Kitabı oku: «Jahrbuch der Akademie CPH - Anregungen und Antworten»
Jahrbuch der Akademie CPH
Anregungen und Antworten
Im Fokus Menschenwürde
Siegfried Grillmeyer (Hg.)
Jahrbuch der Akademie CPH Anregungen und Antworten
Im Fokus Menschenwürde
Band 5 der Reihe
Veröffentlichungen der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus
Unter redaktioneller Mitarbeit von Thomas Barth
Bildnachweis: Die Bilder entstammen dem Archiv der Akademie CPH sowie dem Privatbesitz der Autorinnen und Autoren
Lektorat: Dr. Thomas Barth
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.
© 2011 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter-verlag.de Gestaltung: Hain-Team, Bad Zwischenahn (www.hain-team.de) Umschlagbild: Flüchtlingslager in Pakistan © Jesuitenmission Druck und Bindung: Druckerei Friedrich Pustet, Regensburg ISBN 978-3-429-03413-9 (Print) ISBN 978-3-429-04606-4 (PDF) ISBN 978-3-429-06019-0 (Epub)
Inhaltsverzeichnis
1. Das Jahrbuch der Akademie CPH – ein Lesebuch mit Anregungen und Antworten
1.1. Siegfried Grillmeyer: Fragen der Zeit – Ein Vorwort als Einladung
1.2 Siegfried Grillmeyer: Kreativität als Mittel zum Zweck. Streifzüge durch Buchhandlungen
2. Im Fokus: Menschenwürde
2.1 Thomas Antkowiak: „Daheim auf zwei Quadratmetern – Vom Leben im Käfig“. Eine Misereor-Ausstellung zum Menschenrecht auf Wohnen
2.2 Wolfgang Bährle: Zur Lage der Menschenrechte in der Republik Guinea
2.3 Otto Böhm: Freie Rede auch für Hassrede? Zur Diskussion um die Einschränkung des Menschenrechts auf Meinungfreiheit
2.4 Michael Krennerich: Menschenrechtsförderung in der Entwicklungszusammenarbeit – Weit mehr als Sanktionen!
3. Theologie – Spiritualität – Philosophie
3.1 Matthias Fifka: Scientology in Deutschland und den USA – Die unterschiedliche Wahrnehmung und Behandlung einer kontroversen Organisation
3.2 Jürgen Kaufmann: Der Beitrag der Religionsgemeinschaften für die Gesellschaft – Christlich-islamischer Dialog als Thema der Erwachsenenbildung?
3.3 Andrea Nahles: Katholische Soziallehre – Kompass für die Politik in Zeiten der Krise?
3.4 Gunther Wenz: Vom Schönen und Erhabenen – Friedrich Schiller zu Immanuel Kants Kritik der ästhetischen Urteilskraft
3.5 Léon Wurmser: Trauer, doppelte Wirklichkeit und die Kultur des Erinnerns und Verzeihens – Ein sehr persönlicher Bericht
