Kitabı oku: «Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.», sayfa 13
Ruß verbeugte sich leicht, mit Selbstbewußtsein und Würde.
»Dieser gnädige Wunsch Eurer Hoheit hätte durch meinen Stiefsohn leicht erfüllt werden können,« sagte er etwas scharf, was Falkner nicht beachtete, denn er fand es nicht für nötig, irgendwelche Gründe oder Entschuldigungen für seine Unterlassungssünde anzuführen.
Der Erbprinz, der sehr wohl wußte, daß Falkner für den Mann seiner Mutter wenig oder nichts übrig hatte, ging ebenfalls über die Erwiderung des Doktors hinweg. »Ich hoffe sehr, Sie für meine Studien interessieren zu können,« sagte er, »falls Sie mir hin und wieder eine Stunde dafür schenken können.«
»Es kann von Schenken nicht die Rede sein, wenn Hoheit mir für die Zeit Gedanken geben,« erwiderte Ruß fein. »Ich weiß von mehreren meiner gelehrten Korrespondenten, daß Hoheit das Traumleben des Menschen sich zum Studium gemacht – für dieses Thema dürfte Baronin Dolores eine aufmerksame Hörerin sein –«
»Ist es möglich?« rief der Erbprinz erfreut. »Ich dachte nicht, daß diese Mysterien eine Anziehungskraft für Sie hätten, Baronin?«
»Ich fragte Doktor Ruß einmal, ob er an Träume glaubt, und er antwortete mir mit Ihren Theorien, mein Prinz,« entgegnete Dolores und fügte hinzu: »Es würde wirklich von Wert für mich sein, ein wissenschaftliches Urteil über Träume zu hören.«
»Urteile, Baronin? Wir haben nur Vermutungen, die wir auf Psychologie basieren,« erwiderte Prinz Emil. »Sie hatten also Träume, deren Ursprung Ihnen rätselhaft erscheint?«
»Ja,« sagte Dolores zögernd. »Das heißt, ich nenne es einen Traum!«
»Und den haben Sie im Falkenhof geträumt?« mischte Falkner sich in das Gespräch.
»Ja,« sagte sie abermals zögernd.
»O, davon sagten Sie nichts,« rief der Doktor überrascht.
»Nein – und ich möchte auch nicht gern davon sprechen – wenigstens jetzt nicht, heute nicht!« erwiderte Dolores mit leisem Schauer und gedämpftem Ton.
»Nein, wir sprechen ein andermal davon, Sie, mein Bruder und ich allein, nicht wahr?« sagte Prinzeß Alexandra, welche schweigend zugehört und wohl gesehen hatte, daß Dolores von einer Erinnerung heftig bewegt wurde.
Inzwischen war die heiße Sommersonne hinter den Bäumen hinabgesunken, und es wurde Zeit, nach Monrepos zurückzukehren. Langsam brach man auf und schlenderte, in zwei Gruppen geteilt, durch den Park der Grenze zu, begleitet von Dolores, durch deren Arm Prinzeß Alexandra den ihren schlang. An ihrer Seite schritt Falkner, neben Dolores Keppler. Voran gingen der Erbprinz, seine jüngste Schwester am Arm, und Doktor Ruß, der das Prinzeßchen durch seine Redegabe und Eingehen in ihre Gedanken ganz zu bestricken schien.
»Das ist der einzige Mann, mit dem man ein ernstes Gespräch führen kann,« erklärte sie später ihrem Bruder schmeichelhafterweise zu dessen großer Belustigung.
»Dieser Park ist wirklich herrlich,« sagte Prinzeß Alexandra und blieb stehen. Sie schaute mit schönheitstrunkenem Blick über das samtgleiche, smaragdgrüne bowlinggreen, das sich weit vor ihnen ausbreitete, nach den frischgrünen Baumgruppen, deren Kolorit so prächtig abgetönt wurde durch die sich darein vermischenden dunklen Tannen und braunroten Blutbuchen, die sich wiederum von dem goldgetönten Abendhimmel in weichen Umrissen abhoben.
»Ja, es ist ein einzig schöner Fleck Erde,« erwiderte Falkner fast bewegt, und es traf ihn ein Blick von Dolores, den er verstand, und den er also zu deuten wußte: Er konnte dein sein, dieser Fleck Erde, aber du hast ihn verschmäht, weil meine Hand ihn dir bot.
»Schon seit Jahren erfreue ich mich Sommer für Sommer an diesem buen retiro. Wie süß für Sie, Baronin, mit jener Königstochter sagen zu können:
This plot of ground I call my own,
Sweet with the breath of flowers,
Of memory of pure delights
And toil of summer hours.
