Kitabı oku: «Frauenwahlrecht», sayfa 5

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Barbara von Hindenburg

Politische Räume vor 1918 von späteren Parlamentarierinnen des Preußischen Landtags

»Hassest Du morsche Mauern nicht,

Und schwankende Fundamente?

Ich weiß, Du bist, wenn Altes bricht,

In deinem Elemente.

Paß auf! bald stürzen, ganz so wie du, –

Jetzt manches Morsche die Frauen;

Doch nur, um für Kommender Freude und Ruh’

Herrliche Hallen zu bauen.«1

In diesen Zeilen aus dem Gedicht »Sturmwind« wies Elsa Hielscher im Jahr 1908 mit der Metapher des Raums darauf hin, wie sich die engen Grenzen für Frauen während des Kaiserreichs allmählich weiteten und wie groß die Erwartung und die Hoffnung auf Neues waren.

Zehn Jahre später konnten Frauen in neue Räume – die Parlamente – einziehen und die Zusammensetzung des Parlaments mitbestimmen. Elsa Hielscher war eine von 91 Parlamentarierinnen, die zwischen 1919 und 1933 in die Verfassunggebende Preußische Landesversammlung bzw. den Preußischen Landtag gewählt wurden (im Folgenden beide: Preußischer Landtag).

Das Land Preußen war mit zwei Dritteln der Bevölkerung und drei Fünfteln des Territoriums in der Weimarer Republik das bei weitem größte Land innerhalb Deutschlands. Der Preußische Landtag und die preußische Regierung gelten als demokratisches Vorbild der Weimarer Republik, besonders im Gegensatz zum Reichstag und der Reichsregierung. Der Historiker Heinrich August Winkler beschrieb Preußens Entwicklung zu einer »Art republikanischem Musterstaat« als ein die Weimarer Republik wesentlich stabilisierendes Element.2

In den Preußischen Landtag wurden zwischen 1919 und 1933 insgesamt fast 1400 Abgeordnete gewählt, darunter waren pro Legislaturperiode 6 bis 10 Prozent weibliche Abgeordnete. Die SPD-Fraktion hatte stets den höchsten Frauenanteil (13 bis 15 Prozent), gefolgt vom Zentrum (10 bis 13 Prozent).3 Der Frauenanteil sank u. a. mit Zunahme der Stimmen der NSDAP, da die NSDAP keine Frauenkandidaturen zuließ und so faktisch für ihre Fraktion das passive Frauenwahlrecht abschaffte.4

Welche politische Herkunft hatten die Kandidatinnen bzw. späteren Parlamentarierinnen bei der Einführung des Frauenwahlrechts? Hatten sie sich bereits vorher in den Parteien engagiert? Für die Sozialdemokratinnen und die späteren Kommunistinnen unter den Abgeordneten des Preußischen Landtags trifft das zu. Seit das Reichsvereinsgesetz dies 1908 möglich gemacht hatte, waren die meisten von ihnen Parteimitglieder. Vorher hatten sie sich in Organisationen der SPD, die als »Frauenbildungsvereine« getarnt waren, betätigt, die 1908 nach einigen Diskussionen aufgelöst wurden. Die Sozialdemokratie hatte schon 1891 das Frauenwahlrecht in ihr Parteiprogramm aufgenommen, und sie war die erste und lange Zeit die einzige Partei, die eine nennenswerte Anzahl an weiblichen Parteimitgliedern in ihren Reihen aufweisen konnte.5

Wie gestaltete sich aber das politische Leben jener Frauen, die bürgerlichen Parteien nahestanden und die später Parlamentarierinnen wurden? Dieser Frage wird der vorliegende Text nachgehen.

