Kitabı oku: «500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen», sayfa 2
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Einführung
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Michel Müller, Zürich
Eröffnungspredigt
Zu Apg 11, 1–18
Liebe Gemeinde
Viele von Ihnen werden nun also 3–4 Tage und Nächte hier in Zürich verbringen anlässlich des Kongresses, den wir mit diesem Gottesdienst eröffnen. Ich vermute, dass manche von Ihnen zu Hause berichten werden, wollen oder müssen, was Sie hier Sinnvolles getan haben. Sie sind in einer bedeutenden Stadt der Christentumsgeschichte, und deshalb sind Sie hierhergekommen. Andere kommen her wegen der Streetparade und des Zürich Film Festivals, das gestern zu Ende ging. Sie könnten hier auch völlig überteuerte Designerhandtaschen oder Luxusuhren kaufen. Ob die Daheimgebliebenen da vorwurfsvolle Fragen stellen oder es gar einen medialen Sturm auslöst? Vielleicht nicht. Aber es stellt sich eine andere, die entscheidende Frage: Kann an einem solchen Ort, hier und heute, der Geist Gottes uns auf eine Art begegnen, dass es einen Sturm auslöst? Erwarten wir überhaupt so etwas? Oder wozu sind Kongresse sonst da?
Werden wir uns im Nachdenken über Reformation rechtfertigen müssen für unser Tun und Nichtstun? Kommt es denn überhaupt auf uns an? Mit Petrus fragen auch wir doppeldeutig: «Wer bin ich, dass ich Gott hätte in den Weg treten können?»
Das formuliert der Apostel zunächst einmal ganz zurückhaltend in der Tradition eines Mose oder Jeremia. Der Geist Gottes baut an seiner Kirche! Wer wären die einzelnen Dienerinnen und Diener – und wenn es der erste Papst wäre –, dass er dem Geist entgegen treten könnte? Der Geist ist bei Lukas frei, Fakten zu schaffen, denen die Kirche dann folgen kann, folgen muss mit ihren Handlungen. Hier konkret folgt die Taufe dem Empfang des Geistes. Manchmal ist es bei Lukas auch umgekehrt, und der Geist folgt erst der Taufe. Der Geist ist frei. Denn es ist Gottes Geist. Aber das heißt nicht, dass er nicht wirkt. Sein Wirken darf erwartet werden, und zwar auch überraschend und gegen eigene wohlgepflegte theologische Überzeugungen. Die Geschichte der Kirche ist entsprechend dem dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses auch die Geschichte des Heiligen |20| Geistes. Nun haben die christlichen Kirchen ausgeklügelte Systeme entwickelt, um das Wirken des Geistes zu prüfen und zu domestizieren. Ja, wir müssen den Geist prüfen. Dazu verpflichten uns die Irrungen und Wirrungen der Kirchengeschichte, gerade auch unserer eigenen. Darum müssen wir fragen: Wie sind die letzten 500 Jahre als Wirkung des Geistes Gottes zu verstehen? Wie hätte Lukas seine Geistgeschichte fort-geschrieben? Kämen die Protestanten darin vor, als eine Wirkung des Geistes? Manche Vertreter anderer Kirchen würden das wohl auch nach 500 Jahren bezweifeln. Wir hier in der Zürcher Kirche hingegen glauben das. Unsere Kirchenordnung (KO) bekennt, dass Kirche «gebaut wird durch Gottes Geist»1. Punkt – Doppelpunkt: Nicht nur wir, sondern eine Vielzahl von Kirchen, die in den letzten Jahrhunderten entstanden sind und von hier und Wittenberg und all den Reformationsorten ausgegangen sind, sehen sich im Glauben als Wirkungen des Geistes Gottes. Aber wie geht das zusammen: der eine Geist und die vielen Kirchen?
