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Gott, der an Frauenbrüsten ruht

Zur Rolle der Erotik in der christlichen Mystik am Beispiel des Fließenden Lichts der Gottheit Mechthilds von Magdeburg

Cezary Lipiński (Zielona Góra)

Zusammen mit der Antwerpener Begine Hadewijch und dem italienischen Franziskaner Jacopone da Todi wird Mechthild von Magdeburg zuweilen als das „Dreigespann der größten mystischen Dichter des 13. Jahrhunderts“1 bezeichnet. Was sie als „hervorragende Vertreterin der Minnemystik oder mystique courtoise“2 erscheinen lässt, und ihr einziges Werk, das Bekenntnis- und Offenbarungstagebuch, das Fließende Licht der Gottheit, einzigartig macht, sei nach Kurt Ruh die Weiterentwicklung der nuptialen Mystik, die einerseits in der mittels der forcierten Dialogizität erstmals erreichten Aufhebung der Distanz zwischen Gott und Geschöpf, andererseits in der bezeichnenden, auf Direktheit und Rückhaltlosigkeit aufbauenden Weiblichkeit des Duktus Mechthilds zum Ausdruck komme.3 Hinsichtlich der Bedeutung ihres Werkes im mystischen Paradigma Deutschlands sind sich die Gelehrten weitgehend darüber einig,, dass „[f]ür die Erforschung der voreckhartischen deutschen Mystik […] unter den Texten in deutscher Sprache Mechthilds ‚Fließendes Licht‘ unbestritten an vorderster Stelle“4 stehe.

Aus diversen Gründen stellt Mechthild seit mehreren Jahrzehnten ein besonderes Faszinosum für die Forschung dar. Ihr Leben und Werk bilden „eine in der deutschsprachigen Literatur vorher so nicht anzutreffende Einheit“5, was auch den Charakter des „Tagebuch[s] ihrer Seele als historische Autobiographie mit Zahlen“6 begründet. Gleichzeitig besticht das sich „definierenden Gattungsbegriffen“7 entziehende Fließende Licht, „ein sehr fraulich unsystematisches Werk“8 – um mit Hans Neumann zu sprechen – nicht nur durch „überall hervortretende Unmittelbarkeit der Beziehung zwischen gegenwärtigen Erlebnissen und vergangenen Lebenszuständen“9, sondern auch einen schwer zu überbietenden Formenreichtum, der sich von diversen Formen von Liedern, Gedichten und Merkversen über (Lehr-)Dialoge, (Streit-)Gespräche und quasi dramatische Szenen bis hin zu Reden, Erzählungen und Passagen in rhythmischer Prosa erstreckt.10 Vervollständigt wird diese Vielfalt durch zahlreiche Bilder, Allegorien und eine die Möglichkeiten einer hoch entwickelten Metaphorik nutzende „leidenschaftliche Minnesprache“.11 Alle diese Elemente werden originell „in etwas Neues, Eigenes umgeschmolzen, das sich formal kaum einordnen“12 lasse. Geschöpft wird dabei mit vollen Händen nicht nur aus der Tradition der biblischen Literatur (das Hohelied), sondern auch der höfischen Dichtung. Dabei üben einerseits der paradoxe „minneweg der Seele“13, der grob gesehen von der Weltflucht über die unio mystica bis zum freiwilligen Verzicht auf die gerade gewonnene Nähe des Bräutigams („Lassen Gottes“14) verläuft, andererseits die „Gewagtheit der erotischen Bildsprache“15 eine besondere Anziehungskraft auf den heutigen Rezipienten aus.

Zahlreiche Versuche der Dichterin, nicht nur die Mannigfaltigkeit der Aspekte, Modelle, Erscheinungsformen und Modi der Liebe zu beschreiben, sondern auch die Liebe selbst zu typologisieren, trugen im Fließenden Licht zur Fundierung einer fortgeschrittenen Mystik und Philosophie der Liebe bei. So ist das eigentliche Ziel dieses Beitrags, auf das breite Spektrum der dort vorgenommenen Funktionalisierung der Liebe einzugehen16.

