Kitabı oku: «Gottes Sehnsucht in der Stadt», sayfa 4

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2.2 Hope for the Church

Bob Jackson41 legte diese Studie im Jahr 2002 vor.42 Sie ist in gewisser Weise die Summe des von mir porträtierten Ansatzes: Nüchtern wird der Niedergang der Anglikanischen Kirche in der Breite in Augenschein genommen: der Verlust der Kinder und Jugendlichen, der Mitgliederschwund, die finanziellen Probleme, die geringere Zahl von Pfarrern, der schwindende Gottesdienstbesuch und vieles mehr.43 Ähnlich wie im EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“44 wird prognostiziert, wie katastrophal der Niedergang bis 2030 werden kann, wenn nichts die gegenwärtigen Trends beeinflusst.45 Zugleich aber verweigert sich Jackson einer fatalistischen Haltung, die den Niedergang als etwas Naturgegebenes und Unvermeidliches ansieht. Vertrauen auf Gott und der Mut zu einer „anti-decline strategy“ werden dagegen in Anschlag gebracht. Freilich: Nach 100 Jahren Niedergang sei es gewiss nicht zu früh für eine solche Strategie, vermerkt der Autor bissig.46 Das Auffällige ist nun aber, dass Jackson sehr genau die Zeichen von Aufschwung und Wachstum ins Auge fasst. Er beschreibt die Tatsache, dass 20% der Gemeinden in den letzten 10 Jahren nicht geschrumpft, sondern gewachsen sind. Und er will wissen, warum das so ist, um Nutzen für die gesamte Kirche daraus zu ziehen. „The general finding is that decline is not uniform. It is patchy. The English Church Census data for 1989 and 1998 suggest that one in five Anglican churches grew their attendance by more than 10 per cent between those dates. One in twelve grew their attendance by over 60 per cent. The Church of England’s own attendance statistics, furthermore, show huge variations in trends between different dioceses.“47

Für unseren deutschen Kontext ist es weit weniger interessant, die einzelnen Gründe für Wachstum zur Kenntnis zu nehmen, als den Ansatz als solchen in Betracht zu ziehen: Jackson konzentriert sich auf einzelne Gemeinden (im Sinne von „best-practice“-Modellen). Er wagt die Provokation (die wir Deutsche eher scheuen), davon zu sprechen, dass einige Gemeinden offenbar besser als andere klarkommen. Das bedeutet: Wesentliche Ursachen von Niedergang oder Wachstum liegen nicht in externen, gleichsam geschichtsmächtigen Faktoren, die über die Gemeinden hereinbrechen, sondern sind hausgemacht. Sie sind auch nicht nur durch andere Faktoren bedingt, die schwer beeinflussbar sind wie etwa durch traditionelle Kirchlichkeit oder Unkirchlichkeit in bestimmten Regionen oder durch erweckliche Traditionen. Vielmehr lautet die Provokation: Es gibt bessere und darum auch schlechtere gemeindliche, pastorale Strategien: „If decline were inevitable due to a changing world then it would be fairly uniform as the whole world changes together. But it is not. Some categories of church, and churches in some denominations, areas and dioceses, are doing better than others. This means that parts of the Church are performing differently in today’s environment than are other parts. This in turn means that some churches are finding answers to the question of how to grow. Perhaps those answers can be discovered and disseminated to help the rest of the Church grow as well.“48

Hier wird Jackson durchaus prinzipiell: Er vergleicht die Situation mit einem Loch im Eimer. Man wird nicht den ganzen Eimer reparieren, sondern das Loch suchen und es schließen. Oder: Eine Warenhauskette verliert immer mehr Kunden. Was wird sie tun? Sie wird erforschen, welche Manager, Läden, Warenangebote, Verkaufs- und Werbestrategien, Servicekultur usw. mit diesem Verlust assoziiert sind und welche nicht. Und sie wird ihre Schlussfolgerungen daraus ziehen. Nur so kann auch die Kette als ganze überleben. In der Kirche aber, so vermerkt er selbstkritisch, gehen wir mit dem „Loch im Eimer“ anders um. Manche sagen: „Da ist gar kein Loch!“ Andere meinen: „Naja, es tropft ein bisschen, aber der Eimer sieht immer noch gut aus.“ Einige sagen: „Es tropft zwar, aber auf lange Sicht ist noch genug Wasser im Eimer – bis ich in Ruhestand gehe.“ Wiederum andere meinen: „Man kann einfach überhaupt nichts dagegen tun, wenn postmoderne Eimer Wasser verlieren.“ Jackson sagt: Wir müssen die großen Löcher (bestimmte Diözesen, eher die großen als die kleinen Gemeinden, Verlust der Kinder und Jugendlichen) endlich identifizieren und stopfen. Dann kann die Kirche auch wieder wachsen.49