Und wissen Sie, daß ich nur den Park und nicht den Falkenhof kenne? Sie müssen mich einmal in dem alten Hause umherführen und mir alles zeigen!«
»O wie gern,« rief Dolores, der die freundliche Art der Prinzeß immer zu Herzen ging, weil sie von Herzen kam. »Ich warte nur auf den Tag, der mir die Ehre bringt, meine hohen Nachbarn von Monrepos als meine Gäste im Falkenhof zu begrüßen.«
»Unter den Klängen des Tannhäusermarsches,« sagte Falkner nicht ohne Spott.
»Eine gute Idee,« meinte die Prinzeß harmlos. »Sie sollen nicht zu lange zu warten brauchen, edle Schloßherrin!«
»Noch eh' ich den Falkenhof verlasse?« fragte Dolores eifrig.
»Sie wollen den Falkenhof verlassen?« Es waren drei Stimmen, die es gleichzeitig fragten.
»Ja,« erwiderte sie leise, aber fest.
»Nun, aber doch nicht für immer,« meinte die Prinzeß lächelnd.
»Doch, für immer,« sagte Dolores.
»Sind Sie europamüde?«
Dolores sah erschreckt auf – war es wirklich Falkners Stimme, die diese Frage gethan?
»Nein, aber ich bin des Falkenhofs müde,« sagte sie unsäglich traurig. »Was soll ich auch hier? Engels wird das Lehen verwalten – in besseren Händen könnte es nicht sein!«
»Und Sie selbst, wohin werden Sie gehen?« fragte Prinzeß Alexandra teilnehmend.
»Ich weiß es noch nicht, Durchlaucht!«
»Die Kunst ruft Sie, die Auserwählte, gehorchen Sie dieser Stimme!« rief Keppler. »Sie können noch so viel Gutes schaffen und Schönes, es wäre Sünde, wollten Sie das Pfund vergraben, das Gott Ihnen gegeben hat!«
»Nein, nein,« rief die Prinzessin, »bleiben Sie! Sie sind zu jung, zu gut für das Leben auf der Bühne, wo niemand Sie vor Verleumdung schützen kann –«
»Durchlaucht, das thut auch hier niemand,« erwiderte Dolores bitter. »Die höchsten und edelsten Frauen haben mich gerne in ihre reinen Kreise gezogen, so lange ich mich Doña Falconieros nannte, und meinen Ruf hat die Verleumdung nicht anzutasten vermocht, das ist die vornehmste Mitgift, die Gott mir für dieses Leben gegeben. Was Weh ist und Schmerz und Ungerechtigkeit, das hab' ich erst hier kennen gelernt!«
Die Prinzessin umarmte Dolores und küßte sie auf die bleiche Stirn.
»Ich weiß, daß Sie gut sind und edel,« sagte sie, »ich weiß, daß kein Flecken auf Ihrem Rufe haftet – hätte ich sonst Ihre Nähe gesucht? Denn wir Fürstinnen stehen den Blicken der Welt ebenso exponiert wie die Künstlerinnen und müssen den Schein in allem zu meiden suchen. Man muß nur die höchste Meinung von dem Berufe haben, zu dem wir ausersehen sind, dann ist ein Abirren von dem rechten Pfade unmöglich!«
»Ich kann's bezeugen, daß Donna Dolores ihre Kunst für allzu heilig hält, um sie zu profanieren,« sagte Keppler warm, »und wenn es eine würdige Priesterin dafür giebt, so verdient sie diesen Namen – dafür will ich einstehen zu jeder Zeit!«
»Ich danke Ihnen,« erwiderte Dolores leise.
Falkner hatte kein Wort mehr gesprochen – er stand abgewendet und betrachtete aufmerksam die flockigen Blüten eines Perückenbaumes am Wege.
»Was sagen Sie zu dem Entschlusse Ihrer Cousine, lieber Baron?« fragte die Prinzeß.
»Ich, Durchlaucht?« er sah sehr gleichgültig aus. »Ich habe ja gar kein Recht, etwas zu sagen.«
Sie gingen schweigend weiter, bis die Prinzeß wieder fragte:
»Und wann wollen Sie von hier scheiden?«
»Ich weiß es noch nicht, Durchlaucht, vielleicht sehr bald, vielleicht erst zum Schluß des Sommers. Ich glaube, das Rasten thut mir gut, aber ich fürchte das Rosten. Es bedarf in der That aller meiner Energie, um nicht, wie Herr Olaf auf der Erlenhöhe, so lange zu träumen, bis es zu spät wurde für den Träumer.«
»Nun, ich übernehme es, dafür zu sorgen,« rief die Prinzessin lebhaft. »Wir wollen einander oft sehen, nicht wahr? Wir wollen alles besprechen, was uns interessiert. Sie sind doch unsere Verbündeten, meine Herren?«
»Mit Enthusiasmus, Durchlaucht, für solchen Zweck,« erwiderte Keppler warm. Falkner antwortete nur mit einer stummen Verbeugung.