1. Mechthild und ihr Werk

Um 1207 (nach Neumann) in einer ritterlichen Familie in der westlichen Mittelmarkt geboren und höfisch erzogen1, soll Mechtild Offenbarungen empfangen haben, die sie als den unmittelbaren Gruß des Heiligen Geistes gedeutet und über dreißig Jahre später zu verschriftlichen begonnen hatte:

Ich unwirdigú súnderin wart gegruͤsset von dem heligen geiste in minem zwoͤlften jare also vliessende sere, do ich was alleine, das ich das niemer mere mohte erliden, das ich mich zuͦ einer grossen teglichen súnde nie mohte erbieten. Der vil liebe gruͦs was alle tage und machte mir minnenklich leit aller welte suͤssekeit und er wahset noch alle tage. (IV, 2, 228)2

„[U]m 1230 [flüchtete sie] aus dem Elternhaus nach Magdeburg in ein Beginenhaus, um ein Leben in asketischer Heimatlosigkeit, Armut und Kasteiung zu führen“.3 Neumann vermutet hinter dieser einschneidenden Entscheidung einen schweren inneren Konflikt:

Die tiefbegriffene Gegensätzlichkeit von weltlichem Herrenturn und geistlicher Gottesknechtschaft, die Unvereinbarkeit irdischer Ehre und religiöser Demut, die Gefährlichkeit der ästhetischen Lebensverwirklichung in Zeremoniell und Kunstübung für die Seele ist gerade das Zentralerlebnis ihrer Jugend und der Anstoß zu ihrer Flucht ins Beginentum gewesen.4

Auf die Frage, warum sie nach der ersten, bereits um 1219 stattgefundenen und anschließend täglich wiederkehrenden Gotterfahrung so lange damit gewartet hatte, gesteht Mechthild am Anfang des vierten Buches (IV, 2, 231), dass es „schon seit langer Zeit […] [ihr] Wunsch gewesen sei, ohne eigene Schuld erniedrigt zu werden“ („Do hatte ich lange vor gegert, das ich ane mine schulde wurde versmaͤhet“). Nach ihrem ca. vierzig Jahre dauernden Aufenthalt im Beginenhof, dessen Vorsteherin sie später wahrscheinlich wurde, begab sie sich um 1270 aus nicht ganz ersichtlichen Gründen – vielleicht in Folge der Bestimmungen „einer Magdeburger Dominikanersynode von 1261 gegen das Beginentum“5, vielleicht – wie Kurt Ruh vermutet – „auf Anlaß der Familie bzw. ihres Bruders Balduin oder Heinrichs von Halle“6, vielleicht aber – wie Ursula Peters und Otto Langer wollen – wegen der „Unsicherheit und Gefährdung der semireligiösen Existenz“7 – in das Zisterzienserinnenkloster Helfta bei Eisleben, wo sie unter der Äbtissin Getrud von Hackeborn in die Ordensgemeinschaft aufgenommen wurde. Dort starb sie um 1282.

1250 hatte Mechthild mit der Niederschrift des Fließenden Lichts begonnen. Zwar wurde sie dazu direkt durch ihren Beichtvater, den Dominikaner Heinrich von Halle, bewogen, doch glaubte sie damit primär der Aufforderung Gottes („du hies mich es selber schriben“ [II, 26, 136]; „Hette es got vor siben jaren nit mit sunderlicher gabe an minem herzen undervangen, ich swige noch und hette es nie getan“. [III, 1, 156]) Genüge zu leisten. Die durch Neumann ermittelte Chronologie sieht drei Entstehungsstufen des Werkes: Bücher I-V (zw. 1250–1259), VI (zw. 1260–1270/71), VII (zw. 1271–1282).8 Das niederdeutsche Original des Fließenden Lichts ist verschollen; auf uns gekommen ist nur eine lateinische, wahrscheinlich kurz nach Mechthilds Tod entstandene Übersetzung der ersten sechs Bücher und eine etwas spätere, auf ca. 1343/45 datierte oberdeutsche Übertragung des ganzen Textes. Der Mangel an tieferer Bildung, den die Mystikerin selbst als ein Handicap ansah und der die lateinunkundige Frau dazu zwang, sich bei der Niederschrift ihres Werkes mit einem deutschen Dialekt zu behelfen, erwies sich im Nachhinein als Glücksfall. Auch in dieser Hinsicht markiert Mechthilds Buch einen tiefen Einschnitt, da es „ein herausragendes Beispiel für den in der Geschichte der abendländischen Mystik epochalen Schritt vom Latein zur Volkssprache“9 darstelle.

