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Kitabı oku: «Der Held von Garika», sayfa 27

Adolf Mützelburg
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»Vielleicht nicht kann, lieber Vater!« sagte Mary leise. »Auch mir tut es leid, sehr leid!«

»Sprich Du mit ihm!« sagte Mr. Hywell. »Ich kann es nicht ertragen, dass ich ihn in England nicht wiedersehen soll. Ich habe mich so an ihn gewöhnt, dass ich gar nicht weiß, was ich ohne ihn anfangen werde.«

Aber Mary sprach nicht mit Wiedenburg. Ob sie es nicht wollte oder ob nur Johnny sie davon abhielt, der ihr gerade in den Weg kam, blieb zweifelhaft.

Eine Dienerin meldete, dass der Tee bereitet sei, und alle begaben sich in die Kajüte. Die Gegenwart des Kapitäns verhinderte, dass das Gespräch auf den Besuch Wiedenburgs in England zurückkehrte.

Bald darauf suchten alle ihre nächtliche Ruhestatt.

Vorher ging Johnny noch einmal zu dem Steuermann.

Die Sonne ging hinter Wolken unter.

»Gut Wetter morgen hier?« fragte Johnny, der damit andeuten wollte, dass ihm die Naturerscheinungen in dieser Gegend nicht genügend bekannt seien.

»Glaube nicht!« antwortete der Steuermann und zuckte die Achseln.

Und in der Tat erhob sich während der Nacht der Wind so heftig, dass man ihn am Morgen einen tüchtigen Sturm nennen konnte. Der Himmel war mit Wolken bedeckt, die See schwarz, der Wogengang kurz und hoch. Das Schwarze Meer ist berüchtigt wegen seiner schnellen und heftigen Stürme. Es ist bekannt, welche Verheerungen ungefähr um dieselbe Zeit ein heftiger Sturm unter den englischen, französischen und türkischen Kriegs- und Transportschiffen anrichtete.

Um zehn Uhr morgens war der Sturm ein Orkan.

Mit angebundenen Segeln trieb das kleine Fahrzeug auf den Wogen dahin; wäre es nicht neu und stark gebaut gewesen, die Wellen hätten es längst zertrümmert.

In der Kajütentür, sich mit den Händen festhaltend, standen Mr. Hywell und Edmund, hinter ihnen Mary. Johnny stand bei dem Steuermann, obwohl das Steuer längst nicht mehr gebraucht werden konnte. Der Kapitän, sich an den Mast haltend, war bleich; die Matrosen fluchten und beteten. Wie ein Wrack trieb das Boot auf den Wellen, der kleinasiatischen Küste zu. Dass der Kapitän und der Steuermann keine Rettung hofften, zeigten ihre starren, gläsernen Augen, ihre zusammengebissenen Lippen. Nur Johnnys Augen waren hell und klar. Als echter Seemann hoffte er nichts mehr, er zweifelte aber auch nicht. Er glaubte nicht an Rettung, aber unmöglich war sie nicht.

»Scheitern, im letzten Augenblick scheitern!« sagte Mr. Hywell und sein Blick flog wie irr über die schwarzen Wolken, die sich am Himmel drängten, und über das wütende Meer.

Ob Wiedenburg ihn verstanden hatte? Wohl kaum.

Das Donnern der Wogen und des Sturms machten es unmöglich, andere Worte, als die durch das Sprachrohr gerufen wurden, zu hören. Aber seine Miene zeigte einen ähnlichen Ausdruck wie diejenige Mr. Hywells, und still sagte er vor sich hin:

»Scheitern – jetzt!«

Woge auf Woge schlug krachend über das Verdeck.

Mary hielt sich mit der einen Hand an einem Griff, der in der Nähe der Kajütentür im Innern angebracht war. Vielleicht war ihre Miene die ruhigste von allen.

Gottergebenheit ist ein heiliger Vorzug der Frauen.

Und wenn sie starb, starb sie nicht mit allen, die sie liebte?

