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Kitabı oku: «Das höllische Automobil: Novellen», sayfa 5

Otto Julius Bierbaum
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Nur seinen Kopf, der in dieser schummerigen Beleuchtung ganz wie ein verwelktes Haupt Blumenkohl aussah, hob er etwas in die Höhe, als jetzt vom Wipfel des Christbaumes eine dünne Blechtrompetenfanfare erklang – so dünn und jämmerlich, daß daneben das Winseln des Pudels vorhin ein walkürisches Hojotohoh hätte genannt werden können.

Es war der ferkelrosig geschminkte Weihnachtsengel, der also musizierte und dabei seine beiden mit Rauschgold überzogenen Papierflüglein erzappeln ließ. Wie er sein trübseliges Blechgeschmetter beendet hatte, sang er mit einer stark belegten und ganz schadhaft gewordenen Phonographenstimme billigster Nummer: ”Friede auf Erden! Friede auf Erden! Friede auf Erden!“

Aber nicht einmal der Chenillepudel applaudierte. Es herrschte vielmehr ein höchst beklommenes Schweigen, das erst nach einer Weile der Graf mit der tiefsinnigen Bemerkung unterbrach: ”Das kommt davon, wenn ein Engel durchs Zimmer geht oder die Trompete bläst. Wir sind keine Engel mehr gewöhnt.“

”Hören Sie mir, bitte, von Engeln auf,“ ertönte hier in schnellem Einfall eine volle Männerstimme. ”Ich bin, glaube ich, neben meiner Frau der einzige Mensch, der wirklich mit einem Engel in fühlbare Berührung gekommen ist, und ich denke, meine Frau ist in diesem Falle einmal meiner Meinung, wenn ich erkläre: Wir haben dabei die fatalsten Erfahrungen gemacht. Gelt, Eva?“

”Na, das will ich meinen,“ erwiderte eine angenehme Frauenstimme: ”eine Roheit war's. Mich hat er alleweil mit seinem Säbel in den Rücken gepufft.“

”Aha,“ sagte der Graf. ”Adam und Eva werden auch munter. Ich bin doch gespannt, ob sie im Stile ihres neuen Herrn immer aneinander vorbeireden werden. (Die beiden Buchsbaumfiguren waren nämlich das Geschenk für einen Dichter, dessen Spezialität in einem Dialog bestand, dessen Gegenreden sich nie berührten, sondern einander wie zwei Parallelen erst im Unendlichen trafen – worauf man aber im Verlaufe eines Theaterabends nicht warten kann.)

”Ach, du lieber Gott,“ antwortete darauf der schöne Adam, ”das brauchten wir nicht erst von dem zu lernen. Das ist bei uns vom Anfang an so gewesen. Denn, red' ich hüh, so red't sie hott, und sprech' ich von Kindererziehung, so spricht sie von einem neuen Hut, und bring' ich das Gespräch auf den bewußten Apfel, so biegt sie in das Gebiet des Frauenstudiums ab. Das ist sogar schon vor der Apfelspeise so gewesen. Dazu war nicht einmal der sogenannte Sündenfall nötig. Man sollte meinen, sie wäre aus der Rippe von jemand ganz anderem gemacht. Ich hab' so meine Gedanken darüber.“

”Gedanken hat er!“ rief die rundliche Eva aus und bewies damit, daß sie doch auch auf Adams Worte einzugehen wußte, wenn's ihr gefiel. ”Gedanken! Als ob ein Mann jemals Gedanken hätte! Die Gedankenarbeit fängt überhaupt erst jetzt an, seitdem wir studieren dürfen. Ich schreibe jetzt an einer Geschichte des Paradieses, Herr Graf, und ich will nicht Eva heißen, wenn ich nicht quellenmäßig nachweise, daß dieser Tolpatsch da an dem ganzen Unglück schuld ist. Nämlich, wissen Sie, die Schlange und ich, wir hatten uns die Geschichte so gedacht …“

”O Gott, o Gott, o Gott, jetzt fängt das wieder an,“ rief Adam voller Schrecken. ”Ich bitte Sie, Herr Graf, schenken Sie meiner Frau was Hübsches um den Hals, damit sie auf andere Gedanken kommt, sonst kriegen wir ihre ganze Doktordissertation zu hören.“

Der Graf, galant wie alle seines illustren Hauses, erhob sich, so schwer es ihm auch wurde, sogleich, brachte das windschiefe Wrack seiner Leiblichkeit nach einigen erfolglosen Bemühungen schließlich wirklich in Bewegung, daß es in einem skurrilen Zickzack zum Christbaum hinüber zu kreuzen vermochte, und legte sein goldenes Armband um den Hals der niedlichen Eva, die von nun an ganz in der Betrachtung des Geschmeides aufging und kein Sterbenswörtchen mehr sprach.

