Kitabı oku: «Willkommen in Wien», sayfa 3

ZU EBENER ERDE UND IM ERSTEN STOCK
MEISTER ANTON PILGRAM
Im Jahr 1890 ließ sich der Schokoladengeschäftsinhaber Josef Manner die Idee patentieren, mit dem Stephansdom zu werben. Der Gedanke war naheliegend, denn Manners Laden, heute würde man sagen: sein Flagship Store, lag gleich vis-à-vis von Wiens Hauptkirche – die Produktion seiner süßen Spezialitäten hatte er in eben diesem Jahr nach Ottakring verlagert (die Adresse ist Wilhelminenstraße, was die Postleitzahl 1170 und damit Hernals bedeutet – echte Afficionados finden ihren Fabriksverkauf gefühlt dennoch im 16. Bezirk). Bis heute jedenfalls prangt auf den rosa Packungen, die Manners Neapolitaner Schnitten in die Welt tragen, die gleichsam offizielle Ansicht des Stephansdoms von Süden her, es ist, als hätte er den Rudolf-von-Alt-Blick gleich mitpatentiert. Unschlagbar ehrlich gab der Enkel und Nachnachfolger als Unternehmenschef Carl Manner im Jahr 1998 dann Folgendes zu Protokoll: „Ich hab schon gern Süßes, aber eher etwas, wo Marmelade drin ist. Die Schnitten, die kratzen mich. Die will ich nicht. Aber sie sind nicht schlecht. Man kann sie durchaus essen.“ Schon der Patriarch soll gesagt haben: „Wer Werbung macht, hat es notwendig.“ Wem ein Schatten der Ewigkeit ins Geschäft fällt, der hält es mit der Wahrheit.
Carl Manners Schnitten illustrieren auf ihre Weise, was einem Wiener am Herzen liegt. Oder in ortsansässigem Idiom: wos en weana olas en s gmiad ged. In seiner berühmten Hommage an die Heimatstadt, die ihn zu einer Art Volksdichter machte, hatte H. C. Artmann im Jahr 1958 mit schwarzer Tinte aufgelistet, was das alles ist. Manches Unübersetzbare ist dabei: „a kindafazara wossaleichn foxln“ beispielsweise oder der längst sprichwörtliche „schas med quastln“. Das Fazit indes geht alle an: „und en hintagrund auf jedn foe: da liawe oede schdeffö“, der Turm des Stephansdoms also, wenigstens als Hintergrund. Das augenzwinkernde Faible für das Umschlagen in die Perversion kommt bei Artmann natürlich hinzu. Doch geht es auch seriös, etwa per statistischer Erhebung. Auf die Frage nach einem Objekt, das im Land als „typisch für Österreich“ gilt, war mit 37 Prozent und so in großem Abstand am häufigsten die Antwort: der Stephansdom. Der liebe alte Steffl und sein klerikaler Unterbau: 1945, als es vorbei war mit dem historischen Betriebsunfall, der sich sieben Jahre davor ereignet hatte, und die Donaumonarchie, die längst nur noch eine Alpenrepublik war, wieder zu sich kommen konnte, gab das Presseamt der Stadt Wien eine Broschüre heraus, die die Leistungen der Vergangenheit, als es sich noch auf sie berufen ließ, versammelte. Das ewige Wien war sie betitelt und hatte auf dem Umschlag – natürlich den Stephansdom. „Ein Futteral für die Waffen der Kirche“ nannte ihn Elfriede Jelinek in der von ihr gern erwarteten Despektierlichkeit. Das Arsenal, das diese Kathedrale ist, lässt sich dabei nicht weniger für Profanes engagieren.