Sagen wir es in ökonomischer Terminologie, dann geht es um den in der deutschen Kirche bisher kaum vorhandenen Mut zu einem Gemeinde-Benchmarking. Die Benennung von „best-practice“-Beispielen50 einerseits, die Erforschung von Gemeinsamkeiten wachsender Gemeinden andererseits sind dringende Desiderate deutscher Kirchen- und Religionssoziologie. Freilich bedeutet dies: Wir müssten uns verständigen, was wir unter einer gesunden bzw. wachsenden Gemeinde verstehen, und wir bräuchten den Mut zur Unruhe, die gerade in berufstheologischen Kreisen droht, wenn kirchliche Arbeit als „besser“ oder als „schlechter“ qualifiziert wird. Gerade unter Pfarrerinnen und Pfarrern gilt das Tabu, dass über unterschiedliche Qualität nicht geredet werden darf. Die Kritik am „Werk“ würde sofort als eine Bewertung der „Person“ interpretiert. Freilich darf nicht außer Acht bleiben, unter welch unterschiedlichen und oft schwierigen Bedingungen in unserer Kirche gearbeitet werden muss. Aufs Ganze gesehen ist dennoch das EKD-Impulspapier „Kirche der Freiheit“ auf der richtigen Spur, wenn es die Unberührbarkeit pfarramtlichen Handelns auf die Tagesordnung setzt und Qualitätskriterien für pastorales und gemeindliches Handeln fordert.51

2.3 Healthy Churches’ Handbook

Eine ähnliche Spur verfolgte auch Robert Warren,52 der bereits 1995 eine einflussreiche Broschüre zur Gemeindeerneuerung veröffentlicht hatte,53 in seinem „Healthy Churches’ Handbook“.54 Schon der Titel verrät die Richtung: Gesunde Gemeinden stehen im Zentrum des Interesses, nicht unbedingt wachsende Gemeinden. Gemeinden sollten danach streben, gesunde Gemeinden zu werden; oftmals stellt sich Wachstum dann von selbst ein.55 Solche Gesundheit aber entsteht nicht über Nacht: „Making a long-term commitment to develop the quality and vitality of a church is the key to health.“56

Welche Gemeinden aber sind gesund? Auch Warren geht von einer empirischen Studie aus, die Janet Hodgson in der Diözese Durham zwischen 1990 und 1995 durchführte und die sich auf die Gottesdienstbesucherzahlen bezog.57 Insgesamt zeigte sich in diesen fünf Jahren ein Abfallen der Zahlen um 16% in der Diözese – und das in der Dekade der Evangelisation. Aber: Von den 260 Gemeinden in der Diözese waren im selben Zeitraum 25 Gemeinden um über 16% gewachsen. Die Ursachenforschung für dieses „Wachsen gegen den Trend“ war schwieriger als erwartet. Die 25 Gemeinden hätten kaum unterschiedlicher sein können: Es gab große und kleine Gemeinden, unterschiedlichste Pfarrerpersönlichkeiten, soziale Milieus und Frömmigkeits-typen. Die Gemeinden lagen im ländlichen und städtischen Umfeld. Eine erste interessante Einsicht war also: „No context, no size of church, no church tradition, no leadership style seemed closed to the possibility of significant growth.“58