Dafür bemerkte der Graf zu Adam: ”Sie müssen ein guter Kunde für die Goldschmiede sein, Herr von Adam!?“

”Ach Gott, ja,“ erwiderte der, ”die Hauptsache aber sind doch Goldschmiedeworte. Sehen Sie: die Frauen, wir wollen es uns nur gestehen, sind doch das Beste, was wir auf dieser Erde haben, seitdem man es für richtig befunden hat, uns aus dem Paradiese auszuweisen – wo es übrigens, nebenbei bemerkt, lange nicht so amüsant war, wie sich das die Theologen vorstellen. Die Frauen, fürs Eskamotieren von Natur aus begabt, haben auch aus dem Paradiese das Wertvollste eskamotiert: so einen gewissen Abglanz, oder wie soll ich nur sagen: eine Art Versprechen und Zuversicht des Vollkommenen, Ursprünglichen, Kindlichen. Wir legen ihnen davon vielleicht etwas mehr unter, als sie wirklich haben – aber etwas davon ist doch in ihnen. Jedenfalls reizen sie uns immer, es in ihnen zu suchen und es durch die Verbindung mit ihnen zu gewinnen. Aus diesem Reize kommt und in dieser Verbindung ist aber die Liebe. Und dafür, Herr Graf, nicht wahr, für diesen ewigen, aller Wunder vollen Schatz müssen wir ihnen wohl viel nachsehen, was uns, weil wir ja so anders sind, als sie, manchmal an ihnen geniert, und dafür müssen wir ihnen mit dem danken, was ihnen das Wertvollste an uns dünkt: mit immer bereiter, nie ermüdender Zärtlichkeit, Aufmerksamkeit, Gütigkeit. Es ist fast, als ob ihnen der äußere Ausdruck, das Zeigen der Liebe wertvoller erschiene, als deren Vorhandensein selbst. Zu wissen, daß der Mann sie liebt, genügt der Frau nicht, sie will die Liebe fortwährend, und auch im Kleinsten, immer und immer wieder dokumentiert sehen. Wir können ja vielleicht finden, daß das etwas äußerlich ist, und wir sind manchmal geneigt, uns sehr großartig vorzukommen, weil wir es uns im Grunde am Bewußtsein der Liebe genügen lassen, aber eigentlich ist es doch sehr gut, daß die Frauen so – äußerlich sind. Denn schließlich ist aus dieser weiblichen Art ein gut Teil unserer Gesittung entstanden.“

Der Graf, der, wie die meisten Leute, die mehr Geist als ihre Umgebung haben, auf artiges Zuhören nicht trainiert war, bemerkte: ”Was muß ich denn Ihnen schenken, damit ich um Ihre Dissertation herumkomme?“

”Man sieht,“ erwiderte Adam, ”daß Sie ein Junggeselle sind, denn sonst würden Sie sich mehr für diese goldenen Grundregeln der andauernden Liebe interessieren. Überdies komme ich aber jetzt auf einen Punkt, der zu dem Feste, das Sie auf so absonderliche Art feiern, eine sehr nahe Beziehung hat. – Haben Sie sich schon einmal überlegt, warum der Tag vor dem Christfeste Adam und Eva heißt?“

”Ich weiß nicht einmal, daß das so ist,“ antwortete der Graf etwas schläfrig.