Noch heute finanziert die Firma Manner für Sankt Stephan einen Steinmetz. Die Dombauhütte gibt es nämlich nach wie vor, keine Architektur dieser Dimension, an der nicht irgendwo ein Gerüst stünde. Seit acht Jahrhunderten ist das nun so. Natürlich war früher mehr zu bauen, zusammen mit den Werkstätten in Köln, Bern und Straßburg gehörte Wien, festgeschrieben am Regensburger Hüttentag des Jahres 1459, zu den Vorzeigebaustellen des Reiches. Abgesehen vom – noch heute als Torso dastehenden – Nordturm war das Gebäude seinerzeit schon in jener provisorischen Vollendung, die alles historisch Bedeutsame auszeichnet. Der Steffl, die steinerne Nadel von ungeheurer Steilheit und zusammen mit dem Turm der Westfassade von Straßburg die höchste bauliche Erhebung bis ins 19. Jahrhundert, war 1433 seiner Bestimmung übergeben worden – als Wegweiser in den Himmel und um die Welt neidisch zu machen. Mit dem Dombaumeister Hans von Prachatitz ist seine Fertigstellung verbunden. In der Gegenwart, seit 1993, bekleidet das Amt Wolfgang Zehetner. Und in den Jahren von ca. 1510 bis 1515 war es der Meister Anton mit dem Beinamen Pilgram.
Seine Hinterlassenschaft bietet sich eher skulptural als architektonisch dar. Vor allem als Fenstergucker kennt man ihn, und das gleich in zweifacher Hinsicht, zu ebener Erde und im ersten Stock, wie ein anderer Volksdichter Wiens, Johann Nepomuk Nestroy, es betiteln würde. Zum einen verbindet sich mit dem Fenstergucker, einen Meter über dem Fußboden, ein hübsches Aperçu am Sockel der Kanzel im Mittelschiff, ein buchstäblicher Nebenschauplatz, aus dem sich ein Mann mittleren Alters, schulterlangen Haares und bemützten Kopfes, einen Zirkel in der Hand, durch eine Luke zwängt, um sich geltend zu machen gegen die Autoritäten, die sich oberhalb von ihm in die Brust werfen. Es sind die vier Kirchenväter, Schriftgelehrte des frühen Christentums, die die Prediger munitionieren, wenn sie vom Rednerpult herunterdonnern und die Gläubigen, die ihnen folgen, genauso klein machen, wie sich die Gestalt in ihrer Enge unter dem Treppenaufgang von vornherein gibt. Zum anderen ist da jene Konsolfigur in einigen Metern Höhe, auf der sich eine aufregende Schlingrippenkonstruktion erhebt, der Orgelfuß, angebracht an der Innenwand des nördlichen Seitenschiffs. Ausstaffiert wie der Kollege an der Kanzel, zusätzlich zum Zirkel mit einem Winkelmaß bewehrt, in den Gesichtszügen feiner gezeichnet und, auch dank der farblichen Fassung, von größerer Lebensnähe, legt die Büste ein Selbstporträt nahe. Ein Schriftzug, der die Gestaltung umgibt und in kapitalen Lettern die Buchstabenfolge MAP für Meister Anton Pilgram, und die Datierung 1513 lesen lässt, macht dies zusätzlich plausibel.

Markantes Selbstporträt in luftiger Höhe: Anton Pilgram mit Winkelmaß und Zirkel an der Nordwand des Stephansdoms. Der Orgelfuß trägt die Jahreszahl 1513.
