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Kitabı oku: «Der Held von Garika», sayfa 5

Adolf Mützelburg
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George hatte der ganzen Erzählung mit derselben trüben und wehmütigen Miene gelauscht. Jetzt, als Edmund Wiedenburg schwieg, fuhr er wie aus einem Traume auf, fast als habe er den Schluss gar nicht gehört.

»Seltsam! Traurig!« sagte er. »Hat Mr. Hywell zuweilen mit Ihnen von mir gesprochen? Hat Miss Mary sich meiner erinnert?«

»Nun sicherlich!« antwortete der Deutsche. »Mr. Hywell und seine Tochter sprachen stets mit der größten Teilnahme von Ihnen. Ich glaubte anfangs, als ich so oft den Namen George hörte, Sie seien wirklich ein Sohn oder Neffe Mr. Hywells, bis er mir später sagte, Sie hätten ihm geschrieben, Sie wollten nach dem Orient gehen und sich, wenn es möglich sei, an dem Kampf gegen die Russen beteiligen, und er könne dies nur billigen, da Sie ja ein Sohn Kaukasiens seien. Miss Mary sprach stets von Ihnen wie von einem Bruder. Beide freuten sich innig darauf, Sie in Sinope oder Konstantinopel zu finden!«

George versank wieder auf einige Minuten in seine Träumerei. Dann aber schien er sich aufzuraffen.

»Dank Ihnen, Dank, Mr. Wiedenburg«, rief er lebhaft, »dass Sie sich meines Pflegevaters und Miss Marys so warm angenommen. Die teuren, unglücklichen Menschen, was müssen sie erdulden! Was können wir tun, Sir, sie zu befreien? Ich bin zu allem bereit! Ich scheue kein Opfer, nichts, ich gebe jeden andern Plan auf, bis Mr. Hywell und seine Tochter befreit sind.«

»Ja, Sir, die Antwort ist leider nicht leicht«, antwortete Wiedenburg, »und wir müssen sehr reiflich jeden Schritt überlegen, denn das Leben Mr. Hywells und seiner Tochter schwebt in Gefahr, sobald die Kurden die Absicht wittern, die Gefangenen zu befreien, ohne Lösegeld zu zahlen. Das letztere war, wie ich von Mr. Hywell hörte, für uns alle auf dreißigtausend türkische Dukaten angesetzt. Wie sollen wir diese oder auch eine weit geringere Summe auftreiben! Und anders als in gemünztem Gelde nimmt der Kurde keine Zahlungen. Auch dürfte sich der mutige Mr. Hywell kaum dazu verstehen, den Räubern eine solche Summe zu gewähren, falls sich irgendein anderer Weg zur Befreiung zeigt. Nur der Gedanke an Miss Mary könnte ihn zur Zahlung eines Lösegelds geneigt machen. Ich denke, wir senden einen Boten nach Sinope zu meinem Verwandten, teilen ihm das Vorgefallene mit und bitten ihn, für alle Fälle möglichst viel gemünztes Gold zu sammeln und in Bereitschaft zu halten, zugleich aber nach Konstantinopel einen Bericht an den englischen und österreichischen Gesandten zu senden und sie zu bitten, die Pforte zum schleunigsten Handeln aufzufordern. Es ist möglich, da ja doch jetzt des Kriegs wegen eine Menge Menschen auf den Beinen sind und eine gewisse Rührigkeit selbst in diesen Gegenden herrscht, dass man sich schnell entschließt, etwas für Mr. Hywell und seine Tochter zu tun. Wir aber müssen uns nach Bajazid oder irgendeinem Ort begeben, an welchem sich ein vernünftiger Kommandeur befindet, womöglich zu Guyon oder, wie er jetzt heißt, Churschid-Pascha. Dieser muss es übernehmen, Mr. Hywell, seine Tochter, die Diener und Dienerinnen den Händen Kaschir-Agas zu entreißen, sei es·in Güte oder mit Gewalt. Ich denke, die unmittelbares Einwirkung eines hochstehenden Kommandeurs und das Versprechen einer Geldsumme werden ihren Einfluss aus Tamir-Aga, den Alten, nicht verfehlen. Im Notfall müsste man ihn als Geißel festhalten, bis Kaschir-Aga die Gefangenen herausgegeben hat. Aber das alles bedarf der ruhigsten und nüchternsten Überlegung, und vor allem haben wir Geld nötig. Das Dringendste erscheint mir also, einen von unsern Führern nach Sinope zu senden, um meinen Oheim zu bitten, uns eine Anweisung auf irgendeinen Kaufmann in Bajazid, Erzerum oder Kars zu senden. Denn in diesem Lande kann man nichts ausrichten, ohne nicht immer die Hand in der Tasche zu haben.«

