Kitabı oku: «Der Held von Garika», sayfa 7
»Ich unterwerfe mich mit Freuden Ihren Anordnungen!« rief der Engländer. »Ich will nicht zum zweiten Mal durch meinen Eigensinn verderben, was Sie gut machen wollen, und diesmal wüsste ich wahrlich nichts Besseres vorzuschlagen. Gebieten Sie über mich wie über einen Diener. Ich bin zu allem bereit, selbst zum Kampfe, ja, ich fühle etwas in mir, was mich wünschen lässt, diese lange Zeit der Schmach mit einem harten Strauße zu beenden!«
»Es wäre für Miss Mary kein Glück, wenn Sie eine Kugel träfe!« sagte Wiedenburg
»Freilich, freilich! Deshalb, wenn es möglich ist, mag alles im Guten abgehen«, sagte der Engländer, »obwohl, das kann ich schwören, obwohl es mir in allen Gliedern zuckt, diesem Hund von Kaschir-Aga eine Kugel durch den Kopf zu jagen! O Mary, was muss Mary jetzt fühlen, da sie hoffen darf, gerettet zu; werden!«
Der Armenier kam zurück und meldete, dass alles nach Wunsch gegangen sei. Die Kurden hatten sich mit den Worten entfernt: Kaschir-Aga hätte am besten getan, dem alten Franken die Kehle abzuschneiden. Der Armenier hatte das Tor hinter ihnen geschlossen. Er versicherte noch einmal dem Engländer, dass alle Umstände die günstigsten seien. Außer den Frauen Tamir-Agas, einigen Dienern und Dienerinnen befände sich niemand im Hause, die Nacht sei dunkel, er kenne die Umgebung des Dorfes genau – genug, er drängte zur Eile. Der Boden brannte ihm unter den Füßen.
»So werde ich mit dem Armenier und mit dem einen Türken gehen, um zu versuchen, unsere Pferde zu finden«, sagte Wiedenburg. »Wieviel Diener befinden sich in dem Marstall bei den Pferden?«
»Nur zwei Wächter«, antwortete der Armenier mit einem schlauen Lächeln. »Und diese werden jetzt wohl schon im Dorfe sein, wo sie ihre Liebchen haben. Sie waren aufmerksam geworden, als sie die Kurden auf den Hof kommen hörten, und ahnten, dass etwas im Werke sei. Kaschir-Aga hatte ihnen nichts gesagt, damit sie ihn nicht verraten möchten. Einer von den Kurden hielt im Dorfe Pferde für ihn und die Frankin in Bereitschaft. Ich rief ihnen zu, als ich sie an der Öffnung über der Tür flüstern hörte, warum sie nicht schlafen gingen, das ganze Haus sei im tiefsten Frieden, und nun sind sie gewiss schon bei ihren Liebchen!«
»Gut!« rief Wiedenburg und reichte ihm Geld. »Wenn Ihr Euch so anstellig und vorsichtig zeigt, so werden wir bald gute Freunde sein. Jetzt also nach dem Marstall! Inzwischen wird Miss Mary ihr Gepäck geordnet haben; Sie, Mr. Hywell, bleiben mit den andern zurück und achten auf Kaschir-Aga. Die Hauptsache ist, dass er das Tuch nicht lockern und rufen kann. Ich will jetzt die kleine Laterne holen, die ich in glücklicher Vorsicht mit mir genommen. Sobald als möglich bin ich zurück. Ich hoffe alles bereit zur Abreise zu finden.«
Er holte die Laterne und ging mit dem Armenier und mit dem einen Türken nach dem Marstall, der verhältnismäßig groß und sauber war, da die Kurden, wie alle Orientalen, ihren Pferden große Sorgfalt widmen.
Die Wächter, nach denen der Armenier sorgfältig rief, ehe er eintrat, antworteten nicht; sie waren ausgeflogen.
Nun zündete Wiedenburg die Laterne an, und es begann eine schnelle Musterung. Noch befanden sich sämtliche Pferde der Europäer in dem Marstall, und in einem daneben befindlichen Raume hing auch das Sattel- und Zaumzeug. Sogar der Palankin der Miss Mary fand sich vor, und hastig machten sich die drei Männer an die Arbeit, die Pferde zu zäumen und zu satteln. Keine leichte Arbeit bei dem schwachen Licht der kleinen Laterne und bei der bedeutenden Zahl der Pferde! Aber endlich war auch dies getan.
»Was nun?« fragte Wiedenburg. »Wo hinaus? In welcher Richtung?«
»Nicht zum vordern Tor hinaus«, antwortete der Armenier; »da schlafen einige Diener, die leicht erwachen könnten, wenn die Pferde wiehern. Ich kenne alles genau. Wir müssen dieses Tor zu öffnen suchen, das unmittelbar vom Marstall auf den freien Platz hinter dem Dorfe führt. Lasst mich nur machen, Herr! Und sollen wir nicht die Pferde, die zurückbleiben, töten? Es wäre gut für uns, im Falle man uns verfolgen wollte!«
Wiedenburg überlegte. Aber der Vorschlag schien ihm zu grausam, und überdies war kein Mangel an Pferden im Dorfe; für eine Verfolgung hätten sich immer genug gefunden. Er wies den Gedanken zurück.
»Zu unsern Freunden!« sagte er. »Sie werden uns sehnsüchtig erwarten!«
Und das war in der Tat so. Mr. Hywell glühte bereits vor Aufregung und Ungeduld. Miss Mary war mit ihren Dienerinnen reisefertig. Nichts hielt die Europäer zurück.
