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Das Bildungsprogramm des Camerarius
Thomas Baier (Würzburg)
Wolfgang Kullmann nonagenario
Einleitung
Ein Blick in das Werkverzeichnis des Joachim Camerarius1 zeigt, dass Erstausgaben, Kommentare und Übersetzungen einen erheblichen Teil seines Schaffens ausmachen. Es ging dem Bamberger Gelehrten offenkundig darum, die Textgrundlage für wissenschaftliche Studien herzustellen. Allerdings wird nicht immer auf Anhieb deutlich, welchen Anteil Camerarius an den jeweils unter seinem Namen verzeichneten Drucken eigentlich hatte. Oft gab er etwa vorhandene Übersetzungen heraus und ergänzte sie, wenn sie unvollständig waren. Mitunter steuerte er Vorworte zu Erstausgaben bei. Aus Briefen wird deutlich, dass er als Anreger von Übersetzungen und Ausgaben tätig war. Er verstand sich offenbar als Teilnehmer eines Unternehmens, an dem damals führende Gelehrte, vor allem Gräzisten wie etwa MelanchthonMelanchthon, Philipp, beteiligt waren. Ziel dieses ‚Langzeitprojekts‘ war die Erschließung der griechischen Literatur für den deutschen Humanismus.
Im Folgenden soll eine eher untypische Übersetzungsleistung des Camerarius gewürdigt werden, nämlich sein Glossar menschlicher Körperteile. Dieses medizinische Fachlexikon erschien 1551 in Camerarius’ Leipziger Zeit. Gleichzeitig kamen unter seiner Beteiligung die umfangreiche XenophonXenophon-Übertragung2 sowie einige pädagogische3Bapst, ValentinOporinus, Johannes und rhetorische4 Schriften heraus, die wenigstens im weiteren Sinn dem Umkreis der Übersetzertätigkeit zuzurechnen sind.
Das lateinisch-griechische Glossar medizinischer Begriffe, also gleichsam ein cursus linguae medicinalis, gehört in diesen großen Rahmen, nimmt aber aufgrund seiner Thematik, seines langen Entstehungsprozesses und seiner umfangreichen Einleitung eine Sonderstellung ein.
Das in Basel gedruckte zweisprachige Werk wurde bereits im Rahmen des Projekts „Griechischer Geist aus Basler Pressen“5 bibliographisch erfasst. Im Jahr 2000 widmete ihm R. Kößling einen Festschriftaufsatz, in dem er das Werk als „Zeugnis renaissancehumanistischer Sprachkultur und Bildungsvermittlung“ würdigte.6
Die Schrift hat einen recht sperrigen, aber dafür aussagekräftigen Titel: „Aufzeichnungen in beiden Sprachen [also Griechisch und Latein], in welchen sich ein handhabbares Glossar mit den Benennungen aller Teile des menschlichen Körpers befindet, […], wobei auch die Benennungen der mit jedem Körperteil verbundenen Anwendungen und, was sonst noch dazugehört, beigefügt sind, und zwar meist unter Gegenüberstellung von lateinischen und griechischen Wörtern“.7Camerarius d.Ä., JoachimCommentarii utriusque linguaeHerwagen d.Ä., Johann
Das Glossar dürfte ein besonderes Herzensanliegen des Camerarius gewesen sein. Womöglich handelte es sich sogar um seine Leipziger ‚Lebensaufgabe‘. Nachdem der gebürtige Bamberger sich im Alter von 16 Jahren in Leipzig immatrikuliert und dort seine ersten Studien absolviert hatte, kehrte er nach Stationen in Wittenberg, Nürnberg und Tübingen 1541 als Ordinarius an seine alte Alma Mater zurück. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits ein angesehener Editor und Übersetzer, daneben auch Dichter. In Leipzig scheint sich Camerarius nichts weniger vorgenommen zu haben als eine Grundlegung der Wissenschaft aus dem Geist philologischer Forschung.8 Er ging dabei von der Annahme aus, dass Wissen sich ausschließlich über Sprache kommuniziert und die erste Voraussetzung von Wissenschaft somit die Ausdrucksfähigkeit ist. Insofern sind auch seine medizinischen Studien zunächst einmal philologische Studien. Es ging ihm darum, Latein als Wissenschaftssprache zu erhalten oder, wo nötig, wiederzubeleben.
