Kitabı oku: «Kindheit in der Schweiz. Erinnerungen», sayfa 3

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Der Höhepunkt des Wildiheuens kam am Ende des Tages. Die Ernte konnte ins Tal gefahren werden. Zu diesem Zweck war vom Schwalmishang bis zu einem Hügel in der Nähe der Alphütte ein Drahtseil gespannt. Walti zog das weisse Burdihemd über, das ihn vor dem kratzenden Heustaub schützte, stemmte sich von unten an die Burdi, griff mit beiden Händen über den Kopf in das Netz. Ich löste oben die Befestigung, die die Burdi vor dem Wegrollen gesichert hatte und Walti hob die Burdi hoch. Er verschwand dabei fast unter dem riesigen Heuballen. Ich sah die Burdi auf zwei Beinen wegwanken und staunte über Waltis Gleichgewichtsgefühl und Orientierungsinn. Er konnte bestimmt nichts sehen ausser den Boden unter sich und schritt doch so trittsicher auf das Seil zu, als würde er einen Spaziergang im flachen Gelände machen. Ich rannte neben ihm her und half ihm beim Absetzen der Burdi.

Während ich die Burdi hielt, fädelte Walti einen Haken, an dessen oberem Ende eine gut geölte Rolle befestigt war, in das Netz ein und hob die Rolle auf das Seil. Auf Waltis Kommando liess ich die Burdi los, und von einem urchigen Jauchzer begleitet sauste sie dem Seil entlang talwärts. Das Sirren der Rolle war noch lange hörbar, während die Burdi auf ihrem Weg über das Tal kleiner und kleiner wurde. Dann schlug der Ballen am Rammbock am Ende des Seils auf. Ich stellte mir immer wieder vor, wie es wohl wäre, an so einer Rolle über das Tal zu gleiten, aber die Angst vor dem Aufprall am Prellbock hielt mich davon ab. Zudem wusste ich nicht, ob ich mich während der Fahrt, die sicher fünfzehn Sekunden im rasenden Tempo dauerte, würde halten können. Als ich einmal unten beim Rammbock stand, wollte ich die Rolle aus dem Seil aushängen. Ich verbrannte mir die Finger an der glühend heissen Rolle, was mir noch zusätzlichen Respekt vor der Burdiseilfahrt verschaffte. Ganz lassen konnte ich es aber nicht. Vom Hügel, wo der Prellbock stand, führte noch ein Seil hinüber in den Heugaden hinein. Die Strecke von etwa fünfzig Metern hatte nicht mehr so viel Gefälle, und die Burdenen schwebten gemächlich auf die Hütte zu. Dies schien mir einen Versuch wert, um das Burdi-Schwebegefühl zu erleben. Ich hängte mich also mit einem Haken an das Seil. Mit pochendem Herzen genoss ich die Fahrt. Der Boden schoss unter mir vorbei. Ich hielt mich krampfhaft am Haken fest. Mit zunehmender Geschwindigkeit raste ich auf das offene Tor zur Heubühne zu. Ich hatte die Geschwindigkeit unterschätzt und schlug so heftig auf den Heugadenboden auf, dass ich den Schwung mit den Beinen nicht auffangen konnte. Mit einem spektakulären Überschlag mit halber Drehung landete ich im hintern Teil der Heubühne und hatte Glück, dass keine Gabel herumlag und die Luke in den Stall hinunter geschlossen war. Mit ein paar Schürfungen und Prellungen hatte ich mein Abenteuer überlebt und wusste nun, wie sich eine Burdi am Seil fühlte.

1950er-Jahre, Meggen LU
Otto Scherer, *1939

Es schlug halb eins. Jeden Samstag dasselbe. Während Lisbeth beim Abtrocknen half, holten Peter und ich missmutig die Stahlspäne aus dem Putzkasten zuhinterst in der Speisekammer. Wir kehrten damit in die Stube zurück und begannen, das Buchenparkett zu spänen. Nicht, dass wir selber darauf gekommen wären. Die Plackerei könnte uns gestohlen bleiben. Aber der Tarif war vor etlicher Zeit ein für allemal bekannt gegeben worden. Dabei blieb es.