Der vor Jahren verstorbene Ökumeniker Oscar Cullmann verstand die Vielfalt der christlichen Kirchen geradezu definitorisch als eine Wirkung des Geistes. So schreibt er in seinem berühmten Buch «Einheit durch Vielfalt»: «Wer den Reichtum der Fülle des Heiligen Geistes nicht respektiert und Uniformität will, sündigt gegen den Heiligen Geist»2. Und ist es dann nicht umgekehrt auch als Wirkung des Geistes zu betrachten, dass es da nach wie vor neben den protestantischen Kirchen eine römisch–katholische Kirche gibt? Deshalb könnte gelten: «In den ökumenischen Beziehungen ist dies wichtig: Das, was der Geist in den anderen gesät hat, nicht nur besser zu kennen, sondern vor allem auch besser anzuerkennen als ein Geschenk auch an uns»3. Das war nun nicht Cullmann mit seiner Idee der Charismen in allen Kirchen, sondern ein Zitat des römischen Bischofs! Und gleich anschließend sagt Papst Franziskus in diesem kürzlich geführten Interview mit der Jesuitenzeitschrift «Civiltà Cattolica»: «Wir müssen vereint in den Unterschieden vorangehen. Es gibt keinen anderen Weg, um eins zu werden. Das ist der Weg Jesu.» «Vereint in den Unterschieden» ist vielleicht nicht dasselbe wie «versöhnte Verschiedenheit», wie wir Protestanten sie verstehen, aber auch nicht etwas völlig |21| anderes als das Konzept unserer Leuenberger Gemeinschaft. Ist dies die aktuelle Herausforderung für uns alle – gerade auch gegenüber den jungen Kirchen wie den Pfingstkirchen, die den Geist programmatisch im Namen tragen? Wir reden hier von der mittlerweile zweitgrößten Gruppe im weltweiten Christentum – wie werden wir eigentlich mit ihnen Reformation feiern und Erneuerung thematisieren, erbitten, erfahren? Und wie werden wir mit den ganz alten Kirchen umgehen? Werden wir allen Ernstes bald nach 500 Jahren Reformation des tausendjährigen Schismas gedenken müssen?
Wirklich: Wir müssen sie alle prüfen, die Geister, und gerade das kann und soll eine Aufgabe eines Kongresses von theologischen und kirchenleitenden Fachleuten sein. Wir besprechen die Geschichte und deren Folgen, lernen daraus und beziehen daraus auch unsere Inspiration. Wozu sonst sollten wir uns treffen? Ist unsere Lage also ähnlich wie jene derer, die damals in Jerusalem zu prüfen und zu entscheiden hatten?
Wer sind wir? Wer bin ich? Diese Fragen stellt derselbe Petrus, der gesagt hat, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen. Eine Haltung, die Martin Luther in Worms vor Augen hatte, als er sagte, er müsse seinem Gewissen mehr gehorchen als Kirche und Kaiser: «Hier stehe ich und kann nicht anders.» Wirklich so gesagt oder nicht: Es macht ja den Reiz solcher Sätze aus, dass sie exemplarisch etwas vom Wesen des Geschehenen auf den Punkt bringen. Da steht ein Einzelner vor Machthabern und vor Gott, vom Geist bewegt, seinem Gewissen und dem Wort Gottes treu zu sein, gegen den Rest der Welt. Da kommt es plötzlich auf den einen Einzelnen an, der tapfer Rechenschaft ablegt. Der in Gottes Namen «etwas Tapferes tut.» Diese Wendung, «etwas Tapferes tun» steht in Zürich beispielhaft für das Wirken Zwinglis. Sie wurde in einem anderen Zusammenhang als Luthers Satz geschrieben, und doch galt und gilt auch hier: Wenn der Geist Gottes uns durch die Schrift dazu bringt, dann müssen wir ihm folgen. «Tuont um Gottswillen etwas Dapfers», schrieb Zwingli. Sie können es in der Sakristei nachlesen. Wer wären wir, ihm entgegenzutreten? Dabei ist die Spannung, ja Widersprüchlichkeit auszuhalten: Nein, es geht hier nicht um einzelne heroische Gestalten, sondern um Christi Kirche, gebaut durch seinen Geist. Nie aber geht es, ohne dass eine oder einer, auch von uns, diesem Geist folgt. Nein, nicht um uns geht es, aber eben auch nicht ohne uns. Wer sind wir heute?
Wer bin ich? Noch einmal leihe ich mir Worte vom römischen Bischof Franziskus, der so antwortet: «Ein Sünder, der vom Herrn angeschaut wird.» Ein Sünder, weil selbst vermeintlich unfehlbare Entscheide nicht |22| an Gottes Stelle treten können? Ein Sünder, der es wagen darf, etwas zu tun, weil er vom Herrn angeschaut wird, anders ausgedrückt in unserer Tradition: weil er zugleich Sünder und Gerechter ist?
