Kitabı oku: «Kontakt als erste Wirklichkeit»

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EHP – Edition Humanistische Psychologie

Hg. Anna und Milan Sreckovic

Die Herausgeber

Bernd Bocian, Dr. phil., Jg. 1954; Psychotherapeut (PtG) und Gestalttherapeut mit Weiterbildung in Reichianischer Körperarbeit und Tiefenpsychologischer Psychotherapie. Von 1985 bis 2000 Redaktionsmitglied der Zeitschrift Gestalttherapie. Diverse Veröffentlichungen zum historischen und aktuellen Verhältnis von Gestalttherapie und Psychoanalyse. Autor des Buches Fritz Perls in Berlin 1893–1933: Expressionismus – Psychoanalyse – Judentum, von dem eine englische,italienische und spanische Übersetzung vorliegt. Lebt in Genua/Italien, ist dort Mitarbeiter der Quaderni di Gestalt und assoziiertes Mitglied der Società Italiana di Psicoanalisi della Relazione (SIPRe). b.bocian@libero.it

Frank-M. Staemmler, Dr. phil. Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, Jg. 1951; ist Mitbegründer des Zentrums für Gestalttherapie in Würzburg, und dort seit 1976 als Gestalttherapeut, Ausbilder und Supervisor tätig. Er ist Autor bzw. Herausgeber zahlreicher Fachartikel und mehrerer Bücher zu psychotherapeutischen Themen – zuletzt Das Geheimnis des Anderen – Empathie in der Psychotherapie und Was ist eigentlich Gestalttherapie? – Eine Einführung für Neugierige. Er war von 2002 bis 2006 Herausgeber des International Gestalt Journal und von 2007 bis 2009 Mitherausgeber der Studies in Gestalt Therapy. Er ist international in der Aus- und Weiterbildung von Psychotherapeuten tätig und tritt häufig als Referent bei Tagungen und Kongressen im In- und Ausland auf. Sein aktueller Interessenschwerpunkt liegt auf dem Gebiet der Intersubjektivitäts- und Dialogischen Selbsttheorien sowie deren Umsetzung in die therapeutische Praxis. www. frank-staemmler.de. / z.f.g@t-online.de


© 2013 EHP – Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbach www.ehp.biz

Der Beitrag von Lynne Jacobs wurde aus dem Amerikanischen übersetzt von Ludger Firneburg; Originaltitel: Insights from psychoanalytic self-psychology and intersubjectivity theory for gestalt therapists. The Gestalt Journal 1992, 15/2, 25-60.

Redaktion: Nina Zimmermann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar.

Umschlagentwurf: Gerd Struwe, Uwe Giese

Satz: MarktTransparenz Uwe Giese, Berlin

Gedruckt in der EU

Alle Rechte vorbehalten

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print-ISBN 978-3-89797-082-3

epub-ISBN 978-3-89797-566-8

pdf-ISBN 978-3-89797-567-5

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

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Inhalt

Vorwort der Herausgeber

Die Wiederentdeckung der Beziehung – Ein Paradigmenwechsel im psychoanalytischen Gegenwartsdiskurs (Martin Altmeyer)

Kontakt als erste Wirklichkeit – Intersubjektivität in der Gestalttherapie (Frank-M. Staemmler)

Von der Revision der Freud’schen Theorie und Methode zum Entwurf der Gestalttherapie – Grundlegendes zu einem Figur-Hintergrund-Verhältnis (Bernd Bocian)

Der Glanz in den Augen – Wilhelm Reich als ein Wegbereiter der Gestalttherapie (Werner Bock)

Zur Theorie regressiver Prozesse in der Gestalttherapie – Über Zeitperspektive, Entwicklungsmodell und die Sehnsucht nach Verständnis (Frank-M. Staemmler)

Der Schiefe Turm von Pisa – oder: Das unstimmige Konzept der »frühen Störung« (Frank-M. Staemmler)

Erkenntnisse der psychoanalytischen Selbstpsychologie und Intersubjektivitätstheorie für Gestalttherapeuten (Lynne Jacobs)

Geschichte und Identität – oder: Vom Wieder-in-den-Fluss-Steigen, ohne die Konturen zu verlieren (Bernd Bocian)

»Das Wichtigste ist die Flexibilität« – Ein Interview (Tilmann Moser & Frank-M. Staemmler)

Die Autoren

Anmerkungen & Literatur

Vorwort der Herausgeber

Wir alle kommen von Freud.

