Kitabı oku: «Eroberungen», sayfa 4
Die Erzählungen über den Ablauf einer Vergewaltigung, über die Täter und die Opfer enthalten immer wiederkehrende Bilder und Formulierungen. Sharon Marcus verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des» rape scripts«, um zu unterstreichen, dass es vorherrschende linguistische Regeln gibt, nach denen über eine Vergewaltigung gesprochen wird – diese lassen beispielsweise keinen Zweifel daran, dass Männer» die Subjekte der Gewalt und die Anwender ihrer Mittel«, während Frauen» die Objekte der Gewalt und die Subjekte der Angst «sind.174 Mit Blick auf den Vernichtungskrieg in der Sowjetunion zählt offenbar die Vergewaltigung eines jungen Mädchens, das sexuell unerfahren war und gar nicht wusste, wie ihm geschah, zu diesen Skripten.175 Die Häufigkeit dieses Motivs lässt nicht unbedingt darauf schließen, dass es besonders oft zu sexuellen Gewalttaten gegen junge Mädchen kam. Sie deutet vielmehr darauf hin, dass diese Erzählung in der herrschenden Geschichtsdeutung autorisiert und damit im Unterschied zu anderen kommunikabel ist.176 Tatsächlich spielte die Figur des» kleinen Mädchens«, das den» vielen Faschisten «hilf- und schutzlos ausgeliefert war und vergewaltigt und getötet wurde, nach 1945 auch in sowjetischen Lehrbüchern eine wichtige Rolle.177
In zahlreichen Erzählungen wird die tatsächliche und symbolische Unschuld des reinen,»jungfräulichen «Mädchens noch dadurch betont, dass es seiner schützenden Familienstrukturen beraubt ist. Jelena Jefimowna Borodjanskaja-Knysch erinnert sich daran, wie eine Gruppe deutscher Männer eine junge Frau angriff, als sie mit anderen Jüdinnen und Juden in der Schlucht von Babi Jar178 (Ukraine) ankam:
Niemals werde ich die fünfzehnjährige Sara vergessen. Es fällt schwer, die Schönheit dieses Mädchens zu beschreiben. Die Mutter raufte sich die Haare und rief mit herzzerreißender Stimme:»Tötet uns gemeinsam«… Die Mutter erschlugen sie mit dem Gewehrkolben, mit dem Mädchen hatten sie es nicht eilig: Fünf oder sechs Deutsche zogen sie splitternackt aus, was weiter geschah – ich weiß es nicht, ich habe es nicht gesehen.179
Borodjanskaja-Knysch bricht ihre Schilderung mit der erzwungenen Nacktheit des Mädchens ab. Sie habe nicht gesehen, was danach passierte. Dies mag stimmen oder nicht. Bemerkenswert ist, dass viele Erzählungen zu sexueller Gewalt so abrupt abbrechen. Der eigentliche Akt bleibt unausgesprochen. In der Tat wird vergleichsweise oft eine bestimmte Situation en détail beschrieben, während die dann folgende Gewalttat ausgespart wird.180 Damit wird auf ein kollektives Imaginäres verwiesen, auf bestimmte Bilder vom Ablauf einer Vergewaltigung, die die Adressatinnen und Adressaten der Erzählung im Kopf haben. Die Vorstellung dessen, was passiert ist, bleibt deren Fantasie überlassen.