Das wurde denn auch sogleich getan. Wiedenburg schrieb einen Brief an seinen Oheim, dem George einige Zeilen hinzufügte, und damit man sicher sei, dass der Bote den Brief wirklich in Sinope abliefere, gab man ihm nur eine kleine Summe, mit dem Bedeuten, dass, Mr. Wiedenburg ihm das Dreifache in Sinope auszahlen werde. Georges Führer ritt sogleich mit dem Briefe die Straße zurück. Wiedenburg aber bat George, sich der Ruhe hingeben zu dürfen. Denn jetzt, zu einem Resultat und einer gewissen Beruhigung gelangt, fühlte er sich nach so vielen Wochen körperlicher Anstrengung und geistiger Aufregung plötzlich von unwiderstehlicher Ermattung überwältigt.

IV. Die Rettung

Wenn auch nicht warm, doch hell und freundlich schien die Januarsonne durch das kleine Fenster in das geräumige Gemach, das die Wohnung Mary Hywells bildete. Als es Mary zuerst betrat, hatte es nur aus den rohen Steinwänden bestanden, mit einer schmalen Leiste am Fuße der Wände, um Kissen zum Diwan darauf zu legen. Jetzt war es durch Marys und ihrer Dienerinnen Bemühungen umgewandelt in einen Raum, der dem europäischen Sinne für Annehmlichkeit und Bequemlichkeit wenigstens in etwas entsprochen haben würde. Teppiche bedeckten einen Teil des steinernen Bodens, Kissen waren hier und dort zu Sitzen aufgehäuft; ein Vorhang sonderte den Raum, der Mary als Schlaf- und Ankleidezimmer diente, von dem Gemach; ein Vorhang, der jetzt zurückgeschoben war, schützte das Fenster, das die dicke Mauer wie eine Schießscharte durchbrach und, ohne Glasscheiben, nur mit einem hölzernen Laden von innen zu verschließen war.

In einem langen glänzenden Streifen fiel das Sonnenlicht durch dieses Fenster in das Zimmer, und wenn man hinausblickte, sah man nichts als in der Ferne himmelhohe schneebedeckte Berge.

Mary Hywell saß auf einer niedrigen Erhöhung, die vor diesem Fenster angebracht und mit Teppichen belegt war. Es war eine mehr als mittelgroße, schlanke, zarte Gestalt, von den feinsten, regelmäßigsten Verhältnissen. Das bleiche Antlitz ruhte auf der zarten Hand, die sie auf das Knie gestützt hatte; in der Linken hielt, sie ein Buch, in dem sie gelesen. Gedankenvoll und traurig schien sie über ihr Schicksal zu sinnen, und das blonde Haar fiel in langen natürlichen Locken über die Hand und den Arm, der den Kopf stützte Sie war eine echt nordische Schönheit; die Farbe der Haut dem Schnee vergleichbar, das Auge so hellblau wie der nordische Himmel, das Haar seidenweich und fast von der Farbe des Flachses, den die Spinnerin an ihrem Rocken befestigt. Ungemein sanft und lieblich, trotz der Traurigkeit, war der Ausdruck ihrer Züge; die Umrisse des Gesichts, der feingeformten Nase, der schön geschnittenen Augen und des kleinen Mundes waren so zart und doch so bestimmt, als habe die Meisterhand eines Künstlers sie nur andeutend und doch mit genialer Sicherheit entworfen. So bleich war das Gesicht, so hellglänzend das Haar, so zart das feine Rot der Lippen, dass man fast hätte glauben mögen, sie sei aus einem lustigern Stoff geformt als die andern Menschenkinder. In seiner jetzigen Ruhe und Unbeweglichkeit glich der Kopf fast dem Marmorkopf einer Antike, welchem der Künstler versuchsweise einen Anhauch von Farbe verliehen.

