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Kitabı oku: «Narzißmus als Doppelrichtung», sayfa 3

Andreas-Salomé Lou
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III

Was bedeutet nun im Grunde dieser Überschätzungsdrang, der das Objekt aus seiner Einzelheit und Wirklichkeit ins symbolisch Gewertete und Gültige rückt, und der, im Parallelvorgang dazu, den narzißtischen Urtrieb sich in Sublimationen hinaufarbeiten läßt? Beides beruht wohl darauf, daß der bewußtgewordene Mensch sich, je länger je mehr, genötigt sieht, mit seinen infantilen Identifikationsmethoden stets indirekter zu verfahren, d. h. also: sich ihre Undurchführbarkeit stets gleichnishafter zu verhehlen. Das ermöglicht er durch Wertübersteigerung des stellvertretenden Stücks: im Wertüberschuß wird es gleichsam wieder zum Inbegriff selber, ersetzt diesen im Geist. Der narzißtische Libidobetrag, der damit darin stecken bleibt, besticht erfolgreich das der Realität immer angepaßtere Urteil, schließt mit diesem einen Vermittlungspakt, wonach recht eigentlich »Wert« symbolisch für Inbegriff, für »Ein und Alles« steht. Wertproblem überhaupt ist immer und jedesmal Libidoproblem: lediglich durch Anleihe beim libidinösen Zustand enthebt irgendwas sich der Begrenztheit, Aufeinanderbezogenheit des Übrigen. Alles Werten strebt dem Überschätzen entgegen und hinweg aus der Relativität des Einzelngeltenden: es langt, verlangt unabwendbar nach Überzeugtsein durch Glauben (jenem Glauben, bei dem »kein Ding unmöglich« ist, sogar nicht die Wiederanknüpfung infantilsten Urtraums an sachlichste Welterfahrung; mag auch dabei unser sich sublimierender Narzißmus, dieser idealisierende Streber, uns dabei einigermaßen ähnlich werden lassen ewigen Toggenburgern, die ihren Liebesgegenstand um so reichlicher anhimmeln, als sich ihre reale Vermählung mit ihm unvollziehbarer erweist). Mit wie vielen Beweisen und Begründungen wir auch vorzugehen pflegen, nie gelingt darin Überzeugendes ohne heimlich-persönlichsten Anschluß an die narzißtische Forderung in uns; und wiederum: ist sie genehmigt, dann gelänge es keiner Gegenmacht, uns um-zuüberzeugen: versicherten wir noch so bescheiden, es ergäbe sich dadurch wohl nur eine subjektiv-gültige Bewertung, wir wissen sie trotzdem als end- und allgültig, so gewiß unser Narzißmus selbst nichts weiter ist, als das im Gefühlserlebnis noch dunkel festgehaltene Wissen um unser Subjektivstes als unsere objektive Anschlußstelle. Von aller Metaphysik, sofern sie das »Sein« mit »Gott« als absolutem Wertprinzip in Übereinstimmung zu bringen trachtet, gilt darum, daß sie nicht nur in ihrer Denkungsweise narzißtisch mitbedingt, sondern an sich das philosophisch aufgearbeitete Abbild des Bundes von Narzißmus und Sachlichkeit ist. Am unmittelbarsten vielleicht tritt dieser doppelte Sachverhalt hervor in der Frage nach dem Lebenswert, der nur durch ihn, erst durch ihn, zur Frage wird, indem es hier um den Narzißmuswert selber geht, ob auch das Urteil darüber sich ergehen mag wie über ein sachlich gegenüberstellbares Objekt. Im Lebensrausch als solchem – wovon ja dem Gesunden hilfreich was in Blut und Hirn kreist – also im narzißtisch hinter allem weiterbeharrenden Rausch, behält ewig der Optimist recht; bei Absehen von dieser innern »unsachlichen« Voraussetzung der Pessimist, d. h. der libidolos, »lieblos« Urteilende, nur eben unrecht hinsichtlich des Lebensträgers, des allein und eigentlich Lebendigen! Wo das Narzißtische im Menschen zu stark übergreift, da bringt seine Allzu-Zuversichtlichkeit trotz ihrer lebensweckenden Kräfte ihn in peinlichen Anprall an die Außenrealität; wo es dagegen zu geschwächt dem realgerichteten Urteil unterliegt, da bringen