Adam aber erwiderte: ”Und doch ist das ein sehr glücklicher Einfall der Kirche, wenn wir ihm auch besser eine andere Auslegung geben, als es nach ihrem Wunsche sein mag. Sie, die überhaupt nicht gut auf uns zu sprechen ist, weil wir uns nicht haben kirchlich trauen lassen und bloß ziviliter verheiratet sind, meinte, mir und meiner Frau mit dieser Postierung vor das Christfest eins auszuwischen. Sie hat diese nämlich in dem Sinne vorgenommen: direkt vor die Erlösung das zu rücken, wovon, nach ihrer Meinung, die Menschheit zu erlösen war: die Erbsünde. Sie werden es mir nachfühlen, wenn ich diesem Gedankengange, der mich und meine Eva zu Schwerverbrechern stempelt, wo wir doch bloß taten, was ihr uns alle so gerne nachmacht, nicht gerne folge und es vorziehe, die Sache anders auszulegen. Nämlich so: Ich meine, es ist damit ganz einfach die irdische und die himmlische Liebe kalendarisch benachbart worden als ein Sinnbild dafür, daß der Mensch die eine so nötig hat wie die andere. Denn selbst Sie, Herr Graf, der Sie doch eigentlich nicht mehr ganz komplett sind, kommen ohne ein bißchen Erbsünde nicht aus, ganz zu geschweigen von Ihren Kameraden da, die in diesem Punkte allen Ansprüchen vollkommen genügen. Ich gönne es Ihnen und ihnen, freue mich darüber und möchte nur wünschen, daß sie (und Sie!) auch sonst mehr nach mir geraten wären. Denn, abgesehen davon, wie Sie (und sie!) aussehen, – das möchte ich Ihnen bei dieser Gelegenheit doch bemerken: Ich habe niemals Theaterstücke geschrieben und nie Leute ausgerichtet!“

”Weil du kein Talent dazu hast und keine Leute da waren,“ warf Eva schnippisch ein.

”Was?!“ rief Adam aus, ”ich kein Talent? Ich, der ich täglich zwölf Gedichte auf dich gemacht habe, damals, als ich noch nicht wußte, wie du dich auswachsen würdest? Und ”keine Leute?“ Ist der liebe Gott etwa nichts? Hätte ich nicht den lieben Gott ausrichten können und dich und die Schlange? Ich sage dir, mein Kind, diese Herrschaften hier würden, wenn jeder von ihnen allein auf der Welt lebte, ihren Stiefelknecht verleumden, ihrer Zahnbürste ein schmutziges Verhältnis mit ihrer Seifenschale andichten und ihrem Sacktuche unehrenhafte Handlungen nachsagen.“

Der Graf, weit entfernt davon, Widerspruch zu erheben, bemerkte seelenruhig: ”Sie sind von Ihrem Thema abgekommen, Herr von Adam.“

”Richtig“, antwortete der, ”und das tut mir leid, denn ich wollte von guten Dingen reden; und das wars, was ich sagen wollte: Ihr solltet am heutigen Tage recht fleißig auch an Adam und Eva denken, und der Gedanke wäre, obwohl die Beiden, Gott sei Dank, keine Heilige waren, so wenig sündig wie der Gedanke an Raffael oder Mozart oder Goethe oder sonst einen der Herrlichen, die die Erde mit ihrem Leben und Schaffen geschmückt haben. Denn der Gedanke an uns leitet auch in diesem Sinne hinüber zu dem Gedanken an den, dessen Tag dem unseren folgt, – nicht wie der Tag der Nacht, sondern wie ein Feiertag dem anderen Feiertag.“

Der Graf war schon lange eingeschlafen, als Adam sein letztes Wort sprach. Auch die Kerzen in den Wandleuchtern verlöschten. Die Dichter und ihre Verleger und Theaterdirektoren schnarchten in einer Harmonie, die sonst selten zwischen ihnen bestand.

Schwarz-Rot-Gold und Grün-Weiß-Rot

Eine Studentengeschichte

Franz Zoller und Karl Jost waren Freunde von Kind an.

Selten sind solche Freundschaften. Denn es war bei ihnen viel mehr als Gewohnheit. Sie hatten sich wirklich von Wesensgrund aus gern. Schon die Zuckertüte des ersten Schulgangs teilten sie miteinander.

”Ich habe lauter Schokolade, Franz,“ sagte Karl, ”und ich lauter Zuckerzeug,“ entgegnete der, und sogleich schütteten sie Zucker und Schokolade zusammen und zählten ab und teilten.

