Kitabı oku: «Die Sichtbarkeit der Übersetzung», sayfa 6
3 Sprichwörter, Redensarten und die kollektive Rede vom Übersetzen
Die bis hierher beschriebene bibliothekarische Unsichtbarkeit der Literaturübersetzung mag einst erfassungstechnisch begründet gewesen sein. Doch ist die Wirkmacht preußischer Bibliotheksregeln bis zum Ende des 20. Jahrhunderts nicht allein pragmatisch zu erklären. Was könnte es noch für Gründe geben, die Übersetzer nicht zu nennen? Irgendwie scheinen sie ja als unwichtig oder wenig wichtig zu gelten, und das nicht unter bibliophoben Analphabeten, sondern auch unter Bibliothekaren. Welche kulturellen Grammatiken stehen also hinter jener Logik, die die Recherche nach Übersetzern unmöglich macht, weshalb sie auch nicht angemessen in das Wissen über die Entstehung kultureller Tradition eingegangen sind? Dieser Frage möchte ich im Archiv der Sprache selbst nachgehen. Eine wichtige Quelle für solche Aussagen ist der Band La traduction en citations (Delisle 2007), in dem Jean Delisle über 3000 Einträge verzeichnet und allein für den Übersetzer als Akteur knapp 400 gängige Redensarten auflistet.1 Offensichtlich gibt es ein Archiv, in dem Übersetzer gut sichtbar verzeichnet und wahrnehmbar sind: die Sprache. Hier sind sie und ihre Arbeit seit Jahrhunderten präsent, und ein aufmerksamer Blick auf die vielen tausend Einträge fördert Einiges zu Tage, was den heutigen Umgang mit der Berufsgruppe erhellt.
Die Aussagekraft solcher Bonmots und Redensarten ist wissenschaftlich erprobt: Erinnert sei an Werner Krauss, der 1946 in einer Analyse spanischer Sprichworte ein kulturgeschichtliches Porträt des spanischen Siglo de Oro destillierte (vgl. Krauss 1988). Folgt man seinen methodologischen Überlegungen, wäre solchen Redensarten die Summa aller Rede vom Übersetzen eingeschrieben, die sich, Tradition geworden durch häufiges Zitieren, als Kanon Tag für Tag aufs Neue selbst bestätigt. Indem sie von Mund zu Mund gehen oder als Motto gesetzt werden, erzeugen sie trügerische Evidenz. Denn ob die in ihnen aufgehobenen Thesen zum Übersetzen sachlich begründet sind, ob sie vielleicht nur als Pointen in einem längst vergessenen Disput aufblitzten, ist nicht relevant; und noch weniger, ob sie dem heutigen Stand des Wissens entsprechen. Denn das Wissen über Sprache hat sich in den letzten gut 100 Jahren grundlegend verändert: Seit Ferdinand de Saussures Theorie des Zeichens haben wir eine vollkommen andere Vorstellung davon als alle Generationen vor ihm. Viele Redensarten zum Übersetzen aber lassen sich über Jahrhunderte zurückverfolgen, bis in Epochen, die Worte nicht als arbiträre Zeichen, sondern als Dinge betrachteten; dass im Übersetzen ein Ding nicht ein anderes Ding werden kann ohne substanzielle Veränderung leuchtete einst unmittelbar ein. Seit aber die Sprachwissenschaft Worte als Zeichen erkennt, deren Bedeutung variabel und veränderbar ist, kann das Übersetzen konzeptionell grundlegend anders gedacht werden. Doch die alten Sprichworte ficht das nicht an, denn sie werden – Saussure hin, Semiotik her – immer weiter zitiert und variiert. Wie ich nun an einigen Beispielen zeigen möchte, leben vor allem ihre alten Denkfiguren von ‚Verlust‘ und ‚Verfälschung‘ weiter. Sie sind die Zombies des Übersetzungsdenkens: Im Kern schon lange tot, aber als schaurig Untote unterhalten sie nach wie vor das Publikum.
