Kitabı oku: «Der Held von Garika», sayfa 9
Zweiter Teil
I. Das Rendezvous
Es war Mai geworden und die herrliche Landschaft am Karassu prangte im üppigsten Grün des Sommers; die Sonne schwellte bereits die grünen Trauben der Reben; ein Meer von heißem Duft ruhte auf den leuchtenden Blumen und Blüten, und wer diese duft- und gluterfüllte Lust atmete, fühlte, auch ohne den Blick auf die fernen weißen Spitzen des Kaukasus zu richten, dass er sich südlich von dieser gigantischen Mauer befand, welche die Natur zwischen Europa und Asien aufgerichtet; er fühlte, dass eine Region ihn umgab, in welcher die Sonne das Blut heißer und die Muskeln träger macht.
Es war Nachmittag, und Sophia Brazow saß in jener von der Natur gebildeten Laube, in welcher Paul Ombrazowitsch damals vor ihren und Daniels Augen jenes Schauspiel mit der Schlange aufgeführt Sie war allein; ihr Hut lag auf ihrem Schoße, und unter dem Hut hatten sich ihre Hände übereinandergelegt. Ihre Stellung und der Ausdruck ihres Gesichts verkündeten, dass sie in Betrachtungen versunken war.
Wer kennt die Seele eines solchen Weibes und mag schildern, was in ihr vorgeht? Wir vermögen vielleicht zu erraten, von welchen Gefühlen und Gedanken ein reines, unschuldiges Mädchenherz bewegt wird, denn es ist uns ja vergönnt, auch Gott zu ahnen, der sich in einem solchen frommen Herzen widerspiegelt; wir vermögen vielleicht, wenn auch schwerer, zu enträtseln, wo von das Innere einer tief Gesunkenen erfüllt ist, denn aus der Ahnung des Guten erraten wir vielleicht auch den Gegensatz, das Laster. Aber wer vermag einzudringen in das Herz eines jener Wesen, die, wie Sophia Brazow, zu den Rätseln der Natur gehören, jener Wesen, die bewegt und hingerissen werden von dem Wind des Augenblicks, die ihre Entschlüsse in Minuten wechseln, deren Herrin die Laune ist und die selbst nicht wissen, was sie wollen, weil ihnen jene geheime göttliche Richtschnur fehlt, die kein Verstand ersetzen kann, die Tiefe des Gemüts?
Sophia war das echte Musterbild jener weiblichen Wesen, wie man sie oft in Russland und auch in Frankreich findet, wo eine oberflächliche Erziehung, ein frivoler Umgangston und leichte Literatur allmählich den angeborenen Seelenadel verwischen, das natürliche Sittlichkeitsgefühl schwächen und an die Stelle wahrer, aufrichtiger und starker Empfindung jene Gefallsucht sehen, die sich begnügt, mit äußerer Liebenswürdigkeit und glänzendem Witz die Männer zu täuschen und anzulocken, die nichts als erobern und das Eroberte eine Zeit lang genießen will und dann nach neuen Siegen hinausflattert. Auch in diesen Frauen ruht der göttliche Urgrund der weiblichen Natur. Aber er ist überwuchert von jenen glänzenden Schlingpflanzen der gesellschaftlichen Koketterie; die Schmarotzergewächse ersticken den ursprünglichen Stamm. Es würde eines ganzen und echten Mannes und seiner festen Liebe bedürfen, um den trügerischen, gleißnerischen Schmuck der angelernten Erziehung herab zu reißen und ein solches Weib zurückzuführen auf ihre wahre, ursprüngliche Reinheit.
Aber wohl selten fesselt die Kokette einen Mann, der eine solche Herkulesarbeit beginnen und die Geliebte sich selbst zurückgeben möchte. Den Mann von echtem Gemüt und starker Empfindung führt sein sicherer Blick gewöhnlich glücklich vorüber an jenen glänzenden Halbheiten, und naht er sich ihnen, so wendet er sich bald ab und sucht ein reines Herz, denn wer kann wissen, ob das Gemüt der Kokette nicht bis in die Wurzel hinein vergiftet; ob eine Heilung noch möglich ist?
In Sophias Umgebung befand sich kein solcher Herkules. Suchte sie ihn? Zuweilen ja, aber nur ahnend, denn sie wusste ja selbst nicht, was sie von den Bessern ihres Geschlechts unterschied, von denen sie nur wenige kennengelernt. Zuweilen dämmerte ihr eine Ahnung auf, dass weder Paul noch Daniel die wahren Männer seien, deren ihr Herz bedürfe. Aber sie war zu wenig daran gewöhnt, in die Tiefen des Gefühls und Gedankens hinabzusteigen, um den wahren Grund zu finden, weshalb weder Paul noch Daniel ihr genügten.