In der Bürgerschule sowohl wie im Gymnasium machten sie Klasse für Klasse miteinander durch, hielten sich auch durchweg auf derselben Bank, ja zumeist nachbarlich zusammen, gewissenhaft auch darin abwechselnd, daß bald der eine, bald der andere den höheren Platz einnahm, denn, wie sie einander in der Begabung die Wage hielten, so auch im Fleiße.

Im Charakter ähnelten sie sich gleichfalls.

Es waren beide gute, muntere, aufrichtige Jungen, harmonisch angelegte Naturen von einer glücklichen Mischung der Gemütsgaben: Nicht überbegehrlich nach irgendeiner Richtung hin, aber auch in keinem Betracht stumpf und den jeweiligen Genußmöglichkeiten des Lebens abgewandt. Nicht etwa geradezu Musterknaben, aber durchaus wohlgeratene Burschen. Niemals Spielverderber, auch dann nicht, wenn es sich um verbotene Spiele handelte, aber immer maßsicher dabei. Und dies nicht etwa aus Berechnung oder frühreifer Lebensklugheit, sondern ganz von Gnaden eines unbeirrbaren Instinkts für die gute Mitte, die überhaupt das wesentliche an ihnen war.

Kein Wunder, daß ihre Eltern rechte Freude an ihnen hatten.

Franz war der Sohn des ersten Arztes der Stadt, Karls Vater war ein pensionierter Offizier, der sich aus Liebhaberei mit kriegsgeschichtlichen Studien beschäftigte. Beide Familien waren wohlhabend, nicht reich, und jede hatte außer dem einen Sohn noch eine jüngere Tochter.

”Unser Quartett,“ sagten die Alten, wenn sie die vier beieinander sahen – und die beiden Mütter dachten sich wohl noch etwas Extras dazu.

Eigentlich waren die Eltern erst durch die Kinder einander nahe gekommen, obwohl sie Haus an Haus draußen in der kleinen Villenvorstadt des Städtchens wohnten. Denn im Grunde stand mancherlei einer Freundschaft zwischen dem Doktor Zoller und dem Rittmeister a. D. Jost entgegen.

Vornehmlich der Unterschied in der politischen Meinung.

Der Doktor war ein alter Achtundvierziger, was er noch immer durch einen Heckerbart mit dazu gehörigem breiten Schlapphut auch äußerlich an den Tag legte; der ehemalige Rittmeister aber pflegte sich ”konservativ bis in die Knochen“ zu nennen.

Diesen politischen Standpunkten entsprachen die Universitätserinnerungen der beiden Herren.

Über dem Schreibtisch des Doktors hing ein schwarz-rot-goldenes Band, über dem des Rittmeisters, der erst nach einer ziemlich fröhlichen Studentenzeit ins Heer getreten war, ein grünweiß-rotes, das Zeichen seiner Angehörigkeit zu einem Korps der benachbarten Universitätsstadt. Und sonderbar: Die politische Meinungsverschiedenheit gab nicht so oft Anlaß zu Mißhelligkeiten, wie der Unterschied in ihren Sympathien für die verschiedenen Universitätsverbindungsrichtungen.

”Sie sind und bleiben ein verbohrter Büxier, Doktor; mit Ihnen ist überhaupt nicht zu reden; Sie sind durch die Buxenschaft heillos verdorben!“ pflegte der Rittmeister immer auszurufen, wenn sie über irgend etwas miteinander ins Gestreite gekommen waren. Und: ”Korpserziehung, das ist's, was Ihnen fehlt; stramme Zucht und das Gefühl für die notwendigen Schranken. Aber natürlich: Eine Verbindung, die ein politischer Debattierklub ist – daraus wird immer bloß Jakobinertum“.

