Kitabı oku: «(Des)escribir la Modernidad - Die Moderne (z)erschreiben: Neue Blicke auf Juan Carlos Onetti»
Johanna Vocht / David Klein
(Des)escribir la Modernidad – Die Moderne (z)erschreiben: Neue Blicke auf Juan Carlos Onetti
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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ePub-ISBN 978-3-8233-0121-9
Inhalt
Vorwort
Santa María und ein gewisser 'Fictiozentrismus'I.II.III.IV.LiteraturverzeichnisPrimärliteraturSekundärliteratur
El discurso 'de' la ciudad en la saga de Santa María y en los epitextos de Onetti I. Introducción: el discurso 'de' la ciudad II. Las ciudades en torno a la referencialidad III. Un plano de Santa María IV. Si Santa María existiera… V. A modo de conclusión Bibliografía
Onettis Santa María. Von der Seeflotte zur Allerweltstadt. Zur universalhistorischen Lesbarkeit eines fiktiven KosmosI.II.III.LiteraturverzeichnisPrimärliteraturSekundärliteratur
Confesión de un asesinato futuro I. II. Bibliografía
Frauen in Zimmern leben gefährlich. Zur Heterotopie im Werk Juan Carlos OnettisI.II.III.LiteraturverzeichnisPrimärliteraturSekundärliteratur
Männer interessieren sich für MännerOnetti und MaskulinitätsforschungFür Männer attraktive Männer"Bienvenido, Bob"Los adiosesJacob y el otroSic transit gloria mundi, nicht zuletzt männliche AttraktivitätLiteraturverzeichnisPrimärliteraturSekundärliteratur
Die Autonomie und die Verzweiflung. Zu Juan Carlos Onettis La vida breveI.II.III.IV.V.LiteraturverzeichnisPrimärliteraturSekundärliteratur
La 'profesión de la mentira'I. EinleitungII. Historische Konturierung: Zwischen Lüge und FiktionIII. Lüge als poetologisches Konzept bei OnettiIV. Potentialität und LügeLiteraturverzeichnisPrimärliteraturSekundärliteratur
Kunstwirklichkeit und affektives Wirkpotential in Onettis Para esta noche und Werner Schroeters Nuit de chien / Diese NachtI. Überlegungen zu den Begriffen Affekt und EmotionII. Vorschlag für ein methodisches VorgehenIII. Untersuchung ausgewählter Kapitel aus Onettis Para esta noche im Vergleich zu Ausschnitten aus Schroeters Film Nuit de chien / Diese NachtIII.1. Para esta noche (1943) von Juan Carlos OnettiIII.2. Nuit de chien de Werner SchroeterLiteraturverzeichnisPrimärliteraturSekundärliteratur
(D)escribir la ModernidadI.II.III.IV.IV.1IV.2LiteraturverzeichnisPrimärliteraturSekundärliteratur
Transatlantische Fiktionen der FiktionI.II.III.IV.LiteraturverzeichnisPrimärliteraturSekundärliteratur
NachwortLiteraturverzeichnisPrimärliteraturSekundärliteratur
Über die AutorInnen
SiglenverzeichnisRomaneKurzgeschichten
Vorwort
Das Werk des uruguayischen Autors Juan Carlos Onetti wurde von der Forschung schon mit vielen simplifizierenden Etikettierungen versehen: Allen voran stehen die Zuschreibungen 'düster', 'hermetisch' oder 'existentialistisch'. Ohne den zugehörigen Analysen ihre Plausibilität absprechen zu wollen, möchten wir Onettis Erzählungen in diesem Sammelband jedoch gerade nicht semantisch auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner bringen, sondern vielmehr die hermeneutische Offenheit seiner Prosa fokussieren. Ein Großteil der hier versammelten Beiträge gründet auf Roberto Ferros monographischer Lesart1, die alle literarischen Arbeiten Onettis als einen großen Text, als offenes Kunstwerk versteht und damit auch eine Vielzahl an selbstreferentiellen Bezügen offen zu legen vermag. Die vorliegenden Aufsätze sind das Ergebnis eines diskussionsreichen Symposiums2, das im Herbst 2015 in München stattfand, um Onettis Werk vor der Folie aktueller medien-, gender- und raumtheoretischer Diskurse zu beleuchten. Implizit schwang dabei immer auch die Frage mit, was Onettis Texte bis heute aktuell erscheinen lässt und warum deren wissenschaftliche Rezeption an deutschsprachigen Universitäten trotz unbestrittener ästhetischer Qualität so zurückhaltend ist. Denn bis dato existierten in der deutschsprachigen Hispanistik kaum Untersuchungen zu Onettis umfassendem Œuvre. Mit dem Symposium sollte sowohl die wissenschaftliche Vernetzung bezüglich der Onetti-Forschung gefördert als auch die ästhetische Bedeutung seiner Texte für die Moderne aufgezeigt werden.