Von jener Entstellung des Gesichts, die der Vater absichtlich hervorgerufen, war längst jede Spur verschwunden. Sie war wieder die schöne Miss Hywell, die schon in England, mehr noch in Kalkutta viele Blicke auf sich gezogen und denjenigen, dem es vergönnt gewesen, sich ihr zu nähern, durch ihre stille Anmut und den Zauber ihres echt jungfräulichen Wesens entzückt hatte. Im Kreise der Ihrigen konnte Mary Hywell auch heiter und schelmisch sein wie ein Kind, das sie ihren innersten Gedanken nach auch stets geblieben. Aber das war nun dahin. Der Ernst eines trüben Schicksals hatte die Blüte dieses Daseins plötzlich angeweht wie ein Nachtfrost im Mai, und wer konnte wissen, ob der Sommer und ob er zeitig genug kam, diese Blüte wieder aufzurichten! Und doch war das Schicksal Marys ein so gutes gewesen, als es unter den eingetretenen Verhältnissen möglich war. Kaschir-Aga hatte ihr zu Anfang wenig Aufmerksamkeit bewiesen, aber doch alle Wünsche, die der Vater ihm durch den Armenier mitteilen ließ, um die eigentümliche Lage seiner Tochter zu erleichtern, bereitwillig erfüllt. Sie konnte ihren Vater täglich sehen, sie hatte ihre Dienerinnen in der Nähe, und was ihr sehr lieb schien, Kaschir-Aga hielt sich fern von ihr, wahrscheinlich weil er ihre Krankheit fürchtete. Mary empfand, wie sie ihrem Vater zuweilen fast zitternd gestand, eine unheimliche Furcht vor dem Kurden; vielleicht sah sie, ohne sich dessen in ihrer Reinheit bewusst zu werden, Leidenschaften in dem schwarzen Auge des Häuptlings blitzen, die sie mit einer geheimen Angst erfüllten und die Gefahren einer unbestimmten Zukunft fürchten ließen.

Ihre Ahnung schien sich erfüllen zu wollen, als die abschreckende Farbe ihres Gesichts verschwand. Vergebens hatte Mr. Hywell jede List versucht, um den Kurden von Mary fern zu halten. Seine Neugierde führte ihn zu ihr, und nun kam er täglich, ja oft mehrmals des Tages, teils allein, teils mit dem Armenier. Der Instinkt der Natur lehrte ihn eine gewisse Galanterie; er wurde besorgt für Mary und ließ ihr Geschenke und ausgewählte Speisen überreichen. Aber trotzdem blieben die Gewohnheiten seines Volkes fast schreckenerregend für ein weibliches Wesen, dem sich stets nur die zarteste Schicklichkeit genaht hatte. Welche Qual musste sie empfinden, wenn der junge Kurdenhäuptling wohl eine Stunde lang in ihrem Zimmer auf einem Kissen saß und sie unbeweglich anstarrte, oder wenn er dann dem Armenier Lobpreisungen der Schönheit seiner Gefangenen sagte, die dieser vielleicht nur andeutend zu wiederholen wagte.

Seit dieser Zeit nahm ihr Gesicht den bekümmerten Ausdruck die bleiche Farbe an, die ein wirkliches Leiden verrieten. Ihr Vater erriet, was in ihr vorging, wenn sie auch nie mit ihm darüber gesprochen. Er ließ dem Kurden durch den Armenier Vorstellungen machen, ließ ihm sagen, die Sitte des Abendlandes dulde solche Freiheiten der Männer nicht, er sei selbst in seinem Vaterlande ein Mann, dem man sowie seiner Tochter Achtung erweisen müsse, er sei ein Gefangener, kein Sklave; der Kurde lachte teils, teils erzürnte er sich darüber, und Mr. Hywell musste schweigen, wollte er nicht vielleicht den Kurden noch mehr reizen und das herbeiführen, was er am meisten fürchtete, die Trennung von seiner Tochter.

Kaschir-Aga hatte ihm sagen lassen, so ein Ungläubiger, ein Giaur, müsse es für die größte Ehre halten, wenn ein Rechtgläubiger seine Blicke auf die Tochter eines Sklaven richte, und er erwarte nur die Entscheidung seines Vaters, ohne dessen Einwilligung er nach der alten patriarchalischen Sitte des Orients nichts Wichtiges zu unternehmen wagte, obwohl er bereits ein Mann von mehr als dreißig Jahren war, um Mary zu seiner Gattin zu erheben oder wenigstens in seinen Harem zu führen. Zum Unglück schien der Armenier diese Verbindung zu wünschen, vielleicht, weil er Geschenke des Kurden erwartete, vielleicht, weil man ihm dann gestattete, nach seiner Heimat zurückzukehren.

Der gedämpfte Schall von Tritten auf dem Teppich ließ Mary aufblicken. Ihr Vater stand vor ihr, beugte sich zu ihr nieder und küsste ihre Stirn. Mary schlang die Arme um seinen Hals und drückte seinen Kopf zärtlich, innig und mit einem leichten Zittern an sich. Mehr als Worte verriet diese stumme Zärtlichkeit das Leid ihres Herzens. Er setzte sich in ihrer Nähe auf den Diwan und blickte sie lange an. Mary hatte die Hände auf ihrem Schoße gefaltet.