4. Erinnerungsarbeit – Menschenrechte – Werte
4.1 Rolf Benndorf: Afrikanische Migranten in Deutschland und die gesellschaftliche Integration
4.2 Eckart Dietzfelbinger: Rechtsextremismus
4.3 Doris Katheder: Von Nürnberg nach Den Haag – Eine Studienreise zu den Internationalen Gerichtshöfen in Den Haag
4.4 Charles Chilufya SJ: Warum ist das arme Afrika so arm?
4.5 Charles Searson SJ und Charles Chilufya SJ: Gedanken über Wege aus der Armut
5. Globalisierung – Solidarität – Demokratie
5.1 Rupert Neudeck: Die Kraft Afrikas – Ein Plädoyer für andere Entwicklungshilfe
5.2 Siegfried Grillmeyer: Zwischen Bildung und Kampagne – Gedanken zur Finanztransaktionsteuer
5.2.1 Detlev von Larcher: Stellungnahme zur Finanztransaktionssteuer
5.2.2 Erzbischof Ludwig Schick: Stellungnahme zur Finanztransaktionssteuer
5.2.3 Klaus Wiesehügel: Stellungnahme zur Finanztransaktionssteuer
5.3 Rudolf Ficker: Warum wird für die Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele mehr Geld gebraucht?
5.4 Heidemarie Wieczorek-Zeul: Steuer gegen Armut: Eine realistische Utopie?
6. Kunst – Kultur – Begegnung
6.1 Peter Dettmering: Drei Hauptfiguren in einem Drama – Über Schillers „Don Carlos“
6.2 Reinhard Knodt: Gesellschaft zwischen Wahn und Wirklichkeit
6.3 Stefanie D. Kuschill: Caritas – Wer glaubt, wird selig?!
6.4 Prof. Helmut Koopmann: Tendenzen der Schillerforschung heute
6.5 Kathrin Mädler: Schuld und Sühne auf der Bühne
6.6 Erzbischof Ludwig Schick: Von Schuld und Sühne – Gedanken zum Aschermittwoch der Künstler
7. Die Autorinnen und Autoren
1.
Siegfried Grillmeyer
Fragen der Zeit
Ein Vorwort als Einladung
Dieses Vorwort möchte wieder eine Einladung sein! Zum zweiten Mal legt die Akademie CPH ausgewählte Vorträge im Rahmen eines Jahrbuches vor. Wir laden Sie herzlich ein, die für den Druck nur geringfügig überarbeiteten Vorträge (nach) zu lesen und damit den „Fragen der Zeit“ nachzugehen.
Ein herzlicher Dank sei an dieser Stelle allen Leserinnen und Lesern des ersten Jahrbuches ausgesprochen, die im persönlichen Gespräch oder durch schriftliche Rückmeldung unsere Suche nach den zentralen Fragen der Zeit begleiteten und viele Anregungen einbrachten. Nur im gemeinsamen Dialog ist es möglich, die zentralen Fragen der Zeit aufzuspüren.
Die folgenden Kapitel gliedern sich nach den vier Schwerpunkten unserer Akademietätigkeit: Theologie – Spiritualität – Philosophie, Erinnerungsarbeit – Menschenrechte – Werte, Globalisierung – Solidarität – Demokratie sowie Kunst – Kultur – Begegnung.
Als fünften Schwerpunkt unserer Halbjahresprogramme nehmen wir jeweils einen Themenbereich besonders in den Fokus. Dieser Band widmet sich der Menschenwürde.
Fassungslos standen viele Besucher vor einem Originalkäfig, der im Rahmen der Misereor-Ausstellung „Daheim auf zwei Quadratmeter“ im CPH zu sehen war. Durch den Blick auf diesen Drahtverschlag, in dem bis vor kurzem Menschen über Jahrzehnte ihr Dasein in Hongkong fristeten, wurden alltägliche Menschenrechtsverletzungen greifbar. Einige der Millionen Menschen, die täglich durch strukturelle Ausgrenzung (wie beispielsweise keinen Zugang zu Wohnraum, zu medizinischer Versorgung, zu Wasser und Nahrung) ihrer Menschenwürde beraubt werden, bekamen ein Gesicht. Ziel unserer Bildungsangebote wird es weiterhin sein, auch den meist unsichtbaren Menschen ein Gesicht zu geben, den Verstummten unsere Sprache, damit ihnen ein menschenwürdiges Leben nicht versagt bleibt – damit sie Leben haben, und es in Fülle haben (Johannes 10,10).
Dieser Auftrag spiegelte sich auch in vielen anderen Veranstaltungen und damit auch Schwerpunkten des vorliegenden Bandes wider. So beispielsweise in der hier dokumentierten Fachtagung der Kampagne „Steuer gegen Armut“ (Kapitel 5).
Im Jahr 2010 feierte das Caritas-Pirckheimer-Haus sein 50-jähriges Bestehen und die Vielfalt der behandelten Themen, von der Theologie über gesellschaftspolitische Fragen bis hin zur Kunst wurde im Rückblick nochmals deutlich. Besonders freuen wir uns, dass an dieser Stelle das Theaterstück „Caritas – Wer glaubt wird selig!?“ im Druck vorgelegt werden kann, das anlässlich unseres Jubiläums uraufgeführt wurde. Ein herzlicher Dank gilt daher der Autorin Frau Stefanie Kuschill und damit auch allen weiteren Autorinnen und Autoren, welche ihre Vorträge ausarbeiteten und für unser Jahrbuch zur Verfügung gestellt haben. Ein besonderer Dank gilt außerdem unserem Lektor Herrn Dr. Thomas Barth und dem Verleger des Echter Verlages, Herrn Thomas Häußner, für die mittlerweile gewohnt reibungslose, erfolgreiche und angenehme Zusammenarbeit.