(Lore Perls)

Es gehört zu den historischen Tatsachen, dass sich viele moderne Formen der Psychotherapie aus der Psychoanalyse heraus entwickelt haben – sei es in enger Verbindung mit ihr, sei es in heftiger Abgrenzung gegen sie. Das gilt mit Sicherheit für die Gestalttherapie, und zwar in beiderlei Hinsicht.

Ein Teil dieser historischen Tatsachen besteht darin, dass die deutschen Begründer der Gestalttherapie ihre psychoanalytische Ausbildung in Berlin, Frankfurt am Main und Wien absolvierten. Friedrich Salomon Perls und Lore Perls mussten, wie die Mehrzahl ihrer zumeist ebenfalls deutsch-jüdischen Kolleginnen und Kollegen, vom linken Flügel des damaligen Berliner Instituts bereits im Jahre 1933 emigrieren. Der Weg der beiden Perls, der zur Gründung einer eigenen Schule führen sollte, begann als »eine Revision der Freud’schen Theorie und Methode« (so der Untertitel von Perls’ 1942 veröffentlichtem ersten Buch); diese Revision weist deutliche Parallelen zu den Revisionen anderer psychoanalytischer Freigeister auf, die in ihrer therapeutischen Praxis gleichfalls innovativ und in ihrer politischen Haltung gesellschaftskritisch waren, wie z. B. Wilhelm Reich.

Wenn sie ihre neuen Vorgehensweisen in späteren Jahren demonstrierten, haben die Perls die Unterschiede zur orthodoxen Psychoanalyse bisweilen recht einseitig betont – eine Haltung, die in der Folge zu einer forcierten Abgrenzung von Gestalttherapeuten gegenüber der Psychoanalyse führte und von Psychoanalytikern gerne mit Nichtbeachtung, Abwertung oder heftiger Kritik an der Gestalttherapie beantwortet wurde. Im Zuge solcher Auseinandersetzungen kamen die Beschäftigung mit den Gemeinsamkeiten und der kollegiale Dialog zwischen beiden therapeutischen Richtungen aus unserer Sicht viel zu kurz. Ein borniertes, auf die jeweils eigene Therapieschule begrenztes Denken ist jedoch heute nicht mehr zeitgemäß.

Als wir uns Ende der 1990er-Jahre zum ersten Mal mit der Herausgabe des Buches »Gestalttherapie und Psychoanalyse« (Bocian & Staemmler 2000) beschäftigten, verfolgten wir daher vor allem das Ziel, den Dialog zwischen Gestalttherapie und Psychoanalyse anzuregen und zu einer gleichmäßigen Aufmerksamkeit für die Verbindungen und die Differenzen zwischen ihnen beizutragen. Wir wissen natürlich nicht, inwiefern unser damaliges Buch tatsächlich dazu beigetragen hat, dass sich die Situation in den Jahren seither deutlich verändert hat. Aber es hat vielleicht einen kleinen Beitrag zu jenen erfreulichen Konvergenzen geleistet, die sich seither – nicht nur im deutschsprachigen Raum – zwischen den neueren Entwicklungen in der Gestalttherapie einerseits und der Psychoanalyse andererseits ergeben haben.

Die Konvergenzen zeigen sich nicht nur in vielen Bereichen und Aspekten der therapeutischen Theorien und Praxen, sondern auch in häufigeren und intensiveren persönlichen Kontakten zwischen Vertretern der beiden Richtungen. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen: Die neuere Psychoanalyse, insbesondere jene Strömungen, die sich »relational« bzw. »intersubjektiv« nennen, betonen inzwischen sehr viel stärker als früher die Bedeutung des aktuellen persönlichen Kontaktgeschehens zwischen Therapeut und Klient und legen sehr viel weniger Wert auf die Analyse der Übertragung. Sie nähert sich damit einer Position, die innerhalb der Gestalttherapie schon sehr viel länger vertreten wird (vgl. z. B. Staemmler 1993). Umgekehrt hat sich unter Gestalttherapeuten eine sehr viel größere Aufmerksamkeit für die entwicklungspsychologische Dimension entwickelt, wie sie in der Psychoanalyse schon sehr früh zu beobachten war.