Eine eintägige Konferenz mit 100 Mitarbeitern aus diesen 25 Gemeinden sollte Aufschluss darüber geben, was diese Gemeinden gemeinsam haben. Auffällig war sofort, dass diese Gemeinden sich vor allem bemühten, „to be the church better“, während Zahlen an sich nicht im Mittelpunkt standen.59 Am Ende des Prozesses wurden sieben Merkmale gesunder Gemeinden identifiziert. Dabei geht es nicht (wie etwa in der „Natürlichen Gemeindeentwicklung“ von Christian Schwarz60) um bestimmte Aktivitäten, sondern eher um spirituell-kulturelle Merkmale, die sich dann in sehr unterschiedlichen Aktivitäten ausdrücken können. Wiederum geht es aber um Merkmale, die dazu anleiten können, diagnostisch gesunde Gemeinden von ungesunden zu unterscheiden bzw. den Gesundheitszustand der eigenen Gemeinde zu erkunden (durch das „Church Profile Exercise“61) und „therapeutisch“ an Gesundheit interessierten Gemeinden den Weg zur Heilung zu weisen.62

Die sieben Merkmale gesunder Gemeinden,63 hinter denen letztlich „the way of Christ“64 erkannt wird, sind in der Tat nicht auf bestimmte vorbildliche Modelle, Methoden und Arbeitsformen konzentriert:

1. Gesunde Gemeinden sind vom Glauben begeistert. Im Mittelpunkt ihres Gemeindelebens steht das Bewusstsein vonder Gegenwart, Güte und Liebe Gottes. Gottesdienst und Bibellesen haben besonderes Gewicht. Das Wachstum der Einzelnen im Glauben wird gezielt gefördert. Die Energie der Gemeinde fließt aus dieser Glaubenshaltung.65

2. Gesunde Gemeinden sind eher nach außen als nach innen gerichtet. Sie sind sehr wach, wenn es um ihr soziales Umfeld geht. Sie sind leidenschaftlich mit anderen zusammen engagiert, wenn es um Gerechtigkeit und Frieden geht, und zwar lokal wie global. Und sie engagieren sich in konkreten Projekten für ihr Umfeld.66

3. Gesunde Gemeinden sind auf der Suche nach dem, was Gott von ihnen will. Wachsam betend und fragend geht es mehr um das, was Gott heute will als um das, was immer schon so geschah. Wozu ruft uns Gott? Was ist darum unsere Vision, und welche Prioritäten setzen wir aus diesem Grund?67

4. Gesunde Gemeinden sehen nüchtern auf die Kosten von Wandel und Wachstum. Sie nehmen das Risiko auf sich, neue Wege auszuprobieren. Krisen werden als Herausforderungen angenommen.68

5. Gesunde Gemeinden handeln gemeinschaftlich. Die Gemeinden leben von starken, großzügigen und ehrlichen Beziehungen. Sie verstehen sich als Familien. Die Gaben der einzelnen Christen werden geachtet und gefördert.69

6. Gesunde Gemeinden schaffen Raum für möglichst alle, die hinzukommen möchten. Sie sagen nicht nur, dass sie für alle Menschen offen sind, sondern richten ihr Gemeindeleben danach aus, dass auch Fremde, suchende Menschen und insbesondere Kinder und Jugendliche heimisch werden und sich einbringen können.70

7. Gesunde Gemeinden konzentrieren sich auf wenige Schwerpunkte; aber was sie machen, machen sie so gut wie möglich. Sie haben Spaß an dem, was sie tun – weil es ja ihrer Vision von einer gesunden Gemeinde entspricht.71

Ein Zwischenergebnis: Unter dem Strich überraschen diese Anglikanischen Studien mit ihren spezifischen Perspektiven „Was vitalisiert Gemeinden?“ und „Wie finden Erwachsene zum Glauben?“. Empirische Fragen werden konsequent mit der missionarischen Herausforderung der Kirche verknüpft. Wie das aussehen kann, soll nun an einem konkreten Beispiel aus der Diözese Southwark gezeigt werden.

