Kitabı oku: «Eroberungen», sayfa 6
Auch die Fotosammlung zu W.s» Tagebuch in Russland «enthält einen Hinweis auf sexuelle Gewalt. Auf einem Bild ist eine – nach Beinform und Oberkörper zu urteilen – weiblichen Leiche zu sehen. Ihre Beine sind nackt, leicht angewinkelt und gespreizt, die lange Hose wickelt sich um ihre Füße. Der Fotograf hat das Bild aus stehender Position von schräg oben aufgenommen, die Leiche nimmt das untere Drittel des Bildes ein. Obwohl W. fast alle Bilder in seiner Sammlung penibel beschriftet hat, steht auf der Rückseite dieses Fotos kein Text. Lediglich Ort und Zeit sind mit Bleistift vermerkt:»30. Juni 1941, bei Jeziornico«.276 Derartige Motive fotografierten Soldaten während des gesamten» Ostfeldzugs«– nicht nur in den ersten Kriegstagen und nicht nur in bestimmten Gebieten. Obgleich die Phase der eigentlichen militärischen Eroberung damit verlassen wird, sollen die Bilder an dieser Stelle generell diskutiert werden. Dabei geht es um die Frage, wie sich die Blicke unterschieden, mit denen die Soldaten die Opfer solcher Taten betrachteten.
Eine Fotografie aus dem Besitz eines deutschen Soldaten zeigt die Leiche der erhängten und verstümmelten sowjetischen Widerstandskämpferin Soja Kosmodemsjenskaja, aufgenommen 1941 in der Nähe von Moskau. Sie liegt auf dem Boden, ihr Kopf ist unnatürlich nach oben gedreht; auf dem Bild sieht man sie nur bis zum Bauch. Ihr Oberkörper ist entblößt, und der Blick des Betrachters wird vor allem auf ihrer Brustwarze gelenkt, die rechts von der Bildmitte zu sehen ist.277 Eine andere Aufnahme aus Klooga278 (Estland), datiert auf das Jahr 1942, zeigt laut Bildunterschrift eine» vergewaltigte und ermordete Jüdin«; abgebildet ist eine fast nackte Frauenleiche mit gespreizten Beinen, deren offene Jacke ihren nackten Oberkörper enthüllt. Der Betrachter schaut gewissermaßen von oben auf ihre entblößte Brust; links unten im Bild ist der Schatten des Fotografen zu sehen.279 Anders als im erstgenannten Beispiel stehen die Leichen der Frauen bei diesen beiden Fotografien im Zentrum des Bildes; die Anordnung scheint auf die Schaulust und den Schauzwang der Fotografen hinzudeuten. Dieter Reifarth und Viktoria Schmidt-Linsenhoff, die zahlreiche Soldatenfotos von Verbrechen in der Sowjetunion analysiert haben, weisen darauf hin, dass Fotografieren eine Steigerung der Schaulust, ein» potenziertes, intensiviertes Sehen «sein kann, und das Fotografieren wie auch das spätere Betrachten der Bilder Erlebnisqualität bekommt.280 Speziell bei diesen Bildern wird dabei nicht nur das voyeuristische, sondern auch das pornografische Element überdeutlich in Szene gesetzt.
Ein Beispiel aus dem polnischen Swiahel offenbart eine andere Art des Blicks: Zu sehen ist eine Frauenleiche auf einem Bettgestell, vermutlich in einer Scheune, da Bett und Raum mit Stroh ausgelegt sind. Der Rock der Frau ist hochgeschoben, ihre Beine sind nackt und nach außen gedreht. Der Soldat, der diese Aufnahme 1941 gemacht hat, fotografierte die Frau aus relativ großem Abstand, wodurch das Bild dokumentarischen Charakter bekommt; der Akt des Fotografierens scheint hier anders als bei den zuvor beschriebenen Bildern der Distanznahme zu dienen.281