Am Gitter von Monrepos sagte man sich Lebewohl. Der Herzog stand hier, eine große Menge Bast im Arme, ein Okuliermesser in der Hand, und bedauerte lebhaft, die nette Partie versäumt zu haben! Und dabei sah er so einfach, so glücklich und harmlos aus, daß es fast rührend war. Es drückt eben nicht jede Krone die Stirn ihres Trägers. Ob daran die Krone oder die Stirn die Schuld trägt?
»Der gute Herzog, es ist ein Glück für ihn, daß er nichts, rein nichts von einem Prometheus in sich hat,« meinte Doktor Ruß, als er an Dolores' Seite dem Falkenhofe zuschritt.
»Halten Sie das wirklich für ein Glück?« fragte sie träumerisch. »Ich meine, es ist eine schöne Aufgabe, das göttliche Feuer vom Himmel herabzuholen und Großes mit ihm zu schaffen.«
»Trotz dem sicheren Gefühl, gefesselt wie Prometheus an den starren Felsen der Intolleranz von dem Geier der öffentlichen Meinung zerfleischt zu werden?« fragte Ruß.
»Trotzdem, ja, denn das einmal errungene Feuer giebt die Kraft des Ertragens.«
»Nun ja – chaque homme porte en lui un Prométhée, créateur rebelle et martyr,« citierte Ruß jene gekrönte Dichterin, Carmen Sylva, die uns so rührend und wahr die Geschichte vom Leiden geschildert, weil es ihr mitgegeben ward auf ihrem Lebenspfade.
In jener Nacht tönten noch lange die Klänge einer herrlichen Stimme, eines meisterhaft gespielten Flügels aus den Mauern des Falkenhofes hinaus in die warme Sommernacht, die fernes Wetterleuchten magisch durchzuckte. Schmelzend, jauchzend, todestraurig und erschütternd klang die wunderbare Stimme hinaus und verklang fern im Säuseln der Nachtluft in den Bäumen.
»Unsere Baroneß singt doch schaurig schön,« meinte unten Mamsell Köhler in der Domestikenstube, »aber es ist nicht mein Fall! Wenn sie lange so fort singt, da wird sie nicht alt – überhaupt,« und sie senkte die Stimme zum Flüstern, »überhaupt – sie hat zusammengewachsene Augenbrauen – das ist ein böses Zeichen. Hört ihr's – das klang fast wie ein Schrei, daß es einem durch Mark und Bein geht. Nein, da lobe ich mir doch die Lieder, die man zu meiner Zeit sang: ›Guter Mond, du gehst so stille‹ und ›Als ich auf meiner Bleiche –‹. Da lag doch Gemüt drin, aber die Lieder, die Baroneß singt – hu, das ist ja das reine Teufelswerk.«
Darauf erzählte die Beschließerin ihren aufmerksamen Zuhörern leise und vertraulich, daß ihre Herrin auf dem Theater als leibhaftiger Teufel aufgetreten wäre, und meinte, um so etwas zu thun, müßte man sich schon halb dem Gottseibeiuns verschrieben haben.
»Na, einen Pferdefuß hat sie nicht,« sagte Christel, der zweite Diener, der das Putzen der Schuhe besorgte.
»Aber die roten Haare –!« flüsterte die Köchin.
»Und der schwarze Unhold, die Tereza!« fügte das Küchenmädchen hinzu.
»Und der Ramo, das ist so ein großer, brasilianischer Menschenaffe aus Amerika, den der Böse sprechen gelehrt hat,« meinte der Groom.
In diesem Augenblicke schrie die weise Versammlung laut auf, denn der ehrliche Ramo stand plötzlich unter ihnen – sie hatten in ihrem Eifer sein Kommen nicht gehört.
»Bagage,« sagte er in seinem gebrochenen Deutsch verächtlich. »Nennen arme Tereza Unhold und Ramo Affe, weil beide nicht mit auf die Herrschaft schimpfen, wie undankbares Volk, das ihr alle seid. Meinetwegen! Wer aber gegen Herrin Mucks sagt, soll an mich denken!«
Damit statuierte er an dem ihm zunächst stehenden Groom ein Beispiel in Gestalt einer kräftigen Ohrfeige und mit einem sprechenden Blick auf die etwas verlegen gewordene Mamsell Köhler entschwand der treue Diener wieder dem Küchenforum, das eigens in der Welt zu bestehen scheint, damit eine gute Meinung über Herrschaften nicht um sich greift.