Zugleich begannen Psychoanalytiker, den noch vor 20 Jahren nahezu ausschließlich hervorgehobenen Stellenwert der frühen Kindheit für das spätere psychische Geschehen bei Erwachsenen zu relativieren und Entwicklungen im Jugend- und Erwachsenenalter stärker zu gewichten. Dieser neuere Blickwinkel »würdigt das Phänomen der Entwicklung als einen fortwährenden, lebenslangen Prozess, der nicht nur eine Vergangenheit hat, sondern auch in der Gegenwart existiert und sich auf eine Zukunft zubewegt« (Emde 2011, 779) und nähert sich damit gestalttherapeutischen Positionen deutlich an. Auf der anderen Seite hat die Gestalttherapie ihren früher übertrieben engen Fokus auf das Hier-und-Jetzt deutlich erweitert und schenkt der Zeitdimension als einem Kontinuum ausgiebigere Beachtung (vgl. z. B. Polster 1985; Staemmler 2001; 2011).

Auch auf persönlicher Ebene hat sich einiges getan. So begegnen viele Gestalttherapeuten und Psychoanalytiker einander inzwischen mit Aufgeschlossenheit und Interesse; z. B. kooperieren sie nicht nur im Rahmen von Tagungen, Arbeits- und Supervisionsgruppen oder Buchprojekten, sondern lassen sich auch auf freundschaftliche Beziehungen ein. In einem Interview mit der italienischen Gestalttherapeutin Margherita Spagnuolo Lobb sagt die intersubjektive Psychoanalytikerin Donna Orange:

In dieser Periode meines Lebens schreibe ich nicht nur für Psychoanalytiker, sondern für alle, die ich als Humanisten in der Psychotherapie definiere, zu denen ich besonders die Gestalttherapie rechne. Ich arbeite mit Personen wie Lynne (Jacobs), Frank (Staemmler), Dan (Bloom) und jetzt mit dir sowie anderen Gestalttherapeuten zusammen – Personen die ich sehr schätze –, und ich will nicht mehr exklusiv für Psychoanalytiker schreiben. (Orange & Spagnuolo Lobb 2010, 25)

Wir können in diesem Zusammenhang auch von eigenen positiven Erfahrungen berichten: Bernd Bocian ist in Italien seit Jahren assoziiertes Mitglied der Genueser Gruppe der SIPRe (Italienische Vereinigung der relationalen Psychoanalyse), wo er u. a. an einer Intervisionsgruppe teilnimmt. Dort hat er die Erfahrung gemacht, dass sein ins Englische und ins Italienische übersetztes Buch »Fritz Perls in Berlin« (Bocian 2007; engl.: 2010; ital.: 2012) auch bei psychoanalytischen Kollegen auf Interesse stößt, was zu positiven Rezensionen in wichtigen psychoanalytischen Fachzeitschriften (Ricerca Psicoanalitica; Psicoterapia e Scienze Umane) geführt hat. Die italienischen Gestalttherapeuten der Gruppe von Margherita Spagnuolo Lobb stehen übrigens seit einigen Jahren in freundschaftlich-kritischem Austausch mit Daniel Stern von der Boston Change Process Study Group.

Frank-M. Staemmler unterhält persönlichen Kontakt mit Bob Stolorow (vgl. z. B. Stolorow 2007a; Stolorow, Brandchaft & Atwood 1996) und ist befreundet mit Donna Orange (vgl. z. B. Orange 2004; 2011), zwei Psychoanalytikern der intersubjektiven Orientierung, die in entsprechenden Veröffentlichungen ihre weitgehende Übereinstimmung mit seinen Positionen, zum Beispiel zum Thema Empathie (Staemmler 2009), bekundet haben (vgl. Orange 2009; Stolorow 2007b).

Als wir nun vor der Wahl standen, das Buch aus dem Jahr 2000 entweder einfach nur neu aufzulegen oder aber es zu überarbeiten, wurde uns klar, wie umfangreich und weitgehend die seither stattgefundenen Veränderungen sowohl innerhalb der Psychoanalyse als auch innerhalb der Gestalttherapie gewesen sind. Wir haben uns daher entschieden, einige zusätzliche Texte in das hiermit nunmehr unter verändertem Titel erscheinende Buch aufzunehmen, die schlaglichtartig die Konvergenzen der letzten Jahre beleuchten.