Ob die Frauenleichen, die man auf den Fotografien sieht, jeweils tatsächlich in den beschriebenen Posen vorgefunden wurden oder im Nachhinein – möglicherweise sogar für das Foto – arrangiert worden sind, lässt sich nicht feststellen. Aber auch in mündlichen Berichten ehemaliger Soldaten und in Aussagen von Einheimischen wird die Zurschaustellung halbnackter oder nackter Frauenleichen in verdrehter Position zum Thema gemacht.282 Wendy Lower schildert in ihrer Studie zur deutschen Vernichtungspolitik in der Ukraine einen Fall aus Shitomir,283 wo Angehörige von SS und Polizei eine Ukrainerin zunächst vergewaltigten, dann ermordeten und an einer Straßenecke aus dem Auto warfen.284 Im Interview mit Wendy Jo Gertjejanssen gibt ein Zeitzeuge aus der Provinz Tscherkassy285 (Ukraine) an, im Februar 1944 die halbnackte Leiche einer Frau am Straßenrand gesehen zu haben. Sie habe in einer Blutlache gelegen und mehrere Schusswunden aufgewiesen. Er geht davon aus, dass sie vergewaltigt und danach ermordet wurde.286
Einige Erzählungen und Gerüchte lassen vermuten, dass es auch Fälle gab, in denen die Soldaten den Körper einer Frau erst nach ihrer Ermordung sexuell missbrauchten.287 Verschiedentlich sind Frauen außerdem verstümmelt worden. Einige Zeitzeuginnen und – zeugen berichten von Frauenkörpern mit abgeschnittenen Brüsten oder aufgeschlitztem Bauch.288 Vereinzelt heißt es, deutsche Männer in Uniform hätten eine Frau nackt an ein Brett genagelt oder aufgehängt.289 Zwei Zeitzeugen erinnern sich an Frauenleichen, deren Vagina mit einer Flasche zugestopft war.290 Auch die Leichen von Männern wurden mitunter genital verstümmelt. Das Entstellen männlicher Leichen wurde mit Beginn des Krieges sogar auf beiden Seiten zum Thema der militärischen Propaganda,291 und viele deutsche Soldaten schrieben darüber in Tagebüchern und Briefen.292 Während diese Praxis von den Zeitzeugen in erster Linie als Angriff auf die nationale und militärische Stärke gewertet wurde, zielte das öffentliche Zurschaustellen nackter oder halbnackter Frauenkörper real und symbolisch auf die Zerstörung der gesellschaftlichen Lebensgrundlagen – denn wie bereits erläutert, galten Frauen als Hüterinnen der nächsten Generation und der Kultur.293
In solchen Fällen offenbart sich zudem eine Feindseligkeit gegenüber Frauen, die so weit reichte, dass diese auch nach ihrem Tod noch gedemütigt und bestraft wurden. Rolf Pohl vertritt die These, dass das Gefühl sexueller Erregung und Entäußerung den vorherrschenden soldatischen Selbstentwurf, dem zufolge der Einzelne seinen Körper vollkommen unter Kontrolle hat, als wahnhafte Illusion entlarvt. Dabei entstehe, ähnlich wie im oben bereits erörterten Fall von Sala Pawlowicz, ein» Hass auf das eigene (sexuelle) Begehren […], für das die Frau verantwortlich gemacht und deshalb bestraft wird«.294 Tatsächlich kann man Zeugenaussagen von Kriegsvergewaltigern aus anderen Kriegen die Überraschung und Scham der Männer darüber entnehmen, dass ihre Gewaltausübung mit sexuellen Lusterfahrungen einherging. Gaby Zipfel hat davon ausgehend die These aufgestellt, dass Vergewaltigungsopfer vielleicht deswegen so häufig ermordet werden, weil die Täter sich ihnen auf diese Weise offenbart haben.295
Überdies wird am Beispiel der nackten oder halbnackten weiblichen Leichen besonders deutlich, dass sexuelle Gewalt sich nicht nur gegen die Opfer richtete. Die entblößten Frauenkörper sollten gesehen werden, sie waren ein Beweis für das Vorkommen sexueller Gewalt und für die Ohnmacht der Opfer. Während des Krieges in der Sowjetunion vermittelten sie unterschiedliche Botschaften an verschiedene Gruppen: Erstens führten sie denen, die die Taten beobachteten, die eigene Macht- und Schutzlosigkeit vor Augen.296 Zweitens griffen die Frauenkörper als Beweis der Taten das Selbstverständnis der einheimischen Bevölkerung an (insbesondere das der Männer, die nicht in der Lage gewesen waren,»ihre «Frauen zu schützen). Und drittens demonstrierten sie den Mittätern aus dem Männerbund Wehrmacht/SS die entschlossene Aggressivität ihrer Kameraden.