Nach vorn gebeugt, die Stahlspäneknäuel unter dem Fuss des Spielbeins, die Hände wie Schlittschuhläufer auf dem Rücken, ging der Tanz los. Mit dem Spielbein und rascher Beinarbeit, den Fischgrat hoch und runter, schmirgelten wir den Schmutz von den Riemen. Das Standbein schleiften wir ruckelnd hinterher.

Von links nach rechts, Drehung um neunzig Grad, von rechts nach links, Drehung, hoch und runter, hoch und runter. Wenn Tag für Tag ein halbes Dutzend Männer fünf Mal mit schwerem Nagelschuhwerk die Stube heimsuchten, vom Stall oder vom Acker kommend, bei jedem Wetter, dann blieb allerhand hängen.

Bereits nach halber Arbeit waren wir erschöpft. Es gab kein Erbarmen. Wir quälten uns dem Ende entgegen. Hinterher, wenn der Abrieb zusammengewischt war, kippte Peter nudelfertig aufs Kanapee, ich auf die Ofenbank. Beide streckten wir alle Viere von uns.

Das Auftragen der Wichse war nun Sache der Frauen, das anschliessende Polieren mit der Blochmaschine wieder Aufgabe für einen von uns beiden. Damit der andere nicht übermütig wurde, musste er inzwischen den Holzkasten füllen.

Ankeln.

Staub saugen.

Gemüse rüsten.

Fenster putzen.

Stube wischen.

Schuhe putzen.

Uhr aufziehen.

Most heraufholen.

Einkäufe besorgen.

Rabattmarken kleben.

Klosettpapier schneiden.

Das Weihwassergeschirr füllen.

Die Leintücher falten, zusammen mit Mutter.

Die Betten machen. Ausbetten. Deckbetten und Kissen zum Auslüften auf den Fenstersims legen. Unterdessen die Matratze wenden. Das Unterleintuch, das Oberleintuch und winters auch die Wolldecke allseitig säuberlich um die Matratze falten. Schön, ohne Rümpfe, wie bei einem Weihnachtspaket. Zuvor das Bett von der Wand schieben. Das Deckbett und das Kissen locker schütteln, je einmal falten, aufs Bett legen und glatt streichen. Das Bett an seinen Platz zurückstossen.

Den Nachttopf leeren.

Eier ausnehmen. Eier austragen.

Hühner einfangen.

Hühner rupfen.

Anrüsten.

Abschoren.

Futter eingeben.

Den Bahren putzen.

Den Kühen misten.

Den Mist hinausschieben.

Die Kälber tränken.

Den Stallgang wischen.

Die Pferde, die Schweine, die Kaninchen, die Hühner füttern.

Im Frühjahr Rossmist herankarren.

Den Garten umstechen.

Das Treibbeet abdecken, zudecken.

Bohnen setzen, jäten, dazwischen den Boden auflockern, begiessen.

Kartoffeln setzen, Käfer ablesen.

Die Rosse führen beim Ackern.

Beim Zweien helfen.

Äste auflesen. Und Steine.

Blacken ausstechen.

Den Gartenzaun streichen.

Maikäfer von den Bäumen schütteln, einsammeln,

dem Käfervogt bringen.

Gras rechen im Sommer.

Heuen: mähen, worben, zetteln, schöcheln, heinzen, schwarben,

zusammentun, hinaufgeben, laden, abladen.

Von den Pferden die Bremsen verscheuchen.

Kirschen ablesen, verlesen, aussteinen, austragen.

Beim Honigschleudern helfen.

Getreidegarben binden und puppen.

Das Zobig aufs Feld bringen.

Auf der Herbstweide Kühe hüten.

Kartoffelstauden verbrennen.

