Kitabı oku: «Literaturvermittlung und Kulturtransfer nach 1945», sayfa 7

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Wechselseitige Erhellung von theologischem und literarischem Diskurs durch redaktionelle Komposition

Das erste Heft von Wort und Wahrheit beginnt 1946 mit dem Gedicht Menschheit von Georg Trakl, setzt fort mit dem Text Mensch und Wahrheit von Augustinus und bietet dann die Vorrede zu Adalbert Stifters Bunten Steinen. Diese Auswahl ist Programm im Sinne eines Bekenntnisses zum Hochkanonisierten, eben zu dem, was weder literarisch noch theologisch in seiner Dignität bestreitbar und schon gar nicht mit der jüngeren Vergangenheit in Verbindung zu bringen war.

Das Gedicht von Trakl entstand 1912 in Salzburg, nachdem dieser seinen militärischen Probedienst als Landwehrmedikamentenakzessist in Innsbruck abgeleistet hatte. Der Erstdruck erfolgte in der Zeitschrift Der Brenner, die von Ludwig von Ficker, einem der besten Freunde Trakls, herausgegeben wurde. Die Betitelung Menschheit deutet sofort eine universelle Perspektive an. Das Gedicht stellt ein eindeutig beunruhigendes, düsteres Bild der Menschheit dar, eine dunkle Anthropologie. Was dessen Popularität in der Nachkriegszeit betrifft, so lässt sich feststellen, dass Trakls Gedichte zwischen 1945 und 1953 den absoluten Höhepunkt an Popularität erreichten. „Vor allem hat man in Trakl [...] den ‚Phänotyp des untergehenden Abendlandes‘ gesehen, entweder unter dem eschatologisch-hoffnungsvollen Aspekt einer christlichen Deutung oder unter dem der existenzphilosophischen Fragestellung“.6

Der Text des Gedichts wird redaktionell apodiktisch gesetzt und nicht kommentiert. Es soll für sich selbst sprechen, von sich selbst zeugen, und dies tut das Gedicht auch umso mehr, je genauer die österreichische Druck- und Rezeptionsgeschichte des Textes als bekannt vorausgesetzt werden darf. Auf diese Weise ist das ganze erste Heft aufgebaut, wobei die ausgewählten Texte inhaltlich eine Linie über die Motive von Verzweiflung, Nacht und Kreuz bis zur Auferstehung markieren. In diesem Sinne lässt sich bereits das Inhaltsverzeichnis programmatisch lesen: Wir finden Joris-Karl Huysman mit Crucifixus; Zeno von Verona mit Ostern; Alois Dempf mit Hoffnung auf Klarheit; Wilhelm Czabo mit Plötzlich nach langen Jahren, die Ölbergnacht und schließlich Charles Péguy mit Die Hoffnung.

Den „eschatologisch-hoffnungsvollen Aspekt“ finden wir auch im ersten Heft von Wort und Wahrheit, und zwar nicht nur in Verbindung mit Trakl-Texten. Als zweiten Beitrag bietet das Heft einen Auszug aus den Confessiones des Augustinus in einer Übertragung des Schriftleiters Karl Strobl, und zwar Ausschnitte aus dem VII. und X. Teil. Der VII. Teil schließt bei Augustinus mit der persönlichen Geschichte seiner Bekehrung und erzählt vom Durchbruch zum Neuen Menschen, der den alten Sünder hinter sich gelassen habe. In dieser Passage wird ein Satz durch Kursivierung hervorgehoben: „Für seine Schuld nimmst du den Menschen in Zucht und meine Seele läßt du wie ein Spinngewebe zergehen“.7 Das hatte 1946 natürlich aktuelle Bedeutung, als nur wenige von Schuld zu sprechen wagten. Der X. Teil ist der Gotteserkenntnis gewidmet: „Wo also habe ich Dich gefunden, daß ich Dich kennen lernte: wenn nicht in mir, über mir?“8 Auf den Ton tiefster Verzweiflung in Trakls Menschheit folgt also ein absolut unantastbarer Text aus der Patristik, in dem ebenfalls ein Weg aus größter Sünde und tiefster Verzweiflung klar ausgesprochen wird.