Recht ähnlich sehen sich die beiden Fenstergucker nicht. Umso ähnlicher indes verhalten sie sich. Die Kunstgeschichte, die im Geschäft mit den Ähnlichkeiten ihr Metier gefunden hat, beruft sich bei derlei Ungereimtheiten gern auf den Zeitfaktor. Dann wäre die Kanzel eben früher entstanden, der Bildhauer arbeitete noch an seinen Fähigkeiten und der Erzählung vom künstlerischen Fortschritt stünde nichts im Wege. Ein Höhepunkt, wie er zu jeder guten Geschichte gehört, wäre auch, in luftiger Höhe, der Orgelfuß von 1513, der auch in seinem Gefüge an filigraner Gewölbetechnik beeindruckt. Von Pilgram selbst ist wenig erhalten. Womöglich hat er in Straßburg gelernt, war tätig in Schwaben, ging nach Wien, wo er eine Kanzel hinterließ, wurde aktenkundig in Brünn, wo er auch baute, um schließlich seine Karriere wiederum in Wien zu beschließen. Mehr als das Amt des Dombaumeisters von Sankt Stephan war auch für einen Mann seiner Virtuosität nicht zu holen und wie man weiß, hat sich Meister Anton nach übergebührlichen Kräften darum bemüht. Sein Vorgänger Jörg Öchsl wurde nach allen Regeln der Handwerkskunst abserviert, Anton hat ihm den Auftrag für den Orgelfuß regelrecht entrissen, was ihm offenbar auch eine gewisse Ächtung durch die Kollegenschaft eintrug.
Als Dombaumeister sah man sich gewissermaßen verpflichtet, einer speziellen Laienbruderschaft anzugehören, die dem Leichnam Christi geweiht war. Tatsächlich findet sich in der Mitgliederliste der „Fronleichnamsbruderschaft“, die ihren Sitz in der unterirdischen Virgil- und Erasmuskapelle hatte, der Eintrag „Maister Anthoni, die Zeit Paumaister bey sand Steffan, Dorothea uxor, yetzund in der Stainhuetten“. Allerdings werden Meister Anton und seine Frau erst im dritten Quartal 1513 erwähnt – vielleicht hatte man ihm eine Bewährungsfrist auferlegt. Die Eintragungen enden im Jahr 1515, ein deutliches Indiz seines Todes. Und der Quelle lässt sich entnehmen, dass das Ehepaar auf dem Areal der Bauhütte auch wohnhaft war, gegenüber dem Steffl, dort, wo seit 250 Jahren das Churhaus steht und in dem jetzt die erzbischöfliche Verwaltung zu finden ist.
Mehr als das Amt des Dombaumeisters von Sankt Stephan war auch für einen Mann seiner Virtuosität nicht zu holen und wie man weiß, hat sich Meister Anton nach übergebührlichen Kräften darum bemüht. Sein Vorgänger Jörg Öchsl wurde nach allen Regeln der Handwerkskunst abserviert, Anton hat ihm den Auftrag für den Orgelfuß regelrecht entrissen, was ihm offenbar auch eine gewisse Ächtung durch die Kollegenschaft eintrug.
Betrachtet man die Situation im Inneren von Sankt Stephan, so könnte man meinen, der Fenstergucker, der per Inschrift Anton selbst ist, blicke direkt zu seinem Lehrmeister (der im 17. Jahrhundert hinzugekommene Altar hemmt die Perspektive allerdings rabiat). Rechts hinten, im Apostelchor, erhebt sich nämlich in sublimer Selbstverständlichkeit der Epitaph Kaiser Friedrichs III., dessen Grabplatte auf den Großmeister der Bildhauerei im 15. Jahrhundert zurückgeht, auf Niclaus Gerhaert, gebürtig im niederländischen Leiden, ein Wanderkünstler auf den Spuren der lukrativsten Großaufträge. Gerhaert, der 1473 in Wiener Neustadt gestorben ist, darf als der Urheber fast aller Innovationen gelten, die damals der Skulptur, jedenfalls außerhalb Italiens, zuflogen. Auf ihn geht die Praxis zurück, Büsten zu schaffen und der dergestalt halbierten Figur wieder ein ganzes Leben einzuhauchen, indem man sie mit der Illusion, sie stünde am Fenster, ausstattet. Anton wäre mit seinen Versionen so etwas wie Gerhaerts Enkelschüler und es bedeutet eine schöne Koinzidenz, sie beide im Stephansdom anzutreffen.