2. Zur Eigenart der Erotik im Fließenden Licht

Den Namen der vielleicht „kühnste[n] erotische[n] Dichtung, die wir aus dem Mittelalter besitzen“1 verdiente sich das Fließende Licht nicht nur dank seiner „unverhüllt erotischen Metaphorik“.2 Otto Langer stellt als eine besondere Eigentümlichkeit Mechthilds heraus, dass sie in ihrem „Ansatz Brautmystik und Passionsmystik zu einer spannungsvollen Einheit“3 verbinde. Gemeint ist die ausufernde Ekstatik des Liebeserlebnisses, aus der sich auf einer höheren Stufe dessen paradoxe Ambivalenz ergibt. Für die durch Gott liebevoll gegrüßte Seele stellt die traditionell höchste Stufe der mystischen Erfahrung, die unio mystica, d.h. die in Form einer mystischen Hochzeit vollzogene Vereinigung mit Christus als Bräutigam, hier lediglich eine Zwischenetappe dar. Die Bewusstwerdung der verworfenheit der Liebe, deren Ausformung Kurt Ruh übrigens für den originellsten Beitrag Mechthilds hält4, führt zur freiwilligen Entfernung von Gott als Folge des graduell verlaufenden Entfremdungsprozesses. Als der Aufstieg in einen Abstieg umschlägt, sinkt die Seele in die Tiefe ab. Ihre „sinkende Demut“ lässt sie bis auf den Grund der Hölle fallen, wo sie einen Platz unter Lucifers Schwanz einnimmt.

und bringet si denne an die stat, da si nit fúrbas mag, das ist under Lucifers zagel. Moͤhte si denne in der gerunge nach irem willen gotte ze eren da wesen, da woͤlte si nút fúr nemen. (V, 4, 328)

Der Gedanke, dass die freiwillige, Gott zuliebe erlittene Not eine Steigerung der Liebe bedeutet, lässt sich bei Mechthild relativ früh finden. Einige Forscher5 vermuten hinter dieser systemischen Denkfigur, die im Endeffekt darauf hinausläuft, die angenommene Qual als das schlechthinnige Glück der Seele zu verstehen, einen Nachhall der Idee der resignatio ad infernum. Diese später besonders durch Luther popularisierte Anschauung, die von den Gläubigen sogar bedingungslose Akzeptanz der Verwerfung durch Gott fordert, wird im dritten Buch des Fließenden Lichts als eine „dialektische Versöhnung“6 von Liebe und Erniedrigung thematisiert: „von minnen wirt man schoͤne und lobesam, von smacheit wirt man vil hohe in gotte erhaben“ (III, 24, 220, 222): „Das Heilsgeschehen setzt Freiheit voraus, die resignatio ad infernum ist ein Akt der Selbstverantwortung.“7 Mit ihr schließt die große Epopöe, deren eigentlicher Sinn die Reifung der Seele ist. Sie kann zwar mittelfristig durch die Entbindung vom Körper geschehen; letztendlich führt aber kein Weg an der Selbstaufgabe der Seele vorbei:

Als si alsus ufgestigen ist in das hoͤhste, das ir geschehen mag, die wile si gespannen ist ze irme lichamen, und har nider gesunken ist in das tieffeste, das si vinden mag, so ist si denne vollewahsen an tugenden und an helikeit. (V, 4, 330)

Der hier grob skizzierte Prozess vermittelt zwar erste Einsichten in die eindrucksvolle Spannbreite des Erotischen im Fließenden Licht, sagt aber wenig über den systemischen Ansatz Mechthilds mit all den einzelnen Etappen, Stufen und Facetten aus. Und die Mystikerin entpuppt sich hier als Morphologin und Systematikerin der Liebe, die nach scholastischer Art gern katalogisiert und systematisiert, schlechthin. So unterscheidet und charakterisiert sie u.a. sieben Stationen der Liebe (I, 44), sieben Formen der Gottesliebe (II, 11), sechzehn Arten von Liebe (III, 13), sieben Formen der Liebe (III, 24), zwanzig Wirkkräfte der Gottesliebe (V, 30), zehn Wirkkräfte der Liebe (V, 31), vier Eigenschaften der lauteren Liebe (VI, 30), sieben Aspekte des Liebesbegehrens (VII, 45) u.a.m. Das typologische Dickicht macht den Eindruck, als ginge es um die Fundierung einer Wissenschaft der Liebe, eine Tendenz, deren Ursprung womöglich teilweise in der wissenschaftsfreundlichen Atmosphäre Helftas in der Zeit der Äbtissin Gertrud von Hackeborn zu suchen wäre. Trotz ihrer Überzeugung, dass „wenn der Eifer für die Wissenschaft verloren geht, so werde auch die Pflege der Religion aufhören“8, war das Fließende Licht für das auf dem materialistischen Axiom aufbauende 19. Jahrhundert verständlicherweise schon eindeutig dem „Gebiet der Poesie als der Wissenschaft”9 zuzuordnen:

Poesie sind diese Ergüsse einer entzückten Seele und entbehren desswegen aller jener Formen der Wissenschaft, welche so oft nur zu sehr von dem Schönen sich entfernen. Es finden sich daher auch keine Citate, nicht einmal solche aus der heiligen Schrift, denn da ist Alles nur unmittelbare Schilderung innerer Seelenzustände.10

Gleichwohl darf man die Tatsache nicht ignorieren, dass Mechthilds systematischer Einsatz nicht nur nicht im Widerspruch zum dichterischen Charakter ihres Werks steht, sondern ihn erst recht ermöglicht. Man nehme als Beispiel das achtzehnte Kapitel des siebten Buches von den „sieben Tageszeiten, die der Marter unseres Herrn gedenken“, in dem die Ordnung der Zeiten ein Anlass für ausgedehnte Metaphorisierungsmaßnahmen, Bilderreichtum und fortgeschrittene Literarisierung der Sprache ist.

Die Liebe beschreibt Mechthild, indem sie sich generell der Metapher eines Weges bedient, der allerdings alles andere als einheitlich oder strikt auf einen Punkt ausgerichtet ist. Seine Heterogenität setzt nicht nur verschiedene Stufen und Etappen, sondern auch eine Vielfalt der Ziele voraus. Dass es sich am Ende dennoch um den einen Weg handelt, gibt den universellen Zusammenhang allen Streben, Dinge und Erscheinungen in Gott wieder.

Paradigmatisch für die Ekstatik der liebevollen Vereinigung der Seele mit Gott steht der Verlauf ihrer Reise an den Hof des Herrn:

So wiset er ir mit grosser gerunge sin goͤtlich herze. Das ist gelich dem roten golde, das da brinnet in einem grossen kolefúre. So tuͦt er si in sin gluͤgendes herze. Alse sich der hohe fúrste und die kleine dirne alsust behalsent und vereinet sint als wasser und win, so wirt si ze nihte und kumet von ir selben. Alse si nút mere moͤgi, so ist er minnesiech nach ir, als er ie was, wan im gar zuͦ noch abe. So sprichet si: »Herre, du bist min trut, min gerunge, min vliessender brunne, min sunne und ich bin din spiegel.« (I, 4, 26, 28)

Das spielerisch-erotische Fundament der Szene bildet die für Mechthilds Ansatz wesentliche Komponente der Gegenseitigkeit.11 Die Liebe stellt für die Seele nicht nur den Anlass dar, sich auf den Weg zu ihrem Geliebten zu machen, sondern lässt auch den himmlischen Bräutigam schmachtend nach ihr glühen.12 Auf dem Höhepunkt des Liebesaktes wird die Seele durch Gott berührt, wodurch sie aus allen weltlichen Bindungen gerissen und ins Himmlische und Zeitlose (Vorzeitliche?) entrückt wird. Die betörende, sowohl die Sinne als auch das Bewusstsein raubende Wonne des Einswerdens darf jedoch nicht von Dauer sein. Der abrupte Abbruch der Liebesvereinigung ist unumgänglich13, zum einen, weil es der Natur der Liebe entspreche, sich im Feuer des Trennungsschmerzes zu bewähren und durch das Streben nach der Wiederherstellung der verlorenen Glückseligkeit immer höhere Stufen zu ersteigen („Wiltu liep haben, so muͦstu liep lassen“ [II, 23, 118]); zum anderen, weil das freie Schweben der Seele auf ihrem minneweg zu Gott wegen ihrer Körperverhaftung und Weltverfallenheit14 nur auf tagtraumgleiche Momente der Entrückung beschränkt bleiben müsse:

wenne der endelose got die grundelosen selen bringet in die hoͤhin, so verlúret sú das ertrich von dem wunder und bevindet nút, das si ie in ertrich kam. Wenne das spil aller best ist, so muͦs man es lassen. So sprichet det bluͤjende got: »Juncfroͮ, ir muͤssent úch neigen.« So erschrikket si: »Herre, nu hast du mich hie so sere verzogen, das ich dich in minem lichamen mit keinem orden mag geloben, sunder das ich ellende lide und gegen dem lichamen strite.« (I, 2, 22)

Die hier geschilderte Erfahrung ist für die Seele prägend. Sie stellt den Ansporn für ihre groß angelegte Weltflucht als Ergebnis der Verwirklichung eines lebenspraktischen Programms, dessen Eckpunkte bereits im ersten Buch festgelegt sind, dar: „Swelch moͤnsch die welt úbersiget und sime lichamen allen unnútzen willen benimet und den túvel úberwindet, das ist die sele, die got minnet.“ (I, 1, 32)