Ganz im Sinne von Mario Vargas Llosa, demgemäß Onetti als einer der ersten Vertreter der lateinamerikanischen Moderne zu betrachten sei, begreifen wir Onettis Prosa als kontinuierliche Anwendung, Abwandlung und Erprobung moderner Techniken der Fiktionsherstellung. Wenn Onetti schreibt, so die These, dann betreibt er mitunter das, was einst zu Beginn der 1960er Jahre den Gegenstand einer Diskussionsrunde zwischen Literaten, Intellektuellen und Künstlern bildete: Ausgangspunkt der Debatte waren die fragmentarischen Hinterlassenschaften eines nicht näher bekannten Schriftstellers – dem Klang seines Namens nach musste er Italiener gewesen sein. Aus den tagebuchähnlichen Aufzeichnungen war das Anliegen herauszulesen, zu einem neuen Verständnis literarischer und künstlerischer Produktion zu gelangen. Hintergrund und Anstoß gaben neueste naturwissenschaftliche Entdeckungen im Bereich der Chemie. So war es einem schwedischen Chemiker gelungen, psychische Vorgänge in direkter Relation auf physiologische Vorgänge zu reduzieren. Chemische Prozesse, so die bahnbrechende Schlussfolgerung des Wissenschaftlers, waren nun endlich in gedankliche Prozesse übersetzbar geworden. DNS und die nach ihrem Code sich 'herausschälenden' Proteine zeigten sich als unendlich komplexer, aber doch lesbarer Text menschlicher Gedanken. Geist und Körper waren somit keine getrennten Bereiche mehr, sondern ihrerseits nur mehr zwei Seiten ein und derselben Sache 'Mensch'. Fortan sollten sich also dessen Gedanken zu den Proteinen, die sie tragen, so verhalten, wie die Vorderseite einer Münze zu ihrer Rückseite: unterschiedlich anzusehen und doch untrennbar verbunden. Für den Schriftsteller, so wurde im weiteren Verlauf der besagten Diskussionsrunde deutlich, hatte dies weitreichende Konsequenzen. Denn wenn ein Mensch sich anschickt, gedanklich ein Bild von sich zu entwerfen, sich in die Zukunft oder die Vergangenheit zu projizieren, so entspringt dieser projektierte Gedanke nur aus dem, was zu dem Zeitpunkt, in dem er gedacht wird, bereits vorhanden ist: eine bestimmte Konfiguration von DNS und Proteinen, die den Gedanken davon, was sein soll oder was war, materiell tragen und ermöglichen. Jeder Versuch, die ersehnte oder erinnerte Vorstellung zu realisieren, musste folglich an ihren Ausgangspunkt, den gegenwärtigen Initialgedanken, zurückkommen. Was der Mensch sein wollte, das war er bereits. Und was er war, das wollte er sein.
Während des weiteren Verlaufs der Diskussion kreiste das gemeinsame Interesse der Teilnehmenden sodann um die Frage, wie mit einer solchen Prämisse umzugehen sei, und ob der besagte Schriftsteller hierzu einen Vorschlag gemacht habe, denn es sei ja nun, so ein weiterer Einwurf, weder möglich, organische Prozesse unabhängig von Gedanken zu vollziehen, noch Gedanken von organischen Prozessen zu emanzipieren. Leben und Menschsein heiße im Körper und in den Gedanken gleichermaßen zu sein. Auf eine bestimmte Weise zu denken, sei demnach stets gleichbedeutend mit einer bestimmten Art und Weise in die Welt gestellt zu sein, mit ihr in Beziehung zu treten, über Möglichkeiten und körperliche Werkzeuge zu verfügen, sich diese Welt anzueignen. Folglich bedeute Sprache, als Ausdruck (oder DNS) der Gedanken, stets das zu Hause sein in einer bestimmten Realität. Jeder Versuch, Gedanken sprachlich zu äußern oder gar schriftlich zu fixieren, impliziere letztlich – ganz im Sinne Wittgensteins – einen Verbleib im Horizont der durch diese Sprache vorgegebenen Möglichkeiten. Dies gelte für natürliche wie formale Sprachen, wie auch für Vorstellungen und Konzepte von Realität gleichermaßen. Da es aber ohne Sprache und deren schriftliche Fixierung kein literarisches Kunstwerk mehr geben kann, sei es Aufgabe 'guter' Literatur, eine gegebene Sprache in all ihren Facetten, Möglichkeiten und Spielarten so lange zu durchlaufen, zu durchschreiten, sie zu verbrauchen, sie zu zerschreiben, bis sich letztlich das realisiert, was von Anfang an da war, bis die Worte und Dinge zu dem werden, was sie immer schon waren. Erst auf diese Weise werde nicht eine parzellierte und an die jeweilige Sprache gebundene Realität, sondern die Realität jenseits der Sprache in der Sprache erahnbar.
