Kitabı oku: «Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.», sayfa 14
»Eine scheußliche Erfindung sind sie – Vampire und Werwölfe sind sie,« sprudelte Prinzeß Lolo hervor. »Aber ich habe mich gerächt – ich habe sie alle weggeärgert!« –
»Wirklich! Und auf wieviel Gouvernantenskalps können Durchlaucht mit dem Stolz eines Indianerhäuptlings herabblicken?«
»Skalps? Woher wissen Sie das?« fragte Prinzeßchen perplex.
»Um Gottes willen – Durchlaucht haben doch die Unglückswesen nicht wirklich skalpiert?« rief Dolores lachend.
»Ach nein, leider nicht,« seufzte die hoffnungsvolle fürstliche junge Dame. »Aber sehen Sie, ich habe jeder etwas von ihren falschen Haaren heimlich weggenommen – Zöpfe, Locken, Scheitel, Chignons. Es sind alle Farben dabei vertreten, und ich habe ein ganzes Schubfach voll davon zu Hause im Residenzschloß. Ich nenne das meine Gouvernantenskalpsammlung,« schloß sie mit dem seligen Stolz eines Gemmensammlers.
Nun mußte Dolores wirklich lachen, herzlich lachen, denn auch sie konnte ein Lied singen von den kühnen Ideen, womit ein zur Würde einer jungen Dame erwachtes Backfischlein sich an dem Gouvernantenzwange rächt. Und wie sie hell auflachte, so hell, wie seit lange nicht, da stimmte das Prinzeßchen mit ein, und durch den schattigen Park klang ein solch' unwiderstehlich ansteckend wirkendes Duett, wie selten wohl.
Aber plötzlich wurde Prinzeß Lolo wieder ernst.
»Ich bin gar nicht hergekommen, um zu lachen,« erklärte sie, »sondern ich habe hier auf Sie gewartet, um Ihnen zu sagen, daß ich mich mit Ihnen schießen würde, wenn ich und Sie Männer wären!«
»Da kann ich ja von Glück sagen, Durchlaucht, daß wir's nicht sind,« entgegnete Dolores amüsiert.
»O, das ist gar nicht komisch,« gab die Prinzeß pikiert zurück.
»Und was verschafft mir die Ehre dieser durchlauchtigen Forderung übers Taschentuch?«
»Weil ich eifersüchtig bin – eifersüchtig auf Sie!« rief die Prinzeß mit plötzlich hervorstürzenden Thränen und heftig setzte sie hinzu: »Was kann ich dafür, daß Sie größer sind als ich und schöner?«
»Aber, Durchlaucht – das ist doch schließlich Geschmackssache! Es giebt Leute, die mich nicht einmal hübsch finden!« erwiderte Dolores erstaunt.
»Ich wollte, Sie wären häßlich wie die Pastrana – ein Waldaffe – ein Scheusal,« war die liebenswürdige Antwort, welche indes so unwiderstehlich auf Dolores wirkte, daß sie das Lachen nicht unterdrücken konnte. Aber das reizte die kleine, blonde Furie nur noch mehr.
»O Sie! Sie!« schluchzte sie. »Sie Scheinheilige, Sie Füchsin! Mir lachend seine Liebe zu rauben – ich hasse Sie, denn er hat nur Augen für Sie –!«
Jetzt wurde Dolores aufmerksam.
»Wessen Liebe raubte ich Ihnen?« fragte sie kühl.
»Seine – Alfred Falkners!« rief die Prinzeß, den Boden stampfend.
»Durchlaucht träumen,« entgegnete Dolores stillstehend mit soviel Hoheit, daß der mehr vor Zorn als vor Herzensjammer schluchzenden Prinzeß plötzlich die Thränen versiegten und sie fassungslos ihrer Gefährtin in das blasse Antlitz mit den seltsam flammenden Augen sah.
»Ich dachte, Sie sollten oder müßten ihn heiraten wegen des Testaments oder – was weiß ich –« stotterte sie purpurrot hervor.
»Durchlaucht sind in ersterem wohl informiert,« gab Dolores gleichgültig zurück. »Was das ›müssen‹ anbetrifft, so steht davon aber nichts geschrieben, und Baron Falkner ist mit mir dahin übereingekommen, daß das berührte Testament in diesem Punkte unvollzogen bleibt!« –
Mit einem Freudenschrei flog Prinzeß Lolo der eben so wenig Geschmeichelten um den Hals.
»Sie sind ein Engel,« rief sie lachend und weinend, »ach, Sie haben mich erlöst, denn ich wollte mir schon das Leben nehmen, weil ich dachte, Sie wollten ihn mir rauben – ihn, den herrlichsten von allen –«
»Wodurch hab' ich Ihnen zu diesem Verdacht Veranlassung gegeben, Prinzeß Eleonore?« fragte Dolores scharf hinein in diesen Redestrom.
