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Kitabı oku: «Der Held von Garika», sayfa 2

Adolf Mützelburg
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»Ich fürchte, das ist ein böses Vorzeichen, Johnny!« sagte George und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

»Für wen, Sir?«

»Nun, für den Kampf überhaupt und für mich!« antwortete George.

»Wollen Sie denn in den Kampf, Sir?« fragte Johnny. Und als der junge Mann nicht sogleich antwortete, fuhr er fort: »Oder meinen Sie die Engländer und Franzosen? Sie glauben doch nicht, dass die sich von den Russen so zurichten lassen würden wie die Türken? Die werden’s den Russen schon eintränken, warten Sie nur! So ungeschickt wird sich eine englische Flotte nicht aufstellen. Die Batterien konnten ja nicht feuern! Und die Tapfersten scheinen mir diese Herren Türken heute auch nicht gewesen zu sein. Etwas saurer hätten sie’s den Russen schon machen können, trotz der Überrumpelung! Scheinen sich sehr sicher hier gefühlt zu haben, die Herren Rotkappen, sonst hätten sie sich nicht so faul vor die Stadt gelegt und vergessen, Wache zu halten.«

Ein Herr trat ein, und Johnny unterbrach seine strategischen Betrachtungen. Es war ein bereits bejahrter Mann, der sich sogleich an George mit der Frage in englischer Sprache wandte, ob er es gewesen, der ihn zu sprechen gewünscht.

»Mein Name ist George, ich bin der Pflegesohn von Mr. Hywell«, antwortete der junge Mann.

»Willkommen dann!« antwortete Wiedenburg, ihm die Hand reichend. »Sie wollen Nachrichten über Mr. Hywell hören. Er ist noch nicht angekommen, auch vermute ich, dass er vielleicht nicht seinen Weg über Sinope nimmt. Aber ich will Ihnen die Briefe Mr. Hywells, zeigen. Kommen Sie mit mir!«

George folgte dem Deutschen nach dessen Wohnzimmer und fragte im Gehen nach dem Schicksal, das der Stadt bevorstehe.

»Nun, das Schlimmste scheint vorüber«, antwortete Wiedenburg. »Freilich, viel schlimmer für die Türken konnte es nicht werden! Indessen wäre eine Plünderung der Stadt doch immer ein trauriges Nachspiel zu diesem grässlichen Ereignis gewesen. Die Flotte ist vernichtet, vier- bis fünftausend Türken sind getötet, einige hundert gefangen. Über das Schicksal der beiden Admirale, Hussein- und Osman-Paschas, wissen wir noch nichts Genaues. Admiral Nachimow hat dem österreichischen Konsul angezeigt, dass er das Privateigentum respektieren wolle und dass die Feuersbrunst in der Stadt nicht von ihm beabsichtigt worden sei. Umso mehr haben wir eine Plünderung von Seiten der Türken zu fürchten; der Pöbel benutzt ja gern derartige Gelegenheiten, um sich für die überstandene Angst durch Gräueltaten an Unschuldigen zu entschädigen. Schon bedroht man Mr. Pirjantz, und beschuldigt ihn des Einverständnisses mit den Russen, weil Nachimow den Parlamentär an ihn geschickt. Zu wem soll er denn senden, wenn die andern Konsuln nicht zu finden sind? Nun, ich hoffe, die Gefahr wird vorübergehen. Im Notfall müssen wir die Russen um Schutz ersuchen. Nehmen Sie Platz, Sir! Hier sind die Briefe.«

Ein Diener brachte Licht, und George durchflog die Briefschaften, die Wiedenburg ihm reichte.

Mr. Hywell, den er seinen Pflegevater genannt, war ein reicher englischer Kaufmann, das Haupt eines großen Handlungshauses und als ein sehr erfahrener Mann oftmals von dem Handelsministerium zu Rate gezogen und zu Missionen verwendet. Teils im Auftrage der Regierung, teils in eigenen Angelegenheiten hatte er vor mehr als zwei Jahren eine Reise nach Ostindien unternommen. Der Aufenthalt dort war durch mancherlei Umstände verlängert worden; jetzt wollte Mr. Hywell über Persien zurückkehren Er hatte den mühsamen und unbequemen Weg zu Lande gewählt, weil ihm auch eine Mission für Persien anvertraut worden. Über Sinope wollte er dann nach Konstantinopel gehen und von dort nach England zurückkehren. Von den inzwischen ausgebrochenen Feindseligkeiten zwischen Russland und der Türkei hatte er erst kurz vor seiner Abreise aus Ostindien Kunde erhalten und der Nachricht, wie so viele Politiker, kein großes Gewicht beigelegt. Wiedenburg hatte schon seit Jahren von Konstantinopel aus mit ihm in Handelsverbindungen gestanden, und auf Handelsgegenstände bezogen sich auch die meisten der Briefe, obwohl in ihnen manche andere Mitteilung mit einfloss, da die beiden Männer einander befreundet waren. Aus den Briefen sah George auch, dass ein Mr. Edmund Wiedenburg, ein junger Deutscher, der einige Jahre in Ostindien gelebt, ein entfernter Verwandter des Kaufmanns in Sinope, sich der Gesellschaft Mr. Hywells für die Rückreise angeschlossen. Mary Hywell begleitete ihren Vater, weil er es gewünscht. Es war dem schon bejahrten Manne, dem die Gattin längst gestorben und der keine Kinder außer Mary besaß, unmöglich gewesen, sich auf lange Zeit von der damals siebzehnjährigen Tochter zu trennen. Der letzte Brief war aus Teheran geschrieben und trug das Datum des Monats August.