Wir haben dabei weder den Anspruch, eine umfassende Bestandsaufnahme des aktuellen Diskussionsstandes zu leisten – es gibt erfreulicherweise schon sehr viel mehr Literatur zum Thema als wir in dieses Buch aufnehmen konnten –, noch die Absicht, die grundlegenden erkenntnistheoretischen Fragen zu behandeln, die sich aus den verschiedenen anthropologischen und philosophischen Grundannahmen beider Therapieverfahren ergeben. Das alles wäre sicher wünschenswert und interessant, kann aber nicht zugleich geschehen.

Das Buch beginnt mit einem kurzen Beitrag von Martin Altmeyer, in dem dieser die »Wiederentdeckung der Beziehung« in der Psychoanalyse als einen Paradigmenwechsel würdigt und in ihrer Bedeutung für die Praxis charakterisiert. In dem darauf folgenden Text von Frank-M. Staemmler (»Kontakt als erste Wirklichkeit«) geht es gleichfalls um die grundlegende Bedeutung des unmittelbaren Kontakts sowie der intersubjektiven Dimension in der Psychotherapie; viele der dabei verwendeten Quellen werden heute sowohl von fortschrittlichen Gestalttherapeuten als auch von modernen Psychoanalytikern zur Begründung ihrer jeweiligen Positionen herangezogen.

Es folgt ein umfangreicher Text von Bernd Bocian, der die historischen Entwicklungen detailliert nachzeichnet, in deren Verlauf die Gestalttherapie sich formiert hat. Er macht deutlich, dass die beiden Perls zwar durch die Verarbeitung unterschiedlicher Einflüsse und durch die Zusammenarbeit mit Paul Goodman in Amerika zum Entwurf eines eigenen Ansatzes kamen. Darin aber integrierten und bewahrten sie zugleich wertvolle Impulse, die der Freudianischen Psychoanalyse zu einem großen Teil durch die von ihren orthodoxen Vertretern praktizierte Ausgrenzung Andersdenkender verloren gegangen sind. Dies wird am Beispiel Wilhelm Reichs in besonderer Weise deutlich. Darum haben wir der Übersicht von Bernd Bocian einen Text von Werner Bock beigestellt, der sich eingehend mit der wichtigen Bedeutung des psychoanalytischen ›Dissidenten‹ Wilhelm Reich für die Entwicklung der Gestalttherapie befasst.

Auf diese historisch orientierten Kapitel folgen drei Beiträge, die sich schwerpunktmäßig mit praktisch-therapeutischen Fragen befassen und dabei sowohl aus psychoanalytischen als auch aus gestalttherapeutischen Quellen schöpfen. Frank-M. Staemmler erläutert sein gestalttherapeutisches Verständnis von der Arbeit mit regressiven Prozessen, wobei er sich einerseits vom psychoanalytischen Regressionsbegriff abgrenzt, zugleich aber auch auf wichtige analytische Autoren und ihre Regressionskonzepte zurückgreift. In einem weiteren Beitrag setzt sich Frank-M. Staemmler kritisch mit dem Konzept der sogenannten frühen Störung und ihren theoretisch praktischen Implikationen auseinander. Lynne Jacobs, die die oben erwähnten Konvergenzen personifiziert und sich sowohl als Gestalttherapeutin als auch als intersubjektive Psychoanalytikerin versteht, versucht in ihrem Kapitel, Parallelen zwischen neueren Strömungen innerhalb der Psychoanalyse, nämlich Objektbeziehungstheorie und Intersubjektivitätstheorie, und gestalttherapeutischen Positionen aufzuzeigen.

In einem weiteren Beitrag vertritt Bernd Bocian die Ansicht, dass es sich bei dem Entwurf der Gestalttherapie von Perls, Hefferline und Goodman (1951) um ein innovatives Projekt handelte, das die Tradition einer interaktiv verstandenen Psychoanalyse aufnahm und konsequent weiterführte. Zudem weist er auf die Potenziale hin, die sich für eine so kontextualisierte Gestalttherapie heute ergeben.