»Ich weiß nicht – ich dachte nur – Sie gingen doch mit ihm nach dem Musikabend nach Hause –«
»Und –?« –
»Und indes bin ich beinahe gestorben vor Eifersucht und Zorn und Gram – und ich hörte ihn noch so lange in seinem Zimmer auf und ab gehen wie ein gefesselter und gefangener Löwe –! Und es ist wirklich wahr, daß Sie ihn mir lassen – mir?« schloß sie naiv.
»Von Lassen ist gar keine Rede, Prinzeß, denn ich habe sein Herz nie besessen,« sagte Dolores herb.
»O wie wunder – wunderschön!« jubelte das Fürstentöchterlein, ohne zu ahnen, wie weh sie ihrer Begleiterin that. Die aber fragte in den Jubel mitten hinein:
»Und sind Sie der Liebe Alfred Falkners so sicher?«
»Ei, wenn er Sie nicht liebt, wird er mich schon lieben,« erwiderte die Prinzeß mit eigentümlicher Logik – Herzenslogik – aber mit unbedingtem Selbstvertrauen.
»Und der Herzog, und der Erbprinz, und Prinzeß Alexandra –? Was werden sie zu der Mesalliance sagen?«
»Ist mir Wurscht!« erklärte die kleine Blonde sehr entschieden. Sie hatte den klassischen Ausdruck erst heut' aus einem Gespräch zwischen zwei Dienern belauscht und war stolz auf denselben. »Ich mag keinen Prinzen heiraten – das ist zu langweilig,« fuhr sie fort, »Sie können mir's wirklich glauben, es ist gräßlich, wenn man stets in Watte gepackt auf einem silbernen Präsentierteller sitzt. Papa? Papa thut doch immer, was ich will, und um Emil und Alexandra kümmerte ich mich schon gar nicht. Und der Titel, der Name? Bah, was ist daran Großes? Wir sind doch bloß kleine Kläffer, auf die niemand hört, und wenn wir zu laut bellen, steckt uns der große Herr Nachbar einfach – als Provinz? i Gott bewahre, als Kreis Nordland in die Tasche!«
»Es ist nur gut, daß der Wind diese lästerlichen Reden nicht allzuweit tragen kann,« bemerkte Dolores spottend auf diesen Erguß von Backfischpolitik.
»Papa würde lachen, Emil die Achseln zucken und die Drusen mit dem Kammerherrn Kopf stehen,« lachte Prinzeß Übermut.
»Und Prinzeß Alexandrine?«
»Ach Sascha –? Ja, Sascha würde eine Predigt halten und mir höllisch den Kopf waschen. Aber das ist gesund.«
»O, wenn Sie's als Vergnügen auffassen – va bene!« –
»So, und nun muß ich zurück, sonst schreien sie in Monrepos Zeter,« plapperte das rosige Mündchen weiter, und indem die Sprecherin Dolores die Hand reichte, setzte sie im gleichen Tone hinzu: »Also, das ist abgemacht, nicht wahr? Und Sie sind nicht böse, gar nicht? Nein? Ach, was sind Sie nett! Und verklatschen werden Sie mich in Monrepos auch nicht? Famos. Und wenn Sie ihm, den herrlichsten von allen, mal mit dem Zaunpfahl zeigen wollen, daß man doch auch ganz ansehbar ist – Gott, schaden könnte es ja nicht! Aber sehen Sie, er ist kein Krösus, und wir armen Herzogsmädel von Nordland haben auch das Geld nicht so haufenweise liegen, aber wenn ich recht reich wäre, wenn ich bloß den Falkenhof hätte –« –
»Sie sollen ihn als Hochzeitsgeschenk von mir haben,« unterbrach Dolores die entfesselte Redeschleuse der Herzogstochter.
Prinzeß Lolo sah ordentlich erschrocken aus.
»Ja, Sie haben gut spotten,« schmollte sie.
»Ich spotte gar nicht. Wenn Sie ihn annehmen, schenke ich Ihnen den Falkenhof als Hochzeitsgabe,« nahm Dolores ihren impulsiven Einfall mit Ernst auf.
»Nicht annehmen? Wer würde denn solch' ein Esel sein?« rief Prinzeß Lolo entsetzt, ohne zu ahnen, daß sie damit eine unfreiwillige Kritik an dem Manne ihrer Wahl übte, über die er jedenfalls nicht sehr erbaut gewesen wäre. »Aber nicht wahr, Sie sind nicht böse, wenn ich sage, daß Sie verrückt sein müssen, einen solchen Besitz zu verschenken!«
»Doch nicht ganz so, wie Durchlaucht denken!«
»Wirklich? Na denn man tau, wie sie oben bei uns sagen?« lachte das Prinzeßchen, jetzt ganz Glück und Sonnenschein, als hätte sie »seinen« Verlobungsring schon am Finger. Noch eine Kußhand warf sie der vordem so gefürchteten Rivalin zu und flog dann die Allee herab, Monrepos zu.
