Kitabı oku: «Der Held von Garika», sayfa 26
»Nichts, als dass Du ein unverschämter und hochmütiger Bursche bist!« antwortete Daniel, schwankend zwischen Furcht und Zorn. »Wer gibt Dir ein Recht, so mit mir zu sprechen? Bin ich Dein König und Herr, so hast Du als Untertan zu gehorchen. Erkennst Du aber die Herrschaft Russlands an, wer gibt Dir das Recht, Dich meiner zu bemächtigen und mich richten zu wollen? Überlass dies den Russen und ihren Behörden!«
»So kannst Du Dich nicht gegen die Anklage verteidigen?« fragte Alia.
»Und wenn ich es auch könnte, so will ich nicht!« antwortete Daniel trotzig.
»Wohlan, so erhebe ich noch eine andere Anklage gegen Dich!«·fuhr Alia fort. »Die alten Könige von Garika, deren Herrschaft ich heute noch als in diesem Lande zu Recht bestehend betrachte, waren keine unbeschränkten Herren wie der russische Zar und die Khans der asiatischen Steppen. Sie hatten die Person, die Freiheit und das Eigentum ihrer Untertanen zu achten. Es gab ein Herkommen und ein geschriebenes Recht, dem sie sich fügen mussten. Du hast es überschritten. Fast alle die Männer, die Du hier siehst, haben Anklage gegen Dich erhoben. Den einen hast Du peitschen lassen, weil Du ihn säumig glaubtest, dem andern hast Du seine Kuh niedergeschossen, weil sie Dir in Deinem verwilderten Park in den Weg trat, dem dritten und vierten hast Du seine Braut verführt, nachdem Du sie auf das Schloss gelockt. Das sind Taten der Gewalt, die Dir weder nach russischem, noch gar nach dem alten Recht dieses Landes erlaubt sind. Hast Du darauf irgendetwas zu erwidern?«
»Nichts, als dass ich Deiner närrischen Reden überdrüssig bin«, antwortete Daniel. »Ich habe getan, was ich für gut und recht hielt, ich war der Herr. Warum gehorchte der eine nicht, warum gab der andere nicht Acht auf sein Vieh, und weshalb waren die Mädchen der andern lockere Dirnen?«
»Still, Freunde!« sagte Alia, als die Männer Gebärden des Unmuts und des Zorns zeigten. »Ich habe genaue Erkundigungen eingezogen und weiß, dass Daniel Garika im wilden Übermut gehandelt und an Leib, Vermögen und Ehre seiner Untergebenen gefrevelt hat. Höre nun, Daniel Garika, was Du vielleicht längst vergessen oder nie gehört. Ich sagte, dass die Herrscher von Garika keine unumschränkten Herren gewesen. Es gab in diesem Lande niemals Leibeigene, wohl aber gab es freie Männer, die zusammentreten und selbst die Taten ihrer Herrscher richten konnten. Es mag von diesem Rechte lange Zeit kein Gebrauch gemacht worden sein, zum Teil, weil die Herrscher gut waren, zum Teil, weil das Recht vergessen worden; aber noch ist das Recht da und besteht in Kraft, dass diese Männer von Garika zusammentreten und ihren Herrn richten können, wenn er sich seines königlichen Amtes durch niedrige und gewaltsame Taten unwürdig gemacht hat. Dieses Recht ist in frühern Jahrhunderten öfters geübt worden. Du könntest es wissen, wenn Du nicht zu träge gewesen wärest, Dich um die Geschichte des Landes, das Deine Vorfahren beherrscht und das Du selbst wieder beherrschen wolltest, zu kümmern. Ich, selbst der Nachkomme einer der ersten Familien dieses Landes, nehme dieses Recht wieder auf und habe diese Männer, sämtlich trotz ihres jetzigen niedrigen Standes und ihrer Armut aus edlen und freien Geschlechtern entsprossen, zusammenberufen, um über Dich zu Gericht zu sitzen und Dein Urteil zu sprechen. Ihr, Männer von Garika« – er nannte jeden einzelnen Namen der Männer – »erkennt Ihr in diesem Manne Daniel Garika, den Sohn und Enkel Eurer frühern Könige?«
»Ja!« lautete die ernste und feste Antwort.
»Erkennt Ihr ihn schuldig, seinen Namen, seine Macht und seinen Reichtum freventlich und willkürlich gemissbraucht zu haben, um Euch an Eurem Leibe, Eurem Vermögen und Eurer Ehre zu beschädigen?«
»Ja!«
»Erkennt Ihr ihn ferner schuldig, die Männer, die für ihn die Waffen erhoben, sowie seinen Bruder Giorgi Garika um seines eigenen Vorteils willen den Russen verraten und dadurch zu ihrem Tode beigetragen zu haben?«
»Ja!« ertönte die einstimmige und dumpfe Antwort.