***
Wenn man die Menschen nach ihren Charakteren in Gruppen einteilen und sortieren wollte mit einer ganz besonderen Abteilung für die »Originale,« so wäre es doch eine Sisyphusarbeit. Freilich, mit den Dutzendmenschen wären wir bald fertig, aber auch sie bergen Tiefen, die wir nicht ergründen können, und mit dem Sortieren in »Haustyrannen,« »Salondamen,« »Bonvivants,« »Bösewichter« etc. würden wir nicht weit kommen, besonders wenn wir entdecken, daß die »komische Alte« plötzlich unverkennbar zum Fach der »Heldenmutter« gehört.
Wir hörten von einem Sonderling, der über alle Bekannten, um deren wirklichen Charakter kennen zu lernen, Buch führte, d. h. er trug ihre Namen in ein Buch ein, dessen Seiten mit den verschiedensten Charakteristiken überschrieben waren. Fand er einen Irrtum hierin heraus, so ward der Name ausgestrichen und auf eine andere Seite, in einer anderen Rubrik eingetragen. Auf diese Weise suchte er zum Menschenkenner zu werden – aber er schöpfte seine Erfahrungen mit einem Siebe in ein Faß ohne Boden wie die Danaiden. So hatte er unter anderen den Namen eines Herrn N. N. nach der ersten Bekanntschaft mit demselben unter »Angenehmer Gesellschafter« eingetragen. Nach späteren Erfahrungen konnte er ihm dieses Prädikat zwar nicht nehmen, aber er klassifizierte ihn auch noch in den Rubriken »Selbstlos« und »Großmütig.« Nach einiger Zeit fand er sich veranlaßt, besagten Herrn noch in den Abteilungen: »Guter Stiefvater« und »Mustergatte« zu nennen, außerdem aber noch seinen Namen unter »Gelehrter« einzutragen. Daß diesen Eigenschaften noch die eines »wahrhaft frommen Christen« hinzutrat, kann uns nicht wundern, aber ein plötzlicher Umschwung veranlaßte den Buchführer, diesen edlen N. N. mit einem Mal in der Rubrik: »Doppelzüngig« zu nennen. Dann konnte man ihn auch unter »Erbschleicher,« »Händelstifter« und »Halunke« lesen, und zuletzt stand er so ziemlich auf jeder Seite von des Sonderlings Charakterthermometer, der darauf sein Buch verbrannte und kein zweites mehr führte – es war ihm verleidet worden. Er hatte es sich so hübsch und amüsant gedacht, jedes Menschen Empfinden von ihm ablesen zu können wie von den weißen Blättern seines Buches, und sich nicht überlegt, daß ein Mensch nicht einfach unter der Firma »Mustergatte« oder »armer Dulder« umherlaufen kann, als ob dieser ihm durch eigenes oder anderer Zeugnis aufgedrückte Stempel für sein Dasein genügte und charakteristisch wäre.
Der Mensch ist ein Teil des verschleierten Bildes von Saïs, und nicht jeder verträgt den Anblick der Wahrheit, sei es, daß er sie im Herzen anderer oder im eigenen Herzen entschleiert.
Alfred Falkner hatte immer viel auf seine Prinzipien gehalten, ja er hatte dieses Steckenpferd nicht ohne eine gründliche Dosis Hochmut geritten und geglaubt, der Untergang der Welt würde ihn auch nicht um eines Haares Breite von dem gewohnten Pfade ablenken können. All' diese Prinzipien, die er unter dem Schilde des »Noblesse oblige« vereinigte, waren tadellos und hochgemutet, aber sie auf den Punkt zu erfüllen, bedurfte es mehr als menschlicher Kraft, welche von vielen mit dem Eigensinn, der freilich oft mehr vermag, als moralische Kraft, verwechselt wird.
Hätte man Falkner vor Jahresfrist gesagt: »Ehe du um zwölf Monde älter bist, wirst du eine wehrlose Frau tödlich beleidigen, weil sie einem Berufe angehört, mit dem du nicht einverstanden bist, und weil sie die Erbschaft gemacht, auf die du gerechnet hattest« – so hätte er überlegen geantwortet: »Das ist unmöglich. Denn einmal greift ein Kavalier Wehrlose, besonders aber Frauen nicht an, und was die Gründe anbetrifft, so verbietet mir ersteren meine Bildung und über dem zweiten glaube ich zu hoch zu stehen. Große materielle Verluste vermögen wohl zu enttäuschen, aber sie können den Gebildeten nicht zu Ungerechtigkeiten verleiten, eben weil sie materiell sind.«
Nun gab es stille, einsame Nachtstunden und bittere Momente bei Tage, in denen Alfred Falkner sich selbst die Frage vorlegte: Wie hast du deine Vorsätze erfüllt? Und die Antwort war tief demütigend. Homo sum!