Als eine mächtige Welle das Schifflein hoch auf ihren Scheitel hob, erblickten der Kapitän, der Steuermann und Johnny zugleich das Ufer der Küste, freilich noch in weiter Ferne. Aber wie bald mussten die rasenden Wellen sie dorthin getragen haben! Das Ufer war hoch und felsig, Rettung inmitten der furchtbaren Brandung ohne eine außerordentliche Gunst des Schicksals kaum möglich. Und mit solcher Gewalt stürzten sich gerade jetzt die Wellen über das Fahrzeug, dass es in seinen Fugen krachte und jeden Augenblick in Stücke zerschlagen zu werden drohte. Da rief Johnny mit aller Macht seiner gewaltigen Stimme einige Worte vom Steuer her und zeigte mit der Hand nach Norden. Aller Blicke richteten sich dorthin. Man bemerkte ein großes Schiff, ein Kriegsschiff, wies es schien, das ebenfalls von den Wellen getrieben wurde, aber ihnen doch nicht ganz willenlos zu gehorchen schien. Es fuhr mit sehr wenigen Segeln. Da es ein sehr großes Fahrzeug war, so vermochten die Wellen es nicht ganz so vollkommen zu beherrschen wie das kleine Boot. Der Kapitän hisste das Notsignal auf und kam, sich festhaltend, wo er nur einen Gegenstand fand, nach der Kajütentür.

»Ich kann Ihnen noch eine Hoffnung geben, Sir!« sagte er. »Sie können gerettet werden, wenn jenes Schiff uns ein Boot sendet, falls wir ihm nahe genug kommen.«

»Aber ist denn das möglich?« fragte Mr. Hywell.

»Schwierig, aber nicht unmöglich«, antwortete der Kapitän. »Man gibt das Zeichen, dass wir bemerkt worden.«

Auch Johnny kam jetzt über das Deck geklettert oder vielmehr gekrochen.

»Nehmen Sie Ihr notwendigstes Gepäck, Mr. Hywell!« rief er. »Man wird uns ein Boot senden. Die Frauen und Sie können hinüber, vielleicht auch noch einer von uns. Schnell, schnell, damit Sie bereit sind! Ich will sehen, ob es noch möglich, das Steuer ein wenig zu gebrauchen, um dem Schiffe nahe genug zu kommen. Es ist ein Franzose!«

»Schnell, schnell!« rief auch Wiedenburg mit aufleuchtendem Blick. »Ja, da ist Hoffnung!«

Für die nächsten Minuten war die augenblicklich drohende Gefahr vergessen. Mr. Hywell, Mary und die Dienerinnen suchten taumelnd nach dem unentbehrlichsten Gepäck. Die Matrosen waren herbeigekommen. Man schlang Taue um Mr. Hywell, Mary und deren beide Dienerinnen, damit sie nicht über Bord gerissen würden. In der Tat sah man, wie ein Boot von dem französischen Kriegsschiffe ins Meer herabgelassen wurde.

Zwölf Mann hielten die Ruder, ein Offizier stand am Steuer. Die beiden Fahrzeuge waren nur ungefähr zweihundert Schritte auseinander, dank den Anstrengungen Johnnys, der durch geschickte und kühne Handhabung des Steuers dem Boote noch einige Bewegungen abzugewinnen gewusst hatte. Man sah, dass das französische Boot vom Verdeck des Kriegsschiffes aus an Tauen gehalten wurde.

»Wenn Sie in jenem Boote sind, so halten Sie sich auf jeden Fall fest«, rief Wiedenburg Mr. Hywell zu. »Man wird das Boot nach jenem Schiffe hinüberziehen.«

»Und Sie?« fragte Mary.

»Ich werde zuerst für Sie und Ihren Vater sorgen und dann für mich!« antwortete Edmund. »Nur Mut, Miss Mary. Vor wenigen Minuten war keine Hoffnung, jetzt ist sie da!«

Ihre Blicke begegneten sich und ruhten aufeinander, strahlend in Hoffnung und Hingebung. So hatten sie sich nie angeblickt, so deutlich hatten die Seelen nie einander gesprochen. Sie wussten von diesem Augenblick an, dass sie sich liebten.

Die folgenden zehn Minuten lassen sich in ihren Einzelheiten nicht beschreiben; die wilde Aufregung, die Hast, die Anspannung aller Kräfte, die sinkende und wieder erwachende Hoffnung, die drohende Gefahr, die Gewalt des Sturms, das Durcheinander von Worten. Gedanken, Handlungen – es lässt sich nicht schildern.