Borodjanskaja-Knyschs Formulierung» mit dem Mädchen hatten sie es nicht eilig «dient auch dem Zweck, den Grad an Perversion zu belegen, den die von Wehrmacht, SS und Polizei verübte Gewalt annehmen konnte. Sara Horowitz geht davon aus, dass Vergewaltigung in vielen Erzählungen über den Holocaust» eine treffende Metapher für drastische Folter «darstellt. Vergewaltigung repräsentiert eine extreme Form von Terror und Entwürdigung, die aber doch in den normalen Bezugsrahmen aller zeitgenössischen Gesellschaften gehört.181 Tatsächlich werden Vergewaltigungen oft eher als allgemeines Phänomen thematisiert, eingebettet in eine Aufzählung verschiedener Verbrechen. So schildert der Journalist Ruwim Issajewitsch Fraerman, bei der Einnahme Lembergs182 (Ukraine) Ende Juni 1941 durch die Deutschen sei es zu» Verwüstungen, Diebstahl, Mord und Vergewaltigungen «gekommen. In welchem Ausmaß die Deutschen einheimische Frauen vergewaltigten, wie dies vonstatten ging und wie darüber gesprochen wurde, bleibt unklar.183 Die gesellschaftliche Praxis, Vergewaltigung als etwas zu behandeln, worüber man spricht, ohne genauer zu sagen, wer der oder die Täter, wer das oder die Opfer und welcher Art die Gewalttaten waren, wehrt jedoch die Frage nach den Ursachen und Motiven ab.184
Kinder
Eine der Fragen, mit denen sich manche Frauen nach sexuellen Zusammentreffen mit deutschen Soldaten auseinandersetzen mussten, war die einer Schwangerschaft. Wie im Verlauf dieses Buches noch dargestellt wird, entschieden sich manche Frauen für einen Abbruch, andere bekamen das Kind. Im Allgemeinen bezeichnet man diese Nachkommen einer einheimischen Frau und eines Besatzungssoldaten als» Besatzungskinder«. Damit sind Kinder, die in einer Kriegs- oder Besatzungssituation bei einer Vergewaltigung gezeugt werden, ebenso gemeint wie Kinder, die aus romantischen Verhältnissen stammen. Es gab und gibt sie nach fast allen Kriegen und in vielen Ländern. Abhängig von der jeweiligen Perspektive auf die Kriegs- und Besatzungssituation werden sie auch» Befreiungs-«,»Kollateral-«,»Kriegs-«,»Soldaten-«oder» Kollaborationskinder «genannt.185
Im deutschen Sprachraum wird der Begriff Besatzungskinder heute vor allem für Kinder verwendet, die nach dem Ersten Weltkrieg während der sogenannten Rheinlandbesetzung (1918–1930)186 oder nach dem Zweiten Weltkrieg als Kinder von alliierten Soldaten gezeugt wurden.187 Im Duden aus dem Jahr 1999 heißt es unter dem Eintrag» Besatzungskind«:»Kind eines [farbigen] Besatzungsangehörigen u. einer einheimischen Frau«.188 Diese Definition ist insofern zutreffend, als sich die öffentliche Diskussion über die Bedeutung und die Rolle der Besatzungskinder (fast) immer um die äußerlich Erkennbaren, um die Kinder nichtweißer Hautfarbe, drehte.189 Sie wurden nicht nur als gesellschaftliche Schande wahrgenommen, sondern als» Mischlingskinder «darüber hinaus rassistischen Diskriminierungen und Ausgrenzungen unterworfen.190 Trotz dieser besonderen Position, in der sich Kinder schwarzer Väter befinden, werden in der Forschung sowie von Betroffenenverbänden aber auch jene Kinder als Besatzungskinder bezeichnet, deren Väter weiße Besatzungssoldaten waren.191
Heide Fehrenbach hat gezeigt, dass westdeutsche Kommentatoren in den 1950er Jahren das» Kinderproblem «der Nachkriegszeit als Ergebnis der» Fremdbesatzung «und deswegen nicht als deutsches, sondern als importiertes Problem betrachteten.192 Und auch in der deutschen Medienberichterstattung der vergangenen Jahre wurden in erster Linie die biologischen Erzeuger der Kinder für deren häufig schwieriges Leben verantwortlich gemacht.193 Oft werden die alliierten Soldaten dabei als herz- und rücksichtslose Angehörige der Siegermächte dargestellt, die Frauen geschwängert und dann keinen weiteren Gedanken an sie verschwendet hätten194 – eine Sichtweise, die sich nahtlos in die deutsche Selbstwahrnehmung als Opfer von Bombenkrieg und alliierter Besatzung einfügt.195