Im November 1513 sind Kaiser Friedrichs Gebeine, 20 Jahre nach seinem Tod, in das Hochgrab überführt worden. Nicht auszudenken, wenn Meister Anton tatsächlich einen steinernen Blick auf die parallel zur Fertigstellung seines eigenen Werkes ablaufende Zeremonie geworfen hätte. Das lässt sich nicht verifizieren.
Immerhin sind Optik und Gestik des Fensterguckers sprechend genug, um ihm eine solche Neugier, eine solche Anteilnahme und Geistesgegenwart zuzugestehen. Wenn auch nur als Inszenierung. Zur selben Zeit, tausend Kilometer weiter südlich, steht ein solcher Blickaustauch sehr offenkundig und handfest vor Augen. Man sieht vor sich, wie Raffael, im Vatikan beschäftigt mit der Freskierung der als Stanzen bekannten Amtszimmer, sich hinüberschleicht in die Sixtinische Kapelle, keine 50 Meter weiter, und versucht, etwas von der Decke zu erhaschen, auf der gerade Michelangelo eine Weltsensation hinterlässt. Und man sieht deutlich am Ergebnis, was Raffael vom Kollegen alles brauchen konnte. Paragone nennt man eine solche im „Wettstreit der Künste“ durchaus legitime Künstlerneugier. Rivalität und Konkurrenz waren immer schon Motor nicht nur der kulturellen Entwicklung. Und auch für Meister Anton bewährte sich das Prinzip, als er gegen Öchsl agitierte. Womöglich konnte er mit der fabelhaften Idee der visuellen Fernbeziehung etwas gutmachen.
„Zum Beten geht man in kleinere Kirchen“, stellt Elfriede Jelinek in ihren Gedanken zum Stephansdom fest. Da hat sie recht. In den Stephansdom geht man zum Schauen, nicht von ungefähr hieß eine frühe TV-Reihe des ORF eben Der Fenstergucker. Vor einem halben Jahrtausend war das schon nicht anders.
ENTDECKEN
Wir begegnen Meister Anton Pilgram im Stephansdom zu ebener Erde und im ersten Stock: als „Fenstergucker“ unter der Stiege der Domkanzel und beim Orgelfuß an der Nordwand.
Meister Anton beweist Neugier und Anteilnahme: der „Fenstergucker“ unter der Stiege der Domkanzel.

STADTWELTLANDSCHAFT
JACOB HOEFNAGEL
Das Wunderteam: Ein populärer Begriff war geboren, als die österreichischen Fußballer in Berlin die Deutschen mit 6:0 besiegten. 1931 war das und müßig anzumerken, dass die Wunderwuzzis um den legendären Matthias Sindelar allesamt in Wien spielten und zum Großteil auch aus Wien kamen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Erinnerungen an die guten Jahre kostbar waren, bemühte sich Wiens kommunistischer Kulturstadtrat Viktor Matejka um ein Denkmal für Sindelar. Zwar schlug das Projekt fehl, doch immerhin ließen sich die Heroen als Mannschaft auf die Leinwand bannen. Maler Paul Meißner memorierte nun im Jahr 1948 ein eher akademisches Porträt der Truppe, aus der neben Sindelar auch Austria-Teamkamerad Karl Gall die Nazi-Zeit nicht überlebt hatte. Fußballer schreiben Kulturgeschichte, wenn auch meistens nur eine nationale.
