Kitabı oku: «Chimära mensura?», sayfa 5
Das zeigt auch, was passiert, wenn sich eine wissenschaftliche Strömung nur mit sich selbst beschäftigt ist und in einer Selbstbestätigungschleife festhängt. So etwas passiert auch Vertreter_innen von Ansätze, die sich selbst als kritisch begreifen – wie in den Human-Animal Studies, deren Vertreter_innen sich ja ständig als total radikal inszenieren, die die ultimativ unterdrückten Tiere zurück in den Diskurs holen wollen etc. Kritische Wissenschaft braucht eben immer auch ein Außen, mit dem sie diskutieren kann. Aber mit Schäferhunden können sie nicht diskutieren, auch wenn manche aufs Wort hören. „Außen“ bedeutet, dass gerade Kritische Wissenschaft immer auch mit dem Mainstream diskutieren muss. Andererseits bedeutet dieses Außen auch, dass Kritische Wissenschaft immer eine Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Und Gesellschaft ist ein Verhältnis zwischen Menschen und Menschengruppen, es geht um Herrschaft, um Privilegien, um Verteilung von Ressourcen und Arbeitskraft nach Geschlecht, Klasse oder anderen Kategorien. Diese Ungleichheiten zu thematisieren, sie überhaupt sichtbar zu machen und gesellschaftliche Gleichheit einzufordern: Das ist Kritische Wissenschaft!
Dazu gehört auch das gesellschaftliche Naturverhältnis, also der Umgang von Menschen mit der Natur. Die agency-These in den Human-Animal Studies baut hier jedoch einen Fetisch auf. Dadurch werden ethische und politische Kategorien wie „Ausbeutung“ auf Tiere projiziert und Herrschaftsverhältnisse zwischen Menschen somit unsichtbar gemacht.
Eine ähnliche These gibt es in der Klimadiskussion beim „Anthropozän“, dem „Menschenzeitalter“ als geologische Epoche. Hier gibt es die Tendenz, die Menschheit als Block zu sehen, verantwortlich für Klimawandel und Naturzerstörung. Doch schon ein Blick auf die Klimaverhandlungen zeigt, dass es „die Menschheit“ nicht gibt. Es gibt ökonomisch starke Staaten, die seit Jahr hunderten die Natur in Besitz genommen und andere Menschengruppen unter drückt haben und damit gerne ungestört weitermachen würden. Es gibt Unternehmenslobbys, die enorme Ressourcen mobilisieren, um sich ihr Geschäft nicht zerstören zu lassen. Der Klimakonflikt ist eben kein Konflikt zwischen „Menschheit“ und „Natur“ oder gar zwischen Menschen und Eisbären. Es ist ein gesellschaftlicher Kampf zwischen Menschengruppen mit Macht und anderen, die von Geld, Macht und Ressourcen ausgeschlossen werden.
Lange Rede, kurzer Sinn: Kritische Wissenschaft braucht einen Begriff von Gesellschaft. Und Gesellschaft ist die Arbeitsteilung und Machtverteilung zwischen Menschen.
s\u: Ist Kritische Wissenschaft für Sie nur jenseits des sogenannten Posthumanismus möglich? Es gibt doch auch innerhalb dieser Strömung Ansätze, deren Vertreter_innen sich durchaus als feministisch, antikapitalistisch etc. verstehen, so z. B. Donna Haraway (die Sie ja auch zitieren) oder die Debatten um das Capitaloscene.
CSF: Wichtig ist, dass unser Beitrag nicht als pauschales Bashing von Dekonstruktivismus, postmoderner Theorie oder gar von Geisteswissenschaften generell verstanden wird. Geschichtswissenschaft muss stets Mythen dekonstruieren, etwa wenn es um Nationalismus geht. Das ist auch im Mainstream anerkannt. Aber jede Geschichtsschreibung baut auch eine neue Erzählung auf. Die „reine“ Dekonstruktion ist also nicht möglich. Man kann nur eine revidierte, anders begründete, weniger pauschale Rekonstruktion vorlegen.