Dolores sah der weißen Gestalt nach, die so zierlich und graziös wie ein Schmetterling dahinflatterte, und eine ihr fremde Bitterkeit zog ihr durchs Herz und machte ihre Augen trübe.
»Was hab' ich denn gethan, daß aller Schmerz der Erde über mich kommen muß?« murmelten ihre zuckenden Lippen, und unwillkürlich fielen ihr die Worte aus der Prophezeiung in dem alten Missale ein:
»Die letzte Falkin muß in Schmerzen büßen,
Die Grabesruh' der Ahne zu versüßen.«
Und sie war die letzte Falkin. Ein Schauer überrieselte sie trotz des warmen Spätnachmittages, als sie dieser Stimme aus dem mehr als zweihundertundfünfzigjährigen Grabe gedachte, trotzdem diese Stimme einer armen Wahnsinnigen angehörte, der tiefstes Herzeleid die Sinne verwirrt.
Und als sie sich seufzend zum Gehen wandte, kamen ihr aus einem Seitengange Keppler und Falkner entgegen, beide in eifrigem Gespräch.
»Ah, Fräulein Dolores!« rief ersterer heiter aus. »Thun Sie ein gutes Werk und bekehren Sie diesen Vandalen –!«
»Ach, ich scheine kein Talent zum Missionär zu haben,« erwiderte Dolores, bemüht, ihr frohes Temperament wieder zu gewinnen. »Handelt es sich um Renaissance oder Rokoko?« setzte sie fragend hinzu, da sie sich eines ziemlich heftigen Diskurses über dieses Thema zwischen Keppler und dem Erbprinzen erinnerte. »Doch da muß ich zu meiner Schande gestehen, daß ich's mit beiden halte, denn aus der Renaissance will ich die Kostüme, aus der Rokokozeit aber die graziösen Linien der Möbel.«
»Ach, es handelt sich nicht darum,« rief Keppler. »Wir streiten – ja streiten über die Berechtigung der Frauen für den Künstlerberuf.«
»Die Berechtigung beginnt mit dem Talent und gipfelt im Genie,« meinte Dolores fein. »Aber,« setzte sie hinzu, »Sie werden Herrn von Falkner nicht überzeugen.«
»Keppler will mich mißverstehen,« entgegnete Falkner. »Ich verteidige nur meine Überzeugung, nach der die Bühnenlaufbahn der Frauen nicht im Künstlerberuf mit inbegriffen werden dürfe. Wenigstens nicht bei allen. Auch der Konzertsaal bietet der Sängerin ein Feld für schöne Siege und Triumphe.«
»O ja. Aber wer ums liebe Brot singt, wird es auf der Bühne eher finden und reicher,« sagte Dolores leise.
»Ums liebe Brot! Man soll aber nicht daran denken, wenn man ein Künstler sein will,« rief Keppler heftig. »Nur frei und losgelöst von den elenden Miseren des Lebens kann der Genius sich entwickeln. Beim einfachen Brotverdienen muß er verkrüppeln.«
»Und doch hat auch mich die Sorge ums Brot in die Künstlerlaufbahn gedrängt,« erwiderte Dolores leicht, und als sie dem überraschten Blicke Alfred Falkners begegnete, fügte sie hinzu: »Freilich fühlte ich meine Schwingen im Fluge wachsen, und verklärt wurde mir im Siegen der erste schwere Entschluß. Tempi passati.«
»Nicht doch – Zeiten, die Ihnen wiederkehren sollen und werden,« rief Keppler.
»Nein,« entgegnete Dolores fest. »Ich werde die Bühne niemals mehr betreten.«
Sie wußte selbst nicht, warum sie aussprechen mußte als Faktum, was sie vor einer halben Stunde noch nicht um die Welt versprochen hätte. Aber es drängte sich auf die Lippen, und nun war es hinausgehallt, und sie wußte, daß sie ihren Worten treu bleiben würde.
»Leben Sie wohl für heute, Donna Dolores,« sagte Keppler nach einer Pause. »Denn daß Sie ein Renegat der Kunst geworden sind, das ist eine Nachricht, die ich erst verwinden muß, ehe ich der Abtrünnigen wieder begegne.«
Und damit kehrte er kurz um und war bald ihren Blicken entschwunden.