3. Eine neue Wahrnehmung des missionarischen Auftrags: Evangelisation der Zukunft als eine längere, begleitete geistliche Reise

William Abraham definiert Evangelisation als „that set of intentional activities which is governed by the goal of initiating people into the kingdom of God.“72 Wenn wir Paul Heelas und Linda Woodhead ernst nehmen, dann kann Evangelisation nicht an der Tatsache vorübergehen, dass die potenziellen Adressaten unserer Bemühungen, Menschen in das Reich Gottes einzuführen, mindestens partiell postmodern sozialisierte und postmodern lebende Menschen sind. Eine – auch hinsichtlich ihrer Auffassung und Praxis von Evangelisation – immer noch „modern“ denkende und agierende Kirche wird es schwer haben, postmoderne Menschen zu erreichen.73 Will Storrar hat moniert, dass die Kirche „intellectually and institutionally a declining modern organization in an increasingly post-modern society“ sei.74

Die Herausforderung besteht darin, auch dem postmodernen Menschen ein postmoderner Mensch zu werden, um etliche zu gewinnen (1 Kor 9, 16–21). Das aber schließt ein, das Evangelium in einem postmodernen Kontext neu zu hören und zum Ausdruck zu bringen. Dabei weist das Hören darauf hin, dass es um mehr geht als um eine neue „Anwendung“ einer unveränderlichen Botschaft, sondern um ein neues gehorsames Hören auf das, was die Botschaft von Jesus Christus in diesem neuen Kontext zu sagen hat, und wie sie angemessen zum Ausdruck kommen kann. Es wird im Verhältnis zur Postmoderne sowohl um Inkulturation gehen als auch um prophetische Kritik: Anknüpfung und Widerspruch sind hinsichtlich der Beziehung des Evangeliums wie zu jeder Kultur so auch zu dieser notwendig.

Genau das aber scheint in der Anglikanischen Kirche bereits eher als bei uns begriffen worden zu sein: Während wir entweder an überkommenen Evangelisationsmodellen festhalten oder immer noch über die Grundsatzfrage streiten, ob denn Evangelisation überhaupt vonnöten, legitim, sinnvoll oder zumutbar ist, fragt man in der Anglikanischen Kirche vermehrt nach „emerging evangelism“, der zukünftigen Evangelisation. Dabei setzen die Autoren nicht darauf, sich dem religiösen Trend zu verschreiben und den „subjective turn“ mit Haut und Haaren mitzuvollziehen. Sie vertrauen darauf, dass sich die empirischen Studien auch als richtungsweisend für eine dem Evangelium von Jesus Christus verpflichtete Begegnung mit dem spirituell suchenden Menschen erweisen können. Freilich müssen dazu die gegenwärtigen Kommunikationsbedingungen beachtet werden: Das reine „Kerygma-Modell“ wird nicht ausreichen, denn Menschen finden nicht mehr vorwiegend dadurch zum Glauben, dass sie in großer Zahl einem beeindruckenden Prediger ausgesetzt werden. „Finding Faith Today“ hatte in dieser Hinsicht ja sehr ernüchternde Ergebnisse zu Tage gefördert.75

Aber man hat als unbeabsichtigte Nebenwirkung der klassischen Evangelisation die „nurture group“ entdeckt. Nurture Groups sollten so etwas wie die „Nacharbeit“ der Evangelisation darstellen: Kurse, die in das Leben als Christ einführen sollten, wenn Menschen sich für den Glauben entschieden hatten. „They were not intended to lead people to Christ – but they did“76 Die Gemeinden machten also die Erfahrung, dass gerade in diesen Kursen Menschen zum Glauben fanden, und zwar Menschen mit höchst unterschiedlichen Vorerfahrungen, Nähen (und Distanzen) zum kirchlichen Leben.