Kriegsalltag297
Bei ihrem Vormarsch in Richtung Osten trafen die deutschen Truppen auf eine Gesellschaft, die sich in ihrer Zusammensetzung seit dem 22. Juni 1941 gravierend verändert hatte. Das galt vor allem für die Einwohnerschaft der Städte. Nachdem die sowjetische Führung wie die Bevölkerung von dem deutschen Einmarsch zunächst offenbar überrascht worden waren, begann man bald, Evakuierungsmaßnahmen in die Wege zu leiten. Zunächst sollten hohe Funktionäre aus Partei, Staat, NKWD und Armee, danach Facharbeiter mit ihren Familien und Betrieben – beides Personenkreise, die überwiegend in den Städten lebten – und anschließend Kinder unter 15 Jahren in Sicherheit gebracht werden. Weitere Evakuierungen lagen im Ermessen der regionalen Verwaltungen. In den grenznahen Westgebieten, die noch im Juni von den Deutschen erobert wurden, hatten nur etwa 10 Prozent der Stadtbewohner fliehen oder organisierte Transporte erreichen können. Zur Verlegung ganzer Bevölkerungsgruppen kam es erst im Laufe des Juli. In den Gebieten weiter östlich, in denen den sowjetischen Behörden mehr Zeit blieb, nahmen die Evakuierungs- und Fluchtbewegungen ein weitaus größeres Ausmaß an. In Charkow298 (Ukraine) oder Bobrujsk299 (Weißrussland) waren die Bevölkerungszahlen bis zum Winter 1941/42 beispielsweise auf rund die Hälfte zurückgegangen, in Gomel auf ein Drittel. Weiter nördlich in Nowgorod300 (Russland) und Pleskau blieb sogar nur jeder Achte zurück. Auf dem Land indes, wo die Mehrheit der Menschen lebte, fiel der Rückgang der Bevölkerung mit rund 15 Prozent weniger drastisch aus. Auch hier wurden Funktionseliten aus Staat und Partei evakuiert, im Wesentlichen ist die verminderte Bevölkerungszahl auf dem Land jedoch auf die Einberufung junger Männer zur Roten Armee zurückzuführen.301 Insbesondere in den bedrohten oder umkämpften Regionen war die Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit also der sowjetischen Führungsschicht und eines Großteils der Männer zwischen 18 und 35 Jahren beraubt. Die Bevölkerung, die unter deutsche Verwaltung geriet, bestand nun hauptsächlich aus Frauen, Kindern und älteren Menschen.302
Zu Beginn des Krieges hatten die deutschen Besatzer durchaus die Gelegenheit, eine in weiten Teilen des Besatzungsgebietes sowjetkritische bis – feindliche Gesellschaft für sich zu gewinnen – zumal der Umstand, dass die vielerorts verhasste politische Führungsschicht im Zuge der Evakuierungen verschwunden war, ein politisches Vakuum hinterlassen hatte. So heterogen die Verhältnisse in den verschiedenen sowjetischen Gebieten auch waren, so hatten weite Teile der Bevölkerung doch sowohl unter der Zwangskollektivierung als auch unter den massiven politischen Verfolgungsmaßnahmen der 1930er Jahre gelitten. Die Hungerkatastrophe der Jahre 1931 bis 1934 im Süden der Sowjetunion, die insbesondere in der Ukraine verheerende Folgen gehabt und zur Auslöschung ganzer Dörfer geführt hatte, war vielen ebenfalls noch lebhaft im Gedächtnis.303 Die Erwartungen, die sie beim Einmarsch der Deutschen im Hinblick auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse gehegt haben mögen, machten diese jedoch rasch zunichte. Zwar dürften die direkten, persönlichen Erfahrungen, die die Einheimischen mit den Deutschen machten, je nach Zeitpunkt, Region, Religion und» rassischer «Zuschreibung, aber auch abhängig von der Zusammensetzung und Diszipliniertheit der jeweiligen militärischen Einheiten, unterschiedlich gewesen sein. Zerstörungen und Plünderungen gab es jedoch überall. Zum einen sahen die deutschen Kriegspläne die wirtschaftliche Ausplünderung der Sowjetunion von Anfang an vor, um die Versorgung der Wehrmacht und der» Volksgemeinschaft «sicherzustellen.304 Zum anderen fielen die Soldaten, wie unter anderen Omer Bartov und Christian Gerlach gezeigt haben, bereits kurz nach dem Einmarsch über die militärisch angeordneten Requirierungsmaßnahmen hinaus auch eigenmächtig über Geschäfte, Höfe, Häuser und Wohnungen her. Bei unzureichender Truppenversorgung nahmen solche Raubzüge zu. Zwar veröffentlichte die Wehrmachtsführung verschiedentlich militärische Befehle zur Eindämmung der Alleingänge, in der historischen Gesamtschau zeigt sich aber, dass die Plünderungen weitgehend toleriert wurden.305 Eine Zeitzeugin aus Tscherkassy beschreibt im Interview mit Wendy Jo Gertjejanssen die Maßlosigkeit, die die Männer dabei an den Tag legten:
Und sie machten, was immer sie wollten. Sie nahmen uns die Hoffnung. Sie kamen ganz schnell rein und fragten nach Eiern und Milch, brüllten, schrien, rannten den Mädchen hinterher, nahmen sich alles. Sie töteten sogar Schweine. Sie aßen. Sie zerstörten alles und aßen Eier, Milch, rannten zwischen den Häusern und brüllten:»Wo sind die Eier und die Milch?«Sie waren schon von anderen genommen worden!306
Dass Frauen und Mädchen bei solchen Raubzügen schnell selbst zur» Beute «werden konnten, geht auch aus den Berichten und Gerichtsurteilen von Wehrmacht und SS hervor.307 Ein Fall von erzwungenem oralen Sex ist in diesem Zusammenhang ebenfalls bekannt geworden.308 Elena Kozhina, die solche Plünderungen als junges Mädchen in Russland erlebt hat, kommentiert ihre Erinnerungen daran mit den Worten,»es ging nicht mehr um die Beschlagnahmung von notwendigen Dingen, sondern nur noch um eine beleidigende Erinnerung daran, dass die Soldaten unbegrenzte Macht innehatten«.309
Zu entsprechenden Machtdemonstrationen kam es auch im Zuge der Einquartierung deutscher Soldaten in Privathäusern und Wohnungen. Auf dem Land wurden – trotz eines strikten Verbots310 – relativ häufig Einzelunterbringungen bei Bauern organisiert. Dies führte dazu, dass die Soldaten für Tage, Wochen oder Monate Tür an Tür oder, wenn es sich etwa um eines der typischen Einraumholzhäuser handelte,311 sogar im selben Zimmer mit einheimischen Frauen lebten. Mitunter fühlten sie sich in diesen Unterkünften durchaus wohl, notierten in ihren Tagebüchern wiederholt, dass sie abends immer möglichst schnell» nach Hause «wollten.312 Unter solchen Umständen konnten, wie noch dargestellt werden wird, einvernehmliche Verhältnisse und romantische Beziehungen entstehen, jedoch kam es auch zu sexuellen Übergriffen. Anton Meiser, Jahrgang 1912, war als Infanterist der Wehrmacht zunächst in Frankreich und ab Ende 1943 in Russland stationiert. 1998 veröffentlichte er sein Kriegstagebuch» Die Hölle von Tscherkassy«, das auf zeitgenössischen Tagebucheintragungen beruht, von ihm jedoch für die Publikation erweitert, mit Zwischenüberschriften versehen und in die Form des Erinnerungsberichts gebracht worden ist. Unter der Überschrift» Eine Schandtat «berichtet er von sexueller Gewalt:
Als ich in mein Quartier zurückkam […], stellte ich sofort eine Veränderung bei den Russen fest. […] Es waren gute Leute, sie beteten […] für einen Feind! Umso erstaunter war ich jetzt, als sie mir sichtlich aus dem Wege gingen. Der Vater schaute finster drein. Die Frauen weinten viel. Ich konnte mir keinen Vers darauf machen, vermutete sogar, es könnten vielleicht Partisanen den Vater bearbeitet haben und verpflichten wollen. […] Über Tage hielt ich mich meistens auf der Rechenstelle auf. Als ich abends in dem Hause mich zum Schlafen legte, bestiegen sie ihre Schlafstatt auf dem Backofen. Ich hatte das einzige Bett mit Beschlag belegt. Das Mädchen schlief sonst während der Einquartierung unter dem Backofen auf dem Vorbau. Mein Bett stand gegenüber an der Wand. Alle schliefen in Kleidern. An diesem Abend stieg das Mädchen ebenfalls auf den Backofen. Ihre Angst war unverkennbar. Ich war sehr misstrauisch geworden und hielt unauffällig meine Pistole schussbereit unter der Decke. Ich tat so, als schliefe ich. Da stieg der Vater vorsichtig vom Ofen herab, ging zur Tür und verriegelte dieselbe. Bisher hatten sie die Tür nie verschlossen. Das war in russischen Dörfern nicht üblich. Nun, ich hatte nichts dagegen, so konnte niemand von draußen herein. Schlafen aber konnte ich nicht, weil ich über den Grund grübelte. Plötzlich hörte ich draußen Schritte, sie kamen zur Tür. Ich entsicherte wieder meine Pistole, stand auf und stellte mich hinter die Tür. Auf dem Backofen beteten die Leute jetzt laut. Die Klinke ging herab, aber die Tür nicht auf. Ein Gewehrkolben stieß nun gegen die Tür, und die mir bekannte Stimme des Gefr. Leo ertönte. Er forderte das Mädchen auf, sofort zum Arbeiten zu kommen. Die Frauen weinten jetzt laut auf. Das Mädchen klammerte sich an die Mutter. Leo rief wieder laut und verärgert:»Paninka, roboder, pistro, pistro!