Auch mit diesem zweiten Jahrbuch hoffen wir auf vielfältige Rückmeldungen und wünschen uns, dass die leidenschaftliche Auseinandersetzung mit den „Fragen der Zeit“ ansteckend wirkt.
Zum Pirckheimer Tag 2011
Dr. Siegfried Grillmeyer
Direktor der Akademie CPH
Siegfried Grillmeyer
Kreativität als Mittel zum Zweck
Streifzüge durch Buchhandlungen
Gönnen Sie sich auch manchmal ein paar ziellose Minuten in einer Buchhandlung? Einfach die Augen über Regale und auch Auslagen gleiten lassen, das eine oder andere Buch in die Hand nehmen, Klappentexte lesen und ein bisschen reinblättern? Zugegebenermaßen liegt diesem Tun keine bewusste Entscheidung zugrunde, eher ist es eine willkommene Ablenkung auf dem Weg von A nach B. Vielleicht ist es ja der Genuss, einmal wieder reale Gegenstände mit Wissen und Informationen in der Hand zu halten, anstatt in den virtuellen Welten durch Texte und Bilder zu browsern. Aber wie gesagt, vielleicht ist es auch nur Zeitvertreib, gestaltete Langeweile. Besonders geeignet erscheinen dafür Bahnhofsbuchhandlungen. Die Zugverspätungen oder die unbewusst, manchmal auch bewusst zu groß bemessene Zeit auf dem Weg zum Bahnsteig sind die besten Ausreden, dieser Leidenschaft nachzugehen. Im reich dargebotenen Zeitschriftenangebot kann man sich noch mehr der Illusion hingeben, durch einen flüchtigen Blick die Fragen der Zeit erfassen zu können. Zeitschriften und ihre Titelgeschichten, Romane und Sachbücher auf den Bestsellerlisten und Bücherstapeln verheißen, den Zeitgeist zu erhaschen. Hier dürften doch die Themen aufscheinen, welche die Menschen bewegen.
Zumeist bringt man aber doch von diesen geistigen Beutezügen die bekannten und üblichen verdächtigen Themen mit: Partnerschaft und Lebensgestaltung, ein wenig Esoterik und Astrologie und natürlich sind immer auch Körperlichkeit und Sexualität ausgiebig vertreten, sie scheinen unerschöpfliche Themen der Menschheit zu sein. Etwas vornehmer ausgedrückt als der journalistische Grundsatz „Sex sells“ scheinen Fragen der Befindlichkeit, des Wohlbefindens und Wohlgefallens, sowohl außen wie innen, anthropologische Grundinteressen zu sein. Daneben erstreckt sich das Meer an Reiseliteratur. Vielleicht ein ebenso ungestilltes Bedürfnis nach Träumen und Realitätsflucht. Faszinierend auch die schier unendliche Vielfalt an Hobbys, die ihren publizistischen Widerhall finden. Alle Zugverspätungen dieser Welt reichen nicht aus, um das Angebot zu sichten: Magazine für Taschenuhrliebhaber, Sportangler, Taucher, Tierzüchter, Gartenbauer und Obstveredler, Bleifigurensammler … Ein Meer an – zumindest für einen Laien und nur imaginäres Mitglied dieser Leser- und Interessensgemeinschaften – nutzlosem Wissen. Dieser Aufteilung in Einzelsparten widerspricht ein anderer Trend: Versuche, alles Wissen zu katalogisieren und dingfest zu machen. Nie gab es so viele Enzyklopädien, Sammlungen, sachspezifische Nachschlagewerke. Drei Sparten haben sich daneben in den letzten Jahren immer mehr Regalmeter erobert. Zum ersten sind es Computerzeitschriften. Die Welt der Rechner mag virtuell sein, ihre Beschreibung und Fortentwicklung ist aber ganz real. Seitenweise, ob in Zeitschriften oder begleitenden Schmökern, wird jede Anwendung, jede Spielvariante bewertet, diskutiert, erklärt und weiter entwickelt. Zum zweiten die Welt der Wirtschaft und der Börse. Nicht nur, dass sich seit langem besondere Zeitungen und Zeitschriften mit diesem Schwerpunkt etablieren konnten, sie brachten auch Kinder und Enkel als Journale und Sonderausgaben, ja, ganze Buchreihen hervor. Die Dominanz der Wirtschaft, das sei nun doch als Feststellung gewagt, lässt sich bei empirischen Studien des Zeitschriften- und Büchermarktes ablesen. Die einschlägigen Fachzeitschriften aus dem Bereich der Politik sind daher eher Feigenblätter in diesem Blätterwald. Auch wenn das Schlagwort der „Ich-AG“ mittlerweile auf den Titelseiten eher verschwunden ist, die allgemeine Beschäftigung der Wirtschaft geht einher mit einer immensen Ratgeberliteratur: selbstständig machen, Karriere gestalten, persönliche Optimierungsstrategien. Und schließlich, das scheint nun überraschend, hat auch der Bereich der Spiritualität zugenommen. Auch wenn die Zeiten eines „New Age“ vorbei sind. Religion ist zumindest in Zeitschriften und Bücherbeständen ein zunehmender Markt. Hape Kerkelings „Jakobsweg“ lag nun nicht nur über Monate, sondern über Jahre hinweg gleich turmhoch beim Ausgang zu Gleis 1.