So wurde in der Anglikanischen Kirche sehr viel intensiver als in Deutschland das Modell der befristeten evangelistischen Glaubenskurse propagiert und auch implementiert. Allein der ALPHA-Kurs dürfte in der Zwischenzeit etwa 2 Millionen Teilnehmer angezogen haben. Dieser „evangelistic turn“ kann kaum überschätzt werden: „In 1985 evangelism for most people still meant the big meeting, the important speaker, the exhausting (and expensive) effort by the church. By 2000 evangelism in the United Kingdom meant the small group, the ordinary member of the congregation, the continuous work of the church.“77

Die Ausgangsfrage lautete wieder einmal: Wie finden denn heute erwachsene Menschen zum Glauben? Die wesentliche Erkenntnis wird dabei häufig im Bild der österlichen Geschichte von den Emmaus-Jüngern (Lk 24, 13–35) zum Ausdruck gebracht: Sie kommen nicht plötzlich zum Glauben und finden dann auch ihren Platz in der Gemeinde. Sie kommen in der überwiegenden Zahl der Fälle zum Glauben, wenn sie das Christsein über eine längere Zeit auf einer „begleiteten geistlichen Reise“ erkunden konnten. Sie wollen eigene Erfahrungen und Entdeckungen machen und nicht nur einfach belehrt werden.

Diesen Bedürfnissen kommen die Glaubenskurse entgegen, nicht zuletzt das Emmaus-Projekt.78 Hier werden gleich mehrere evangelistische Strategien miteinander verknüpft: Die Gemeinde ist Trägerin der Evangelisation. In einem ersten Schritt („Contact“ = „Begegnen“) erkundet sie ihre Umgebung und nimmt die Menschen, zu denen sie Kontakt hat, in evangelistischer Perspektive in den Blick. Sie bietet, wenn Menschen Vertrauen gefasst haben, als zweiten Schritt („Nurture“ = „Begleiten“) einen Glaubenskurs mit bis zu 15 Abenden an. Dieser Kurs führt in das ABC des Glaubens ein, aber nicht durch lange Vorträge, sondern durch einen stetigen Wechsel von Gespräch, Kurzvortrag, Andacht, eigenem Entdecken an Hand biblischer Texte und erlebter Gemeinschaft. Die Mitarbeiter können dabei das Programm stets an die örtlichen Bedürfnisse anpassen. Dabei erleben die Teilnehmer, was sie erst lernen sollen: Was Christen glauben, wie sie ihren Glauben miteinander gestalten und wie das in ihren Alltag ausstrahlt. Der gesamte Ansatz ist beziehungs- und erfahrungsorientiert. Er bietet Möglichkeiten, die eigene Glaubensentscheidung auszudrücken, arbeitet aber ohne Druck. Er ist interaktiv und gibt Raum zum gemeinsamen Entdecken. Paten begleiten die Teilnehmer. Gottesdienste verknüpfen den Kurs von Anfang an mit dem gesamten Gemeindeleben. Und nach dem Kurs gibt es als dritten Schritt vertiefende Kursangebote für das weitere Wachstum im Glauben („Growth“ = „Bestärken“): „Conversion was no longer seen as a sudden decision by an individual who stepped from unfaith to faith in a moment but as a pilgrimage where each individual came to faith by a different journey.79

Typisch ist auch die selbstkritische Evaluation der Ergebnisse, die im Blick auf Glaubenskurse positiv ausfällt: Viele Erwachsene werden erreicht! Und doch nutzt „nur“ ein Drittel der englischen Gemeinden Glaubenskurse als evangelistisches Instrument.80

4. Mission bringt Gemeinde in Form: Church Planting and Fresh Expressions of Church

Unter dem Titel „Mission-shaped Church“ brachte Church House Publishing81 im Jahr 2004 eine kleine Schrift auf den Markt, die sich bald (mit inzwischen über 20 000 verkauften Exemplaren) als kleiner kirchlicher Bestseller erwiesen hat. Seit 2006 liegt die deutsche Übersetzung vor.82 „Mission-shaped Church ist auf den ersten Blick ein Standardwerk zum Thema „Gemeindepflanzung in England“. In der Tat stellt das schmale Buch eine Art Summarium in Sachen „Church Planting“ dar. Die Idee des „Church Planting“ geht freilich schon auf die 1980er Jahre zurück und ist mit den Namen des emeritierten Erzbischofs von Canterbury George Carey83 und des Pfarrers Bob Hopkins84 verknüpft, der in der Londoner Gemeinde Holy Trinity Brompton wirkte.