Sie schalt sich dann selbst eine Närrin, die in Petersburg verwöhnt worden sei. Und darin hatte sie nach ihrer Art Recht. Sie war dort von Offizieren und Herren des Hofs umschwärmt und gefeiert worden wegen ihres Witzes, ihrer leichten Plaudereien, ihrer vertraulichen Art, sich zu bewegen; umschwärmt und gefeiert, weiter nichts, denn von einer Heirat, einer ernsten Verbindung hatte niemand gesprochen; die Brazows waren nicht reich, sonst würde ja auch schon der Bruder nicht Nina Garika geheiratet haben, die freilich blendend schön, aber nichts weniger als geistreich und höchstens leidlich gutmütig war. So wog und wog sie hin und her. Daniel liebte sie, daran konnte sie nicht zweifeln. Aber ihn heiraten, den langweiligen Schwächling? Auch Paul Ombrazowitsch liebte sie, sie musste es wenigstens glauben. Aber für ihn, den armen Major, war selbst eine Gräfin Brazow mit ihrem nicht bedeutenden Vermögen noch eine glänzende Partie. War der Major aufrichtig? Sie konnte ihm nicht unbedingt trauen. Aber er war interessant, energisch, er verstand es, sie zu meistern, und das gefiel ihr. Er ließ zuweilen durchblicken, dass er des Schmachtens müde sei; er hatte davon gesprochen, sich versetzen zu lassen, und der Krieg bot Gelegenheit genug dazu.
Sophia fühlte, dass es ihr auf der Stelle weh tat, wo das Herz sitzt, wenn sie daran dachte, Paul Ombrazowitsch könne fortgehen, und sie war geneigt zu glauben, dass auch sie ihn liebe. Aber klar und bestimmt konnte sie es sich selber nicht sagen. Gab es doch Momente, in denen auch Daniel Garika ihr etwas entlockte, was der Sympathie ähnlich war.
Sie wusste, dass die Stunde herannahte, in der sie sich entscheiden musste, und das machte sie so nachdenklich. Langweiliges Dari, wo man solchen Grübeleien nicht dadurch entfliehen konnte, dass man auf einen Ball oder in eine Oper ging! Sie wusste, dass ihr Bruder vor kurzem einen Brief von Daniel Garika erhalten, und ahnte den Inhalt desselben. Auch geboten die Umstände entscheidendes Handeln. Ganz Georgien war in der größten Aufregung. Von Südwesten her näherten sich die türkischen Truppen. Von Norden her stieg Schamyl mit seinen Reitern die Berge herab; jeder Tag konnte den Krieg bis in die nächste Nähe von Dari und Garika tragen. Michael Brazow, Kommandeur einer Abteilung Milizen, übte seine Truppen; Daniel, der selbstständig eine Abteilung Milizen zu führen hatte, da sein Kommandeur erkrankt war, beschäftigte sich ebenfalls mit der Einübung seiner Schar.
Noch war von einer Gärung unter den einheimischen Truppen, von einem russenfeindlichen Geist nichts bemerkt werden, aber ein einziger bedeutender Sieg Schamyls im Norden oder der Türken im Süden konnte Imeretien, Mingrelien und einen Teil Georgiens zur offenen Empörung treiben. Die Zahl der rein russischen Truppen, und zu diesen gehörte die Dragonerschwadron des Majors, war nicht bedeutend. Genug, der sonst so ruhige Boden schien vulkanisch geworden zu sein; Gefahren, die man, längst für beseitigt gehalten, waren wieder nahe gerückt.
Jedermann wusste, dass die Franzosen und Engländer offene Verbündete der Türken geworden, und selbst unter den Eingeborenen war die Macht jener westlichen Staaten bekannt, und manche Hoffnung auf eine so gewaltige Hilfe mochte rege werden. Michael Brazow hatte seine Frau und Kinder und auch Sophia nach Tiflis schicken wollen, aber Nina war nicht zu bewegen gewesen, sich von ihrem Gatten zu trennen, und deshalb war auch Sophia geblieben. Im Übrigen konnte man sich nicht erinnern, dass die Tscherkessen und Tschetschenzen es gewagt hätten, bis zum Karassu vorzudringen und ihn zu überschreiten. Deshalb ließ sich hoffen, dass die Gegend von Garika auch diesmal von dem Lärm und den Gräueln des Kriegs verschont bleiben würde.