»So spreche ich, als der Erwählte dieser freien Männer, Dir, Daniel Garika, Dein Recht, wegen niedriger und gewaltsamer Taten, durch welche Du Deiner Vorfahren und Deines Namens Dich unwürdig gezeigt. Besser, dass der Name Garika untergehe, als dass er durch einen Mann von niedriger, ehrloser Gesinnung fortgepflanzt und dadurch einer Reihe von Nachkommen der Stempel dieser Gesinnung aufgeprägt werde. Das alte Herkommen und das Recht der Männer von Garika kennen für Deine Schuld nur eine Strafe, den Tod, und vorher die entehrende Strafe der gemeinen Verbrecher!«
Mochte Daniel bei dem Klange dieser dumpfen, feierlichen und doch so festen Stimme die ganze Wahrheit ahnen? Er richtete sich wild auf, seine Augen rollten.
»Ich habe es hier mit Wahnsinnigen zu tun!« rief er. »Im Augenblick macht mir den Weg frei und lasst mich gehen. Ich habe nicht Lust, Euch zum Schauspiel zu dienen!«
»Nicht uns, sondern diesem Lande wirst Du ein Schauspiel sein, wie die Garikaner verräterische und hinterlistige Fürsten zu strafen wissen!« rief Alia finster.
»Erwarte keine Gnade, bereite Dich zum Tode, wir geben Dir einige Minuten Zeit. Willst Du zu jenem Grabe gehen und Giorgis Schatten um Verzeihung bitten, ehe Du diese Erde verlässest?«
»Das ist Gewalt! Das ist Mord!« rief Daniel und er erhob gellend seine Stimme. »Hilfe! Hilfe! Diese Menschen sind wahnsinnig! O, man wird Euch zu strafen wissen.«
»Diese Gegend ist einsam, niemand hört Dich«, sagte Alia in seiner ruhigen, schwermütig feierlichen Weise. »Nicht Gewalt und Mord üben wir, sondern Recht und Urteil. Von Dir hängt es ab, ob Du die letzten Augenblicke Deines Lebens der ernsten Sammlung widmen willst. Sieh jene Wolke! Sobald sie am Monde vorübergezogen, ist Dein Schicksal erfüllt!«
Daniel starrte mit entsetzten Blicken um sich. Offenbar suchte er einen Weg zur Flucht. Aber die Männer waren nach allen Seiten auseinandergetreten und versperrten ihm den Weg. Sein Gesicht, vom Monde beschienen, den der Rand jener Wolke zuweilen streifte, war blutlos.
»Alia!« rief er plötzlich, »es ist nicht möglich. Mich – mich, den Sohn Deines Herrn willst Du töten! Bedenke – alles war nur eine List – ich wollte die Russen täuschen – leider fiel George – ich bin nicht schuld daran – die Russen hatten seinen Weg entdeckt, obgleich ich sie irreleiten wollte – ich sinne im Geheimen auf Rache – ich stehe in Verbindung mit Schamyl – meine Art zu leben soll die Russen einschläfern; ich hätte längst zu Dir gesendet, wenn ich Dich nicht tot geglaubt – ich habe heute erst jenen Major getötet – unsern größten Feind. Alia, handle nicht zu schnell – Du wirst es bereuen – und bei Gott, die Russen werden mich rächen –«
So stieß er heftig und wirr durcheinander abgebrochene Sätze hervor.