Das Buch schließt mit einem Interview, das Frank-M. Staemmler mit Tilmann Moser über einige historische und aktuelle Themen geführt hat, die das Verhältnis zwischen Psychoanalyse und Gestalttherapie betreffen.

Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern eine anregende Lektüre. Wenn Sie Feedback für uns haben, freuen wir uns; unsere E-Mail-Adressen finden Sie im Verzeichnis der Autoren. Rückmeldungen an die einzelnen Autoren leiten wir gerne an diese weiter.

Abschließend wollen wir noch darauf hinweisen, dass wir der besseren Lesbarkeit zuliebe auf die Verwendung maskuliner und femininer Formen verzichtet haben. Wir bitten natürlich besonders die Leserinnen um ihr Verständnis dafür und hoffen, dass sie sich auch durch die konventionellen, maskulinen Formulierungen angesprochen fühlen können.

Bernd Bocian und Frank-M. Staemmler

Martin Altmeyer
Die Wiederentdeckung der Beziehung – Ein Paradigmenwechsel im psychoanalytischen Gegenwartsdiskurs

Die Psychoanalyse hat das Graben in der Tiefe übertrieben. Im Fluss des Lebens fließt alles mehr oder weniger weit oben. Die allertiefste Tiefe ist eine Illusion. (Sudhir Kakar, Indischer Psychoanalytiker)

1. Die intersubjektive Wende: Modernisierung der Psychoanalyse

Obwohl es sich im Kern um die Entfaltung eines ureigenen Potenzials der Psychoanalyse handelt – um eine Wiederentdeckung der Beziehung nämlich –, kann man bei dieser Tendenz, die seit den 1980er-Jahren zu erkennen ist, von einem Paradigmenwechsel sprechen. Etwas verkürzt können wir es so ausdrücken: Was seit der Aufgabe der Verführungstheorie zum »äußeren Faktor« erklärt worden, als »durchschnittlich zu erwartende Umwelt« (H. Hartmann) neutralisiert geblieben oder in esoterischen Tiefenspekulationen über eine aparte Innenwelt ganz aus dem psychoanalytischen Blick verschwunden war, kehrt in die Theorie und klinische Praxis der Psychoanalyse zurück: die für die Psyche konstitutive Bedeutung von sozialen Beziehungen und einer widerständigen Außenwelt.

Mit dieser Rückkehr wird nicht nur der entscheidenden Wirkung von Interaktion und Handeln auf die Strukturbildungen der Psyche Rechnung getragen, sondern auch das Denken-in-Beziehungen von Innen, Außen und Zwischen psychoanalytisch erneuert. Diese Erkenntnis nötigt dazu, unser dynamisches Verständnis des psychischen Geschehens aus den Beschränkungen eines epistemisch überholten Organismus-Modells heraus zu lösen, das uns immer noch glauben lässt, die Seele sei eigentlich im Körper zu Hause und suche bloß notgedrungen Kontakt zur physischen und sozialen Umwelt. Stattdessen wird die Psyche heute eher als Organ der Vermittlung von innen und außen verstanden, das dementsprechend strukturiert ist. Die Psyche ist ihrer Natur nach relational; es gehört zu ihren Hauptfunktionen, zwischen Innen und Außen, Selbst und Objekt, Ich und Realität zu vermitteln. Der Mensch ist keine Monade. Das werdende Subjekt bedarf nicht nur einer »haltenden«, sondern auch einer resonanten und responsiven Umgebung, wenn es so etwas wie Identität ausbilden will: der Spiegelung im Anderen, der Anerkennung durch signifikante Bezugspersonen, einer »freundlichen« Realität. Im lächelnden Gesicht der Mutter erhält der Säugling eine erste Ahnung davon, wer er ist: Wenn ich gesehen werde, bin ich. Auf die identitätsstiftende Wirkung intersubjektiver Spiegelung hat schon Donald Winnicott (1971) verwiesen, den man innerhalb der Psychoanalyse zusammen mit Michael Balint (1969) und Hans Loewald (1986) zu Recht als Pionier ihrer intersubjektiven Wende würdigt.