Das Problem am Posthumanismus ist, dass die totale Dekonstruktion versucht wird. Auf der Strecke bleiben dabei wesentliche ethische Grundideen, die zum Glück nicht nur von der politischen Linken geteilt werden. Es ist nämlich nicht möglich, den Begriff „Spezizismus“ zu verwenden oder von „menschlichen und nicht-menschlichen Tieren“ zu reden, ohne Mensch und Tier gleichzusetzen. Die Human-Animal Studies haben explizit zum Ziel, diese Grenze zu verwischen. Ergebnis sind Gleichsetzungen wie „Hühner-KZ“ oder die PETA-Werbung, in der die Schweinemast mit dem Holocaust verglichen wird. Auch wenn sich von diesen Auswüchsen innerhalb der Human-Animal Studies distanziert wird, bleibt das grundsätzliche Problem dahinter bestehen: Sobald man Tieren denselben Status wie Menschen zuschreibt, ist das Ergebnis nicht die Aufwertung von Tieren, sondern die Abwertung von Menschen. Der Tierrechtler und Ethiker Peter Singer hat das auf die Spitze getrieben. Er fordert Menschenrechte für Affen und stellt in seiner Praktischen Ethik fest, dass die Tötung behinderter Säuglinge gerechtfertigt sein könne.
Posthumanist_innen müssen sich nicht auf diesen gefährlichen Stuss einlassen. Die Kritik am klassischen Humanismus der Renaissance, der von einem per se „guten Wesen“ des Menschen ausgeht, ist natürlich notwendig. Die essentialisierende Annahme vom „an sich“ guten Menschen ist schon seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr zu halten. Doch die Lehre aus der Gewalt von Menschen gegen Menschen kann nicht sein, die Menschlichkeit als Konstrukt einzureißen.
Die Menschenrechte sind eine soziale Konstruktion: irgendwann erfunden, 1948 in einer Konvention festgeschrieben. Und dennoch kämpft man für ihre Durchsetzung und sollte das auch weiterhin tun, man sollte sie auf die soziale und ökonomische Sphäre ausweiten.
Der Kampf um soziale Rechte ist alles andere als ausgekämpft. In Pakistan gibt es eine NGO für Esel, in der Londoner U-Bahn werden dafür per SMS Spenden gesammelt. Aber Flüchtlinge will man in Großbritannien und auch anderswo nicht so gerne aufnehmen und hält sie lieber in Calais im Lager fest. Es stellt sich doch die Frage, ob wir in solchen Zeiten mehr Tierrechte und Posthumanismus oder nicht eher einen neuen Humanismus brauchen?
s\u: Es ist aber doch bemerkenswert, dass die Stellungnahme des AK Chimaira mit Vorwürfen des „Vertrauensbruchs“ argumentiert, die Zeitschrift Totalitarismus und Demokratie die Intervention als „arglistigen“ Missbrauchs des „liberalen Grundverständnis der Zeitschrift“ kritisiert. Hier werden die Kategorien der Redlichkeit und des Vertrauens als zentrale Elemente von Wissenschaft postuliert, die Dimension der Wahrheit jedoch nicht. Ist dies Ihrer Ansicht nach ein Teil des von Ihnen dargestellten größeren Problems konformer Wissenschaft?
CSF: Diese Vorwürfe lenken davon ab, dass in beiden Fällen wissenschaftliche Standards nicht kontrolliert wurden, weil die Inhalte einfach zu gut klangen. Wer so offensiv Vertrauen einfordert, der sagt nur, dass er versäumt hat, kritisch nachzufragen und zu prüfen.
Es ist klar, dass Zeitschriftenredaktionen und Konferenzorganisator_innen nicht ins Archiv gehen und alle Signaturen überprüfen. Aber unser Text lag vor Konferenzbeginn ausformuliert vor, und in dieser Vorlage war jedes zweite Zeitungszitat erfunden. Wir warten bis heute auf ein wikiplag, auf dem das mal auseinandergenommen wird. Zudem gab es offensichtliche Hinweise: Unser fiktiver Mauerhund hieß ausgerechnet Rex, nach dem bekannten „Kommissar Rex“ aus der SAT.1-Serie. Und ganze 280 Hundejahre dauerte die deutsche Teilung – das waren Winks mit dem Zaunpfahl! Die Absurdität des Beitrags lag offen zutage. Doch wie sagte schon Kirchenvater Augustinus: Credo quia absurdum – Ich glaube, weil es absurd ist. Extremismus und Demokratie ist zudem keine liberale, sondern eine rechtskonservative Zeitschrift. Sie ist nur da liberal, wo es in ihren Kanon passt: Die DDR mit Nazis gleichsetzen, das darf man auch mit postmoderner Begründung und Hundegebell. Es ist außerdem vielsagend, dass die im Aufsatz enthaltene Kritik am EU-Grenzregime kräftig geschrumpft und in Randbemerkungen grundsätzlich abgelehnt wurde. Nur ein Satz darüber hat es in die Veröffentlichung geschafft. Hier ist also kein Vergleich erwünscht, hier hört der Liberalismus auf.