»In diesem Briefe spricht Mr. Hywell von seiner bevorstehenden Abreise«, sagte George, die Briefe zurückgebend. »Eine Reise von Teheran bis hierher dauert doch unmöglich drei Monate und länger.«

»Mr. Hywell wird seiner Tochter wegen langsam gereist sein«, erwiderte Wiedenburg. »Auch mag sein Aufenthalt in Teheran länger gewährt haben, als er damals voraussah. Nichtsdestoweniger, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, muss ich bekennen, dass das Ausbleiben Mr. Hywells und fernerer Briefe von ihm mich unruhig macht. Die Länder, welche Ihr Pflegevater zu durchreisen hat, sind sichern Nachrichten zufolge in einem Zustande wilder Aufregung. Sie wissen, dass Persien sich mit Russland verbunden und dass die Türkei die Kurden gegen Persien aufgeboten. Diese werden aus eigene Hand operieren, das heißt plündern und rauben, wo etwas zu finden ist. In Ordnung sind sie nicht zu halten; wir hören täglich darüber die bittersten Klagen von Seiten der türkischen Befehlshaber, namentlich der Europäer, die in türkischen Diensten stehen. Ich würde mich deshalb sehr freuen, wenn ich erführe, dass Mr. Hywell den Weg durch das russische Gebiet genommen. Dort ist allerdings der Krieg zwischen Russen und Türken im vollen Gange und auch die Bergvölker mischen sich darein, aber für Reisende ist der Weg dennoch der sicherere. – Ja, ohne Sie in Besorgnis setzen zu wollen, muss ich Ihnen doch sagen, dass der Brief eines Kaufmanns aus Erzerum mir meldet, es seien ihm von einigen Kurden sehr schöne ostindische Schals zum Kaufe angeboten worden, die höchstwahrscheinlich von diesen Räubern bei einem Angriff auf eine Karawane oder einzelne Reisende gestohlen worden. Wie gesagt, es ist durchaus nicht notwendig, dass gerade Mr. Hywell dieses Unglück erlitten, aber die Möglichkeit ist vorhanden. In keinem Falle aber fürchte ich für das Leben Ihres Pflegevaters und seiner Begleiter; diese Schurken sind jetzt so klug geworden, ihre Gefangenen nicht eher zu töten, als bis sie die Gewissheit erlangt haben, dass sie kein Lösegeld zu erwarten haben. Sie werden jedenfalls erst den Versuch machen, ein solches zu erpressen.«

»Aber wenn Mr. Hywell Widerstand geleistet hätte, wenn ein Kampf entstanden wäre!« rief George mit gepresster Stimme. »Und Miss Mary –«

»Mein lieber Sir«, unterbrach ihn Wiedenburg, »wir wollen uns nicht ängstigen. Mr. Hywell ist jetzt vielleicht sicher und wohlbehalten auf dem Wege hierher. – Welches ist Ihre Absicht? Wollen Sie hier Ihren Pflegevater erwarten, oder wollen Sie ihm nach Erzerum entgegenreisen? Ich halte das Letztere für vergeblich, denn ich habe die feste Überzeugung, dass Mr. Hywell den Weg über Achalzik oder Tiflis eingeschlagen haben wird; um nicht das gefährliche Land der Kurden zu passieren. Mr. Hywell ist ein vorsichtiger Mann, der sich gewiss von den Schwierigkeiten eines Weges unterrichtet, ehe er ihn einschlägt!«