Offenbar war man in Humanistenkreisen der Meinung, dass es um die Pflege der alten Sprachen an den Hochschulen nicht besonders gut bestellt sei. 1538 beklagt Simon GrynaeusGrynaeus, Simon (1493–1541) in einem Brief an Camerarius die desertio optimarum artium et studiorum humanitatis.9 Eben jener GrynaeusGrynaeus, Simon, selbst Gräzist und Theologe, außerdem Professor zunächst in Heidelberg, später in Basel, scheint Camerarius auch zur Abfassung des Glossars gedrängt zu haben. In der Widmungsepistel hebt Camerarius nämlich hervor, dass er schon lange an einer Sammlung medizinischer Begriffe arbeite und von Freunden zu deren Veröffentlichung ermuntert worden sei. Inter hos instare mihi adsiduo, et urgere me vehementer, sapientia et doctrina excellens vir, Simo GrynaeusGrynaeus, Simon. Der Duktus des Widmungsschreibens erweckt den Eindruck, als sei hier ein lange gehegtes Vorhaben endlich umgesetzt worden, und die warmherzige Erwähnung des zum Veröffentlichungszeitpunkt bereits zehn Jahre verstorbenen GrynaeusGrynaeus, Simon ist weit mehr als bloß ein höfliches Gedenken. Kößling verweist auf Camerarius’ hochschulpolitisches Wirken in Leipzig und sein Rektorat in den Sommersemestern 1544 und 1546, welches der zügigeren Fertigstellung der Schrift im Wege gestanden haben mag.10 Im Jahr 1551 erschien die Schrift schließlich bei Johann Herwagen d.Ä.Herwagen d.Ä., Johann in Basel.
Dem eigentlichen Glossar geht eine ausführliche Widmungsrede voraus, in der die Bedeutung der Wissenschaftssprachen Griechisch und Latein herausgestellt wird. Sie ist adressiert ad Nobilem Ordinis equestris in Misnia adolescentem Bolgangum Theoderici F. Vuerterensem, den Diplomaten und Juristen Wolfgang von Werthern (1519–1583).11 Dieser war wie Camerarius selbst ein Schüler von Georg FabriciusFabricius, Georg und offenbar ein gelehrter, bildungsbeflissener Mann. Das ausführliche Widmungsschreiben umfasst die Seiten a2r bis b3v. Ihm folgt der Abdruck eines kurzen Briefes des Simon GrynaeusGrynaeus, Simon (b4r).
Das Glossar selbst erstreckt sich über die Seiten a1r bis h2v. Die Seiten sind in zwei Kolumnen à 53 Zeilen angeordnet. Die Spalten sind von 1 bis 498 durchnummeriert.12
Simon GrynaeusGrynaeus, Simon
Der Widmungsbrief fällt in seiner Ausführlichkeit und vor allem, was seinen grundsätzlichen Zugriff auf Bildungsfragen angeht, aus dem Schema des Üblichen heraus. Das Verfassen von Vorworten erfolgte – damals vermutlich nicht anders als heute – in letzter Sekunde und meist wohl recht rasch und mit leichter Hand. Der erwähnte Simon GrynaeusGrynaeus, Simon, der postum als Spiritus Rector dieser Schrift genannt wird, bezeichnete sich einmal selbst in einem Brief an Camerarius als berüchtigten Vorwortschreiber. In dem nämlichen Brief, datiert auf einen 1. August, abgefasst in Basel und an den seinerzeit in Tübingen lehrenden Camerarius gerichtet, kündigt GrynaeusGrynaeus, Simon das baldige Erscheinen der Übersetzungen von PtolemaeusPtolemaeus, Claudius und TheonTheon von Alexandria an, und zwar his nundinis, auf der bevorstehenden Messe. Damit ist, wie Heinz Scheible gezeigt hat1 und wie sich aus dem Erscheinungsdatum der Ptolemaeus-Übersetzung ergibt, die Frankfurter Herbstmesse des Jahres 1538 gemeint. Während Camerarius sein Vorwort schon geliefert hatte, stand dasjenige des GrynaeusGrynaeus, Simon noch aus:
Tua praefatio sic ut voluisti legetur. De mea etiam delibero, et quid et cui. Infamis praefando sum, adeo me typographi ad quidvis, id est ad hos usus natum scriptorem utuntur.2
Dein Vorwort wird so zu lesen sein, wie du es wolltest. Über meines denke ich noch nach, sowohl über den Inhalt als auch über den Adressaten. Ich bin berühmt-berüchtigt im Vorwortschreiben, sosehr missbrauchen mich die Drucker als einen Schreiber, der für alles Mögliche, besonders für solche Zwecke geboren ist.