Das schwierige Unterfangen bekommt im mystischen Idiom Mechthilds die Form eines erbitterten Kampfes gegen den die Liebe vergiftenden „hündischen Leib“ („huntlichen lichamen“ [II, 23, 116]), „der tote hunt, min lichamen“ [III, 5,170]). Er ist ein gefährlicher, bewaffneter „Feind“, der von Natur aus am Diesseits klebt, d.i. mit seinen Bedürfnissen die Kommunikation zwischen der Seele und der geistigen Welt beeinträchtigt oder gar vereitelt und mit seinen kleinen Freuden vom Wesentlichen ablenkt. Um seine störende Vitalität zu brechen, wird er permanenten Qualen unterzogen:

do sach ich minen lichamen an; do was er gewaffent sere uf mine arme sele mit grosser vollede der starken maht und mit vollekomner naturen kraft. De sach ich wol, das er min viant was (IV, 2, 236).

Einsichten in die beklemmende Grausamkeit der Praktiken jener übrigens bei Mechthild sehr reale Gestalt annehmenden Mortifikation vermittelt die Begine im vierten Buch:

Do sach ich oͮch miner sele wafen an; was dú here matter únsers herren Jhesu Christi. Da mitte werte ich mich. Do muͦste ich steteklich in grossen vorhten stan und muͦste alle mine jugent grosse schimeschlege uf minen lichamen schlan, das was: súfzen, weinen, bihten, vasten, wachen, besemenschlege und betten steteklichen an. Dis waren dú waffen miner sele, da ich den lip mit úberwant also sere, das bi zwenzig jaren nie die zit wart, ich were muͤde, siech und krank allererst von rúwen und von leide, da nach von guͦter gerunge und vom geistlicher arbeit und dar zuͦ manig swere siechtag von nature. Hie zuͦ kam dú gewaltige minne und beschaste mich se sere mit disen wundern, das ich es nit getorste verswigen (IV, 2, 236).

Der unerbittliche lebenslange Kampf gegen den eigenen Leib charakterisiert nur die edlen kühnen Seelen, während die „abgestumpften“ („stumpfen selen“ [II, 23]) selbstzufrieden in der Welt ihrer Körperlichkeit ruhen („Ich ruͦwen in der welte mines lichamen“ [II, 23, 116]), ohne jemals den Mut aufzubringen, sich in die Gewalt der „nackten Liebe“ zu begeben („das er sich ihr getoͤrre legen in die gewalt der nakkenden minne“ [II. 23, 116]), um Gott Treue zu erweisen, indem sie in Liebe seinem Geist folgen („Wiltu got rehte trúwe leisten, so soltu in siner liebin volgen sinem geiste“ [II, 23, 116]). Die Ausdauer im Kampf gegen die durch den Leib auferlegten Fesseln und die Unerschrockenheit im Sich-hinaus-Wagen auf das unbegrenzte Meer der göttlichen Liebe stellen die einzigen Wege dar, die wahre Freiheit, die kein Trugbild ist, zu erlangen. Sie setzen die Ablehnung der institutionalisierten, ritualisierten, an sich steifen und auf die Dauer jeglichen persönlichen Erlebnisses beraubten Formen der Gläubigkeit („Wiltu mit im wonen in edeler vriheit, so muͦstu e rumen diese wonunge der boͤsen gewonheit.“ [II, 23, 116]) voraus. Der von Zuhause in die relative Ungebundenheit des Beginenlebens geflüchteten Mechthild durfte gerade dieser Aspekt nicht nur besonders wertvoll, sondern vor allem einleuchtend vorgekommen sein. Letzten Endes, „[d]ie Welt wählen bedeutet Gott verlieren, Gott wählen die Welt verlieren“.15

Ein Umbruch in der Liebesauffassung Mechthilds tritt im zwölften Kapitel des vierten Buches ein.16 Die ihrem Charakter nach beinahe bacchantische Liebesverzückung (zum Beispiel: „Du hast mich gejagt, gevangen, gebunden und so tief gewundet, das ich niemer wirde gesunt“ [I, 3, 24]) der frühen Phase macht einer reiferen – was nicht bedeutet, ruhigeren17 –, dafür dunkleren Konzeption der Liebe mit der Integration des Leids als deren auffälligem Charakteristikum Platz. Schon etwas früher hatte sich die Seele dazu hinreißen lassen, aus Liebe zu Gott im Fegefeuer die Qualen länger zu ertragen: „Nu, lieber herre, swenne ich stirbe, ich wil durch dine liebi gerne noch dar inne qweln. Dis spriche ich nit von sinne, es heisset mich die minne.“ [IV, 2, 234]

Damals waren es v.a. anhaltende Gewissensbisse wegen der Sünden der frühen Jugend, die den Anlass dazu gaben, jetzt ist es das Bewusstsein einer prinzipiellen Unwürdigkeit des Menschen.