»Jetzt geht zu Kaschir-Aga«, wandte sich Wiedenburg zu dem Armenier, »und sagt ihm, er möge bei sich selbst überlegen und sich fragen, ob wir nicht im Rechte seien. Es würde töricht von ihm sein, sich rächen zu wollen, selbst wenn sich ihm eine Gelegenheit dazu böte. Er müsste sich selbst sagen, dass er ebenso und vielleicht viel grausamer gehandelt haben würde. Die Freilassung seines Vaters würde ich anordnen, sobald wir sicheres Gebiet erreicht hätten!«
»Verzeiht, Herr«, antwortete der Armenier, »hier ist jedes Wort überflüssig; über eine solche Entschuldigung würde der Aga nur spotten. Wer der Stärkere ist, hat bei ihm Recht, und, wenn er kann, wird er uns alle mit der größten Kaltblütigkeit ermorden, ob Ihr Euch nun entschuldigt habt oder nicht. Lasst ihn glauben, dass Ihr ihn vollkommen verachtet und gar nicht mehr an ihn denkt. Das wird ihn weit tiefer kränken und ihm zugleich einen höhern Begriff von Eurer Klugheit und kalten Ruhe geben!«
»So lasst noch einmal nach den Stricken und dem Tuche sehen, und dann fort!« sagte Wiedenburg.
Es geschah; dann verließ die kleine Schar das Zimmer, in welchem Mary Hywell vier Monate lang so viel erduldet. Der Armenier ging voran, die Diener, die das Gepäck der Frauen und Wiedenburgs trugen, folgten mit den Frauen; Wiedenburg und Mr. Hywell schlossen den Zug.
»Ihr habt doch Euren Ferman?« rief der Armenier mit gedämpfter Stimme.
»Nein, Kaschir-Aga hat ihn bei sich behalten!« antwortete Wiedenburg.
»Das darf nicht sein!« rief der Armenier. »Er wird in seinem Zimmer liegen. Zum Glück hat er seine Diener entfernt. Ich will ihn holen!«
Der Armenier verschwand und kehrte erst nach einer längern Pause mit dem Ferman zurück, aber auch beladen mit Waffen und Munition, sowie mit einzelnen Kostbarkeiten, die den Reisenden von den Kurden abgenommen worden. Wiedenburg, Mr. Hywell und die Diener empfingen namentlich die Waffen mit der lebhaftesten Freude. Mary begrüßte ein kleines Portrait ihrer Mutter, das man ihr entwendet, während sie in dem Hause wohnte, mit einem Ruf des Entzückens.
»Ein gescheiter Bursche!« sagte Mr. Hywell. »Wir wollen nicht danach fragen, was er für sich genommen, seine Taschen mögen voll sein. Und ich selbst hätte Lust, eine kleine Visitation in Kaschir-Agas Hause anzustellen nach alledem, was man uns gestohlen. Aber jetzt drängt die Not! Nur vorwärts!«
Es geschah, wie der Armenier es angeordnet. Die tiefste Stille herrschte in dem ganzen Hause. Niemand hörte die Fliehenden, wenn es nicht Kaschir-Aga war, der sich in den Höllenqualen vereitelter Hoffnungen und gedemütigten Stolzes winden mochte. Man erreichte den Marstall, und es gelang, das schwere Tor, das nach außen führte, ohne allzu großes Geräusch zu öffnen.
Die Pferde wieherten, als sie ihre alten Herren erkannten, aber das konnte nicht auffallen, da sie dies oft in der Nacht taten.
Nun drang die frische Nachtluft herein. Alle atmeten auf. Die Nacht war dunkel, so dunkel, dass niemand einen Weg zu finden vermocht hätte; aber man vertraute auf den Armenier. Die Pferde wurden am Zügel geführt; sie zu besteigen wäre unmöglich gewesen.
Der Armenier ging mit seinem Pferde voran. Er sagte, er wisse einen Weg, der um das Dorf herumführe. Selbst die Pferde schienen vorsichtig zu sein und vergaßen das Wiehern. So ging es in peinlicher Langsamkeit vorwärts; nur der Armenier unterbrach zuweilen die Stille durch leise Andeutungen über den zu nehmenden Weg, die Mr. Hywell und Wiedenburg den andern mitteilten.
»Das Dorf liegt hinter uns«, sagte der Armenier nach einer Viertelstunde, »aber wir können die Pferde noch nicht besteigen, denn der Weg führt steil abwärts. Wir werden erst schärfer reiten können, wenn der Morgen graut, also in einigen Stunden. Doch können die Frauen ihre Pferde besteigen, wenn diese geführt werden.«
Mary und die Dienerinnen weigerten sich, dies zu tun, und in der Tat bot das Dahinschreiten auf dem Fußboden mehr Sicherheit. So ging es denn langsam weiter. Zuweilen strauchelte ein Mann oder ein Pferd.
Allmählich aber gewöhnten sich die Augen an die Dunkelheit; auch verzogen sich die Wolken, und der Sternenschimmer erhellte die Nacht ein wenig. Man war auf eine Ebene gelangt, und nachdem man sich aus der Stellung der Sternbilder überzeugt, dass man die nördliche Richtung beibehalten, schritt man schnell und sicher vorwärts. Wiedenburg überlegte mit dem Armenier, wie sie es anzufangen hätten, um am nächsten Tage Lebensmittel zu erhalten, die ihnen gänzlich fehlten, und der Armenier meinte, dafür werde sich Rat finden, wenn die Reisenden nur eine sichere und bewusste Haltung annähmen und Wiedenburg seinen Ferman vorzeige. Nur mit dem Gold solle er sparsam sein, um die Habsucht der Kurden nicht zu reizen. Für die bitterlich kalte Nacht wusste Wiedenburg Rat. Johnny hatte ihm eine Flasche seines Lebenselixiers, Jamaikarum, mitgegeben. Eine Kleinigkeit davon genügte, die Männer zu beleben, und selbst Mary und die Dienerinnen mussten ein wenig davon trinken, mit Wasser vermischt, das man aus einer Quelle schöpfte. Mr. Hywell drang darauf, denn er fürchtete, die Leiden, Entbehrungen und Aufregungen möchten den Frauen und vor allem seiner Tochter geschadet haben.