selbst dessen beste, glücklichste Erfolge keinen wirklichen Frohmut zustande. Darum gleicht sich dem sogenannten Normalen das Dasein ungefähr aus zwischen diesen beiden Richtungen, die gleichsam andeutungsweise, innerhalb der Normalität, etwas vom »Manischen« und etwas vom »Melancholischen« enthalten; auch normalerweise schon übertreibt sich der Tatbestand beidemale fälschend – und sagt damit dennoch mehr aus, als die gemäßigtesten Zustände tun, wenn sie sich sehr weit von »Haß wie Liebe« entfernen: dermaßen ist »Leben« total nur in seinen Überschätzungen nach beiden Seiten, in seinen zu absoluten Wertabschätzungen, in etwas über alles Stückhafte hinaus, wahrhaft, als »Leben« vorhanden.

Aber das narzißtisch bedingte Werten wird erst Problem, wird auch erst Leistung, recht eigentlich da, wo »wertvoll« und »libidobesetzt«, nicht so unmittelbar in eins fallen wie in der Frage nach dem Lebenswert selber: wo, statt dessen, die Wertgebung voraussetzt, daß, um sie zu vollziehen, wenigstens das Infantilste der Stellungnahme dazu aufgegeben, umgestellt sei. Mit anderen Worten: wo der symbolisierende Idealisierungsakt am Objekt schon begleitet ist vom sublimierend aufarbeitenden Akt am Trieb selber (scharf zu unterscheidende Vorgänge, die zu verwechseln Freud mit Recht gewarnt hat). Es ist außerordentlich interessant, daß vom Narzißmus her nicht nur des Objekts, sondern auch des Subjekts Aufstieg ins immer »wertvoller« Aufgearbeitete möglich ist, was Freuds Wort vom Narzißmus als »Keimpunkt des Idealbildens« schon früh (»Z. E. d. Narz.«) festlegte. Dieser Punkt wird wesentlich, sobald unser Selbstbildnis infolge von Realerfahrungen daran, uns zu enttäuschen beginnt: »Unserm Ideal-Ich gilt nun die Selbstliebe, welche in der Kindheit das wirkliche Ich genoß« (Freud, ebenda). Weil hiefür aber auf die Dauer unsere infantile Wunschpraktik nicht ausreicht, nachdem das Weltgegenüber immer sachlichere Maßstäbe an uns legt, so entsteht damit eine Nötigung zu gewissen Rangordnungen in uns, zu Stufungen, Gliederungen auch in unserer Triebwelt. Unser Ebenbild, hineingewünscht ins Ideale, wirkt mit dessen Dimensionen auf uns zurück, manche Züge unterstreichend, andere ausradierend; noch fühlen wir uns schön und groß, ja erst recht groß, aber doch nur, sofern wir uns auch, in den abweichenden Zügen, auch klein oder zu häßlich finden, uns mißschätzen können, angesichts des Idealbildes, das wir sind und doch nicht in all und jedem sind. Diese Rückwirkung auf uns, vom narzißtischen Geformten nun ideal, religiös, ethisch oder wie immer, soll man ja nicht gering anschlagen. Es bleibt wesentlich selbst nach Abzug dessen, was bei seiner Bildung von fremden und Außenfaktoren in Betracht kam: einmal den Geboten und Verboten unserer Erzieher, unserer Umwelt, dem feineren oder gröberen Drill; sodann jenes Quantums Objektlibido9, die uns an die pflegenden und bevormundenden Personen bindet und sie selbst zu nachahmenswertesten Symbolen aller Idealwerte umschafft. Dennoch sind wir bei alledem auch von uns aufs Stärkste beteiligt: wie der Narzißmus innerhalb der Objektlibido das Personelle symbolisch hochzutreiben weiß, wie er sich in immer sachlich weiterfassenden, geisthaftern, abstraktern Zusammenhängen noch durchsetzt, so kommt er auch von sich aus zu letzter Wertautonomie. Sagt ihm am frühesten sein Gefühl, heiß wünschend: »Leben schon gleich Wert!« so vollendet sich das reifste in einem fordernden: »Nur Wert allein wahrhaft Leben«, und auch noch diese absolut sich gebärdende, über das Sein gesetzte Wert-Überwertung (die doch um des Seins halber überhaupt erst anhob), dieses Ethische in Reinkultur, auch das ist noch als Höchstleistung unseres Narzißmus zu buchen.