3.1 Der skeptische Blick
Eine statische Auswertung der Einträge in Delisles Sammlung sowie der erwähnten Datenbank bringt folgendes Ergebnis: Nur in maximal einem Viertel der Belege kommt eine eindeutig positive Haltung gegenüber den Übersetzern zum Ausdruck, die dort etwa als ‚Brückenbauer‘ oder ‚Fährmänner‘ apostrophiert sind, als ‚Friedensstifter‘ oder ‚Zauberer mit Sprachen‘. Aber gut 75 Prozent der Benennungen sind hingegen kritisch, skeptisch, wenn nicht verletzend: Übersetzer seien ‚Souffleure‘, ‚Schattenschreiber‘, ‚Lohnschreiber‘, ‚fröhliche Vampire‘, ‚Bindestriche‘, ‚Trickser‘, ‚Nacherzähler‘ oder schlicht ‚Kolonisatoren des Ausgangstextes‘, kurz: ‚Herumirrende zwischen Grenzen‘ oder ‚Falschmünzer‘.1
Betrachten wir im zweiten Schritt die skeptischen Aussagen zum Übersetzen, die die weitaus größte Gruppe in den Sammlungen bilden: Gerade sie wirken vertraut, klingen ganz selbstverständlich, wir alle haben sie immer schon im Ohr. „Beim Übersetzen geht immer etwas verloren“, heißt es im deutschen Volksmund bedauernd; der Franzose formuliert seine analoge Skepsis mit Esprit: „Le mariage est la traduction en prose du poème de l’amour.“ Es heißt, Übersetzer seien ‚Künstler im Auftrag‘, Zwitterfiguren, bei denen die künstlerische Seite der Arbeit dadurch abgewertet ist, dass sie nur auf Auftragsbasis, also zweckgebunden erfolgt. Als Richtschnur für übersetzerisches Handeln gilt dem Mann auf der Straße: „Man muss so treu wie möglich und so frei wie nötig übersetzen.“ Friedrich Schleiermacher spitzt den gleichen Gedanken wie folgt zu: „Entweder der Uebersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.“ (Schleiermacher 1963: 47)
Schleiermacher konstruiert hier eine Entweder-Oder-Maxime, die klug klingt, sich bei der praktischen Arbeit am konkreten Text aber schnell in Luft auflöst, weil die sprachlichen Entscheidungen feinstofflich zu komplex sind für solch ein Schwarz-Weiß-Schema. Viele skeptische Redensarten basieren auf solchen Entweder-Oder-Aussagen. Sie wirken wie Aporien, als ob sich die Pole ihrer Aussage kategoriell ausschließen würden. Es klingt ja auch irgendwie „logisch“, dass eine Übersetzung nicht zugleich treu und frei sein kann, oder? Aber die Grundlage solcher Entweder-Oder-Aussagen sind oft schlichte Setzungen ohne argumentative Herleitung. Denn was zum Beispiel im Umgang mit natürlichen Sprachen Treue sein soll und was Freiheit, bleibt unausgesprochen und wird nicht definiert. Die Wirkung solcher Setzungen, die sich als Aporien spreizen, ist weitreichend: Aus der Denkfigur des Entweder-Oder folgt als vermeintlich logischer Schluss, dass Übersetzen – egal wie man es nun anstellt – so oder so defizitär sein muss. Die binär konstruierte Aussage suggeriert, dass ein dritter Zugang nicht gedacht werden könne. Folglich übersetzt man entweder zu treu, agiert dann aber nicht frei und umgekehrt. Wer auf solche Entweder-Oder-Aussagen kritisch zu antworten versucht, sitzt schnell in der Falle, denn er kann schwerlich heraustreten aus der falschen Setzung.
Besonders gut ist die Konstruktion solcher Pseudo-Aporien an dem folgenden Beispiel zu erkennen: „Übersetzungen sind wie Frauen, die Schönen sind untreu, die Treuen sind hässlich.“ Dieser Voltaire zugeschriebene Ausspruch wird seit 200 Jahren zitiert – offensichtlich ohne je über seine bedeutungsgebende Setzung nachzudenken. Die lautet, dass Frauen wahlweise hässlich oder untreu sind, was im Frankreich des 18. Jahrhunderts vielleicht als geistreich galt, logisch dennoch Unfug ist. Der Satz kann stellvertretend für viele andere gelesen werden, die die ästhetische Wertung des Übersetzens mit einer moralischen Abwertung verknüpfen. Exemplarisch kann er stehen für all die Blicke männlicher Kommentatoren, deren Rhetorik das Übersetzen weiblich konnotiert oder Übersetzungen als weibliche Wesen imaginiert, von per se zweifelhafter Verlässlichkeit.