Die späteren weiblichen Abgeordneten unterlagen wie alle Frauen in Preußen habituellen Grenzen und gesetzlichen Beschränkungen. Bis 1902 durften sie keine politischen Versammlungen besuchen oder Mitglieder in politischen Vereinen sein, danach konnten sie, ohne das Wort zu ergreifen, in einem abgetrennten Bereich – dem Separée oder Segment – an politischen Versammlungen teilnehmen. Erst seit 1908 konnten sie Parteimitglieder werden und bei politischen Versammlungen öffentlich sprechen, 1918 wurden die politischen Rechte schließlich um das Frauenwahlrecht erweitert.6

Wie aber verlief die politische Sozialisation der Parlamentarierinnen, und wo erfolgte sie? Schufen spätere Parlamentarierinnen eigene Handlungsräume, wenn ihnen eine öffentliche politische Betätigung in Parteien vor 1908 nicht möglich war? Änderte sich dies mit der gesetzlichen Möglichkeit der politischen Tätigkeit in den Parteien?7

Nur drei weibliche Landtagsabgeordnete bürgerlicher Parteien waren vor 1918 Parteimitglieder. Zu bedenken ist allerdings, dass die meisten bürgerlichen Parteien Honoratiorenparteien waren und nicht Mitgliederparteien wie die SPD. Daher waren die Mitgliederzahlen dort insgesamt deutlich geringer.

Beispielhaft herausgegriffen wird das Wirken der bereits erwähnten Elsa Hielscher in Schlesien, die später deutschnationale Abgeordnete wurde. Sie war bis 1918 im Schlesischen Frauenverband und im Schlesischen Verein für Frauenstimmrecht aktiv. Ein zweiter Schwerpunkt wird auf der nationalliberalen Partei zwischen 1908 und 1918 und auf Charlotte Garnich liegen, die dort bereits vor 1918 aktiv und später Abgeordnete der DVP im Preußischen Landtag war.

Kurze methodische Überlegungen

Neben der geschlechtervergleichenden Perspektive nähere ich mich meinem Thema unter Zuhilfenahme der Kategorie Raum, die besonders geeignet ist, Grenzen von Handlungsräumen und deren Erweiterungen und Einschränkungen aufzuzeigen. Raum wird hier sowohl als realer – »absoluter« – Raum (»Containerraum«) und als sozialer Raum gedacht. Mit dem realen Raum werden Handlungsmöglichkeiten und -grenzen z.B. in einer bestimmten Region oder Stadt aufgezeigt. Durch die Handlungen der Akteurinnen und Akteure wird er zum sozialen Raum, und es werden soziale, dynamische – Veränderungen bewirkende –, handlungsrelevante und diskursive Prozesse untersucht. Somit ist die Raumkategorie stark akteursorientiert und auf Prozesse ausgerichtet.8

Berücksichtigt werden außerdem die Erkenntnisse der neuen Politikgeschichte, wie sie unter anderem von Ute Frevert und Heinz-Gerhard Haupt vertreten werden.9 Die Engführung des Politikbegriffs in der klassischen Politikforschung auf Parteien, staatliche Institutionen und Parlamente verschloss lange Zeit den Blick auf davon abweichende Arten des politischen Handelns. Wird der Blick mit einem breiteren Verständnis von Politik auf andere politische Räume gerichtet, erschließen sich bisher wenig beachtete Handlungsräume von Einzelnen und Gruppen.10 Nach Heinz-Gerhard Haupt hat die Aufnahme der Raummetapher in die neue Politikgeschichte den Vorteil, »dass sie nicht von einem vorgegebenen Begriff des Politischen ausgeht, sondern jeweils spezifisch bestimmt, welche Akteure, Institutionen und Semantiken zu einer bestimmten Zeit legitimerweise dem Politischen zugeordnet werden bzw. welche Akteure andere Zuordnungskriterien entwickeln.«11

Reformerinnen in Schlesien

Elisabeth (Elsa) Hielscher wurde 1871 in Panten bei Liegnitz in Schlesien als Tochter eines Domänenpächters und seiner Frau geboren. Die spätere deutschnationale Abgeordnete engagierte sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Schlesischen Frauenverband und seit seiner Gründung 1908 im Schlesischen Frauenstimmrechtsverband. Der Schwerpunkt ihres Handelns lag auf dem kommunalen und regionalen Raum Schlesien, sie besuchte aber auch internationale und nationale Frauenkongresse und berichtete in Vorträgen und Artikeln darüber.