Ein leichtes Räuspern ließ Sophia aufblicken. In der Nähe des Eingangs zu der Rotunde, welche die Bäume mit ihren Schlingpflanzen bildeten, stand ein Mann in der Tracht der Landbewohner, den Sophia sogleich als einen Eingeborenen aus Kureli erkannte, dessen sich der Major zuweilen zu Sendungen bediente. Die Gräfin winkte ihn näher, und der Bote überreichte ihr ein kleines zierliches Billett. Sophia kannte die Landessprache genügend, um ihn zu fragen, ob er sie bereits im Schlosse gesucht habe. Der Bote antwortete, er sei dort gewesen, um dem Grafen ein größeres Schreiben des Majors zu überbringen, und habe erfahren, dass die Comtesse sich im Park befinde.
Sophia öffnete das Billett. Es war nicht das erste geheime, das sie von dem Major empfing. Sie konnte diese kleinen Intrigen nicht entbehren, doch hütete sie sich, darin weiter zu gehen, als sie für gut hielt, und sie gestattete dem Major keine größern Rechte, wenn sie auch zuweilen ein heimliches Billett von ihm annahm, in welchem er einen zärtlichen, aber diskreten Seufzer aussprach und vielleicht andeutete, dass er an diesem oder jenem Tage nach Dari kommen werde und sie zu finden hoffe. Das Billett, das sie heute empfing enthielt mehr.
»Teure Comtesse«, schrieb der Major, «mit diesen Zeilen zugleich erhält Ihr Bruder die Nachricht, dass wir den Feind zu erwarten haben. Ich weiß nicht, wie lange ich noch in Kureli bleibe, vielleicht kaum noch vierundzwanzig Stunden. Ich komme heute nach Dari hinüber; ich muss es, denn es ist durchaus notwendig, dass ich Sie spreche, und zwar allein. Zürnen Sie mir nicht, aber es muss sein, und ich überlasse es Ihnen selbst, mir die Gelegenheit anzudeuten, sobald wir uns gesehen haben werden. Die gefährliche Lage, in der wir alle uns befinden, wird mich bei Ihrem Bruder entschuldigen, wenn ich erst spät am Abend nach Dari komme; umso leichter wird es sein, hoffe ich, zehn Minuten mit Ihnen allein zu sprechen. Überlegen Sie, wie sich das tun lässt, und bedenken Sie, dass ich einen so großen Wunsch nicht aussprechen würde, wenn ich diese Unterredung nicht für durchaus notwendig hielte, mehr in Ihrem als in meinem Interesse. Ich halte die Terrasse für den geeignetsten Ort und werde zu jeder Zeit, die Sie bestimmen, dort sein. Geben Sie mir Ihre Mitteilung schriftlich, falls es etwa nicht möglich wäre, dass wir uns allein sprechen könnten. In Tod und Leben der Ihrige! Paul O.«
Es war ein Ausdruck des Erstaunens, gemischt mit Unwillen, der sich in den Zügen Sophias zeigte, als sie das Billett las. Diese Forderung trat zu keck, zu entschieden an sie heran, als dass sich ihr weiblicher Stolz oder richtiger vielleicht ihr weiblicher Widerspruchsgeist nicht hätte regen sollen. Der Major verlangte eine geheime, wahrscheinlich nächtliche Unterredung. Das war anmaßend, aber es war auch kühn, und schon nach wenigen Minuten Überlegung verzieh ihm Sophia um seiner Kühnheit willen. Was sie am Manne vor allem liebte, war Energie, und der Major zeigte sie, ähnlich wie Daniel Garika sie damals gezeigt hatte, als er Rechenschaft und eine bestimmte Antwort von ihr forderte, damals, als eine Ahnung in ihr aufgedämmert war, dass in diesem Nachkömmling von Königen nicht alle Tatkraft erstorben sei. Der Major forderte; gut, es lag in Sophias Hand, zu gewähren oder zurückzuweisen.
Sie wollte den Besuch Pauls erwarten und dann einen Beschluss fassen. Dass ihr der Major wirklich Mitteilungen von Bedeutung zu machen habe, daran konnte sie kaum zweifeln. Sie wusste, dass er die Intrige liebte, und dass er nicht gezögert haben würde, irgendeinen Vorwand zu erfinden, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Aber so wie die Verhältnisse jetzt lagen, musste sie annehmen, dass er die Wahrheit spreche.