»Es hat ihn getroffen – aber er wird es schon überwinden, denn tout lasse, tout casse, tout passe,« meinte sie seufzend.
»Darf ich denn meinen Ohren trauen?« fragte Falkner nach einer Weile. »Erst Ihre – übrigens vollberechtigte – Verteidigung eines Berufes, den Sie zu dem Ihren gemacht aus Gründen, die ich zu verstehen beginne, und heut' – heut' diese Resignation auf fernere Lorbeeren –«
»O behüte,« entgegnete sie fast heiter. »Sie wissen, Geibel sagt zwar:
Lorbeer ist ein bittres Blatt
Dem, der's sucht, und dem, der's hat.
Aber es ist auch dabei das begehrenswerteste Blatt, und ich will's auch zu erringen suchen durch mein bißchen Talent, Melodien zu erfinden. Lieder und kleine Albumblätter – vielleicht auch wieder einmal eine Oper von ›dem Komponisten der Satanella‹ – sind wohl mindestens der Beachtung sicher. Meinen Sie nicht?«
»Was liegt Ihnen an meiner Meinung?«
»O, man müßte ja natürlich eine merkwürdige Bettelsuppe von Charakter sein, wollte man sich nach jedes Menschen Meinung richten. Aber hören kann man sie doch und sich die Goldkörnchen daraus lesen.«
Falkner antwortete nicht, und schweigend schritten sie weiter. Zuletzt aber nahm er doch wieder das Wort.
»Welch' guter Engel mag es gewesen sein, der Ihren Entschluß in diese Bahn gelenkt hat?« sagte er sinnend.
»Ein guter Engel war's in der That, der mich eben erst zu überreden suchte, und sein Name ist Prinzeß Alexandra,« erwiderte Dolores. »Und auf der anderen Seite deutete Herr Keppler mir als Genius des Ruhms mit einer Lorbeerkrone hinauf – zur Sonne. Da stand ich denn:
Prophete rechts, Prophete links,
Das Weltkind in der Mitten.«
»Aber der Engel siegte –?«
»Nein. Es war etwas anderes – ich bin müde – und ich habe wohl auch Verpflichtungen als Herrin des Falkenhofes, solange er mein ist. Die arme Dolores Falkner konnte thun, was ihr beliebte, oder was sie mußte, um ihre Gaben zum Kampfe ums Dasein zu verwerten; die reiche Dolores Falkner konnte sich dann auch noch echte Diamanten statt der falschen in ihre Theaterprinzessinnen-Kronen fassen lassen – aber die Lehnsherrin vom Falkenhof ist's wohl dem alten Stamme schuldig, daß sie ihn nicht von den Brettern aus verwaltet, trotzdem höchstes Künstlertum nicht schändet, sondern auszeichnet.«
»Ja,« sagte Falkner mechanisch – und setzte dann hinzu: »Ich danke Ihnen aber trotzdem, Dolores!«
Mit jähem Erröten, fast erschreckt, sah sie auf, als er ihren Namen nannte.
»Verzeihen Sie – es geschah ohne Absicht,« rief er, gleichfalls erschrocken über eine Kühnheit, die ihm, nach allem, nicht zustand, deren Erfolg er aber nun atemlos, gierig erwartete.
»O, es macht nichts – wir sind ja Vetter und Base,« sagte sie mit jenem Lachen, das ihn früher so sehr gereizt. »Und wenn ich mir's bedenke, so ist's ja überhaupt nur spaßhaft für die anderen, wenn wir uns so furchtbar steif als ›Herr Baron‹ und ›gnädigste Baronesse‹ titulieren. Also lassen wir's doch dabei und nennen wir uns mit unseren Vornamen. Das spricht, wenigstens nach außerhalb, mehr für die Komödie ›Die zärtlichen Verwandten‹ als für die Tragödie ›Ein Bruderzwist im Hause Habsburg.‹«
»Gewiß,« bestätigte er kühl, ernüchtert.
»Falls es Ihnen nämlich recht ist, wenn wir das Kriegsbeil vergraben,« schloß sie, nicht ohne den alten, leisen Spott im Tone.
»Recht? Nur recht? Ich legte Ihnen mein ›peccavi‹ schon früher zu Füßen,« erwiderte Falkner beziehungsvoll.
»Ich weiß es und hab's nicht vergessen,« gab Dolores ernst zurück. »Denn Sie können mir glauben, Vetter, daß es mir Ernst ist mit unserem Friedensschluß –«
»Wirklich?« fragte er stehenbleibend und ergriff ihre beiden Hände. Sie wurde um einen Schatten blässer, aber sie litt es ohne Widerstand.