Dann hatte er ihr sein »Pater peccavi« gesagt, und abermals mußte er erfahren, daß solche Klüfte, wie zwischen ihm und Dolores lagen, sich nicht mit ein paar Worten überbrücken ließen. Der Abgrund hatte sich so viel verengert, daß sie einander darüber hinweg die Hände reichen konnten, wenn sie sich dazu überwanden – und das war alles.
Daß er mehr davon erwartet hatte, kann nicht geleugnet werden, und neben der getäuschten Hoffnung kostete er die bitteren Früchte, die sein Thun gezeitigt: die Gleichgültigkeit, die ihm Dolores zeigte, denn diese Maske trug sie so täuschend und so überzeugend, daß es niemand eingefallen wäre, an eine Maske zu glauben. Und nun wollte sie fort – den Falkenhof verlassen – vielleicht, um nach Brasilien zurückzugehen. Hoffentlich nach Brasilien, dachte er, und es überkam ihn wieder und wieder der heiße Wunsch, sie möchte Kepplers Zureden nicht nachgeben und zur Bühne zurückkehren. Hätte er gewußt, daß sie selbst gerade vor diesem Gedanken zurückschrak, wie vor einem unübersteigbaren Berge – es hätte ihn wesentlich beruhigt. Denn wenn er ja auch schließlich so weit gediehen war in seiner Überzeugung, daß er anerkennen mußte, wie rein und tadellos sie während ihrer kurzen Künstlerlaufbahn gewesen, daß sie wie »eine Lilie im Staube« kühl und königlich gestanden in der heißen, trügerisch gleißenden Atmosphäre des Scheins und des Truges, so war ihm der Gedanke, sie wiederum dort zu sehen und zu wissen, doch unsäglich widerwärtig. Zugegeben, daß dabei eine gründliche Dosis Falknerschen Familienstolzes mitsprach, jenes Stolzes, der im Exklusiven seine Befriedigung sucht, so überwog dabei doch jene Sorge, welche der Gärtner für seinen Pflegling empfindet, wenn er ihn in ein ihm unzuträgliches Erdreich verpflanzt sieht und davon nur Welken, Verderben oder Dahinkränkeln voraussehen kann.
Unklar freilich war er sich selbst in seinen Gefühlen für Dolores nicht mehr. Er log sich nicht mehr vor, daß sie ihn anzog, weil sie ihn abstieß, denn solche Selbsttäuschungen mußten früher oder später einmal weichen wie Herbstnebel im Sonnenlicht. Und in dem Lichte dieser Erkenntnis sagte er sich ohne Wenn und Aber, daß Dolores Falkner begehrenswert für ihn sei vor allen Frauen und Mädchen der Welt. Und mit derselben klaren Einsicht sagte er sich, daß er keine Chance mehr habe, sie zu gewinnen, daß er verspielt habe für alle Zeit. Nun liegt es aber in der Natur des menschlichen Herzens, daß es sich selbst widerspricht, d. h. daß es dem kühler wägenden Verstande Plaidoyers und in das Gewand »Möglichkeit« gekleidete Bitten entgegenstellt. Und da Alfred Falkner trotz seines starken Geschlechts nebenbei auch noch ein Mensch, ein Sohn Adams war, so flüsterte ihm sein Herz zu: Vielleicht gewinnt ein treues Werben zurück, was du verscherzt; wogegen der Trotz ihm zuflüsterte: Es ist besser so – mag denn getrennt bleiben, was nicht zu einander gehört. So ist denn der Mensch stets widerstreitenden Gefühlen ausgesetzt, wenn er im Kampfe steht mit seinem Herzen, und nicht alle laufen ein nach dem Seelensturme in den Hafen der Glückseligkeit, in dem alles sich klärt durch den Besitz eines inneren Glückes, von dem wir wissen, daß es unser ist und bleibt bis an die Pforten des Todes. Es giebt überhaupt wenig Menschen, die mit ihren Gefühlen stets im reinen und klipp und klar sind, die Herz und Verstand stets im Gleichgewicht halten und durch die Stürme des Lebens schiffen unversehrt und unbewegt! Ob diese aber zu beneiden sind, möchte ich bezweifeln, denn
Wer nicht gelitten, hat nur halb gelebt,
Wer nicht gefehlt, hat wohl auch nie gestrebt,
Wer nie geweint, hat halb auch nur gelacht,
Wer nie gezweifelt, hat wohl kaum gedacht.