Mir smekket nit wan alleine got, ich bin wunderliche tot./ Dis smakes wil ich allerdikost gerne enberen, uf das er wunderlich gelobet werde; wand wenne ich unwirdiger mensche mit miner maht got nit kan geloben, so sende ich alle creaturen ze hofe und heisse si, das si got fúr mich loben mit aller ir wissheit, mit aller ir minne (IV, 12, 258, 260).18

So wendet sich die liebende Seele wiederholt an Gott mit der Aufforderung, sie immer tiefer fallen zu lassen, weil ihr die einzelnen Stufen der Freudlosigkeit und Verlorenheit immer noch nicht schlimm genug vorkommen. Am Ende muss sogar die Liebe geopfert werden, sodass der Seele nur noch das herzzerreißende Fernsein Gottes („dine vroͤmedunge“) übrig bleibt:

Eya selige gotz vroͤmdunge, wie minnenklich bin ich mit dir gebunden! Du stetigest minen willen in der pine und liebest mir die sweren langen beitunge in disem armen libe. (IV, 12, 264)

Erst dann erreicht sie, die verstanden hat, dass je tiefer sie sinkt, umso süßer ihre Existenz wird, das erwünschte Niveau („Mere ie ich tieffer sinke, ie ich suͤssor trinke“ [IV, 12, 264]). Die Wonne der unio mystica auf der einen Seite und der selbstquälerische Fall in die Gottesferne auf der anderen markieren die Ausdehnung der erotischen Dimension der Liebe, die sich hier – paradox genug – trotz der zu erwartenden Selbstvergessenheit und sinnesraubenden Ekstase unter striktem Ausschluss des Körpers entwickelt. Die Neuausrichtung der anfänglich liebesblinden Seele verläuft über die Erkenntnis des Ausmaßes der Aufopferungsbereitschaft der Liebe, die der Sohn Gottes der sündhaften Menschheit entgegengebracht hatte. Und weil jene per se nicht überbietbar ist, kann die Seele nur ihre Nachfolge, deren Ordnung im Gebot und Schema der Idee der imitatio Christi vorgegeben ist, antreten.

Ein Engpass in Mechthilds Programm der geistigen Minne ist die nicht auszuschließende Gefahr der Liebesverliebtheit der Seele, die sich mitunter erdreistet, den nach ihr schmachtenden Gott zurückzuweisen, um nur in die süßen Qualen der Gottesfremdheit und Gottesferne zurückgeworfen zu werden. Selbst der viel zitierte Grundsatz „Wiltu liep haben, so muostu liep lassen“19 könnte aus dieser Sicht, als eine Warnung vor dem völligen Eintauchen in die Wonne der alles um sich vergessenden unio mystica interpretiert werden. So bleibt das Risiko, dass die Liebe, die als der Weg zu Gott legitimiert wird, sich in das Ziel per se verkehrt, latent vorhanden.

Eines der Paradoxe des eigentümlichen Idioms Mechthilds ist der Versuch, die an sich ausschließlich geistig gedachte Vereinigung der liebenden Seele mit dem göttlichen Bräutigam mittels sprachlicher und ikonischer Instrumentarien darzustellen, die dermaßen mutige, körperlich-erotische Elemente und Anspielungen enthalten, dass in der Forschung zuweilen von einer „spirituellen Sexualität“20 die Rede ist.21 Dennoch legen etliche Forscher nahe, „Mechthilds Visionen trotz mancher Gewagtheit der erotischen Bildsprache als rein geistige Erlebnisse“22 anzusehen, da sie „in ihrem Werk den Weg einer seelischen Sublimierung“23 gegangen sei. Dies mag einerseits schon angesichts der spirituellen Natur des Bräutigams einleuchten, schafft aber andererseits an manchen Stellen, wie zum Beispiel im fünffachen Lob Gottes durch die Seele, zusätzliche Interpretationsprobleme:

»O du giessender got an diner gabe,/ o du vliessender got an diner minne,/ o du brennender got an diner gerunge,/ o du smelzender got an der einunge mit dinem liebe,/ o du ruͦwender got an minen brústen!/ Ane dich ich nút wesen mag!« (I, 17, 36).