Mostobst, Kartoffeln, Nüsse und Kastanien auflesen.

Äpfel ablesen, auflesen, verlesen, schälen, schnitzeln.

Beim Mosten, beim Dreschen, beim Dörren, beim Güllen helfen.

Beim Ackern Steine auflesen.

Laub rechen.

Mausen.

Im Winter Holz scheiten und beigen.

Das Pferd führen beim Holz schleipfen.

Stämme abasten, entrinden.

Reisig aufschichten.

Kopfweiden schneiden.

Äste einsammeln.

Bürdeln.

Schnee schaufeln.

Mist zetteln.

Den Ofen einheizen.

In der Butig helfen beim Schreinern.

Beim Einzäunen helfen. Vater bohrte alle zehn Schritte mit der bleischweren, unten verdickten und zugespitzten Eisenstange ein Loch. Dazu hob er sie mit beiden Händen hoch und trieb sie bei jedem Stoss mit Nachdruck zwischen seinen gegrätschten Beinen in den Boden und kreiste und wippte damit, bevor er sie wieder anhob. Zwischendurch spuckte er sich in die Hände.

Währenddessen holte ich Pfähle vom Wagen und steckte einen in jedes vorbereitete Loch. Der Karrer kam hinterher und hieb sie – tagg, tagg, tagg – mit dem Holzschlegel fest. Er atmete mit jedem Schlag tief ein, bekam dabei einen roten Kopf und prustete die Luft geräuschvoll aus. Meier folgte mit dem Blechkessel, der mit den Isolatoren gefüllt war. Er drehte eine in jeden Pfahl. Dann ging er zurück und wuchtete einen Drahthaspel von der Wagenbrücke. Peter und Heiri folgten ihm mit dem Drahtkarren, einem zweirädrigen Fahrzeug, dessen Holzräder mit Eisen bereift waren und das eine Deichsel mit Querstange hatte. Meier spannte die Drahtrolle ein, die Buben zogen los, schritten von Pfahl zu Pfahl, während Meier den Draht durch die Isolatoren zog. Ich durfte währenddessen mit den Pferden nachfahren. Wenn ich zwischendurch einmal nichts zu tun hatte, war ich in Gedanken bei meinen Schulkameraden, die ihre Freizeit dazu benutzten, am Seeufer entlang und durch die Wälder und Bachtobel zu streifen.

Das schöne Sommerwetter war selten die reine Freude. Während unsere Schulkameraden die schulfreie Zeit für sich hatten und sich am See oder im Wald tummeln konnten, sahen wir Eiholzkinder diese Verlockungen nur von weitem. Ärgerlich war er jetzt, dieser See, dessen Anblick man nirgends entrinnen konnte. Er spiegelte uns Musse und Kühle vor, die uns unerreichbar waren.

«Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen», sagte der Vater. Heuen hiess das, heuen und nochmals heuen. Dazu brauchte es jeden.

Es gab kaum eine Arbeit, die nicht auch von Kindern getan werden konnte: worbe, verzettle, wände, wälmle, schöchle oder heinze, vertue, zämetue, lade, räche, ablade. Nur das Mähen, Ufegable und Nachefahre mit den Pferden besorgten ausschliesslich die Männer; es war zu gefährlich. Jeden Sommer wurden Unfälle aus der Zeitung zitiert. Im Hinterland sei einem mit der Gabel ein Auge ausgestochen worden. Ein anderer sei wegen eines Schnittes mit der Sense ins Bein beinahe verblutet. Im Entlebuch sei ein Heuwagen ausser Kontrolle geraten und in ein Tobel gestürzt.

Auch der Kleinste wurde eingespannt. Er machte mit der Korbflasche und einem Blechchachali mit Most oder Wasser die Runde, oder er verscheuchte mit einem Haselbüschel die lästigen Bremsen, die sich an den Hälsen und Bäuchen der Pferde festgesaugt hatten. Dabei musste er aufpassen, dass er nicht von den Hufen erwischt wurde, die unablässig ausschlugen, um sich der Quälgeister zu entledigen. War das eine Plackerei!