Das nur wenige Zeilen umfassende Schreiben ist erstens ein eindrucksvoller Beleg für GrynaeusGrynaeus, Simon’ nahezu unleserliche Schrift, über deren Zumutungen auch zeitgenössische Drucker regelmäßig Klage führten und die sogar ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius von Rotterdam zu mildem Spott veranlasste.3 Zweitens dokumentiert es seinen kolloquialen Umgangston in Privatbriefen, der selbst vor falschem Latein nicht gefeit war – etwa wenn uti einen Akkusativ regiert. Drittens wird hier die Praxis offenkundig, Vorworte sozusagen „auf den letzten Drücker“ und ohne besonderen Anspruch niederzuschreiben. Umso auffälliger ist die lange Abhandlung, die dem Medizin-Glossar voransteht. In welchem Zusammenhang steht sie also, wie ist sie zu bewerten?
Ein erster Schlüssel könnte ein undatierter Brief des erwähnten GrynaeusGrynaeus, Simon sein, den Camerarius an sein Vorwort anhängt (ohne Paginierung). Er lautet in auszugsweiser Übersetzung folgendermaßen:
Simon GrynaeusGrynaeus, Simon grüßt Joachim Camerarius
[…] Was das Lexikon angeht, so erfolgte es auf meinen Rat hin; hatte ich doch gehört, dass du einige Notizen gesammelt hattest. Sorge dafür, dass du mehr als genug Kraft und Muße hast, damit du uns immer wieder eine Frucht deiner einzigartigen Begabung und Sorgfalt zuteilwerden lässt. Leb wohl und sei mir gewogen. Eine Krankheit hielt uns zum Herbstanfang leicht im Griff, jetzt hat sie geradewegs eine Pause eingelegt. Der Herr möge uns vor der Krankheit der Hoffart (impietas) schützen. Sei nochmals gegrüßt, mit deiner Familie.
Dieser Brief ist in zwar kolloquialem, aber tadellosem Latein abgefasst, was jedoch nichts besagt. Scheible konnte aus dem Vergleich von handschriftlich erhaltenen Briefen des GrynaeusGrynaeus, Simon an Camerarius mit solchen, die der Adressat nachträglich in seine gedruckten Briefsammlungen aufnahm, zeigen, dass der Bamberger Schulmeister mitunter seiner Profession erlag und korrigierend oder wenigstens glättend eingriff.4 Wir müssen bei gedruckt vorliegenden Briefen in Camerarius’ Briefsammlungen davon ausgehen, dass sie uns in überarbeiteter Form vorliegen. Die Erschließung der gedruckten Camerarius-Briefe wird darüber näheren Aufschluss geben. Es zählte für Camerarius offenbar der dokumentarische Wert, wie er ihn verstand, nicht aber das Monument.