Schon überlegte sie, fast ohne sich dessen bewusst zu werden, welcher Ort am geeignetsten für eine geheime Unterredung sei, als ein Diener ihres Bruders erschien und sie bat, zu dem Grafen zu kommen, der sie in seinem Zimmer erwarte. Sie glaubte, dass diese Aufforderung mit den Nachrichten in Zusammenhang stehe, die Michael Brazow wahrscheinlich von dem Major erhalten, und kehrte durch den Park nach dem Schlosse zurück. In dem Augenblicke jedoch, in welchem sie das Schloss betrat, hörte sie den Hufschlag eines Pferdes. das den Hof verließ. Sie trat an ein Fenster und fragte einen Diener, wer soeben fortgeritten. Die Antwort lautete: »Prinz Daniel.«
»So war Daniel hier, ohne den Versuch gemacht zu haben, mich zu sprechen?« fragte sie sich mit Befremden. Er ließ doch sonst, wenn er auch in der letzten Zeit scheuer und zurückhaltender geworden, keine Gelegenheit vorübergehen, in ihrer Nähe zu sein. Sollte die Aufforderung ihres Bruders mit dem Besuche Daniels zusammenhängen? Langsamer, aber mit gesteigerter Erwartung ging sie nach dem Zimmer ihres Bruders.
Michael Brazow, der vor seinem Schreibtisch sitzend seine Schwester empfing, war einer jener Männer, die man in der Gesellschaft als vortreffliche Menschen bezeichnet, weil sie niemand hindern, durch nichts auffallen, durch nichts Eifersucht erregen. Von schöner Gestalt, regelmäßigem Antlitz, im besten Mannesalter, erschien er schon auf den ersten Blick als einer jener Soldaten oder Gutsbesitzer, die nicht überreich mit Geistesgaben gesegnet sind, aber durch ihre Gefälligkeit, ihren kordialen Umgangston, ihre oberflächliche Gutmütigkeit sich vortrefflich zu Gesellschaftern eignen und nirgendwo ein Spiel verderben. Er war, ehe er Nina geheiratet, Offizier gewesen und kommandierte, wie erwähnt, auch jetzt noch die Miliz der Landschaft, in welcher Dari lag. Ein gutes Glas Wein, eine echte Zigarre, ein harmloses Geplauder über das frühere Leben als Soldat und die sich immer gleichen Torheiten der Jugend waren das Höchste, was er zu ersehnen vermochte. Im Übrigen war er ein guter Ökonom, und Dari hob sich unter seiner Verwaltung von Jahr zu Jahr.
Er nahm seine Frau, wie sie war; es lag nicht in seiner Natur, große geistige Ansprüche zu machen, und da sie schön und jung war, so hätte er nicht gewusst, was etwa an ihr auszusetzen wäre. Gegen Sophia war er vorsichtig; er fürchtete ihren überlegenen Geist und ihren Spott und behandelte sie mit großer Zuvorkommenheit, vermied jedoch gern ihre Gesellschaft, in der er sich gedrückt fühlte. Er wusste, dass sie ihren eigenen Willen hatte, und mischte sich deshalb höchst selten in ihre Angelegenheiten. Genug, Michael Brazow war von erträglichem Mittelgut. In jenen Gegenden jedoch, in welchen Unwissenheit, gewalttätiger Sinn, Hinterlist und rohe Genusssucht noch so häufig unter der Aristokratie zu finden sind, hätte man ihm ohne Bedenken die Bezeichnung eines der bessern Glieder seines Standes geben müssen.
Der Graf hatte einige Briefe vor sich liegen, in denen er las, erhob sich aber sogleich, als Sophia ein trat, und höflich, wie·er stets gegen seine Schwester war, reichte er ihr einen Sessel und bat sie, ihm gegen über Platz zu nehmen. Seine Miene, für gewöhnlich sorglos und ohne einen bestimmten Ausdruck, zeigte eine gewisse Unruhe, ja selbst Verlegenheit. Er fragte, wie das Wetter sei, wie Sophia sich befinde, genug, er schien nicht zu wissen, was er beginnen sollte.
Sophia glaubte ihm zu Hilfe kommen zu müssen und fragte ruhig:
»Du hast mich rufen lassen, Michael; ich vermute, Du hast mir etwas Besonderes zu sagen!«
»Jawohl, Sophia. Zuerst, dass ich einen Brief von dem Major erhalten, in welchem er meldet, dass Schamyl, dieser unruhige Geist, sich gegen die Militärstraße gewendet hat und, wie es scheint, gegen Tiflis vorgehen will. Wir werden also in den nächsten Tagen Ordre zu erwarten haben, uns marschfertig zu halten. Munition ist, wie Du weißt, schon vor einigen Tagen in reichlichen Maße eingetroffen. Ich denke ernstlich daran, Dich, Nina und die Kinder nach Tiflis zu senden.«
»Ich denke, Michael, wir sind hier sicherer als dort«, antwortete dies Comtesse. »Ich glaube nicht, dass Schamyls Reiter sich bis zu uns vorwagen werden. Ich halte es für besser, wir bleiben hier, so lange wenigstens, als Du nicht Ordre erhältst, in eine andere Gegend zu marschieren.«
»Dann dürfte es zu spät sein«, sagte Michael. »Indessen, ich füge mich Eurem Wunsche. Ich halte es selbst für wahrscheinlich, dass die Tschetschenzen erst nach dem Falle von Tiflis bis hierher vordringen werden, und bis dahin hat es noch gute Wege. Es ist eine schlimme Zeit. Ein Bekannter schreibt mir aus Tiflis, dass man dort nicht ohne Besorgnis um den Ausgang des Kampfes sei, den der Zar in dem Glauben unternommen, die Türkei würde isoliert bleiben und ihm keinen Widerstand leisten können. Odessa ist bombardiert worden, die englische Flotte segelt auf Kronstadt. Wir wissen kaum noch, wohin wir unsere Truppen schicken sollen.«
»Das hat mir der Major vor einigen Tagen ausführlich auseinandergesetzt«, sagte Sophia gleichmütig.