»Ich bin so gut als mein Wort,« sagte sie ohne zu zucken, »und daß wir unsere heterogenen Naturen im Interesse des guten Tons zu einem ungezwungeneren Verkehr zwingen, kann für uns und andere nur von Vorteil sein. Auch bekenne ich gern, daß ich Ihr ›peccavi‹, wie Sie es selbst nannten, bei Ihrer Abneigung gegen meine Person, als eine besonders schwere Selbstüberwindung, auch besonders hoch schätze.«
Heftig ließ Falkner die beiden schmalen, langen Hände los, die so ganz regungslos in den seinen gelegen hatten.
»Wer sagt Ihnen, daß ich eine Abneigung gegen Ihre Person hege?« fragte er rauh.
»Nun, dazu gehörte wohl nicht viel, um es selbst zu merken!« lachte Dolores mit jener Schelmerei, die ihr so reizend stand. »Also passons là-dessus. Um so mehr, als ich heut' die Rolle Ihres Schutzgeistes übernommen habe. Das ist komisch, nicht wahr?«
»Meines Schutzgeistes?«
»Ja. Mehr darf ich aber nicht verraten, denn das sind Herzenssachen! Und nun trenne ich mich von Ihnen, denn ich muß Engels noch sprechen. Adieu, Vetter Alfred! Sie kommen doch morgen auch mit den Herrschaften aus Monrepos herüber, ja? Also abgemacht und auf Wiedersehen?«
Und damit huschte sie durch eine Seitenallee dem Turm zu, wo Engels hauste, und ließ Falkner mit dem Gefühl eines Menschen zurück, der sein Geld verspielt hat und nun nicht weiß, woher das Geld zu einem letzten verzweifelten Einsatz zu nehmen.
Dolores verlangsamte ihren Schritt, sobald sie aus seinem Gesichtskreis war, und endlich ging sie gar hinein in das Haus, ohne Engels aufgesucht zu haben. In ihrem Turmzimmer stand sie still und legte die Hand auf ihr Herz.
»Es that vorhin weh bei dem Geplauder des eifersüchtigen fürstlichen Backfisches,« dachte sie, »und es fing an zu schlagen und zu klopfen, als er mich Dolores nannte. Aber jetzt ist es ganz still und ganz kalt. Überhaupt gar kein Herz –!«
Und sie setzte sich ans Fenster und sah hinaus, bis die Sonne untergegangen war, blaß bis zu den Lippen, aber trockenen Auges und mit dem Gefühl, als wäre in ihr alles ganz still und starr und kalt.
Endlich stand sie auf.
»Es ist Abend geworden, und der Tag hat sich geneigt,« sagte sie und setzte seufzend hinzu: »Und die Sonne ist untergegangen, und der Reif ist gekommen –
Und fiel auf die zarten Blaublümelein –
Die sind verwelket, verdorret.«
Da schloß sie das Fenster mit leisem Schauer und zündete ein Licht an und setzte sich an ihren Schreibtisch.
Doch ihre Hände waren kalt, so kalt, daß es ihr Mühe machte, die paar Zeilen der Einladung zum folgenden Tage an die Gräfin Schinga zu schreiben. Die Arnsdorfer hatten sie zwar noch nicht eingeladen, und daher bedurfte es noch ein paar liebenswürdiger Worte, um diesen Umsturz des betreffenden Artikels aus dem Codex der Gesellschaft zu motivieren, zu entschuldigen und auszugleichen.
Nachdem der Brief geschrieben war, ließ Dolores ihn sogleich bestellen, aß und trank gehorsam, was Ramo ihr auf einem stummen Diener serviert als Abendimbiß gewohntermaßen pünktlich ins Zimmer brachte, und stieg dann herab nach den Gemächern, welche Doktor Ruß mit seiner Frau bewohnte, um auch diese beiden zu ihrem Fest zu bitten.
»Ich habe keine passende Toilette,« erwiderte Frau Ruß kurz und nicht gerade höflich.
»O, ich trage ja auch nur schwarz,« wendete Dolores freundlich ein.
»Natürlich, natürlich,« beeilte Doktor Ruß sich einzutreten. »Du hast dein neues Trauerkleid, liebste Adelheid, und dies bedarf keiner Eleganz.«
»So mein' ich's,« redete Dolores der heftig strickenden Frau zu. »Ich lasse Ihnen durch Therese einen Kreppbesatz aufheften und ein Häubchen bauen – sie macht das wirklich sehr hübsch und elegant.«
»Ich habe keinen Krepp und werde in der Kreisstadt auch keinen bekommen. Außerdem ist er mir zu teuer,« erwiderte Frau Ruß auf das freundliche Anerbieten.
»O, ich habe noch viel davon – Therese brachte mir vom besten aus B. mit,« meinte Dolores.