1994 äußerte sich die Church of England erstmals zum „Church Planting“, indem sie die Studie „Breaking New Ground“85 publizierte. Darin ging es um „Gemeindepflanzung“ als missionarische Strategie, die von der „Church of England“ geduldet und behutsam gefördert wurde. „Mission-shaped Church“ geht sehr viel weiter als „Breaking New Ground“: Aus einer geduldeten und behutsam geförderten Strategie ist eine selbstverständliche Wesensäußerung einer sich missionarisch verstehenden Anglikanischen Kirche geworden. Denn es ist äußerst wichtig festzuhalten, dass „Mission-shaped church“ nicht zuerst ein Buch über neue Gemeindestrukturen ist. Davon ist zwar ausführlich die Rede, aber es ist nicht das Herzstück dieser Schrift. „Ensure that missions-questions drive the church-answers, not vice versa.“86

Es geht um mehr als um neue Strukturen: Es geht um die Besinnung auf den missionarischen Auftrag der Kirche. Mission soll die Gemeinde formen und so auch wieder in Form bringen. Der missionarische Ansatz ist theologisch weit: Mission ist „missio dei“. Mission ist Gottes Mission zur Versöhnung und Heilung seiner Schöpfung. „It is not the Church of God that has a mission in the world, but the God of mission who has a Church in the world.“87 Mission umschließt darum auch die „ganze“ Sendung der Kirche einschließlich ihrer Verkündigung, ihrer Seel- und Leibsorge, ihrer Bildungsarbeit, ihres Dienstes, ihres Einsatzes für die Armen, ihres Kampfes um Gerechtigkeit und Frieden. Und im Herzen dieser Mission geht es darum, dass Menschen die Versöhnung mit Gott in ihrem Leben ergreifen. Mission ist nicht dasselbe wie Evangelisation, aber Mission ist nie ohne Evangelisation. Die Frage nach der „missio dei“ ist der Dreh- und Angelpunkt von „Mission-shaped Church“: „Start with the Church and the mission will probably get lost. Start with mission and it is likely that the Church will be found.“88

Die Mission der Kirche geschieht aber in einem Kontext, der sich gewandelt hat und für den alte kirchliche Strukturen nicht mehr hinreichend missionstauglich sind: Viele Menschen leben nicht mehr nach den alten lokalen Mustern. Die Mobilität und die funktionale Ausdifferenzierung von Lebensbereichen führen dazu, dass das Leben sich nicht mehr vorwiegend in der Nachbarschaft der Wohnung oder des Hauses abspielt. Stärker als von Nachbarschaften sind soziale Beziehungen von Netzwerken bestimmt. Wer an einem Ort lebt, lebt nicht unbedingt zusammen, und wer zusammen lebt, lebt häufig nicht mehr am selben Ort. Die Anglikanische Kirche aber ist zutiefst nachbarschaftsorientiert, weil sie auf das parochiale System setzt: In einer Kirchengemeinde sind „wir“ zusammen, weil wir in derselben Wohngegend leben, mithin: Nachbarn sind. Verändert haben sich aber auch die zeitlichen Muster: Der Charakter des Sonntags als des wesentlichen Gottesdiensttages hat sich für viele Menschen geändert; der Sonntag ist nun ein Teil des Wochenendes und der Gottesdienst für viele nicht einmal mehr eine Option. Auch sind Menschen daran gewöhnt, dass sie sich für Angebote entscheiden, die ihnen gemäß sind und sich nicht einfach in vorgegebene Ordnungen einfügen. Sie werden die Gemeinde wählen, die ihnen gefällt, wenn sie sich überhaupt auf kirchliches Leben einlassen. Und das tun, wie wir bereits sahen, auch in England immer weniger Menschen. Viele sind „no longer our people“.89 Das Parochie-Monopol erscheint in dieser Perspektive eben als nicht hinreichend missionstauglich.