»Jawohl, ja, er weiß das alles besser als ich«, erwiderte Michael Brazow. »Ich wollte nur andeuten, dass wir uns auch hier in einer schlimmen Lage befinden. Die Türken im Süden, Schamyl im Norden, die englische und französische Flotte an der Küste von Kolchis – es fehlt uns nur noch ein Aufstand im Lande selbst, und der Brei ist fertig.«
»Bah, wer denkt daran!« sagte Sophia sorglos. »Hier ist alles ruhig.«
»Du sagst das so!« rief der Bruder. »Im Allgemeinen ist das Volk ruhig. Aber die Türken schicken verkleidete Emissäre in das Land; man soll hier und da solche Burschen aufgegriffen haben. Fürs erste besorge ich nichts, aber wenn Schamyl Tiflis nimmt, und wenn etwa gar unsere Truppen im Süden eine Schlappe erleiden –«
»Ich muss gestehen, Deine Besorgnis setzt mich in Erstaunen!« unterbrach ihn Sophia. »Ich sehe wohl, die Männer verlieren leichter den Kopf, als ich dachte.«
»Mein Gott, Sophia. weil wir die Gefahr besser kennen als Ihr!« antwortete Michael lebhaft. »Und weil wir besser als Ihr wissen, was auf dem Spiele steht!«
»Nun, es mag sein!« erwiderte Sophia mit einem leichten Lächeln, das nicht ohne Beimischung von Spott war. »Aber ich vermute, Du hattest noch andere Gründe, mich rufen zu lassen. –«
»Ja, Sophia, allerdings. Es ist eine Angelegenheit von – Wichtigkeit, eine unangenehme Angelegenheit – ich weiß eigentlich nicht; wie Daniel dazu kommt, mich damit zu beauftragen. Er kennt Dich doch und weiß, dass Du Dir keine Vorschriften machen lässt!«
»Ich verstehe Dich nicht!« sagte Sophia aufmerksam. «Handelt es sich um Daniel Garika?«
»Nun ja«, antwortete Michael. »Er war heute hier, soeben, und sprach mit mir. Sophia«, fügte er dann hinzu, sich sammelnd, »ich habe ein ernstes Wort mit Dir zu sprechen.«
»Sprich nur, Michael, ich bin bereit zu hören«, sagte Sophia mit der größten Ruhe.
»Du weißt«, begann der Bruder, »dass Daniel Dich liebt. Wenigstens behauptet er, es Dir nicht nur auf alle Weise gezeigt, sondern auch in klaren Worten gesagt zu haben. Er fügt hinzu, dass er, wie es sich von selbst verstehe, um Deine Hand gebeten, dass Du ihn aber mit ausweichenden Worten hingehalten. Heute nun bat er mich, Dir zu sagen, dass er wünsche, eine bestimmte Erklärung von Dir zu erhalten.«
Michael sah seine Schwester fragend an; Sophia antwortete ihm durch einen gleichen Blick. Es entstand eine Pause.