«Innen ertönte lautes Weinen. Ich öffnete stumm die Tür, blieb aber noch im Verborgenen. Gefr. Leo ging zum Ofen, zog das Mädchen an den Füßen, um es herabzuziehen. Der Vater knirschte mit den Zähnen, wagte aber keine Gegenwehr. Jetzt war mir alles klar und ich donnerte Leo an:»Zurück! Stillgestanden!«Er fuhrt herum und stieß erschrocken aus:»Sie hier?«Ich verlangte sofortige Aufklärung. Er war von zwei Oberwachtmeistern geschickt. Auch gestern hatte er das Mädchen in deren Auftrag geholt. Sie hatten es vergewaltigt.313
In der Gesamtschau seines Tagebuchs nutzt Meiser gerade diese Passage, um sich selbst – in Abgrenzung zu seinen Kameraden – als verantwortungsvollen Mann und Soldaten darzustellen. Der Umgang mit sexueller Gewalt fungiert dabei, wie schon im Kontext des Nürnberger Prozesses erläutert, als» Ehrenbeweis«. Die Frau, ihr Vater und die ganze Familie seien» anständig «und ihm fortan auf ewig dankbar gewesen. In Meisers Darstellung war er es auch, der auf einer Bestrafung der Männer bestand – allerdings hätten sie lediglich eine Disziplinarstrafe erhalten, da er seinen Kameraden letztlich nicht dauerhaft habe schaden wollen.
Wie Birgit Beck zeigt, kamen entsprechende Straftaten mitunter aber durchaus vor ein Wehrmachtsgericht. Ende März 1942 fuhr der Kanonier Heinz B. mit mehreren Kameraden in den kleinen Ort Suglitz (Russland), um Heu und Kartoffeln zu organisieren. Die Männer rechneten damit, dass die Aktion mehrere Tage dauern würde, und quartierten sich in der Hütte einer Frau ein, die mit ihrer kleinen Tochter und einer 23-jährigen Russin zusammenlebte, die man aus Moskau evakuiert hatte. Bereits vor der Reise hatte B. vor seinen Kameraden geprahlt, er werde sich eine Frau» beschaffen«. Im Laufe des Aufenthalts bedrohte er die Hausbewohnerinnen mit seiner Waffe und machte sich mehrere Gelegenheiten zunutze, um die junge Moskowiterin zu vergewaltigen. Das Gericht der 339. Infanteriedivision verurteilte B. zu vier Jahren Zuchthaus. Es begründete diese vergleichsweise hohe Strafe damit, dass es sich um ein» stark partisanenverseuchtes Gebiet «gehandelt habe und B. mit seiner Tat dazu beigetragen hätte, die Bewohner aufzuwiegeln und in die Reihen der Widerständler zu treiben – eine Befürchtung, die in den Urteilen der Wehrmachtsgerichte häufiger zum Tragen kam.314
In den Städten ordneten die Kommandanturen dagegen an, die Einwohner seien aus ihren Wohnungen und Häusern zu vertreiben, bevor die Deutschen dort einzogen – und zwar nicht nur aufgrund des Platzmangels, sondern vor allem um freundschaftliche und sexuelle Kontakte zwischen deutschen Soldaten und der einheimischen Bevölkerung zu verhindern und Spionage vorzubeugen. Ab Herbst 1941 ließen sie sogar ganze Stadtviertel räumen.315 Die Bewohnerinnen und Bewohner mussten sich anderswo eine Unterkunft suchen. Für Frauen bedeutete dies oft den Verlust des Raums, der ihnen bis dato als Rückzugsort und Schutz vor sexuellen Angriffen gedient hatte. Sie waren gezwungen, sich neu zu orientieren und andere Verstecke zu finden. Aus Platzmangel und um nicht allein zu sein, lebten viele Frauen mit ihren Kindern in Gruppen zusammen. Wenn deutsche Patrouillen auf solche gemeinschaftlich genutzten Unterkünfte stießen, bot sich ihnen die Gelegenheit, mehrere Frauen zu vergewaltigen, gegebenenfalls sogar wiederholt. Infolge solcher Übergriffe entschieden Frauen sich mitunter, ihren Schlafplatz häufiger zu wechseln.316
