vorstellung von höchster Wahrhaftigkeit in eine bestimmte begrenzte, straff organisierte, geistig und willensmäßig einheitliche politische Glaubensund Kampfgemeinschaft ist die bedeutungsvollste Leistung, da von ihrer glücklichen Lösung allein die Möglichkeit des Sieges einer Idee abhängt. Hier muß aus dem Heer von oft Millionen Menschen, die im einzelnen mehr oder weniger klar und bestimmt diese Wahrheiten ahnen, zum Teil vielleicht begreifen, einer hervortreten, um mit apodiktischer Kraft aus der schwankenden Vorstellungswelt der breiten Masse granitene Grundsätze zu formen und so lange den Kampf für ihre alleinige Richtigkeit aufzunehmen, bis sich aus dem Wellenspiel einer freien Gedankenwelt ein eherner Fels einheitlicher glaubens- und willensmäßiger Verbundenheit erhebt.“9

Für Hitler steht somit fest, dass ohne „dogmatische (.) Grundlagen“ der „praktische Bestand eines religiösen Glaubens nicht denkbar ist“ und auch nicht die Existenz einer politisch mächtigen Weltanschauung. „Die breite Masse eines Volkes besteht nicht aus Philosophen; gerade aber für die Masse ist der Glaube häufig die einzige Grundlage einer sittlichen Weltanschauung überhaupt.“10

In „Mein Kampf“ gesteht Hitler den real existierenden Kirchen, sei es aus taktischen Gründen, sei es aus nicht ganz überwundener innerer Anhänglichkeit, noch zu, im Allgemeinen ihre Aufgabe als dogmatisch formierte Religion auch noch in der Gegenwart zu erfüllen. „Die verschiedenen Ersatzmittel“, so Hitler, hätten „sich im Erfolg nicht so zweckmäßig erwiesen, als daß man in ihnen eine nützliche Ablösung der bisherigen religiösen Bekenntnisse zu erblicken vermöchte“, und dies trotz des „immer heftiger einsetzende(n) Kampf(es) gegen die dogmatischen Grundlagen der einzelnen Kirchen“11.

Doch Hitler interessiert in diesem Zusammenhang nicht primär die inhaltliche Plausibilität der Dogmen und Normierungen der zeitgenössischen Kirchen. Sein Interesse setzt formaler an und gilt generell den Funktionsmechanismen von Konkretisierung und Disziplinierung bei der Bildung von „Weltanschauungsgemeinschaften“. Hitler vergleicht dabei drei sehr unterschiedliche Räume mit Konkretisierungs- und Normierungsbedarf: den Staat, die Kirchen und die individuelle Biographie.

„Was … für das allgemeine Leben der jeweilige Lebensstil ist“, das, so Hitler, „sind für den Staat die Staatsgrundgesetze und für die jeweilige Religion die Dogmen. Durch sie erst wird die schwankende und unendlich auslegbare, rein geistige Idee bestimmt abgesteckt und in eine Form gebracht, ohne die sie niemals Glaube werden könnte. Im anderen Falle würde die Idee über eine metaphysische Anschauung, ja, kurz gesagt, philosophische Meinung nie hinauswachsen.“ Damit aber gilt: „Sollen … die religiöse Lehre und der Glaube die breiten Schichten wirklich erfassen, dann ist die unbedingte Autorität des Inhalts dieses Glaubens das Fundament jeder Wirksamkeit.“12

In „Mein Kampf“ begreift Hitler so auch noch die scharf anti-modernistische Abwehrhaltung der zeitgenössischen Kirchen, vor allem der katholischen,13 als Ausdruck einer klugen und konsequenten Wissenspolitik. Die Notwendigkeit von solch restriktiver Wissenspolitik folgt für Hitler unmittelbar aus dem Begriff des Dogmas. Obwohl nämlich das kirchliche „Lehrgebäude in manchen Punkten, und zum Teil ganz überflüssigerweise, mit der exakten Wissenschaft und der Forschung in Kollision gerät, ist sie dennoch nicht bereit, auch nur eine kleine Silbe von ihren Lehrsätzen zu opfern“. Die Kirche habe nämlich „sehr richtig erkannt, daß ihre Widerstandskraft nicht in einer mehr oder minder großen Anpassung an die jeweiligen wissenschaftlichen Ergebnisse liegt, die in Wirklichkeit doch ewig schwanken, sondern vielmehr im starren Festhalten an einmal niedergelegten Dogmen, die dem Ganzen erst den Glaubenscharakter verleihen. So steht sie heute fester da als je“14.

Doch Hitler erkennt bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auch: Für die gewünschte Konkretisierungs- und Formierungsfunktion der religiösen bzw. weltanschaulichen Dogmen kommt es weniger auf deren reale Unveränderlichkeit an; allzu rigides Festhalten an einmal Formuliertem kann, wie Hitler sieht, die Plausibilität des kognitiven Geltungsanspruchs vielmehr geradezu aushöhlen. Notwendig ist stets aber die Aufrechterhaltung einer Kontinuitätswahrnehmung bei den Adressaten der Verkündigung.

Hitler empfiehlt, „auch hier“ doch „an der katholischen Kirche zu lernen“. „Denn wie will man Menschen mit blindem Glauben an die Richtigkeit einer Lehre erfüllen, wenn man durch dauernde Veränderungen am äußeren Bau derselben stets Unsicherheit und Zweifel verbreitet?“ Aber Hitler weiß eben auch um die Notwendigkeit von Flexibilität, er vergisst nicht, im Blick auf sein eigenes Politikprojekt einen hermeneutischen Puffer einzubauen. „Das Wesentliche“, so Hitler an früherer Stelle, „darf nie in der äußeren Fassung, sondern stets nur im inneren Sinn gesucht werden. Und dieser ist unveränderlich.“15 Daher gilt für Hitler, für den „es nur eine Doktrin (gibt): Volk und Vaterland“, dass „von diesem Gesichtspunkte aus“ dann „alles zu prüfen (ist) und nach seiner Zweckmäßigkeit zu verwenden oder abzulehnen. So kann keine Theorie zur tödlichen Doktrin erstarren, da alles ja nur dem Leben zu dienen hat“16.