Weshalb ist Simon GrynaeusGrynaeus, Simon in diesem Zusammenhang so interessant? GrynaeusGrynaeus, Simon starb 1541, im Jahr von Camerarius’ Berufung nach Leipzig, an einer Epidemie, hat also die Publikation des Glossars nicht mehr miterlebt. Mit Camerarius hatte ihn jedoch eine in das Jahr 1524 zurückgehende Freundschaft verbunden. In diesem Jahr war GrynaeusGrynaeus, Simon seinem einstigen Schulkameraden MelanchthonMelanchthon, Philipp nach Wittenberg gefolgt, wo letzterer eine Griechischprofessur bekleidete. MelanchthonMelanchthon, Philipp widmete ihm eine programmatische Schrift über humanistische Bildung, das Encomium eloquentiae.5 In Wittenberg lehrte zu derselben Zeit aber auch Camerarius. Zwischen ihm und GrynaeusGrynaeus, Simon entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Beide pflegten schließlich enge Kontakte zu ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius in Basel, die ihrerseits in die Edition und Übersetzung antiker Autoren mündeten, so etwa die Erstausgabe der Bücher 41–45 des T. LiviusLivius.6 Die Jahre zwischen 1524 und Erasmus’ Tod im Jahr 1536 dürften also der Auslöser für das humanistische Programm des Camerarius gewesen sein. Er war Teil dessen, was man heute als ein wissenschaftliches Netzwerk bezeichnen würde.
Camerarius’ humanistisches Programm
Als humanistischen Entwurf im Sinne von GrynaeusGrynaeus, Simon und ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius wird man wohl auch den Einleitungsbrief des Camerarius zu lesen haben. GrynaeusGrynaeus, Simon ist, wie gesagt, als Anreger des Werks erwähnt. Doch auch auf ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius beruft sich Camerarius ausdrücklich, und zwar auf dessen Antibarbari – inter quos et ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius Roterdamus contra barbaros quaedam conscripsit – gemeint sind die Adagia, die sich einerseits als Sprichwortsammlung verstehen, andererseits aber auch gegen Sprachbarbarei gerichtet sind, also den „bon usage“ verfechten. Camerarius geht sogar so weit und inszeniert sich als alter ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius, indem er selbst eine Art Adagium zur Bekräftigung seiner Ausführungen vorlegt (α3r):
Surdastro litem surdaster moverat alter,
Hisque aderat iudex, surdus utroque magis.
Infit hic, Aediculae mihi quintum pensio mensem
Debetur: Traxi noctu ait ille, molam.
Aspicit hos iudex, et, Quid contenditis? inquit,
Est genetrix vobis, praestet uterque cibum.
Ein Tauber hatte mit einem Tauben Streit angezettelt, diesen stand ein Richter bei, der beide an Taubheit noch einmal übertraf. Der erste hob an: „Mir wird schon den fünften Monat die Miete für das Haus geschuldet“: Jener sprach: „Ich habe des Nachts die Mühle bedient.“ Der Richter blickte sie an und sagte: „Was streitet ihr? Ihr habt eine Mutter, beide sollen ihr Speis und Trank geben.“
Es handelt sich um die Übersetzung eines Epigramms beziehungsweise einer Facetie aus der Anthologia Palatina (11, 251), die im griechischen Original folgendermaßen lautet:
Δυσκώφῳ δύσκωφος ἐκρίνετο, καὶ πολὺ μᾶλλον
ἦν ὁ κριτὴς τούτων τῶν δύο κωφότερος.
ὧν ὁ μὲν ἀντέλεγεν τὸ ἐνοίκιον αὐτὸν ὀφείλειν
μηνῶν πένθ’, ὁ δ’ ἔφη νυκτὸς ἀληλεκέναι.
ἐμβλέψας δ’ αὐτοῖς ὁ κριτὴς λέγει· „Ἐς τί μάχεσθε;
μήτηρ ἔσθ’ ὑμῶν· ἀμφότεροι τρέφετε.“
Jüngst prozessierte ein Tauber mit einem Tauben, doch fanden
sie einen Richter, der viel tauber als beide noch war.
Klagte der eine, ihm schulde sein Gegner fünf Monate Miete,
sagte der andre, des Nachts laufe sein Mühlenbetrieb.