Verschiedene Berichte zeugen davon, dass deutsche Männer sich insbesondere in den Abendstunden, nach Einbruch der Dunkelheit, nach einheimischen Frauen umsahen. Am 6. Dezember 1941, ein knappes halbes Jahr nach der deutschen Besetzung Rigas, notierte die litauische Augenärztin Dr. Elena Kutorgiene-Buivydaite in ihrem Tagebuch, die Frauen würden sich fürchten,»nach 8 Uhr abends auf die Straße zu gehen, da die Deutschen sie überfallen und verschleppen«.317 Mitunter drohten die Soldaten den Frauen auch, sie oder ihre Töchter seien» als nächste an der Reihe«.318 In dieser Atmosphäre gehörte es für viele Frauen zum Alltag, Schutzmaßnahmen gegen sexuelle Übergriffe zu organisieren. Augenzeuginnen und – zeugen aus unterschiedlichen Regionen geben an, dass Frauen sich verkleideten, sich allnächtlich auf einen Dachboden oder in einen Keller begaben oder dauerhaft in Verstecken lebten.319 Einige Frauen schützten ihre Menstruation, Typhus oder andere Krankheiten vor, um körperlichen Übergriffen zu entgehen.320 In literarischen Darstellungen taucht das Motiv auf, dass manche Frauen vortraten und sich vergewaltigen ließen, um anderen, in aller Regel sexuell unerfahrenen» Jungfrauen«, Töchtern oder Schwestern, dieses Schicksal zu ersparen.321 Die Quellen deuten darauf hin, dass die Ängste der Frauen durch Berichte der sowjetischen Medien über die Vergewaltigung und Verschleppung von Frauen noch geschürt wurden.322
Wenn Frauen weite Wege auf sich nehmen mussten, um Geld zu verdienen oder Lebensmittel zu organisieren, waren sie ebenfalls besonders gefährdet. Eine Ukrainerin erinnert sich in einem Brief aus dem Jahr 1999 an die Erfahrungen, die sie mit den deutschen Besatzern machte, bevor sie 1942 als Zwangsarbeiterin nach Deutschland deportiert wurde:
Im Oktober 1941 ging ich in Dnjepropetrovsk mit jungen Leuten, die älter waren als ich, am Rande der Stadt Kartoffeln graben. Auf dem Rückweg gesellten sich deutsche Soldaten zu uns. Wir unterhielten uns fröhlich in der fremden Sprache … Aber o weh, plötzlich wie auf Kommando fingen die jungen Leute (rebjata) an wegzulaufen, aber die harten Hände des Soldaten ließen mir keine Möglichkeit, ihnen zu folgen. Mein Hilfeschrei verhallte ungehört, weil mein Mund zugehalten wurde. Zum ersten Mal fühlte ich mich verraten. […] Die Mama brachte mich im Dorf zu einer alten Frau und fragte nicht einmal, warum ich nachts nach Hause gekommen war und ganz verkratzt war, in zerrissenen Kleidern und in Tränen.323
Die Briefschreiberin stellt ihre Naivität und Unerfahrenheit in den Vordergrund. Mit ihrer Betonung der unbeschwerten Unterhaltung in der» fremden Sprache«, in die das Verbrechen unerwartet hereinbrach, unterstreicht sie, dass ihr die Gefahr einer Vergewaltigung nicht gegenwärtig gewesen sei und sie insofern auch keine Vorsichtsmaßnahmen habe ergreifen können. Wie in der Einleitung bereits ausgeführt, mag dies ein Hinweis auf den Rechtfertigungsdruck sein, dem sich viele Frauen nach Kriegsende ausgesetzt sahen, zu beweisen, dass sie die Männer in keiner Weise ermuntert hatten, sondern ohnmächtig und hilflos gewesen waren.
Aufschlussreich ist in der Darstellung der Ukrainerin zudem die Reaktion der Mutter, die keinesfalls überrascht war, ihr keine Fragen stellte, sie aber offenbar umgehend zu einer Behandlung durch» eine alte Frau «brachte – möglicherweise, um einer Schwangerschaft vorzubeugen. Deutlich wird hier, dass sexuelle Gewalt als eine Art offenes Geheimnis behandelt wurde, von dem alle wussten, über das man aber höchstens abstrakt oder indirekt sprach. Tatsächlich führt die Zeitzeugin diese Herangehensweise in gewisser Weise fort, wenn sie die eigentliche Gewalterfahrung ausspart und darauf baut, dass der Leser wissen wird, wovon sie spricht. Vermutlich versuchten viele Frauen, die sexuelle Gewalt am eigenen Leib erfahren hatten, das Geschehene vollständig zu verheimlichen, um nicht in Verruf zu geraten. Für die deutschen Soldaten war dies durchaus von Vorteil: Viele Taten blieben dadurch im Verborgenen.