Endlich brach der Morgen an, der heißersehnte Morgen. Nun stieg man zu Pferde, und schneller ging es vorwärts. Heiterer wurden die Mienen, heller die Blicke, lebendiger das Gespräch. Die Sonne erhob sich klar und rein über den schneebedeckten Bergen an der persischen Grenze. Der Gedanke, dass die Rettung zum Teil gelungen sei, erfüllte alle mit neuer Lebenskraft. Freilich hatten sie keinen weiten Vorsprung vor den Verfolgern. Aber es ließ sich hoffen, dass sie entweder auf George treffen oder Kurdenstämme erreichen würden, die aufgrund des großherrlichen Fermans den Fliehenden Schutz gewährten. Freiheit schien den meisten gleichbedeutend mit Rettung, und Mary lauschte bereits wieder mit ihrem lieblichen Lächeln der Schilderung, die ihr Wiedenburg von seinem Zusammentreffen mit George und von den Kochkünsten Johnnys entwarf.
V. Die Schwäbin
Es war spät am Nachmittag desselben Tages. Der Zug war vor einer Stunde aus einem kleinen Dorfe aufgebrochen, in welchem man kurze Rast gemacht, um Fleisch zu erhandeln und Gerstenbrot zu kaufen. Der Armenier hatte den Kurden dieses Dorfes eine andere Richtung, in welcher man weiterreiten werde, angegeben, als diejenige, die man wirklich einzuschlagen beabsichtigte, denn es lag ihm daran, die Verfolgung, die sich voraussehen ließ, möglichst aufzuhalten.
Jetzt hatte man abermals eine Hochebene erreicht, von der sich ein herrliches Rundgemälde über die schneebedeckten Berge und duftigen Täler den Blicken der Reisenden darbot, die freilich wenig geneigt waren, Naturschönheiten zu beachten, solange sie sich nicht wirklicher Sicherheit erfreuten.
»Was ist das für ein Gebäude?« fragte Wiedenburg den Armenier, auf ein Gebäude deutend, das in weiter Entfernung zur Rechten lag und dessen eigentümlicher burgähnlicher Bau ihm auffiel.
»Ich habe davon sprechen hören, dass eine Tagereise von dem Dorfe Kaschir-Agas, nach Norden zu, sich ein Dorf mit Nestorianern befinde, deren Aga in einer Festung wohne«, antwortete der Armenier. »Wahrscheinlich wird es das Haus jenes Agas sein, der sich damals bei dem Angriff auf die Nazarener so tapfer verteidigte, dass man ihm nichts anhaben konnte.«
Wiedenburg wollte mehr fragen, als er plötzlich stutzte und einen freudigen Ruf ausstieß. Dann nahm er das kleine Fernrohr, das er von einem Offizier in Kars gekauft. und führte es ans Auge.
»Sie sind es! Es ist George und mein Oheim!« rief er jubelnd. »Sie sind nur von wenigen Reitern begleitet, vielleicht von einem Dutzend, aber nun sind wir geborgen; es sind türkische Soldaten, und man wird nicht wagen, sie anzugreifen!«
Und während Mr. Hywell, vor freudiger Aufregung zitternd, das Fernrohr nahm, zog Wiedenburg ein helles Taschentuch hervor und ließ es in der Luft wehen. Es musste von der kleinen Schar, die sich in weiter Entfernung, tief unter der Hochebene in einer Schlucht zeigte, bemerkt worden sein, denn dort flatterte sogleich ebenfalls ein helles Tuch, und ein Gewehr wurde abgeschossen. Man hörte den Knall nicht, aber man sah den Pulverdampf.
»Ich kann nichts erkennen!« sagte Mr. Hywell tief aufatmend. »Die Freude lässt meine Hand zittern und trübt mir das Auge. Mary, mein Kind, ich hoffe, endlich –«
»Herr!« rief in diesem Augenblick der Armenier, »Herr, da ist Kaschir-Aga! Um Gottes willen, was ist zu tun?«
Mechanisch wandte Wiedenburg, indem sein Blut vom Herzen zurückwich, den Blick nach der Richtung, in welcher der Armenier die Hand ausstreckte. Eine Reiterschar sprengte soeben im vollsten Galopp den Abhang hinauf, der auf die Hochebene führte.
Wiedenburg vermochte zwar keinen einzigen von der Schar, die mindestens fünfzig Reiter zählte, zu erkennen, aber wer anders konnte so rasend den Berg hinansprengen als Kaschir-Aga mit seinen Kurden? Für einen Augenblick verlor Wiedenburg die Fassung; seine Gedanken verwirrten sich. Dann aber, obwohl bleich und mit mattem Auge, rief er:
»Wir müssen nach jenem Gebäude! Unsere Freunde können wir nicht erreichen; wir müssten dort links hinab und die Kurden würden uns den Weg abschneiden. Tom, reite da hinab, was das Pferd nur leisten kann, zu jenen Reitern und sage ihnen, wir seien in Gefahr, sie möchten so schnell als möglich jenes Gebäude zu erreichen suchen. Fort!«
Tom, der englische Diener Wiedenburgs, flog davon.