Hielscher schrieb zahlreiche Artikel für die Zeitschrift des Schlesischen Frauenverbandes, die in der Redaktion und in der Druckerei ausschließlich von Frauen hergestellt wurde.12 Diese Zeitschrift war mit dem Ziel angetreten, einen Diskursraum für Frauen in Schlesien zu schaffen, wie die Herausgeberin und Vorsitzende des Schlesischen Frauenverbandes Marie Wegner schrieb, den es bis dahin ihrer Einschätzung nach nicht gegeben hatte.13 Neben den schriftlichen Beiträgen in Zeitschriften hielt Elsa Hielscher häufig Vorträge, über die ebenfalls in der Zeitschrift berichtet wurde.

Das Ziel des Schlesischen Frauenverbandes war eine Stärkung der Frauen in »wirtschaftlicher, rechtlicher und geistiger Hinsicht«, der Verein für Frauenstimmrecht wollte die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frauen erreichen.14 Der Schlesische Frauenstimmrechtsverein und der Frauenverband agierten gemeinsam – Marie Wegner und Elsa Hielscher waren in beiden Organisationen sehr aktiv –, und sie verfolgten dabei ausgesprochen kreative und vielfältige Strategien. Marie Wegner wies einmal darauf hin, dass Aktionen des Frauenverbandes leichter durchzusetzen seien als die des Stimmrechtsvereines, da auf Letzteren eher ablehnend reagiert würde.15

Zu den wichtigsten Aktionen gehörte es, auf bereits existierende Rechte hinzuweisen und die Frauen zu mobilisieren, diese auszuüben. So forderten die schlesischen Frauenrechtlerinnen unverheiratete oder verwitwete Grundbesitzerinnen auf dem Land auf, ihr überkommenes Gemeindewahlrecht auszuüben. Tatsächlich gab es, wie Birgitta Bader-Zaar in ihrem Beitrag für diesen Band verdeutlicht, ein solches Wahlrecht in verschiedenen Regionen Europas; auch Schlesien gehörte dazu. Typischerweise musste das Recht durch Wahlmänner ausgeübt werden.16 Die Agitatorinnen besuchten nun aufgrund des ihnen vorliegenden Wählerinnenverzeichnis jede einzelne der Grundbesitzerinnen und klärten über dieses wenig bekannte Recht auf. Zugleich gelang es ihnen, Männer davon zu überzeugen, als Vertreter für die Frauen die Wahl vorzunehmen. Der Erfolg war beachtlich: Bis zu 100 Prozent der Frauen nahmen ihr Wahlrecht wahr.17 So wurde durch die Agitation des Verbandes der bestehende Rechtsraum in Schlesien zu einem Handlungs- und Funktionsraum von Frauen.

Den Akteurinnen gelang es außerdem, dass Frauen in den Gemeinden Schlesiens als Vormünder eingesetzt wurden und an Sitzungen des Jugendgerichts teilnehmen durften. Sie manifestierten dieses Recht durch einen eigenen Tisch auf der Seite des Verteidigers und besetzten den Gerichtsraum tatsächlich durch ihre Anwesenheit. Dies war ein bedeutsamer Schritt für die aktive Teilhabe von Frauen bei Gericht. In vielen Städten Schlesiens, in denen der Frauenverband aktiv war, gab es infolge der Agitation des Verbandes in der kommunalen Verwaltung stimmberechtige Waisen-, Armen- oder Schulpflegerinnen. Eine weitere Forderung ging dahin, eine Quotierung von Frauen in den ehrenamtlichen kommunalen Ämtern durchzusetzen, wie es sie beispielsweise in Baden gab.18

Für Elsa Hielscher war die Weiterbildung von Mädchen im ländlichen Raum ein wichtiges Anliegen, und sie unternahm gezielte Schritte, um sie zu fördern und ihnen eigene Bildungsräume zu erschließen. Sie führte regelmäßig Kurse durch, gründete eine Schule, schrieb Artikel u. a. in der Zeitschrift Die Gutsfrau darüber und warb in Vorträgen andere für dieses Aktionsfeld.