»Die Sonne scheint freundlich«, sagte er dann. »Fast ist es, als wolle es Frühling werden. Nur auf den Bergen glänzt noch der Schnee. Ich wollte, ich könnte Dich hinausführen, Mary – Du bist so blass geworden!«

»Ja, Vater, aber dann weit fort – weit!« antwortete die Tochter. »Der Kummer, in dieses düstere Haus zurückzukehren, würde größer sein als die Freude, es zu verlassen!«

Wieder trat eine Pause ein. Mr. Hywell fuhr sich mit der Hand durch sein ergrauendes, aber noch volles Haar. Auch sein frisches Antlitz war bleicher geworden, sein helles, klares Auge trüber, und der sonst so energische Ausdruck seiner Züge hatte jener Mattigkeit weichen müssen, die eine lange Untätigkeit, ein düsteres Schicksal, gegen das man nicht ankämpfen kann, auch den kräftigsten Zügen verleiht.

»Und dass ich an allem schuld bin – mein Eigensinn!« rief er dann, und seine Stimme klang zitternd und stöhnend.

Das hatte er in der letzten Zeit fast täglich gesagt. Gerade unter diesem Gedanken schien der sonst so starke Mann am meisten zu leiden.

»Lieber Vater, gegen die Schlechtigkeit und Rohheit der Menschen schützt keine Vorsicht!« sagte Mary sanft und tröstend. »Ich hoffe noch immer, einer wird kommen, George oder Wiedenburg!«

»Ja, hoffe nur!« rief Mr. Hywell fast bitter. »Ich hoffe nichts mehr. Aber ich bin entschlossen zu allem. Lieber die Flucht wagen – es ist ja doch eine Möglichkeit auf Erfolg – als das Entsetzliche dulden!«

Mary richtete bei seinen Worten mit unbestimmter Angst den Blick auf ihn. –

»Ist etwas Neues geschehen, Vater?« fragte sie kaum hörbar.

»Ja – und endlich muss ich es sagen!« rief Mr. Hywell und presste die Hand vor die Augen, als wolle er die Scham und Entrüstung verbergen, die ihn ergriffen. »Dieser Wilde verlangt Dich zu seiner Gattin. Er hat die Einwilligung seines Vaters erhalten; heute hat mir der Armenier die Vorschläge mitgeteilt. Ehrenvoll nennt sie der Schurke! Nun, er mag Recht haben, auf seine Weise; wir sind ja unter Räubern und Mördern, die sich für die ersten und edelsten Geschöpfe der Welt halten. Ich soll bleiben können oder auch meine Freiheit erhalten, wie ich will. Die Diener können gehen, die Dienerinnen bleiben; Du wirst sein Weib – das ist sein Entschluss! Von meiner Einwilligung ist keine Rede; ich muss natürlich tun, wie der hohe Herr befiehlt. O Mary, ich bin schwach geworden über all diesem Kummer und Herzeleid, ich könnte weinen wie ein Kind und dann auch wieder rasen, ja toben wie ein Tier. Dich in meine Arme nehmen und mich mit der Faust durchschlagen durch dieses Gesindel, bis ein Schuss mich niederstreckt. O Mary, verwünscht sei die Stunde, wo meine Zärtlichkeit für Dich mir den Gedanken eingab, dass Du mich begleiten solltest!«

Es war, als ob seine Stimme breche. Nachdem er sich einen Augenblick aufgerafft, gleichsam als wolle er sich einem unsichtbaren Feinde entgegenwerfen, brach er zusammen. Den Kopf tief niedergebeugt, ihn vergrabend in beide Hände, saß er da. Mary hatte sich erhoben und war zu ihm getreten.

Eine tiefe Blässe überzog ihr Antlitz.

»Ich erwartete – ich wusste es längst, Vater!« sagte sie. »Es bleibt uns keine Wahl, wir müssen fliehen – sterben. Es ist mir oft, nein, immer durch den Sinn gegangen, aber ich kann mich dazu nicht entschließen, ich kann nicht die Gattin eines Mannes werden, der mir schon bei seinem Nahen ein Entsetzen einflößt, das ich nicht zu schildern vermag, dessen Blick mein Blut erstarren macht. Ich würde sterben, wenn seine Hand die meine berührte. Ich kann es nicht, Vater; selbst der Gedanke, dass er Dir die Freiheit gewähren würde, gibt mir keinen Trost. So lass uns das Äußerste wagen; dann sterbe ich wenigstens unentehrt!«