»Was kostet das Meter?«
»Ich habe keine Ahnung mehr,« lachte Dolores, »das Stückchen Zeug werden Sie doch von mir annehmen, nicht wahr?«
»Selbstverständlich,« schnitt Doktor Ruß eine schroffe Ablehnung seiner Ehehälfte ab. »Wir schätzen Ihre freundliche Hilfe gewiß sehr hoch, liebste Dolores, und ganz besonders ich, da Ihr trefflicher und geschulter Geschmack für meine arme Frau, die ganz außer allen Konnex mit der Mode gekommen ist, nur vorteilhaft sein kann. Und ich liebe es doch so sehr, deine natürliche Schönheit durch die unentbehrliche Folie der Kleidung gehoben zu sehen, meine teure Adelheid!«
Frau Ruß warf ihrem Gatten einen dankbaren Blick zu. Sie war ja, obgleich an Jahren älter als er, doch immer noch eine sehr stattliche Erscheinung, die sich leider äußerlich sehr vernachlässigte – eine Folge des einsamen Lebens im Falkenhof, in dem »einen doch keine Seele sah,« und »für den jeder Fetzen noch gut genug war,« eine Ansicht, welche Doktor Ruß nicht teilte, da er sich stets tadellos kleidete und ihm die saloppe Toilette seiner besseren Hälfte ein Greuel war.
»Was soll ich dabei? Ich verderbe euch nur eure feine Gesellschaft,« brummte Frau Ruß mürrisch, aber nur noch der Form wegen.
»Das thun gebildete Menschen nie, mein Herz,« erwiderte Doktor Ruß taubensanft. Denn abgesehen davon, daß jeder Mensch die Abwechslung liebt, lag ihm thatsächlich viel an ferneren Begegnungen mit dem »Hofe« von Monrepos, um so mehr, als der Erbprinz sich sichtlich für ihn zu interessieren schien.
»Also Sie kommen – und morgen früh mag Therese sich das Kleid holen,« beendete Dolores die Unterredung und erhob sich wieder.
»Wie, Sie gehen schon?«
»Ja – ich bin zwar müde, habe aber Kopfschmerzen und muß im Freien noch etwas umhergehen, ehe ich zu Bett gehe.«
»Ich begleite Sie,« sagte Doktor Ruß, sehr zum Mißvergnügen seiner Frau, während Dolores sich mit einem leisen Seufzer in ihr Schicksal ergab.
Und so traten sie denn hinaus in die warme und doch erfrischende Nachtluft, gefolgt von zwei eifersüchtigen, kalten, blauen Fischaugen, denen kein Blick des Mannes entging, welcher an der Seite des schönsten Weibes hinabschritt ins Dunkle.
»Ich hasse sie – und er mag sich hüten,« knirschte Frau Ruß – und strickte weiter. Was hätte sie gesagt, wenn sie gesehen hätte, wie Doktor Ruß draußen seiner Gefährtin den Arm reichte und Dolores sich wirklich auf denselben lehnte. Sie wollte die gebotene Stütze nicht zurückweisen, denn sie war sich bewußt, daß sie sich vor diesem Manne zu einer Heftigkeit hatte hinreißen lassen, welche ihr jetzt als unpassend und – unnötig erschien. Und Doktor Ruß schien ihre Gedanken zu lesen, denn im Einklange mit denselben begann er nach wenigen Schritten:
»Was müssen Sie von mir gedacht haben, liebste Dolores, als ich Ihnen gestern oben im Ahnensaal von Dingen redete, welche Sie so tief alterieren mußten! Verzeihen Sie mir mit dem Worte der Staël: Tout comprendre c'est tout pardonner. Und Sie werden mich verstehen, oder haben vielleicht schon verstanden, was ich in Worte zu kleiden suchte, die Sie erregten?«
»Ganz überflüssigerweise erregten,« erwiderte Dolores freundlich. »Sie kennen ja die Sage von der Achillesferse – nun, Sie hatten das Mißgeschick, mich gerade an der meinigen zu treffen. Also gleichfalls: nichts für ungut, wenn meine Worte allzu gereizt geklungen haben!«
»Nur mit Recht, nur mit Recht!« rief Doktor Ruß. »O, ich bin so froh, daß meine scheinbare Taktlosigkeit vor Ihren Augen den Entschuldigungsgrund reiner Menschlichkeit gefunden hat. Denn Sie wissen, liebste Dolores, daß wir armen Menschenkinder stetig hoffen, stetig planen, weil unserem Blick die Zukunft verborgen und das Herz der anderen verschlossen ist, daß wir darin nicht zu lesen vermögen –«
»Das ist eigentlich sehr schade,« meinte Dolores heiter und nicht ohne Beziehung, denn sie hätte gern gesehen, ob im Herzen ihres Kavaliers dessen feine Entschuldigungen so ernst gemeint waren, als seine Attacke auf ihr Vertrauen gestern.