Wer die Theoriegeschichte der Psychoanalyse rückwärts liest, wird ihren relationalen Charakter bereits in Freuds Formulierung entdecken, das Ich verdanke sich dem Niederschlag vergangener Objektbeziehungen und könne als eine Art Sediment seiner eigenen Interaktionsgeschichte begriffen werden (Freud 1923/1940). Auch das lebenslange Bedürfnis geliebt zu werden, das Freud zum Kern des Narzissmus erklärt (Freud 1914/1963) und entwicklungspsychologisch aus der neonatalen Abhängigkeit des Säuglings ableitet (Freud 1926/1948), steht quer zu seiner Triebpsychologie, die den Narzissmus bekanntlich als libidinöse Besetzung des Selbst definiert und zur objektlosen Selbstliebe erklärt hatte (vgl. Altmeyer 2004).

Allerdings handelt es sich bei solchen Fundstücken um eine metapsychologische Seitenlinie im Werk des Begründers der Psychoanalyse, den man deshalb nicht zum Urvater ihrer intersubjektiven Wende erklären sollte. Denn ungeachtet der Einsprüche, z. B. von Sandor Ferenczi (1932/1984), blieb Freud in der von Descartes gebahnten Spur eines Innen-Außen-Dualismus befangen, der ein vermittelndes Drittes und damit ein Zwischen (= Inter) nicht kennt. Die metapsychologische Trennung von Subjekt und Objekt spiegelte sich auch im antagonistischen Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, Trieb und Kultur, Fantasie und Realität – Gegensätze, die Freud weitgehend unvermittelt ließ. So übertrug sich die monadologische Perspektive der Triebtheorie in die Strukturtheorie, in die Entwicklungspsychologie und in die klinische Theorie und konnte sich selbst auf die psychoanalytische Sozialpsychologie ausdehnen, wo die intrapsychischen Begriffe im gesellschafts- und kulturkritischen Anwendungsdiskurs sozialpsychologisch überdehnt wurden.

Prominente Vertreter der Psychoanalyse, die deren latente Intersubjektivität zu entfalten versuchten (wie John Bowlby, Harry Stack Sullivan, W. R. D. Fair-bairn, Sandor Rado oder Erich Fromm), wurden als »Dissidenten« ausgegrenzt oder verließen freiwillig die psychoanalytische Vereinigung, um eigene Schulen aufzubauen. Dazu gehörten nicht zuletzt auch Carl Rogers und Fritz Perls mit ihren Bemühungen, vom trieb- und Ich-psychologischen Mainstream ihrer Zeit abweichende psychotherapeutische Methoden zu entwickeln.

Inzwischen hat die intersubjektive Wende sämtliche Schulen des psychoanalytischen Pluralismus ergriffen, wenn auch in unterschiedlicher Reichweite und Tiefe. Heute rechnen sich die meisten Strömungen, von den (Post-) Kleinianern und Bionianern bis hin zur Selbstpsychologie, von den Adler-Schülern bis zu denen von C. G. Jung einer – in einem übergreifenden Sinne des Begriffs – relationalen Psychoanalyse zu (als »Relationale Psychoanalyse« im engeren Sinne bezeichnet sich eine eigene, von Stephen Mitchell und Jessica Benjamin begründete Schule). Die Amöbensage ist verabschiedet, und man stützt sich übereinstimmend auf eine intersubjektive Entwicklungstheorie. Ein dialogisch-interaktives Verständnis der analytischen Situation wird miteinander geteilt. Eine Philosophie der Beteiligung, der Aktivität, des Engagements hat die klassische Vorstellung von der Neutralität des Analytikers ersetzt, der einmal als objektiver Beobachter, weiße Wand oder glatter Spiegel fungieren sollte.

Die Unterschiede der verschiedenen Strömungen betreffen auf klinischer Ebene eher praktische Fragen, etwa die Art der Rollenverteilung zwischen Analytiker und Analysand, die spezifische Qualität der therapeutischen Beziehung, die Balance von Selbstoffenbarung und Zurückhaltung (vgl. Mitchell 2003). Solche Fragen aber hängen von der Schaffung einer therapeutischen Atmosphäre ab; sie sind eng an die Person des Analytikers oder der Analytikerin gebunden, insbesondere an deren Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit, und deshalb auch nicht allgemein zu beantworten.

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