Zur Unterstützung der Berufstätigkeit von Frauen wurden auch Kinderhorte eingerichtet. Außerdem wurden in schlesischen Städten Rechtsberatungen für Frauen angeboten. Zahlen in Jahresberichten des Verbandes belegen, dass die Beratung von vielen wahrgenommen wurde – allein in Breslau beriet man jährlich etwa 2000 Frauen unentgeltlich, und die Rechtsschutzstelle hielt dreimal wöchentlich eine Sprechstunde ab. Dies bedeutete, dass sich die beratenden Frauen in den Rechtsschutzstellen als Expertinnen fortbilden mussten und dass sie Rat suchenden Frauen einen Raum boten, in dem sie mit ihren Anliegen ernst genommen und unterstützt wurden. Dies stärkte die Frauen in ihren Rechten, aber auch als Persönlichkeiten. In Einrichtungen des Schlesischen Frauenverbandes fanden sich zudem Leseräume für Frauen. Hier gab es eine Bibliothek und die Möglichkeit, sich dort aufzuhalten: Abbildungen zeigen, dass die Räume mit Tischen und Stühlen ausgestattet waren. Dieser Bildungs- und Kommunikationsraum für Frauen war eine wichtige Erweiterung des weiblichen Handlungsfeldes – und wurde in vielen deutschen Städten eingerichtet.19 Für Männer standen solche Treffpunkte in Form von Klubs, aber auch als Gaststätten oder Kneipen wie selbstverständlich von jeher zur Verfügung.

Die Akteurinnen des Verbandes riefen außerdem dazu auf, an Stadtverordnetenversammlungen und öffentlichen Parteiversammlungen teilzunehmen und dort gezielt Fragen zu stellen oder Abgeordneten schriftliche Anfragen zu stellen. Es gab einen Propagandaausschuss, der politische Schulungsmappen zusammenstellte. Diese wurden von einer »Wanderkommission« in den Haushalten verteilt und vor Ort erörtert. So klärten die Aktivistinnen über Frauenrechte und politische Fragen auf und weckten Interesse für diese Aufgaben. Sie besuchten die Frauen in ihrem häuslichen Raum und machten diesen so zum politischen Raum. Darüber hinaus hielten Elsa Hielscher und andere Frauen Vorträge in ganz Schlesien, und der Verband entfaltete eine rege publizistische Tätigkeit.

Die Akteurinnen des Verbandes wollten den Diskursraum für das Frauenwahlrecht deutlich erweitern und durch Flugblattaktionen im öffentlichen Raum in »Städten, auf Strassen und Plätzen, vor den Versammlungslokalen der politischen Parteien und in [den] […] Häusern […] die Bearbeitung der öffentlichen Meinung« erreichen.20

Argumente für das Frauenwahlrecht

Die Akteurinnen des Schlesischen Frauenverbandes und Frauenstimmrechtsverbandes argumentierten gegen eine angebliche Minderwertigkeit von Frauen, die für sie in dem Ausschluss vom Wahlrecht zum Ausdruck kam. Sowohl Elsa Hielscher als auch der Sohn Marie Wegners, Armin T. Wegner, veröffentlichten jeweils eine Erzählung, die den Lesenden die erlittene Demütigung veranschaulichen sollte. Beide Geschichten schilderten defizitäre Männerfiguren: mit mangelhafter Bildung, mittellos, mit körperlichen Gebrechen, dem Alkoholismus verfallen oder nichtdeutscher Herkunft, die ebenfalls als Mangel galt. Gleichwohl, so die Moral, besäßen diese Gestalten das Wahlrecht. Ihnen wurden Frauen gegenübergestellt, nämlich die Mutter Hielschers und Marie Wegner, die auf der gesellschaftlichen oder sozialen Ebene und mit ihren Fähigkeiten weit über diesen Männern stünden. Das (Reichstags-)Wahlrecht aber, das in der Erteilung des Rechts den Ein- bzw. Ausschluss einzig über das Geschlecht vornahm, ordnete die Frauen damit allen Männern unter – unabhängig von ihren Fähigkeiten oder ihrer gesellschaftlichen Stellung.21