s\u: In Ihrer Intervention zielen Sie ja sowohl auf eine Kritik poststrukturalistisch-undogmatischer Theorien (wie den Human-Animal Studies) ab, als auch auf die deutsche Totalitarismusforschung, die ja eher dogmatisch ist und einem ganz anderen Weltbild wie auch Wissenschaftsverständnis entspringt. Diese beiden vermeintlich konträren Ansätze scheinen doch überraschend gut zusammenzugehen. Warum?
CSF: Wir halten die Human-Animal Studies nicht für undogmatisch. Die darin vertretene These von der animal agency erfüllt vielmehr alle Kriterien eines Dogmas: Sie wird gesetzt, ist unverhandelbar, alle Ergebnisse sind nur zu ihrer Bestätigung da und in ihrer Allgemeinheit lässt sie sich nicht widerlegen. Denn klar: Tiere sind keine Möbel, sie tun immer irgendwas und aus dem Tun wird dann agency. Erinnern wir uns nur an die Erklärung von Chimaira und die Trotzreaktion, dass ja nicht bewiesen sei, dass die Mauerhunde nicht doch von KZ-Hunden abstammten. „We want to believe“, würde Akte X-Star Fox Mulder dazu sagen. Gemeinsam ist beiden Ansätzen, zumindest in der Konferenzeinladung „Tiere unserer Heimat“, ein holzschnittartiger Antikommunismus. Wir sind keine stalinistischen DDR-Fans, wie uns der Betreiber des Foucault-Blogs in einem Kommentar unterstellte. Wir finden allerdings, dass weder die Sprachschablone „Unrechtsstaat“ die DDR erklären kann, und ebensowenig die Totalitarismustheorie, die durch die Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Staat in letzter Konsequenz den Holocaust relativiert. Für den Stalinismus, der Millionen von Opfern forderte, mag dieser Vergleich auf einem nachvollziehbaren Erschrecken beruhen. Aber erklären kann der Vergleich nichts, denn der Stalinismus hat nicht den Nationalsozialismus als historischen Vorläufer, sondern die sozialistische Arbeiter_innenbewegung. Hier wäre der Vergleich zwischen den Zielen einer Bewegung und den Realitäten des Staatssozialismus angebracht. Bei der Übertragung auf die DDR zeigt sich die ganze Erklärungsunfähigkeit der Totalitarismustheorie: In der DDR gab es keinen Holocaust; sie hat keinen Weltkrieg vom Zaun gebrochen. Ein Vergleich mit dem NS-Regime ist daher schon bezüglich der unterschiedlichen Dimensionen absurd. Im Gegenteil, wenn man die DDR und das NS-Regime mal „ehrlich“ miteinander vergleichen würde, käme die DDR noch zu gut weg. Deswegen heben ja gerade „Ostalgiker“ das Antifaschistische in der DDR hervor, um über ihre diktatorischen Züge nicht reden zu müssen. Es ist auch interessant, dass etwa der Vergleich zwischen „Bismarckstaat“ und NS verpönt ist. Hier redet niemand von „zwei deutschen Diktaturen“, obwohl im Deutschen Kaiserreich die Regierung nicht gewählt, sondern vom Kaiser ernannt wurde. Auch nicht gerade demokratisch.
Die Human-Animal Studies sind jedoch für die Totalitarismustheorie und andere konservative bis rechte Erklärungsmuster offen, weil sie schlichtweg keinen Begriff von Gesellschaft haben.
s\u: Die Universitäten in Deutschland waren ja (mit wenigen erkämpften Ausnahmen) selten Orte radikaler Gesellschaftskritik. Ist es da so verwunderlich, dass sich an diesen unkritisches und marktförmiges Wissen reproduziert? Welchen Ort könnte denn eine kritische Wissenschaft haben? Welche kollektiven Formen jenseits der von Ihnen eingeforderten kritischen Haltung je einzelner Wissenschaftler_innen könnte sie annehmen?
CSF: Nein, es ist nicht verwunderlich. Die Universitäten sollen Berufsausbildungen für den Markt anbieten, und welcher Staat finanziert schon seine eigenen Dissident_innen?