»An mich denke nicht, Kind! Ich würde Deine Schande nicht überleben!« rief der Vater, sich etwas gesammelter erhebend. »Ja, es bleibt uns keine Wahl! Du musst Dich rüsten mit dem Mut der Verzweiflung, der jeder Gefahr trotzt, der den Tod nicht für das Schlimmste achtet. Ich will alles überlegen – reiflich – ruhig– jetzt kann ich es nicht! Ich werde um einige Tage Aufschub bitten; inzwischen fliehen wir. O welch Verhängnis! Und weshalb straft mich Gott so sehr! Weshalb verblendete er mich durch diesen unseligen Eigensinn!«

»O Vater, ich bitte Dich, zürne nicht! Ich kann Dich nicht klagen hören«, bat Mary. »Sieh, ich bin so ruhig und entschlossen. Es ist mir leichter ums Herz, da ich nun weiß, dass wir dem Ende entgegengehen. Aber horch! Hörst Du nichts? Was ist das für ein Lärm?«

Der Vater sprang auf. Glaubte er, dass die Hilfe nun kommen müsse, da sein Elend so groß sei? Ein Strahl freudigen Erschreckens flog über seine Züge. Er lauschte. Man hörte den verworrenen Ruf vieler Stimmen.

Mr. Hywell sprang zum Fenster hinauf, und sich weit vorbeugend, versuchte er trotz der Breite der Mauer die Ursache des Lärms zu erfahren. Man konnte vom Fenster aus einen Teil des Dorfes übersehen. Die Stimmen kamen näher. Aber man rief in kurdischer Sprache; Mary und ihr Vater verstanden nichts.

»Halt – da, jetzt sehe ich!« rief Mr. Hywell plötzlich. »Ein Menschenschwarm kommt den Hügel herauf – in ihrer Mitte drei Reiter – o Mary, es ist nichts für uns – es sind Kurden – oder Türken!«

»Ich bitte Dich, Vater, sieh hinaus!« rief Mary. »Mir pocht das Herz so stark – es müssen Freunde sein!«

»Ach« Mary, ich glaube nicht. Es sind Türken, drei Reiter – der mittlere scheint der Herr zu sein, prächtig gekleidet, mit Turban und Waffen im Gürtel. Sein Gesicht ist weißer als das der Begleiter, die seine Diener zu sein scheinen. Er zieht ein Papier hervor und zeigt es der Menge, die ihn umgibt und begleitet. Es eilt jemand auf ihn zu – es ist der Armenier. Der Reiter grüßt ihn lässig. Jetzt reiten sie den Berg hinauf, diesem Hause zu – mein Gott! – irre ich mich? Jetzt blickt er gerade hierher, als ob er wisse, dass jemand hier nach ihm ausschaue – Mary, es ist Wiedenburg!«

»Gott sei gedankt!« rief das zitternde Mädchen, und in die Knie sinkend, hob sie die Hände wie betend, empor. »Ich wusste es! Er konnte uns nicht verlassen!«

»Er ist es, er ist es!« jubelte der Vater. »Immer zeigt er das Papier – die Kurden umgeben ihn neugierig, einige voll Scheu, andere mehr drohend. Was bringt er, was will er? Ich sehe niemand außer ihm und seinen beiden Dienern. Wäre er tollkühn genug zu hoffen, dass ein Blatt Papier uns retten könne, jetzt, da die Leidenschaft dieses Menschen, des Häuptlings, entflammt ist?«

»O Vater, lass – es ist ein Freund – ein treuer Freund mehr!« rief Mary. »Lass uns hoffen! Er bringt vielleicht einen Befehl des Sultans, uns freizugeben.«

»Er blickt starr hierher – er erkennt mich!« rief Mr. Hywell. »Er grüßt mich! Willkommen, Wiedenburg!« rief er laut hinaus. »Da – jetzt sind sie verschwunden, ich sehe nichts mehr!«

Er fuhr mit der Hand über die geblendeten Augen und stieg von der Erhöhung nieder, zitternd, glühend vor Aufregung.

»Was sagtest Du?« rief er. »Einen Befehl des Sultans, uns freizugeben? O hoffe das nicht! Der Sultan hat keine Macht über diese Wilden. Er kommt, um uns zu helfen, aber allein? Mit tausend Reitern sollte er kommen, diesen Kaschir-Aga und seine Räuber aufs Haupt zu schlagen! Was vermag er jetzt auszurichten? Kaschir-Aga gibt Dich nicht frei – jetzt nicht! Nun, ich muss hinaus, Kind – ich muss wissen, was es ist. Bleibe Du hier – ängstige Dich nicht. Vielleicht bringt er uns wenigstens frohe Botschaft – vielleicht will er uns nur nahe sein. Er ist ein braves Herz – hat uns nicht vergessen. Auch Gott vergisst uns nicht!«

Er beugte sich zu ihr nieder, schloss sie schnell, heiß, leidenschaftlich in seine Arme. Dann eilte er hinaus.