»Gott behüte, das wäre schrecklich,« entgegnete Doktor Ruß gleichfalls heiter, denn er hatte wieder Terrain erobert. »Denken Sie nur, was man da alles zu sehen und zu lesen bekäme: alle Liebesnamen, welche die Sprache so freundlich für diese Zwecke leiht, Berechnung, Hinterlist, Abneigung –«
»Aber auch wirkliche Freundschaft und Wohlwollen –«
»Das wollt' ich eben als den besten Bissen nennen. Aber Hand aufs Herz, liebste Dolores – es lächelt hinter dem stärksten Wohlwollen, der wärmsten Freundschaft der Kobold, welcher uns zuflüstert: Wenn es nur nicht die lächerliche Seite hätte, oder so verboten aussähe, oder so wäre und so –«
»Dafür sind Freundschaft und Wohlwollen auch nur mit Verlagsrecht versehene und blässere Abzüge des einen großen und einzigen Gefühls – der Liebe, welche keine Nebengedanken hat und taub ist gegen das boshafte Geflüster aller Kobolde der Welt,« erwiderte Dolores warm, aber doch im heiteren Konversationstone. Und aus diesem Tone hörte Doktor Ruß auch nichts Besonderes heraus und konnte auch im Dunkeln nichts lesen aus den Zügen, die nur hin und wieder ein Streif des Mondlichtes traf, der zwischen den Bäumen durchhuschte und sich in dem wie poliertes Kupfer gleißenden Haar der Herrin vom Falkenhof fing.
»Also liebt sie und will darum nichts wissen von einer Verbindung mit Alfred,« fuhr es durch das thätige Hirn des Doktor Ruß. Und laut sagte er träumerisch: »Ja die Liebe! Lebenssonne, Lebenslicht! Ach, wo bist du hin!«
Es stieg verführerisch auf nach den Lippen und reizte Dolores zu sagen: »Sie sitzt ja drinnen, deine Sonne, und strickt Socken für dich,« aber die angeborene Großmut ihres Herzens drängte dies schnöde, kalte Sturzbad auf die Mondscheingefühle des Doktor Ruß siegreich zurück.
Der in seiner Verteidigungsrede für die Unlesbarkeit der Gedanken entschieden in diesem Falle rechthabende Doktor Ruß schritt indes neben Dolores her und gestattete sich offenen Auges eine kleine Exkursion in das Reich seiner Gefühle.
»Die Liebe! Die Liebe!« wiederholte er. »Es bringt einem die ganze schöne Zeit zurück, da man noch jung war und das Herz seinen Tribut verlangte. Aber nicht jedem Herzen wird er entrichtet, und manch' ein Herz ist schon verhungert und verdurstet, oder verknöchert aus Mangel an Liebe oder – Gegenliebe, oder an dem gebieterischen ›Zurück,‹ mit welchem das Schicksal einem für immer die Pforten des Paradieses verschloß. Wie sagt der Dichter?
Ein ewiges Gesetz, den Frevel richtend,
Gebeut: Willst du dein Erdenlos bestehen,
Mußt du geschlossnen Auges und verzichtend
An manchem Paradies vorübergehen.«
»So scheint es,« sagte Dolores ruhig, aber innerlich bewegt von Lenaus Worten, welche gut gesprochen, auch mächtig an ihr Herz klangen.
»So ist es,« vollendete Doktor Ruß. »Glück – Liebe –! Für die Menschen geschaffen und doch nicht für jedermann. Vorbei, verweht, verloren für immer,« schloß er, beinahe flüsternd, und Dolores ergriff ein warmes Mitgefühl für den Mann, der seine Jugend durchkämpft um den kargen Bissen Brot, den er sich sauer verdiente im geistigen Tagelohn, und endlich um Verdoppelung dieses kargen Stück Brotes eine Ehe einging mit einer Frau, die nicht nur älter war als er, sondern auch sein geistiger Antipode, mit dem ein Wort inneren Verständnisses unmöglich war für alle Zeiten.
»Das ist schlimmer als der Tod,« dachte sie, »schlimmer als Entsagen.«
Ja, tausendmal schlimmer. Und Dolores mit ihrem reichen und reinen Herzen ahnte nicht einmal, daß der verknöcherte, schnödeste Egoismus und der verbrecherische Gedanke und der Eigennutz geboren werden aus den Herzen derer, welche nicht verzichtend, sondern begehrend vor dem geschlossenen Paradiese stehen.