Elsa Hielscher führte auch die Menschenrechte ins Feld und sprach dies in mehreren Gedichten an: »Frei will ich sein! sprecht nicht stets vom Geschlechte/Und hört erst münd’ge Frauen ernsthaft an./Es handelt sich ja nur um Menschenrechte,/Die wäg ich gleich für Weib und Mann.«22 Auch wenn bereits Louise Otto und Hedwig Dohm so argumentiert hatten, war dies vielen Zeitgenossen, wie Angelika Schaser und Gabriele Boukrif festgestellt haben, fremd.23 So lehnte einer der späteren liberalen Abgeordneten des Preußischen Landtags, Ludwig Heilbrunn, wie die meisten liberalen Zeitgenossen das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht ebenfalls ab.24

An politisch engagierte Frauen wurden andere Aufgaben herangetragen als an Männer. Preußische Landtagsabgeordnete im Kaiserreich bemühten sich beispielsweise darum, Vorteile für ihre jeweilige Provinz zu erreichen. Diesen Ansprüchen konnten Frauen mit ihrem damaligen gesellschaftlichen und finanziellen Status nicht folgen. Sie argumentierten in eine vollkommen andere Richtung. Marie Wegner sammelte z.B. Unterschriften für das Frauenwahlrecht in der Gemeinde mit der Begründung, dass die Fragen der Säuglingssterblichkeit, des Kinderschutzes, der Wöchnerinnenfürsorge und des Wohnungswesens den Frauen viel näher lägen und daher auf diesen Gebieten Verbesserungen durch das Frauenwahlrecht erzielt würden.25 Sie hielt Frauen in der Sozialarbeit, z.B. in der Armenfürsorge oder als Vormünder, auch deshalb für wichtig, um diese Frauen durch die allmähliche Einbindung an das Frauenwahlrecht heranzuführen, sie könnten dort stündlich die Notwendigkeit des Frauenwahlrechts erkennen.26 Die im Verband tätigen Frauen verwiesen zudem auf ihre Erfahrung in der sozialen Arbeit: Die Übernahme von mehr sozialen Aufgaben bringe mehr Pflichten mit sich, daher sollten auch ihre Rechte erweitert werden. Außerdem sei aufgrund der sozialen Arbeit das Bedürfnis entstanden, nicht mehr nur den Mangel zu lindern, sondern an Gesetzen mitzuwirken und Veränderungen in der Gesellschaft mitzugestalten – auch durch die Mitbestimmung darüber, wer in das Parlament einziehe.27 Auf den amerikanischen Kontext bezogen nennt Paula Baker dies eine »domestication of politics«: Frauen definierten weibliche Räume und Tätigkeitsfelder als politisch, verwiesen auf ihre besondere Expertise und forderten die entsprechenden politischen Rechte ein.28 Wie häufig bei der Argumentation für Frauenrechte in der bürgerlichen Frauenbewegung war der »weibliche Einfluss« ein bedeutsames Argument: »Die Teilnehmerinnen der Frauenkonferenz sind überzeugt, daß alle diese Forderungen zum Wohle des Volkes umso sicherer und zweckentsprechender erfüllt und durchgeführt werden können, je eher die Frauen als vollberechtigte Bürgerinnen in Gemeinde, Staat und Reich […] ihren weiblich-mütterlichen direkten Einfluß auf Gesetzgebung und Verwaltung ausüben dürfen.«29 Diese Argumentation reiht sich ein in das Konzept der »organisierten Mütterlichkeit«, das in der bürgerlichen Frauenbewegung eine zentrale Rolle spielte. Diesem Konzept zufolge sollte die bisher in der Familie ausgeübte Mütterlichkeit nun auch in die Gesellschaft eingebracht werden und diese dadurch gebessert werden.30

Nach dem für die bürgerliche Frauenbewegung enttäuschenden Ostererlass des Kaisers 1917 setzte der Schlesische Frauenstimmrechtsverband auf die Strategie, zunächst die Einführung des aktiven und passiven kommunalen Frauenwahlrechts auf Grundlage des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts zu fordern.31

So schufen die Aktivistinnen eigene Handlungs- und Diskursräume und sie betraten bisher rein männlich besetzte Räume. Die späteren Parlamentarierinnen Martha Dönhoff (DDP) in Witten, Margarete Poehlmann (DVP) in Tilsit oder Mathilde Drees (DDP) in Hannover gingen in ihrer jeweiligen Region sehr ähnlich vor, auch wenn sie weniger stark für das Frauenwahlrecht warben. Sie hofften ganz ähnlich wie Gertrud Bäumer auf die allmähliche Durchsetzung von Frauenrechten und damit auch des Frauenwahlrechts durch ihre Tätigkeit in Gemeinden und der Region.32

Frauenräume in der Nationalliberalen Partei zwischen 1908 und 1918?