Mary, noch kniend, schloss die Hände zusammen. Ihr Kopf senkte sich auf die schweratmende Brust. Sie betete.

Als Mr. Hywell atemlos auf dem freien Platze vor dem Hause des Häuptlings anlangte, sah er eine Szene voller Unruhe und Bewegung vor sich. Hunderte von Kurden umdrängten Wiedenburg und seinen Begleiter, und soeben durchschritt Kaschir-Aga, von einigen ältern und angesehenern Kurden begleitet, die wogende Menge. Das Gesicht des jungen Häuptlings war ernst und finster, ja sogar, wie es schien, bleicher als gewöhnlich.

Wiedenburg hielt sein Pferd an, sobald er Kaschir-Aga bemerkte. Die hohe Gestalt des jungen Deutschen bot in der reichen türkischen Kleidung einen stattlichen, imponierenden Anblick. Den Bart trug er ganz voll, in türkischer Weise; nur die weißere Hautfarbe und der regelmäßigere germanische Schnitt des Gesichts verkündeten, dass er kein Türke sei. Er grüßte Mr. Hywell, der sich bemühte, die Menge zu durchbrechen, mit einem freundlichen und achtungsvollen Neigen des Kopfes und wandte sich dann stolz zu Kaschir-Aga, demselben den Ferman hinreichend.

Der junge Kurdenhäuptling empfing denselben mit einer deutlich erkennbaren Mischung von Verdruss und Ehrerbietung. Er neigte sich, küsste das große Siegel der Papierrolle, nachdem er es flüchtig gemustert, und las dann den Inhalt. Mr. Hywell war dicht zu dem Armenier getreten, der sich bemühte, ebenfalls den Ferman zu lesen. Kaschir-Agas Miene wurde noch finsterer; der Inhalt des Schriftstücks schien ihm nicht zu behagen.

Dann aber wandte er sich zu dem Armenier und sagte diesem einige Worte. Der Armenier übersetzte sie dem Deutschen.

»Kaschir-Aga«, so lautete die Antwort des Kurdenhäuptlings, »Kaschir-Aga, der Sohn Tamir-Agas, des Häuptlings der freien Kurden vom Stamme der Hakkari, achtet den Ferman des Padischah von Stambul nicht als einen Befehl, sondern als den Wunsch eines mächtigen Freundes und heißt den Fremden in seinem Hause willkommen. Er wird den Rat seines Vaters und der Ältesten seines Stammes einholen, um zu erfahren, ob ein Fremdling, der vor kurzem noch sein Gefangener war, Anspruch hat auf das Recht der heiligen Gastfreundschaft. Bis dahin wird der Fremde im Hause der Häuptlinge wohnen, und was er wünscht, wird zu seiner Verfügung stehen!«

»Der Padischah in Stambul ist Dein Herr und nicht Dein Freund!« rief Wiedenburg stolz und zuversichtlich. »Er hat Dir zu gebieten, und ich komme als sein Bote. Die Scharen, die er bei Bajazid versammelt hat, sind mächtig genug, um die Männer dieser Berge für immer in Fesseln zu schlagen, und der Pascha von Wan hat Befehl, darüber zu wachen, dass die Gebote des Padischah ausgeführt werden. Aber ich hoffe, dass wir uns einigen werden in Frieden und Freundschaft.«

Als der Armenier dem Kurdenhäuptling diese kühnen Worte verdolmetschte, erhob sich ein dumpfes Murren unter der Kurdenschar. Kaschir-Agas Stirn zog sich drohend zusammen, aber er winkte mit der Hand Ruhe.

»Kaschir-Aga wird den Rat seines Vaters und, der Ältesten einholen!« ließ er durch den Armenier antworten, nichts weiter.

Dann schien er einigen Kurden Befehle zu geben, neigte sich nach orientalischer Sitte höflich gegen Wiedenburg und kehrte in das Haus zurück, mit finsterer Miene, die Augen fast geschlossen, wie jemand, der eine heftige innere Bewegung unterdrückt und auf Rache sinnt.