Drei Matrosen, mit langen Hakenstangen versehen, knieten an der Einfassung des Schiffs, um das Boot, das jetzt auf den Spitzen der Wellen erschien und dann wieder verschwand, vom Schiffe fernzuhalten, wenn es nahe genug gekommen sei, oder im günstigen Moment an dasselbe heranzuziehen. Der Kapitän, Johnny und einige Matrosen waren unablässig bemüht, Mr. Hywell, Mary und die beiden Dienerinnen zu halten, zu unterstützen. Jetzt schoss das französische Boot aus dem Scheitel einer Welle daher. Der Offizier am Steuer schien ein verwegener, kecker Mann zu sein. Er stand wie eine Säule am Steuer.

Jetzt war es da in Hörweite.

»Fünf Personen, nicht mehr!« rief der Offizier durch das Sprachrohr. »Und Vorsicht!«

Eine Minute darauf lag das Boot an der Seite des Fahrzeugs. Johnny half es halten; seine Miene zeigte, dass er alle Kraft aufbiete, es so fest als möglich heranzuziehen, damit es nicht an dem größern Boote zerschelle. Einige Koffer und Reisesäcke wurden in das Boot geworfen, hoch auf warfen die Wellen ihren Gischt über die beiden aneinander gedrängten Fahrzeuge. Die französischen Matrosen standen bereit, die Frauen zu empfangen, die ihrerseits von den Matrosen des italienischen Fahrzeugs an Stricken gehalten wurden. Eine englische Dienerin wurde zuerst hineingehoben, dann die zweite, dann Miss Mary, die soeben noch ihren Blick auf Edmund gerichtet.

»Schnell, schnell«, rief der französische Offizier. »Wir können uns nicht mehr halten!«

»Hinein, hinein!« rief Edmund und drängte Mr. Hywell. Der Engländer, von den Matrosen empfangen, sprang in das Boot. In demselben Augenblick sprang ihm einer von den englischen Dienern nach. Der Mann mochte in seiner Todesfurcht denken, dass er ebenso gut gerettet werden könne wie jeder andere. Und er hatte nicht Unrecht.

Er war sonst ein mutiger und wackerer Bursche, aber die See schien ihm nicht geheuer. Er hatte schon seit dem Morgen neben der Kajüte auf den Knien gelegen und gebetet.

»Ab!« rief der Offizier.

Die· Haken wurden erhoben; nur Johnny hielt noch fest. Edmund stand ruhig, sich an einer Barriere festhaltend, und schaute nieder in das Boot. Seine Miene war ruhig, heiter, fast lächelnd.

Da erhob sich plötzlich Mary. Ihr Blick flog hastig, wild, wie Edmund ihn nie gesehen, über das kleinere und das größere Boot.

»Warum kommt Mr. Wiedenburg nicht, Vater?« rief sie.

»Los! Kein Mann mehr ins Boot!« rief der französische Offizier.

Mary richtete sich hoch auf. Es war, als wolle sie zurück in das größere Fahrzeug. So deutlich war die Bewegung, dass es fast schien, als wolle sie über Bord springen.

»Wiedenburg! Um Gotteswillen, was ist das? Noch einen Augenblick! Wir dürfen nicht fort ohne jenen Herrn!« rief Mr. Hywell bleich wie der Schaum, der ihn umzischte.

»Nicht ohne ihn, der uns nie verließ!« rief Mary, mit der einen Hand ihres Vaters Arm ergreifend, als wolle sie ihn zurückhalten, und den andern Arm nach Edmund ausstreckend. Zu spät! Johnny ließ mit einem Seufzer den Haken fahren. Eine Sekunde schwankte das kleine Boot und neigte sich so tief auf die Seite, das es umzuschlagen drohte. Aber die gewandten französischen Matrosen wussten das Gleichgewicht zu halten, es richtete sich wieder auf, die Ruder wurden eingesetzt, auf dem großen Schiffe zog man die Taue an. Mary und Mr. Hywell, sich umarmt haltend, fielen zurück auf die Bank. Noch einmal streckte sie die Hand aus, dann schlossen sich ihre Augen und sie sank an ihres Vaters Brust.