»Ich hoffte so sehr, Mr. Hywell hier zu finden!« antwortete George mit einem Seufzer. »Ich wollte ihn um die Billigung eines Plans bitten, den ich entworfen. Was soll ich nun tun? Ich ginge gern überallhin, wo ich hoffen könnte, ihn zu finden! Und wüsste ich, dass eine Gefahr ihm drohte – Doch alles Überlegen ist vergeblich! Wie steht es auf dem Kriegsschauplatze in Armenien? Sind die Türken vorgegangen?«

»Ja, aber ich glaube nicht, dass sie weit kommen werden«, antwortete der Deutsche. »Die Führer sind uneinig unter sich selbst, keiner will dem andern gehorchen. Und da die Russen für den Augenblick die Bergvölker nicht zu fürchten haben, so werden sie die Gelegenheit benutzen, einen empfindlichen Streich gegen die Türken zu führen.«

»Was halten Sie von dem Beistande, den Schamyl den Türken leisten kann?« fragte George.

»Mein lieber Sir«, antwortete Wiedenburg, »es ist nicht leicht, die Zukunft vorauszusagen. Aber wenn ich eine kurze Meinung äußern soll, so ist es folgende. – Die Franzosen und Engländer werden den Türken beistehen, ja, davon bin ich überzeugt. Siegen die Türken, so darf man nicht glauben lassen, sie hätten es allein mit dem mächtigen Russland aufnehmen können, und man wird eine Armee nach der Donau oder an die russische Küste senden, um den Türken den Ruhm ihres alleinigen Siegs zu schmälern; werden sie geschlagen nun, so versteht es sich von selbst, dass man ihnen zu Hilfe eilt, denn Russland soll nicht triumphieren; es soll gedemütigt werden und anerkennen, dass es nicht wohlgetan ist, gegen Frankreichs und Englands Willen zu handeln. Ein Kampf auf Leben und Tod wird es nicht werden; die Franzosen und Engländer werden, sobald Russland eine Schlappe erlitten, den Frieden vermitteln. Denn an einer wahren Kräftigung und Stärkung der Türkei liegt den Westmächten sehr wenig; sie verlören ja dann eine vortreffliche Gelegenheit, sich in die orientalischen Angelegenheiten einzumischen. Frankreich wird die Russen heimsenden, bis es vielleicht einst mit ihnen gemeinschaftlich über die Türkei herfällt. Und die Bergvölker? Sie werden allerdings die Gelegenheit benutzen, den Russen einige Niederlagen beizubringen. Aber schließlich fürchten sie die türkische Oberherrschaft ebenso sehr wie die russische; sie werden auf eigene Hand operieren und schon deshalb wenig erreichen. Ich kann mich irren, aber ich glaube, dieser Krieg wird im Sande verlaufen. Selbst Russland ist vielleicht jetzt schon unzufrieden damit, ihn begonnen zu haben.«

»Glauben Sie nicht, dass Georgien, Mingrelien, überhaupt die kaukasischen Länder die Gelegenheit benutzen werden, um die russische Herrschaft abzuschütteln?« fragte George.

»Nein, Sir! Der Krieg wird nicht lange genug dauern, um diese gezähmten und erschlafften Völker aufzuregen und an den Gedanken der Selbstständigkeit zu gewöhnen. Russlands Macht hat dort tiefe Wurzeln geschlagen. Ja, wenn die Russen überall zurückgedrängt und genötigt würden, den Süden des Kaukasus aufzugeben, dann wäre es möglich, dass sie nie zurückkehrten. Aber dahin kommt es nicht, diesmal nicht!«

George blickte düster vor sich nieder. Wiedenburg bot ihm ein Zimmer für die Nacht und überhaupt für so lange an, als George ihm seinen Besuch schenken wolle.

»Ich werde nur bis morgen früh bleiben«, antwortete George. »Da ich Mr. Hywell nicht angetroffen, so will ich hinüber nach Tschefketil und von dort aus den Versuch machen, etwas über Mr. Hywell zu erfahren.«

»Werden Sie als Neutraler reisen?« fragte Wiedenburg. »Besitzen Sie die nötigen Papiere?«

George zögerte mit der Antwort.

»Ich werde mich wahrscheinlich den Türken anschließen«, antwortete er dann. »Zwar kenne ich die Ansicht meines Pflegevaters nicht genau und weiß nicht, ob er meinen Plan billigt; aber er hat früher stets so viel Sympathie für meine Pläne gezeigt –«

Er brach ab. Wiedenburg fragte nicht weiter. Er sagte nur nach einer Pause:

»Sie sind orientalischer Abstammung?«

»Ja«, antwortete George. »Deshalb bleibt mir in diesem Kampfe keine Wahl.«

Das Gespräch ging auf die Ereignisse des Tages über und George verließ dann seinen gastlichen Wirt, um Johnny mitzuteilen, was er über Mr. Hywell erfahren.