Was aber ist es dann, was für uns zu tun ist, hier und heute und in den nächsten Jahren als protestantische Kirchen? Wir hier in Zürich feiern gerade 50 Jahre Frauenordination. Dafür erhalten wir zwar eine gewisse Aufmerksamkeit, aber keinen Applaus, zu selbstverständlich müsste es eigentlich in einer modernen Gesellschaft sein. Zölibat? Das ist bei uns Protestanten seit Katharina von Bora, der Lutherin, und Anna Zwingli, geborene Reinhart, kein Thema mehr. Wir haben in vielen evangelischen Kirchen Schluss gemacht mit der Normierung bestimmter Lebensweisen und der Diskriminierung derer, die anders sind. Und das, weil wir evangelisch sind und nicht zum Trotz. Gut. Aber: Was bleibt für uns zu tun, dort, wohin der Geist uns leiten will?
Die protestantischen Kirchen Frankreichs als ein ganz aktuelles Beispiel haben dieses Jahr einen großen Schritt getan mit ihrer Union. «Ecoute – Dieu nous parle», heißt es dort, und wenn Gott spricht: Wer könnte ihm entgegentreten? Er beruft uns zu Zeugen, témoins, in einer modernen Gesellschaft. Auf die noch relativ reichen deutschsprachigen Kirchen sehe ich die Frage zukommen: Wie lange werden wir uns die Erhaltung einer Struktur leisten wollen, die den tatsächlichen Erfordernissen und der Größe gar nicht mehr entspricht? Und die dem Auftrag, das Evangelium allen Völkern in Wort und Tat zu verkündigen, Mittel entzieht?
Wer bin ich, dass ich das sage? Kein anderer als der, der an seinem Ort, mit seiner Kirche und mit seinen Gaben das Notwendige tun soll und will. Der sich im Rahmen seiner Möglichkeiten bemüht, dem Geist nicht entgegenzutreten. Dem Geist, der «auch den anderen Völkern die Umkehr zum Leben gewährt», wie es Lukas zusammenfasst.
Ich meine und sage es offen: Wir müssen hinaus aus unseren alten Mauern. Hinaus in die Welt – nicht in die Welt, wie wir sie gerne hätten, sondern in die Welt, wie sie nun einmal ist. Zu den Menschen, die nun einmal sind, wie sie sind. Wir müssen die Sicherheit gegenseitiger Bestätigung in geschlossenen Kirchen verlassen, uns selbst vergessen und den Menschen begegnen in ihren tatsächlichen Bedürfnissen, gerade auch den spirituellen, also geistlichen.
Hinausgehen. Das kann man auch mal während eines Kongresses versuchen, hinausgehen aus sich selbst, sich hinsetzen auf eine Bank, den Menschen zuschauen, mit jemandem ein Wort wechseln. Auch in Zürich |23| hat’s ganz einfach Menschen. Die Ökumene beginnt in der persönlichen Begegnung mit meinem Nächsten, auf den ich höre, für den ich beten kann, dem ich dienen kann. Wer, wenn nicht ich?
Dann wird die weltweite Kirche, die Ökumene, eine spirituelle und eine diakonische Ökumene sein, eine Kirche, die betet und dient, die aus dem Wort Gottes geboren wird, die genährt wird am Tisch des Herrn. An diesen Tisch sind alle geladen, die der Herr einlädt, der gegenüber Petrus erklärt hat: «Was Gott für rein erklärt hat, das erkläre du nicht für unrein.»
Wer bin ich, dass ich Gott hätte in den Weg treten können?
Amen
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Gottfried Wilhelm Locher, SEK, Bern
Eröffnungsrede
Reformation: Das Evangelium im Mittelpunkt
Die Reformation wird 500 Jahre jung: 2017 werden sich die Kirchen der Reformation an den berühmten Thesenanschlag Martin Luthers an die Türe der Schlosskirche in Wittenberg erinnern. Und 2019 wird des Beginns der Predigttätigkeit Huldrych Zwinglis auf der Kanzel des Großmünsters gedacht werden. Schon jetzt zeigt sich: Das Reformationsjubiläum hat das Potenzial, weltweit viel Dynamik auszulösen. Es ist Anlass, der Freude über die Wiederentdeckung der Befreiungsbotschaft des Evangeliums auf vielfältige Weise Ausdruck zu geben. Diese hat ihr Zentrum in der Botschaft von der Rechtfertigung des Menschen vor Gott allein durch den Glauben an Jesus Christus. Oder anders ausgedrückt: Der Mensch kann bestehen in Zeit und Ewigkeit, weil Gott ihn liebt. Das Evangelium soll im Mittelpunkt stehen und gefeiert werden. Das ist die Botschaft der Reformation. Eine befreiende, beglückende Botschaft. Die evangelischen Kirchen feiern also nicht sich selber. Der Reformation ging es um die Erneuerung der einen Kirche. Dem Reformationsjubiläum kommt deshalb von Anfang an eine ökumenische Dimension zu.