Allerdings herrscht an den Universitäten immer auch ein Bildungsideal: Objektivität, Neutralität und Pluralismus sind zentral, wenn Wissenschaftler_in nen im Feuilleton ihre Welterklärungen legitimieren. Wichtig ist daher, diesen Anspruch auch einzufordern und den Konformismus nicht einfach hinzunehmen, weil das ja im Kapitalismus sowieso die Funktion der Uni sei. Die Universitäten sind Kampffelder. Wer jeden gesellschaftlichen Konformismus und Konservatismus rein funktionalistisch mit der institutionellen Struktur erklärt – aus dem Verblendungszusammenhang oder anderen abstrakten Ableitungen heraus –, der gibt den Anspruch auf, etwas verändern und bewegen zu wollen. Die Universitäten waren einmal offener für Kritische Wissenschaft, und sie könnten es wieder werden. Wir hoffen, dass unsere Intervention auch ein Ansporn dafür ist.
Gleichzeitig braucht es Gegen-Institutionen und Räume. Zeitschriften sind in diesem Zusammenhang sehr wichtig, auch eigene Kongresse, auf denen sich emanzipatorische Wissenschaft trifft. Das sind aber alles auch Fragen einer guten Selbstorganisation. Hier fehlt oft die Energie, die Vision - oder der Schulenkampf verstellt den Blick auf größeres.
Ansonsten ist Wissenschaft nicht alles. Sie kann politische Bewegungen nicht ersetzen, nur begleiten, vielleicht beraten, aber sie hat ihre Grenzen. Die Wissenschaft ist nur ein Kampffeld von vielen, das muss auch klar gesagt werden. Wer kritisch sein will, kann das nicht nur in der Theorie sein, sondern muss sich auch einmischen, Teil von sozialen Bewegungen werden, auf der Straße gehen. Theorie ist eben nicht auch „irgendwie“ Praxis, sondern Politik geht über das Universitäre hinaus.
Das Gespräch führten Stefan Höhne, Boris Michel und Lisa Vollmer.
sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung
Debatte
2016, Band 4, Heft 2/3
Seiten 145-154
zeitschrift-suburban.de
Die Human-Animal Studies zwischen wissenschaftlicher Distanz und politischem Engagement. Ein Gespräch über Wissenschaft, Politik und Gesellschaft mit Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies e. V.
Markus Kurth, Aiyana Rosen & Helen Keller
s u b \ u r b a n (s\u): Die Gruppe „Christiane Schulte und Freund_Innen“ kritisiert an den HAS unter anderem, dass diese radikal antihumanistisch, affirmativ und offen für rechte Erklärungsmuster sei. Wie begegnen Sie dieser Kritik?
Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies e. V. (HAS): Ehrlich gesagt ist es für uns schwierig, die Kritik von Schulte und Freund_innen genau zu erfassen, weil sie so wenig konkret ist. Was den Vorwurf, wir seien antihumanistisch, anbelangt: Nach unserer Einschätzung stellt die antihumanistische Kritik von Autor_innen wie zum Beispiel Althusser, Foucault, Butler und Derrida einen wichtigen Impuls zur Weiterentwicklung des Humanismus dar. In dieser Kritik geht es gerade nicht um eine ethische Abwertung von Menschen – auch wenn Schulte und Freund_innen dies anscheinend so auffassen –, sondern um eine Infragestellung des humanistischen Subjekts mit seiner vermeintlichen Autonomie und seiner selbstbestimmten Handlungsfähigkeit. Es ist nun aber nicht so, dass Foucault und seine Mitstreiter_innen dem Subjekt die Handlungsfähigkeit komplett absprechen wollen. Sie gehen allerdings davon aus, dass Menschen in bestimmte, innere und äußere Strukturen eingebunden sind, die ihre Möglichkeiten zu handeln einschränken. Zwar gibt es weiterhin die Möglichkeit gegen diese Strukturen anzugehen, allerdings nicht von außen, als autonomes Subjekt, sondern innerhalb komplexer Machtverhältnisse.
Ein solcher poststrukturalistischer Antihumanismus – wie auch der mit ihm verwandte Posthumanismus – wird von uns und vielen Vertreter_innen der HAS geteilt, weil er es unter anderem möglich macht, nichtmenschliche Tiere stärker mitzudenken, nämlich als Lebewesen, die wie Menschen in gesellschaftliche Strukturen eingebunden sind und gewisse Formen von Handlungsfähigkeit besitzen.