Wie sah es mit einer parteipolitischen Betätigung der späteren Parlamentarierinnen aus, nachdem sie seit 1908 in Preußen rechtlich Parteimitglieder werden konnten? In Breslau wurde die Erweiterung des politischen Raums als performativer Akt gefeiert. Der Verein »Jung-Freisinn« hatte die »Gruppe für Frauenstimmrecht« zu einem Vortrag eingeladen:

»Drollig nahm sich die schwarzweiße Schnur aus, die noch dieses eine Mal den Tisch der Frauen von den Tischen der Männer trennte. […] Feierlich wurde darauf der Strick zusammengerollt und als ein Symbol vergangener Tage, als ein Zeichen der Fesseln, die gefallen sind, der Vorsitzenden des Vereins Frauenwohl […] überreicht, zugleich als ein symbolischer Ausdruck dafür, daß im Verein Jungfreisinn von Stund’ an die Frau gleichberechtigt neben dem Manne steht. So darf man von dieser ersten Begegnung in der Arena der Politik die Hoffnung hegen, daß sie den Boden bereitet hat für ein gedeihliches Zusammenwirken der beiden Geschlechter.«33

Die Hoffnung, die in dem Zitat anklang, nämlich gute Aufnahme in den liberalen oder konservativen Parteien zu finden, zerschlug sich allerdings bald. Für die späteren Landtagsparlamentarierinnen blieben die Parteien vor 1918 im Wesentlichen Leerräume. Allerdings lag das teilweise an der Strategie der Frauen selbst. Zum Beispiel entschied sich die spätere deutschdemokratische Abgeordnete Martha Dönhoff, Vorsitzende des Rheinisch-Westfälischen Frauenverbandes, gegen eine parteipolitische Tätigkeit. Sie wollte die Frauenbewegung – wie sie sagte – als unpolitisch bewahren, das hieß für sie über Partei- und Klassengrenzen stehend.34 Dieser Gegensatz zwischen (Partei-)politik und (Frauen-)bewegung wurde in Aussagen von Frauen in der Frauenbewegung häufig gebildet, wobei (Partei-)politik eher negativ besetzt war und Letztere positiv.35

Im Gegensatz dazu äußerte sich Elsa Hielscher im Jahr 1914, demselben Jahr, in dem sie Mitglied der Freikonservativen Partei wurde, vorsichtig befürwortend in einer Rede: »Ist der Eintritt in die politischen Männerparteien unseren Mitgliedern zu empfehlen?«36 Schon mit dem Begriff »politische Männerparteien« wird deutlich, dass Frauen dort weiterhin ungewöhnlich waren.

Am Beispiel der Nationalliberalen Partei wird ein Blick in die vermeintlichen Leerräume geworfen und aufgezeigt, inwiefern Frauen, Frauenrechte oder das Frauenwahlrecht zwischen 1908 und 1918 in der Partei von Bedeutung waren.