Im programmatischen Vorwort Stifters zu den Bunten Steinen, das als dritter Text in Wort und Wahrheit angeordnet ist, lesen wir Folgendes:

Wenn aber jemand jedes Ding unbedingt an sich reißt, was sein Wesen braucht, wenn er die Bedingungen des Daseins eines Anderen zerstört, so ergrimmt etwas Höheres in uns, wir helfen dem Schwachen und Unterdrückten, wir stellen den Stand wieder her, daß er ein Mensch neben dem andern bestehe und seine menschliche Bahn gehen könne, und wenn wir das getan haben, so fühlen wir uns befriediget, wir fühlen uns noch viel höher und inniger, als wir uns als Einzelne fühlen, wir fühlen uns als ganze Menschheit. Es gibt daher Kräfte, die nach dem Bestehen der gesamten Menschheit hinwirken, die durch die Einzelkräfte nicht beschränkt werden dürfen, ja im Gegenteile beschränkend auf sie selber einwirken.9

Ebenso wie in Trakls Gedicht erfolgt hier ein Appell an die Menschheit als Ganzes, an die Menschheit vor dem Angesicht Gottes. Die ganze Menschheit als Gattung anstelle einer individuellen Person anzusprechen, hier über die theologischen Dogmen der Erbsünde und der ursprünglichen Verdorbenheit der menschlichen Natur, die – so ein möglicher oder nahegelegter Schluss – deswegen der Sünde des Nationalsozialismus anheimgefallen ist, stellt für die ersten Nachkriegsjahre nicht nur ein charakteristisches Thema, sondern auch eine zeittypische Technik dar.

Für die Herausgeber ist an diesem Text vor allem die Klarheit der Sprache des Gedankens wichtig, die keiner Erläuterung von Andeutungen und Hintergründen bedarf.

Nach diesem Prinzip ist auch das Profil der Zeitschrift aufgebaut. Darin sahen die Verantwortlichen, und vor allem Otto Mauer, die Haupteigenschaft des „Wortes“, dass es nämlich auf Wahrheit hin gerichtet, aus sich selbst heraus klar sein und damit der geistigen „Klarheit“ entsprechen solle. Beispiel und Programm dafür bietet der Beitrag Hoffnung auf Klarheit von Alois Dempf, in welchem er Wege aus dem „Dritten Humanismus“ als dem „faschistisch politischen Nur-Humanismus ohne Christentum“10 sucht und sie in der Klarheit der christlichen Orthodoxie findet: „das heißt die Klarheit der methaphysisch begründeten Rechtgläubigkeit, mit sittlicher Treue und mystischer Innigkeit“.11 „Die Hoffnung auf Klarheit wird erfüllt sein, wenn die volle makrokosmische Ordnung aus der ganzen mikrokosmischen Ordnung wieder erkannnt ist, und der ‚große‘ und der ‚kleine‘ Mensch wiederum versöhnt sind in der rechten Rangordnung der Gnade, der Freiheit und der Liebe“.12

Wahres vs. unwahres Wort in beiden Diskursen

Otto Mauer entwickelt in seinem programmatischen Artikel Zur Metaphysik der bildenden Kunst in Wort und Wahrheit von 194613 ein ähnliches Programm wie Ignaz Zangerle in seinem Aufsatz Die Bestimmung des Dichters im ersten Nachkriegsheft des Brenner: Die Kunst dürfe die Wirklichkeit nicht verschönern und dadurch verfälschen, sondern solle Wahrheitsträger sein. Ihr Ziel sei die Darstellung des eigentlich Schönen, das immer von ethischer Qualität sei:

Das wahre Kunstwerk aber besitzt kathartische Wirkung; es spiegelt die Ordnungen des Seins kristallen wider, und sein sittliches Pathos verleiht ihm religiösen, ja priesterlichen Rang. [...] Schönheit besteht nicht allein in formalen […] Maßverhältnissen, sondern besitzt ein ontisches Fundament, dessen Existenz sie gleichzeitig der Gefahr enthebt, als reine Subjektivität des Beschauers verstanden zu werden. Schönheit ist jene überwältigende Glorie, jene Herrlichkeitsstrahlung, womit sich die Wahrheit und Güte der Dinge dem Erkennenden offenbart: Splendor veritatis.14

Mauer setzt sich mit dem klassizistischen Kanon des Schönen auseinander, das in der Suche nach dem Idealen und der „besseren Welt“ keinen Platz mehr für die Realität hat, und stellt ihm den christlichen Kanon des Schönen, Wahren und Realen entgegen.