Während die Kinder alliierter Soldaten und deutscher Frauen mit solchen Schilderungen einen festen Platz in der deutschen Erinnerung an die Kriegs- und Nachkriegszeit einnehmen, werden die Kinder, die deutsche Männer zwischen 1939 und 1945 in Norwegen, Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Polen, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Rumänien, in Jugoslawien, Griechenland und Italien gezeugt haben, bis heute weitgehend verdrängt.196 Auf die Existenz dieser Kinder wurde die deutsche Öffentlichkeit erst im Frühjahr 2001 aufmerksam, als sieben Betroffene eine Entschädigungsklage vor dem Osloer Stadtgericht einreichten. Sie waren während der deutschen Besatzung in Norwegen zwischen 1940 und 1945 geboren worden; ihre Mütter sind Norwegerinnen, ihre Väter Deutsche. Während der Besatzung hatte das NS-Regime ihnen besondere Aufmerksamkeit gewidmet, denn als Träger» rassisch wertvollen Blutes «sollten sie zu» deutschen Vorposten im norwegischen Volk «werden.197 Nach dem Sieg über Deutschland folgte dieser besonderen Zuwendung eine entschiedene Ablehnung: Wegen ihrer Abstammung von Deutschen wurden die Kinder in der norwegischen Gesellschaft und sogar von staatlicher Seite diskriminiert. Sie wuchsen in Heimen, Pflegefamilien, bei ihren Müttern oder deren Verwandten auf, oft ohne Details ihrer Herkunft zu kennen. Ihre Erziehungsberechtigten schwiegen beharrlich, während Kinder, Lehrer, Nachbarn und oft auch ihre nächsten Angehörigen sie als» Deutschenbastarde «beschimpften. Die meisten fühlten sich minderwertig oder schämten sich, häufig ohne zu wissen, warum. Manche der Kinder wurden körperlich misshandelt. Im Extremfall wurden sie als» Geisteskranke «entmündigt und in geschlossenen Heimen untergebracht; an einigen führte man sogar medizinische Experimente durch.198
In Deutschland wurde zwar über den Osloer Prozess berichtet, allerdings kaum als» deutsches Thema«. Weitaus mehr beschäftigte sich die Presse mit den Stigmatisierungen und Ausgrenzungen, die die Betroffenen nach dem Krieg in ihren Geburtsländern erlebt haben. Dabei schwingt oft eine implizite Gleichsetzung zwischen den europäischen Nachkriegsgesellschaften und dem nationalsozialistischen Deutschland mit. Die Journalistin Ebba Drolshagen brachte deshalb den Begriff» Wehrmachtskinder «in die Diskussion ein.199 Mit diesem Terminus möchte sie deutlich machen, dass auch die deutschen Väter eine Verantwortung für das Schicksal ihrer in den Besatzungsgebieten gezeugten Kinder tragen. Dabei nimmt sie in Kauf, dass ihr Begriff historisch ungenau bleibt, denn nicht jeder Deutsche, der in den besetzten Gebieten ein Kind gezeugt hat, war Angehöriger der Wehrmacht, auch Männer aus SS und Polizei, den zivilen Besatzungsbehörden und privaten Betrieben waren darunter.200 Der historische Zusammenhang ist jedoch der Krieg der Wehrmacht in Europa, und so wird auch in der vorliegenden Untersuchung mitunter der Begriff Wehrmachtskinder verwendet. Gleichwohl bleibe ich aber auch bei dem Terminus Besatzungskinder, um das Augenmerk darauf zu lenken, dass sich hinter diesem Wort nicht nur die Kinder der» anderen «verbergen. Es gilt, aus deutscher Perspektive zu erforschen, wie mit diesen Kindern umgegangen wurde, während des Krieges wie in der Nachkriegszeit, im Privaten wie in öffentlichen Auseinandersetzungen sowie durch die deutschen Behörden.