In jenen Jahren nach dem NS-Desaster begann sich ein zweites Wunderteam zu entwickeln, nicht ganz so unwiderstehlich wie der Vorgänger, doch letztlich dekoriert mit dem besten Abschneiden bei einer Weltmeisterschaft, 1954 mit Platz drei. Der Sindelar von damals war Ernst Happel, Wiener nicht minder, ein Verteidiger zwar, aber tauglicher als Kultfigur und Namenspatron von Wiens und damit Österreichs wichtigstem Stadion. Happel ist vor allem auch als Trainer ausgewiesen, speziell mit niederländischen Mannschaften war er auf Vereins- wie auf Verbandsebene ein radikaler Erneuerer. Raumdeckung, Pressing, Spiel auf Abseits und wie die heutzutage so platzgreifenden technischen Begriffe alle heißen, haben nicht zuletzt mit Happels Ideen zu tun. Der Wiener „Donaufußball“ war mit der niederländischen Praxis, sich gegen das Meer einzudeichen und damit Land zu gewinnen, eine sportive Verbindung eingegangen: „Das bewirkte eine Raumordnung, die immer wieder von menschlichem Schaffen geregelt, neu ausgeweitet oder eingedämmt wurde.“ Was hier in Anführung steht, stammt aus einer Kulturgeschichte des Fußballs, die der Grazer Germanist Klaus Zeyringer zum Weltmeisterschaftsjahr 2014 publiziert hat (in einem deutschen Verlag übrigens und für ein auch als mehrheitlich deutsch gedachtes Publikum, was den Verfasser auf nachgerade mitleiderregende Weise dazu bringt, die landesübliche Verachtung der deutschen Kickerei zu, man kann es nicht anders nennen, verdrängen).
Niederlande und Raumregelung sind eine klassische Kombination. 1991 beispielsweise ging von Amsterdam aus eine Erfindung um die Welt, die man Navi nennt, der Firmenname TomTom hat es seither, was jedes Labelling versucht, zum Produktnamen gebracht. Und immer schon waren es die Bewohner jenes flachen, teilweise unter dem Meeresspiegel beheimateten, in seiner Existenz vielfältig bedrohten Landstrichs, die der Kartografie auf die Sprünge halfen, der geodätischen Erfassung der Erde und der Wiedergabe des dabei Ermessenen mit den Mitteln von Atlas oder Ansicht. Eines der Glanzstücke im Kunsthistorischen Museum ist Jan Vermeers um 1660 ausgeklügelte Allegorie der Malkunst. Neben der Rückenfigur des Malers und einem En-Face-Porträt des Modells bietet Vermeers Komposition vor allem eine Landkarte dar, großformatig, hintergrundfüllend, die Wiedergabe der Niederlande in ihrer nördlichen Hälfte, die mit dem Westfälischen Frieden eine souveräne Nation geworden waren.
Auch Jacob Hoefnagel kommt aus dieser Gegend. Er ist der erste, der die offenbar unschlagbare Verbindung von Wien als Motiv und Weltvermessung als Methode zur Kenntlichkeit bringt. Im Jahr 1609 entstand die erste Vogelschau auf Wien, der Fokus liegt konzentriert auf der Stadt, ein wenig Umgebung kommt herein, doch was hier seine Inszenierung erfährt, ist der Kosmos Kapitale, ihre Vielfalt, Lebendigkeit und auch ihre Behäbigkeit als Konglomerat von Gebautem. Der deutsche Kunsthistoriker Eberhard von Bodenhausen prägte im Jahr 1905 angesichts gewisser Antwerpener Gemälde aus den Jahren um 1500, die das Terrain von oben anvisierten, als gäbe es keine Schwerkraft, das Wort von der Weltlandschaft. Es galt für das frühe 20. Jahrhundert ganz besonders, als das Fliegen sehr konkret am Horizont auftauchte. Es gilt auch für Hoefnagel. Bei ihm wird die Stadt zur Weltlandschaft.
Natürlich ist sein Standpunkt imaginär, doch das Bild der Stadt ist gleichsam reportagehaft, mit allem Anspruch auf Objektivität wiedergegeben. Sechs Blätter muss man zusammenlegen, damit sich die urbane Ganzheit ergibt, als Kupferstiche wurden sie in einer Auflage von fünfzehn Exemplaren gedruckt. Erhalten sind zwei Exemplare, eines liegt in Stockholm und erinnert daran, dass bald nach der Entstehung der Ansicht der Dreißigjährige Krieg beginnen wird, mit den furiosen Schweden als über ganz Mitteleuropa und 1645 auch vor Wien erscheinenden Schreckgespenstern. Das andere wurde erst um 1960 vom Wiener Antiquar Christian Nebehay ausfindig gemacht und weiterverkauft, und zwar an einen Interessenten, der auf seine Art Institution ist wie die Österreichische Nationalbibliothek: ans Hotel Sacher, das die Kostbarkeit dem Wien Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt hat.