»Vorwärts!« rief Wiedenburg, mit der Hand nach dem Gebäude deutend. »Wir erreichen es vor den Kurden und vielleicht finden wir Schutz bei den Nestorianern. Mr. Hywell, nehmen Sie Ihrer Tochter Pferd am Zügel!«
Aber Mr. Hywell tat das nicht. Er hielt es für sicherer, Mary zu sich auf den Sattel zu nehmen, damit das schwächere und langsamere Damenpferd den andern folgen könne. So stürmten alle nach dem Gebäude zur Rechten, das, wie sich jetzt zeigte, am östlichen Abhang der Hochebene lag, oberhalb eines Dorfes. Wiedenburg wandte den Blick seitwärts zu den Kurden. Er erkannte jetzt deutlich Kaschir-Aga, der den andern um vielleicht fünfzig Schritte voraus war.
»Seien Sie unbesorgt, Mr. Hywell!« sagte er. »Wenn wir das Gebäude nicht erreichen, so schieße ich ihn nieder! Mann, erhebt Eure Stimme und ruft um Hilfe!«
Die letztern Worte galten den Armenier, der sogleich verzweifelt zu rufen begann. Währenddessen winkte Wiedenburg dem einen türkischen Diener, der die geladene Büchse seines Herrn trug, und ließ sich dieselbe zu reichen. Dann ritt er hinter den Zug und zeigte Kaschir-Aga drohend die Büchse. Der Kurde antwortete damit, dass er im vollsten Galopp die seinige von der Schulter nahm. So flogen die Fliehenden dahin, während die Kurden sich von der Seite näherten.
Jetzt zeigten sich Menschen an den Fenstern oder Schießscharten der Burg und auf den Türmen. Aber noch sah man das verschlossene Tor sich nicht öffnen.
Der Armenier schrie, so laut er nur vermochte.
»Um das Gebäude herum!« rief Wiedenburg Mr. Hywell zu, der an der Spitze des Zuges ritt. »Dann erreichen wir links wenigstens das Dorf und irgendein Haus. Denn hier öffnet man uns nicht!«
Mr. Hywell folgte der Weisung, sein Pferd nach links lenkend. Kaschir-Aga war vielleicht noch fünfhundert Schritte entfernt. Und er ritt ein Pferd, das wie ein Pfeil daherschoss. In wenigen Minuten musste er die Fliehenden erreicht haben.
Jetzt war Wiedenburg ganz in der Nähe der Burg.
Eine alte Frau stand an einer Fensteröffnung. Der junge Mann sah in bitterer Verzweiflung zu ihr hinauf und streckte verwünschend die Hand aus.
»Weib«, rief er, »Du könntest uns retten, wenn Du uns einließest, retten vor diesem Kaschir-Aga und seinen Räubern. Aber bei Euch gibt es kein Mitleid, keine Barmherzigkeit! Ihr seid ein gottverlassenes Geschlecht!«
»Ist es Kaschir-Aga, der Euch folgt?« rief die Frau. »So will ich Euch helfen!«
Und sie rief gellend einige Worte in das Innere des Gebäudes, und diese fremden Worte erst erinnerten den jungen Mann daran, dass er in seiner wilden Aufregung deutsch gerufen und dass ihm die Frau deutsch geantwortet hatte.
Gleich darauf hörte er einen jubelnden Freudenschrei von den Fliehenden, die vor ihm waren und die er nicht mehr sehen konnte, da sie bereits um den Eckturm gebogen, und zugleich öffnete sich vor ihm das Tor, das auf die Hochebene hinausführte. Er zögerte, noch wusste er nicht bestimmt, ob sich seinen Freunden ein Tor geöffnet.
»Nur herein, Mann!« rief dieselbe Frauenstimme in deutscher Sprache. »Die Eurigen sind in Sicherheit. Der Kurde zielt auf Euch!«
Wiedenburg hörte einen Schuss, eine Kugel zischte an ihm vorüber. Aber beruhigt, mit schnell erleichtertem Herzen, wie der Schiffbrüchige sich auf seiner Planke von einer sanften Welle an das Ufer treiben lässt, sprengte er leicht und stolz in das Tor, das sogleich hinter ihm geschlossen wurde.
Als Wiedenburg den Hof erreichte, den das burgähnliche Gebäude auf allen Seiten umschloss, sah er zuerst nur eine Menge von kurdischen Männer und Frauengestalten, dann aber auch seine Begleiter, Mr. Hywell, Miss Mary und ihre Frauen, die Diener und den Armenier. Gerettet also für jetzt! Mit diesem Gedanken sah er sich nach dem Herrn des Hauses oder nach der Frau um, deren deutsche Worte er vernommen.
Und die Menge teilte sich. Es erschien eine hagere, lange Gestalt in kurdischer Tracht, jenem Tamir-Aga, dem Vater Kaschir-Agas, sehr ähnlich, aber mit einem kleinen silbernen Kreuze, das an einer Schnur um den nackten Hals hing. So bestätigte sich also die Vermutung des Armeniers. Die Flüchtlinge befanden sich in dem Hause eines Nestorianers.
Wiedenburg winkte dem Armenier, der noch bleich war vor Angst und Schrecken, stieg vom Pferde und näherte sich dem Herrn des Hauses mit einem höflichen aber nicht unterwürfigen Neigen. Dann bat er den Armenier. dem Herrn des Hauses in geeigneten, ruhigen Ausdrücken zu erzählen, was sich begeben, und nicht zu vergessen, hinzuzufügen, dass die Reisenden mächtige Franken seien. Der Armenier tat es; der Nestorianer hörte schweigend und aufmerksam zu. Inzwischen näherte sich eine alte Frau, die sich in nichts von einer Kurdin unterschied; Anzug, Schleier, selbst das gebräunte Antlitz und die etwas spitze Nase schienen auf orientalische Abstammung hinzudeuten. Eine gewisse Ehrfurcht, welche ihr die zurücktretenden Kurden erwiesen, ließ erraten, dass sie die Herrin des Hauses sei. Die nestorianischen Frauen dürfen sich öffentlich zeigen, denn die Sitten der Christen gestatten auch dort den Frauen mehr Freiheit der Bewegung als die Sitten der Mohammedaner.