In der vorliegenden Arbeit nehme ich dies in den Blick, indem ich die Diskussion der NS-Institutionen über diese Kinder dokumentiere. In den Archivbeständen zum RMbO und zum RKO finden sich, wie bereits erwähnt, zwei umfangreiche Akten zum Umgang mit den Kindern deutscher Männer und einheimischer Frauen in der Sowjetunion. Sie enthalten Briefwechsel, Notizen, Sitzungsprotokolle und Weisungen, die es uns erlauben, die Auseinandersetzung über die Bedeutung und das vermeintliche Potential der Kinder zeitlich wie inhaltlich nachzuvollziehen. Darüber hinaus nahm Himmler sich als Reichskommissar zur Festigung deutschen Volkstums (RKF) der Kinder an. Mithilfe der durch seinen Stab dokumentierten Aufzeichnungen, Reden und Briefwechsel lässt sich im Detail zeigen, wie die Kinder zu einem Topos der Politik gemacht wurden.
Die Frage, wie viele deutsch-sowjetische Kinder im Zuge des Krieges tatsächlich geboren worden sind, entzieht sich bis heute ebenso einer seriösen Antwort wie die nach dem Umfang, in dem Wehrmachts- und SS-Angehörige sexuelle Zusammentreffen suchten, oder die nach der Anzahl der Militärs, die daran beteiligt waren, die soldatischen Aktivitäten zu kontrollieren.201 Auch in den folgenden Kapiteln wird nicht der Anspruch erhoben, eine realistische quantitative Schätzung abzugeben. Vielmehr geht es darum, der vielschichtigen Verwobenheit von Geschlecht, Sexualität, Krieg und Gewalt während des Vernichtungskrieges auf den Grund zu gehen.
Private Fotografien von Wehrmachtssoldaten, Teil I
Auswahl und Recherche von Petra Bopp
Die von Soldaten fotografierten Szenen dokumentieren Selbst- und Fremdwahrnehmungen meist noch sehr junger Männer. Sie halten Alltagsverrichtungen wie das gegenseitige Schneiden der Haare, das Waschen am Brunnen oder im Fluss, das Entlausen der Kleidung, den Handel mit Einheimischen und das gemeinsame Zubereiten von Mahlzeiten fest.
1 Konvolut Gisbert Witte, Sowjetunion, in der Nähe von Moskau, 1941
2 Konvolut Gisbert Witte, Sowjetunion, in der Nähe von Moskau, 1941
3 Konvolut Herbert Achenbach, Ukraine, zwischen 1941 und 1943
4 Album Hans Mayer,»Unter der Dusche«, Ukraine, 1941/42
5 Album II Hans-Georg Schulz, Sowjetunion, 1942
6 Album III Walter Gerloff, Ukraine, 1941
7 Album Georg Möller,»Beim Lausen«, Ukraine, zwischen 1941 und 1944
Einigen Bildern ist zu entnehmen, dass die Alltagsaktivitäten der Soldaten in unmittelbarer Nähe zu den vor Ort lebenden Frauen stattfanden.
8 Konvolut Gisbert Witte, Sowjetunion, 1941
9 Tagebuch Jürgen W.,»In der Stellung entwickelt sich ein reger Tauschhandel: Kopftücher aus Zelwa gegen Gänse, Eier und Honig«, Sowjetunion, 1941
10 Konvolut Willi Rose,»Eierhandel. Vom Donez zum Don«, Ukraine, 1942
11 Album Georg Möller,»Flachs brechen«, Ukraine, 1941/42
12 Album anonym,»Eine Dorfschöne wird geneckt«, Asowsches Meer, Sowjetunion, 1942
13 Album anonym, Sowjetunion, ohne Jahr
14 Album Karl-Heinz Müller, Sowjetunion, ohne Jahr
15 Album anonym,»Badenixen«, Asowsches Meer, Sowjetunion, 1942
16 Konvolut Heinrich Hindersmann,»Sonntagnachmittag«, Sowjetunion, 1941
17 Album Dr. Karl Dieter Zoller,»Panjinkas beim Tanz«, Sowjetunion, 1942/43
II. Sexuelle Gewalt
Willi Peter Reese, Jahrgang 1921, wollte Schriftsteller werden. Als er zur Wehrmacht eingezogen wurde, legte er seine Erfahrungen als Soldat der Heeresgruppe Mitte in einem Kriegstagebuch nieder, das er später zu veröffentlichen gedachte. Reese kam bei den Rückzugsgefechten der Wehrmacht Ende Juni 1944 in Weißrussland um; sein Tagebuch erhielt zusammen mit Briefen und weiteren Aufzeichnungen seine Mutter. Aus diesem Material stellte der Stern-Journalist Stephan Schmitz knapp 60 Jahre nach Reeses Tod das Buch» Mir selber seltsam fremd «zusammen. In einer Passage beschreibt der junge Autor die Rast seiner Einheit während der Flucht vor der Roten Armee im September 1943 bei Gomel202 (Weißrussland):