Die männlich geprägte Parteipublizistik der Nationalliberalen Partei griff Frauenrechtsfragen kaum auf. Die rechtliche Möglichkeit für Frauen, ab 1908 Parteimitglieder zu werden, spielte hier so gut wie keine Rolle. Beim ersten Parteitag, der 1909 nach der Verabschiedung des Reichsvereinsgesetzes stattfand, wurden Frauen ausschließlich »beim Mittagsmahl« erwähnt. Prinz Schönaich-Carolath wünschte sich die »Teilnahme der Frau an den Leiden und Freuden des Mannes und an der Arbeit des Mannes«.37 In den Protokollen der Parteitage sind Frauen marginalisiert – ohne offizielle Parteimitgliedschaft wurden sie weder auf Listen geführt, noch hatten sie ein Rederecht oder Recht auf Teilnahme an Gremien, die während der Parteitage zusammenkamen und in denen u. a. die Parteiprogrammatik erarbeitet wurde.38 Auch beim Parteitag 1912 wurden die anwesenden Parteimitglieder trotz der Teilnahme von Frauen fast ausschließlich als »Meine Herren« angesprochen – Frauenthemen und das Frauenwahlrecht blieben ausgespart. Die Teilnahme von Frauen an diesem Parteitag und die Thematisierung von Frauenthemen in der Partei sind ausschließlich über von Frauen geschriebene Berichte nachvollziehbar, die außerhalb der Parteipublizistik veröffentlicht wurden.

Organisatorisch entwickelte sich eine eigene Frauengruppe, die aber nicht fest in der Partei institutionalisiert war. Frauen konnten in diesen Frauengruppen Mitglied werden oder teilweise über den Ortsverein Parteimitglied. In Südwestdeutschland gab es einen sehr viel höheren Anteil an Ortsvereinen mit Frauen als in Norddeutschland, wo die Mitgliedschaft von Frauen eher abgelehnt wurde.39

1912 fand der erste Frauenparteitag der Nationalliberalen Partei statt. Im Laufe der Jahre 1917 und 1918 veränderte sich die Teilhabe der Frauen in der Partei: Sie hatten sich organisatorisch mehr etabliert, was sich auch in eigenen Publikationen – der Zeitschriftenbeilage Die Frau in der Politik –, einem eigenen Büro und der Berücksichtigung von Frauen im Zentralvorstand manifestierte. Die Teilung in verschiedene Räume wurde fortgesetzt. Der allgemeine Partei- und Themenbereich war implizit männlich besetzt, Frauen agierten weitestgehend – explizit – in Frauenräumen.

Wie war aber die Haltung der Parteimitglieder zum Frauenwahlrecht? Der Titel der nationalliberalen Zeitschrift Die Frau in der Politik könnte als ein klarer Anspruch gedeutet werden. Die offizielle Haltung war aber keineswegs eindeutig. Einige Frauen erwogen z.B. eine Politik der kleinen Schritte und schlugen zunächst die Einführung des kommunalen und kirchlichen Frauenwahlrechts vor, die Einrichtung von Frauenkammern mit Delegierten aus Frauenvereinen oder die Entsendung von Frauen in Reichstagsausschüsse.40 Die Berliner Frauengruppe der Nationalliberalen Partei stellte Ende 1917 die Frage: »Wie stehen wir zum Frauenstimmrecht?« Seit 1914 sei man für das kirchliche und kommunale Wahlrecht eingetreten. Seit Juli 1917 gebe es den Vorstandsbeschluss, das passive Frauenwahlrecht zu befürworten, die Haltung zum aktiven Frauenwahlrecht bleibe aber den einzelnen Mitgliedern überlassen.41 Ohne die Zustimmung des nationalliberalen Parteivorstands könne von den nationalliberalen Frauen eine bindende Stellung zur Frauenstimmrechtsfrage nicht eingenommen werden. Der Parteivorstand reagierte ausweichend: er erkenne die Frauen zwar als politisch vollberechtigt an. Aber der Zeitpunkt sei der »allerungünstigste, da bei Einführung des Frauenwahlrechts Zentrum und Sozialdemokratie einen noch überwiegenderen Einfluß erhalten würden […]. Die Rücksicht auf die an sich berechtigten Frauenforderungen müsse daher hinter den staatspolitischen Erwägungen vorläufig noch zurückstehen.« Es ist klar ersichtlich, dass die Gleichberechtigung der Frauen nicht zu den staatspolitischen Zielen der Nationalliberalen Partei gehörte. Der Beschluss der nationalliberalen Frauen berücksichtigte schließlich diese Haltung: »Die nationalliberale Frauengruppe tritt grundsätzlich für die volle politische Gleichberechtigung von Mann und Frau ein, hält es aber nicht für angebracht, die Schwierigkeiten der geplanten Neuordnung des Wahlrechtes während der Kriegszeit zu vermehren.«42

Im Februar 1918 äußerte der Propagandaausschuss der nationalliberalen Frauen zwar ein klares Bekenntnis zur vollen politischen Gleichberechtigung von Mann und Frau und zum kommunalen Frauenwahlrecht, die Haltung zum – sogenannten – politischen Frauenwahlrecht überließ er aber weiterhin den einzelnen weiblichen Parteimitgliedern. Im Oktober 1918 unterschrieben schließlich auch nationalliberale Frauen einen gemeinsamen Aufruf vieler Frauenvereine zur Einführung des Frauenwahlrechts.