Wiedenburg stand starr auf seinem Platze. Schon lag ein weiter Zwischenraum zwischen den beiden Fahr zeugen. Eine hohe Welle entzog sogleich darauf das kleine Boot dem Blick. Sturm und Schaum peitschten Wiedenburgs Haar und Gesicht, aber sein fest geschlossener Mund behielt sein Lächeln. Über die Wellen hinaus folgte sein Blick dem Boote. Er sah es neben dem Kriegsschiffe, er sah die Mannschaft noch, wie sie die Frauen die Treppe hinaufführte, eine im hellen Gewand wurde getragen, es war Mary. Ihr folgte der Vater. Gerettet! Beide gerettet! Dann sah er nur noch die Masten des Schiffs. Weiter rollte das kleine Fahrzeug auf den Wogen. Und er? Nun, er wusste, dass sie ihn liebte. Er stand noch immer unbeweglich. Er hatte erfahren, was ihn glücklich hätte machen können für das ganze Leben, es sollte ihn auch glücklich machen im Tode!

Was er dachte, fühlte, in Blitzesklarheit stand es später vor ihm und auch darin ähnlich dem Blitz, dessen Bewegungen sich nicht beschreiben lassen, dass er des Einzelnen sich nicht zu erinnern wusste.

Das höchste Glück des Daseins und die ganze Richtigkeit dieser irdischen Existenz, er umfasste sie in einer Sekunde.

Sein Geist schwang sich hoch hierauf über alle Schranken; es war ihm, als überschaue er Tod, Welt und Ewigkeit.

Wie er so dastand, zeigte seine Miene jenes seltsame Lächeln und jenen feierlichen Ernst, die man vereint auf den Zügen Sterbender bemerkt und die ihnen einen so unbeschreiblichen und erschütternden Ausdruck verleihen. Hinter ihm lag die Welt und irdisches Glück. Es war, als blicke er durch die geöffneten Pforten einer andern Welt!

V. Schluss

Es war am zweiten Tage nach jenem Sturm und der Himmel lächelte so heiter und blau, als könne er nie getrübt werden und sei nie getrübt worden, nieder auf den herrlichen Hafen von Konstantinopel, auf den Bosporus, die von Minaretts starrende Stadt, auf die beiden Küsten dieser glücklichen Meerenge und das Getümmel im Hafen.

Zwei Männer, ein älterer und ein jüngerer, waren schon seit dem frühen Morgen an den verschiedenen Teilen des Hafendamms auf und ab gegangen. Beider Blicke waren fast unablässig nach Osten gerichtet. Jedes ankommende Fahrzeug prüften sie, soweit das Auge reichte, genau. Namentlich die Schiffe und Boote, von deren Bug das französische Banner wehte, unterworfen sie der genauesten Musterung.

»Ich sage Dir, das Schiff wird in der Besika-Bai vor Anker gegangen sein, namentlich wenn es Havarie erlitten«, sagte der Ältere. »Wir wollen einen reitenden Boten hinausschicken nach der Bai, um Dich oder vielmehr Mr. Hywell und seine Tochter zu beruhigen, Edmund! Auf jeden Fall müssen sie bald ankommen, vielleicht aber auf einem türkischen Fahrzeuge. Mir sind die Augen fast erblindet von dem vielen Sehen und von dem Glanz des Meeres. Hätte das Fahrzeug Schiffbruch erlitten, so wüssten wir es längst; es ist eins der besten französischen Kriegsschiffe, und die Nachrichten vom Unglück sind immer schneller als die vom Glück. Aber verlass Dich darauf, das Schiff ankert in der Besika-Bai.«

Es waren Edmund Wiedenburg und sein Oheim, die hier am Hafen auf und ab schritten und mit Bangigkeit dem Eintreffen Mr. Hywells und Marys entgegensahen. – Edmund war gerettet worden, sowie das Fahrzeug des Italieners. Der Zufall hatte sie in die Bai von Sinope getrieben, und da das Unwetter schon am Nachmittag nachließ und alle Anzeichen eine stille Nacht verkündeten, so hatte Edmund am Abend einen englischen Dampfer bestiegen, der nach Konstantinopel fuhr, um dort womöglich gleichzeitig mit Mr. Hywell einzutreffen, denn sein Herz sagte ihm, in welcher Unruhe Mary schweben müsse. Johnny hatte Edmund begleitet, musste aber das Zimmer hüten, da er sich bei dem Festhalten des französischen Boots eine starke Verletzung an der Schulter zugezogen, die er mit kühlenden Umschlägen heilen wollte.