Ernst sah der Richter sie an; dann sprach er: „Was zankt ihr? Sie ist nun
mal eure Mutter, ihr sorgt beide daher auch für sie.“1
Das Nikarchos zugeschriebene griechische Epigramm setzt ein unsinniges Aneinandervorbeireden in Szene. Eine jüngere Arbeit bemerkt dazu: „Im Epigramm wird der absurde dreifache Zusammenfall derselben Defizienz sukzessive akkumulierend durch dreimalige Wiederholung derselben Adj. anhand jeder einzelnen der beteiligten Personen betont. Der Effekt dieses Vorgehens ist, dass sich die Abnormität der Situation immer noch mehr erhöht und als Verdreifachung des Übels besonders deutlich eingehämmert wird.“2 Möglicherweise soll auch der Gleichklang der ersten Silbe von μηνῶν und μήτηρ an den Tonstellen der letzten beiden Pentameter das Missverständnis erklärlich machen. Camerarius hat in seiner Übersetzung die entscheidenden Wörter ebenfalls an die Tonstellen gesetzt: mensem, molam, cibum, jeweils an den Versenden. Hört man statt mensem das Wort mensam – was ja durch die Nasalierung leicht zu verwechseln ist, so könnte das Wortfeld „Essen“ den Irrtum des tauben Richters befördert haben.
Camerarius’ Übersetzung ist jedenfalls sehr gekonnt, da sie das Versmaß einhält, genauso lang wie das Original ist und sowohl zielsprachen- wie ausgangssprachenorientiert ist. Es existiert bereits eine ältere Übersetzung des Thomas Morus, die dieser als junger Mann angefertigt hat. Sie wird von ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius in den Adagia zitiert (Nr. 2383, III, IV, 83):
Lis agitur, surdusque reus, surdus fuit actor,
Ipse tamen iudex surdus utroque magis.
Pro aedibus hic petit aes quinto iam mense peracto;
Ille refert: Tota nocte mihi acta mola est.
Aspicit hos iudex et: Quid contenditis, inquit,
An non utrique est mater? utrique alite.3
ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius hatte das Sprichwort Surdaster cum surdastro litigabat zur Erläuterung angeführt: Cum res agitur inter undequaque ridiculos ac stultos.
Camerarius verwendet das Bild von der sinnfreien Kommunikation unter Schwerhörigen, um zu demonstrieren, welche Folgen das Fehlen einer gemeinsamen Fachsprache hat. Er bezeichnet die Unmöglichkeit der Verständigung als Inbegriff von barbaries. Dazu führt er aus, Barbarei bestehe in der Missachtung der natürlichen Anlage beziehungsweise Bestimmung des Menschen, und diese erfülle sich ihrerseits in der Denk-, Urteils- und Ausdrucksfähigkeit: Naturae barbaries intellegitur violatio aut neglectio eius, quod generi humano quasi ius quoddam illa sancivit, cogitandi prudenter, & eloquendi diserte, cum honestate et decoro (2). Dies, so Camerarius, entspreche der hominum forma ac species (2). Doch was versteht Camerarius unter einer angemessenen Ausdrucksfähigkeit? Es handelt sich um eine an antiken Vorbildern geschulte Sprache, die sich aber dennoch modernen Erfordernissen anpasst. Camerarius nimmt letztlich auf eine Debatte seiner Zeit Bezug, die, von PoggioBracciolini, Poggio Bracciolini angefacht, die Gemüter ungefähr ein Jahrhundert lang erhitzt hatte, nämlich die Frage des Ciceronianismus. Ganz offenkundig tritt Camerarius auch hier in die Fußstapfen des ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius;4Erasmus von Rotterdam, Desiderius dieser war bekanntlich im Ciceronianus für eine gemäßigte, den Umständen angepasste CiceroCicero-Nachfolge eingetreten. Das aptum wurde zur entscheidenden Kategorie; der „bon usage“ bestimmte sich nicht nur durch die Tradition, sondern vor allem von der Funktion her. Dieselbe Haltung lässt auch Camerarius durchblicken. Nicht nur im Ton, sondern auch im Inhalt gibt er sich als ein zweiter ErasmusErasmus von Rotterdam, Desiderius.