Zeit für die Vorbereitung
Hier in der Schweiz und erst recht in Deutschland sind die Vorbereitungen fürs Reformationsjubiläum schon angelaufen. Doch manches ist noch offen. Diese Gelegenheit haben der Schweizerische Evangelische Kirchenbund und die Evangelische Kirche in Deutschland ergriffen und Sie alle hier nach Zürich zu einem internationalen Vorbereitungskongress eingeladen. Sein Ziel ist es, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir das Reformationsjubiläum feiern möchten und welche Bedeutung die Botschaft der Reformation für die Kirche und Gesellschaft von morgen haben kann.
Wir freuen uns, dass Sie von nah und fern, aus über 35 Ländern und fünf Kontinenten, hierher nach Zürich gereist sind. Sie stehen dafür, dass die Botschaft der Reformation sich weltweit in den verschiedensten Kontexten ausgebreitet hat und Menschen bis heute bewegt. Die verschiedenen Erfahrungen und Horizonte, die Sie mitbringen, werden |25| unseren Kongress bereichern. Dabei sollen Brücken zwischen Menschen mit kirchlichem und universitärem Hintergrund geschlagen werden. Wir wollen miteinander in ein kritisch-konstruktives Gespräch eintreten über die Epoche der Reformation, um neue Perspektiven auf unsere kirchliche und gesellschaftliche Gegenwart zu gewinnen.
Die Schätze gegenseitig entdecken
«Über die Zeit, in der wir die reformatorischen Traditionen gegeneinander ausspielten, sind wir hinaus. Wir wollen vielmehr die Schätze entdecken, die sie bergen.» Dieser Satz Wolfgang Hubers anlässlich des Calvinjahres 2009 ist wegweisend für diesen Anlass und den Weg bis 2017. Wir wollen den Reichtum der jeweiligen anderen Tradition sehen und voneinander lernen. Ökumene ist Lerngemeinschaft.
Zürich – ein Ursprungsort der Reformation
Für diesen Kongress sind wir Gast bei der Evangelisch–reformierten Landeskirche des Kantons Zürich in Zürich, einem Ursprungsort der Reformation. In Zürich und dann an anderen Orten in der Schweiz, etwa in Bern, St. Gallen, Basel und in Genf, hat die Reformation bekanntlich eine eigene Wendung genommen. Ganz vergessen sind die unversöhnlichen Urteile Luthers über Zwingli und das bedauerliche Scheitern des Marburger Religionsgesprächs 1529 ja noch nicht. Doch nach der Leuenberger Konkordie und den ihr vorangegangenen guten Erfahrungen, die es neben der konfessionellen Gleichgültigkeit zwischen Lutheranern und Reformierten im Laufe der Kirchengeschichte auch gab, wissen wir: Die Reformation war eine Epoche evangelischer Gemeinsamkeiten, auch wenn dies aus politischen und teilweise persönlichen Gründen nicht von allen Akteuren gesehen wurde. Da ist die Freude darüber umso größer, dass sich in diesen Tagen Lutheraner, Reformierte, Unierte und Angehörige weiterer Konfessionen in dieser Form erstmals in dieser Stadt begegnen, die neben Wittenberg und später Genf für den weltweiten Protestantismus eine große Bedeutung hatte. Ohne Zwingli, Bullinger und Calvin wäre die Reformation wohl ein deutschsprachiges und nordeuropäisches Phänomen geblieben. An diesem Kongress wird also evangelische Katholizität sichtbar werden, zu der die Vielfalt dazugehört. Ein Stück weit haben wir dies soeben im Gottesdienst erlebt. |26|
Erinnern für die Zukunft
«Erinnern für die Zukunft.» Dies soll in den nächsten Tagen die Devise sein. Reformationsgedächtnis soll primär heißen, nach dem Stellenwert der reformatorischen Botschaft in den evangelischen Kirchen und der Gesellschaft heute zu fragen. Vermögen die Kirchen Gottes Wort der Versöhnung und Veränderung genügend kräftig zu bezeugen? Wie steht es mit der Klarheit und Verständlichkeit ihrer Verkündigung? Die Interpretation der reformatorischen Befreiungsbotschaft heute und damit theologische Fragestellungen sollen im Zentrum dieses Kongresses und des Jubiläums stehen.