Wir sangen bei Rotwein und Likören, Wodka und Rum, stürzten uns wie Todgeweihte in den Rausch, tranken und tanzten, sprachen von Wissenschaften und Erotik mit betrunkenen Stimmen, […] teilten uns Liebeskummer und Heimweh mit, lachten wieder und tranken weiter, jauchzten, tobten über die Geleise, tanzten in den Wagen und schossen in die Nacht hinein, ließen eine gefangene Russin Nackttänze aufführen und bestrichen ihre Brüste mit Stiefelfett, machten sie so betrunken wie wir selber waren und wurden erst nüchtern, als wir nach fünf Tagen Gomel erreichten.203
Zu dem Rausch, den Reese hier schildert, gehört wie selbstverständlich auch die sexuelle Erniedrigung der» gefangenen Russin«. Sie fügt sich nahtlos in die Darstellung des Saufgelages ein, mit dem die» Todgeweihten «dem Krieg, ihrer Angst, ihrer Verlorenheit und Heimatlosigkeit – Gefühlen, die Reese zuvor erwähnt – zu entkommen suchten. Thomas Kühne hat gezeigt, dass der gemeinsame Alkoholkonsum in den Wehrmachtseinheiten die Kameradschaft der Soldaten untereinander bekräftigte und neu erzeugte, wobei sexuelle Erlebnisse schnell zum Stoff für später immer wieder erzählte» Abenteuergeschichten «werden konnten.204 In der hier beschriebenen Situation stellte der sexuelle Gewaltakt – nach Gesprächen über» Erotik «und» Liebeskummer«, nach Lachen, Jauchzen und Tanzerei – den Höhepunkt der Ausgelassenheit dar. Reese erachtete es weder vor noch nach dieser Szene als notwendig, die Anwesenheit der Russin zu erläutern: Wann war sie gefangen genommen worden? Befand sie sich schon länger im Gefolge von Reeses Einheit? Und aus welchem Grund war sie ins Visier der Deutschen geraten? Durch diese Leerstelle wird die Frau in seiner Erzählung völlig auf ihre Rolle als Objekt des soldatischen Amüsements reduziert. Vermutlich empfanden die Männer ihre Erniedrigung nicht einmal als Akt sexueller Gewalt – ganz im Sinne der damals und auch heute noch verbreiteten Vorstellung, dass es sich bei sexueller Gewalt um» einen natürlichen, wenn auch forcierten Akt zwischen Mann und Frau [handele], der nicht wirklich verletzend sei, solange nicht extreme Gewalt angewendet werde«.205
Die Tatbestände sexueller Gewalt in den Beispielen, die der Volkskommissar für ausländische Angelegenheiten der UdSSR, Wjatscheslaw M. Molotow, auf der Grundlage von Augenzeugenberichten am 7. Januar 1942 veröffentlichte, waren nach diesem Verständnis sehr viel eindeutiger. Bei den Nürnberger Prozessen wurde der Bericht vier Jahre später als Beweisstück USSR 51 herangezogen:
In dem Dorf Semjonowskoje, im Bezirk Kalinin, fesselten und vergewaltigten die Deutschen die 25jährige Olga Tichonowa, die Frau eines Rotarmisten, Mutter von drei Kindern, die hochschwanger war. Nach der Vergewaltigung durchschnitten sie ihr den Hals, durchstachen ihre beiden Brüste und schnitten sie auf sadistische Art ab. […]
Die niederträchtigen Gewalttaten an Frauen und Mädchen erstreckten sich in den okkupierten Gebieten auf alle Orte. In dem ukrainischen Dorf Borodajewka, im Bezirk Dnjepropetrowsk, vergewaltigten die Faschisten alle Frauen und Mädchen. In dem Dorf Beresowka, im Bezirk Smolensk, vergewaltigten und verschleppten betrunkene deutsche Soldaten alle Frauen und Mädchen im Alter von 16 bis 30 Jahren.