Auch Johnny war übrigens der Ansicht, dass einem Fahrzeuge wie dem französischen Kriegsschiffe bei dem baldigen Aufhören des Sturms kein ernstliches Unglück mehr habe widerfahren können.

»Für Mr. Hywells und Miss Marys Wohlsein fürchte ich nichts«, hatte er zu Edmund gesagt. »Aber hier wird es schlecht bestellt sein Ihretwegen«, hatte er hinzugefügt, auf das Herz deutend.

»Was ist denn das für ein Boot?« fragte der junge Deutsche, auf ein schönes kleines Fahrzeug deutend, das schnell vom Bosporus her in den Hafen einlief und dessen Flagge, da sie fortwährend im Winde gaukelte, schwer zu erkennen war.

»Das ist das Offiziersboot eines französischen Kriegsschiffs!« rief der alte Wiedenburg, und beide eilten, ohne weiter ein Wort zu sprechen, nach der Stelle, an welcher das Boot landen musste.

Hier herrschte jedoch ein solches Gewühl von Matrosen und Lastträgern, dass es selbst der Gewalt unmöglich war, anders als sehr langsam bis zum Rande des Kais vorzudringen. Das Boot hatte an einer der Treppen angelegt, noch ehe die beiden Wiedenburg dieselbe erreicht hatten. Das Menschengewühl erlaubte ihnen nur auf Momente, einen Blick auf das Boot zu werfen.

Dennoch hatte Edmund bereits Mr. Hywell bemerkt, der mit ängstlich forschender und zugleich starrer Miene das Getümmel am Ufer musterte. Aber wenn er sich nicht geirrt, so war ihm Mr. Hywells Gesicht furchtbar verändert erschienen, so bleich, so entsetzlich hohläugig, als habe ihn ein ungeheurer Schlag getroffen. Sollte er sich dies nur aus der Sorge des alten Mannes um denjenigen, den er vielleicht verloren wähnte, erklären?

Einige französische Offiziere waren an das Land gestiegen. Ihre Drohungen und Flüche scheuchten die Lastträger, die meist aus Griechen bestanden, zurück. Es bildete sich ein freier Raum um die Treppe. Edmund trat vor. In dem großen Boote waren die beiden Dienerinnen und jener Diener, der sich mit seiner Herrschaft gerettet. Aber wo war Mary? Noch konnte Edmund den ganzen innern Raum des Bootes nicht überschauen. Jetzt sah er einige französische Matrosen sich niederbeugen und·eine Art Palankin erheben, von dem er bis dahin nur das Dach bemerkt. Er war durch Vorhänge verschlossen. Befand sich Mary in demselben und war sie krank? Ach, konnte sie anders als krank sein? Wäre er nicht in Verzweiflung gewesen, wenn er Mary in jenem Sturm auf einem so kleinen Fahrzeuge hätte zurücklassen müssen? Sein Herz wollte ihm zerspringen vor Angst.

Aber als sein Oheim ihn drängte, vorzutreten und sich zu zeigen, sagte er dennoch hastig:

»Nein, nein! Nicht hier! Nicht vor all den Leuten!«

Der Palankin – es war mehr eine Sänfte von der Art, in welcher man Liegende trägt – wurde von vier Matrosen an das Land getragen. Ein Offizier gab ihnen die Weisung, sich zu Mr. Hywells Verfügung zu halten, bis dieser sein Hotel erreicht, und empfahl sich dann von Mr. Hywell, der ihm wiederholt, aber mit der Miene eines Mannes, der an anderes denkt, die Hand drückte. Dann wurde die Sänfte weitergetragen. Mr. Hywell schritt neben ihr, sich nicht um die lärmenden Anerbietungen der griechischen Lastträger kümmernd, die jedoch von den Matrosen heftig abgewehrt wurden und endlich, als sie begriffen, dass sich eine Kranke in der Sänfte befinde oder dass hier nichts zugewinnen sei, sich entfernten.