»Ich fragte ihn, warum er sich nicht abermals an Dich selbst wende«, fuhr Michael dann fort, »aber er erwiderte mir, es sei besser, wenn ich mit Dir spräche, Du würdest vielleicht zu mir offener sein. Nun, Sophia, siehst Du, Nina und ich, wir wissen lange, dass Daniel Dich liebt, und wir glauben beide, dass Du eine gute Partie machen würdest, wenn Du ihn heiratetest. Er ist nicht ohne Vermögen, und seine Güter, wenn er erst Aufmerksamkeit darauf verwendet, werden ihm mehr als das Doppelte dessen eintragen, was mir die meinigen bringen. Er ist ein junger Mann, gewiss nicht hässlich, ohne Fehler im Charakter. Ich habe mich also eigentlich schon lange gewundert, weshalb Du Dich nicht entscheiden kannst, sein Anerbieten anzunehmen.«
»Lieber Bruder«, antwortete Sophia, »die Antwort ist sehr einfach: weil ich nicht weiß, ob ich ihn liebe, ja, weil mir zuweilen scheint, als ob ich ihn nicht liebe!«
»Die Liebe, ja, die Liebe spielt bei Euch Frauen doch eine Hauptrolle!« sagte Michael verlegen und fast seufzend. »Bedenke, dass es auch für Dich Zeit wird, Deine Zukunft zu ordnen. Du hast so viel, um allein leben zu können, aber es würde doch ein trauriges Leben sein. Überlege es Dir, Sophia. Daniel wird morgen wiederkommen, um meine oder eigentlich Deine Antwort zu erhalten. –«
»Morgen? Ist er nicht recht gescheit?« rief Sophia lachend. »So schnell soll ich mich entscheiden?«
»Ja, er drang darauf, mit einer Entschiedenheit und Bestimmtheit, die ich bis jetzt noch nie bei ihm wahrgenommen. Er schien sehr erregt und forderte eine Antwort, eine ganz bestimmte Antwort – Ja oder Nein! Du musst ihn entschuldigen mit der Lage, in der wir uns befinden. Man kann nicht wissen, was der nächste Tag bringt.«
»Eben deshalb sollte ich meinen, wäre es jetzt eine – sehr unpassende Zeit, auf eine derartige Antwort zu dringen«, sagte Sophia fast zürnend. »Ich begreife es, wenn ein Soldat seine Braut heiratet, ehe er in den Krieg zieht, aber ich begreife nicht, wie man eine Dame, von deren Gegenliebe man nicht fest überzeugt ist, gerade deshalb zur Erklärung zwingen will, weil man in den Krieg zieht und sie vielleicht nie wiedersieht. Gerade die jetzige Lage, Michael, zwingt mich, mit meiner Entscheidung zu zögern. Ich bin mir unklar über das, was ich für Daniel empfinde; ich glaube, dass es Zuneigung, aber ich zweifle, dass es Liebe ist. Ich mag mir also mein Wort nicht abdringen lassen. Ich ginge ohne Notwendigkeit eine Verpflichtung ein, deren Folgen ich noch gar nicht voraussehen kann. Gesetzt, der Krieg zöge sich in die Länge, so wäre ich während dieser ganzen Zeit meiner Freiheit beraubt, und das wäre traurig für mich, da ich ja, wie Du weißt, Daniel nicht schwärmerisch liebe. Wozu soll ich mich jetzt schon binden, da die Not mich nicht dazu drängt?«
»Was soll ich also Daniel antworten?« fragte Michael immer noch verlegen.
»Dasselbe, was ich ihm schon einmal gesagt habe«, erwiderte Sophia, »dass er nämlich warten möge.«
»Aber, liebe Schwester«, begann Michael nach einer Pause, »er wartet, wie er mir sagte, schon lange, schon so lange, als Du bei uns bist. Und er würde vielleicht recht gern noch einmal so lange warten, wenn er nur wüsste, dass am Ende sein Wunsch in Erfüllung ginge. Aber er meint, so wenigstens sagte er zu mir, Du hieltest ihn hin, weil Du ihn nicht liebtest, und weil Du, ehe Du ihn zurückwiesest, erst Gewissheit haben wolltest, ob ein anderer Dich liebe; mit einem Worte, Du wolltest ihn erst dann heiraten, wenn Du keinen andern fändest!«
»Wie, ist Daniel Garika so klug, an eine solche Möglichkeit zu denken?« fragte Sophia spöttisch. »Das hätte ich ihm kaum zugetraut. Nun, lieber Michael, ich denke, das sind meine eigenen Herzensangelegenheiten, in die sich Daniel Garika nicht zu mischen hat. Wenn ich seine Bewerbung annehme und ihm mein Jawort gebe, so kann er überzeugt sein, dass ich es aufrichtig tue. Bis dahin lasse ich ihn bitten, keine Vermutungen aufzustellen.«
»Er ist eifersüchtig auf den Major«, fuhr Michael fort. »Er sagt, er würde Dir verzeihen, wenn Du ihm einen andern vorzögest, aber er sei es müde, der Nebenbuhler eines Mannes zu sein, der Dir nichts zu bieten habe als seine Majorsgage und eine dunkle Abkunft!«
»Lieber ·Bruder«, erwiderte Sophia scharf, »aus diesen Worten höre ich den ganzen Hochmut Daniels; er vergisst, dass die Ehre, russischer Offizier zu sein, Rang und Vermögen aufwiegt. Du warst selbst Offizier, Du bist es noch und wirst mir beistimmen.«
»Nun ja«, sagte Michael aufrichtig, »Du hast Recht. Ein russischer Offizier ist jedem Fürsten ebenbürtig. Aber Daniel ist ja auch Offizier, und wenn ich Dir offen meine Ansicht sagen soll, so würde ich Daniel Garika lieber meinen Schwager nennen als den Major. Ich glaube, Daniel meint es aufrichtiger; Paul Ombrazowitsch verfolgt vielleicht eigennützige Absichten, indem er sich um Dich bewirbt.«
»Aus diesen Worten höre ich wieder Daniel sprechen«, entgegnete Sophia kalt und ruhig. »Nun, ich hoffe, lieber Bruder, mein Gatte wird Dir willkommen sein, mag ich ihn wählen, wo ich wolle. War das alles, was Du mir zu sagen hattest? Meine Antwort bleibt dieselbe: ich kann mich noch nicht entscheiden!«
Michael rückte ungeduldig mit seinem Stuhl. Es schien ihm entsetzlich sauer zu werden, weiter zu sprechen, aber sichtlich hatte er noch nicht alles gesagt.