In der Stadt Smolensk eröffnete das deutsche Kommando in einem der Hotels ein Offiziersbordell, in das Hunderte von Mädchen und Frauen geschleppt wurden. Sie wurden an den Armen und Haaren gezerrt und erbarmungslos über das Pflaster geschleift. […]
In der Stadt Lemberg wurden 32 Arbeiterinnen der Lemberger Konfektionsfabrik vergewaltigt und dann von den deutschen Sturmtruppen ermordet. Die betrunkenen deutschen Soldaten schleppten die Lemberger Mädchen und jungen Frauen in den Kostjuschkopark, um sie bestialisch zu vergewaltigen. Der alte Geistliche W. L. Pomasnew, der mit einem Kreuz in den Händen den Versuch machte, die Vergewaltigung der Mädchen zu verhindern, wurde von den Faschisten mißhandelt. Sie rissen ihm den Priesterrock ab, zündeten ihm den Bart an und erstachen ihn mit Bajonetten. In Weißrußland, nahe der Stadt Borrissow, fielen den Hitler-Faschisten 75 Frauen und Mädchen in die Hände, die beim Anmarsch der deutschen Truppen geflohen waren. 36 Frauen und Mädchen wurden von den Deutschen vergewaltigt und darauf bestialisch ermordet. Das 16jährige Mädchen L. I. Meltschukowa führten die Soldaten auf Befehl des deutschen Offiziers Hummer in den Wald, wo sie es vergewaltigten. Nach einiger Zeit sahen andere Frauen, die ebenfalls in den Wald geführt worden waren, daß bei den Bäumen Bretter standen, an denen die sterbende Meltuschowa aufgespießt war. Die Deutschen haben ihr vor den Augen der anderen Frauen, unter ihnen W. J. Alperenko und M.W. Beresnikowa, die Brüste abgeschnitten.206
Die beiden hier zitierten Ausschnitte aus Reeses Kriegstagebuch und Molotows Bericht deuten die Bandbreite der sexuellen Gewalttaten an, die deutsche Truppenangehörige in den besetzten Gebieten der Sowjetunion verübten. Zwar erlaubt Molotows Aufzählung keine gesicherten Rückschlüsse darauf, was im Einzelnen vor Ort passiert ist: Er weist seine Informantinnen und Informanten nicht aus, die Beschreibungen sind bruchstückhaft und ungenau, und dem Ton lässt sich entnehmen, dass der Text zu Propagandazwecken zusammengestellt worden ist.207 Gleichwohl äußerte keiner der Anwesenden im Gerichtssaal Zweifel an der grundsätzlichen Aussage des Dokuments, dass sexuelle Gewalttaten durch deutsche Männer in Osteuropa und Russland beileibe keine Einzelfälle waren und überdies mit anderen Gewaltformen einhergingen. In der Tat kamen auch an anderen Stellen in der Verhandlung sowie vor Untersuchungskommissionen und in weiteren Nachkriegsprozessen sexuelle Gewalttaten immer wieder zur Sprache.208 Derartige Beschreibungen dienten vornehmlich dazu, die besondere Grausamkeit und Perversion der Täter hervorzuheben und den von ihnen verübten Zivilisationsbruch zu unterstreichen.