Wenn Sie es bisher geschafft haben, diesen Gedanken zu folgen, hat dies entweder mit Langmut oder einem unbeschwerten und damit nicht zielorientierten Leseverhalten zu tun. Aber der Kreis, was dieser beschriebene Gang durch Buchhandlungen mit Kreativität zu tun hat, lässt sich leicht schließen. Der erste Schluss ist ganz einfach: Der Gegenstand der Kreativität ist im Verlauf der letzten Monate und Jahre zu einem Hauptthema geworden. Er taucht in all der genannten Literatur vermehrt auf: Spiritualität und Persönlichkeitsliteratur fragen nach Kreativität, ebenso die Computerbranche und die Wirtschaftswissenschaften. Gleiches gilt sogar für die eher geistfernen Lifestyle-Magazine, die sich ihrer vermehrt annehmen. Nicht zuletzt die Gehirnforschung hat hier ganz wesentliche Impulse geliefert. Kreativität findet als Thema seinen Platz zunehmend in diesem Markt der dominierenden Ideen und Themen. Dabei muss sich Kreativität aber stark der beherrschenden Strömung unterordnen. Am meisten interessieren sich mittlerweile die Wirtschaftswissenschaften und ihre populären Ableger dafür. Kreativität ist schlichtweg ein Kapital. Ein immer stärker an Bedeutung zunehmendes Kapital für die einheimische Wirtschaft, um gegen die zunehmende Dominanz der asiatischen Konzerne bestehen zu können. Ein Kapital aber auch für den Einzelnen. Kreativität hat einen Zweck, nämlich die Steigerung der persönlichen Leistungsfähigkeit. Der Marktwert der persönlichen Ich-AG steht im Vordergrund. Dem französischen Soziologen Bourdieu kommt der Verdienst zu, den Marx’schen Kapitalbegriff aus seiner wirtschaftlichen Verengung gelöst und zu seiner umfassenden Erklärungsmatrix sozialer Phänomene erweitert zu haben. Neben dem ökonomischen Kapital, das dem traditionellen Begriff entspricht, führt er drei weitere Definitionen an: Zum ersten das Konzept des kulturellen Kapitals. Dieses umfasst Bildung und Wissen (inkorporiertes kulturelles Kapital) und Diplome und Titel (institutionelles kulturelles Kapital). Zum zweiten das Konzept des sozialen Kapitals. Jenes umfasst Beziehungen, Bekanntschaften, sowie die Zugehörigkeit zu Seilschaften, Clubs und Korporationen unterschiedlichster Art. Ein dritter Begriff schließlich bildet die übergeordnete Klammer als sichtbarer Ausdruck der beiden Konzepte von kulturellem und sozialem Kapital: das symbolische Kapital. Damit können Phänomene wie Mäzenatentum und Vereinsmitgliedschaften ebenso gedeutet werden wie Engagement im ehrenamtlichen Bereich. Bourdieu hat in einem erweiterten Modell der „Ökonomie der Praxisformen“ betont, dass der Bereich des symbolischen Kapitals den gleichen Spielregeln unterworfen ist wie die wirtschaftlichen Kapitalbewegungen. Auch dort kann man Investitionen, Akkumulationen und Profitmaximierung vorfinden. Nur lassen sich diese Spielregeln und Wirkungszusammenhänge nicht so einfach erklären. Wesentliches Kennzeichen des symbolischen Kapitals ist es nämlich, dass seine Nutzenorientierung nicht offen zutage tritt und größerer Labilität unterworfen ist als im Bereich des ökonomischen Kapitals. So kann sich das Engagement in einer Bürgerinitiative als Fehlinvestition für den beruflichen Einstieg auswirken. Die Wahl konkreter, nicht allein berufsspezifischer Fortbildung sind ebenso nur erste Investitionen in die eigene Ich-AG. Kreativität gehört hier unabdingbar zum Management und wird zum zentralen Mittel, den eigenen Marktwert zu steigern. Es geht darum, bei Kindern Kreativität zu fördern, um sie fit zu machen für die