Wenn der Vater nach einem Blick zur Uhr am Schulhausturm verkündete: «So, mer gönd meini go Zobig näh», war die Welt mit einem Schlag wieder in Ordnung. Unter einem Baum, dessen Krone so gross war, dass neben den Heuerinnen und Heuern auch noch die Pferde im Schatten Platz fanden, machte es sich jeder auf einem Arm voll Heu bequem. Der Zobigkorb aus Weidengeflecht, mit einem weissen Tuch abgedeckt, war gefüllt mit Gläsern, Messern, Aluminiumtassen, mit in Tuch eingeschlagenem Käse, mit Broten, Zweikilolaiben, die mittendurch gebrochen werden konnten. Gläser wurden verteilt und Most aus Korbflaschen ausgeschenkt, die, wo ein Bach oder Brunnen in der Nähe war, dort kühlgestellt worden waren. Die Männer tranken alten, die Frauen und wir Kinder süssen Most. Jetzt hätte die Zeit still stehen dürfen. Jetzt war es schön und gemütlich. Jetzt wurde geplaudert und gelacht.

Nach dem Most gab es Milchkaffee aus der Blechkanne, die zum Warmhalten in ein Leinentuch eingeknüpft war, dazu Käse und Brot.

Oft waren freiwillige Helfer dabei. Der bleiche Bäckergeselle in seiner Berufsmontur zog es vor, sich ein Zobig und ein Sackgeld zu verdienen, statt den Nachmittag zu verschlafen. Der griesgrämige Schulhausabwart mochte für einmal ins Lachen einstimmen. Da sass auch der pensionierte Sekundarlehrer, drahtig, mit braun gegerbtem Gesicht und schlohweissem Haar, der seinen kleinen Bissen Brot endlos lange kaute und dabei seinen Kiefer fast so rasch bewegte, wie unsere Tretnähmaschine zu rattern vermochte. Bis er seinen Brei endlich schluckte, hatten die Buben längst ihr dickes Stück verdrückt.

Als er dann auch noch herzhaft furzte, sagte er: «Jetz esch em Tokter e Füfliber dor d’Latte gange.»

Das gab zu kichern.

Abends bei der Heimfahrt wurden zwei bis vier Wagen zusammengekoppelt. Der Karrer ging links neben den Pferden, ein Knecht als Bremser links neben dem hintersten Wagen, der Vater dirigierte von der gegenüberliegenden Strassenseite her die ungeduldigen Autofahrer an den breit ausladenden Fudern vorbei.

Oben auf dem vordersten Fuder sah man nur fröhliche Gesichter. Die Mutter, die Mägde und wir Kinder sassen ausgelassen singend und scherzend inmitten der Essenskörbe, Korbflaschen, Blechkaf­feekannen. Auch der Meier sass oben bei uns. Klein, glatzköpfig und schnauzbärtig gehörte er seit über dreissig Jahren zum Inventar. Angespornt vom alten Most und mehr noch von der heiteren Gesellschaft, sang er lauthals das Lied vom Pfanneflick. Die Mägde erröteten und hielten sich beim Kichern die Hände vors Gesicht. Die Mutter sagte mit abwinkendem Zeigfinger: «He, Meier, d’Schtobe esch ned gwöscht.»

Warum sagte sie das? Das besungene Handwerk allein konnte unmöglich so reizvoll sein.

Und wer sein Handwerk gut versteht,

der leidet keine Not,

Und wer das Pfanneflicke gut versteht,

verdient sein täglich Brot.

|: Der Pfanneflick, der zieht hinaus

Und ruft sein «Pfanneflick» von Haus zu Haus. :|

Und als er kam vors Basler Tor,

eine Jungfrau stand davor.