Die Transporte, mit denen» Ostarbeiterinnen «in Richtung Deutschland gebracht wurden, eröffneten deutschen Männern ebenfalls Möglichkeiten, Frauen sexuell zu belästigen und zu vergewaltigen. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen stand zunächst der lokale Arbeitseinsatz der einheimischen Bevölkerung im Vordergrund. Ab dem Frühjahr 1942 begann jedoch die umfassende Registrierung von Arbeitskräften für den Einsatz im Reich – zunächst auf mehr oder weniger freiwilliger Basis, aber schon bald durch Zwangsrekrutierung. Das galt vor allem für die Landjugend in der Ukraine. Vor ihrem Abtransport mussten die Frauen und Männer die Prozedur der» Entlausung«über sich ergehen lassen. Sie hatten sich in Sammelduschräumen mit speziellen Chemikalien zu waschen und von Ärzten untersuchen zu lassen. Den Frauen wurden dabei häufig auch die Haare abgeschnitten. Der Leiter des Facharbeiterlagers in Charkow beklagte im Herbst 1942, dass sich in den Duschräumen der sogenannten Entlausungsanstalten regelmäßig Männer» herumtrieben – sogar mit Einseifung Dienst taten! – und […] in den Frauenduschräumen fotografierten«.324 Auf den Transporten selbst, so berichtet ein Zeitzeuge, suchten sich manche Soldaten während der Fahrt eine Frau aus, die sie mit in ihren Waggon nahmen.325 Entsprechende Berichte verbreiteten sich schnell, und insbesondere Frauen versuchten, sich dem Arbeitsdienst dadurch zu entziehen, dass sie einen einheimischen Kollaborateur heirateten oder behaupteten, sie seien schwanger.326 Das RMbO bemühte sich, der Angst der Frauen vor sexueller Gewalt ab April 1942 durch eine umfangreiche Propagandakampagne entgegenzuwirken.327
Während ein großer Teil der sexuellen Gewaltakte offenbar Gelegenheitstaten waren, gab es auch Fälle, in denen deutsche Männer ihr Vorgehen planten und gezielte Täuschungsmanöver einsetzten, um Frauen beispielsweise zum Mitkommen zu bewegen.328 Einige haben dabei offenbar wiederholt nach dem gleichen Muster gehandelt.329 SS-Standartenführer Rohde, tätig beim SS- und Polizeiführer in Brest-Litowsk330 (Weißrussland), nahm am 4. Juli 1942 die Aussage von Axannder S., Tänzerin beim örtlichen Stadttheater, auf. Sie behauptete, ein deutscher Polizist habe versucht, sie und andere Frauen zu vergewaltigen. Er befragte weitere Zeuginnen, stellte Nachforschungen an und ermittelte den Täter, den Wehrmachtssoldaten Adolf H., der die Taten» unumwunden «gestand und sich damit entschuldigte, dass er unter Alkoholeinfluss gestanden habe.331 Der zuständige Feldgendarm nahm Adolf H. fest. In seinem abschließenden Bericht schildert Rohde den Tathergang. In der betreffenden Nacht hatte ein Uniformierter sich gegenüber Axannder S. als Polizist vorgestellt, ihre Papiere kontrolliert und sie – obwohl diese in Ordnung waren – aufgefordert, ihn zu begleiten. Da er aber nicht den Weg zur Ortskommandantur eingeschlagen hatte, unternahm sie einen Fluchtversuch:
Im gleichen Augenblick versuchte derselbe, sie zu vergewaltigen, indem er ihr den Mantel völlig zerriß und auch Teile des Kleides beschädigte. Da die S. schon infolge ihres Berufs außerordentlich wendig ist, konnte sie sich entreißen und flüchtete in einen Vorgarten eines in der Nähe stehenden Hauses. In diesem konnte sie sich so geschickt verborgen halten, dass es dem Beschuldigten nicht gelang, sie zu finden. […] Da die S. außerordentlich verängstigt war, blieb sie dennoch vor dem Strauch zunächst sitzen und musste nach ca. 20 Minuten feststellen, dass er nunmehr in feldgrauer Uniform erneut erschien […]. In seiner Begleitung befand sich ein weiterer Wehrmachtsangehöriger. […] Da diese Frauen durch die Hilferufe der Tänzerin bereits wach geworden waren, standen sie, nichts Gutes ahnend, in ihrer Haustür. Der Täter des ersten Verbrechens begehrte nun hier Einlass und gab sich auch wieder als Polizei aus. Da die beiden Frauen die Situation nicht sofort