Die Angeklagten wiederum zogen ihrerseits Fälle sexueller Gewalt heran, um zu betonen, dass sie die Grenzen der» Sittlichkeit «ausdrücklich nicht überschritten hätten. Der ehemalige Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall von Manstein, versuchte am Beispiel der Verurteilung zweier Soldaten aus seinem Korps zu belegen, dass in der Wehrmacht ein» anständige[s] Soldatentum «geherrscht habe. Gleich zu Beginn des Russlandfeldzuges seien die beiden zum Tode verurteilt worden, da sie – als Einzelne – den Moralkodex verletzt und eine alte Frau vergewaltigt und dann ermordet hätten.209 Auch Hermann Göring, vormals Oberster Gerichtsherr und Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, behauptete vor dem Nürnberger Tribunal, keinen Fall von» Notzucht «toleriert zu haben. Zu seiner Verteidigung brachte er vor, er sei bereit,»absolut und gerne die Verantwortung auch für schwerste Dinge «zu übernehmen,»Schändungen von Frauen «hätten ihm aber zutiefst widersprochen.210 Unabhängig davon, ob die erwähnten Bestrafungen tatsächlich vollzogen wurden,211 ist es bemerkenswert, dass beide Angeklagte ungefragt ihren Umgang mit sexueller Gewalt gegen Frauen als Beleg für ihre persönliche Anständigkeit beziehungsweise die der Wehrmacht ins Feld führten. Deutlich wird hier, dass sexuelle Gewalt zu einer symbolischen Schnittstelle zwischen Ehrenhaftigkeit und Ehrverlust werden konnte: Während Vergewaltigung innerhalb des Männerbundes Militär, wie ich im Laufe dieses Kapitels noch zeigen werde, durchaus als Beweis von Männlichkeit und – in der Weiterung – männlicher Ehre galt, konnten diejenigen, die eine Vergewaltigung verübt hatten, vor allem nach der Niederlage auch schnell als» deviante «Einzeltäter abgestempelt werden, die die Armee» entehrt «hatten.
Diese Umwertung führte vor dem Nürnberger Tribunal allerdings nicht zu einer genaueren Untersuchung der Fälle von sexueller Gewalt, die während der Beweisaufnahme dokumentiert wurden. Obgleich es nach der damaligen Rechtslage durchaus möglich gewesen wäre, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt anzuklagen und zu verurteilen,212 wurde keiner der Zeugen näher dazu befragt. Es bestand offenbar kein Interesse daran, diese Form der Gewalt gegen Frauen explizit zu sanktionieren. Hier deutet sich ein weitgehendes Einverständnis der Beteiligten an: Mitte des 20. Jahrhunderts galt sexuelle Gewalt gegen Frauen im Militär wie in der Gesellschaft, in Politik und Rechtsprechung noch als gleichsam natürliche Begleiterscheinung des Krieges.213
Lediglich auf dem asiatisch-pazifischen Schauplatz kam Vergewaltigung nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der Nachfolgeprozesse des Internationalen Militärgerichtshofs in Tokio (IMTFE) vor Gericht, und zwar in der ehemaligen niederländischen Kolonie Indonesien: Bei dem Tribunal in Batavia, dem heutigen Jakarta, wurde 1946 ein japanischer Barbetreiber verurteilt, weil er Niederländerinnen unter Androhung von Haft gezwungen hatte, in seinem Betrieb der Prostitution nachzugehen.214 Und in Maccasar verurteilte man 1947 neun japanische Soldaten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zum Tode, wobei einer der Anklagepunkte lautete, Niederländerinnen zwangsweise ausgekleidet, zur Schau gestellt und vergewaltigt zu haben.215 Die Interessenlage, die zu diesen Verurteilungen geführt hat, war allerdings vor allem durch machtpolitische Motive geprägt: Verhandelt wurden lediglich 35 der etwa ein- bis zweihundert Fälle weißer Niederländerinnen, obgleich auch mehrere tausend Indonesierinnen Opfer von Kriegsvergewaltigungen sowie sexueller Versklavung in den Militärbordellen der japanischen Armee geworden waren216 – ein Hinweis darauf, dass hier nicht sexuelle Gewalt gegen Frauen geahndet, sondern mithilfe der Verfahren nationale Interessen verfolgt wurden.217