Ein anderer Typus von skeptischen Aussagen entspringt dem unmittelbaren Vergleich von Original und Übersetzung. Da die bis heute in der der westlichen Welt gängigen Vorstellungen davon, was im Gutenberguniversum ein Original ist, vom Geniekult der europäischen Romantik geprägt wurden, kommt die Übersetzung umso schlechter weg, je näher die jeweilige Aussage dem Gravitationsfeld romantischer Poetiken steht. Zum Beispiel in der Gegenüberstellung: „Originale reifen, Übersetzungen altern.“ Begründen ließe sich diese Opposition allenfalls auf Grundlage eines traditionellen Werkbegriffs und historisch argumentierend: Ein Werk – einmal von letzter Hand veröffentlicht – bliebe gemäß dieser Sichtweise für immer unverändert. Wohingegen Übersetzungen immer wieder neu angefertigt werden, sich also verändern. Mit guten Gründen und unterfüttert mit vielen Beispielen aus der Übersetzungsgeschichte ließe sich entgegnen, dass es häufig umgekehrt war. Denn Originalwerke aus früheren Epochen sind keineswegs stabil, jede kritische Gesamtausgabe erstellt ein neues Original, im Wissen um frühere Lücken oder Fehler, Varianten, Auslassungen, Verlagszensur, konkurrierende Editionen. Außerdem werden Originale mit den Jahren unverständlich: Kein britischer Schüler versteht Shakespeare ohne Anmerkungen. Und vor allem verändern die angeblich still vor sich hin reifenden Originale ihre Bedeutung, gerade durch das Wissen um die Tatsache, dass sie übersetzt und in anderen Sprachwelten anders verstanden werden. Mehr noch, Neuübersetzungen halten Klassiker frisch: Weshalb wir deutschsprachigen Leser immer wieder neue King Lears und Madame Bovarys vorgestellt bekamen, je nach Maßgabe des sich wandelnden literarischen Geschmacks. Die Metapher der Reife verliert also recht schnell an Prägnanz, wenn man etwas genauer hinschaut. Ebenso die des Alterns, zumal sie ebenso für Übersetzungen in Anspruch genommen werden kann: Noch immer wird der Barockautor Baltasar Gracián auch in der Übersetzung Schopenhauers gelesen, Shakespeare in den Worten von August Wilhelm Schlegel und Ludwig Tieck oder Marcel Proust gerne in der Syntax von Eva-Maria Mertens. Offenbar alles gut gealterte Übersetzungen.
Originale reifen, Übersetzungen altern? Man könnte darauf antworten und im Wissen um die heutige Sicht auf den Status von Übersetzungen im literarischen Gefüge einen Gegen-Sinnspruch kreieren: Originale verdunkeln, Übersetzungen erhellen. Aber der darin aufgehobene freundliche Blick aufs Übersetzen klingt nicht recht sprichworttauglich. Das Kollektiv redet mehrheitlich anders. Denn es orientiert sich an einem idealistisch gedachten Original, das auratisch überhöht wird, weshalb die daneben sich mühende Übersetzung selbstverständlich abfallen muss, als ob es ein Naturgesetz wäre. Um noch einmal auf das letzte Beispiel zu kommen: Es ist die bestechende biologische Evidenz der Gegenüberstellung „Reifen versus Altern“, die die überzeitliche Gültigkeit der Aussage rhetorisch unterfüttert und ihre Bedeutung schließlich überführt in den Bereich der naturgesetzlichen Wahrheit. Der Satz tut so, als ob er nicht von Kultur spräche, sondern von der Natur. Das klingt eingängig, das wirkt überzeugend, dem zu widersprechen steht nicht an. Deshalb wird es gerne nachgesprochen.