Mir erscheint dieser Umstand um so bedeutsamer, als er klarlegt, von wie tief her psychoanalytische Einsicht in die ethischen Unter- und Beweggründe dringt: Freuds Ausspruch vom »narzißtischen Keimpunkt des Idealbildens« rückt ebenso weit ab von metaphysischen Notbehelfen bei Betrachtung psychologischer Tatbestände, wie von jener rationalistischen Einstellung, die überall auf Außeneinflüsse zurückgeht (Nutzen oder Zwang unter nachfolgender Sanktion). Mit Freud reicht die Frage so tief, als der Mensch Menschlichem zu folgen imstande ist: ins Ursprünglichste seiner selbst, dorthin, wo er seiner selbst bewußt wurde und diese Vereinzelung wiederzuergänzen sucht, noch entgegen der eigenen Triebgewalt in Gehorsam oder Liebe, um auf solchem Umweg das Urerlebnis der Allteilhaftigkeit wiedererneuen zu können. Würde das immer schärfer unterschiedenere Ich sich überrennen lassen vom Durcheinanderlaufen der Triebe, so bliebe es auf ein gewaltsames Infantilisieren beschränkt, dem die Außenwelt verloren geht, ohne daß der Urzustand des ihrer noch unbewußten Kindes wiederherstellbar wäre. Freilich ist ja die Ineins-Setzung unserer selbst mit Höchstwerten einerseits ebenfalls eine phantasierte Wirklichkeit, ob wir ihr noch so sehr nachstreben: anderseits aber verbürgt gerade dies Unbedingte daran, wie ganz aus unserm Wesen gebürtig sein muß, was wir mit so großer Gebärde gutheißen. Und in der Tat: wir sind es ja, die sich selbst enttäuschen oder mißfallen, der Gemaßregelte mit dem von seinem Idealwert ganz Benommenen bleiben untrennbar eins in uns, deshalb der narzißtische Liebesquell unentleert (weshalb auch neurotisch der an sich schier Verzweifelnde und der sich nahezu gottgleich Wähnende so verblüffend dicht beieinander stehen). Insofern bildet alle echte Ethik, alle ethische Autonomie, zweifellos ein Kompromiß zwischen Befehl und Begehr, während sie gerade das am prinzipiellsten zu vermeiden sucht: das Begehrte macht sie zwar unerreichlich, durch die Idealstrenge des geforderten Wertes, dafür aber bezieht sie das Befohlene tief ein in den Urtraum allesumfassenden, allesuntergründenden Seins. Dieser Kompromißcharakter verrät sich deutlich auch noch an den starrsten Wertsetzungen – ja gerade an denen – den unterirdischen Zusammenhängen von Gesolltem und Gewünschtem, oder, anders benamst: von Ethik und Religion. Kann keine Religion ein irgendwie ethisch gültiges Moment entbehren (d. h.: daß das Kind zum Vater aufblicke), so ebenso gewißlich keine ethische Selbstbezwingung ein Moment der Mutterwärme, die sie darüber hinaus umfängt. Alles, was wir »sublimieren« nennen, beruht einfach auf dieser Möglichkeit, auch noch Abstraktestem, Unpersönlichstem gegenüber etwas wahren zu können, von der letzten Intimität libidinösen Verhaltens; nichts als dies ermöglicht den Vorgang, wobei: »die sexuelle Energie – ganz oder zum großen Teil – von der sexuellen Verwendung abgelenkt und anderen Zwecken zugeführt wird« (Freud, Drei Abh. z. Sexth.). Im religiösen Erlebnis, im »fromm« gerichteten Menschen, schießt früheste, elterngebundene Objektlibido in die narzißtische Strömung mit hinein, und schafft damit eine rechte Glanzleistung des Narzißmus: indem nun beide gemeinsam münden im Gotteswert, als dem zugleich Allesbeherrschenden und Allerintimsten. Was dem Objekt der Libido sonst so übel bekam: das Sichverflüchtigen des Personellen in immer stellvertretendere Symbolik, eben das bringt es am Gotteswert zum Meisterstück, nämlich dermaßen zum Symbol aller Liebessymbole, daß Gott sich daran verpersönlicht10.