Das Missverständnis liegt also darin, Humanismus und Anti- bzw. Posthumanismus als Gegenbewegungen zu betrachten, auch und vor allem auf einer ethischen Ebene. Es geht gerade nicht darum, sich – wie von Schulte im Interview mit der sub\urban behauptet – zwischen der menschenwürdigen Behandlung von Geflüchteten und der Spende an eine pakistanische NGO für Esel entscheiden zu müssen. Wieso sollte das eine das andere ausschließen? Die posthumanistisch ausgerichteten HAS streben eine Inklusion von nichtmenschlichen Tieren an, nicht eine Ersetzung von Menschen durch Tiere.
Der Vorwurf, nichtmenschliche Tiere über Menschen zu stellen, wurde in den 1990ern auch von der deutschen Tierrechtsbewegung gemacht. Allerdings hat er schon damals inhaltlich nicht gegriffen. Das Grundanliegen für den größten Teil der Bewegung war und ist eine Inklusion von nichtmenschlichen Tieren in eine emanzipatorische Politik. Am Scheingefecht um den Begriff ‚nichtmenschliche Tiere‘ lässt sich dieser Konflikt gut erkennen: Eingeführt wurde er, um die Kontinuitäten zwischen Menschen und anderen Mitlebewesen hervorzuheben, nicht jedoch, um diese gleichzusetzen. Für einige scheint es jedoch eine große Herausforderung zu sein, sowohl Ähnlichkeiten als auch Differenzen zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren gleichzeitig zu denken. Dabei ist es doch offensichtlich, dass keine der beiden Extrempositionen – Menschen und Tiere sind vollständig verschieden versus völlig gleich – dem ambivalenten Status von nichtmenschlichen Tieren in unserer Gesellschaft gerecht wird. Schulte und Freund_innen greifen dieses ‚Argument‘ wieder auf, indem sie den HAS zu Unrecht unterstellen, herabwürdigend von menschlichen Tieren zu sprechen. Dahinter steckt recht offensichtlich der Versuch, ein gesamtes Forschungsfeld herabzusetzen und ihm einen rein politischen, reaktionären Charakter zu unterstellen. Dabei macht schon ein Blick auf die Vielfalt der Positionen von HAS-Forscher_innen deutlich, wie absurd diese Beschuldigungen sind. Viele der Beteiligten haben wenige oder keine Schnittmengen mit der Tierrechtsbewegung, das Feld ist von wissenschaftlicher Offenheit, nicht von politischer Schließung gekennzeichnet.
Wohin eine solche Schließung führt, lässt sich an der Gruppe um Schulte leicht erkennen. Diese bezeichnet sich selbst als ‚kritisch‘, allerdings pachtet sie den Kritikbegriff so doktrinär für sich, dass sie keine Forschung jenseits der eigenen politischen Agenda anerkennt. Wie wir nach den ersten Anschuldigungen Schultes deutlich gemacht haben, sind viele der angeblich völlig absurden Thesen oder Textstellen ihres Vortrags durchaus mit bestehenden wissenschaftlichen Ansätzen vereinbar. So zeigt die NS-Forschung beispielsweise, dass es während des Dritten Reichs zu einer Häufung des Namens ‚Rex‘ unter Schäferhunden kam. Schultes Hoax hätte also keineswegs schon durch den – fiktiven – Hundenamen auffliegen müssen, was Schulte und Co. jedoch behaupten. Anstatt bestehende Forschung anzuerkennen, bezeichnet die Gruppe diese lieber als ‚Astrologie‘. Es ist ziemlich offensichtlich, dass die Forderung, die Geschichtswissenschaft solle sich wieder mehr am ‚Primat der Quellen‘ orientieren, von Schulte und Freund_ innen dann fallengelassen wird, wenn sie den eigenen politischen Zielen zuwiderläuft. Wenn Wissenschaft allerdings allein von der eigenen Politik instrumentalisiert wird, sollte man stattdessen eine Politgruppe gründen. Besser wäre es natürlich, man würde einer fundierten wissenschaftlichen (Gegen-)Argumentation begegnen.
Natürlich bedeutet das nicht, dass HAS-Forscher_innen keine politischen Überzeugungen besitzen! Es gibt viele im Feld, die sich – so wie wir – als explizit kritisch in einem politischen Sinn verstehen und sich gegen vielfältige Formen von Gewalt positionieren, so zum Beispiel neben Speziesismus auch gegen Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und Homophobie. Die Behauptung, die HAS seien prinzipiell nach rechts offen, ist von daher absurd. Allerdings sind diese politischen Überzeugungen eben nicht gleichzusetzen mit unserer wissenschaftlichen Arbeit: Wir forschen ergebnisoffen und lassen unsere Thesen jederzeit überprüfen.