Am Tage nach dem improvisierten Gartenfest ging Dolores hinüber nach Monrepos, um den kleinen Hof nach dem Falkenhof einzuladen. Der Herzog, welcher ihr selbst die Gartenpforte öffnete, da er die lebende Hecke von Taxus beschnitt, nahm die Einladung sogleich und ohne alle Umstände an und führte seinen Gast nach der Veranda, auf welcher der übrige Kreis beim five o'clock-Thee versammelt saß. Auch Prinzeß Alexandra beantwortete die vorgetragene Bitte der »Fräulein Nachbarin« freundlich bejahend, und als die Herrin vom Falkenhof dann nach einer genommenen Tasse Thee sich wieder empfehlen wollte, führte die Prinzeß sie erst in ihr Zimmer unter dem Vorwande, ihr dort eine Zeichnung zeigen zu wollen. Prinzeß Alexandra hatte, wie alle anderen, nur ein Schlaf- und Wohnzimmer zur Disposition, denn Monrepos war nicht groß genug, um selbst den Besitzern eine größere Zimmerflucht für ihren Privatgebrauch zu gewähren. Die herzogliche Familie bewohnte das Hochparterre, darin auch die Gesellschaftsräume lagen, während der Oberstock die Zimmer für das Gefolge, die Gäste und Dienergelasse barg. Das Wohnzimmer der Prinzeß Alexandra war ein sehr behaglicher Raum, der alles enthielt, was seiner Bewohnerin besonders lieb und traut war – ihre Bücher, Malutensilien, Handarbeiten, welchen sie einen besonders künstlerischen Reiz zu geben vermochte. Nachdem sie Dolores die Zeichnung gezeigt, von welcher sie vorher gesprochen, zog sie den Gast neben sich auf einen Diwan und ergriff die beiden Hände desselben.
»Liebes Fräulein von Falkner,« sagte sie herzlich, »Sie müssen mir's nicht übelnehmen, wenn ich mir heut', nach unserer kurzen Bekanntschaft erlaube, ein Thema vor Ihnen zu berühren, ohne daß Sie mir das Recht geben, es zu thun. Aber sehen Sie, es giebt Menschen, zu denen man sich so mächtig hingezogen fühlt, daß man die konventionelle Mauer, welche der Codex der Gesellschaft um uns errichtet, einfach umgeht, um dem begehrten Ziele näher zu treten. Und zu diesen Menschen gehören Sie!«
»O Durchlaucht, wodurch habe ich diese Güte verdient?« erwiderte Dolores, im Innersten warm berührt.
»Sie müssen nicht Güte nennen, was Überzeugung ist,« rief Prinzeß Alexandra mit der nämlichen Herzlichkeit. »Und Sie haben wirklich mein sehr vorsichtig tastendes Herz im Sturme erobert. Darum also verzeihen Sie mir ein offenes Wort, das ich gern sprechen möchte, weil Sie mich gestern erschreckt haben. Sie wollen den Falkenhof wirklich verlassen?«
»Ja, Durchlaucht. Was soll ich hier?«
»Den Falkenhof verlassen, um zur Bühne zurückzukehren?« fragte die Prinzeß ernst.
»Ich weiß es noch nicht,« erwiderte Dolores wie gestern.
»Zieht es Sie dahin zurück –?« –
»Durchlaucht, diese Frage habe ich mir schon selbst vorgelegt und nicht beantwortet,« gestand Dolores ehrlich. »Ich kann darauf nur sagen: Ich weiß es nicht. Und das ist vielleicht unrecht, denn ich habe meinen Beruf geliebt –« –
»Und der Beifall der Menge hat Sie berauscht,« ergänzte die Prinzeß. »Und das süße Gift ist Ihnen in das Blut gedrungen und reißt Sie zurück auf die Bretter, auf denen jeder es wagen darf, Sie zu kritisieren, Sie mit Schmutz zu bewerfen. Dolores, wissen Sie, daß der Gedanke, Ihre Wangen soll wiederum ekelhafte Schminke bedecken, Sie sollen jeden Abend einem Tenor oder Bariton Liebeslieder zusingen, daß dieser Gedanke mir wehe thut?«
Und die Prinzeß legte ihren Arm um Dolores' Schultern, die blaß und regungslos dasaß.