»Die fränkischen Christen sind mir willkommen und werden sicher in diesem Hause wohnen«, antwortete der Kurde. »Kaschir-Agas Flüche und Verwünschungen brechen diese Mauern nicht. Für Eure Frauen und Diener wird Sorge getragen werden. Jetzt lasst uns auf den Turm steigen und sehen, was draußen geschieht.«
»Sind vielleicht Eure Frauen auch Deutsche?« fragte jetzt die alte Frau, die Wiedenburg für eine Kurdin gehalten, in deutscher Sprache.
»Nein«, antwortete er, »es sind Engländerinnen, aber Miss Hywell spricht ein wenig Deutsch.«
»Ich werde mich ihrer annehmen«, antwortete die Alte. »Und seid vorsichtig in Worten und Werken gegen Tanlik-Aga, denn es fließt das Blut dieses Landes in ihm und die Fremden sind hier nicht gern gesehen.«
Gern hätte Wiedenburg noch mehr mit der Deutschen gesprochen, zu der einer der seltsamsten Zufälle ihn geführt, aber er fühlte, dass er dem mahnenden Blicke des Häuptlings Folge leisten müsse, rief Mr. Hywell zu, er möge sich und seine Tochter ohne Arg der Herrin des Hauses anvertrauen, und gab dann dem Kurden zu verstehen, dass er bereit sei, ihm zu folgen. Dieser schritt voran, eine stattliche, echt kriegerische Gestalt.
Auf einer steinernen Treppe erreichten sie das obere Stockwerk des roh, aber fest gebauten Hauses und stiegen dann im Innern des Turms auf einer dunklen Treppe empor bis zu der Plattform. Die Sonne stand tief und ein herrlicher goldener Hauch schwebte über der Hochebene; tiefes Blau lagerte bereits in den Schluchten, in welche Wiedenburg seinen Blick hinabsenkte. Kaschir-Aga hielt mit seiner Reiterschar ungefähr fünfhundert Schritte von der Burg entfernt. Die Hakkari-Kurden schienen in eifriger Beratung zu sein. Zuweilen schien Kaschir-Aga drohend die Hand nach der Burg auszustrecken. Wiedenburg bat den Armenier, dem Häuptling nochmals zu sagen, dass ein Trupp von Freunden in der Nähe sei, und ihn zu fragen, ob er diese aufnehmen wolle.
»Tanlik-Aga liebt die Türken nicht«, antwortete der Häuptling düster. »Aber wenn es Freunde seines Gastfreundes und ihrer nur wenige sind, so wird er sie aufnehmen.«
»Und wenn Kaschir-Aga sie mit seiner Überzahl angreift?« ließ Wiedenburg fragen.
Tanlik-Aga wechselte schnell einige Worte mit seinen Begleitern und dann mit dem Armenier. Wie dieser später dem jungen Deutschen sagte, ließ der Häuptling den Türken einige Boten entgegensenden, um sie durch das Dorf in die Burg zu führen, befahl auch einer Schar seiner Untergebenen, sich zu bewaffnen.
Inzwischen war ein junger Kurde auf die Plattform gekommen, vielleicht von fünfundzwanzig Jahren, schlank und stolz, aber von reinern und feinern Zügen als Kaschir-Aga.
»Grüß Euch Gott!« sagte er in fremdem Akzent, aber in deutscher Sprache zu Wiedenburg.
Überrascht gab ihm dieser den Gruß zurück und reichte ihm die Hand. Er erriet, dass er einen Sohn der Deutschen vor sich sehe, und vermutete, dass diese die Gattin Tanlik-Agas sei.
Bald darauf ertönte eine Glocke zum Abendgebet und erinnerte Wiedenburg, dass er unter Christen sei.
Einige Wächter blieben auf der Plattform des Turms zurück; die andern stiegen hinab auf den Hof zum gemeinsamen Gebet, das Tanlik-Aga sprach. So rau und den mohammedanischen ähnlich auch die Gebräuche waren, so nahmen die Männer doch ernsten und innigen Anteil an dem Gebet. Mr. Hywell und Mary befanden sich unter den Betenden, die letztere bleich und mit feuchten Augen. Sie betete noch lange und innig, als die Gruppe sich bereits zu trennen begann.
Jetzt – die Dämmerung war bereits eingetreten – öffnete sich das Tor und es sprengte ein Zug Reiter auf den Hof, voran George, der ältere Wiedenburg aus Sinope und Johnny. Ein Freudenruf hallte von beiden Seiten wider. Die Reiter sprangen von ihren Pferden.
George warf sich seinem Pflegevater in die Arme und küsste dann Mary inbrünstig und wiederholt die Hand.
Die junge Engländerin empfing ihn wie einen Bruder, und Wiedenburg bemerkte wohl, mit welcher Glut die Blicke Georges auf Mary ruhten. Nun, er fühlte keine Eifersucht. Er hatte sich·ja längst über seine Gefühle für Mary und seine Stellung zu ihr Rechenschaft gegeben!