So muß denn das, was zuinnerst des Religiösen wirksam ist – die Richtung auf ein vertrauensvoll idealisierendes Narzißtisches – auch den von üblichen Glaubensvorstellungen Gelösten in seinen Sublimationsbestrebungen orientieren, sollen sie ihn nicht in eine Entfremdung zu sich selber geraten lassen. Soll er nicht, dem ihm Wertvollsten hingegeben, es nicht zugleich hoch über ihn hinwegfliegen sehen, ihn nur gerade so weit mit emporreißend, daß er beschämt und entrüstet auf sein flügellahmes Selbst heruntersieht, kurz, daß er statt des beabsichtigten Fluges in Gewissensängste, Schuldgefühle niedersinkt. In ernsthaftester Weise ist Freuds Warnung zu beachten: sich über gegebenes Vermögen an Sublimationen zu »übernehmen«, heiße nicht Vollkommenheit, sondern Neurose vorbereiten. Aber wieder stoßen wir dabei darauf, wie tief und nüchtern Freud sich psychoanalytisch die Ethikprobleme auch hinsichtlich des Schuldbewußtseins erschließt: wie – wiederum sowohl abseits von metaphysisch als auch von äußerlich (utilitaristisch) vorgenommenen Lösungen – die Frage sich ihm dahin beantwortet, daß unser narzißtischer Größenwahnrest auch noch dem ethischen Ehrgeiz, dem Aufwärts- und Vorwärtstreiben des real angepaßten Ich, zugrundeliegt, wobei dann am Wege verachtet zurückbleibt, was der anstrengenden Gangart nicht gleich folgen kann. Bis der Mensch »sich« nur noch von demjenigen aus ansieht, was er allein als Sein wertet, ohne es doch sein zu können, und deshalb seine eigene Beschaffenheit zu verdrängen, zu verleugnen suchen muß, ohne von ihr doch frei zu werden. Verhältnismäßig harmlos erweist solcher Vorgang sich noch beim Strafe befürchtenden »Drill«, ja sogar noch beim Gehorsam aus objektbesetzender Liebe, die sich nicht genug tat: rührt er jedoch bis an den narzißtischen Urgrund der ethischen Phänomene, dann ist Schuldbewußtsein, Reue bereits nur noch Name für Erkrankung. Darum sind wohl alle Neurosen immer auch Schuldneurosen, und immer unter dem Kennzeichen, daß der Mensch aus der instinktsicheren Gesundheit seiner Selbstachtung sich hinausgedrängt fühlt, trotzdem er als Neurotiker gar nicht der Typus des »Begehrenden«, sondern der des empfindlich reagierenden Gewissens zu sein pflegt, und eben deshalb die rumorenden Wünsche überängstlich hinter Schloß und Riegel hält. Eine Vertiefung dieses Zwiespalts bis zum Bruch ist es, wenn im Gegensatz dazu der Psychot das Gewissen außer Spiel gesetzt sieht, triebhemmungslos wird, und wohl nur da und nur dann bloßer Phantasieverbrecher bleibt, sofern er schon zu negativistisch von der Realwelt abgekehrt steht um handelnd in sie einzugreifen. Weshalb ja auch das neurotische Pathos in ihm zu ironisierendem Tonfall umschlagen kann, worin sein Ich, gleichsam schon unbeteiligter, machtloser Zuschauer, noch seine Kritik zum besten gibt, nachdem es seinerseits dem Ausschluß, der Verdrängung verfiel, sich desorganisierte und dadurch an Stelle der ihm gegenübergesetzten Realwelt die Technik der primitivsten narzißtischen Wunschproduktion in Wahnbildern am Werk sehen muß. (Traumtechnik des Gesunden.)