Edmund war mit seinem Oheim der Sänfte gefolgt, deren Träger langsam eine schmale Straße hinaufschritten.

Unfähig, länger an sich zu halten, und gedrängt von seinem Oheim, trat er zu Mr. Hywell und nannte den Namen desselben. Mr. Hywell zuckte zusammen und schwankte, als wolle er fallen. Er hatte die Stimme sogleich erkannt. Und schon hielt ihn Edmund umarmt. Der alte Mann ließ sein Haupt an Edmunds Brust sinken und sagte nichts als:

»Gott sei gelobt und gepriesen für diesen Segen!«

Die Träger hielten still und setzten die Sänfte nieder. Der Vorhang öffnete sich und ein Gesicht blickte heraus, ein bleiches und doch von unsäglicher Freude verklärtes Gesicht. Edmund wandte sich Mary zu und reichte ihr die Hand. Sie nahm sie und behielt sie lange in der ihrigen, den Blick nicht von ihm abwendend. Ja, er war geliebt, geliebt, wie er es sein wollte! Not und Verzweiflung hatten kommen müssen, um es ihm zu zeigen.

»Ich bin nicht krank, Edmund«, sagte sie dann leise und ein seliges Lächeln umspielte ihre Lippen.

Sie winkte mit der Hand und ließ die Vorhänge zufallen.

Die Träger schritten weiter mit der Sänfte. Neben ihnen gingen Mr. Hywell, Edmund und sein Oheim im tiefsten Schweigen.

Als eine Stunde später Edmund und Mr. Hywell in des letztern Zimmer saßen, beide mit Gesichtern, die von der reinsten Freude erleuchtet waren, Hand in Hand, öffnete sich plötzlich die Tür und Mary erschien in derselben.

»Mary!« rief Mr. Hywell ängstlich. »Um Himmelswillen, Du wirst Dir schaden!«

Aber es war eigentümlich, selbst der besorgteste Blick hätte in ihren Zügen nichts mehr von der vollkommenen Ermattung und Schwäche zu finden vermocht, in welche, wie Mr. Hywell soeben Edmund erzählt, Mary seit jener Trennung verfallen gewesen. Sie lächelte, ein zartes, wunderliebliches Rot verbreitete sich über ihr Gesicht, bis über Stirn und Schläfe.

»Ich bin nicht mehr krank, lieber Vater!« sagte sie. »Soll ich denn gar nichts von Euch hören? Kommt denn niemand zu mir?«

Edmund war ihr genaht. Der Schritt des sonst so sichern Mannes schien zu schwanken. Mary trat ein wenig zurück. Wollte sie ihm eine Gelegenheit geben, mit ihr allein zu sein? Ohne Zweifel. Es gibt Augenblicke, in denen man auch den Blick des liebendsten Vaters scheut. Edmund trat zu ihr in das Nebenzimmer, und lehnte die Tür hinter sich an.

Nun standen sie beide einander gegenüber. Er nahm ihre Hand. –

»Mary«, sagte er, »ich konnte nicht früher kommen; der Vater behauptete, Sie seien sehr krank. Aber ich habe mit ihm gesprochen; er hat mir gesagt, Mary, dass es Wahrheit sei, was ich in den glücklichsten Augenblicken zu ahnen glaubte, was ich wusste seit jener unseligen Trennung auf dem Meere; aber darf ich ihm, darf ich jenem Augenblick auch wirklich glauben? Das Glück scheint mir zu groß!«

»Und mir ist es ein Traum, dass Du mich wirklich liebst!« antwortete Mary leise und zu ihm aufblickend, denn er hatte sie sanft an sich gezogen und ihr Kopf ruhte an seiner Schulter.

»Es gab eine Zeit, in der ich es hoffte, aber dann verschwand dieses kurze Glück. Du warst so ernst. Du wichst mir aus. Ich glaubte, Dein Herz sei in der Ferne gefesselt!«

»Und ich, ich glaubte, dass George –«, sagte er leise.