Wenn hier Mary einen Mann fand, den sie liebte und der vielleicht ein älteres Anrecht auf sie hatte, so sollte nie und nimmer auch nur das Zucken einer Wimper verraten, dass er mehr für sie fühlte als aufrichtige Freundschaft.
Und wie herzlich begrüßten sich Johnny und Mary! Wie drückte sie mit Freudentränen im Auge die große raue Hand Johnnys und hielt sie lange in der ihrigen!
Diese Begrüßungen hätten lange gedauert und die Fragen würden nicht geendet haben, hätte sich nicht Edmund Wiedenburg erinnert, dass es nicht wohlgetan sei, die Gewohnheiten der Orientalen zu vernachlässigen, die jetzt ihre einfache Abendmahlzeit einnehmen wollten. Alle begaben sich in die große Speisehalle, wo ein außergewöhnliches Mahl, Lammbraten und persischer Wein, ihrer harrte.
Aber Johnny wollte sich damit nicht begnügen. Er verschwand und kehrte mit einigen riesigen Flaschen eines schönen griechischen Weins, die der ältere Wiedenburg gekauft, zurück. Edmund jedoch, der die leichte Reizbarkeit der Orientalen in allem, was Gastfreundschaft betrifft, kannte, fürchtete, dass Tanlik-Aga sich verletzt fühlen werde, wenn man einen andern Wein als den seinigen trinke, und sagte Johnny, er müsse die Flaschen dem Häuptling als Geschenk anbieten. Tanlik-Aga nahm sie ruhig und würdevoll an, und da die Nestorianer als Christen den Wein nicht meiden, im Gegenteil indem Rufe starker Zecher stehen, so ließ der Häuptling die Flaschen öffnen und sprach dem Wein wacker zu, seine Gäste oft zum Trinken ermunternd. Dann ließ er durch den Armenier die Fremden benachrichtigen, welche Zimmer ihnen angewiesen seien, und entfernte sich, vielleicht um in der Einsamkeit sein stummes Gespräch mit der Flasche fortzusetzen.
Nun waren die Zungen frei. Was wurde gefragt und erzählt! Wenn man an Kaschir-Aga zurückdachte, geschah es, wie man des Meeres gedenkt, das gierig an die Ufer schlägt, die der Gerettete erreicht hat. George und der ältere Wiedenburg berichteten, dass sie auf eigene Hand, nur begleitet von wenigen Türken, denen sie reichliche Belohnung versprochen, sich auf den Weg gemacht hätten, da sie nicht imstande gewesen, ihre Ungeduld so lange zu zügeln, bis man ihnen ein starkes Truppencorps zur Verfügung gestellt, was übrigens wahrscheinlich nie geschehen wäre. Von der letzten Gefahr, in welcher sich die Flüchtlinge unmittelbar vor der Burg befunden, wussten sie nur durch Tom. Sie selbst hatten Kaschir-Aga auf dem Wege, den der ihnen entgegengesandte Bote Tanlik-Agas sie geführt, nicht gesehen.
An alle diese Fragen und Antworten schloss sich die Beratung, was nun zu tun sei. Dass irgendeine größere Truppenmacht ihnen von den Türken zu Hilfe gesendet werden würde, bezweifelte der alte Wiedenburg. Sich mit der kleinen Schar, die den Europäern zur Verfügung stand, weiter zu wagen, wenn auch nur bis Wan, schien bei der Übermacht Kaschir-Agas, der die Verfolgung gewiss noch nicht aufgab, bedenklich. So blieb kaum ein anderer Ausweg, als sich an Tanlik-Aga zu wenden und ihn zu bitten, die Reisenden mit einer genügend starken Bedeckung als Sicherheitswache bis in die zivilisierten Gegenden zu begleiten. Man hoffte, ihn durch Bitten und Geschenke, vielleicht auch durch die Fürsprache seiner deutschen Gattin zu gewinnen.
Diese Deutsche hätte Wiedenburg gern gesprochen.
Man war allgemein erstaunt, als man vernahm, welchem Zufall die Fliehenden ihre Aufnahme in die Burg und die Teilnahme Tanlik-Agas zu danken hätten. Sie selbst war nicht bei der Abendmahlzeit zugegen gewesen. Aber als die Reisenden sich trennten, um die Räumlichkeiten aufzusuchen, die ihnen angewiesen worden, erschien der junge Kurde und sagte mit einem Lächeln der Genugtuung über seine Kenntnis einer fremden Sprache zu Edmund Wiedenburg:
»Mutter will Dich sprechen, Fremder! Ich Dich führen!«
Wiedenburg folgte sogleich. Der junge Mann führte ihn durch eine Reihe sehr einfacher Zimmer bis in ein entlegenes Gemach, das Frauengemach, den Harem des Orients. Der junge Deutsche erhaschte noch flüchtig die Gesichter einiger jungen Mädchen, die hinter einem Vorhang verschwanden, vielleicht Töchter der Gattin Tanlik-Agas. Dann bemerkte er die Deutsche, die ihm entgegentrat.
»Ich wollte Euch gern noch sprechen«, sagte die Frau, »denn ich kann nicht wissen, ob Ihr morgen noch bei uns seid. Ich habe meinem Mann gesagt, dass ich Euch rufen lassen würde, um zu erfahren, was Ihr erlebt, und vielleicht auch zu hören, wie es in meinem Vaterlande geht. Er will zwar nicht, dass ich mich vergangener Zeiten erinnern soll, aber jetzt wohne ich so lange bei ihm, dass er mir nicht mehr misstraut.«
»So seid Ihr die Gattin Tanlik-Agas?« fragte Edmund.
»Ja, und seit vielen Jahren«, antwortete die Frau.