Der Doktor aber ließ sich solche Belehrungen nicht willig eingehen, sondern riß an seinem wilden Bart und replizierte kräftig genug: ”Daß ich nicht lache! Korpserziehung! Ah bäh kann am Ende jeder Idiot auch sagen und Stege an den Hosen (er dachte an seine Zeit) sind schließlich auch nicht die Gipfel der Kultur. Erziehung zur Freiheit, Mannhaftigkeit, Überzeugungstreue, Vaterlandsliebe, das ist mehr wert, als den jungen Leuten beizubringen, daß ein glatter Scheitel und glatte Redensarten bei den Vorgesetzten beliebt machen. Der Korpsier ist die Karikatur des deutschen Studenten, von dem wir sangen: Frei ist der Bursch!“ —

Nach solchen Diskursen schieden die beiden mit roten Köpfen voneinander und pflegten zu ihren Eheliebsten zu bemerken: ”Schade um den guten Zoller (oder Jost); er ist im Grunde ein prächtiger Mensch, aber sein ewiges Buxentum (oder seine ewige Korpssimpelei) ist ganz und gar unausstehlich. Das eine aber weiß ich: Unser Junge wird Burschenschafter (oder Korpsstudent)!“

Die beiden Jungen aber, wenn ihre Alten ihnen auch, als sie sich der Prima des Gymnasiums näherten, oft genug ihre schwarz-rot-goldenen oder grün-weiß-roten Ideale predigten, hatten und zeigten wenig Sinn dafür.

”Ich springe mal nicht ein, Karl,“ erklärte Franz, und Karl pflichtete bei:

”Sollte mir gerade einfallen, mich als Korpsfuchs schurigeln zu lassen.“

Diese Abneigung gegen das studentische Couleurwesen kam einesteils daher, daß beide einander viel zu gern hatten, als daß sie es hätten wünschen können, auf der Universität die feindlichen Brüder zu spielen, dann aber war sie auch eine Folge gewisser anderer Neigungen, denen sich die beiden Gymnasiasten schon von Obersekunda an mit gleicher Stärke hingaben.

Sie waren durch einen Kameraden, dem sie neidlos höhere Begabung zuerkannten und durch dessen Belesenheit in moderner Literatur sie sich gerne imponieren ließen, auf die Beschäftigung mit der zeitgenössischen Dichtung hingeführt und so in einen Anschauungskreis gebracht worden, in dem kein Raum für die üblichen Burschenideale war. Nicht, als ob sie sich von gewissen, zwar verbotenen, aber darum erst recht ausgelassen lustigen Zusammenkünften der übrigen ferngehalten hätten, in denen verschiedene Prärogative des Studententums feuchtfröhlich vorweggenommen wurden, aber sie bildeten dabei mit noch einigen eine Art stilleren Extrawinkels für sich, und schließlich tat sich dieser zu einem ”literarischen Kränzchen“ zusammen, in dem man die damals gerade einsetzende moderne literarische Bewegung aufmerksam verfolgte und nicht weniger laut über Naturalismus und Idealismus debattierte, als es in den damals florierenden Literaturkampfblättern geschah. Wenn sich Franz und Karl dabei, auch hierin einmütig wie sonst, für M. G. Conrad, Liliencron, Conradi erhitzten und in einem gewaltigen Abscheu vor Paul Heyse erglühten, so konnten sie unmöglich noch Elan genug für Korps oder Burschenschaft aufbringen.

Im übrigen lagen sie nach wie vor ihren von der Schule gebotenen Studien fleißig ob und begannen auch nach und nach der Frage ihres zukünftigen Universitätsstudiums näherzutreten.

Dabei stellten sich aber schon Schwierigkeiten mit den beiderseitigen Eltern ein. Der alte Rittmeister wünschte seinen Sohn einmal als Juristen in Amt und Würden zu sehen, der Doktor konnte sich den seinen nur wieder als Mediziner denken, aber die beiden Literaturverehrer fanden, daß nur ein irgendwie literarisches Studium imstande sein werde, sie ganz auszufüllen.

Franz gedachte sich für romanistische, Karl sich für germanistische Philologie zu entscheiden.

”Dummes Zeug,“ erklärten die beiden Väter, die sich hier einmal in vollster Harmonie der Meinungen trafen und auch oft gemeinschaftlich miteinander zu Rate gingen, was wohl am besten zu tun sei, um die beiden Jungen, die sich jetzt zum erstenmal schwierig zeigten, auf den rechten Weg zu leiten.

Das war zur Zeit, als die beiden in Unterprima saßen und der Wohltat der ersten Tanzstunde teilhaft wurden.