»Wir fahren morgen nach Tschefketil!« fügte er hinzu. »Das ist ein kleines Fort an der russisch-türkischen Grenze, das die Türken den Russen abgenommen. Dort, will ich Erkundigungen über mancherlei Dinge einziehen. Johnny, bist Du entschlossen, für alle Fälle bei mir zu bleiben?«

»Damn, Sir, gewiss!« antwortete Johnny. »Mr. Hywell hat mir gesagt, ich sollte über Sie wachen wie über meinen Augapfel, und ehe er mir nichts anderes befiehlt, tue ich meine Schuldigkeit!«

»So brechen wir morgen auf!« sagte George, ihm erregt die Hand drückend. »Komme, was kommen mag, ich kann nicht anders! Mr. Wiedenburg wird mir Nachricht senden, falls Mr. Hywell hier ankommt. Der Boden brennt mir unter den Füßen. Ich kann nicht länger müßig sein!«

Und nach einer Pause fügte er hinzu:

»Was meinst Du, Johnny, Miss Mary muss jetzt eine stattliche Dame sein? Mr. Hywell wird daran denken, sie zu verheiraten. Sollte sie vielleicht in Ostindien einen Nabob gefunden haben?«

Er versuchte dabei zu lächeln. Johnny schüttelte leicht den Kopf.

»Miss Mary lässt sich nicht so ohne weiteres verheiraten«, sagte er. »Die hat ihren Willen für sich. Und Mr. Hywell ist ja selbst ein kleiner Nabob. Nach Geld braucht Miss Mary nicht zu heiraten.«

Am folgenden Morgen verließen George und Johnny Sinope. Mr. Wiedenburg, der vielleicht die Pläne Georges erriet, hatte vergebens versucht, den jungen Mann zurückzuhalten und ihm dann, als George unerschütterlich auf seinem Vorsatz beharrte, nicht nur versprochen ihm, sobald er etwas über Mr. Hywell erfahren, Nachricht nach Tschefketil nachzusenden, sondern auch für alle Fälle, wie er sagte, die Namen einiger Deutschen und Engländer in Tiflis und in Eriwan genannt, an welche sich George wenden sollte, wenn er Beistand bedürfe.

Ungefähr vierundzwanzig Stunden, nachdem es in die kleine schützende Bai eingelaufen, verließ das türkische Boot den sichern Zufluchtsort. Als es, mit dem nördlichen Winde kämpfend, die Höhe des Meeres zu erreichen suchte, sank George auf die Knie und flüsterte in stiller Erregung ein Gebet.

Auf der Reede von Sinope lagen noch die russischen Kriegsschiffe und ließen ihre Banner lustig und triumphierend herüberwehen.

II. Ein kolchisches Paradies

Im Süden des Kaukasus, in einer dem russischen Zepter unterworfenen Provinz, liegt Schloss und Stadt Garika1, einst die Hauptstadt eines Königreichs gleichen Namens. Die unbedeutenden Häuser der Stadt ziehen sich am Fuße eines Felsens längs eines kleinen Flusses hin der den im Orient häufig wiederkehrenden Namen Karassu (Schwarzwasser) führt und der nur im Winter reißend, im Sommer aber gewöhnlich so seicht ist, dass man ihn durchwaten kann. Hoch auf dem Felsen, der steil nach dem Flusse abfällt, liegt Schloss oder Burg Garika, mit einer entzückenden Rundsicht auf die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus im Norden das herrliche Flusstal mit seinen Weinbergen jenseits des Flusses und die schönen Wälder im Süden und Westen. Es mag einst sehr fest gewesen sein; die Außenmauern sind aber längst geschleift, und einige im modernsten russischen Geschmack errichtete Pavillons und Nebenhäuser zeigen deutlich, dass hier eine neue Zivilisation unter den Fittigen des russischen Adlers eingezogen.