Unser Ansatz ist jedoch in der Regel ein kritischer, eben weil wir bestehende, meist anthropozentrische Wissensbestände in Frage stellen. Insofern finden wir auch den Vorwurf, wir seien ‚affirmativ‘, ehrlich gesagt ziemlich unverständlich.
s\u: Verstehen wir das richtig: Wissenschaftliche Arbeit ist Ihrer Ansicht nach von politischem Engagement strikt zu trennen. Wissenschaftliche Kritik in Ihrem Sinne heißt dann also primär, ergebnisoffen und erkenntniskritisch zu sein und nicht, wie beispielsweise die Kritische Theorie dies fordert, das eigene Forschen als eingebunden in gesellschaftliche Verhältnisse zu verstehen und mit einer nicht nur epistemischen, sondern auch politischen Kritik zu ihrer Aufhebung beitragen?
HAS: Wir denken nicht, dass die beiden genannten Optionen zwangsläufig einen Widerspruch darstellen. Die strikte Trennung zwischen Politik und Wissenschaft ist natürlich eine Illusion. Und natürlich ist auch unsere Forschung eingebunden in bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse und zielt auf eine politische Veränderung. Trotzdem muss auch eine solche Forschung ergebnisoffen sein und sich einer kritischen Überprüfung durch andere stellen. Sonst bestünde die Gefahr, genau die Ergebnisse zu produzieren, die mit der eigenen politischen Haltung übereinstimmen, und diese dann als objektive Wahrheiten darzustellen. Schauen Sie sich die Kritische Theorie an: Ihre Vertreter_innen haben anfangs sehr wichtige Erkenntnisse geliefert, aber doch auch sehr vieles ausgeblendet, das dann von feministischen und postkolonialen Forscher_innen kritisiert und ergänzt wurde. Auch in diesem Fall war also eine Überprüfung wichtig. Die HAS versuchen größtenteils ebenfalls, mit ihrer Arbeit zu gesellschaftlichen Veränderungen beizutragen. Das Fundament dazu können aber nur Forschungen zu Mensch-Tier-Verhältnissen liefern, die eine kritische Distanz zu ihrem Material wahren und offen bleiben für Differenzierungen.
s\u: Ein weiterer Kritikpunkt lautet, dass die HAS Kategorien wie „Ausbeutung“ auf Tiere projiziere und somit Herrschaftsverhältnisse zwischen Menschen ausblende. Dies liege an einem nicht vorhandenen Gesellschaftsbegriff. Sie widersprechen dem jedoch und schlagen einen veränderten Begriff von Gesellschaft vor, der auch Machtverhältnisse und Hierarchien kritisch in den Blick nehmen soll. Wie sieht dieser aus und welche Kritik haben Sie an etablierten Gesellschaftsbegriffen?
HAS: Wir schlagen vor, anstatt von Projektion von Inklusion zu sprechen. Etablierte Gesellschaftsbegriffe finden wir deswegen schwierig, weil sie sich zumeist auf menschliche Sozialbeziehungen beschränken. Faktisch leben wir aber in einer multispecies society: Ob Vögel, Insekten, Ratten oder unsere geliebten Haustiere, wir kommen täglich mit einer großen Anzahl nichtmenschlicher Tiere in Kontakt und interagieren mit ihnen. Viele treffen wir allerdings erst, wenn sie bereits tot sind, nämlich auf unseren Tellern. Natürlich hat unser Umgang mit nichtmenschlichen Tieren nicht nur für diese Folgen, sondern auch für uns Menschen und die Umwelt. Stichwort: die katastrophalen globalen Auswirkungen der industrialisierten Nutztierhaltung, die maßgeblich für den Klimawandel mitverantwortlich ist.