3.2 Der freundliche Blick
Die Aussagen, in denen Vertrauen und Wertschätzung gegenüber Literaturübersetzern zum Ausdruck kommen, finden sich deutlich seltener; sie machen etwa ein Viertel der in den Datenbanken und Sammlungen verzeichneten Einträge aus. Die ihnen zugrundeliegenden Denkfiguren unterscheiden sich deutlich von denen der skeptischen Aussagen, denn sie verfolgen oft einen beschreibenden Ansatz: Wenn Übersetzer als ‚Brückenbauer‘ oder ‚Fährmänner‘ benannt werden, sind sie markiert als Akteure eines gelingenden und offenbar fruchtbringenden Transports von A nach B, von einer Kultur oder/und Sprache in andere. Als solche machen sie ein Konzept wie ‚Weltliteratur‘ überhaupt erst denkbar, wie es in folgendem Diktum zum Ausdruck kommt, das nicht nur José Saramago zitiert: „Schriftsteller schreiben Nationalliteratur, aber es sind die Übersetzer, die Weltliteratur schreiben.“1 In die gleiche Richtung dachte Johann Wolfgang von Goethe:
Und so ist jeder Übersetzer anzusehen, dass er sich als Vermittler dieses allgemein-geistigen Handels bemüht und den Wechseltausch zu befördern sich zum Geschäft macht. Denn was man auch von der Unzulänglichkeit des Übersetzens sagen mag, so ist und bleibt es doch eines der wichtigsten und würdigsten Geschäfte in dem allgemeinen Weltverkehr. (Goethe 1967a: 237)
Zwar gilt Lyrik als besonders schwierig zu übersetzen, doch formuliert Paul Valéry, obwohl Lyriker, mit Nachdruck den Gedanken, dass Übersetzen natürlich gelingen kann: „Traduire, c’est produire avec des moyens différents des effets analogues.“ (zit. in: Delisle 2007) Eine Variation dazu liefert der Ausspruch von Günter Grass, der den Kerngedanken noch einmal anders zuspitzt, wenn er sagt: „Die Übersetzung verwandelt alles, um nichts zu ändern.“ Auffällig ist, dass sich in dieser Gruppe viele zeitgenössische Schriftsteller als Quellen finden, also Autoren, die dank heutiger Kommunikationsformen in engem Austausch mit ihren Übersetzern in der ganzen Welt stehen und sie offenbar als sehr gute Leserinnen kennengelernt haben. Ihre Sentenzen lesen sich, als ob sie eine Gegenposition markieren wollten zur allfälligen Kritik, wie das folgende Beispiel von Alberto Manguel zeigt: „Der ideale Leser ist ein Übersetzer […]. Er ist in der Lage, einen Text zu zerlegen, ihm die Haut abzuziehen, ihn bis aufs Mark auszuweiden, jeder Arterie und jeder Vene nachzugehen, um dann ein neues lebendiges Wesen zu erschaffen“ (Manguel 2003). Manguel imaginiert den Übersetzer als Demiurgen, der gleich dem Autor fähig ist, aus dem Material der Sprache, das er anthropomorphisiert herbeizitiert, einen lebensfähigen literarischen Text zu erschaffen. Und vor dem Hintergrund all der leserzentrierten Literaturtheorien der letzten Jahrzehnte kann es wohl keinen größeren Ausdruck der Wertschätzung geben an als den, der „ideale Leser“ zu sein.
3.3 Der scharfe Blick
Kommen wir zur dritten Gruppe von Aussagen, bei denen zur Skepsis in der Sache eine bittere Note tritt, ein schärferer Ton, eine manchmal sogar ins Aggressive kippende Haltung. Übersetzer werden hier beispielsweise als ‚Diener zweier Herrn‘ bezeichnet, und anders als in Carlo Goldonis gleichnamiger Komödie (1746) ist das nicht lustig gemeint. Ein solches Diktum bezieht sich zunächst einmal auf die schlichte Evidenz, dass Übersetzer sowohl der Ausgangs- wie der Zielsprache verpflichtet sind, also einer doppelten Verpflichtung unterliegen, die Entscheidungen zwischen mehreren möglichen sprachlichen Lösungen erfordert. Doch nicht die dafür benötigte Erfahrung oder Kreativität wird thematisiert, sondern eine (servile, erduldete) Abhängigkeit beleuchtet; mehr noch, in der Verdoppelung der Herren steckt nicht nur eine Verstärkung, sondern auch ein unauflösbares moralisches Dilemma: weil zwei Herren gleichzeitig zu dienen gemäß der herbeizitierten aristokratischen Ordnung unmöglich ist, denn eine Seite muss dabei zwingend zu kurz kommen. Im Dienen steckt die Pflicht zur Loyalität, zwei Herren zu dienen heißt illoyal zu sein. Ergo: Übersetzer sind illoyal.