Im Gegensatz zu sprachkritischen Einstellungen der Zeit etwa bei Ilse Aichinger, durch deren Sprachmisstrauen die Möglichkeit einer positiven Aussage reduziert wird, und noch radikaleren Sprachskeptikern wie Paul Celan und Theodor W. Adorno mit ihrem Verzicht auf jede Sprache, deren Apophatik nur von Hilflosigkeit zeuge, versucht Mauer, sich der Säkularisierung des Wortes zu widersetzen und dessen wahre Tiefe durch die Verbindung mit dem Logos, durch eine positive, kataphatische Aussage zurückzugewinnen.

In diesem Sinne meint die titelgebende Formel „Wort und Wahrheit“ die läuternde, reinigende Vereinigung von Literatur und Theologie. Wort und Wahrheit liegt ein Verständnis von christlicher Literatur zugrunde, das von einem christlich geprägten Teilkanon der Hochliteratur über religiöse Belletristik der Gegenwart bis hin zu theologischen Texten von Hans Urs von Balthasar, Henri de Lubac und anderen reichte. Das eigentliche Zeitschriftenprogramm erläuterte 1946 der Artikel Wort und Wahrheit von Karl Strobl als „Schriftleiter“, in dem das mit dem Zeitschriftentitel angezeigte Grundanliegen zunächst theologisch begründet wird:

Gottes Wort allein faßt nicht nur die ganze Wahrheit in sich, sondern ist die Wahrheit. Im Worte Christi, des Gottmenschen, wird ein neuer, pneumatologischer Zusammenhang zwischen Wort und Wahrheit sichtbar. Das sinnenfällige Wort, von Natur dem Menschen gegeben, wird auf das göttliche Wort, den Logos, hin transparent“.15

Daraus wird eine spezifisch christliche Ästhetik abgeleitet, die die Textauswahl der Zeitschrift leiten soll: „Auch das Wort des Dichters, dem es gelingt, die Wahrheit so darzustellen, daß sie im Glanz des Schönen aufleuchtet, erhält im Bereich des Christlichen seine Bedeutung“.16

Das wahre Wort als gemeinsamer Fluchtpunkt und gemeinsame Quelle

Der Bezug zur „Wahrheit“, zum Christlichen, rangiert in den erschließbaren Redaktionsprinzipien höher als jedes allgemein-ästhetische Kriterium. Infolgedessen betreibt die Zeitschrift die Festigung eines spezifisch christlich-literarischen Kanons, in dem neben Stifter und Kafka auch Paula Preradović, Felix Braun und Wilhelm Szabo stehen.

In engster Verbindung mit diesen literarischen Texten und ohne Markierung irgendeiner Diskursgrenze wurden in Wort und Wahrheit zahlreiche Beiträge zur Nouvelle Théologie von Charles Péguy, Jean Daniélou, Yves Congar, Henri de Lubac oder Karl Rahner, sowie als weiterer Schwerpunkt die Kirchenväter Augustinus, Johannes Chrysostomos und andere veröffentlicht.