Es war in den ersten Tagen des Dezember, und die Wälder prangten noch in ihrem glühendsten herbstlichen Schmuck, als ein junger Reiter Schloss Garika verließ und den sanften Abhang hinabritt, der sich südlich vom Schlosse nach den Wäldern hinzieht und mit den herrlichsten Baumgruppen bedeckt ist. Er ritt ein prächtiges Pferd von echter Rasse und trug die Uniform eines russischen Milizoffiziers, jedoch nicht nur mit dem Abzeichen eines höhern Ranges, sondern auch mit einigen selbsterfundenen malerischen Verzierungen, wie der Orientale sie liebt und die russischen Generale sie gern gestatten, da Glanz und Schmuck des Offiziers dazu beitragen, sein Ansehen bei den eingeborenen Truppen zu erhöhen. Es war ein schöner junger Mann, noch nicht dreißig Jahre alt, mit vollem, schwarzem Schnurrbart und von mehr schlanker als kräftiger Gestalt. Das etwas blasse, aber noch jugendlich frische Gesicht zeigte einen träumerischen Ausdruck; auch war die Haltung des Reiters nachlässiger, als man sie bei europäischen Offizieren findet. Der Orientale lässt sich gehen, bis der Augenblick seine ganze Kraftanstrengung verlangt. Der Schnitt des Gesichts zeigte den Kaukasier oder Circassier.

Der junge Offizier ritt langsam unter den schönen Buchen hin, in Gedanken verloren, als plötzlich ein Mann in der ärmlichen Tracht der eingeborenen Bauern hinter einem Baumstamme hervortrat. Da er waffenlos war und seine spitze Mütze demütig in der Hand trug, so hatte der Offizier nicht nötig, nach seinem Säbel oder nach den Pistolen zu greifen, deren goldverzierte Schäfte aus den Halftern hervorglänzten. Er wollte auch ruhig, ohne auf den Bauer zu achten weiterreiten, als er sah, dass dieser ihm ein Papier hinhielt.

»Was willst Du? Eine Bettelei?« fragte der Offizier in der Sprache der Eingeborenen.

»Nein, hoher Herr! Ein Brief, der von weit, weit her kommt.«

Der Offizier nahm den Brief, der die Spuren langer Wanderung trug, nicht ohne den Ausdruck eines gewissen Missbehagens, in den sich Verwunderung mischte. Die einfache Aufschrift in französischer Sprache lautete: »An Daniel Garika in Garika.«

Der Offizier blickte nach dem Siegel, aber es war zerknittert und unkenntlich geworden. Endlich öffnete er den Brief und las nur die wenigen Zeilen:

»Ich lebe und denke an das Vaterland und vergangene Zeiten. Was denkst Du? Sei bereit, mir zu antworten, wenn ich Dich wiedersehe.

George Garika.«

Der Offizier stieß einen kurzen Ruf des Erstaunens aus und seine Wangen färbte ein helleres Rot. Dann wandte er sich mit dem Rufe: »Woher hast Du das?« an den Bauer. Aber dieser war verschwunden. Überrascht, fast bestürzt, hielt Daniel Garika auf seinem Pferde und las teils den Brief wieder und wieder, teils blickte er um sich, ob der Bauer nicht noch einmal erscheine. Aber er blieb allein unter den einsamen Bäumen deren rotes Laub im Winde rauschte und zuweilen ein glutfarbenes Blatt auf den herbstlichen Rasen niedersandte.

»George lebt – er lebt!« flüsterte er vor sich hin.

»Und was bedeuten diese seltsamen Worte? Vaterland, vergangene Zeiten – ich soll bereit sein, ihm zu antworten! Seit zwölf Jahren glaubte ich ihn tot! Wo war er denn? Wo ist er? Hier, in der Nähe?«

Und er blickte abermals um sich, als ob er eine fremdartige Erscheinung erwartete. Aber alles blieb still.

Nur in weiter Ferne ließ sich der Hufschlag eines Pferdes vernehmen. Daniel untersuchte noch einmal das Siegel, fand es aber auch diesmal unkenntlich und zerriss nun den Brief in eine Menge kleiner Stücke und warf sie in den Wind, der sie verwehte.

Ein Reiter wurde unter den Bäumen sichtbar, ein junger Eingeborener. Sobald Daniel ihn erkannte, nahm sein Gesicht einen erwartungsvollen Ausdruck an, und er ritt dem Reiter entgegen, der demütig grüßte und ihm einen Brief überreichte, einen zarten Brief auf rosafarbenem Papier und mit frisch geschriebener Aufschrift: »Dem Prinzen Daniel Garika.«

Daniel erbrach ihn hastig und las die Worte in französischer Sprache:

»Mein lieber Prinz!

Nina und Michael besuchen eine Familie in der Stadt. Ich bin zurückgeblieben. Darf ich Sie erwarten?

Sophia.«

Daniel, freudig erregt, warf dem Reiter ein Geldstück zu, das dieser auffing, und rief.

»Ich komme!«

In demselben Augenblick erschien jedoch ein anderer Reiter auf schaumbedecktem Pferde und überreichte Daniel einen zweiten Brief, dessen Form und Aufschrift dieselbe Schreiberin bekundete. Daniel öffnete ihn diesmal zögernd und las die Zeilen:

»Mein lieber Prinz! Soeben kommt Paul. Ich melde es Ihnen in aller Eile, um Ihnen nicht unwahr zu scheinen. Wird dies ein Hindernis für Sie sein?