»Ja, wie einen Bruder liebte ich ihn«, antwortete sie, und aus ihrem Auge, soeben von Glück noch feucht, rollte eine Träne der Erinnerung nieder. »Ach, es war eine schwer bewegte Zeit auch für mein Herz. Ich ahnte wohl, dass er mich liebe, und es beängstigte mich schon. Nun ist er tot – Gott hat es gewollt – und ich darf Dich lieben, ohne zu fürchten, dem, dem ich so innig ergeben war, wehe zu tun. Das Leben ist seltsam gewebt aus Schmerz und Lust. Viel Bitteres liegt hinter mir, aber ich achte es für nichts, da Gott mich entschädigte durch so großes Glück. Und George kann mir nicht zürnen! Ist es meine Schuld, wenn ich für Dich anders fühlte als für ihn? Ich hätte alles für ihn geben können, selbst mein Leben, aber mein Herz, das wollte zu Dir, nur zu Dir!«

Sie sagte das leise, langsam, in einzelnen Sätzen, das Gesicht ruhend an seinem Herzen. So standen sie noch lange, glücklich und doch ernst. Der Gedanke an George mischte einen tiefen; traurigen Ton in die süße Harmonie ihres Glücks, der erst nach langen Jahren allmählich verklingen und zum sanften Nachhall werden sollte. Die Wege des Schicksals sind unerforschlich, und es ist gut, ihnen ernst nachzudenken, aber nicht, ihnen untätig und selbstquälerisch nachzugrübeln. Das Leben will schnell, fest und energisch genommen sein. Wer gebietet über das Morgen?

Sie standen so, nur in wenigen Worten sich leise mitteilend, was so heiß und gewaltig im Herzen wogte, als Mr. Hywell leise die Tür öffnete. –

»Nun, so ist er Dir alles jetzt!« sagte er, mit Mühe seine Bewegung unter einem Lächeln verbergend. »Dein Retter, Dein Beschützer, Dein Freund, Dein Bruder, Dein Geliebter und Dein Arzt, denn auch geheilt hat er Dich!«

»Alles, nur eins nicht!« sagte Mary, ihm die Hand reichend. »Nicht mein Vater!« –

»Ach, den wirst Du bald vergessen!« sagte der alte Mann.

»Niemals!« sagte Mary, und es lag eine Tiefe der Innigkeit in diesem einen Worte, die jeden Scherz verstummen machte. Als Mr. Hywell bald darauf mit Edmund zu Johnny trat, der nicht wenig über seine Verletzung murrte, und als er zu ihm sagte: »Johnny, Mr. Edmund wird mein Schwiegersohn!« schien sich Johnny gar nicht zu wundern. Er reichte Edmund die Hand des gesunden Arms und sagte:

»Sie konnten keinen bessern finden, Mr. Hywell. Ich dachte früher wohl manchmal, Mr. George sollte es werden, aber es hat nicht sein sollen. Und es ist besser so. Er war ein zu unruhiger Geist. Gewiss wird Miss Mary mit Mr. Edmund glücklicher sein.«

»Ja«, sagte Mr. Hywell. »Und nun will ich wieder leben und gesund sein. Edmund, als Sie da im Sturme forttrieben, da war es mir wie Mary. Ich wusste, dass ich dieses Unglück nicht überleben würde!«

»Und für mich begann damals ein neues Leben, ein neues, großes und schönes Leben«, sagte Edmund. »Es soll Mary geweiht sein!«

Und das war es auch. Da aber ein Mann Mary sein Leben nicht weihen konnte, ohne es zugleich allem Guten und Edlen zu weihen, so war es ein tätiges, ernstes Leben, der Mittelpunkt einer Wirksamkeit die ihren Einfluss weithin ausdehnte und der auch die Verklärung des Schönen nicht fehlte. Sein Vaterland wollte Edmund nicht aufgeben, wenn er auch den Wünschen des Vaters darin entgegenkam, dass er die eine Hälfte des Jahres in England lebte; die andere Hälfte verbringt Mr. Hywell bei seinen Kindern am Rhein, wohin Wiedenburg die größte seiner Fabriken verlegt hat, oder auch in Wien. Ob sie glücklich sind? Niemand wird es fragen, der sie sieht. Johnny hat sich eine kleine Besitzung Mr. Hywells am Strande der Nordsee zum Wohnsitz erwählt. Doch bleibt das Wasser sein Element. Er unternimmt auf einem kleinen Boote, das nach seinen eigenen Angaben gebaut worden, die kühnsten Fahrten. So oft er den Namen George hört, wird er plötzlich ernst und sagt leise vor sich hin:

»Der arme gute Junge! Aber gar zu unruhig!«

Und auch Mr. Hywell, Mary und Edmund, sobald sie den Namen George hören, und wäre es in der heitersten Gesellschaft, werden still und ernst. Es ist, als ob der Schatten des jungen heldenmütigen Mannes an ihnen vorüberzöge.