Eine Erneuerung der vom realen Leben abgegrenzten Theologie war eine notwendige Antwort auf die Forderungen der Moderne. Das Programm dieser Erneuerung findet sich in einem Artikel von Jean Daniélou mit dem Titel Die gegenwärtigen Richtungen des religiösen Denkens.17 Daniélou meint, es sei eine Rückkehr zu den Quellen, zur Bibel und zu den Kirchenvätern notwendig, um eine richtige Antwort auf die Forderungen der Moderne zu finden. Im Zentrum des modernen Denkens steht ein Begriff der Geschichte, der im Thomismus völlig abhandengekommen, für die patristischen Systeme von Irenäus, Origenes und Gregor von Nissa aber typisch war. Denn, so Daniélou, der „norwegische Theologe Molland hat festgestellt, daß der Begriff des ‚Bildes‘ den Kirchenvätern denselben Dienst leistete wie der der ‚Evolution‘ unseren Zeitgenossen: er ermöglicht es, geschichtlich zu denken!“178

Notwendig sei eine biblische, patristische und liturgische Erneuerung. Dazu komme der Kontakt mit dem zeitgenössischen Denken und dem Leben. Marxismus und Existentialismus seien beide Ansprechpartner der Theologie in der Moderne, denen sie mit ihren Antworten auch entsprechen solle. Die Theologie soll so zu einer neuen Auffassung der Geschichte kommen und sich von der Vorstellung lösen, dass die Erlösung „nur das Ziel hätte, den Menschen zu seinem anfänglichen Zustand zurückzuführen, so daß es anscheinend besser gewesen wäre, wenn niemals etwas geschehen, wenn alles in der ursprünglichen Unbeweglichkeit geblieben wäre“.19 Die Theologie solle Hand in Hand mit der Spiritualität gehen und dem modernen Menschen den Sinn seines Lebens erklären.

Dasselbe Programm wurde auch in der Schweiz von Hans Urs von Balthasar, einem wichtigen Gesprächspartner von Otto Mauer, entwickelt. Die theologische Erneuerung war international, und von ihr – und nicht von der Kunst – wurde offenbar die wahre Erneuerung erwartet. Hier liegt ein Zentrum der Programmatik von Wort und Wahrheit. Daraus erklärt sich auch das eigenwillige Nebeneinander von überwiegend französischen Theologen und überwiegend deutschsprachigen Autoren in der Zeitschrift. Die große Zahl französischer Theologen und Kirchenväter entsprach einerseits der Idee der „Rückkehr“ zu den Quellen, andererseits sollte sie Internationalität und Abwendung vom Provinzialismus österreichischer Prägung signalisieren.

Kommentare zur Dichtung – Rolle der Theologie?

Otto Mauer kommentierte zwei Parabeln seines Lieblingsautors Franz Kafka – Eine kaiserliche Botschaft und Der Schlag ans Hoftor. In ersterer wird von einer Botschaft berichtet, die der sterbende Kaiser einem Boten übergibt, um sie „dir, dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen“ zu überbringen, woran derselbe scheitert, da ihm immer neue Personen und Paläste im Wege stehen, „und so weiter durch Jahrtausende [...]. Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten“.20 Wir haben es mit einer Parabel zu tun, die aus der Perspektive der existentialistischen Tragik vom evangelischen Ereignis berichtet. Der Kaiser ist tot und die Botschaft wird nie überbracht. Nicht zufällig wird dieser Parabel eine andere entgegengestellt, die noch näher, unmittelbarer an der Zeit war. In Schlag ans Hoftor wird von den Geschwistern erzählt, die auf dem Nachhauseweg an einem Hoftor vorbei gehen, und die Schwester schlägt (oder vielleicht auch nicht) an das Tor. Darauf wird der Bruder sofort in einem Bauernhof gefangen genommen und verurteilt, ohne Schuld, aber auch ohne „Aussicht auf Entlassung“.21 „Es fällt auf “ – so Ingeborg Scholz –, „wie wenig Beachtung gerade diese Erzählung in der Literatur über Kafka gefunden hat, obwohl sie nach unserer Meinung inhaltlich und formal als ein Modellfall Kafkascher Kurzprosa gelten kann.“22 Diese Parabel gibt Otto Mauer Anlass, sich mit der höchst aktuellen Frage der Schuld, der „Vielleicht-Schuld“, der „kollektiven Schuld“, die er entschieden ablehnte,23 auseinanderzusetzen. Bei Kafka wird über die gemeinsame Schuld der Geschwister als etwas Selbstverständliches gesprochen, womit auch die Austauschbarkeit der Person angedeutet wird, denn statt der „schuldigen“ Schwester begnügen sich die Reiter mit dem Bruder. Ingeborg Scholz deutet die wahre Schuld des Bruders als „Zerstreutheit“, als „fatalen Mangel an Sammlung der Gedanken in Richtung auf das ‚Wichtigste‘“.24 „Es gibt keinen fataleren Fehler, den ein Mensch in Kafkas Sicht begehen kann, als dem nahenden Unheil mit so sprühendem Leichtsinn zu begegnen. [...] Die Zeit wird als Punkt, nicht als Kontinuität sichtbar“,25 deutet Scholz als Literaturwissenschaftlerin, das heißt, sie gewinnt „das ungeheure Gewicht der Einmaligkeit und Endgültigkeit“ von dem „immerwährenden Augenblick, in dem alle Zeiten zusammenfallen“.26 Mauer spricht in seiner eigenen Terminologie von der „Eschatologie des Ich“.