Auch der erotische Echoraum wird gern genutzt. Etwa von Johann Wolfgang von Goethe: Er bezeichnet die Übersetzer als „geschäftige Kuppler, die uns eine halb verschleierte Schöne als höchst liebenswürdig anpreisen“ (Goethe 1967b: 499). Damit rückt er das Metier in die Nähe der Zuhälterei, was immerhin noch nicht ganz so verächtlich klingt wie jene Redensart, Übersetzen sei ‚das zweitälteste Gewerbe der Welt‘, Übersetzer also gleichzusetzen mit Prostituierten.
Nicht vertrauenswürdige Dienstboten, zwielichtiges Gewerbe, käufliche Sexarbeiter – gibt es noch eine Steigerung? Zwei Worte genügen und fertig ist die wohl am häufigsten zitierte moralische Herabsetzung der Übersetzer: „traduttore traditore“ lautet die kürzeste und zugleich schlagend herabwürdigend formulierte Gleichung zwischen Übersetzer und Verräter. Dank des Gleichklangs der beiden Worte im Italienischen ist sie unmittelbar eingängig, wenn auch selten weiter begründet. Die Homophonie tritt an die Stelle des Arguments, was der Verbreitung offensichtlich zuträglich war und ist.1
Ähnlich wie Goethe imaginiert Miguel de Cervantes das, was zwischen Ausgangs- und Zieltext steht, in einer optischen Metapher. An die Stelle des verführerischen Schleiers tritt bei ihm die Webart eines Teppichs, wenn er seinem Protagonisten Don Quijote folgendes Urteil in den Mund legt:
Dennoch bin ich der Ansicht, das Übersetzen von der einen Sprache in eine andere, […], so ist, als betrachtete man die flämischen Wandteppiche von der Rückseite her, wo man die Figuren zwar erkennt, doch nur unter allerlei Fäden, die sie verschleiern, so dass sie nicht in der Klarheit und dem Farbenglanz hervortreten wie auf der Vorderseite. (Cervantes 2008: 545)
Der Ritter kommentiert hier wohlgemerkt eine Übersetzung aus dem Italienischen ins Spanische: Das Bild des Teppichs, dessen kunstvolle Muster auf der Rückseite nur schemenhaft erkennbar seien, bezieht sich bei Cervantes konkret auf eine Übersetzung zwischen eng verwandten Sprachen und vor allem auf jenen Sonderfall, bei dem jemand Ausgangs- und Zielsprache gut beherrscht. Nur dann kann man beim ersten Blick auf die Übersetzung eine Ahnung von der sprachlichen Formung des Originals bekommen. Beide Einschränkungen aber haben die weite Verbreitung dieses Bildes über 400 Jahre hinweg nicht bremsen können. Noch im 20. Jahrhundert sekundiert der italienische Schriftsteller Leonardo Sciascia: „Am besten hat es Cervantes ausgedrückt: Übersetzung ist wie die Rückseite eines Teppichs“ (Cervantes 2008: 545). Gut zu erkennen ist hier, wie sich in der Überlieferungstradition das Bild (der Teppich und seine Webart) von den beiden höchst spezifischen Voraussetzungen der Aussage (verwandte und vom Sprecher beherrschte Sprachen) gelöst hat. Zudem suggeriert es bildhaft konkret und folglich sehr überzeugend, dass Literaturübersetzen nur eine Ahnung von dem vermitteln kann, was ursprünglich gesagt wurde; die Vorderseite des Teppichs, ihre dicht gewebte Schönheit ohne Brechung sowie die darauf beruhende ästhetische Wirkung des Originals bleiben für die Übersetzung unerreichbar. Kurz gesagt: Gutes Übersetzen ist unmöglich.