Nach Ansicht des besagten Schriftstellers habe Literatur somit die Aufgabe, Sprache zu verbrauchen. Dies schließt ihren 'Gebrauch' logisch mit ein, bedeutet aber zugleich, dass sich im Ver- und Gebrauch, im Zuge jenes Zerschreibens die Grenzen des Machbaren abzeichnen, die gleichwohl die Grenzen der Sprache sind. Wenn die literarische Komposition ihre äußersten Grenzen ausgelotet habe, dann öffne sich der Bereich des Elementaren. Jedwede Behauptungen, jedwede Gegenbehauptungen, jede Reklamation von Wahrheit, jede Unterstellung von Lüge würden auf diesem Wege durchschaubar – durchschaubar hinsichtlich ihrer Verwiesenheit in die jeweiligen sprachlichen Grenzen.
War das Symposion, auf das dieser Sammelband zu Onetti zurückgeht real, so hat die Diskussionsrunde um den verstorbenen Schriftsteller – er hieß Morelli – nicht stattgefunden und stattgefunden. Sie ist fiktiv und dem 1963 erschienenen Roman Rayuela aus der Feder von Onettis Zeitgenossen Julio Cortázar entlehnt. Die darin angestellten Schlussfolgerungen sollen zu einem besseren Verständnis von Onettis literarischem Schaffen beitragen. Denn Onetti betreibt seinerseits eine ebenso pointierte Variante des Cortázar'schen desescribir, eines potenziell endlosen und konzeptionell unabschließbaren Fortschreibens, das erst dann zu einem Ende gelangt, wenn alle sprachlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Während jedoch Cortázar seiner Rayuela einen Kommentar und eine Gebrauchsanweisung beilegt, so findet sich bei Onetti ein vergleichbares Projekt des Zerschreibens zwar metafiktional reflektiert, bleibt dabei jedoch auf den reinen Selbstzweck des Erzählens ausgerichtet. So schreibt etwa Díaz Grey, der Chronist der traurigen Lebensgeschichte einer namenlosen Frau, nachdem er mehrere Versionen ihres Lebens gehört hat:
Lo único que cuenta es que al terminar de escribirla me sentí en paz, seguro de haber logrado lo más importante que puede esperarse de esta clase de tarea: había aceptado un desafío, había convertido en victoria por lo menos una de las derrotas cotidianas. (TN 67)
Selten finden sich bei Onetti die rettenden Beipackzettel und Lektüreschlüssel, die den Rückzug auf eine bequeme Abstraktionsebene erlauben. Möglicherweise ist die moralisch-ethische Dimension von Onettis literarischem Werk, neben dem radikalen Offenlegen der sprach- und konventionsbedingten Grenzen jedweder Wahrheitsbehauptung, in eben jenem Verzicht auf Erklärungen zu sehen. Denn diese wären wiederum das, was es in erster Linie zu zerschreiben gilt. Anders formuliert: Die Moderne wird bei Onetti nicht erklärt, sie wird vollzogen.
Dass die hermeneutische Offenheit, die Fülle an rhizomatisch verzweigten Selbstreferenzen und die zunehmende Fragmentierung seiner Texte nicht in der Beliebigkeit münden, sondern vielmehr immer wieder neue kritische Blicke auf sein Werk zulassen, möchte der vorliegende Band zeigen.
So spürt etwa Victor A. Ferretti in der von der Forschung bislang wenig beachteten Kurzgeschichte "Historia del caballero de la rosa y de la virgen encinta que vino de Liliput" (1956) einem spezifischen 'Fictiozentrismus' im Werk Onettis nach. Exemplarisch analysiert der Beitrag die diskursiven Strategien, die Santa María zum zentralen setting und zur moralischen Richtschnur in Onettis Gesamtwerk werden lassen. Dabei fokussiert er die sozialen und gesellschaftlichen Ausgrenzungsmechanismen, die im Diskursuniversum Santa María 'das Andere' an die Ränder bzw. aus Santa María verweisen und deren xenophobe Implikationen auch im 21. Jahrhundert mehr als aktuell erscheinen.