Durch Helene hat Mary Nachrichten aus Russland erhalten. Michael Brazow ist Besitzer von Dari und Garika und ein freundlicher Herr seiner Untertanen, denen er jedoch nach den Erfahrungen des Jahres 1854 nicht ganz traut. Sophia Brazow hat geheiratet und zwar einen mehr als vierzigjährigen, sehr kenntnisreichen, aber unbemittelten Offizier. Ihre Ehe soll eine zufriedene sein.

Sie scheint also die Leichtfertigkeit der Tage von Dari vergessen zu haben und sich zu bemühen, eine gute und tüchtige Hausfrau zu sein. Sie hätte schlimmer enden können und würde vielleicht auch einem traurigeren Schicksal verfallen sein, wenn nicht ihr Herz durch die Ereignisse jener Jahre und vor allem durch die Gefangenschaft und den Tod des Majors und Daniels heilsam erschüttert worden wäre.

Lebt Alia Wassi noch? Niemand weiß es, aber viele behaupten es. Man will ihn überall gesehen haben, wo den Russen irgendetwas Unangenehmes geschah. Es wird eines Tags offenbar werden, ob er sein Wort gehalten und den Garikanern einen neuen König gewählt hat, obgleich man nicht weiß, woher er ihn nehmen will. Man erzählt sich, der Nachkomme einer frühern georgischen Fürstenfamilie, die mit den Garikas verwandt war und ihnen dem Erbrecht nach hätte folgen müssen, habe ein Schreiben erhalten, das ihn in geheimnisvoller Weise darauf aufmerksam gemacht, dass er künftig der Erbe des garikanischen Königstitels sei. Aber dieser, ein junger Mann, hat den Brief lachend an einen russischen Freund geschickt. Der Tag, an welchem alle Bedingungen zusammenträfen, um jene Länder zu einer gewaltsamen Erhebung gegen Russland zu vereinigen, dürfte noch fern sein. Aber wer will sagen, dass er niemals kommen könne? Auf jeden Fall leben Georges und Daniels Namen dort fort, alle Eingeweihten kennen Georges Grab und besuchen es an seinem Todestage; noch hat es keiner verraten, so viel Mühe sich auch die Regierung gegeben, es zu erfahren. Und schon ist Giorgi Garika zur mythischen Person geworden, verklärt von der Phantasie. Alles, was schön, gut, tapfer, hochherzig und edel ist, wird mit dem Namen Giorgi verknüpft.

»Er ist gut, er ist kühn, er ist schön wie Prinz Giorgi«, hört man fast täglich von den Lippen der Frauen von Garika, Dari oder Kureli.

Und: »Er ist feige, tückisch, verräterisch wie Daniel Garika«, das ist das andere Sprichwort der Garikaner. Wenn die Frauen ihren Kindern ein Schreckbild aufstellen oder ihnen eine recht finstere Geschichte erzählen wollen, so erzählen sie von Daniels Tod und wie er als Leiche nach Garika geritten gekommen sei.

Aber sein Grab ist dennoch in der Kirche von Garika, und mit goldenen Buchstaben zeigt der Marmorstein seinen Namen. Doch schmückt es kein Kranz, keine Träne wird dort geweint, kein Gebet gesprochen.

Schöner gewiss ist Georges Grab, auf hohem Felsen nach Osten, den nur die Morgensonne trifft, in kühler Gruft, in welche die Winde von den Alpen des Kaukasus hereinwehen, so kühl, still, einsam und ruhig, wie nur ein heißes und ungeduldiges Herz sich sein Grab wünschen kann.

Ende

Türler ve etiketler

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Litres'teki yayın tarihi:
10 aralık 2019
Hacim:
546 s. 27 illüstrasyon
Telif hakkı:
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