Ähnliche Schwierigkeiten entstehen im Zusammenhang mit dem häufigen Gebrauch der Brust-, Blut-, Milch- u.a. Metaphern

Trotz der klaren Ausrichtung auf das geistig-erotische Einswerden der Seele mit ihrem himmlischen Bräutigam erschöpfen sich die Funktionalisierungen des minnewegs nicht in seiner Beschaffenheit als der Weg zu Gott. Dass die Liebe auch den Modus des Zusammenseins der Seele mit Gott ausmacht, geht aus dem Ursprung der letzteren als der von Gott aus Liebe Geschaffenen hervor: „Ich bin in der selben stat gemachet von der minne. Darumbe mag mich enkein creature nach miner edelen nature getroͤsten noch entginnen denne allein die minne“ (I, 22, 40).

Von dieser Anschauung leitet Mechthild eine ganze Gedankenkette ab, die sie in ihrer Zeit an die Grenze zur Häresie brachte. Noch Gall Morel stellte fest, dass „[d]ie Ansichten und Ausdrücke in diesem Buche […] allerdings oft gewagt [seien], und wer den streng dogmatischen Maßstab anlegen wollte, könnte leicht Häretisches herausfinden.“24 Die gefährliche Anschauungsweise beginnt bei Mechthild noch relativ harmlos im ersten Buch mit der Funktionsbestimmung der Liebe als den eigentlichen Impuls zur Erschaffung der Seele: „In dem jubilus der heligen drivaltekeit, do got nit me mohte sich enthalten in sich selben, do mahte er die selen und gab sich ir ze eigen von grosser liebi“ (I, 22, 40).

Im ausführlichen neunten Kapitel des dritten Buches wird dann die pygmalionartige Erschaffung der Menschen durch die Heilige Dreifaltigkeit mit allen Details geschildert. Auch dort spielt die Liebe eine entscheidende Rolle, nur dass sie im Gegensatz zur früheren Vorstellung nicht nur als der innere Anstoß, sondern auch als der Modus und vor allem als die Substanz der Schöpfung fungiert.

Do sprach der vatter: »Sun, mich ruͤret oͮch ein kreftig lust in miner goͤtlichen brust und ich doͤnen al von minnen. Wir wellen fruhtber werden, uf das man úns wider minne und das man únser grossen ere ein wenig erkenne. Ich wil mir selben machen ein brut, dú sol mich mit irem munde gruͤssen und mit irem ansehen verwunden; denne erste gat es an ein minnen!«/[…] Do neigte sich du helige drivaltekeit nach der schoͤpfunge aller dingen und mahte úns lip und sele in unzellicher minne. (III, 9,176)

Besonders wegen des Wesens-Aspektes konnte Mechthild schmerzliche Konsequenzen zu spüren bekommen haben, weil er den Eindruck der Identität Gottes und der Materie der Seele entstehen lässt. Danach war die der Heiligen Dreifaltigkeit immanente Liebe nicht nur der Anlass der Schöpfung, sondern auch das in ihrem Verlauf Geteilte, wie es an einer anderen Stelle aus demselben Kapitel stärker herausgestellt wird: „Der himmelsche vatter teilte mit der sele sin goͤtlich minne“ (III, 9, 178). Noch eindeutiger wird die Aufhebung der Grenze zwischen Mensch und Gott in der wesensmystischen Aussage des Bräutigams an die Braut: „Froͮw sele, ir sint so sere genatúrt in mich, das zwúschent úch und mir nihtes nit mag sin“ (I, 44, 64). Ruh und Langer erinnern vor diesem Hintergrund an ein zeitgenössisches Gutachten (1270/73) von Albertus Magnus, das deutlich machte: „Zu sagen, daß die Seele aus der Substanz Gottes genommen sei, ist manichäische Häresie.“25