Und als er kam vors Basler Tor,

eine Jungfrau stand davor.

|: «O Pfanneflick, komm doch herein,

es wird schon was zu flicken sein.» :|

Da gab sie ihm ein Pfännelein,

das war bedeckt mit Russ,

darinnen war ein Löchelein,

so gross wie ein Pferdefuss.

|: «O Pfanneflick, nimm dich in Acht,

dass du das Loch nicht grösser machst.» :|

Und als das Pfännlein fertig war,

das Löchlein war geflickt,

da hat sie ihm ein Silberstück

wohl in die Hand gedrückt.

|: Der Pfanneflick nimmt seinen Hut:

«Adieu Mamsell, der Flick hält gut.» :|

Und als er zog zum Tor hinaus,

da rief sie ihn zurück.

Und als er zog zum Tor hinaus,

da rief sie ihn zurück.

|: «O Pfanneflick, komm doch zurück,

denn so ein Flick hält ewig nicht.» :|

1906, Zürich
Anny Morf, *1894

Und dann kam der Vater eines Tages nach Hause und sagte: «So, jetzt wird es anders, ich habe eine Stelle in Albisrieden bei ‹Schäppi-Schweizer› in der Maschinenfabrik.»

«Gott sei Dank!»

Der Ausruf meiner Mutter, die in die Hände klatschte, liess mich ahnen, dass es bei uns besser werden sollte. Arbeit, Zahltag und ein ruhiger Vater waren ein Glück für uns alle.

Wir zügelten an die Dennlerstrasse in Albisrieden. Da standen zwei schöne Häuser, die der Fabrik gehörten. Sie hiessen «Gmeumli», und sie stehen heute noch. Eine Dachwohnung war frei für uns. Rings um die beiden Häuser lagen Gemüsegärten, Wiesen, eine Gärtnerei und ein Bauernhof, das «Meierisli». Es sah alles sehr schön aus. Mein Schulweg dauerte allerdings länger, eine halbe Stunde war es zu Fuss bis ins Dorf. Uns ging es gut. Vater kam über Mittag nach Hause, es waren ja keine hundert Schritte von der Fabrik bis zu uns. Wir erhielten auch ein Stück Land, das so gross war, dass wir Kartoffeln und viel Gemüse anpflanzen konnten. Die meisten Frauen in unserem Haus mussten Heimarbeit machen. Eine flocht Männerhüte aus Stroh, sogenannte «Kreissägen», die damals modern waren. Auf einem speziellen Ständer, den sie zwischen ihre Knie spannte, knüpfte sie Halm um Halm, bis der Hut seine Form hatte. Jeden Sonntagmorgen lieferte ihr Mann die Hüte in der Fabrik in Bremgarten im Aargau ab. Die Strohflechterei war dort weit verbreitet. Es war ein schönes Bündel, das er trug, gross, aber leicht. Mit einem Franken zwanzig bis einem Franken fünfzig Rappen kam er heim, das war der Lohn für eine Woche Heimarbeit. Für einen Hut bekam die Frau zehn Rappen. Auch wir Kinder machten alles mögliche, um ein paar Rappen zu verdienen. Jeden Herbst wanderten wir auf den «Stadtmist». Es gab damals noch keine Kehrichtverbrennung. Der Abfall wurde aufgeschichtet und im Spätherbst mit grossen Wagen auf die Felder geführt. Die Bauern pflügten dann den Stadtmist unter die Erde. Wenn der Mist auf den Feldern ausgebreitet war, gingen wir Kinder mit Säcken und Körben, manchmal mit dem Wagen, auf die Suche nach Brauchbarem. Da fanden wir Knochen, Eisenabfälle oder Blech, und das konnten wir dann in der «Lumpi» verkaufen. Für ein Kilo Knochen bekamen wir zwei Rappen, für das Metall anderthalb Rappen. Und das ergab dann manchmal doch etwa fünfzig Rappen, für uns ein Vermögen. In der kalten Jahreszeit hatte es im Stadtmist auch Kohlen. Die sammelten wir, damit wir wenigstens am Sonntag eine warme Stube hatten. Hinter der Fabrik lag immer ein Haufen Eisenabfälle vom Fräsen. Auch den durchsuchten wir, aber das war eigentlich verboten. Am meisten brauchbare Abfälle fanden wir bei Schlechtwetter. Die Arbeiter wollten nicht so lange draussen stehen, leerten die Karren schneller aus, und kein Vorarbeiter kam nachschauen. Dann lag manchmal ein Extrastück im Abfall, und ich merkte wohl, dass das uns galt. Ein mitleidiger Arbeiter hatte es für uns hingelegt. Unsere Wohnung gehörte der Fabrik. Jedem Bewohner der Fabrikhäuser stand so viel Land zur Verfügung, als er bebauen konnte. Wir pflanzten Kartoffeln und Gemüse. Ich setzte Hyazinthen in ein kleines Beet. Auch im Frühling 1906 blühten meine Hyazinthen. «In vier Wochen können wir die ersten Erbsen essen», meinte meine Mutter. Bevor aber die erste Woche vorbei war, kam mein Vater heim und sagte: «Der Streik ist beschlossen! Morgen muss ich schon um fünf Uhr Streikposten stehen.»