Agustín Corti vermisst in seinem kulturwissenschaftlich ausgerichteten Beitrag den 'espacio cultural' (Beatriz Sarlo), der sich aus dem hypertextuellen Zusammenspiel der Primärtexte und der journalistischen Epitexte ergibt. Er bettet damit Onettis literarische Prosa in einen umfassenden kulturellen Diskurs ein, der nicht nur von der Stadt erzählt, sondern die realweltlichen und die fiktiven Implikationen des Urbanen zusammen verhandelt. Anhand von Streichungen und Ergänzungen in den Originalmanuskripten zeichnet Corti die diskursive Genese der emblematischen Textstadt Santa María detailliert nach.
Eva Erdmann diskutiert in ihrem Beitrag verschiedene historische und intertextuelle Referenzen, die Santa María impliziert. Im semantischen Vergleich mit der Flotte des Kolumbus und einem Gedicht Anna Seghers' fokussiert Erdmann die 'Meeres-Referenzen' Santa Marías und die damit verbundene diskursive Fluidität. Santa María wird in dieser Lesart zum Transitraum. Die Orientierungslosigkeit des offenen Meeres geht demnach als topographische Ortlosigkeit und Unbestimmtheit in Onettis Texte ein und erklärt die Unmöglichkeit, Onettis Santa María zu kartographieren.
Auf die zeitliche Unbestimmtheit, im Sinne einer spezifischen Zeitlosigkeit, geht Gerhard Poppenberg in seinem Beitrag zu Onettis spätem Kurzroman La muerte y la niña (1973) ein. Der Zeitlosigkeit, die Michail Bachtin als Chronotopos des Abenteuerromans definiert und die darin besteht, dass Vergangenheit und Zukunft des Helden ausgespart werden, stellt Poppenberg in Onettis Santa-María-Erzählungen einen Chronotopos gegenüber, der die Entstehung von Literatur selbst als Abenteuer reflektiert. Am Beispiel des Pfarrers Antón Bergner und seines geistigen Ziehsohns Augusto Goerdel expliziert Poppenberg die spezifische Metapoetizität der Onetti'schen Erzähltexte: Dadurch dass die beiden Figuren Bergner und Goerdel von Beginn an wissen, dass sie den anderen täuschen, der jeweils andere sich der Täuschung jedoch ebenso bewusst ist, entsteht nach Poppenberg der 'Pakt der Fiktion' und damit Literatur. Die spezifische Zeitlosigkeit bei Onetti artikuliert sich demnach nicht in einer völligen Absenz von Zeit(räumen), sondern vielmehr in einer unendlichen Wiederholungsschleife.
Im darauffolgenden Beitrag beleuchtet Johanna Vocht am Beispiel des Appartements der Prostituierten Queca in La vida breve (1950) das diskursive Zusammenspiel von Räumen und Figuren. Quecas Einzimmer-Wohnung ist als spiegelgleicher Gegenort zum Appartement des Protagonisten und fiktiven Erfinders Santa Marías, Juan María Brausen, konstruiert und wird für diesen zum Aushandlungsort eines letalen Männlichkeitsstrebens. Die Frau fungiert in dieser Lesart als "Katalysator[…] für die Prozesse männlicher Bewusstwerdung" (Laferl i. diesem Band).
Christopher F. Laferl fokussiert den männlichen Objektstatus, der bis dato einhellig den Frauenfiguren bei Onetti zugeschrieben wurde. Vermittels der Kurzgeschichte "Bienvenido, Bob" (1944) sowie des Kurzromans Jacob y el otro (1961) zeichnet Laferl die Strategien männlicher Passivität nach. Er konstatiert, dass die Protagonisten beider Erzählungen unter Aspekten ihrer jugendlichen Attraktivität respektive ihrer im Alter nachlassenden Attraktivität wahrgenommen und bewertet werden. Sowohl Bob als auch Jacob van Oppen werden demnach als Objekte eines spezifisch männlichen, auf körperliche Anziehungskraft ausgerichteten Begehrens dargestellt.
Das männliche Subjekt wiederum, in seiner Darstellung als Verzweifeltes und um Rettung Ringendes, steht im Zentrum von Nataniel Christgaus Beitrag. Vor der Folie der Existenzphilosophie Sören Kierkegaards liest er einen der rätselhaftesten Metatexte im Werk Onettis als "konzeptuelle[s] Zentrum des Romans" (id. i. diesem Band), das die Zusammenhänge zwischen außerliterarischer und fiktiver Realität, sprich: die spezifische Verfasstheit von Fiktionserzeugung im Werk Onettis, unter Einbeziehung theologischer Prämissen, verhandelt. Das entsprechende Kapitel "Los desesperados"steht im zweiten Teil von La vida breve und diskutiert nichts weniger als die Fragen menschlicher Selbstbestimmung und Möglichkeiten göttlicher Errettung. Diese Erlösung kann es nach Christgaus Lesart jedoch nur geben, wenn der Mensch einen göttlichen Plan und gleichzeitig die eigene Profanität anerkennt.