»Du hast die Nacht zum Überlegen«, begann er nochmals. »Überdenke es reiflich. Ich glaube kaum, dass Dir in dieser Gegend eine bessere Partie geboten werden wird. Ich gebe gern zu, dass Du einen Mann verdienst, der Dir mehr zu bieten vermag, aber Du könntest ihn nur in Petersburg finden, und Dich dort längere Zeit aufzuhalten erlauben Dir Deine Vermögensverhältnisse nicht, selbst wenn auch ich Opfer bringen wollte. Außerdem würden politische Gründe Deine Verbindung mit Daniel höchst wünschenswert machen!«
»Politische Gründe?« fragte Sophia, und zum ersten Male zeigte ihr Gesicht eine ernste und besorgte Aufmerksamkeit. –
»Ja, liebe Schwester, das Wort ist heraus!« sagte Michael sichtlich erleichtert. »Ich wollte nicht gern davon sprechen, da ich hoffte, Du würdest in eine Verbindung mit Daniel willigen, auch ohne, dass ich zu jenen politischen Gründen meine Zuflucht nähme. Aber ich muss es nun wohl tun. Ich habe zwei Briefe aus Tiflis erhalten, den einen vor ungefähr vier Wochen, den andern gestern. In dem ersten fragte mich ein hochgestellter Offizier – ich darf Dir den Namen nicht nennen, da die Angelegenheit als eine vertrauliche behandelt werden soll – ich sage, in dem ersten fragte man an, weshalb die Verbindung zwischen Dir und Daniel Garika sich verzögere, da man doch wisse, dass er Dich liebe und dass Du ihm geneigt seiest.«
»Das schrieb man?« fragte Sophia hastig. »Ist das wahr?«
»Sophia, auf mein Wort!« erwiderte Michael. »Ich antwortete darauf, dass, soviel ich wisse, eine Erklärung zwischen Euch beiden nicht stattgefunden habe, dass ich für meinen Teil aber Eure Verbindung wünsche. In dem gestrigen Briefe, der in weit bestimmteren Ausdrücken abgefasst ist, spricht derselbe hochgestellte Offizier sein Erstaunen aus, dass immer noch nichts in dieser Angelegenheit erfolgt sei. Ich will Dir die betreffende kurze Stelle selbst vorlesen, Sophia!«
Und er zog einen Brief aus einem kleinen Fach des Schreibtisches, suchte und las:
»Die Angelegenheit ist von Wichtigkeit, mein lieber Graf. Der Krieg nimmt eine drohende Gestalt an, und es ist für uns von der größten Bedeutung, dass Se. Majestät auf die unbedingte Treue seiner Untertanen zählen kann. Bis jetzt ist Transkaukasien ruhig und wird es bleiben. Aber man muss auch das Seinige tun, um diese Ruhe zu erhalten. Daniel Garika repräsentiert ein Geschlecht, das einst mächtig war. Man muss alles vermeiden, was ihn reizen könnte. Die Verbindung mit einer Russin, die ihn vor Torheiten schützt, wird das sicherste Mittel sein, einen so jungen und möglicherweise ehrgeizigen Plänen noch zugänglichen Mann an uns zu fesseln. Also zögern Sie nicht, sich ein Verdienst um die Ruhe unserer Provinz zu erwerben, das Ihnen der Zar nicht vergessen wird. Ich glaube, die Angelegenheit liegt in Ihrer Hand, da ja, wie ich wiederhole, die jungen Leute einander geneigt sein sollen. Lassen Sie mir, angesichts der drohenden Lage, in der wir uns befinden, bald, recht bald die sichere Nachricht zukommen, dass Daniel Garika durch ein Band an uns gekettet ist, das so leicht nicht zerreißen kann, wenn seine zukünftige Gattin, an deren Treue gegen das Vaterland niemand zweifelt, ihren Einfluss und ihren bekannten Scharfsinn zu benutzen weiß.«
Sophia war leise aufgestanden und hinter den lesenden Bruder getreten.