Jacob Hoefnagel, geboren 1573, kommt aus Antwerpen, im südlichen Teil der Niederlande gelegen, der im langen Befreiungskrieg gezwungen war, katholisch, kaisertreu, habsburgisch zu bleiben. Hoefnagel wurde, nachdem schon sein Vater Joris bei Hofe tätig war, Kammermaler des Kaisers Rudolf II., jenes speziell verschrobenen Zeitgenossen des Manierismus, der seine Residenz nach Prag verlegt hatte. Hier hatte auch Meister Jacob sein Tätigkeitsfeld, doch ab etwa 1604 darf man ihn sich in Wien denken. Im Jahr darauf hat er hier geheiratet, Anna, die Tochter des kaiserlichen Baumeisters Anton de Mois. Nicht ins kaiserlich-höfische, sondern ins städtische Umfeld gehört das Publikum, das Hoefnagel in seiner Vogelperspektive anvisiert: Die Kartusche rechts unten gibt per Widmungsinschrift die Dedikation an den Stadtrat bekannt sowie etikettengemäß an Matthias, den Erzherzog von Österreich und späteren Kaiser, der mit seinem Bruder Rudolf in inniger Fehde lag. Dass Hoefnagel die Verpflichtung gegenüber seinem Brotherrn mit der Hommage an dessen Intimfeind in Einklang bringen konnte, zeugt von einer gewissen Geschmeidigkeit und dem eingefleischten Kalkül aller Höflinge, den Intrigen, Ränken und Kabalen zuvorzukommen. Immerhin war Hoefnagel Protestant, die Konfessionsverhältnisse sollten in diesen aufgeregten Zeiten bald wild durcheinandergeraten. Er ging zurück nach Prag, wo es liberaler zuging, verstrickte sich in die Wirren des Kriegs, wurde 1621 in Abwesenheit als „Rebell“ zum Tode verurteilt und beschloss sein Leben schließlich 1633 in Hamburg. Was konnten sie nun Hoefnagels Darstellung entnehmen, die Honoratioren der „in Österreich allerältesten und -ehrwürdigsten Stadt Wien“, wie es in der Widmung heißt?

Vielfalt und Lebendigkeit der Residenzstadt rücken ins Bild: Detail aus der Vogelschau Jacob Hoefnagels. Kupferstich aus der Ausgabe von 1640, gewidmet Kaiser Ferdinand III.
Vielleicht in Kenntnis der Schedelschen Weltchronik nähert sich Hoefnagel der Stadtlandschaft vom anderen Flussufer, von jenem Terrain aus, das irgendwann Leopoldstadt heißen wird. Dafür hat er bei seiner Aufnahme eine Wolke bestiegen, ausgestattet mit den Flügeln der Fantasie erreicht er eine Höhe, die ihm in der Realität allenfalls der Wienerwald und damit eine Perspektive von Norden und von der Ferne her ermöglicht hätte: Im Jahr 1500 hatte der venezianische Maler Jacopo de’ Barbari seine Heimatstadt in aufregender Aufsicht festgehalten und damit den Präzedenzfall für diese Perspektive sehr von oben markiert. Hoefnagel macht Wien regulärer, als es ist: Eingegürtet von seinen Mauern sieht die habsburgische Residenz aus, als füge sie sich in ein Sechseck – als wäre sie eine Idealstadt wie das um 1600 in die norditalienische Landschaft gesetzte Palmanova, das tatsächlich hexagonal aufgebaut ist. In solchen Elementen wird das Konstruierte, Geometrische, Gedachte greifbar, dem sich Hoefnagels Plan ja auch verdankt.