Gleichwohl Mauer einen literarischen Gegenstand behandelt, verwendet er in seiner Beschreibungssprache ausschließlich theologische Kategorien: „Die Erlösungsfrage wird übersprungen, wird unterdrückt angesichts ihrer Vergeblichkeit, ja Unzulässigkeit“.27 Vergleichend ziehen wir die Analyse von Scholz aus dem Jahre 1981 heran, die eine ganz andere Lesart vertritt und behauptet, das Schlüsselwort und die Verrätselung der Geschichte in der Doppelfunktion der „Pritsche“ in der Bauernstube ausmachen zu können, die gleichzeitig auch „Operationstisch“ sei, auf dem man zwar völlig ausgeliefert, wo aber allein Heilung möglich sei. Jürg Beat Honegger bemerkt zur Strafkonzeption bei Kafka: „Die Schuld hält den Schuldigen gefangen; kein Ausweg bietet sich an. Einzig das Gericht kann zur Befreiung werden und die Möglichkeit frei sich entfaltender Beziehungen neu erschließen […]“.28 Oder, wie Kafka an einer anderen Stelle selber formuliert: „Der Schreck und der Schmerz haben dem Mann die Erlösung gebracht“.29 Die Schlussfolgerung daraus lautet bei Scholz: „Wenn die Hoffnung auf Entlassung aus den Räumen des Gerichts nicht aufgegeben wird, gibt es weder Gnade noch Erlösung“.30 Dieser komplexe und für Kafka typische, paradoxe Gedankengang wird von Otto Mauer völlig übersehen, und dies nicht zufällig. Die Idee der Strafe, ohne die keine Erlösung möglich ist, war einerseits sehr nahe an der Zeitgeschichte mit ihren zahlreichen Gerichtsverfahren gegen Nationalsozialisten und zudem sogar aus der theologischen Perspektive korrekt, passte aber andererseits gar nicht ins österreichische Selbstbild und wurde deshalb teilweise auch unbewusst unterdrückt. Mauers Artikel wird, in seinem Ansatz selbst einer Fabel gleich, mit einer Belehrung und einem Appell an die Leser geschlossen: „Wir Bürger einer grausamen Welt: soll sie methaphysisch zu Aussichtslosigkeit bestätigt werden (das Dasein ein immenses K.Z. der Qualen)? [...] So verblieb er [Kafka] in einer Welt des Dunkels, der Daseinsangst und einer ungetrösteten Verzweiflung; verblieb er mit Gewissenhaftigkeit unter dem Gerichte, unkundig der Gnade!“31 So entwickelt sich aus der Besprechung des literarischen Werkes ein theologisches Urteil über dessen Autor.