Wenn eine Volkskirche Kirche für das ganze Volk sein will, dann darf sie nicht damit zufrieden sein, dass es flächendeckend Kirchengemeinden gibt. Geographisch wäre damit das ganze Volk erreicht. Aber eben nur geographisch. Es gibt andere als geographische weiße Flecken: Eine Kirche kann etwa den Kontakt zu sozialen Schichten verlieren, oder es können ganze kulturelle Milieus unerreicht bleiben. Freilich gibt es auch viele Menschen, die von der neuen Mobilität ausgeschlossen sind, in traditionellen Zeitmustern leben und keineswegs die Freiheit der Wahl haben (wollen): Sie sind z. B. Kinder oder ältere Menschen, sie sind z. B. arm, arbeitslos oder krank. Mindestens für diese Menschen bleibt die Parochie von größter Bedeutung.

Der Ansatz von „Mission-shaped Church“ liegt nun in einer pluralen Mission oder missionarischen Pluralität, die bis in das strategische Vorgehen und strukturelle Gestaltwerden der Kirche hineinreichen soll: „A variety of integrated missionary approaches is required! A mixed economy of parish churches and network churches will be necessary, in an active partnership across a wider area …“90. Dieser Gedanke einer Mischwirtschaft schließt die wichtige Einsicht ein, dass es keinen „missionarischen Generalschlüssel“ mehr gibt, sondern nur noch ein ganzes „Schlüsselbund“ unterschiedlicher missionarischer Bemühungen.91 „The task is to become church for them, among them and with them, and under the Spirit of God to lead them to become church in their own culture.“92 Es geht also nicht um eine Rückkehr-Strategie: Kommt zurück in die Art und Weise, wie wir Kirche leben. Es geht um eine Vorwärts-Strategie: mit diesen Menschen und für sie gemeinsam Kirche in ihrer Kultur bauen! Der für die anglikanische Theologie so wesentliche Aspekt der Inkarnation wird hier konsequent missionstheologisch interpretiert: Was Gemeinde in einem Kontext sein soll, steht nicht von vorneherein fest, sondern ergibt sich erst am Ort. Die, die Gemeinden für andere und mit anderen beginnen, müssen sich tief im Kontext verwurzeln und offen sein für das Modell von Kirche, das dann als „fresh expression“ erscheinen wird. Dieser Prozess kann darum auch im Bild der Auferstehungsbotschaft betrachtet werden, indem die paulinische Figur vom Leib, der gesät wird, stirbt und anders aufersteht, auch auf Gemeindepflanzungsprozesse angewandt wird (1 Kor 15, 35–49).93

Damit ist ein Monopol von Strukturen (und seien sie so ehrwürdig wie die Parochialstruktur) ebenso ausgeschlossen wie das schlichte Kopieren (oder gar Klonen) bewährter Gemeindemodelle (und seien sie so attraktiv wie etwa das der Willow Creek Community Church). Denn: „The Gospel can only be proclaimed in a culture, not at a culture.“94 Ebenso ausgeschlossen ist es, sich einer Kultur vollständig auszuliefern. In der spannungsreichen Begegnung von Evangelium und Kultur kommt es nicht nur zu inkulturierenden, sondern auch zu konterkulturierenden Prozessen, wenn spezifische Schwachstellen einer Kultur in die Perspektive des Evangeliums geraten. „Church Planting is the process by which a seed of the life and message of Jesus embodied by a community of Christians is immersed for mission reasons in a particular cultural or geographic context. The intended consequence is that it roots there, coming to life as a new indigenous body of Christian disciples well suited to continue in mission.“95