Die bleibende Wirkung der Reformation
Als Teil einer Gedächtniskultur bringt das Reformationsjubiläum aber auch die Aufgabe mit sich, sich an die Vergangenheit zu erinnern. Die Reformation hat die Welt geprägt. Sie hat eine vielfältige Wirkung auf die frühneuzeitliche Gesellschaft ausgeübt. Einzelnen Spuren, etwa im Bereich des Verhältnisses von Kirche und Staat, soll in diesen Tagen exemplarisch nachgegangen werden. Wie stehen Kultur, Wirtschaft und Politik heute zur Reformation? Um solche Fragen soll es in diesem Zürcher Kongress auch gehen. Im Mittelpunkt der Debatten soll jedoch, wie gesagt, Reformation als gegenwärtige Aufgabe stehen. Evangelische Glaubensinhalte und Weltverantwortung wirken in unseren Gesellschaften bis heute. Welches Potenzial hat die Botschaft der Reformation für Kirche und Gesellschaft morgen?
Das Reformationsjubiläum als ökumenische Aufgabe
Reformationserinnerung soll also nicht der Selbstdarstellung von Kirchen, Konfessionen und Kulturräumen dienen, sondern zur produktiven und gemeinsamen Gestaltung des heutigen Kircheseins anstiften. Voraussetzung dafür ist, dass die damals gestellten theologischen Fragen neu bedacht werden. Voraussetzung dafür ist auch, dass wir uns immer wieder kritischen Anfragen stellen. Ich freue mich sehr, dass wir gleich schon mit dem Referat von Rowan Williams, dem ehemaligen Erzbischof von Canterbury, mit einer etwas anderen Sicht auf die Reformation konfrontiert werden (ein Blick von außen ist es angesichts der Tatsache, dass die Kirche von England in ihren Anfängen eng mit Zürcher Reformatoren verbunden war, nicht). |27|
Wenn Reformationserinnerung also der Gestaltung des Kircheseins heute dienen soll, schließt dies, wie zu Beginn gesagt, eine ökumenische Dimension ein. An diesem Kongress wollen wir bewusst auch das Gespräch mit ökumenischen Partnern suchen. Im Hinblick auf das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche bedeutete es einen großen Schritt, wenn es uns gelänge, eine gemeinsame Sicht auf die Geschichte der Reformationszeit zu gewinnen, wie sie gerade jüngst das Dokument des vatikanischen Einheitsrats und des Lutherischen Weltbundes «Vom Konflikt zur Gemeinschaft» angeregt hat. Nicht nur die evangelischen Kirchen, sondern auch die römisch-katholische Kirche ist bekanntlich von der Reformation geprägt. Heute bietet sich die zukunftsträchtige Chance einer gemeinsamen ökumenischen Auseinandersetzung. Dies könnte die große Besonderheit des Reformationsjubiläums im beginnenden 21. Jahrhundert sein. Im Hinblick auf das Verhältnis zu denjenigen Freikirchen, die sich auf die radikale und damals verfolgte Reformationsbewegung berufen, bedeutet die ökumenische Dimension des Reformationsjubiläums für uns eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit.
Der Kongress: Einladung zur Zusammenarbeit
Neben der Reflexion soll dieser Kongress aber auch ganz praktisch eine Plattform für den Austausch von Ideen bieten. Aus verschiedenen Kirchen werden Vorhaben und Perspektiven im Blick auf das Reformationsjubiläum präsentiert werden. Schön wäre es, wenn Kooperationsmöglichkeiten angedacht und gemeinsame Projekte auf lokaler, regionaler, nationaler oder internationaler Ebene angestoßen würden. Zunächst aber soll dieser Kongress bei Ihnen allen die Motivation für die aktive Teilnahme am Reformationsjubiläum fördern und das Interesse wecken für die Reformation und ihre Bedeutung für die Gegenwart. Dabei soll die Reformation als vielgestaltig und der Protestantismus als weltweite und plurale Bewegung sichtbar werden.