Dasselbe passierte auch mit Bertolt Brecht und seinem Guten Mensch von Sezuan in der Besprechung der Erstaufführung am Theater in der Josefstadt, die das erste Heft abschließt. Mauer trägt wieder ausschließlich christliche Kriterien und Kategorien an die Aufführung heran. Weder wird über die Aufführung selbst gesprochen, noch ein Wort über Regie, Schauspieler, Bühnenbild usw. verloren, sondern allein die Frage betrachtet, welche Weltordnung hinter dem Stück steht. Und mit tiefster Empörung stellt Mauer fest, dass Brecht, der das Damaskuserlebnis des Paulus und die Begegnung mit dem Gekreuzigten nicht gehabt habe, nur Verzweiflung stifte: „Wir verargen niemandem seine Verzweiflung, aber wir raten und gebieten den Verzweifelten Schweigen und Einsamkeit und begreifen eine gespielte Verzweiflung nicht, die die Bühne sucht“.32 Interessanterweise hält Mauer gerade dieses Stück nicht für Brechts stärkste Schöpfung: „Wir empfinden den Ton und die Frage der Zeit; unzeitgemäß (ewig unzeitgemäß!) aber ist die Antwort“.33 „Nirgends mehr ein Aufruf zum Handanlegen, zum Aufbau, zum tätigen Mitleid, zur Revolution des guten, des klugen, des starken Herzens!“34 Dabei übersieht Mauer, dass Brecht eben keine Antwort gibt, sondern das Ende offen lässt, und gerade dieses offene Ende wurde von vielen späteren Regisseuren – und nicht nur von ihnen – als Revolution zum neuen Humanismus verstanden.

Auf diese Weise verfehlt Mauer selbst die Intentionen von Wort und Wahrheit, die in der Suche nach Klarheit gipfelten, indem er das Komplexe und oft Unklare, Paradoxe, dadurch aber nicht weniger Wahre der literarischen und empirischen Welt übersieht, missversteht und dadurch eben paradoxerweise zum Unwahren macht. Die Diskursverschmelzung von Theologie und Dichtung bleibt in dieser Vordergründigkeit und wohlmeinenden Simplizität ein Experiment, das eventuell zeitgenössisch zu überzeugen vermochte – nimmt man einmal das lange Erscheinen der Zeitschrift als entsprechendes Kriterium –, keinesfalls aber heute aus historischer Distanz. Wenn Stifter und Trakl, die beide Selbstmord begingen, in einem österreichischen Harmonieideal aufgehoben werden, während Kafka und Brecht zu hoffnungslos verzweifelten Dichtern herabgestuft erscheinen, die ohne Damaskuserlebnis in alle Ewigkeit im Dunkeln verblieben, bleibt dies theologisch wie literaturwissenschaftlich unbefriedigend und angreifbar.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Otto Mauer bei der Förderung moderner Kunst in Österreich sehr aktiv und wurde zum Brückenbauer zwischen Kirche und moderner Kunst. Er wurde Mitglied des Art Club, einer Wiege aller fortschrittlichen künstlerischen Kräfte in Wien. Die Teilnehmer des Clubs waren u.a. der Philosoph Leo Gabriel, der Psychiater Viktor E. Frankl, der erste Präsident war der Maler und Schriftsteller Albert Paris Gütersloh. Im Herbst 1948 war er maßgeblich an der Gründung einer Gesellschaft zur Förderung der modernen Kunst beteiligt. Im Zuge der allgemeinen Tendenzen wurde Otto Mauer auf die abstrakte Kunst aufmerksam. Er suchte am Beispiel von abstrakter Kunst eines Markus Prachensky oder Arnulf Rainer seine am Vorbild Thomas von Aquins geschulte Kunsttheologie zu veranschaulichen. Die offene Struktur dieser Malerei motivierte ihn zu freien, assoziativen, philosophischen und theologischen Reflexionen, die bis in die eschatologischen Bereiche vordrängten. Er sah einen engen Zusammenhang zwischen oft unzugänglicher abstrakter Kunst und dem Transzendentalen. Das Erlebnis der Kunst, die nach Aristoteles zur Katharsis führt, beschrieb er wiederum mit dem theologischen Begriff des „Kairos“, jenes Augenblicks, in dem sich ein Fenster in die spirituelle Welt öffnet. Sein primär theologisches Interesse an moderner Kunst und Literatur bezeugen die Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in denen er sich immer mehr von der Kunst und der Galerie nächst St. Stefan entfernte und sich der Umsetzung der kirchlichen Reformen widmete, da die Erneuerung der Kirche sein primäres Lebensziel war.

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