»Nein, gehen Sie nicht dahin zurück, wohin Sie nicht passen,« fuhr die Prinzeß fort mit weicher, bittender Stimme. »Was wollen Sie von der Menge? Was wollen Sie auf den Brettern, deren verdorbene, von Miasmen durchsetzte Luft so leicht moralisch tötet? Auch Ihre gesunde Natur kann unterliegen. Und Sie werden, trotz Ihres reinen Herzens, genug gesehen haben, um zu verstehen, was ich meine!«
»O ja, denn in der kurzen Zeit meiner Künstlerlaufbahn sind Neid, Verleumdung, Käuflichkeit und Frechheit wiederholt an mich herangetreten,« antwortete Dolores müde. »Aber ich habe sie alle nicht beachtet,« setzte sie mit ihrem alten Stolz hinzu.
»Ich weiß es – ich fühle es,« fuhr Prinzeß Alexandra fort, »aber man meidet doch gern die Wege, wo man dergleichen unreinen Geistern überhaupt begegnen kann. Sie drängen sich freilich auch außerhalb der Bühne in unsere Nähe, aber sie sind doch nur Eindringlinge, deren man sich erwehren kann, nicht aber Stammgäste wie dort. Was hat Sie überhaupt zur Bühne gedrängt?«
»Die Not,« sagte Dolores träumerisch. »Wir waren arm und mußten schwer kämpfen mit dem Leben, und als mein Vater starb, waren meine Mutter und ich mittellos. Ich hatte aber eines gründlich gelernt, gründlich studiert – die Musik! Zu der ›Satanella‹ hat mein Vater den Text gedichtet, und ich hatte denselben, um ihm eine Freude zu machen, komponiert – die Melodien strömten mir zu, und meine Begabung für dieses Fach überwand spielend die technischen Schwierigkeiten. Die ›Satanella‹ war meines Vaters letzte Freude. Und als wir dann so allein standen, da beschloß ich, wenn möglich, auf der Bühne das Alter meiner Mutter sorgenfrei zu machen, und sie schrieb dem Intendanten in B., einem alten Freunde meines Vaters, einen Brief, in dem sie mich seinem und seiner Frau Schutz und Protektion anempfahl. Sie erfüllten beide freudigst und wahrhaft großmütig diesen Wunsch, und nachdem ich in Italien die nötigen Vorstudien gemacht, trat ich zuerst als ›Satanella‹ auf – ein guter Rat des Intendanten. Und dann starb meine Mutter, und schnell nach ihr mein Onkel, der im Leben das Tafeltuch zwischen sich und der Schwester zerschnitten hatte, weil ihre Heirat ihm antipathisch war. Nun ward ich, als seine Erbin, mit einem Schlage reich, aber ich blieb meinem Berufe treu, weil ich ihn liebgewonnen, weil die Begeisterung für die Kunst mein ganzes Herz ergriffen hatte und ich der Sonne, der Unsterblichkeit zuzufliegen vermeinte.«
»Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze,« warf die Prinzeß Schillers Ausspruch ein, und als Dolores betroffen aufblickte, setzte sie fein hinzu: »Aber auch außerhalb der Bühne kann man Unsterblichkeit erlangen, und den Flug zur Sonne zu wagen ist auch hier niemand verwehrt. Denken Sie an unsere unsterblichen Tondichter, die es nicht verlangt hat, ihre Werke selbst verkörpern zu können. Und Ihnen ist nicht Talent allein, Ihnen ist Genie verliehen worden, um siegreich Ihre Kräfte messen zu können mit jenen Unsterblichen, die uns den Fidelio, den Ring des Nibelungen geschaffen neben einer Fülle von Liedern, die ja allein unsterblich machen können. Darum kehren Sie nicht mehr dahin zurück, wo nur der Schein herrscht, der Schein, der unseren Sinnen schmeichelt, Ihnen aber doch kein volles Glück gewähren kann, und wenn Sie sich doch einmal einsam fühlen sollten, so kommen Sie zu uns, kommen Sie zu mir, denn ich glaube Sie zu verstehen. Wollen Sie mir versprechen, nicht zur Bühne zurückzukehren?« schloß sie herzlich, als Dolores sich heftig bewegt auf ihre Hand herabneigte.
»Durchlaucht, lassen Sie mich's erst allein durchkämpfen,« sagte die Herrin vom Falkenhof. »Ich kann noch nichts geloben, nichts versprechen. Vielleicht hat das ›süße Gift‹ schon mein Blut zersetzt und ich bin unrettbar verloren – vielleicht ist noch Zeit für mich.«
»Prüfen Sie sich denn! Aber ein frohes Vorgefühl sagt mir, daß ich gesiegt habe, oder vielmehr Sie über sich, denn jede Entsagung ist ein Sieg.«
»Ich habe schon vielem entsagt im Leben,« erwiderte Dolores ohne Bitterkeit, aber schmerzlich. »Schwererem,« setzte sie leise hinzu. »Nomina sunt odiosa. Und mein Name ist Dolores – Schmerz! Doch was soll das hier bei Ihnen, Prinzeß –« –
»Was werden denn hier für Staatsgeheimnisse verhandelt?« –
Mit diesen Worten steckte Prinzeß Lolo ihr blondes Köpfchen zur Thür hinein und ließ ihr reizendes Persönchen im weißen, duftigen Sommerkleide alsbald folgen.