Ich hoffe nicht.

Sophia.«

Der zweite Bote erhielt keinen Lohn. Düster blickte Daniel Garika vor sich hin und gab dann den beiden Boten ein Zeichen, sich zu entfernen.

»Verwünscht!« rief er vor sich hin. »Immer dieser Paul! Soll das Spiel ewig dauern? Erst die Einladung, dann diese Nachricht hinterher! Der Teufel traue ihr! Gehe ich? Gehe ich nicht? Es ist mir eine Qual, mit dem hochmütigen Russen zusammen zu sein, mit ihm die Blicke und Worte Sophias zu teilen! Vorwärts – ja, ich will! Habe ich den Russen zu scheuen? Entweder Sophia oder – George, wenn Du kommst, werde ich Dir eine Antwort geben! Sie liegt in Sophias Hand. Du hast mich an die Vergangenheit erinnert, an die Zeit, in der unsere Ahnen Könige waren! Gut, wir wollen sehen, ob ein Kosakenhäuptling den Enkel eines Königs aus dem Felde schlägt!«

Und mit glühendem Antlitz sprengte er nach Westen den verschwundenen Boten nach.

Wie der Wind flogen Ross und Reiter durch den herbstlichen Wald. Der Reiter dachte nicht daran, die Schönheiten zu genießen, die sich nach allen Seiten hin darboten; sein Herz war voll Unruhe, und außerdem waren ihm ja diese Schönheiten etwas Altes. Die wundervollen, glühendroten Kronen der Buchen, Eichen und Linden, der Platanen, Eschen und Ulmen, zwischen denen die fast noch sommerlich grünen Ranken der Schlingpflanzen sich in südlicher Fülle hinzogen – er kannte sie ja von Jugend auf. Die Lichtungen mit ihrem bereits gelblichen, aber immer noch erfrischenden Rasen und ihren einzelnen malerischen Baumgruppen entlockten ihm kein Staunen der Bewunderung mehr. Dieses Paradies war sein Vaterland; er kannte den Namen jedes kleinen Dorfes, das aus den Bäumen an einem Bach hervorlauschte oder sich an einem dicht mit Gesträuch bewachsenen Felsen hinaufzog, und die herrlichen Formen der Baumwipfel und Berge riefen auch nicht ein einziges Mal das Bewusstsein ihrer Schönheit in ihm wach.

Seine Gedanken weilten bei denen, die er hinter ihnen finden sollte. So ritt er scharf fast eine halbe Stunde lang, bis der Wald sich plötzlich lichtete und eine Landschaft vor ihm lag, die jedes fremde Auge mit Entzücken erfüllt haben würde. Ein Tal, von mehreren Bächen durchzogen, die dem Karassu zueilten und deren Lauf von fast noch grünen Bäumen begleitet wurde, dehnte sich breit und gemächlich vor ihm aus. Zur Linken war es begrenzt von einem sanft im Halbkreis zurückweichenden Walde, vor ihm, jenseits des Tals, zog sich ein mäßiger Hügel hinauf, bedeckt mit Wald und Obstbäumen, die ein Schloss umrahmten, dessen Gemäuer durch das Laub hervorblickte. Nördlich von dem Schlosse, zur rechten Hand des Reiters, zeigten sich am Fuße des Hügels nach dem Karassu hin die Häuser eines kleinen Orts.

Lieblicheres und zugleich Edleres als die Formen des sanft schwellenden Hügels und der Umrisse der Baumgruppen vermochte man sich nicht zu denken. Hier und dort weideten Herden, von Knaben und Männern in der einfachen, aber malerischen Landestracht gehütet, eine Herde Füllen trabte über den weichen Wiesengrund, sich ergötzend in lustigen Sprüngen – es war in der Tat ein Bild des Paradieses!

Daniel Garika ritt etwas langsamer durch das Tal dem Schlosse zu. Er fürchtete, man könne ihn von dort aus bemerken, und mochte sich nicht zu eilig zeigen. Die Landleute, an denen er vorüberkam, zogen demütig ihre flachen Mützen; sie betrachteten ihn immer noch als den Herrn des Landes, über das der Großvater Daniels als König geherrscht hatte, bis Russland die Länder, welche den Süden des Kaukasus umspannen, unter sein Zepter zwang. Auch Schloss und Stadt Dari, die vor dem Reiter lagen, hatten einst den Garikas gehört.