Die männlichen Parteimitglieder ignorierten weiterhin »Frauen«-fragen und das Frauenwahlrecht. Einzelne – von Frauen eingeforderte – Stellungnahmen zeigen große Unterschiede bei den Parteimitgliedern: von vehementen Verfechtern des Bundes gegen die Frauenemanzipation bis zu einigen wenigen Befürwortern des Frauenwahlrechts im letzten Kriegsjahr – insbesondere in Anerkennung der Verdienste der Frauen im Krieg. Konstant belegen die wenigen Beiträge von Männern, dass dem Frauenwahlrecht keinerlei Dringlichkeit beigemessen wurde. Im Oktober und November 1918 zeugen Aussagen von männlichen Parteimitgliedern zur Einführung des Frauenwahlrechts nach jahrelangem Verzögern und Ignorieren eher von einem taktischen Einschwenken denn von Überzeugung.43

Das erwähnte nationalliberale Parteimitglied Charlotte Garnich war seit seiner Gründung im Deutschen Frauenbunds 1909 aktiv. Dort spiegelt sich die Ambivalenz, die Frauen in der Nationalliberalen Partei bzw. in der Politik entgegengebracht wurde und die viele ihr entgegenbrachten. So war der Deutsche Frauenbund mit dem Ziel angetreten, »Frauen an die Politik heran, nicht in sie hinein« zu führen.44 Eine Auseinandersetzung mit politischen Fragen hielt er also durchaus für erwünscht und notwendig und zeigte dies z.B. durch staatsbürgerliche Schulungen, die u. a. Charlotte Garnich – eine studierte Volkswirtin – durchführte. Eine aktive Beteiligung an der Politik lehnte der Frauenbund jedoch – noch – ab.

Was wurde aber in welchem Zusammenhang als politisch bezeichnet? Häufig wurde ein Gegensatz zwischen kommunaler Arbeit und »Politik« gebildet, um den Anschein einer unangefochtenen rein männlichen Politiksphäre aufrecht zu erhalten. So forderten etliche Frauen das »kommunale Frauenstimmrecht«, lehnten jedoch das »politische Frauenwahlrecht« für das Parlament ab45 oder befürworteten wie der Alldeutsche Verband die Arbeit von Frauen im sozialen Bereich, aber nicht die politische Teilhabe von Frauen.46 Und der Deutsche Frauenbund setzte sich für die typische Forderung von Frauenrechtlerinnen ein, weibliche Schöffen beim Jugendgericht zuzulassen, da es sich hier nicht um »Politik« oder Frauenbewegung handele, sondern lediglich um Jugendfürsorge.47 Auch wenn manche Frauen wie Marie Wegner diese Entgegensetzung ablehnten,48 wurde so Legitimität hergestellt, sich mit diesen Themen zu befassen, weil die Frauen damit die offiziellen Machtstrukturen scheinbar nicht infrage stellten.

Bei der Mitarbeit von Frauen in den Parteien vor 1918 gab es also wie beim kommunalen und regionalen Engagement von Frauen einen deutlichen Unterschied zwischen der durch Frauen ausgeübten sozialen Praxis und dem männlich dominierten Diskurs. Erst die zu erwartende und dann tatsächliche Einführung des Frauenwahlrechts änderte die Haltung der männlichen Parteimitglieder zum Frauenwahlrecht. Die Aufstellung der Kandidatinnen 1918/19 erfolgte dann – außerhalb der Sozialdemokratie – weitgehend aus den Frauenverbänden heraus, an die sich die politischen Parteien gewandt hatten.

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