Um diese Zeit begab es sich, daß Franz die Bemerkung machte, er sei in Karls Schwester Anna verliebt, und Karl gegenüber Klara, der Schwester Franzens, derselben Gefühle inne wurde.

Zuerst gestanden sie es einander und erteilten einander sogleich auch den brüderlichen Segen.

Sodann ging ein jeder zu seiner Schwester, des Freundes Brautwerber zu machen.

Und es ergab sich alles (woran auch keiner gezweifelt hatte) nach Wunsch. Das Quartett der heimlichen Liebe war fertig und stimmte aufs beste.

Die Alten taten, als merkten sie nichts, freuten sich aber im stillen herzhaft über die heimliche Hausmusik, von der sie ja ganz sicher sein konnten, daß sie nichts Unziemliches üben und produzieren würde.

Die beiden Mütter, bisher in den Meinungsverschiedenheiten zwischen Vater und Sohn zuwartend neutral geblieben, aber im Innern durchaus der Überzeugung sicher, daß das klügere Alter ganz gewiß nicht bloß das Rechte wollte, sondern auch erkannte, fanden es nun an der Zeit, ihrerseits sanft leitend einzugreifen, und zwar eben im Hinblick auf das gute Zusammenspiel des Quartetts. Denn sie sagten sich mit mütterlicher Psychologie: Jetzt, wo die Jungen ein Geheimnis mit sich herumzutragen glauben, von dem sie nicht wissen, welchen Eindruck es hervorbringen wird, wenn sie es einmal enthüllen müssen, jetzt werden sie fügsamer sein als je.

Und sie irrten sich nicht.

Wie die Jungen merkten, daß von ihrem Nachgeben bei der Wahl des zukünftigen Studiums es abhinge, ob die gestrengen Alten in der Wahl der zukünftigen Braut Nachgiebigkeit an den Tag legen würden, waren sie bald entschlossen, die romanistische und germanistische Philologie zu opfern und in die sauren Äpfel der Juristerei und Medizin zu beißen, wenn ihnen dafür die süßen Äpfel aus dem Liebesgarten in greifbare Nähe gerückt würden.

Das war freilich nicht sehr überzeugungstreu gehandelt und eigentlich Felonie gegen das literarische Kränzchen, aber wenn man neunzehn Jahre alt ist und im Feuer der ersten Liebe steht, darf man für solche Abtrünnigkeit wohl mildernde Umstände zugebilligt erhalten.

”Weißt du, Franz,“ erklärte Karl, als er, etwas zaghaft, seinen Treubruch bekannt hatte, ”ich mußte doch auch an deine Schwester denken, und daß ich als Jurist viel bessere materielle Aussichten habe. Jedenfalls können wir viel früher heiraten.“

Karl fand diese Überlegung durchaus weise und wurde durch sie der Notwendigkeit überhoben, auch seinerseits Entschuldigungen vorzubringen. Dafür bemerkte er, daß man ja auch als Arzt und Jurist der schönen Literatur alle möglichen Opfer an Hingabe und Förderung bringen könne.

Nur vor ihrem literarischen Mentor, jenem Kameraden, der ihnen den Geschmack an Literatur beigebracht hatte, hatten sie ein bißchen Angst. Der aber zeigte sich, wie immer, auf der Höhe der Situation, indem er äußerte: ”Ihr konntet keinen vernünftigeren Entschluß fassen: Wenn jeder, der sich für Literatur interessiert, Literat werden wollte, würde die Literatur schließlich bloß noch Interessenten und kein Publikum haben. Mir persönlich habt ihr überdies einen Stein vom Herzen genommen durch eure Entschließung, denn ich habe mir schon manchmal Gedanken darüber gemacht, ob ihr auch begabt genug dazu wäret, euch aktiv in Literatur zu betätigen.“

Die guten Jungen fühlten sich durch dieses Verdikt sehr beruhigt und begannen nun, wie es ihrer gesunden, resolut aufs Reelle gerichteten Art entsprach, sich rechtschaffen mit ihrem ganzen Wesen auf ihren zukünftigen Beruf einzustellen, indem sich ein jeder dessen schöne Seiten und Möglichkeiten bewußt werden ließ.

Die Mütter triumphierten, und die Väter waren zufrieden.