»Das ist ja die Handschrift –«
»Still!« unterbrach Michael erschreckt die Sprecherin und warf den Brief wieder in das geheime Fach. »Mag es sein, wessen Handschrift es wolle, Du weißt jetzt, dass man sich mit Dir beschäftigt.«
Sophia war bleich geworden. Offenbar hatte sie einen solchen Einfluss nicht erwartet. Selbst Michael bemerkte die Verwirrung und Bestürzung, die sich deutlich in ihren Zügen ausprägte.
»Es tut mir leid, liebe Sophia«. sagte er brüderlich teilnehmend, »dass man Dir auf diese Weise einen – Teil der Freiheit Deines Entschlusses rauben will, aber ich kann nach meiner Weisung nicht anders handeln, als ich tue. Ich muss fürchten, dass man mir die Schuld zuschreibt, wenn diese Verbindung mit Daniel Garika nicht geschlossen wird. Im Übrigen, ich sagte es Dir schon vorher, sehe ich kein Unglück für Dich dabei. Du weißt, dass auch ich Nina aus politischen Rücksichten geheiratet, und ich habe mich nicht schlecht dabei befunden.«
»Glaubst Du, dass Daniel Garika vielleicht selbst eine solche Einmischung herbeigeführt?« fragte Sophia, und das leise Zittern ihrer Stimme verriet, dass sie heftig bewegt sei.
»Wo denkst Du hin?« rief Michael erstaunt. »Das liegt nicht in seinem Charakter. Nein, ich könnte mein Wort darauf geben, glaube ich, dass er mit dieser Einmischung nichts zu tun hat. Die Sache ist ganz einfach. Schon als ich im Januar in Tiflis war, sprach – nun, sprach jemand mit mir von Deiner bevorstehenden Verbindung mit Daniel, und ich antwortete, wie ich es auch aufrichtig glaubte, dass Deiner Verbindung mit Daniel nichts im Wege stehe. Mein Schwager selbst liebt die russische Regierung bis jetzt wohl noch zu wenig, um sie zu seinem Brautwerber zu machen!«
Er lachte gutmütig über seinen eigenen Einfall, stand auf und nahm nicht ohne Herzlichkeit Sophiens Hand.
»Überlege es Dir, liebe Schwester«, sagte er. »Es würde mir sehr leidtun, wenn Du Dir Zwang antun solltest. Aber bis jetzt habe ich in Deinem Verhältnis zu dem Major noch nichts bemerkt, was mich darauf schließen lassen könnte, dass Du ihn Daniel vorzögest. Ich bleibe dabei, Daniel ist eine bessere Partie für Dich. Und man betrachtet in Tiflis die Verhältnisse ganz richtig. Das haben mir Daniels Reden nicht erst seit heute gezeigt. Es geht etwas in ihm vor; es sind, wie es scheint, alte ehrgeizige Ideen in ihm aufgetaucht. Vielleicht hat man ihn gereizt. Er sprach von der Verachtung, mit welcher die Russen auf die Eingeborenen blickten, die doch ein edleres Geschlecht und die eigentlichen Herrscher seien; er betonte mehrmals, dass, wenn Du ihn zurückwiesest, ihn nichts an uns fesseln, nichts ihm Rücksichten auferlegen werde. Ich hatte Mühe, ruhig zu bleiben, denn es dämmerte auch in mir die Ahnung auf, dass er jung sei und dass er seinen Vater und seine Ahnen nicht vergessen. Er ist imstande, wenn Du Dich hartnäckig zeigst, eine traurige Torheit zu begehen, die ihn verderben, und mich, vergiss das nicht, arg kompromittieren würde. Sei vernünftig, liebe Schwester! Du hast ja selbst gesagt, Du seiest ihm nicht abgeneigt. Nimm seine Bewerbung an; dann kannst Du wenigstens überzeugt sein, dass Dein zukünftiger Gatte Dich liebt. Und wie wenige Frauen können das von ihren Gatten behaupten! Oder willst Du darauf schwören, der Major liebe Dich aufrichtiger? Du hast Zeit bis morgen früh. Und lehnst Du ab, liebe Schwester, dann nenne wenigstens um Deinet- und meinetwillen Gründe, die eine Ablehnung erklärlich und vernünftig machen!«