Arbeitswelt. Erwachsene, die möglicherweise ihre Kreativität verloren oder verschüttet haben, müssen sie aktivieren, um als Arbeitnehmer und auch Privatpersonen Prozesse optimieren zu können. Kreativitätsforscher wie Joy Paul Guilford haben betont, dass eine kreative Sinnproduktion im Kindesalter ausgeprägt ist, mit dem Einüben von wissensbezogenen und rein logischen Problemlösungsstrategien aber zunehmend verkümmert. Kreative Denkprozesse können aber auch gezielt gefördert und beschleunigt werden. Ziel dieser Steigerung oder (Wieder-)Erweckung ist zumeist aber der wertschöpfende Mensch im wirtschaftlichen Sinne. Es geht nicht um den homo ludens, den homo socialis, sondern allein um den homo oeconomicus, der die Kreativität nutzen soll. Auch die Kunst, üblicherweise Heimat des Kreativen, wird als Markt definiert und bestimmt. Der Begriff der „Kultur- und Kreativwirtschaft“ hat längst Einzug gehalten in die Fachsprache der Wirtschaft, die immer mehr andere Bereiche wie Politik und Wissenschaft durchdringt. Intellektuelle werden zu Kulturdesignern und Kreativitätstechnikern.
Kreativität, so das bereits hier formulierte leidenschaftliche Plädoyer, ist dringend nötig und kann der Motor zu einer Veränderung der eigenen Lebensgestaltung, aber vor allem auch zur Humanisierung der Gesellschaft und der Welt sein. Aber dann muss sie einem anderen Zweck untergeordnet werden. Die Herausforderung dieser Zeit ist zweifellos, über Alternativen nachzudenken, die zu einer Vermenschlichung dieser Welt führt. Albert Einstein hat zurecht gesagt, „mit dem Denken, das unsere Probleme geschaffen hat, werden wir sie nicht lösen“. Aber genau vor diesem Dilemma stehen wir, und Kreativität kann der Schlüssel sein, was hier essayistisch ausgeführt werden soll. In einem ersten Schritt soll noch etwas beim Begriff verweilt werden, um Kreativität als Gestaltungswillen zu verstehen. In einem zweiten Schritt werden globale Herausforderungen beschrieben und in einem dritten, abschließenden Punkt geht es um die Schwierigkeit zur Umsetzung in einer „überforderten Gesellschaft“.
Kreativität als Gestaltungswille
Versucht man eine Definition, so kommt man auf den einfachen Nenner: „Kreativität ist die Fähigkeit des Menschen zu schöpferischem Denken und Handeln.“ An erster Stelle steht damit der Antrieb, diese Welt gestalten zu wollen. Das Greifen nach den Möglichkeiten des Menschlichen, stellt sich dem Fatalismus und damit der Resignation, sich den Sachzwängen zu ergeben, entgegen. Es ist nicht zuletzt ein Ausbrechen aus gewohnten Denkschemata und damit festgelegten Bahnen. Das entspricht auch den erweiterten Ergebnissen der Hirnforschung. Im übertragenen Sinne könnte man sagen, die üblichen Bahnen, Synapsen, werden verlassen oder neue gesucht. Nicht umsonst wurden Leonardo da Vinci, Alexander Graham Bell und James Watt verlacht und Zeit ihres Lebens ausgegrenzt und als völlig verrückt angesehen, da ihre Ideen, Entdeckungen und Entwicklungen fernab des Üblichen und gesellschaftlich Standardisierten standen. Kreativität ist immer wieder auch Normenbruch. Kreativität ist damit auch immer wieder Aufbegehren und Ausbrechen aus gesellschaftlich anerkanntem und legitimiertem Verhalten. Aber es wird dabei auch schnell deutlich, dass man um die Ziel- und Sinnfrage nicht umhin kommt. Kreativ waren auch Menschen wie Adolf Eichmann mit seiner Logistik der Vernichtungsmaschinerie, ebenso der Schöpfer der Atombombe und des Dynamits. Letztgenannter bietet ein erhellendes Beispiel, denn schließlich hat man