Jetzt waren sie als Mitgift für Daniels Schwester Nina an den Grafen Michael Brazow gefallen, einen Russen.

Es war ein kleines, aber schönes Königreich gewesen, über welches die Garikas einst geboten. Jetzt war dem Königsenkel nichts geblieben als der Ertrag des Gebietes, das zu Garika gehörte, und sein Rang als Milizoffizier. Freilich war der Landstrich, den er sein nannte, immer noch so groß als manches deutsche Fürstentum.

Aber die Herrschaft lag in den Händen des Zaren und seines mächtigen Stellvertreters, des Generalgouverneurs von Cis- und Transkaukasien, damals Fürst Woronzow. Daniel Garika galt nicht mehr, vielleicht sogar weniger als jeder russische Untertan.

Kamen dem Fürsten düstere Gedanken, als er durch das Tal ritt? Fast schien es so, denn seine Stirn war gefaltet, seine Miene finster. Nach dem Tode seines Vaters und seiner Mutter in Petersburg erzogen, hatte er freilich die Macht Russlands bewundern und fürchten gelernt; jeder Gedanke daran, dass er einst wieder als eigener Herr in diesem Lande gebieten könne, war längst in ihm erstickt; über die Bemühungen Schamyls und seiner Genossen, dem riesigen Gegner Russland Widerstand entgegenzusetzen, zuckte er mitleidig und fast verächtlich die Achseln. Aber das Königsblut wallte den noch zuweilen in ihm auf. Er liebte Sophia, die Schwester Brazows. die sich seit einiger Zeit in Dari zum Besuch befand, aber er liebte sie nicht allein. Ein Reiteroffizier, Paul Ombrazowitsch, ein Freund und früherer Waffengefährte Michael Brazows, der das Kommando über eine in der Nähe stehende Kavallerieabteilung führte, machte ihr eifrig den Hof. Paul Ombrazowitsch war, wie es hieß, der Sohn eines Kosakenführers. Sollte ein Mann, der dem niedern Adel angehörte, den Sieg davontragen über den Enkel eines Königsgeschlechts, das seinen Ursprung ein Jahrtausend hinaus verfolgen konnte und einst unter den Herrschergeschlechtern von Kolchis berühmt gewesen war?2

Am Fuße des Hügels angelangt, spornte Daniel Garika sein Ross wieder an und sprengte den gut gebahnten Weg hinauf bis in den Schlosshof. Das Schloss war demjenigen von Garika sehr ähnlich, aus verschiedenen Gebäuden von ungleicher Bauart und verschiedenem Alter zusammengesetzt, umgeben von einer nicht allzu festen Mauer. Auf dem Hof sprangen Diener herzu, das Pferd des Fürsten in Empfang zu nehmen. Er fragte nach der Gräfin Sophia. Sie sei mit dem Major Ombrazowitsch in den Park gegangen, lautete die Antwort, erst vor kurzem, und hätte die Weisung hinterlassen, Früchte, Gebäck und Liköre nach dem Springbrunnen zu bringen.

Daniel ging hastig nach dem Park, das Herz klopfte ihm vor Eifersucht. Dann aber siegte sein Stolz; er mäßigte seine Schritte und ging langsam nach dem Teile des Parks, in welchem sich der Springbrunnen befand.

Der Park von Dari war wie derjenige von Garika nur ein gelichteter Wald, aber eben deshalb umso schöner; die Kunst hätte hier nur verderben können.

Blutrote Buchenblätter bedeckten den Boden und dämpften die Tritte Daniels. Ranken von wildem Wein, Efeu und Winden verbanden wie Girlanden und durchbrochene Teppiche die starken Eichen und Buchen, die schlankstämmigen Lorbeer- und die Myrten- und Rosengebüsche.

Durch diesen zauberischen Gartenschritt Daniel dahin, bis er das Rauschen des Springbrunnens und ein helles Lachen hörte. Es kam ihm der Gedanke, zu hören, was Sophia mit dem Major spreche. Die Eifersucht ist stets misstrauisch, ja sie entsteht nur aus dem Misstrauen. Langsam und leise näherte sich Daniel dem Springbrunnen, und durch die bunten Blätter hindurch sah er Sophia auf einer Bank in der Nähe eines hölzernen Pavillons sitzen. Der Major stand vor ihr.