Es gibt jedoch auch viele Gesellschaftsbegriffe, an die die HAS anschließen können. Wussten Sie, dass Max Horkheimer sich den Keller des gesellschaftlichen Wolkenkratzers als Schlachthof vorgestellt hat? Zu nennen wäre auch der Neue Materialismus, deren Vertreter_innen versuchen neben Menschen auch nichtmenschliche Entitäten mitzudenken. Oder Sue Donaldson und Will Kymlicka, die ihr liberales Verständnis von citizenship um nichtmenschliche Tiere erweitern und in ihrem Buch Zoopolis durchspielen, welche Konsequenzen das für die Gesellschaft hätte. Wir beschäftigen uns in unserem Arbeitskreis mit all diesen Ansätzen, sind jedoch – wie die HAS im Allgemeinen – theoretisch unterschiedlich verortet: Manche von uns bevorzugen poststrukturalistische Gesellschaftstheorie, andere haben ein Faible für feministische Theorieansätze und einige haben sich in der letzten Zeit dem Neuen Materialismus zugewandt. Manche von uns haben sich auch eingehender mit Marx' Verständnis von Gesellschaft und Arbeit auseinandergesetzt. Für die damalige Zeit war dieses Verständnis auf jeden Fall revolutionär und Marx' Analyse der kapitalistischen Gesellschaft ist wirklich kaum zu überschätzen. Allerdings räumt er der Ökologie in seinem Werk wenig Raum ein, was sicherlich der Ära des Industriekapitalismus geschuldet ist. Zudem bauen Marx' Konzepte besonders stark auf der Grenze zwischen Mensch und Tier auf. Allerdings war das Mensch-Tier-Verhältnis damals auch ein anderes: Domestizierte Tiere waren vor allem Arbeits- oder Nutztiere und auf diese waren Menschen viel stärker angewiesen als heute, zumindest in westlichen Gesellschaften. Weil wir Arbeits- und Nutztiere nicht mehr unbedingt benötigen, können wir ihnen, wenn wir wollen, nun einen besseren Status zusprechen.
Die Lebens- und Produktionsbedingungen sind für uns ein Faktor für das Entstehen einer bestimmten Gesellschaftsordnung. Dass sich, was die Mensch-Tier-Verhältnisse angeht, in den Lebensbedingungen und im Stand der Produktivkräfte bereits Veränderungen ergeben haben, lässt grundlegendere Veränderungen für die Zukunft erhoffen.
Insgesamt finden wir jedoch die Frage, ob wir nichtmenschliche Tiere grundsätzlich als Mitglieder unserer Gesellschaft ethisch berücksichtigen wollen, viel wichtiger als die Frage, an welche Begriffstradition angeschlossen wird. Schaut man sich politische Kämpfe in der Vergangenheit an, so findet man zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass sich politisches Engagement für nichtmenschliche Tiere und Menschen nicht ausschließt: So hat der Internationale Sozialistische Kampfbund der 1920er- und 1930er-Jahre sich beispielsweise für Tierrechte und Vegetarismus ausgesprochen. Oder dass die Frauenwahlrechtsbewegung in Großbritannien am Anfang des 20. Jahrhunderts eng mit der Antivivisektionsbewegung verbunden war, da gab es personell zahlreiche Überschneidungen. Dennoch führt die Forderung nach einer Berücksichtigung tierlicher Belange bei der politischen Linken oft noch zu Abwehrbewegungen. Das könnte an einer zu engen Auslegung marxistischer Theorie oder am eigenen Unwillen zur Konsequenz und Komplexität liegen. Wir können nur wiederholen: Der Einbezug nichtmenschlicher Tiere in die Auseinandersetzung mit Herrschaftsverhältnissen stellt eine Ergänzung und Inklusion dar, keine Ersetzung. Der Vorwurf, die entsprechenden Theorien würden Herrschaftsverhältnisse zwischen Menschen ausblenden, ist in keiner Weise haltbar und zeigt deutlich, dass eine Beschäftigung mit relevanter Literatur nicht stattgefunden hat. Diese übt nämlich in der Regel eine allgemeine Kritik an Herrschaftsverhältnissen, also auch an denen unter Menschen. Unser Arbeitskreis ist da keine Ausnahme. Im Gegenteil: In unserem ersten Sammelband gibt es zwei Artikel, die Geschlechterverhältnisse und Mensch-Tier-Verhältnisse verbinden. In unserem zweiten Sammelband werden Rassismus und Speziesismus in ihrer Verwobenheit analysiert. Alle, die unsere Texte kennen, wissen: Von einer Ausblendung zwischenmenschlicher Herrschaftsverhältnisse sind wir weit entfernt.
s\u: Was bedeutet die von Ihnen eingeforderte ethische Berücksichtigung von Tieren genau? Wie sollte diese in der Praxis aussehen? Oder anders und etwas plakativ gefragt: Sollte das „Recht auf Stadt“ auch für Schäferhunde gelten?