Die Unmöglichkeit guten Übersetzens: Diesen Gaul reiten zahlreiche Redensarten, mal schneidend („Poesie ist das, was in der Übersetzung verloren geht“, Robert Frost), mal pointiert („Das Original ist der Übersetzung nicht treu“, Jorge Luis Borges), mal die Metapher der Schifffahrt aufnehmend, die zwangsläufig im Schiffbruch endet. So Wilhelm von Humboldt:
Alles Übersetzen scheint mir schlechterdings ein Versuch zur Auflösung einer unmöglichen Aufgabe. Denn jeder Übersetzer muss an einer der beiden Klippen scheitern, sich entweder auf Kosten des Geschmacks und der Sprache seiner Nation zu genau an sein Original oder auf Kosten seines Originals zu sehr an Eigentümlichkeiten seiner Nation halten. Das Mittel hierzwischen ist nicht bloß schwer, sondern geradezu unmöglich. (Humboldt 1963: 78)
Der preußische Sprachwissenschaftler, der als Kenner europäischer, orientalischer und asiatischer Sprachen wusste wovon er sprach, ist eine der vielen Stimmen im Chor, die in solchen Entweder-Oder-Sätzen das Übersetzen als unmöglich markieren. Dessen Gesang ist so reich, dass er einen Unmöglichkeits-Topos erschaffen hat, der sich in Hunderten von Aufsatz- und Buchtiteln niederschlägt, die vom Übersetzen einzig und allein als ‚Problem‘ sprechen können.2
4 Vom Misstrauen zur Unsichtbarkeit
Redensarten über das Übersetzen speichern, tradieren und vermitteln viel Skepsis und Vorbehalt, reichlich Herabwürdigung, ein wenig Lobpreis. Soweit der Befund. Doch was steht hinter diesen Aussagen? Denn „ganz allgemein gesprochen wären Sprichwörter als Medium zu verstehen, in dem die Sprecher auf einen spezifischen Reiz reagieren, dem sie eine im Sprichwort formulierte Haltung ausdrücken, als Ausdruck eines spezifischen Bewusstseins“, so Werner Krauss (1988: 27). Wenn es einen Begriff für die Haltung gibt, die hinter der Mehrzahl der Aussagen steht, dann ist es der des Misstrauens. Misstrauen steckt in allen Aussagen der ersten Gruppe, der sich die weitaus meisten Belege zuordnen lassen. Dem Übersetzer und der Übersetzung wird grundsätzlich misstraut. Die beiden anderen Rubriken der hier vorgeschlagenen Sortierung wären demgegenüber zu verstehen einerseits als Zuspitzung (wenn aus Misstrauen Verachtung wird), andererseits als Gegenrede. Letztere, mit der dem Misstrauen demonstrativ eine Geste des Vertrauens entgegengesetzt wird, findet sich v.a. seit dem 20. Jahrhundert.
Wie aber passt dieser schlechte Leumund zusammen mit dem unbestreitbaren kulturellen Nutzen des Übersetzens? Wie lässt sich erklären, dass Übersetzen für die Entwicklung unserer Kulturen zentral und allgegenwärtig ist, dass es aber zugleich keine Wertschätzung erfährt, die dieser Relevanz annähernd angemessen wäre? Mehr noch, wie erklärt sich die Selbstverständlichkeit, mit der dieses Misstrauen von Generation zu Generation im Archiv der Sprache weitergetragen wird?
Wie auch immer die Ursprünge und Gründe für das Misstrauen kulturgeschichtlich zu erklären wären – fest steht, dass es unserer Sprach- und Diskursgeschichte so tief eingeschrieben ist, dass es ganz und gar selbstverständlich und wie naturalisiert daherkommt. Als ob hier ein Naturgesetz Geltung beanspruchen würde: Wasser kocht bei 100 Grad, auf den Sommer folgt der Herbst, Übersetzen ist verdächtig und den Übersetzern ist zu misstrauen. Wenn dem so ist, erklärt sich immerhin die lange selbstverständliche Sortierung der Bibliothek nach Grundregeln, die Übersetzungen unauffindbar macht. Denn wer so einen schlechten Ruf hat wie die Übersetzer, für den muss man keinen Platz auf der Karteikarte freiräumen. Er kann ruhig unauffindbar bleiben und in der Folge kulturell unsichtbar.