dem bekannten Rüstungsindustriellen und Erfinder des zerstörerischen Sprengstoffes lange nachgesagt, er habe seinen Reichtum aus schlechtem Gewissen angelegt, um künftige herausragende Erfindungen, die vor allem auch der Menschlichkeit dienen sollten, zu küren. Ganz entsprechend seines Erfinders ist deshalb der Friedensnobelpreis weiterhin der beachtetste. Und die Geschichte der Guillotine darf nicht fehlen, zumindest als Hinweis für Nichthistoriker. Denn ihr Erfinder, der französische Arzt Joseph-Ignace Guillotin, wollte damit zu einer Humanisierung des Vollzugs der Todesstrafe beitragen. Die oftmals überforderten, erschöpften und auch alkoholisierten Henker benötigten nämlich oft mehrere Hiebe und trennten den Kopf vom Körper erst nach schmerzvollen Fehltreffern. Seine Humanisierung ermöglichte jedoch eine erste Rationalisierung des Mordens und wurde so zum Symbol der jakobinischen Schreckensherrschaft. Kreativität hat keinen Wert an sich. Sie ist ein Mittel zum Zweck. Menschen haben durch ihre Kreativität, durch ihren Gestaltungswillen die Welt verändert. Einzelne Frauen und Männer haben in ihrem Fachbereich oder auch in globalen Zusammenhängen Revolutionen ausgelöst. Ideen, einmal geboren durch kreative Köpfe, ließen sich von keinem Bajonett mehr aufhalten. Aber es geht nicht nur um die „Großen der Geschichte“, den Bewohnerinnen und Bewohnern des Walhalls der Kreativen. Veränderung der eigenen Lebenswelt, und seien es auch noch so kleine Lebenswelten in Wellblechbaracken und Lehmhütten, entspringt der Kreativität. Zweifellos, auch die Not gebiert Kreativität. Aber der Gestaltungswille wird auf die Rettung der Lebensexistenz beschränkt und beschnitten. Menschen werden ihrer Kreativität verlustig oder auch vorsätzlich beraubt, wenn sie zu Arbeitssklaven degradiert werden. Durch Strukturen der Ausbeutung werden Menschen in Unmündigkeit geboren oder haben sich auch selbst freiwillig in sie hineinbegeben. Der (Auf-)Ruf der Aufklärung: „Sapere aude“ gilt weiter! Aber er richtete sich wie im 18. Jahrhundert an jene, deren Lebensunterhalt grundlegend gesichert ist. Unsere Welt braucht Kreativität, braucht kreative Köpfe, um sie zu verändern. Den bekannten Ausspruch Margret Thatchers mit ihrer Formel TINA (There is no alternative) kann nur der bereits zitierte Satz Einsteins gegenübergestellt werden. Edward de Bono, der bereits in den 1950er Jahren eine Definition von Kreativität vorlegte, betonte die Fähigkeit des „lateral thinkings“, was in der deutschen Literatur als „Querdenken“ eingegangen ist. In seinem Buch „Kreativität – Konzept und Lebensstil“ hat Holm Hadulla verschiedende Begabungsprofile herausgestellt, wonach sich Kreativität in den unterschiedlichen Betätigungsfeldern wie Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft höchst unterschiedlich ausprägen kann. Nun, die Herausforderungen sind in allen Bereichen groß: Wir brauchen viel Kreativität, um allen Menschen ein Leben zu ermöglichen, das auch ihre Menschlichkeit und Kreativität zulässt. Die Ermöglichung von Kreativität hat die Fähigkeit, ein Motor zur Entfaltung des Menschlichen zu werden. Das Ziel individuellen Lebens, zu einem Mehr an Menschlichkeit beizutragen, wie es die unterschiedlichsten Religionsgemeinschaften definieren, braucht diesen Antrieb. Es gilt, eine Welt zu gestalten, in der jeder Einzelne seine Würde und seine damit verbundenen Rechte bewahren und sich in Einklang mit den natürlichen Ressourcen entfalten und die Rahmenbedingungen für alle dafür schaffen kann.