HAS: Wir denken, dass es ein Anfang wäre, domestizierte nichtmenschliche Tiere als Teil von gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnissen zu betrachten und nicht als Naturwesen. Damit würde die Diskussion über diese Tiere auch eine historische, kulturelle und politische Ebene bekommen. Als Wissenschaft müssen sich die HAS dem aktuellen sozialen Wandel in vielen westlichen Gesellschaften und dem veränderten Denken in Bezug auf nichtmenschliche Tiere stellen. Praktisch oder ethisch heißt das, zu verstehen, wie vielfältig menschliche Beziehungen zu nichtmenschlichen Tieren sein können. Daraus sollten dann wiederum Schlussfolgerungen für ein möglichst emanzipatorisches Verhältnis abgeleitet werden. Auf einer Mikroebene könnte das heißen, mit der eigenen Forschung Orte wie die sogenannten Lebenshöfe sichtbar zu machen. Sie kennen diese vielleicht. Das sind Einrichtungen für ehemalige Nutztiere, in denen versucht wird, ein anderes, herrschaftsärmeres Mensch-Tier-Verhältnis zu leben.
Auf einer Makroebene halten wir es beispielsweise für wichtig, die immensen Auswirkungen der Nutztierhaltung sichtbar und der politischen Diskussion zugänglich zu machen. Insgesamt würden wir uns wünschen, dass nichtmenschliche Tiere nicht nur dann in der Politik als ethisch relevant betrachtet würden, wenn sie zu einer bedrohten Art gehören, also Teil einer zu schützenden ‚Natur‘ sind. Nichtmenschliche Tiere sind keine Menschen und brauchen entsprechend kein menschliches ‚Recht auf Stadt‘, aber vielleicht ja doch ein ‚Recht auf körperliche Unversehrtheit‘? Wenn wir emanzipatorische Politik betreiben wollen, sollten wir zumindest darauf hinwirken, dass im Konfliktfall nicht stumpf jedes noch so schwache menschliche Bedürfnis gegen alles Nichtmenschliche durchgesetzt wird. Es müsste zumindest der Versuch unternommen werden, die tierliche Perspektive beziehungsweise die Auswirkungen auf nichtmenschliche Tiere nachzuvollziehen.
s\u: Unserer Einschätzung nach ging es der Intervention von Christiane Schulte und Freund_innen in erster Linie um eine Kritik an Totalitarismustheorien und nicht primär um die HAS. Jedoch haben Christiane Schulte und Freund_innen die HAS ausgewählt, da es sich aus ihrer Perspektive um eine unkritische Theoriemode handelt, die Ausdruck einer Krise der Universitäten und Kritischer Theorie sei. Darin ähnelten sich die HAS und die Totalitarismustheorien nach Ansicht von Schulte et._al. also. Aber wie würden Sie das Verhältnis von HAS und Totalitarismusforschung beschreiben?
HAS: Wir wehren uns gegen eine Verbindung unseres Arbeitskreises mit der Totalitarismustheorie, wie sie in den Veröffentlichungen von Schulte und Freund_innen gezielt geschürt wird. Auch im Interview mit Ihrer Zeitschrift wird behauptet, dass die HAS – und damit auch wir – „für die Totalitarismustheorie und andere konservative bis rechte Erklärungsmuster offen [sind]“. Für diese Behauptung gibt es überhaupt keine Grundlage. Richtig ist nur, dass das fingierte Paper der Schulte-Gruppe von der Zeitschrift Totalitarismus und Demokratie des Hannah-Arendt-Instituts in Dresden zur Veröffentlichung akzeptiert wurde. Die Totalitarismustheorie scheint also für Ansätze der HAS offen zu sein, umgekehrt ist dies jedoch nicht der Fall. Zumindest ist uns keine Publikation aus den HAS bekannt, die die entsprechenden Parallelen zieht. Wir haben keine Verbindung zum Hannah-Arendt-Institut und stehen Extremismustheorien sowie der politischen Instrumentalisierung des Totalitarismuskonzepts ablehnend gegenüber. Insgesamt haben wir den Eindruck, dass die Totalitarismustheorie wissenschaftlich nicht mehr relevant ist und nur noch in bestimmten politischen Kontexten benutzt wird. Das entspricht genau Schultes Engagement: Dieses geht nicht über eine Kritik am politischen Charakter der Totalitarismustheorie hinaus, unterstellt aber gleichzeitig den HAS, sie seien zu politisch. Oder zu mainstreamig. Oder zu affirmativ. Je nachdem, wie es der Gruppe passt.
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