»Du lügst so kurz vor dem Tode! Das sieht Dir ähnlich!« rief Alia düster. »O ich kenne Dich! Nicht Du hast den Major getötet, es war der andere Mann, und überdies war es ein gemeiner, berechneter Mord! Du bist ein Schurke! Schon fürchtete ich, zu spät zu kommen, ja, ich fürchtete, Du könntest von anderer als von meiner Hand in einem sogenannten Ehrenkampfe sterben. Nun, Du bist in meiner Macht! Bete zu Gott, oder wenn Du es nicht kannst, so will ich es für Dich tun!«
»Alia, um Gotteswillen! Erbarmen!« rief Daniel, sich zu Alias Füßen stürzend. »Verräter – Lügner – Feigling!« sagte dieser verächtlich. »Ja, Männer wie Du fürchten den Tod. Nun, Herr Gott im Himmel«, sagte er, feierlich die Hand erhebend und zu dem Firmament emporblickend, »Du kennst das Herz des Mannes, dem wir um seiner Sünden willen heute sein Urteil sprechen, nach altem Herkommen und reifer Erwägung. Wenn Du ihm verzeihen kannst, so vergib ihm. Sein Tod mag ihm zur Sühne gereichen!«
»Alia, ich beschwöre Dich! Erbarmen! Willst Du Geld?« rief Daniel verzweifelnd. »Ihr Männer, steht mir bei! Noch bin ich reich, ich will es Euch vergelten —«
»Genug, genug!« rief Alia. »Jeder Augenblick seines Lebens ist eine Lästerung, mit der er neue Schuld auf sich ladet. Trennt ihm das Haar vom Kopfe als Zeichen der höchsten Schmach!«
Vier Männer hielten den schäumenden, verzweifelt ringenden Daniel. Ein fünfter trennte mit einer Schere das lange Haar vom Hinterkopf; es war nur eine Zeremonie, die nicht vollständig erfüllt zu werden brauchte.
»Gib ihm drei Rutenstreiche wie dem elendesten Verbrecher!« sagte Alia.
Der Garikaner ließ die Rute dreimal auf den Rücken Daniels fallen, der sich vergebens gegen die acht Arme, die ihn niederdrückten, auflehnte und wie ein Tier heulte. Dann blickte Alia nach der Wolke empor und gab dem Manne ein leichtes Zeichen. Eine Schlinge fiel über Daniels Kopf – ein starker Ruck – und Daniel stürzte hintenüber. Noch wenige krampfhafte Bewegungen, und er war tot.
Am andern Tage flog eine schauerliche Kunde durch das Land von Garika und drang bald bis zu dem Schlosse von Dari. In der Vormittagsstunde hatte man ein Pferd langsam aus dem Walde nach der Stadt Garika hinabschreiten sehen. Die Füße desselben waren gefesselt, sodass es nur sehr langsam schreiten konnte. Auf diesem Pferde saß ein seltsamer Reiter. Wohl saß er aufrecht, aber der Kopf hing ihm auf die Seite, die verstümmelten Haare fielen über Gesicht und Stirn, das Gesicht war bläulich, die Hände, die scheinbar die Zügel hielten, lagen auf dem Rücken des Pferdes. An seiner Kleidung erkannte das herbeiströmende Volk den Fürsten Daniel.
Aber es währte lange, ehe man sich ihm näherte. Einige Russen waren die ersten, die den unheimlichen Reiter berührten.
Es fand sich, dass er fest auf dem Pferde angebunden war, sodass der Körper ganz aufrecht saß. Um den Hals trug er eine Schlinge, aus dem Herzen starrte ein Dolch, an dessen Griff sich ein Zettel befand mit der Inschrift in garikanischer Sprache:
»So straft das Volk von Garika den Fürsten, der seine Macht überschritt und seinen Bruder verriet. Der letzte Herrscher aus dem alten Stamme ist tot, aber es lebt das Volk von Garika. Das Volk wird sich, wenn die Zeit gekommen ist, zusammentun, um einen neuen Herrscher zu wählen. Geduld und Hoffnung, Garikaner!«
IV. Edmund und Mary
Um dieselbe Zeit sah Wiedenburg seiner langsamen Genesung entgegen. Seine Wunden waren so bedeutend gewesen, dass der russische Wundarzt es für ein Wunder erklärte, dass der Verwundete lebend die Küste erreicht. Zwei Kugeln waren ihm durch die Brust gegangen. Der Arzt hatte erklärt, dass ihm nichts weiter übrigbleibe, als den Verwundeten der Heilkraft der Natur zu überlassen und nur hin und wieder durch erleichternde Mittel derselben ein wenig zu Hilfe zu kommen.
Mr. Hywell hatte ein Wort mit seiner Tochter darüber gesprochen, dass man den jungen Mann allein an der Küste zurücklassen könne. Er schien es für selbstverständlich anzusehen, dass er bei demjenigen bleiben müsse, der so treu bei ihm selbst und bei George ausgehalten.
Andererseits wäre es unmöglich gewesen, den Verwundeten auf ein Schiff zu bringen. So mietete er denn von einem Kaufmann in Poti ein sehr einfaches Landhaus, das in der Nähe dieser Stadt auf einem kleinen Hügel lag und die Aussicht auf das Meer bot. Der Arzt, der die Erlaubnis erhalten hatte, noch einige Wochen bei Mr. Hywell bleiben zu dürfen, hielt die Lage für gesund, namentlich in diesen Monaten.