»Verzeihen Sie mir, wenn ich ein wenig förmlich tue«, wandte sich dann Wiedenburg zu Mr. Hywell, der ihm die Hand reichte. »Ich komme in der Tat als Gesandter des Sultans und muss dieser Menschen wegen eine andere Miene annehmen, als ich möchte. Aber ich komme Ihretwegen, wie Sie wohl vermuten, und ich denke, wir sprechen uns heute noch. Bringen Sie Ihrer Tochter meine herzlichsten Grüße!«

»Sie kommen als ein Retter in der Not!« antwortete der Engländer, sich zurückziehend. »Aber seien Sie vorsichtig; die Gefahr ist größer, als Sie glauben!«

Die Kurden, mit denen Kaschir-Aga zuletzt gesprochen, näherten sich dem jungen Deutschen und boten ihm ihre Dienste an. Begleitet von der staunenden und unruhig bewegten Menge, ritt Wiedenburg bis an das niedrige Tor des steinernen Gebäudes, ließ sich dort aus dem Sattel heben, sprach mit seinen türkischen Dienern, von denen der eine etwas Englisch zu verstehen schien, und trat dann in das Innere des Hauses. Man führte ihn sogleich nach denjenigen Räumen, die zur Aufnahme von Gästen bestimmt waren. Einer besondern Vorbereitung bedurfte es nicht. Auch diese Räume enthielten nichts als einige Kissen zum Sitzen und einige der notwendigsten Geräte. Der Deutsche ließ sich von seinen Dienern sein Gepäck bringen und untersuchte namentlich das Schloss eines kleinen und schweren Koffers sehr genau. Dasselbe schien fest genug gearbeitet, um der Neugierde und wohl auch der Gewalt zu widerstehen. Dann nahm er die einfachen Gerichte in Empfang, die man ihm brachte, rauchte die dargebotene Pfeife und streckte sich auf die Kissen des Diwans. Zuweilen überflog ein Lächeln sein Gesicht, vielleicht, weil er an die eigentümliche Rolle dachte, die er hier spielen musste. Dann aber wurde seine Miene wieder sehr ernst, denn unmöglich konnte er sich die Schwierigkeiten und selbst Gefahren verbergen, denen er entgegenging. In dieser Stimmung empfing er den Armenier, der halb demütig, halb vertraulich sich nahte, um dem Fremden zu melden, dass Kaschir-Aga ihn besuchen würde.

»Der junge Anführer der Kurden wird mir willkommen sein«, antwortete Wiedenburg, den Armenier sehr ernst und fast drohend anblickend. »Ich hoffe, Ihr habt alles getan, um die Lage meines Freundes und seiner Tochter zu erleichtern; wenn nicht, so dürfte die Stunde der Vergeltung gekommen sein!«

Der Armenier schwur hoch und teuer, dass ihm das Geschick des Franken und seiner Tochter am Herzen liege wie sein eigenes, und wagte dann die Frage, wie der Fremde so schnell die Gunst des Padischah von Stambul erlangt.

»Nun« was denkt Ihr, was wir sind?« antwortete ihm Wiedenburg stolz und verächtlich. »Wir· sind die Botschafter eines Padischah, der tausendmal mächtiger ist als der Padischah von Stambul, und Kaschir-Aga mag sich vor jeder Übereilung hüten, jetzt, da der Padischah von Stambul weiß, dass die Gesandten seines mächtigen Freundes von diesem Volke überfallen und beraubt worden sind. Mehr Bewaffnete, als Ihr Haare in Eurem Barte zählt, sind bereit, die Schmach zu rächen, die uns angetan worden und der wir uns fügen mussten, weil wir zu schwach zum Widerstand waren. Treibt nicht etwa falsches Spiel, Mann, sondern helft aufrichtig unsere Sache fördern; es möchte Euch sonst übel ergehen! Zeigt Ihr Euch aber als ein redlicher Freund, so werden Euch Belohnungen von allen Seiten zuteilwerden.«

Der Armenier schien bestürzt und gelobte nochmals, alles zu tun, was in seinen Kräften stehe. Gleich darauf trat Kaschir-Aga ein, begleitet von zwei Ältesten der Kurden. Er war jetzt ruhig, stolz und zuversichtlich. Wiedenburg ging ihm einige Schritte entgegen, verneigte sich und deutete auf die Kissen, auf denen der Aga sich niederlassen möge.

»Sagt dem Sohne Tamir-Agas«, wandte er sich dann zu dem Armenier, »dass er mir verzeihen möge, wenn ich auch hier allen Gebräuchen meines Landes folge. Wir gestatten dies jedem Fremden, der uns in unserm Lande besucht. Und gebt dem Aga genau wieder, was ich Euch sagen werde! Er darf keinen Zweifel darüber hegen, dass ich nicht als ein Bittender und Hilfsbedürftiger zu ihm komme, sondern als der Sohn eines mächtigen Volkes und als der Gesandte des Padischah.«

Der Armenier, dem die ernste und feste Sprache Wiedenburgs Gehorsam und zugleich Vertrauen in die Macht desselben einzuflößen schien, wiederholte diesmal genau den Sinn der Worte. Wiedenburg, der in den letzten Wochen eifrig bemüht gewesen war, die türkische Sprache kennenzulernen, vermochte jetzt selbst den Worten des Armeniers zu folgen und die Art und Weise der Verdolmetschung im Allgemeinen zu prüfen. Kaschir-Aga blieb auch jetzt ganz ruhig; Wiedenburg glaubte zu bemerken, dass in dieser Ruhe etwas liege, was auf einen schon gefassten Entschluss deute, von dem der Kurdenhäuptling sich durch kein Hindernis ablenken lassen wolle.