Abgesehen von der gefährlichen Gratwanderung Mechthilds zwischen der theologischen Korrektheit und Ketzerei erscheint die Liebe auch in anderen Kapiteln als das eigentliche Wesen bzw. die Substanz Gottes. So wird beispielsweise Gott im siebenfachen Lob Gottes durch die Seele als Liebe gepriesen: „Ich lobe dich mit dir selben in der minne“ (III, 2, 160). Dass sie auch der menschlichen Seele nicht einfach eigen ist, sondern sie ausmacht, lässt die Liebe aus der menschlichen Sicht als etwas mehr als bloßen Konvergenzpunkt der Schöpfung erscheinen. Dieser sich aus der Partizipation an der Essenz Gottes ergebende Unterschied wird bereits im ersten Buch verdeutlicht. Im allegorischen vierundvierzigsten Kapitel sucht die nach dem Verlobungstanz erhitzte Seele Kühlung bei ihrem Bräutigam. Die Sinne bemühen sich, sie davon mit dem Verweis auf die alles verbrennende glühende Hitze der Gottheit abzuhalten. Die Seele weist aber die Bedenken zurück, indem sie die Kongruenz der Naturen, Gottes und ihrer eigenen in den Mittelpunkt rückt:

Der visch mag in dem wasser nit ertrinken, der vogel in dem lufte nit versinken, das golt mag in dem fúre nit verderben; wand es enpfat da sin klarheit und sin lúhtende varwe. Got hat allen creaturen das gegeben, das si ir nature pflegen, wie moͤhte ich denne miner nature widerstan? Ich muͤste von allen dingen in got gan, der min vatter ist von nature, min bruͦder von siner moͤnscheit, min brútegoͮm von minnen und ich sin ane anegenge. (I, 22, 62)

Ihre prägnanteste und dichterisch ansprechendste Form fand die Idee in der süßen Sehnsuchtsklage („suͤsse[n] jamerclage“): „Wer von minnen stirbet, den sol man in gotte begraben“ (I, 3, 26).

Die Schilderung der Schöpfung legt ein beredtes Zeugnis davon ab, wie tief das Sezieren der Liebe durch Mechtild geht. Die Mystikerin begnügt sich nicht mit Oberflächlichkeiten und Allgemeinheiten; vielmehr unterzieht sie die Liebe einer Vivisektion, bis sie beruhigt sagen kann: „Herre, din bluͦt und min ist ein, unbewollen –/ din minne und minú ist ein, ungeteilet“ (II, 25, 134).

Mechthilds Vorliebe für Entdeckung und Beschreibung von immer neuen Funktionen, Modi und Aspekten der Minne, die letztlich auf eine eigenartige Systematik hinausläuft, hat ihren Grund im hier hervorgehobenen Zusammenhang zwischen Liebe und Erkenntnis: „Minne ane bekantnisse dunket die wisen sele ein vinsternisse, bekantnisse ane gebruchunge dunket si ein hellepin, gebruchunge ane mort kan si nit verklagen.“ (I, 21, 38) Die Überzeugung von ihrem sinnlichen Charakter durchzieht Mechthilds Werk vom ersten bis zum letzten, siebenten, Buch. Gleichgültig, ob die Liebe – wie im ersten Buch – der Erkenntnis die Tür öffnet,

Ich mag nit tanzen, herre, du enleitest mich. Wilt du, das ich sere springe, so muͦst du selber vor ansingen; so springe ich in die minne, von der minne in bekantnisse, von bekantnisse in gebruchunge, von gebruchunge úber alle moͤnschliche sinne. Da wil ich bliben und wil doch fúrbas crigen. (I, 44, 60)

oder – wie im siebten – deren Voraussetzung darstellt,

Sus sin wir aber mit gotte vereinet in annemmelichet liebin und demuͤtiger dankberkeit. […] So wirt únser herze minnenvol, so werdent únser sinne geoffenet und so wirt únser sele also clar, das wir sehen in die goͤtlichen bekantnisse als ein mensche sin antlize besihet in eime claren spiegel (VII, 7, 544, 546)

es bleibt der Weg der Liebe mit dem Weg der Erkenntnis aufs engste verknüpft. Dies betrifft alles, sogar Gott, der – auf welche Art auch immer – wahrnehmbar und sinnlich greifbar sein muss: „An einem gedachten Gott ist Mechthild nicht interessiert, sie sucht den in den Affekten und mit den verwandelten Sinnen unmittelbar erfahrbaren Gott.“26 „[D]ú wise minne hat bekantheit“ (II, 11, 98) stellt sie im zweiten Buch des Fließenden Lichts fest. Nur „die bekante minne git sich allen creaturen gemeine“ (III, XXIV, 222); nur die „erkennende Liebe“ ist fähig, die Fesseln des Irdischen zu sprengen, zu Gott hinaufzusteigen oder den himmlischen Bräutigam unwiderstehlich an sich zu ziehen, und ihn nach sich schmachten zu lassen.

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531 s. 3 illüstrasyon
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