«Was ist das, Vater?», fragten wir.

«Wir müssen sehen, dass keine anderen Arbeiter in die Fabrik hin­eingehen. Wir wollen mehr Lohn, damit wir euch Schuhe kaufen können, wenn der Winter kommt.»

Das leuchtete mir ein. Den ganzen Sommer trug ich keine Schuhe, und wenn der erste Schnee fiel, rannte ich meist barfuss von der Schule heim. Ein paar Tage konnte ich dann nicht in die Schule. Meine Mutter musste mir zuerst ein Paar Schuhe kaufen. Die taten immer sehr weh, und meine Füsse schwollen an. Wenn der Frühling kam, waren die Schuhe schon durchlöchert. Die Streikenden forderten den Neunstundentag und wollten zwei Rappen mehr Stundenlohn. Das hätte gerade einen Liter mehr Milch im Tag gegeben. Achtzehn Rappen mussten wir den Bauern bezahlen. Mein Vater verdiente damals zwei Franken fünfundsiebzig im Tag. Die Fabrikherren wollten aber den Lohn nicht erhöhen, darum traten die Arbeiter in den Streik.

Der grösste Teil der Belegschaft ging nicht arbeiten. Streikposten standen schon frühmorgens vor dem Fabriktor von «Schäppi-Schweizer». Wenn einer doch hinein wollte, wurde ihm der Weg versperrt. Wenig später streikten auch die Arbeiter der Automobilfabrik «Arbenz», die nur einige Meter von uns entfernt war. Die Polizei kontrollierte die Strasse. Erst da erfuhren wir, dass unsere Strasse eine Privatstrasse sei, und wer nichts zu tun hatte dort, durfte weder stehenbleiben noch durchfahren. So wurde unserem Bäcker verboten, mit seinem Wagen vor unsere Häuser zu fahren. Erst als wir an jenem Tag kein Brot bekamen, hörten wir von dieser Massnahme der Fabrikleitung. In der Nähe des Restaurants «Hubertus» holten wir dann das Brot ab. Bei «Arbenz» wurden Streikbrecher eingesetzt. Die riefen Emmy und mich manchmal zu sich. Wir mussten für sie Bier und Cervelats holen und bekamen einen Fünfer dafür. Eines Tages kam ein Korporal und sagte: «Kinder, streikt euer Vater auch?» – «Ja», antworteten wir. «Dann müsst ihr für diese Männer kein Bier holen, das sind Streikbrecher, die sind gegen euren Vater.» Von da an mussten sie ihr Bier selber holen. Der Korporal war, wie ich Jahre danach erfuhr, Jacques Schmid, der spätere sozialdemokratische Regierungsrat von Solothurn.