»Das ist ja langweilig hier zum Totschießen! Emil schreibt über seinen Brimborium, Papa okuliert, die Drusen schläft und der Kammerherr dito – nein, es ist um Schulden zu machen,« jammerte das fürstliche enfant terrible.
»Wo sind Herr Keppler und Baron Falkner?« fragte Prinzeß Alexandra.
»Die? die haben sich gezankt und sind zankend weggelaufen,« berichtete die kleine Durchlaucht.
»Gezankt?«
»Natürlich. Und das Objekt waren Sie, Fräulein von Falkner!«
»Ich?« Dolores erhob stolz das Haupt. »Welche Veranlassung könnte ich den Herren zum Streit geben?«
»O, Herr Keppler behauptete sehr erregt, Ihr Platz sei die Bühne. Er schwatzte kolossalen Kohl und die Schlagworte: Priesterin der Kunst, höchster dramatischer Ausdruck u. s. w. flogen wie Sprengstücke aus seinen schweren Geschützen einher –«
»Eleonore!« ermahnte Prinzeß Alexandra. »Welche Ausdrücke!«
»Na, und der Baron quasselte natürlich das konträre Gegenteil,« fuhr Prinzeß Lolo unbeirrt fort. »Er behauptete sogar, die Monate Ihrer Bühnencarriere mit ebensoviel Jahren seines Lebens zurückkaufen zu wollen, wenn es nur eben ginge. Es soll übrigens ein alter Zankapfel sein zwischen den beiden,« setzte sie eifersüchtig hinzu.
»Sehr schmeichelhaft,« erwiderte Dolores nicht ohne Hochmut, indem sie zugleich die Prinzeß bat, sich empfehlen zu dürfen. Mit warmem Händedruck gab die letztere die Erlaubnis und ein sprechender, fragender, bittender Blick beim Abschied schien noch einmal alles sagen zu wollen, was schon gesagt war. Frei und ehrlich gab Dolores diesen Blick zurück, als wollte sie sagen: »Sei ruhig! Jeder gute Kampf zeitigt einen guten Sieg – ich werde deiner dabei denken.«
Prinzeß Lolo hatte längst schon das Zimmer verlassen. Leise war sie über die Veranda geschlüpft, doch als sie den Kammerherrn und die Hofdame beide selig schlummernd dort noch vorfand, so steckte sie Fräulein von Drusen erst eine Pfaufeder ins Haar und setzte dem Kammerherrn ihren großen Gartenhut à la Marie Antoinette schief auf den Kopf, ehe sie die Treppe herabglitt und hinter der Taxushecke, die Monrepos vom Falkenhof trennte, verschwand. Dolores hatte sich nie einer besonders gnädigen Aufnahme von seiten der kleinen Durchlaucht zu erfreuen gehabt, doch hatte das ihre Zufriedenheit nicht trüben können. Wie staunte sie daher, als das reizende Fürstenkind ihr auf ihrem eigenen Grund und Boden gegenübertrat und ganz manierlich um die Erlaubnis bat, »ein Stückchen mitgehen« zu dürfen.
»Wenn der Herzog oder Prinzeß Alexandra nichts dagegen haben, gewiß,« erwiderte Dolores, welche freilich lieber allein gegangen wäre, den Inhalt ihres eben gehabten Gespräches gründlich zu überdenken. Sie war nicht erregt, es war ihr vielmehr leicht ums Herz, wie selten, aber wichtige, inhaltreiche Gespräche verlangen ein gesammeltes Überdenken.
Sie kam mit ihrem »Wenn« aber bei der blonden Prinzeß schön an.
»Papa und Alexandra! Gerade als ob ich ein Kind wäre, das nicht allein über die Straße darf, damit es niemand umfährt,« rief sie empört. »Ich werde meine eigenmächtige Promenade schon selbst verantworten und brauche keine Gouvernante!« –
»Desto besser,« erwiderte Dolores, mit Mühe ein Lächeln unterdrückend. »Gouvernanten sind jungen Damen meist eine sehr unbequeme Species des Menschengeschlechtes.« –