»Doch setzt Euch. Wir schreiben jetzt das Jahr 1854?«
»Jawohl!« antwortete Wiedenburg, »Januar des Jahres 1854. Ich bin Euch zu vielem Danke verpflichtet, werte Frau. Ohne Euch wären wir dem Feinde kaum entgangen, und ich glaubte zu träumen, als ich eine deutsche Stimme hörte. Verzeiht, dass ich Euch die strengen Worte hinaufrief; ich war in Verzweiflung, und glücklicherweise rief ich sie deutsch.«
»Das war gut getan«, erwiderte die Frau. »Man wird hier hart, und wer konnte wissen, ob die Verfolgung und Eure Flucht nicht eine Kriegslist waren, um in unsere Burg einzudringen? Bei Eurem deutschen Worte schwanden meine Zweifel. Nun, es ist eine seltsame Geschichte, dass ich hier bin. Wollt Ihr sie·hören?«
Sie sprach sehr langsam und musste sich oft auf ein Wort, das ihr fehlte, besinnen. Ihre Sprache hatte einen eigentümlichen Akzent angenommen; doch glaubte Wiedenburg zu hören, dass sie in Süddeutschland geboren sei. Er antwortete, dass es ihm von großem Interesse sein werde, zu vernehmen, was sie hierher geführt.
»Ihr werdet Euch dessen nicht erinnern, denn Ihr seid zu jung, aber Ihr werdet vielleicht davon gehört haben, dass der Kaiser Nikolaus von Russland deutsche Familien einlud, sich in den Ländern am Kaukasus anzubauen«, begann die Frau. »Auch aus Württemberg zogen viele dahin, unter ihnen meine Eltern, die einer von den frommen Religionssekten angehörten, denen man dort im Lande von oben herab nicht wohl wollte. Das geschah in den ersten zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts, ist also jetzt ungefähr dreißig Jahre her. Ich war damals ein ganz junges Mädchen; mein Bräutigam folgte mir und meinen Eltern nach dem Lande, das sie Georgien nannten. Die Familien aus Schwaben kannten sich und bauten eigene Dörfer. Soviel ich davon hörte, sollten die Leute im Lande von uns lernen, wie man den Acker bauen muss. Es ging auch ganz gut. Mein Bräutigam errichtete sich eine eigene Wohnung, und ich heiratete ihn bald darauf. Unser Dorf hieß Katharinenfeld. Ich war jedoch nur einige Monate verheiratet, als mein Mann sich bei der Arbeit erhitzte, aus einer kalten Quelle trank und an den Folgen starb. Ich bin jetzt eine alte Frau und vielerlei ist mir durch den Kopf gegangen, aber ich weiß noch wie heute, was ich fühlte, als ich ihn tot sah, denn ich hatte ihn sehr lieb gehabt und er hatte meinetwegen seine Eltern und einen reichen Bauernhof, den er erben sollte, verlassen. Lange war ich untröstlich; endlich erlangte ich mit Gottes Hilfe einige Ruhe und zog zu meinen Eltern, fest entschlossen, keinen Mann wieder zu nehmen. Da weckte uns eines Morgens um Tagesanbruch furchtbares Geschrei. Eine Schar Kurden hatte Katharinenfeld überfallen – es war im Jahre 1826 – und sie schleppten mit fort, was sie fanden, Menschen und Vieh. Ich war halb angekleidet auf den Hof gerannt, um, wie mir mein Vater gesagt, das Vieh aus dem Stall zu lassen und in den nahen Wald zu treiben. Da sah mich einer von den Reitern; es war ein Anführer, und er rief mehrmals einige Worte, die sich meinem Gedächtnisse einprägten und deren Sinn ich später erfuhr, er rief: ›Dich will ich haben und nichts anderes!‹ Damit ergriff er mich bei meinem Kleid und wollte mich zu sich aufs Pferd ziehen. Ich war ein starkes Weib, wenn mich auch der Kummer um den Verstorbenen matt und lebensüberdrüssig gemacht hatte, und ich wehrte mich wacker. Aber er überwältigte mich, band mir die Hände mit einem Schal zusammen und hob mich auf das Pferd. Die Plünderung währte nur kurze Zeit. Bald nach Sonnenaufgang versammelten sich die Räuber und trieben das Vieh vor sich her, gen Mittag. Ich sah, dass noch einige Mädchen und Frauen geraubt waren, habe aber später nie wieder etwas von ihnen gehört und gesehen, denn der Trupp teilte sich; und ich war nun bei denen, die mich mit sich führten, die einzige Deutsche. Euch schildern, Herr, was damals in mir vorging, will ich nicht. Ich hielt mein Schicksal für schlimmer, als es wahrscheinlich, wie ich jetzt die Verhältnisse kenne, geworden wäre; denn wenn die Männer dieser Gebirge ihre Frauen auch nicht so wert halten, wie man es in meiner Heimat tut, so begehen sie doch auch selten die Rohheiten und Schandtaten gegen fremde Frauen, deren sich die Männer unseres Landes im Kriege schuldig machen. Ich lernte das allmählich begreifen, als mich der Anführer der Kurden mit einer gewissen Sorgfalt behandelte, mir farbige türkische Stoffe gab, mich darein zu kleiden, und mir durch Gebärden verkündete, dass er mich achten und ehren wolle. Mein Los schien mir freilich deshalb nicht erträglicher, und ich wünschte mir hundertmal den Tod. Wir ritten lange, denn es ist ein weiter Weg von diesen Bergen hier bis nach Georgien, und von diesen Bergen waren die Räuber gekommen. Wie ich später erfuhr, hatte man ihnen übertriebene Schilderungen von dem Reichtum