Später wird Hitler dann den Kirchen das Festhalten an (natur)wissenschaftlich unhaltbaren Dogmen vorwerfen und selbst durchaus beweglich mit den eigenen nationalsozialistischen „Dogmen“ umgehen – bei stets gewahrter Kontinuität einiger zentraler Basisannahmen, etwa der These von der rassischen Determiniertheit des Individuums.17

c) Organisatorisch-funktionale Problemlösungen

Doch die Kirchen sind für Hitler nicht allein wegen ihres Totalitätsanspruchs und ihrer dogmatischen Konkretisierungs- und Normierungsleistungen des an sich doch diffusen religiösen Fühlens Lernobjekte für sein eigenes Projekt. Hitler interessierte sich auch stets und gerade für organisatorischfunktionale Problemlösungen. Ihn faszinierte speziell an der katholischen Kirche etwa ihr Umgang mit dem für nichtdemokratisch organisierte soziale Systeme stets prekären Problem der Elitenrekrutierung, einschließlich ihres konkreten Mechanismus der Führungsauslese und -nachfolge.18

„Zwei Verfassungen“, so Hitler in einem seiner Tischgespräche im Führerhauptquartier am 31.3.1942, hätten „sich im Laufe der Geschichte bewährt: a) das Papsttum, und zwar trotz vieler Krisen“ und, so vergisst Hitler nicht hinzuzufügen, „trotz einer ausgesprochen verrückten geistigen Grundlage lediglich aufgrund der grandiosen Organisation der Kirche“, sowie im Übrigen „b) die Verfassung von Venedig, die den kleinen republikanischen Stadtstaat durch ihre Führungsorganisation zur Beherrschung des gesamten östlichen Mittelmeeres befähigt“19 habe.

Einen der Gründe des Erfolgs des Papsttums erblickt Hitler dabei darin, dass die katholische Kirche sehr geschickt die an sich unvermeidlichen autoritätskritischen Begleiterscheinungen jedes Entscheidungsvorgangs über Führungspositionen dadurch vermeide, dass sie diese Entscheidungsvorgänge, vor allem die Papstwahl, strikt geheim hält. Dadurch gelänge es ihr, dass die an sich unausweichlichen Konflikte innerhalb der Führungsspitze nicht oder nur sehr eingeschränkt öffentlich werden.

„Grundsatz auch für die Führerwahl“ müsse es daher sein, so Hitler weiter, „daß während der Wahlhandlung jede Diskussion unter den Wählern unterbunden würde“. Die „Durchführung der Führerwahl habe nicht vor den Augen des Volkes, sondern hinter verschlossenen Türen zu geschehen. Auch bei der Papstwahl wisse das Volk ja nicht, was hinter den Kulissen vorgehe. Bei den Kardinälen sei es einmal so weit gekommen, daß sie sich geprügelt hätten. Man habe sie daraufhin für die Zeit der Wahlhandlung einfach eingemauert.“ Wenn eine Staatsform, die dies berücksichtige, „auch nicht ewig halten möge, 200 bis 300 Jahre werde sie bestimmt Bestand haben. Denn sie sei auf Erwägungen der Vernunft gegründet, während die tausendjährige Organisation der katholischen Kirche auf Unsinn als Grundlage aufgebaut sei“20.

Noch in einem weiteren Aspekt ihrer Eliterekrutierung gilt Hitler „die katholische Kirche als vorbildliches Lehrbeispiel“. „In der Ehelosigkeit ihrer Priester“, so Hitler bereits in „Mein Kampf“, liege der Zwang begründet, den Nachwuchs für die Geistlichkeit statt aus den eigenen Reihen immer wieder aus der Masse des breiten Volkes holen zu müssen. Dies sei „die Ursache der unglaublich rüstigen Kraft, die in dieser uralten Institution wohnt. Denn dadurch, daß dieses Riesenheer geistlicher Würdenträger sich ununterbrochen aus den untersten Schichten der Völker heraus ergänzt, erhält sich die Kirche nicht nur die Instinkt-Verbundenheit mit der Gefühlswelt des Volkes, sondern sichert sich auch eine Summe von Energie und Tatkraft, die in solcher Form ewig nur in der breiten Masse des Volkes vorhanden sein wird. Daher stammt die staunenswerte Jugendlichkeit dieses Riesenorganismus, die geistige Schmiegsamkeit und stählerne Willenskraft“21.

Hitlers partieller Respekt vor den Kirchen ist, so zeigt sich, die Konsequenz seiner Analyse ihrer internen Konstitutionsprinzipien, wie Hitler sie wahrnimmt. Als über lange Zeit einflussreiche Weltanschauungsinstitutionen sieht er in ihnen Beobachtungsobjekte mit gewissem Vorbildcharakter. Sie interessieren ihn, insofern manche ihrer Erfolgsregeln auch unter den Bedingungen einer modernen – Hitler versteht darunter eine naturwissenschaftlich und technologisch fortgeschrittene – Gesellschaft gelten könnten. Es geht Hitler dabei um die Art und Weise, wie die Kirchen ihre „Weltanschauung“ mobilisieren und organisieren, und dies unter modernen Konkurrenzbedingungen. Hitler interessieren die Kirchen als politische Weltanschauungsorganisationen innerhalb einer Konkurrenzsituation pluraler Anbieter auf dem Markt der Weltanschauungen.

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