Die Bauern des Dorfes konnten nicht begreifen, dass die Arbeiter einfach so nicht mehr arbeiteten, und gingen mit Heugabeln auf sie los. Meine Mutter musste manchen verletzten Arbeiter pflegen, bis Fritz Brupbacher, der Arbeiterarzt aus Aussersihl, kam. Polizisten und Militär wurden eingesetzt. Die Dragoner überquerten hoch zu Ross die Gemüsegärten. Die Hufe der Pferde schleuderten die Setzlinge weit in die Luft. Der Rest wurde in den Boden gestampft. An unseren Häusern kamen sie nicht vorbei, und unser Garten blieb verschont.

Eines Morgens kam der Fabrikdirektor und sagte meiner Mutter, dass sie bis Mittag die Wohnung räumen müsse.

«Da haben Sie es schriftlich. Unterzeichnen Sie hier! Die Wohnung gehört der Fabrik, und Arbeiter, die streiken, können wir nicht in unserer Wohnung dulden.»

Dann ging er die Treppe hinunter, und zu einem Streikbrecher sagte er: «Dort, jener Garten gehört Ihnen.»

Wir Kinder weinten. Meine Mutter nahm uns bei den Händen und ging mit uns in den Garten. «So, zieht alles schön heraus, was im Boden ist, und legt alles in den Karren.» Da waren Karotten und Erbsen, die wir in vier Wochen hätten essen können, Kartoffelstauden, Bohnen, Lauch, Kohl und Randen. «Warum machst du das, Mutter?», fragte ich. «Wer nicht gesät hat, soll auch nicht ernten. Das ist ein Streikbrecher, der in unsere Wohnung kommen soll. Wäre das gerecht, wenn der Vater ihm hülfe, einen besseren Lohn und kürzere Arbeitszeit zu bekommen, und ich ihm einen Garten anpflanzen würde, damit er nur nehmen könnte?»

«Sind Sie verrückt geworden?», schrie der Fabrikdirektor meine Mutter an. «Machen Sie, dass Sie aus dem Garten kommen!»

«Schnell, schnell, Kinder», feuerte uns die Mutter an. «Alles, alles muss aus dem Boden!»

Ich stand an meinem Blumenbeet und weinte. «Nimm die Hyazinthen zu dir, die blühen auch in einem Topf, wenn wir keinen Garten mehr haben.»

Dann schleppten Männer unsere Möbel aus dem Haus. Vier Tage wohnten wir auf der Strasse. Zum Glück waren es heisse Sommernächte. Arbeiter von der Gewerkschaft suchten uns eine neue Wohnung, und so kamen wir nach Altstetten in die Arbeitersiedlung «Wehrli­schloss». Der Vater war danach fast ein Jahr arbeitslos. Ich ar­beitete auch in Altstetten jeden Tag zusammen mit der Mutter an den Hemden, machte die Knopflöcher und nähte die Knöpfe an. Am nächsten Morgen war ich oft sehr müde in der Schule. Ich hatte aber einen wunderbaren Lehrer. Meine Haare waren ziemlich lang, die Mutter kämmte mich jeden Tag und flocht mir Zöpfe. Mein Lehrer band manchmal meine Zöpfe um die Lehne der Schulbank. Während des Unterrichts nickte ich vor lauter Müdigkeit manchmal ein und wäre mit dem Kopf auf dem Tisch gelandet, aber die Zöpfe hielten mich fest, und ich wachte wieder auf. Da musste ich oft die andern fragen: «Du, was hat jetzt der Lehrer gesagt?», und darum hiess es in meinen Zeugnissen beim Betragen oft «schwatzhaft».

Vielen Kindern aus meiner Klasse ging es ähnlich, die meisten Mütter mussten arbeiten, und die Kinder halfen mit. Der Lehrer kannte meine Familienverhältnisse gut. Er hatte selbst fünf Kinder, und auch seine Frau musste Heimarbeit machen. Damals waren die Lehrer in den Aussengemeinden nicht gut bezahlt.

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