»Was doch der Mondschein nicht aus uns herauslockt, alles, was wir längst tot und begraben meinten,« sagte Doktor Ruß dann nach einer Pause in leichterem Ton. »Auch Sie sind ernst geworden, Dolores.«
»Das ist der Grundzug meines Charakters, lieber Freund,« erwiderte sie.
»Aber ein natürlicher Frohsinn läßt ihn nicht herb werden,« meinte er. »Das ist eine Gottesgabe!«
»Ich weiß es und bin dankbar dafür.«
Nach einer abermaligen Pause nahm Doktor Ruß wieder das Wort.
»Ich habe viele Bühnenkünstler gekannt und von vielen gehört, welche von Natur ernst veranlagt waren – und zwar je ernster, je heiterer die Rollen waren, die sie verkörperten. Das ist auch solch' ein Naturrätsel, das noch keine Lösung gefunden hat, aber ich wundere mich nicht, es in Ihnen zu finden, liebe Dolores. Es frägt sich nur, ob man diese inneren und äußeren Gegensätze immer zur Begegnung zwingen kann, das heißt ob es auch Ihnen auf die Dauer gelingen wird, den Ernst Ihres Charakters mit der notwendigen inneren Heiterkeit der Kunst zu verschmelzen.«
Es war eine wohlgesetzte kleine Rede und, was das beste daran war, sie brachte ihren klugen Verfasser auf den Punkt, den er im Auge hatte.
»O doch,« sagte Dolores arglos. »Da ich zur Bühne nicht zurückkehren werde, sondern meine künstlerischen Kräfte nur noch dem Studium der Musik und der Komposition widmen will, so kann dieser gefürchtete Ernst meiner angeborenen Heiterkeit nur von Nutzen sein!«
»Oder die Heiterkeit dem Ernste,« erwiderte Doktor Ruß fein. »Doch Ihr Entschluß überrascht mich nach Ihrer gestrigen Erklärung, den Falkenhof schnöde verlassen zu wollen.«
»O – eins hat mit dem anderen nichts zu thun. Ich will bei einem großen Meister in die Lehre gehen – kann ich das hier?« fragte sie zurück und setzte heiter hinzu: »Da der Berg nicht zum Propheten kam, ging der Prophet eben zum Berge. Das ist mein Fall, der noch lange keine Schnödigkeit gegen den Falkenhof in sich birgt, denn den denke ich mir als Erholungswinkel und buen retiro zu reservieren.«
»Aber doch inzwischen ganz zuzuschließen für unbestimmte Zeit,« warf Doktor Ruß ein.
»Das ja!« erwiderte Dolores und fuhr harmlos fort: »Und denken Sie nur, wie sonderbar der Mensch doch ist – ich denke gar nicht gern an das Scheiden aus dem lieben, alten Hause, in dem ich meine schönsten Kinderjahre, weil meine ungebundensten, verträumt und mit den Märchengestalten meiner Bücher und meiner Phantasie bevölkert habe. Sie freilich werden den Ort gern verlassen, der Ihrem Geist so wenig oder gar nichts geboten hat, und ich kann mir denken, mit welch' geistigem Hunger es Sie hinaus und nach einem Felde der Thätigkeit verlangt. Sie haben dem verstorbenen Onkel in der That ein großes Opfer gebracht!«
»O – Sie beschämen mich!« murmelte Doktor Ruß bescheiden. Es war gut, daß es dunkel war – es hätte Dolores sonst auffallen müssen, wie blaß er geworden war. »Daß Sie recht haben wie immer, kann ich ja in Bezug auf mich nicht leugnen,« sagte er im gleichen, ruhigen Gesprächston, aus welchem höchstens die scharfen und an jede Tonnuance gewöhnten Ohren seiner Frau eine leise Schwankung herausgehört hätten.
»Nein, denn nur das Gegenteil hätte bei einem Geist, wie der Ihrige ist, verwundern können,« entgegnete Dolores freundlich.
»Ich danke Ihnen,« sagte er innig und beugte sich herab, ihre Hand zu küssen. Doch das gelang ihm nicht, denn lachend verbarg sie beide Hände auf dem Rücken und erlangte dadurch die ersehnte Freiheit des Alleingehens.
»Und wann gedenken Sie den Falkenhof zu verlassen?« nahm Doktor Ruß den Faden des Gesprächs wieder auf.
»O, erst im Herbst, wenn es anfängt rauh und kalt zu werden. Ich möchte doch noch den schönen, heiteren, unvergleichlichen deutschen Sommer genießen.«
»Sicher. Ich fragte nämlich nicht ohne Grund und ohne persönliches Interesse,« sagte Doktor Ruß mit gewinnender Offenheit. »Es läßt sich für mich nichts Annehmbares vor dem Beginn des Wintersemesters erwarten, das liegt auf der Hand –«