Und dann sind da vor allem die Bastionen. Sie sind das Neue, das in diesen Jahrzehnten Hinzugekommene. Mehr und mehr wurde der Ausbau der Städte von der Waffentechnik bestimmt. Die Kanonen, die nun das Kampfgeschehen regierten, ließen die Städte in die Breite wachsen und die Fortifikationen ausgreifen in die Umgebung. Vor der Zeit der Artillerie war im Vorteil, wer oben war, auf der Mauer, die man mit Steinen, Speeren, heißem Öl verteidigte. Nun geht es in die Horizontale. Vor der Mauer ist Leere, Schussfeld, Glacis, denn die Kugeln schlagen aus der Entfernung ein. In aller Beflissenheit nehmen nun auch die Stadtdarstellungen einen Standpunkt ein, als obliege er einem Kommandanten. Man sieht die Stadt von oben, damit man sie in möglichst ausgedehnter Breite betrachten kann. Die Befestigung ist das Neue an Wien, und genau das soll man hier erkennen. Immerhin gibt Hoefnagel den Verhältnissen soweit die Ehre, dass ausgerechnet das Einfallstor seines Blicks, die Seite zum „Danubius Fluvius“, aus jener füglich mittelalterlichen Wehr besteht, die sich seinerzeit eben an dieser Stelle erhob. Auch was Wien bald den Status einer Sensation verleihen wird, bleibt bei Hoefnagel wahrheitsgemäß unterbelichtet: Keine Modernisierung, und das hieß für damals keine Barockisierung hat bis dato stattgefunden, die vielen Kirchen haben allesamt noch ihr gotisches Gewand an und insgesamt ist die Orchestrierung des Straßen-und Platzgefüges eher bescheiden.
Hoefnagel sucht sich seine persönliche Plausibilität für Wien zwischen Kartenansicht und Vogelschau, zwischen Geo- und Chorografie der Stadt, zwischen Planimetrie und Perspektive, zwischen der Physik und der Optik, zwischen Mapping, für das man einen Plan braucht, und Touring, für das man am besten zwei Beine hat.
Hoefnagel sucht sich seine persönliche Plausibilität für Wien zwischen Kartenansicht und Vogelschau, zwischen Geo- und Chorografie der Stadt, zwischen Planimetrie und Perspektive, zwischen der Physik und der Optik, zwischen Mapping, für das man einen Plan braucht, und Touring, für das man am besten zwei Beine hat. Der Aufbau hieß eine Zeitschrift, mit der der Wiener Magistrat nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs Mut machen wollte für all die Zukunft, die schon im Titel stand. Im November 1946 erschien sie mit einem Cover, das den Aufbau per Collage jener Bauten vor Augen stellte, die für den Fortschritt standen. Der breite Riegel des Karl-Marx-Hofes, der Kathedrale des Sozialismus schlechthin, ist dabei kombiniert mit dem Wolkenkratzer des New Yorker Rockefeller Centers, seiner kapitalistischen Fraternisierung. Den Fond aber hinter all die Hoffnungen spannt Hoefnagels Vogelschau auf Wien – mit dem Stephansdom und der Silhouette der diversen Türmchen und Dachreiter, den Akzenten jener historischen Kirchengebäude, deren Wirkmacht es offenbar in die neue Zeit hinüberzuretten galt. Noch ein Wunderteam, wie man es sich damals herbeisehnte.
ENTDECKEN
Das Original der Vogelschauansicht Wiens von Jacob Hoefnagel wird vom Wien Museum, Karlsplatz 8, 1010 Wien, verwahrt.
Die Stadt wird zur Weltlandschaft: Jacob Hoefnagels Vogelschau auf Wien in der kolorierten Fassung aus dem sechsten Band des Werkes „Civitates Orbis Terrarum“ von Georg Braun und Frans Hogenberg, 1617.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.