Sophia Brazow war keine regelmäßige Schönheit, aber ihr frisches Gesicht mit den zart geröteten Wangen, den dunklen, runden Augen war eins von denen, die im Sprechen Reiz und Leben gewinnen und durch die Beweglichkeit der Züge und durch den Ausdruck von Geist keine Betrachtung über die etwa mangelnde Schönheit aufkommen lassen. Die Form der Stirn und der Nase verrieten ein wenig den russischen Typus. Aber wenn sie lachte und die weißen Zähne durch die roten Lippen blitzten und die Augen so klar glänzten, erschien sie verlockend schön. Ihr ganzes Wesen trug den Stempel der Kraft, der Gesundheit und des Übermuts.

Sie mochte keine zwanzig Jahre alt sein, gewiss nicht darüber, und alles an ihr, der Teint, die Augen, die Lippen, das prächtige dunkle Haar, die gerundeten Formen der kaum mittelgroßen Gestalt, zeigte jene erste glänzende Frische der Jugend, die für sich allein schon oft Schönheit ist. Ihr Anzug war einfacher, als man ihn gewöhnlich bei den Russen des Orients, die ihn phantastisch ausschmücken lernen, findet; eine Art polnischer Schoßjacke, knapp anschließend, ein Seidenkleid, ein leichtes Hütchen und etwas Schmuck bildeten ihre ganze Toilette. Nur das fast rötliche Braun der Jacke und das helle Gelb des Kleides deuteten mit ihren lebhaften Farben auf den Orient.

Der Major war in seiner Dragoneruniform. Seine Gestalt war derjenigen Sophias ähnlich, nicht groß, kräftig, aber von guten Verhältnissen. Sein Gesicht zeigte den vollendeten Typus eines blonden Russen, die Augen nicht groß, aber glänzend, die Nase ein wenig emporgerichtet, die Stirn nicht hoch, aber voll Leben.

Hätte man sein Gesicht im Einzelnen prüfen wollen, so würde er die Probe der Schönheit schlecht bestanden haben. Und doch war der Eindruck, den er machte, durchaus kein ungefälliger. Auch in seinem Wesen lag Kraft und Gewandtheit, in seinen markierten Zügen Klugheit und Energie, seine ganze Erscheinung hatte etwas Abgerundetes, in sich Geschlossenes, das den entwickelten Mann kennzeichnet. Er hielt die Mütze in der Hand und sprach lebhaft mit Sophia. Die Sonne fiel auf sein rotblondes, starkes und gekräuseltes Haar, auf den stattlichen, wohlgeformten Schnurrbart und ließ sie wie Gold glänzen. So machte er den Eindruck eines kräftigen Soldaten, zugleich aber auch eines Mannes von geistiger Begabung und weltmännischer Durchbildung.

Ein wenig zu lebhaft waren seine Bewegungen, etwas zu scharf, fast lauernd war sein Blick. Der eifersüchtige Daniel mochte nicht so ganz Unrecht haben, wenn er behauptete, dem Major klebe etwas vom Parvenu oder wenigstens vom Abenteurer an. Es fehlte ihm die Ruhe des geborenen Aristokraten. Aber seine lebhafte Natur entschuldigte seine Beweglichkeit. Stirn und Augen verrieten, dass unruhige Gedanken sich hinter ihnen jagten.

Beide sprachen russisch, welche Sprache Daniel von Petersburg her, wo er nur russisch und französisch gesprochen, gut genug verstand. Der Major erzählte, wie er auf seinem Ritt nach Dari dem Bruder Sophias und dessen Gemahlin begegnet und ihnen schnell ausgewichen sei, um von ihnen nicht zu erfahren, dass Sophia sich allein auf dem Schlosse befinde, und dann mit ihnen umkehren zu müssen. Er erzählte gut, denn er besaß die Gabe, auch die unbedeutendsten Dinge in ein angenehmes Gewand zu kleiden. Die Damen fanden ihn sehr unterhaltend; Daniel dagegen behauptete, wenn er sich frei aussprechen konnte, der Major habe etwas vom Harlekin. Jedenfalls kannte Paul Ombrazowitsch die Frauen und wusste, wie man mit ihnen sprechen müsse.

1.Unserer Erzählung liegen außer den allgemeinen historischen noch einige andere wirkliche Ereignisse zugrunde. Wir erwähnen dies mit dem Bemerken, dass nicht nur die Namen der betreffenden Personen, sondern auch die Ereignisse selbst nach eigener und freier Erfindung geändert und dem Plane zu dieser Erzählung angepasst worden sind. D. V.
2.Wir verstehen hier unter Kolchis nicht nur den schmalen Küstensaum am östlichen Ufer des Schwarzen Meeres, sondern auch die Gebiete landeinwärts bis nach Georgien hin. D. V.

Türler ve etiketler

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Litres'teki yayın tarihi:
10 aralık 2019
Hacim:
546 s. 27 illüstrasyon
Telif hakkı:
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