Kitabı oku: «Agile Organisation – Methoden, Prozesse und Strukturen im digitalen VUCA-Zeitalter», sayfa 5
3.2 Gestaltung von Prozessen
Etwas vereinfacht folgt die Organisationsgestaltung der in Abbildung 9 dargestellten Logik: Die zur Erreichung der Unternehmensziele notwendige Gesamtaufgabe wird zunächst in Teilaufgaben und zugehörige Aktivitäten geteilt. Die Aktivitäten definieren, was zur Erfüllung der Gesamtaufgabe alles zu tun ist. Darauf aufbauend stellt sich die Frage, wie dies effektiv und effizient getan werden soll. Das impliziert zum einen die Reihenfolge der Aktivitäten (Prozesse) und zum anderen die Aufteilung auf verschiedene Personen sowie deren Beziehungen zueinander (Strukturen).
Abb. 9: Theoretisches Vorgehensmodell der Organisationsgestaltung49
Prozessdefinition
Bei der Prozessgestaltung werden die zur Erfüllung der Gesamtaufgabe notwendigen Aktivitäten in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht. Dabei sind die sachlogischen, zeitlichen und räumlichen Abhängigkeiten zwischen den Aktivitäten zu beachten. Außerdem hängt der optimale Ablauf auch davon ab, was das konkrete bzw. primäre Ziel ist. Typische Ziele der Prozessgestaltung sind eine hohe Ergebnisqualität, kurze Durchlaufzeiten, hohe Prozessflexibilität und niedrige Prozesskosten.
Ein guter Prozess sollte an der konkreten Kundenanforderung ansetzen und mit der Bereitstellung der gewünschten Leistung für den Kunden enden. Das heißt, es sollte nicht einfach irgendein Output fabriziert werden, sondern es sollte darum gehen, konkrete Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Wenn Prozesse in dieser Logik von Kundenanforderung bis Kundenbefriedigung gedacht werden, wird auch von „End-to-end“-Prozessen gesprochen. Eine fehlende End-to-end-Betrachtung bzw. die Gestaltung oder Optimierung von einzelnen Prozessteilen, ohne das große Ganze zu berücksichtigen, ist einer der häufigsten Kritikpunkte an vielen Prozessen in der Praxis.
Ein Prozess ist eine sachlogisch, zeitlich und räumlich geordnete Folge von Aktivitäten (insb. Entscheidungen, Handlungen), die Eingangsgrößen (Input, insb. Materialien, Informationen) in Ausgangsgrößen (Output, insb. Produkt, Dienstleistung) transformieren.50
Abb. 10: Darstellung eines Prozesses (beispielhaft)
Prozessarten
In Unternehmen sind sehr unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen und damit auch sehr unterschiedliche Prozesse zu gestalten. Eine zentrale Unterscheidung ergibt sich aus der Häufigkeit mit der ein Prozess durchlaufen wird (vgl. Abildung 11). Auf der einen Seite gibt es Prozesse, die in großer Zahl und über einen längeren Zeitraum immer wieder gleichartig ablaufen (Massenprozesse). Auf der anderen Seite des Kontinuums stehen einmalige Aufgaben, bei denen die Aktivitäten jedes Mal unterschiedlich aussehen und immer wieder komplett anders ablaufen (Einzelbzw. Individualprozesse). Viele Prozesse in der unternehmerischen Realität bewegen sich zwischen diesen beiden Extremen (Hybridprozesse).
Abb. 11: Prozesskontinuum
Bei einem Automobilhersteller bspw. gehört der Produktionsprozess zur Kategorie der Massenprozesse. Auf Basis eines definierten Prozesses werden Tausende oder gar Millionen von Autos im immer gleichen Ablauf produziert. Die Aktivitätenfolge zum Umgang mit der Covid-19-Pandemie bewegt sich dagegen auf der anderen Seite des Kontinuums. Auf diese Herausforderung war keiner vorbereitet und es mussten ganz neue und unerwartete Aktivitäten in einer sinnvollen Reihenfolge durchgeführt werden (Einzelprozess). Der Prozess zur Entwicklung eines neuen Autos ist irgendwo in der Mitte des Kontinuums einzuordnen (Hybridprozess). Einerseits gehört eine solche Produktentwicklung zu den regelmäßigen Aufgaben eines Automobilherstellers und die etablierten Hersteller verfügen über große Erfahrungen. Andererseits läuft jeder Produktentwicklungsprozess immer wieder etwas anders ab. Letzteres gilt umso mehr, wenn sich bspw. die Antriebstechnologie tiefgreifend verändert. Dementsprechend bewegt sich die erstmalige Entwicklung eines Autos mit E-Motor weiter rechts im Prozesskontinuum als die Entwicklung der Neuauflage eines etablierten Benziner-Modells.
Prozessgestaltung
Basierend auf der Einordung in diesem Prozesskontinuum ergeben sich unterschiedliche Herausforderungen und Zielrichtungen für die optimale Prozessgestaltung.51
Bei der Gestaltung von Massenprozessen, die (weitgehend) gleichartig und in großer Zahl ablaufen, stehen Effizienzziele im Vordergrund. Aufgrund der Häufigkeit ist es in solchen Fällen sinnvoll, die Aktivitätenfolge im Vorfeld möglichst perfekt zu planen bzw. zu definieren und dann standardisiert, automatisiert und fehlerfrei durchlaufen zu lassen. Wichtig ist typischerweise auch die Skalierbarkeit, d. h. die Möglichkeit der Anpassung an veränderte Mengen.
Die Gestaltung von Massenprozessen hat sich in den letzten gut 100 Jahren stark gewandelt. Mit der Erfindung des Fließbandes wurden solche Prozesse in der Ära von HENRY FORD zunächst vermessen, dann optimiert und anschließend standardisiert. Auf Basis von standardisierten Prozessen und Massenproduktion nach dem Fließbandprinzip konnte die Effizienz massiv erhöht werden. Seit den 1970ern ist im Zuge der sich ausbreitenden und immer besser werdenden Informationstechnologie eine zunehmende Automatisierung der (standardisierten) Prozesse zu erkennen, was die Effizienz weiter erhöht hat. Seit ein paar Jahren zeichnet sich nun eine dritte Stufe der Optimierung von Massenprozessen ab. Denn vor dem Hintergrund der VUCA-Umwelt, neuen technologischen Möglichkeiten (z. B. Nutzung von Echtzeitdaten und künstlicher Intelligenz52) und unterschiedlichen Kundenbedürfnissen bzw. -wünschen streben immer mehr Unternehmen flexiblere Prozesse an, die sich automatisiert an wechselnde und spezifische Kundenbedürfnisse anpassen können (adaptive Prozesse) – ohne zum Prozessmodell der Manufaktur zu wechseln. In den Speed Factories von ADIDAS53 bspw. werden in einem hochgradig automatisierten Prozess unter Nutzung von 3D-Druckern und spezifischen Kundendaten individuelle Schuhmodelle produziert. Die Häufigkeit der Produktion eines blauen Sportschuhs vom Typ X mit einem individuellen Fußprofil ist zwar gering bzw. gar einmalig, aber der zugrunde liegende Prozess läuft trotzdem standardisiert und automatisiert ab. Die gleiche Grundlogik findet sich bei den Empfehlungen auf den Webseiten von AMAZON, die automatisiert erscheinen, aber für jeden Nutzer individuell („hyperpersonalisiert“) sind. Und intelligente Chatbots ermöglichen eine aus Sicht des Unternehmens automatisierte, aber für den einzelnen Kunden individuelle Kommunikation zwischen Kunde und Unternehmen. Somit führt die Digitalisierung in der Logik von Abbildung 11 zu einer Verschiebung nach rechts. Immer mehr (Hybrid-)Prozesse können wie Massenprozesse gestaltet werden.
Bei einmaligen Aufgaben bzw. Aufgaben, die jedes Mal unterschiedlich ablaufen, spielen die Aspekte Standardisierung, Automatisierung, Fehlerfreiheit und Skalierbarkeit dagegen kaum eine Rolle. Es geht hier nicht darum, einen optimalen Prozess zu definieren, der mehrmals bzw. gar massenhaft durchlaufen wird, sondern darum, die Aufgabe unter Berücksichtigung von Zeit- und Finanzrestriktionen bestmöglich zu erfüllen. Hier wird zwar auch Effizienz angestrebt, aber es ist deutlich wichtiger, dass überhaupt „das richtige Prozessergebnis“ dabei herauskommt (Effektivität). Solche „echten“ Einzelprozesse werden auch gerne als Projekte bezeichnet.
Ein Projekt ist ein einmaliges, zeitlich begrenztes, zielorientiertes Vorhaben. Oft geht es um komplizierte oder komplexe, neuartige und interdisziplinäre Aufgabenstellungen. In der Regel wird für ein Projekt eine eigene, zeitlich begrenzte Projektstruktur gebildet.54
Während bei Massenprozessen die inhaltlichen Prozessschritte ganz konkret definiert werden, wird bei Einzelprozessen bzw. Projekten meist mit Metaprozessmodellen gearbeitet, die das grundsätzliche Vorgehen regeln, aber zu Beginn jedes neuen (Projekt-)Prozesses spezifisch inhaltlich auszugestalten sind. Ein klassisches Metaprozessmodell ist der Wasserfall-Ansatz in der Softwareentwicklung.55 In diesem werden die Projekte in mehrere Prozessphasen bzw. -stufen unterteilt, die aufeinander aufbauen und in einer vorher festgelegten Reihenfolge linear bzw. kaskadenartig durchgeführt werden. Typische Phasen sind dabei beispielsweise Planung/Konzeption, Design, technische Umsetzung, Roll-out und Support. Am Ende jeder Prozessphase steht ein vorher definierter Meilenstein, der bindende Vorgaben für die nächste Phase definiert. Eine Rückkopplung auf frühere Phasen ist nicht vorgesehen bzw. nur eingeschränkt möglich. Dementsprechend ist die Planungsphase am Anfang extrem wichtig und lang. Wenn es möglich ist und gelingt, vorab einen passenden Plan zu entwickeln, können die Umsetzungsphasen sehr geordnet und effizient ablaufen. Bestehen aber Unsicherheiten, ändern sich im Projektverlauf die Anforderungen und sind immer wieder Anpassungen nötig, ist ein solcher Wasserfall-Ansatz wenig sinnvoll. Daher wird in der Softwareentwicklung, bei der typischerweise große Unsicherheiten bestehen, bspw. seit einigen Jahren primär mit anderen, agileren Metaprozessmodellen gearbeitet, am häufigsten mit der in Kapitel 6.3 vorgestellten Scrum-Methode.
In der traditionellen Organisationslehre wird streng unterschieden zwischen der Organisation von dauerhaften bzw. zumindest längerfristigen Aufgaben (Primärorganisation) und der Organisation von zeitlich begrenzten Aufgaben (Projektorganisation). In Organisationslehrbüchern wird dies typischerweise klar voneinander abgegrenzt und komplett separat betrachtet. Und auch in der Spezialliteratur gibt es meist eine klare Trennung von Prozessmanagement- und Projektmanagementbüchern bzw. -veröffentlichungen.Während im Projektmanagement mit Projektabläufen, Ganttdiagrammen und Netzplänen gearbeitet wird, findet man im Prozessmanagement Ansätze wie BPMN (Business Process Model and Notation), Prozessdiagramme und Folgepläne. Prozessmanager analysieren Durchlaufzeiten, Prozesskosten und First Pass Yield; Projektmanager den kritischen Pfad, Puffer oder den Burn-Down.56 Begrifflich andere Welten, in der dahinterliegenden Logik zeigen sich aber durchaus etliche Gemeinsamkeiten.
Eine strikte Trennung der Disziplinen Prozess- und Projektmanagement ist deshalb häufig künstlich und sollte in den Unternehmen und in der Wissenschaft überdacht werden. Gerade auch im agilen Umfeld sind die Grenzen fließend. Scrum bspw. lässt sich sowohl als Projekt- als auch als Prozessmanagementmethode verargumentieren bzw. einsetzen.
Wie bereits angesprochen, gibt es in der Praxis eine ganze Reihe von Prozessen, die sich zwischen diesen beiden Extremen von „echtem“ Massenprozess und „echtem“ Einzelprozess bewegen ( Hybridprozesse). Beispielsweise die kontinuierliche Optimierung von Softwareprodukten durch Updates und neue Releases. Auf der einen Seite wird dieser Prozess häufig durchlaufen, auf der anderen Seite läuft er aber jedes Mal etwas unterschiedlich ab. Hier ist es dann die Herausforderung für die Prozessgestaltung, einen geeigneten „Mittelweg“ zwischen Prozessvorausplanung und -standardisierung sowie situativer Anpassung zu wählen.
Typisch für eine klassische Prozessgestaltung ist die präsituative Planung und Festlegung der Aktivitätenfolge. Das heißt, es wird weitgehend im Voraus geplant, wie und in welcher Reihenfolge die Aktivitäten durchgeführt werden. Vor der Umsetzung steht daher eine relativ umfangreiche und umfassende Planung. Die zentrale Kernidee dahinter ist es, dass jemand mit einer Gesamtsicht und Prozessexpertise (etwas überspitzt ausgedrückt „der schlaue Prozess-Ingenieur“) den Prozess optimal aufsetzt und die einzelnen Aktivitäten dann arbeitsteilig von ungelernten oder auf bestimmte Aufgaben spezialisierten Fachkräften abgearbeitet werden. Die Koordination der verschiedenen Aktivitäten ist durch den Prozessplan gewährleistet.57
Dies ist bei einer agilen Prozessgestaltung deutlich anders. Hier werden nicht im Voraus alle Aktivitäten in eine möglichst optimale Reihenfolge gebracht (vgl. Abbildung 10), sondern die Teilaufgaben werden – in den Begriffen von Scrum (vgl. Kapitel 6.3) – in Form von Funktionalitäten bzw. User Stories in ein Backlog „gepackt“, dort auf Basis des gerade aktuellen Wissensstandes immer wieder repriorisiert und im Laufe des Prozesses passend in die Umsetzung „gezogen“. Das heißt, die Aktivitätenfolge wird nicht präsituativ geplant, nur das grundsätzliche Prozessvorgehen ist geregelt. Die Koordination erfolgt durch Abstimmungen der beteiligten Personen in verschiedenen Meetings.
Agile Methoden eignen sich insbesondere für Prozesse auf der rechten Seite des Prozesskontinuums in Abbildung 11, weil dort die Unsicherheit und Komplexität oft hoch und eine detaillierte Vorausplanung damit schwierig ist. Da es aber auch bei Massenprozessen durchaus vorkommt, dass aus verschiedensten Gründen vom Plan abgewichen wird bzw. sich im Prozessverlauf Optimierungspotenziale zeigen, können auch im linken Bereich des Prozesskontinuums z. T. agile Methoden wie Kanban (vgl. Kapitel 6.2) sinnvoll sein.
3.3 Gestaltung von Strukturen
Die Prozesse benötigen Strukturen, in denen sie ablaufen. Für jede Aktivität im Prozess sind Personen bzw. Organisationseinheiten nötig, die für die Erfüllung verantwortlich sind (vgl. Abbildung 7).58
Die (Organisations-)Struktur umfasst alle Regeln, die Organisationseinheiten Aufgaben (bzw. Aktivitäten) mit den zugehörigen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten (AKV-Prinzip) zuweisen und deren Beziehungen zueinander definieren.
Wesentliche Merkmale der Struktur sind zum einen die Organisationseinheiten (Stellen und Stellenmehrheiten) und zum anderen deren Beziehungen zueinander, insbesondere deren hierarchische Über- und Unterordnung (Hierarchie).
Strukturelemente
Die Organisationseinheiten in Form von Stellen und Stellenmehrheiten ergeben sich durch die Bündelung von Aufgaben, die von einer Person oder mehreren Personen mit einer spezifischen Qualifikation erfüllt werden sollen. Hier ist die zentrale Frage, wie die Aufgaben bzw. Aktivitäten sinnvoll aufgeteilt werden sollen (Arbeitsteilung).
Stellen sind eine personenbezogene Aufgaben- bzw. Aktivitätenbündelung, die vom Personenwechsel unabhängig ist.59 Typischerweise werden Ausführungs- und Leitungsstellen (Instanz, umgangssprachlich „Chef“) unterschieden. Letztere nehmen überwiegend Leitungs- und Führungsaufgaben wahr. Durch die Zusammenfassung mehrerer Stellen zu einer Organisationseinheit entstehen Stellenmehrheiten (z. B. Abteilung, Bereich, Projektteam).
Zur effektiven und effizienten Erfüllung der Aufgaben bzw. Aktivitäten braucht es auch eine adäquate Abstimmung der Aufgabenausführung durch die einzelnen, arbeitsteilig agierenden Stellen(mehrheiten). Deshalb werden klassischerweise Über- und Unterordnungsbeziehungen mit entsprechenden Weisungsbefugnissen gestaltet (Hierarchie). Der Grundgedanke besteht darin, dass eine übergeordnete Organisationseinheit (Instanz) den Abstimmungsbedarf zwischen den verschiedenen ausführenden Organisationseinheiten (er)kennt und entsprechend koordinierend eingreifen kann.60
Die (Organisations-)Hierarchie beschreibt die formalen Über- und Unterordnungsbeziehungen der Organisationseinheiten. Es ist möglich, beliebig viele Hierarchieebenen einzubauen.
Strukturdarstellung
Die Darstellung der Organisationsstruktur erfolgt i. d. R. in einem Organigramm (vgl. Abbildung 12). Dieses liefert eine schematische, grafische Darstellung der äußeren Form der hierarchischen Struktur des Unternehmens bzw. Unternehmensbereichs. Es gibt einen schnellen Überblick hinsichtlich hierarchischer Zuordnungen, Aufgabenverteilung und Leitungsbeziehungen.
Abb. 12: Darstellung der Organisationsstruktur in einem Organigramm (beispielhaft)61
Die im Organigramm dargestellte hierarchische Weisungsstruktur sagt aber nichts darüber aus, wie im Unternehmen kommuniziert, d. h. wie „die Struktur gelebt“ wird. In sehr bürokratischen Unternehmen findet Kommunikation horizontal nur innerhalb der eigenen Organisationseinheit und vertikal in der Linie, d. h. mit der jeweils direkt unter- bzw. übergeordneten Ebene, statt. In dem Fall bilden sich die berühmt-berüchtigten „Silos“. In einem kommunikativ weniger formalen Unternehmen dagegen kann es üblich sein, dass die Kommunikationsbeziehungen weitgehend unabhängig von den Linien im Organigramm sind.
Einige Unternehmen haben mit dieser klassischen Organigrammstruktur schlechte Erfahrungen gemacht. Exemplarisch können die im Beitrag von TILLMANNS-ESTORF/GROßE/GUMULA in diesem Buch aufgeführten Erlebnisse der B. BRAUN MELSUNGEN AG aufgeführt werden.62 Demnach sei die klassische Organigrammstruktur starr, abschottend und inflexibel. Sie führe zu
strikter Aufgabenteilung („meine Zuständigkeit, da lass ich mir nicht reinreden“)
ausgeprägtem Silodenken („nicht meine Zuständigkeit, das betrifft mich nicht und ist mir egal“)
extremer Machtauslebung („wer oben drüber sitzt, entscheidet“)
Tendenz zur Auswucherung, weil immer neue Aufgaben, neue Stellen, Gruppen oder gar Abteilungen im eigenen Bereich aufgesetzt werden, statt Aufgaben auch mal bereichsübergreifend zu erledigen
Nicht mehr infrage stellen einmal geschaffener Stellen.
Die beiden schreiben pointiert: „Organigramme sind oft das Gegenteil von Entfaltung. Sie sind eher der Weg, andere zusammenzufalten.“
Diese negativen Effekte sind zwar keinesfalls zwingend bei einer klassischen Organigrammstruktur, denn das lässt sich auch anders leben. Aber die Erfahrungen von B. BRAUN sind auch keinesfalls untypisch, denn häufig wird die Organigrammstruktur so gelebt. Deshalb suchen immer mehr Unternehmen nach anderen Ansätzen der Arbeitsteilung und Koordination (vgl. Kapitel 8).
Ansätze der Aufgabenbündelung
Zentral für die Gestaltung der Struktur bzw. von Organisationseinheiten ist die Art der Aufgabenbündelung, d. h. welche Aufgaben (plus die zugehörigen Kompetenzen und Verantwortungen) werden zusammengepackt? Wurden – wie empfohlen – zunächst die End-to-end-Prozesse im Hinblick auf eine möglichst optimale Erfüllung der Kundenanforderungen definiert, stellt sich nun (bzw. parallel dazu) die Frage, welche Aktivitäten aus den gegebenen Prozessen im konkreten Fall am besten zusammengepackt werden sollten (vgl. Abbildung 13).
Abb. 13: Funktionale vs. prozessorientierte Aktivitätenbündelung63
Bei einer – in der Praxis sehr häufig vorzufindenden – Bündelung von gleichartigen Funktionen bzw. Verrichtungen werden z. B. alle Buchungsvorgänge aus verschiedenen Prozessen in einer Organisationseinheit „Buchhalter“ (Stelle) bzw. „Buchhaltung“ (Stellenmehrheit bzw. Abteilung) zusammengefasst. Bei einer rein prozessorientierten Bündelung würde sich dagegen eine Stelle(nmehrheit) um alle Aktivitäten eines Prozesses (z. B. die Auftragsabwicklung) kümmern – inklusive der darin enthaltenen Buchungsvorgänge.
Außerdem kann auch eine objektorientierte Bündelung stattfinden, indem alle Aktivitäten an einem Objekt (meist Produkt, Kunde oder Region) zusammengefasst werden. In dem Fall werden alle Aufgaben, die sich auf ein Produkt, einen Kunden bzw. Kundengruppe oder eine Region bzw. Land beziehen, in einer Organisationseinheit zusammengefasst (vgl. Abbildung 14).