Camerarius als Übersetzer
Camerarius sah das Übersetzen durchaus als Teil eines pädagogischen Programms.1Poliziano, Angelo Eine der allerersten Publikationen, die der zu diesem Zeitpunkt Dreiundzwanzigjährige unter dem Namen Anastasius2 Quaestor veröffentlicht hatte, trägt den Titel Bonis iuuvenibusCamerarius d.Ä., JoachimBonis iuuvenibus εὖ πράττειν.3Melanchthon, PhilippMelanchthon, Philipp Es handelt sich dabei um eine Art Vorwort zu Camerarius’ eigener Lukianübersetzung.4 Darin vertritt er die Auffassung:
Ego vero non aliam rem existimo magis adulescentum ingenia posse excitare et alere eruditionem, quam stylum. Ille vero vertendis alienis rectissime exercetur, ubi et intra praefinitos terminos consistere, et non pro suo arbitrio fluctuare, sed velut in auctoris quem propositum habet vestigiis manentem sequi oportet, quibus dum inhaeret, saepe dubitat, multa quaerit, diligenter dispicit omnia, nonnumquam desperat, mox recepto animo pergit facere quod instituit, quae omnia mirifice mentem acuunt, et artem iuvant, quam nimis sero nunc fere attingamus: ut nisi certa ratione gubernetur, et omnibus viribus urgeatur, frustra sit laboratum.
Ich bin aber der Ansicht, dass keine andere Sache den Geist der jungen Leute so anstachelt und ihre Erziehung so nähren kann wie das Stilempfinden. Dieses schult man wiederum am besten durch das Übersetzen aus der Fremdsprache. Dort ist es nämlich nötig, innerhalb festgelegter Grenzen zu bleiben und sich nicht nach eigener Willkür treiben zu lassen, sondern auf den Spuren des Autors, den man sich vorgenommen hat, zu verharren. Während [der adulescens] sich [in das Übersetzen] vertieft, gerät er oft in Zweifel, hinterfragt vieles, untersucht alles sorgfältig, verzweifelt mitunter, setzt das Begonnene aber bald fort, wenn er wieder Mut gefasst hat. All das schärft auf wundersame Weise den Verstand und hilft derjenigen Fertigkeit, der wir uns jetzt allzu spät zuwenden wollen. So gilt, dass die Mühe vergeblich war, wenn das Vorgehen [sc. ars] nicht mit verlässlicher Methode gelenkt und aller Kraft vorangetrieben wird.
Man merkt den Zeilen nicht nur die Begeisterung am Umgang mit antiken Texten an, sondern aus ihnen spricht auch bereits die methodische Strenge, die Camerarius später als Herausgeber auszeichnen wird und die in seinem „Meisterstück“, der PlautusPlautus-Gesamtausgabe von 1552, zum Ausdruck kommen sollte.5Plautus Seine erste wissenschaftliche Beschäftigung mit Plautus reichte vermutlich in die Wittenberger Zeit zurück, wo er 1525, also kurz vor der Abfassung von Bonis iuvenibus, von seinem ehemaligen Leipziger Lehrer Veit Werler6 leihweise eine Plautus-Handschrift erhielt.7Plautus Es scheint die Zeit gewesen zu sein, in der Camerarius begann, die stilistischen Eigentümlichkeiten verschiedener Autoren zu untersuchen und zu würdigen. Die kleine Erziehungsschrift Bonis iuuvenibus εὖ πράττειν markiert gewissermaßen den Beginn seiner philologisch-pädagogischen Karriere. Der Schrift präludiert eine Abhandlung Melanchthons über die Notwendigkeit rhetorischer Kenntnisse für jede Art des Studiums: De studio artium dicendiMelanchthon, PhilippDe studio artium dicendi.8 Darin lobt der Humanist den Nutzen der Beredsamkeit und wägt wie QuintilianQuintilian im zehnten Buch der Institutio oratoria die Vorzüge der Dichterlektüre für die Ausbildung des Redners. Es wird jedenfalls schon aus dem Frühwerk des Camerarius deutlich, dass der Technik des Übersetzens im Ausbilden philologischer Fähigkeiten eine wesentliche Rolle zufällt.