gemacht, der in den Dörfern der fränkischen Bauern herrsche, und dies hatte die Beutelust der Kurden angereizt. Sie schliefen des Nachts unter freiem Himmel; nur für mich errichtete man aus Decken, die über in den Boden gesteckte Stangen gebreitet wurden, eine Art Zelt. Keiner nahte sich mir unehrerbietig, im Gegenteil, man schien bemüht, alles zu tun, was mir, wie sie glaubten, gefallen könne. Wie ich vermute, war es die Absicht des jungen Hakkari-Kurden, mich zu seiner Gattin zu machen. Aber es kam anders, als er geglaubt. Die Männer dieser Berge und namentlich die Christen und Mohammedaner liegen miteinander in fortwährendem Streit. Ich kann nicht sagen, ob es allein Raublust ist, die sie gegeneinander treibt; es liegt auch etwas in ihrem Naturell, was ihnen eine Fehde, einen Beutezug von Zeit zu Zeit unentbehrlich macht. Die Kurden, welche Katharinenfeld überfielen, waren arg verfeindet mit den Nestorianern, die in dieser Gegend wohnen, und als die letztern hörten, dass jene mit reicher Beute von einem Zuge zurückkehrten, rotteten sie sich zusammen und griffen die Hakkari-Kurden an. Es wurde einen halben Tag blutig gekämpft, zuletzt aber blieben die Christen Sieger. Der Kurde, der mich geraubt, fiel im Kampfe, und ich wurde die Gefangene der Christen. Dass dies Christen seien, erfuhr ich bald. Tanlik-Aga, damals ein junger Mann, ungefähr von dem Alter meines ältesten Sohnes, der Euch zu mir geführt, war bereits Häuptling seines Stammes. Er kam auf mich zu, und als er das silberne Kreuzchen erblickte, das ich Tag und Nacht um den Hals trug, zeigte er mir ein ähnliches Kreuz, wiederholte mehrmals das Wort Nazarener und schlug das Zeichen des Kreuzes. Ich erriet, dass er ein Christ sei, und das beruhigte mich ein wenig. Darauf wurde ich nach der Burg geführt und ebenso ehrerbietig wie früher behandelt. Tanlik-Aga war damals der einzige seiner Familie und noch nicht verheiratet. Ich erfuhr dies und vieles andere, was ich Euch erzählte, erst später, als ich die Sprache dieser Männer allmählich verstehen lernte. Er ließ viele Dolmetscher kommen, um sich mir verständlich zu machen, aber keiner verstand meine Sprache. Ich erriet jedoch dadurch, dass er mir oft die Frauen anderer Männer zeigte und auf mich und sich deutete, dass er mich zur Frau begehre, und ich ergab mich allmählich in mein Schicksal. Was blieb mir auch übrig? Zu den Meinigen konnte ich nimmer zurückkehren, und einen Mann wie den, den ich verloren, fand ich doch nie wieder. Tanlik-Aga war ein Christ und, wenn ich ihn mit den meisten andern verglich, ein Mann von sanfterem Charakter; so nannte ich denn eines Tages das Wort Priester, das ich schon oft gehört und dessen Bedeutung ich verstanden hatte. Er schien hocherfreut, bereitete alles zu einer glänzenden Hochzeit vor, und einige Wochen später zogen wir in großem Zuge nach seinem Orte, in welchem ein Bischof wohnte, der uns zusammengab. Das ist die Geschichte, Herr, wie ich hierhergekommen. Wollt Ihr mich fragen, ob ich hier glücklich lebe, so kann ich Euch kaum antworten. Ich weiß nicht, wie es mir ergangen sein würde, wenn ich in Katharinenfeld geblieben wäre; ich glaube, ich hätte auch dort ein einsames und trauriges Dasein geführt. Etwas heimisch und zufrieden fühlte ich mich erst in diesem Hause, als mir Gott den ersten Sohn schenkte, den ich an meinem Herzen großziehen und den ich manches von meiner Sprache und meinen Sitten lehren konnte. Allmählich fand ich mich auch in das Leben, wie es hier die Frauen führen. Es ist nicht ganz so trübe, wie man es vielleicht anderswo glaubt. Eine arme Bäuerin wie ich ist ja an Einsamkeit und Wirtschaftlichkeit gewöhnt. Später schenkte mir der Himmel noch zwei Söhne und zwei Töchter, und als ich erst der Sprache mächtig war, verständigte ich mich auch mit meinem Gatten und gewann Einfluss auf ihn, wie ich hoffe, einen guten. Im Ganzen ist mein Leben hier ruhig dahingeflossen, mit Ausnahme jener schrecklichen Zeit, in welcher die mohammedanischen Kurden sich zusammentaten, die Nestorianer zu vernichten. Zwischen dem Geschlechte Tanlik-Agas und dem Geschlechte Kaschir-Agas hatte stets Feindschaft gewaltet; jener Kurde, der mich raubte und im Kampf fiel, war ein Verwandter Tamir-Agas gewesen. So überfielen denn die Hakkari in jener Zeit – es sind jetzt ungefähr zwanzig Jahre her – auch unsere Burg, als Tanlik-Aga abwesend war. Es gelang ihnen, die Mauer zu ersteigen, und bereits führte man mich und meine drei Knaben in die Gefangenschaft, als Tanlik-Aga die Hakkari erreichte. Als sie sahen, dass sie weichen mussten, wollten sie mich und meine Kinder töten. Aber ich rettete mein eigenes und das Leben meines Ältesten; die beiden andern Knaben, von denen der eine noch ein Säugling war, sah ich mir aus den Armen reißen und unter dem Dolch der Hakkari sterben. Ach, es ist ein wildes Geschlecht!«