Nun, so dachte ein jeder von ihnen für sich, werd' ich den Bengel schon auch noch für meine alten Studentenideale einfangen.

Indessen, da wollte sich der gewünschte Erfolg durchaus nicht einstellen. Allen noch so begeisterten Schilderungen, noch so nachdrücklichen Zureden setzten die Jungen halsstarrig das eine entgegen: Es gehe und gehe nicht, – schon wegen ihrer Freundschaft. Sie seien nun einmal ein Herz und eine Seele und wollten in allen Lagen des Lebens immer und ausnahmslos bleiben, was sie von jeher waren: Engverbundene Kameraden.

Vergeblich deklamierte der Doktor: Ehre! Freiheit! Vaterland! Vergeblich wies der Rittmeister darauf hin, daß nur der zur Elite der Studentenschaft gehöre, der Mitglied eines Korps sei. Vergeblich betonten beide, daß es zu ihren innigsten Herzenswünschen gehöre, den Sohn mit demselben Band geschmückt zu sehen, das sie einst selber getragen hatten.

Es nützte alles nicht; die beiden Oberprimaner, deren Abgang von der Schule schon in ein paar Monaten eintreten mußte, blieben standhaft bei ihrem non possumus.

Die Lage schien verzweifelt.

Da erschien wiederum der mütterliche Sukkurs auf dem Plan. Aber diesmal mußte er sich einer komplizierteren Taktik bedienen, und die beiden Hilfstruppen mußten gemeinsam vorgehen.

Sie pflogen Kriegsrat mit einander und einigten sich über die folgende Gefechtsidee: Diesmal müssen wir die Mädels bange machen. Wenn ihr, müssen wir sagen, euren Bruder dahin bringt oder wenigstens den Anschein erweckt, als ob ihr ihn dahin gebracht hättet, nach Vaters Willen zu handeln, so wird der, seid sicher, zum Dank dafür euren Herzenswünschen so gewiß geneigt sein, wie er jetzt darin ungewiß ist. – Nun werden die Mädels freilich sagen: Der Bruder denkt ja gar nicht daran, auf uns zu hören.

Dann müßte man eben das junge Volk ein bißchen auf eine andere Möglichkeit stoßen.

Wofür sind wir die Alten, Erfahrenen? Es geht ja um einen guten Zweck, und so dürfen wir wohl andeuten, daß, wenn auch der Bruder am Ende nicht hören würde, der Freund des Bruders um so gewisser alle beide Ohren aufmachen wird. Geschieht das nun aber auf beiden Seiten, so ist genau das selbe erreicht, wie wenn ihr den Bruder überredet hättet, d. h. der Vater ist zufriedengestellt.

Die mütterliche Doppelintrige, von den Töchtern sofort aufs gelehrigste erfaßt und so geschickt ins Werk gesetzt, wie man es von jungen verliebten Mädchen nur voraussetzen kann, führte noch kurz vor Torschluß, nämlich in der Muluswoche der beiden Freunde, zum gewünschten Ziele.

Natürlich handelten Franz und Karl im Einverständnis miteinander.

”Nun müssen wir also auch noch Komödie spielen wegen der Mädel,“ so faßte Franz die Sachlage in Worte. ”Du mußt dich als Korpsier, ich mich als Burschenschafter verkleiden, und wir müssen drei Semester lang so tun, als verachteten wir einander grimmig. Es ist zum Totlachen! Wir werden uns wie ein heimliches Liebespaar nur verstohlen treffen können und auf der Straße aneinander vorüberschreiten, als kennten wir einander gar nicht. Bloß in den Ferien wird Gottesfriede herrschen. Was wollen wir aber dann auch miteinander vergnügt sein, Karl! Wie wollen wir dann lachen über die Mummerei!“ —

”Ja, das wollen wir,“ war Karls Antwort, ”aber, weißt du, die Sache hat doch auch eine ernste und gerade darum erfreuliche Seite: Es ist die erste Prüfung, die unsere Freundschaft zu bestehen hat. Ich zweifle natürlich so wenig wie du daran, daß sie sie bestehen wird; das versteht sich ganz von selber; aber immerhin, eine Probe aufs Exempel bleibt's, und das ist gut.“

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Litres'teki yayın tarihi:
30 haziran 2017
Hacim:
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