So vergingen vier Wochen, in denen der Arzt erklärte, dass es nicht möglich sei, ein günstiges Urteil über den Zustand des Verwundeten zu fällen. Während dieser ganzen Zeit entfernten sich Mr. Hywell und seine Tochter nie weiter als ungefähr eine halbe Stunde von dem Landhause. Niemand sah sie lebhaft sprechen, noch weniger lächeln. Es war eine tiefe Trauer über beider Herz gekommen Sie fühlten jetzt erst den Verlust Georges als den eines Sohnes und Bruders, und zu dieser Trauer gesellte sich die Befürchtung um Wiedenburg, der treuer zu ihnen gestanden als der treueste Freund. Von einem englischen Schiffskapitän, der eines Tages in Pati gelandet, hatte Mr. Hywell einige Bücher gekauft.
Mit ihnen suchte Mary sich zu beschäftigen. Aber meist ging oder saß sie gedankenvoll und ernst vor sich hin blickend.
Auch Johnny war nicht wiederzuerkennen. Sein Gesicht hatte freilich wieder die Farbe unverwüstlicher Gesundheit angenommen, aber die Heiterkeit, die sonst ebenso unverwüstlich aus seinen klaren blauen Augen geblitzt, schien für immer verschwunden. Es war, als sei ihm der einzige Sohn gestorben, als wisse er nicht mehr, wozu er lebe. Gewöhnlich ging er nach Poti an den Strand, setzte sich dort hin und blickte auf die dunkelgrünen, weiß gerundeten Wellen wie ein Schiffbrüchiger. Oder er half den Fischern und Küstenfahrern, obwohl er kein Wort von ihrer Sprache verstand. Der schweigsame Mann mit dem lackierten Hut und dem frischen, aber ernsten Gesicht war überall gern gesehen, und die Leute grüßten ihn, sobald sie ihn kommen sahen.
Mr. Hywell hatte Briefe nach Sinope, Konstantinopel und in die Heimat gesendet. Dem Oheim Wiedenburgs hatte er das Unglück nicht in seiner Wahrheit mitzuteilen vermocht. Er hatte den Tod Georges berichtet, aber von Edmund hatte er nur als von einem Leichtverwundeten gesprochen und geschrieben, er werde nach Sinope berichten, sobald Edmund imstande sei, mit ihnen abzureisen. Entweder wollten sie dann in Sinope landen, oder der Oheim möge nach Konstantinopel kommen, wo Hywell sich eine kurze Zeit aufzuhalten gedenke. Von Sinope war bereits die Antwort durch einen Diener Wiedenburgs zurückgelangt, dass der Kaufmann in geschäftlichen Angelegenheiten nach Konstantinopel, Varna und der Krim gereist sei. Mr. Hywell fühlte sein Herz dadurch erleichtert. Er hatte dem Besuch des Kaufmanns mit Bangigkeit entgegengesehen.
Die Briefe nach Konstantinopel und England waren geschäftlicher Art und Mr. Hywell kümmerte sich wenig um die Beantwortung derselben. Seine Seele war durch die Ereignisse der letzten Zeit so in Anspruch genommen, dass er fast darüber die Heimat und was ihn an dieselbe fesselte, vergaß. Selbst der Krieg, von dessen Fortgang er zuweilen durch irgendeine Zeitung Nachricht erhielt, gewann ihm wenig Teilnahme ab, ein so guter Patriot er sonst auch war. Von den drei Wesen, die ihm die Erde lieb gemacht, war das eine tot, das andere dem Tode nahe, das dritte in Schwermut versunken wie er selbst. Gegen solche Leiden des Herzens verstummt der Lärm der Welt.
Und doch gab es einen Sonnenblick in diesen düstern Tagen. Einmal – es war zu Ende des Monats April – als Mr. Hywell mit seiner Tochter von einem kurzen Spaziergange zurückkehrte, kam der russische Wundarzt ihnen mit einer Miene entgegen, die lebendiger war als sonst.
»Ich komme soeben von unserm Kranken«, sagte er. »Ich habe eine genaue Untersuchung mit ihm vorgenommen und gefunden, dass er sich besser fühlt, als ich erwarten durfte. Er hat meinen Anordnungen in einer so pünktlichen Weise Folge geleistet, sich so ruhig verhalten, dass eine dauernde Heilung der verletzten innern Teile eingetreten scheint. Er konnte sich zum ersten Male da ich es ihm gebot, viel freier und schmerzloser bewegen, als ich es erwartet hatte. Mr. Hywell, wenn nicht irgendein Umstand eintritt, der alle Berechnungen zunichtemacht, so ist der junge Mann gerettet und wird vielleicht infolge seiner herrlichen Natur und seiner Vorsicht in wenigen Monaten nicht mehr wissen, dass er jemals verwundet gewesen!«
Mr. Hywell antwortete nur mit einem Blicke und sein Auge wurde feucht. Dann aber, als ob er wisse, welches Herz hier am freudigsten schlage, als ob er alles ahne, was in diesem Herzen vorgehe, zog er Mary an seine Brust und küsste sie innig auf die Stirn.
»Mr. Hywell, ich muss nun, so ungern ich es tue, von Ihnen und meinem Kranken scheiden«, sagte der Wundarzt. »Mein Urlaub ist schon seit acht Tagen zu Ende. Ich könnte mein Bleiben vor mir selbst nicht mehr rechtfertigen, umso mehr, da, wie ich Ihnen gesagt, der Zustand des Kranken meine gewagtesten Hoffnungen übertrifft und ärztliche Hilfe in der Tat über flüssig macht.«
Er war durch die Bitten Mr. Hywells nicht zu bewegen, länger zu bleiben. Nach wenigen Stunden ritt er fort, von dem wärmsten Danke des Vaters und der Tochter geleitet. Es ist überflüssig, zu sagen, dass er, als er das Billett öffnete, das Mr. Hywell ihm in die Hand gedrückt, freudig erschrak. Es war fast ein kleines Vermögen, das der Kaufmann ihm als Dank mit auf den Weg gegeben. Und er musste sich sagen, dass hier die Kunst nichts, die Natur alles getan.
Von diesem Tage an war es gestattet, was bis dahin streng verboten, dass Mr. Hywell und. Johnny zuerst kürzere, dann längere Zeit mit Wiedenburg sprachen, und von dieser Zeit an gab Johnny seine Wanderungen nach der Meeresküste auf, zum großen Leidwesen der etwas trägen Schiffer von Poti, denen nun sein starker Arm fehlte, und der Kinder, denen er scheine Muscheln geschenkt und zuweilen ein kleines Fahrzeug· zum Spielen verfertigt. Es war, als wolle Johnny nun die Stelle des Arztes übernehmen und als habe er seine Liebe von George auf Edmund übertragen. War er nicht im Zimmer desselben, so wanderte er unter dem offenen Fenster auf und ab, sich nie über Hörweite entfernend.
Als Mr. Hywell ihm einmal darüber sanfte Vorstellungen machte und ihm sagte, es seien, ja er selbst und Wiedenburgs Diener zur Aufsicht da, antwortete er kurz:
»Sie haben schon einen verloren, und ich auch, und Miss Mary auch! Sollen wir einen zweiten verlieren durch Unvorsichtigkeit? Und junge Leute sind unvorsichtig, leider!«
Ein zweiter Sonnenblick folgte diesem ersten. Die Gräfin Helene kam, um mit ihrem Gatten Marys zu besuchen. Sie hatte in Tiflis von dem Schicksale Georges gehört und später erfahren, dass eine englische Familie bei Poti mit einem Verwundeten wohne. Überzeugt, dass dies niemand anders sein könne als Mary und ihr Vater, hatte sie ihren Gatten leicht bewogen, mit ihr nach Poti zu reisen, damit sie diejenige noch einmal sehen könne, der sie ihre Freiheit und ihr Glück verdankte.
Es war eigentümlich, diese beiden jungen Wesen nebeneinander zu sehen, Helene strahlend von Glück, Mary wohlerfreut über die Wonne der jungen Frau, deren Herz sich ihr in so bedrängter Lage zugewendet, aber doch immer noch niedergedrückt von den schweren Erinnerungen der Vergangenheit. Helene wurde zuletzt selbst ernst. Und doch war ihre Gegenwart nicht ohne Trost für die Freundin. Ein leiser Hoffnungsschimmer musste in Mary aufsteigen, dass auch sie wieder heiter werden könne, wenn sie dieses Glück der Freundin sah, auf welcher die Hand des Schicksals so schwer gelastet.
Helenens Aufenthalt währte nur einen halben Tag.
Das junge Paar reiste von dort nach dem Norden. Als Helene von Mary Abschied nahm, fragte sie leise:
»Und habt Ihr noch nicht miteinander gesprochen?«
Mary verstand sie sogleich und tief errötend schüttelte sie den Kopf. –
»Nun, ich verstehe Euch nicht!« sagte diese scherzend und verwundert. »Sieh mein und Gregors Glück! Was hindert Euch, uns nachzuahmen? Unmöglich kann der Schatten der Vergangenheit Euch immer voneinander fernhalten!«
Nein, sie hatten noch nicht miteinander gesprochen. Wohl war der Tag gekommen, an welchem Edmund zum ersten Male im Sonnenschein an seinem Fenster saß und Mary zu ihm trat und ihre Hand in seine bleiche Hand legte, wohl hatten sie später täglich und stundenlang miteinander geplaudert, aber darüber, woran beide Tag für Tag dachten, hatten sie noch nicht gesprochen. Und noch konnten sie es nicht. Noch war es Wiedenburg, als würde er den Toten, der Mary so heiß geliebt, verletzen, wenn er die ihm jetzt Unbestrittene an sein Herz ziehe. In Wiedenburgs Brust war alles Edelmut und Zartgefühl. Selbst wenn George nichts für Mary gewesen als ein Bruder, so ziemte es ihm nicht, den still und langsam verklingenden Schmerz durch den Freudenton der Liebe zu stören, wäre er auch noch so zart, sanft und leise.
Aber das war es nicht allein. Zuweilen stiegen noch Zweifel in ihm auf. Sein Herz war fern von jeder Eitelkeit; die Gegenliebe Marys war für ihn ein Glück, das sich nicht von selbst verstand, wie bei dem leidenschaftlichen, leicht hoffenden George, ein so hohes Glück, dass er es kaum zu hassen wagte und dass er immer wieder an sich selbst irre wurde.
Und noch mehr. Das Ehrgefühl und die Zartheit waren in Wiedenburgs Herzen so fein, dass sie leicht gefährlich werden konnten. Er gehörte zu den Naturen, die ein Glück lieber an sich vorübergehen lassen, anstatt es mit einem Wagnis zu erhaschen. Er wusste, dass Mary Gründe hatte, ihm dankbar zu sein, Freundschaft und Teilnahme für ihn zu empfinden. Aber Dankbarkeit, Teilnahme und Freundschaft, obgleich in ihren äußeren Beweisen der Liebe so nahe, sind noch nicht Liebe. So töricht es war – Wiedenburg gestand es sich selbst – so hätte er gewünscht, ein klareres, deutlicheres Zeichen zu sehen, dass Marys Gefühl für ihn wirklich Liebe sei.
Und war das bei dem so zarten, sittigen und zurückhaltenden Wesen Marys zu erwarten? Wiedenburg musste sich selbst einen Toren nennen, der erwarte, dass sich die süße Blüte, die vor ihm schwebte, ihm von selbst zuneige.
Aber es gibt derartige Naturen, die so wenig von sich eingenommen sind, dass sie glauben, die Liebe eines so schönen und edlen Mädchens könne ihnen nicht um ihrer selbst willen zugewandt werden. Wiedenburg erriet, dass Mr. Hywell ihm von ganzer Seele zugetan sei, aber eben deshalb zitterte er vor dem Gedanken, Mary könne sich von kindlicher Liebe, Freundschaft und Dankbarkeit und nicht ganz allein von ihrem Herzen leiten lassen, wenn sie eine Bewerbung annehme. Und ein solches Opfer konnte er nicht verlangen und nicht annehmen, um Marys selbst willen. Und noch eins! Mr. Hywell hatte in den Tagen, in denen Edmunds Genesung außer allem Zweifel war und dieser bereits am Arme des alten Mannes oder Johnnys kleine Spaziergänge unternahm, oft mit ihm über eine Verhältnisse gesprochen, ihm den Umfang seines Vermögens, die Schwierigkeit der Verwaltung desselben, die Sorgen um die Zukunft geschildert, nicht in prahlerischer, sondern in einfach geschäftlicher Weise. Für jeden Unbefangenen wäre es gar kein Zweifel gewesen, dass Mr. Hywell dies in der heimlichen Absicht hat, eine Erklärung Wiedenburgs herbeizuführen, ja, dass er ihm dieselbe fast in den Mund legte. Aber gerade bei dieser Schilderung hatte sich der Reichtum Hywells als so außerordentlich herausgestellt, dass Wiedenburg beschloss, seine Liebe nur umso fester in sich selbst zu verbergen. Der Gedanke, die Welt könne glauben, er habe die ungewöhnlichen Umstände, die ihn mit der Familie Hywell zusammengeführt, die Dankbarkeit, die ihm Vater und Tochter schuldeten, benutzt, um der Gatte eines so reichen und schönen Mädchens zu werden, war ihm unerträglich. Ja, aus der Offenheit, mit welcher Mr. Hywell sich gegen ihn aussprach und ihm seine Besorgnis schilderte, dass dieses Vermögen einmal in die Hände eines Mannes gelangen könne, der es nicht in der rechten Art zu verwenden wisse, glaubte Wiedenburg zuweilen entnehmen zu müssen, dass Mr. Hywell gar nicht an ihn denke, sondern mit ihm über diese Angelegenheit spreche wie mit einem Manne, der hierbei gar nicht in Betracht komme.