übersahen, wurden sie zurückgedrängt, während die alte Mutter ins Nebenzimmer flüchtete, zog sich Irene Sch. in ihr Schlafzimmer zurück. Der Beschuldigte folgte ihr und riss ihr angeblich sofort das Zeug vom Körper. Es kam zu einem Handgemenge auf dem Bett der Irene Sch., bei dem die I. Sch. erheblich verletzt an der linken Hand, linke Schulter und an beiden Beinen wurde, da sich der Beschuldigte wie ein Wüstling benahm. Zu einem Geschlechtsakt ist es nicht gekommen, da die Sch. von außerordentlich kräftiger Natur ist. Als die Mutter Leokardia ihrer Tochter zur Hilfe kommen wollte und ins Schlafzimmer lief, fiel der Wüstling über sie her und schlug sie auf das rechte Auge, so dass dieses blutunterlaufen und völlig geschlossen ist. Des weiteren verletzte er die Frau an der Brust erheblich. Ohne etwas mitgehen zu lassen und ohne zum Erfolg zu kommen, hat der Wüstling dann wieder das Haus verlassen. […] Nicht unerwähnt darf bleiben, dass der gleiche Beschuldigte 8 Tage zuvor in der gleichen Wohnung war und bereits versuchte, Geschlechtsverkehr auszuüben. Er gab sich auch hier als Pol.-Beamter aus, verlangte des weiteren Wodka, konnte aber sein Ziel nicht erreichen. […]
Es darf des weiteren nicht unerwähnten bleiben, dass die Tänzerin S. von H. erheblich verletzt wurde an beiden Beinen, an der Brust, im Nacken und an den Lippen. Des weiteren soll H. die S. geknebelt haben, um sie am Schreien zu hindern.332
Rohdes Protokoll enthält jede Menge Ungereimtheiten: Man erfährt zum Beispiel weder, wann und wie es dem Beschuldigten gelang, das erste Opfer, die Tänzerin S.,»erheblich «zu verletzen und zu knebeln, hatte sie sich angeblich doch umgehend losreißen und verbergen können; noch wird geklärt, wie der hinzugekommene Wehrmachtssoldat sich während des zweiten Vergewaltigungsversuches verhielt. Rohdes Bewertung der Beteiligten ist jedoch eindeutig: Die Frauen sind ehrenwert – zwar ängstlich, aber in der Lage, sich zu schützen und die versuchte Vergewaltigung zu verhindern —, der Wehrmachtsangehörige H. dagegen ist ein trunkener» Wüstling«. Rohde selbst begründet diese dichotome Darstellung mit seinem» persönlichen Eindruck«. Indes hatte Alfred H. nicht nur dem Ansehen der Wehrmacht geschadet, sondern mittels der Vortäuschung einer falschen Identität auch die Polizei in Verruf gebracht; das dürfte Rohdes Urteil maßgeblich beeinflusst haben. Der Standartenführer beim SS- und Polizeiführer verdächtigte H., der offensichtlich über gute Kenntnisse der russischen Sprache verfügte, überdies,»Elementen […], mit denen wir z. Zt. im scharfen Kampfe stehen«, gefälschte Personalpapiere beschafft zu haben.333 Er forderte insofern» die strengste Bestrafung «des Angeklagten. Ob es zu einer Gerichtsverhandlung kam, geht aus den Akten allerdings nicht hervor.
Mitunter konnten sexuelle Gewalttaten auch mit gezielten politischen Machtdemonstrationen in Zusammenhang stehen. Bernhard Chiari stellt fest, dass deutsche Männer auf» kleine Belohnungen und Vergünstigungen «für die einheimische Bevölkerung verschiedentlich Gewaltausbrüche, auch sexuelle Angriffe, folgen ließen. Er schildert einen Fall in der Nähe von Minsk im Rayon Cerven, wo 1942 auf einer deutschen Propagandaveranstaltung das zukünftige Prämiensystem für die Bauern – nach der» Befreiung Weißrußlands vom Joch des Bolschewismus«– vorgestellt wurde. Am nächsten Tag vergewaltigten 16 deutsche Männer ein 15-jähriges Mädchen auf offener Straße. Die Tat war äußerst brutal, dem Opfer wurden beide Augen ausgestochen.334 Nur wenige Tage danach befahl eine Gruppe deutscher Männer einigen jungen Frauen, sich auf dem Marktplatz nackt auszuziehen und einen weißrussischen Volkstanz aufzuführen. Als die Frauen sich weigerten, wurden sie erschossen.335 Auch hier vermittelten die sexuellen Gewaltakte der einheimischen Bevölkerung die Macht der Besatzer.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.