Logischerweise ergeben sich durch diese unterschiedliche Art der Aufgabenbündelung unterschiedliche Vor- und Nachteile. Kernfrage der Organisationsgestaltung ist es dann immer abzuwägen, welche Vor-/Nachteile in der spezifischen Situation und im konkreten Organisationsbereich wichtiger sind.
Abb. 14: Arten der Aufgabenbündelung (Grundmuster) im Vergleich64
Die Entscheidung für eine Logik der Aufgabenbündelung ist in Unternehmen i. d. R. auf mehreren Ebenen zu treffen. In großen Unternehmen mit einem heterogenen Leistungs-/Produktprogramm findet sich unterhalb des Vorstands oft eine objektorientierte Aufgabenbündelung (auch Divisionale Organisation) genannt (z. B. getrennte Organisationseinheiten für PKW- und LKW-Geschäft). Dies kann auch auf den Ebenen darunter der Fall sein (z. B. getrennte Organisationseinheiten für verschiedene PKW-Marken oder Regionen). Auf einer niederen Hierarchieebene – und bei kleinen Unternehmen – gibt es letztlich aber klassischerweise fast immer irgendwo verrichtungsorientierte Einheiten, weil fast immer irgendwann funktionale Spezialisierungseffekte (Economies of Scale & Learning) eine dominante Rolle spielen.
Weil jede dieser Aufgabenbündelungsarten Nachteile hat, versucht man diese natürlich mit geeigneten organisatorischen Gestaltungsmaßnahmen auszugleichen. Ein typischer Ansatz ist eine Matrixorganisation (vgl. Abbildung 15), bei der eine Aufgabenspezialisierung nach zwei Kriterien erfolgt – bspw. nach Produkten (z. B. PKW Marke A vs. PKW Marke B) und Funktionen (z. B. Produktion vs. Vertrieb). Dadurch will man den Fokus auf den spezifischen Markt mit der Realisierung von funktionaler Expertise kombinieren. Eine Ausführungsstelle in der Matrix ist dann bspw. spezialisiert auf den Vertrieb von PKWs der Marke A und wird durch zwei übergeordnete Instanzen koordiniert bzw. geführt, von denen eine auf die Spezifika der Marke A und eine andere auf Vertriebsaspekte ausgerichtet ist.
Problematisch sind dann häufig die sich kreuzenden Weisungslinien, insbesondere, wenn Instanz X sagt „das muss im Vertrieb immer so laufen“ und Instanz Y „das funktioniert bei den Kunden von Marke A so nicht“. Eine Matrix erzeugt Reibung, was Vor- (insb. aus verschiedenen Perspektiven durchdachte Entscheidungen) und Nachteile (insb. langsamere Entscheidungen und ggf. Kompromisslösungen) hat.
Abb. 15: Typische Modifikationen eindimensionaler Organisationsstrukturen
Ein anderer Ansatz, um die Nachteile der verschiedenen Aufgabenbündelungsarten auszugleichen, ist die Modifikation der Grundmuster. Bei der objektorientierten Divisionalen Organisation bspw. besteht der größte Nachteil in der geringen Ressourceneffizienz aufgrund einer geringen verrichtungsorientierten Spezialisierung und Doppelarbeiten in verschiedenen objektorientierten Organisationseinheiten sowie einer suboptimalen unternehmensweiten Ressourcenallokation. Um dieses Problem zu beheben bzw. abzumildern, werden Aufgaben, die an verschiedenen Stellen im Unternehmen relativ gleichartig benötigt werden, häufig aus den objektorientierten Organisationseinheiten herausgezogen und in gemeinsamen Organisationseinheiten gebündelt (vgl. rechte Seite in Abbildung 15). Dies betrifft sowohl Serviceaufgaben (Shared Services, z. B. Buchhaltung, Gehaltsabrechnung, IT-Support) als auch Steuerungsaufgaben (Corporate Functions, z. B. Finanzmanagement, Unternehmenskommunikation, IT-Strategie). In diesen Einheiten findet eine verrichtungsorientierte Spezialisierung statt. Dadurch versucht man insb. Markt-/ Kundenorientierung sowie Anpassungsfähigkeit (in den Geschäftsbereichen) mit Ressourcen- und Prozesseffizienz (über die Zentraleinheiten) zu kombinieren. Diese organisatorische Trennung von Steuerungs-, Operations- und Serviceaufgaben wird auch als SOS-Konzept bezeichnet.65