Freilich lagen andererseits genug Äußerungen Mr. Hywells·vor, welche die tiefe Hochachtung und die herzliche Liebe bekundeten, die er für seinen jungen Freund empfand, und dieser wusste, dass Mr. Hywell ein Mann sei, der das zukünftige Glück seiner Tochter nicht von dem Rang oder Reichtum ihres Gatten abhängig machen wolle. Er hatte sich darüber so offen ausgesprochen, dass jeder andere als Edmund gar keinen Zweifel gehegt hoben würde. Genug, Wiedenburgs ganze innere Existenz war ein fortdauerndes Schwanken geworden. Er musste sich selbst gestehen, dass er von Mary das erste Wort erwarte, dass sie ihm ihre Liebe offen gestehen solle.
Und doch war dies eine Torheit, über die er sich selbst zürnte. Zuweilen sagte er sich auch, dass seine Bedenken vielleicht aus körperlichen Gründen entständen. Genesende zeigen gewöhnlich eine große Reizbarkeit und Zartheit des Gefühls. Aber es war nicht abzusehen, wie bei alledem eine Vereinigung der beiden Liebenden stattfinden sollte, wenn nicht irgendein ungewöhnlicher Umstand sich zur Verständigung dieser beiden Herzen darbot.
Es war Anfang Juni. Wiedenburg war so vollkommen wiederhergestellt, dass er jede Reise unternehmen konnte. Sein Oheim war auf einige Tage nach Poti herübergekommen und hatte sich dann nach Konstantinopel begeben, wo er Mr. Hywell und Edmund erwarten und ihnen eine geeignete Wohnung verschaffen wollte, was damals bei dem fortwährenden Durchzug von englischen und französischen Offizieren und von Fremden nicht so leicht war. Johnny erhielt also den Auftrag, ein tüchtiges Boot auszukundschaften, auf welchem man die Fahrt nach Konstantinopel unternehmen könne, denn eine andere Gelegenheit auf einem größern Schiffe zu erwarten, hätte vielleicht sehr viel Zeit weggenommen. Es wurde bald ein tüchtiges und geräumiges Boot aufgefunden, das in Poti vor Anker gegangen war, um von dort nach Batum und dann nach Konstantinopel zu segeln. Der Kapitän, ein Italiener, nahm die Gelegenheit, eine gute Summe zu verdienen, mit Freuden wahr und erklärte sich bereit, den günstigen Wind zu benutzen und nicht erst nach Batum, sondern direkt nach Konstantinopel zu segeln. So betrat denn die kleine Gesellschaft am Nachmittag eines schönen Junitags bei leicht bewegter See das kleine Fahrzeug, dessen sämtliche Räume sie füllte. Halb Poti war am Strande versammelt, um »die Franken« und namentlich Johnny abreisen zu sehen. Wenn gute Wünsche eine gute Fahrt bewirken könnten, so hätte diese Fahrt eine glückliche sein müssen. Und sie war es auch am ersten Tage. Das gutgebaute Fahrzeug durchschnitt die plätschernden Wellen wie eine Möwe. Mit der frischen Seeluft, die sie so lange nicht geatmet, schienen die trübsten Erinnerungen der Vergangenheit fortgescheucht, wenn auch der Ernst noch immer auf allen Mienen ruhte. Johnny fühlte sich wieder in seinem Elemente. Er konnte sich mit dem Kapitän und Steuermann nur durch einige englische Worte verständigen, aber sie genügten, ein gutes Einvernehmen zwischen ihnen herzustellen und Johnny Veranlassung zu geben, seine neuen Fahrtgenossen auf einige kleine Vorteile in der Segelstellung aufmerksam zu machen. Marys Wangen röteten sich in der frischen Luft und unter den Tropfen, welche die Wellen zuweilen über das Deck spritzten, und Mr. Hywell, der in den beiden legten Jahren um zehn Jahre gealtert schien, gewann wieder etwas von der Frische und Spannkraft, die Wiedenburg damals auf der Reise von Kalkutta aus mit Verwunderung an dem bereits bejahrten Manne bemerkt hatte. Nur der junge Deutsche schien nicht freudiger, sondern ernster zu werden.