Ich gerate auf diese scheinbare Abschweifung aber deshalb, weil mir vorkommen will, als gäbe es ein Analogon für »neurotisch« und »psychotisch« auf dem Gebiet der Ethik für den Normalzustand. Nämlich außer Schuldgefühlen, bezogen auf das Ich, seine Mängel und Taten, auch noch ein ähnliches Enttäuschungsgefühl an Leben und Welt, wobei wir uns aber mitschuldig fühlen, dem wir also nicht pharisäisch oder bettelnd als etwas anderes gegenüberstehen, sondern wobei wir verletzt sind an einer narzißtisch überlebenden Urverbundenheit. Natürlich drückt dies das Infantilere aus im Vergleich zum ichgerichteten Gewissen, das ums eigene Spezialseelenheil Sorge trägt, es kann aber daneben weiterbeharren. Ich entsinne mich aus meiner Kindheit und von noch später her eines grotesken Herzwehs über enttäuschende Mängel anderer, die mich weit mehr »ethisch« grämten als die eigenen Mängel: denn was konnte es nützen, vollkommener zu werden, wenn es nicht um das Ganze der Welt, und nur darum auch mich mit einbegriffen, derartig vollkommen bestellt war? Entzücken und Dankbarkeit riß mich hin, wo etwas solchen Glauben zu bewahrheiten schien, und enthob mich damit betrüblich rasch jeder persönlichen Gewissenssorge, welche Figur denn ich mitten drin machen würde. So viel Kindisches das auch ausdrückt, so liegt doch fraglos eine Spur Ironie in dem Umstand, daß der Andere, Gewissenhafte, der von seiner Selbstsucht am ethischesten loskommen Wollende, am eifrigsten und ständigsten mit sich beschäftigt bleiben muß, sich weder in Herzweh noch Herzenslust völlig vergessen darf. Deshalb sind auch noch bei der ethischen Einstellung zweierlei Verhaltungsweisen unterscheidbar: die eine vorwiegend von den Wertanforderungen des Ichbewußtseins aus und das Ich strebend im Mittelpunkt haltend, die andere von den alten Identifizierungskünsten des Narzißmus aus, aber gleichfalls aufgearbeitet in ethisch gerichtete Wunschträume. Dies jedoch dient aus einem bestimmten Grunde einer wichtigen Seite der Sache: denn offenbar entnimmt ja alle Ethik ihren Hauptcharakter, eben ihre Unbedingtheit, Absolutheit, Allgültigkeit dem narzißtischen Urzuschuß, der so sehr für alles Übermäßige zu haben ist, und »ethisiert« uns erst an diesem fragwürdigen Material. So kommt es zu Wechselwirkungen von beiden, deren Paradoxie, näher betrachtet, schwer überboten werden könnte. Gibt es doch keine Askese oder Gesetzesstrenge, kein endgültiges Verachten des Realen, das nicht nach dem narzißtischen Helfershelfer dabei riefe, erst er, der begehrliche, wunschdreiste, lehrt uns auch das: »geh an der Welt vorüber, es ist nichts.« Und anderseits: eben die absolut gerichtete Ethik bedarf der ganzen Fülle des Möglichen und Wirklichen, muß allen Sonderfällen des Geschehens gerecht werden, alle Aufeinanderbezogenheiten berücksichtigen, denn um der Menschen und ihres Heils- und Glückstraums willen ist sie da, vom kindlichselbstischen bis sublimen Egoismus des Himmelsstürmers und Gottsuchers. Dies Wesen der ethischen Praktik, die ihre Unbedingtheit narzißtisch bedingt, sowie wiederum diese strenge, hoheitsvolle Wertmiene des ethisch verwendeten Narzißmus, ergeben einen derartigen Knäuel von Widersprüchen von Fall zu Fall, daß man ruhig behaupten kann: nur rein schematisch verfuhr, wer jemals, über den Einzelfall hinaus, diese lebenstrotzende Wirrnis in glattem Faden aufwickelte.