Damit aber ist noch etwas Wesentliches impliziert: Auch das klassische Church Planting ist nicht ein solcher Generalschlüssel zur Lösung der Probleme in der „Church of England“. Anders gesagt: Die notwendige Pluralisierung der Mission (verbunden mit einer selbstbewussten Festigkeit bei der Wahrung der anglikanischen Glaubenstraditionen) geschieht auch innerhalb des Konzeptes „Mission-shaped Church“. Wer hier nur neue Hinweise zur Gemeindepflanzung sucht, wird enttäuscht, denn „Mission-shaped Church“ bietet ein Fülle von Modellen, in denen „fresh expressions of church“ entdeckt werden können. Bei aller Vielfalt haben die verschiedenen Modelle, die „Mission-shaped Church“ zusammenfasst, jedoch erhebliche Gemeinsamkeiten: die evangelistische Absicht, die Bereitschaft, (ehrenamtliche) Mitarbeiter freizugeben, damit sie an anderer Stelle etwas Neues aufbauen, die Vernetzung der verschiedenen Initiativen und Gemeindetypen auf Diözesanebene, die Bedeutung von Kleingruppen für die Förderung des Lebens in der Nachfolge Christi, die klare Ausrichtung auf eine Zielgruppe und die Bereitschaft, in den Ausdrucksformen des neuen Gemeindelebens neue Wege zu gehen (etwa in der Wahl der Gottesdienstorte und -zeiten, der Musikstile etc.).96 Aber allein für die Gemeindepflanzungen gibt es dann wieder mehrere mögliche Ausformungen. Das Modell Ableger („Erdbeere“) etwa schafft relativ ähnliche Gemeinden, die relativ ähnliche Menschen in der etwas weiteren Umgebung zu erreichen suchen. Beim Modell Aussaat („Ahorn“) werden kleine (1–2), mittelgroße (3–12) oder große (13–45) Teams in unerreichte Segmente ausgesandt. Beim Modell Verpflanzung („Staudenteilung“) wird die Ausgangsgemeinde in zwei Hälften geteilt, so dass eine Hälfte an anderer Stelle neu eingepflanzt werden kann. So wird an anderer Stelle eine nahezu „fertige“ neue Gemeinde gegründet. Das heißt: Es werden z. B. 50–100 Menschen ausgesandt. Beim Modell Kreuzung („Aufpfropfen“) werden gemischte Teams gebildet z. B. aus der aussendenden Gemeinde mit Menschen aus einer anderen Gemeinde, die kulturell oder sozial der Zielgruppe entsprechen.97 Wesentlich sind darüber hinaus die drei verschiedenen Bezugsgrößen: Ist die neue Pflanzung eine Gemeinde für ein Territorium oder einen Nachbarschaftsbereich (boundary und cross-boundary) oder für ein Netzwerk von Menschen (non boundary)?

Mission-shaped Church führt nun eine lange Liste98 von praktischen Beispielen auf, die die Vielfalt der neuen Ausdrucksformen ausweist. Da finden sich neben den „traditionellen“ (!!) Gemeindepflanzungen und den Cell Churches u. a. folgende Beispiele: Jugendkirchen versuchen angesichts der kulturellen Differenz der Jugendlichen eigene Gemeinden (und nicht nur Jugendgottesdienste) zu initiieren. Diese gelten nicht nur als Übergangsphänomen. Schulkirchen nutzen die zunehmende Offenheit von Schulen, die ihr Ganztagsschulprogramm auch mit Angeboten kirchlicher Träger füllen. Sie entwickeln sich zu Gemeinden für alle, die mit einer Schule zu tun haben: Schüler, Lehrer und Eltern können erreicht werden. Kirchen in sozialen Projekten beteiligen sich am sozialen Einsatz für Menschen, bieten aber auch Gottesdienste oder z. B. Alpha-Kurse in diesem Setting an. Die Mitwirkung an der sozialen Agenda ist hier der missionarische Schlüssel. Café-Kirchen bieten neben der (hochwertigen) Bewirtung Gespräch und Seelsorge, gemeinsames Bibellesen, aber auch Gottesdienste im Café („Table liturgies“), Glaubenskurse usw. an. Gastfreundschaft ist hier der Schlüssel. Alternative Worship und Seekers’ Services: Aus Gottesdienstprojekten z. B. nach dem Vorbild der Seekers’ Services der Willow Creek Community Church oder anderer liturgischer Modelle können sich auf Dauer eigenständige Gemeinden mit eigener Leitung, Gottesdienst, Seelsorge etc. entwickeln. Midweek Churches, das sind z. B. Gemeinden, die Gottesdienste und Kleingruppen für „business people“ anbieten, die nur in der Wochenmitte vor Ort sind und Zeit haben. Multiple Churches heißen Gemeinden, in denen parallel zwei verschiedene Gemeindeprogramme in einem Gemeindezentrum existieren. Jede dieser Versammlungen ist Kirche im vollen Sinn; es gibt nicht mehr „einen Hauptgottesdienst“.

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