Mit Onettis Fiktionsstrategien befasst sich Florian Baranyi in seinem Beitrag. Er zeichnet darin eine spezifische Poetologie der Lüge in La vida breve (1950), Dejemos hablar al viento (1979) und Cuando ya no importe (1993) nach. Die Lüge, die sich durch Selbstanzeige ihres Verschleierungsmechanimus beraubt, fungiert in La vida breve als Strategie der Fiktionsherstellung. Mit den späten Romanen Dejemos hablar al viento und Cuando ya no importe verändert sich die poetologische Funktion der Lüge. Sie markiert die Selbstreferentialität der späten Texte und dient der poetologischen Selbstvergewisserung der metafiktionalen Figuren Medina und Díaz Grey.
Nicht die vielfältigen und vielgestaltigen Bezüge innerhalb des Gesamtwerkes, sondern die Bezüge zwischen Roman und Verfilmung untersucht Inke Gunia in ihrer medientheoretischen Vergleichsstudie zwischen Onettis Para esta noche (1943) und Werner Schroeters Nuit de chien / Diese Nacht (2008). In einer detaillierten Analyse fokussiert und vergleicht sie die affektiven Wirkpotentiale von literarischer und filmischer Darstellung.
David Klein führt in seinem Beitrag die eingangs angerissene Sonderstellung Onettis innerhalb der lateinamerikanischen Moderne weiter aus. Vermittels der Lektüre der Kurzgeschichte "Un sueño realizado"(1941) lotet er die spezifischen Wirkweisen der descriptio vor dem Hintergrund eines modernen Wirklichkeitsbegriffs bei Onetti aus. Die moderne Beschreibung in "Un sueño realizado" liest er als "Gegenstand metafiktionaler Reflexion" (id. i. diesem Band). Die descriptio ist in diesem Fall nicht auf Erkenntnisgewinn, sondern vielmehr auf Sinnentleerung und den Rückverweis auf sich selbst, den Akt des Schreibens ausgelegt. So mag bisweilen auch der Eindruck entstehen, Onettis Texte verweigerten sich dem Zugriff des Lesers.
Dieses, von der Literaturkritik verschiedentlich angeprangerte textuelle Miss- oder vielmehr Unverständnis des impliziten Lesers, thematisiert Kurt Hahn in seinem Beitrag auf Handlungsebene. Vermittels einer medienkritischen Analyse der Kurzgeschichte "Matías el telegrafista" (1970) untersucht er die missverständliche Kommunikation zwischen Santa María und der sie umgebenden Außenwelt. Onettis Text lässt dabei offen, ob das Kommunikationsproblem zwischen dem Funker Matías und seiner Angebeteten María Pupo auf zwischenmenschlichem Missverstehen oder auf technischen Defiziten der aufkommenden Telekommunikation beruht.
Die abschließenden Worte dieses Sammelbandes stammen von Borris Mayer. In seinem Nachwort erläutert er die Aktualität des Onetti'schen Textkorpus aus der Perspektive eines 'lector cómplice' (Julio Cortázar). Seine Lektüre streicht die mahnende Aussagekraft universeller Themen wie Lüge, Manipulation und missverständlicher Kommunikation in Onettis Erzählungen heraus.
Da Onettis Gesamtwerk eine durchaus heterogene Editionsgeschichte aufweist, haben wir uns für eine einheitliche Zitierweise entschieden. Diese folgt einerseits der spanischen Gesamtausgabe, die in drei Bänden bei Galaxia Gutenberg erschienen ist und – insofern auf deutsch zitiert wurde – der deutschen, fünfbändigen Gesamtausgabe, die von Jürgen Dormagen und Gerhard Poppenberg ediert und im Suhrkamp Verlag veröffentlicht wurde. Die Vereinheitlichung der Zitierweise macht sich zum einen die editorische Kohärenz der Gesamtausgabe zu Nutzen. Zum anderen soll durch die zusätzliche Nennung einzelner Teile und Kapitel auch eine Nachvollziehbarkeit in älteren Editionen gewährleistet werden. Das Siglenverzeichnis ist am Ende dieses Bandes zu finden.
Unser besonderer Dank gilt Michael Rössner als Mitveranstalter des Symposiums.
Die HerausgeberIn
Johanna Vocht
David Klein
Gerhard Poppenberg