Es ging der Heimat entgegen, aber auch der Trennung.
»Nun, mein lieber Freund«, sagte Mr. Hywell, sich neben Edmund setzend, »wenn es so fortgeht, so sind wir in dreißig Stunden höchstens in Konstantinopel. Ist es Ihnen nicht wie mir? Erscheint es Ihnen nicht, als ob man in dieser beizenden, scharfen Luft erwache und als ob ein langer und böser Traum hinter uns liege? Sie wollen nun natürlich zuerst nach Wien. Das finde ich in der Ordnung. Aber ich sage Ihnen, dass ich Sie zum September ganz bestimmt in England auf meinem Landhause erwarte. Ich nehme keine Entschuldigung an, Sie müssen! Sie sollen in den Zimmern meines armen lieben Jungen wohnen. Sie sollen sich als Sohn in meinem Hause betrachten! Ich werde George nicht vergessen, aber es wird mir eine Wohltat sein, denjenigen bei mir zu sehen, der ihm ein so treuer Freund war und der meinem Herzen ebenso teuer ist!«
»Ich danke Ihnen, Mr. Hywell!« sagte Wiedenburg und drückte bewegt die Hand seines Freundes. »Ich möchte auch kommen, aber ich habe Verpflichtungen in Wien. Verpflichtungen sehr ernster und mannigfaltiger Art.«
Verpflichtungen! Ein sehr umfangreiches Wort! Ein Schatten flog über Mr. Hywells Gesicht. Gab es für Wiedenburg auch Verpflichtungen, von denen er nie gesprochen? Erwartete ihn dort ein Wesen oder gab es überhaupt ein Wesen, das er nie erwähnt, da ja der echte Mann die Geheimnisse seines Herzens in sich zu verschließen pflegt? Mr. Hywell sagte verwirrt einige Worte über Verpflichtungen, die doch nicht so ernst sein könnten, dass sie dem jungen Manne nicht eine Reise nach England gestatteten. Dann erhob er sich und ging gedankenvoll über das Verdeck. Der Gedanke, dass Wiedenburgs Herz anderswo dauernd gefesselt sei, war ihm zum ersten Male gekommen. Er ging zu Mary, die o eben aus der kleinen Kajüte trat, und als ob er wisse, welches Leid ihrem Herzen bevorstehe, wenn jener Gedanke Wahrheit sei, drückte er sie bewegt an sich und küsste sie mit ungewöhnlicher Bewegung.
»Was hast Du, Vater?«
»Ich freue mich, dass wir endlich der Heimat entgegeneilen«, erwiderte er. »Aber in dieser Freude liegt auch Trauer, Du fühlst es, Mary! Es ist eine Trennung nicht nur von dem, was für immer dahin ist, sondern vielleicht auch von unserm letzten Freunde. Mr. Wiedenburg geht von Konstantinopel aus nach Wien, und er hat mir nicht das Versprechen geben können, uns noch in diesem Jahr in England zu besuchen. Das tut mir leid, sehr leid. Ich liebe ihn wie meinen Sohn, ja, Dir kann ich es sagen, mehr wie George, denn unsere Seelen und Charaktere stimmen mehr zusammen. Wiedenburg ist gereifter als mein armer lieber Junge, der stets in andern Welten lebte und zu wenig daran dachte, dass die Wirklichkeit die Mutter aller Dinge ist und dass wir unsere Ideale nur vom Boden der Wirklichkeit aus erreichen!«
»Ich habe gefunden, dass Mr. Wiedenburgs Richtung eine idealere ist, als diejenige Georges war«, antwortete Mary. »George lebte in einer phantastischen Welt; Wiedenburg trägt seine Ideale im Herzen, ohne darüber zu vergessen, der Wirklichkeit, deren Macht er kennt, Rechnung zu tragen. Aber ich glaube, Wiedenburg würde seine Ideale nicht aufgeben, wenn auch die Welt hindernd dazwischenträte. Er ist eine energische Natur, bereit, die Wirklichkeit umzugestalten,·wenn sie sich nicht fügen will. Nur in der Wahl der Mittel würde er mehr praktischen Sinn beweisen, da er das Leben besser kennt als George.«
»Du hast Recht«, sagte Mr. Hywell.·»Du und Wiedenburg, Ihr versteht Euch so gut! Es ist wirklich schlecht von ihm, dass er nicht nach England kommen will.«