9.Vortrefflich prägt den Unterschied zwischen Drill und Liebesgesinnung eine (mir gesprächsweise in dieser Form bekannt gewordene) Bemerkung I. Marzinowskis: Im einen Fall sucht man Heimlichkeit über eine Verfehlung zu wahren, den Strafakt zu umgehen, als sei sie damit wie unbegangen, im anderen Fall ersehnt man im Gegenteil Beichte, Bekenntnis, auf die Knie sich zu werfen, an die Brust dessen, für den man liebenswert sein will. – Weniger einverstanden bin ich, wenn Marzinowski in: »Die erotischen Quellen des Minderwertigkeitsgefühls« (Zeitschr. f. Sexualw. IV) ohneweiters volle Reife darin sieht, über das Verlangen nach Gegenliebe, zur Liebesautonomie: »wenn ich dich liebe, was gehts dich an!« zu kommen. Zwar stimmt dies zu den sittlichen Anforderungen bestechend, klingt prächtig selbstlos, redet aber recht oft die Sprache unseres Narzißmus, der noch gar nicht bis zur vollen Objektliebe gelangte. Man denkt sich unter narzißtisch Veranlagten zu ausschließlich von Gegenliebe Abhängige (was weit mehr von den bewußter Ich-Eitlen oder aber Narzißmus-Schwachen gilt) anstatt Selbstgenügsame, weil unbewußte Allteilhaber, die auch im Objektlibidinösen nur sehr lose an den Äußerungen vom Objekt her hängen. Bedrängt durch narzißtisches Zuviel, kann ihnen höchst egoistisch »Geben seliger denn Nehmen werden«, d. h. sie dankbarer stimmen für eines Menschen Gewalt, Liebe in ihnen zu wecken, als für seine Gegenliebe, die sie leicht beschämt und neu bedrängt.
10.So sehr freilich, daß die Objektidealisierung sogar die Triebsublimierung lähmen kann, und der Gott mehr Entzücken bewirkt als Moral. Übrigens ist es massiv und richtig Gläubigen auch meistens nur selbstverständlich, wenn etwa im Jenseits neben hochsublimierten Glückssorten auch die infantilsten Wünsche sich drastisch durchsetzen – Askese gilt nur dem Hineingelangen. Erst dem außerhalb solcher Gläubigkeit Stehenden erscheint das nicht folgerichtig, beleidigt seine moralische Logik; und doch lediglich, weil sein erhöhtes, »frommes« Verhalten den stofflichen (Kinder-) Himmel und zugehörigen Personengott, von sich aus, in sich selber, wertend ersetzen muß. Ihm geschieht es deshalb leicht, sich selbst gegenüber weniger ehrlich zu bleiben, und trotz seiner nüchternern sachlichern Einsicht, den narzißtischen Grund und Boden zu verleugnen (den der naive Glaubenshimmel ruhig mit überwölbt), weil er auf seiner obersten irdischen Kippe balancieren muß.
Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 mayıs 2017
Hacim:
50 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
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