»Sage dem Fremden, er möge sprechen!« lautete die Antwort. »Ich werde hören.«

Wiedenburg setzte darauf auseinander, welche Stellung er und Mr. Hywell in ihrem Vaterlande einnähmen, schilderte den letztern als einen Abgesandten seines mächtigen Herrschers und hob die Schnelligkeit hervor, mit welcher man ihm selbst den Ferman von Stambul gesandt habe, als er nach seiner Flucht das Vorgefallene dorthin berichtet. Er versicherte mit großer Bestimmtheit, dass der Sultan sich dieser Sache sehr eifrig annehmen und selbst mit Gewalt dem Gesandten des ihm befreundeten Herrschers zu Hilfe kommen werde, hoffe aber, dass Kaschir-Aga sich mit einem Lösegeschenk begnügen und die fränkischen Gefangenen sofort freigeben werde. Auf die Frage des Kurden nannte er eine nicht unbedeutende Summe, die dem Häuptling oder dessen Bevollmächtigten ausgezahlt werden sollte, sobald die Franken in Sicherheit seien, also in Bajazid oder Erzerum. Kaschir-Aga ließ durch den Armenier antworten, dass er die Eigenschaft seines jetzigen Gastfreundes als Gesandten des Padischah von Stambul nicht eher anerkennen dürfe, als bis sein Vater und die Ältesten den Ferman geprüft. Bis dahin könne er den Fremden nur als einen einfachen Reisenden betrachten, dem er Schutz und Obdach gewähre. Doch könne er ihm auch schon jetzt so viel sagen, dass er selbst nichts gegen die Abreise sämtlicher Männer einzuwenden habe, vorausgesetzt, wie er vorsichtig hinzufügte, dass die genannte Summe gezahlt werde, dass er dagegen die Tochter des alten Franken nur in dem Falle ziehen lassen werde, wenn sein Vater ihm nicht die Einwilligung gebe, sie zu heiraten. Und es lag etwas in seiner Miene, was andeutete, dass er selbst in einem solchen Falle entschlossen sei zu trotzen.

Für Wiedenburg war diese Mitteilung eine neue und überraschende. Doch verbarg er die bösen Befürchtungen, welche diese Erklärung in ihm erweckte. So viel hatte ihn sein Aufenthalt im Orient bereits gelehrt, dass nur unerschütterliche Ruhe imstande sei, diesen Männern Achtung einzuflößen.

»So scheint Kaschir-Aga zu glauben, dass diese Angelegenheit allein von ihm und seinem Vater abhänge?« ließ er antworten. »Dann irrt er. Ich kenne das Herz der Tochter meines Freundes nicht und weiß nicht, ob es die Empfindungen Kaschir-Agas teilt. Sollte das aber nicht der Fall sein, so wird keine Macht die junge Frankin bewegen, das Weib des jungen Aga zu werden. In unserm Vaterlande haben die Frauen vollkommene Freiheit, eine Bewerbung anzunehmen oder nicht. Selbst wenn unser Padischah um die Hand der jungen Frankin anhielte, würde es ihr freistehen, sein Anerbieten zurückzuweisen; kein Zwang darf darin geübt werden. Und wollte selbst die Frankin einwilligen, so würde ihr Vater das Recht haben, sie an einer solchen Verbindung zu hindern. Kaschir-Aga vergisst, dass wir keine Kurden sind, dass wir nicht in diesem Lande geboren, dass wir uns hier nicht mit unserm freien Willen befinden und also in keiner Weise genötigt sind, den Gebräuchen dieses Landes zu folgen. Wenn die junge Frankin die Gattin Kaschir-Agas werden will und ihr Vater einwilligt, so mag diese Verbindung vollzogen werden; ich bin bei dieser Angelegenheit nicht beteiligt. Erhält er aber eine zurückweisende Antwort, so muss sich Kaschir-Aga damit begnügen und die Seele der jungen Frankin nicht länger beängstigen. Um den Willen Kaschir-Agas und seines Vaters wird sich weder die Frankin noch ihr Vater kümmern.«

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Litres'teki yayın tarihi:
10 aralık 2019
Hacim:
546 s. 27 illüstrasyon
Telif hakkı:
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