Für diesen Kongress und das Reformationsjubiläum insgesamt scheint mir wichtig, was Zwingli am Ende seines «Kommentars über die wahre und falsche Religion» von 1525, der ersten Darstellung der evangelischen Lehre überhaupt, schreibt: «Alles, was ich hier gesagt habe, habe ich zur Ehre Gottes, zum Nutzen der christlichen Gesellschaft und zum Besten der Gewissen gesagt. Gott sei gedankt.»
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Nikolaus Schneider, EKD, Hannover
«Was ist das Reformationsjubiläum? Wem gehört es? Warum sind wir alle hier zusammen in Zürich?»
Sehr geehrte Damen und Herren
Das Reformationsjubiläum 2017 ist ein Ereignis von Weltrang!
In Deutschland ging der erste Anstoß zum Thema «Reformationsjubiläum» schon 2003 aus den Reihen der katholischen Kirche hervor, nämlich von Kardinal Kasper auf der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Winnipeg. Kardinal Kasper verwies damals auf dieses Datum 2017 und stellte die Frage nach den ökumenischen Dimensionen des Ereignisses. Bald danach nahm der damalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, den Ball auf und lud Staat und Kirche ein, das Reformationsjubiläum 2017 gemeinsam in den Blick zu nehmen.
Wir sind dankbar, dass gegenwärtig nicht nur die Bundesregierung, sondern auch viele Bundesländer und betroffene Kommunen bei der Vorbereitung des Jubiläums mitwirken. Und es gehört zweifellos zu den eher seltenen Ereignissen im Deutschen Bundestag, dass alle Parteien – also auch die Linken – gemeinsam im Oktober 2011 den Beschluss gefasst haben, dass das Reformationsjubiläum 2017 als «ein Ereignis von Weltrang» von der Bundesregierung zu fördern und zu unterstützen sei.
Wir werden also in Deutschland ein großes Jahr mit Kirchentagen und einer Weltausstellung der Reformation in Wittenberg feiern. Es werden nationale Ausstellungen, erstklassig restaurierte und museumspädagogisch herausragende touristische Attraktionen etwa in Wittenberg, Eisenach, Eisleben und Torgau Menschen in das «Kernland der Reformation» locken. Große Fachkongresse ziehen ein Fachpublikum nach Wittenberg, Halle und Berlin.
Der Wissenschaftliche Beirat, der die staatlichen und die kirchlichen Partner inhaltlich berät, hat im Jahre 2009 «Perspektiven für das Reformationsjubiläum 2017» vorgelegt. Da heißt es unter anderem:
Es gilt «auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 die Relevanz, die die Reformation weit über Theologie und Kirche hinaus für die unterschiedlichen Bereiche unserer gegenwärtigen Kultur besitzt, herauszustellen |29| und nach deren Deutungspotenzial in einer von Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung bestimmten Zeit zu fragen. Solche Gegenwartsdeutung … stellt angesichts der Signatur des Protestantischen in der modernen westlich geprägten Kultur einen Beitrag zur Bewahrung wie zur Fortentwicklung der Identität dieser Kultur dar.»4
Nun kann man natürlich fragen, ob eine von kirchlichen und staatlichen Stellen getragene Vorbereitung des Reformationsjubiläums gut und richtig ist. Schimmert hier nicht vielleicht eine veränderte Wiederauflage der alten Verbindung von Thron und Altar, von Staat und Kirche, ja, von Preußen und Protestanten durch, die niemand ernsthaft wünscht? Doch eine kulturelle «Signatur des Protestantischen», die unsere Gesellschaft, die auch unseren Lebensraum Europa prägt, bleibt eben nur «Signatur». Für eine inhaltliche, theologisch fundierte Ausgestaltung des Reformationsjubiläums ist das nur ein Baustein. Wir sind davon überzeugt, durch unsere genuin theologischen Beiträge der Gefahr einer Neuauflage der überholten Allianz von Thron und Altar widerstehen zu können.
Ich will das an zwei inhaltlichen Akzentsetzungen verdeutlichen: