Kitabı oku: «Mensch. Maschine. Kommunikation.», sayfa 20
4.2 Gender als Konzept
Im Lehrbuch zu Gender und Queer von Czollek, Perko und Weinbach wird die Problematik des Ausschliessens durch geschlechtliche Binarität verdeutlicht: Die Menschen lernten, wie ein Mann oder wie eine Frau zu handeln und sie würden passend gemacht (z.B. intersexuelle Säuglinge), sollten sie diesem System nicht entsprechen. Zwei Geschlechter würden als normativ betrachtet, der Rest als ‹anormal›. Daraus resultiere eine Eindimensionalität, die der menschlichen Vielfalt nicht gerecht wird. Ausserdem erhielten durch diese Fixierung auf den heterosexuellen Mann und die heterosexuelle Frau zwar die einen bestimmte Privilegien, dafür würden aber andere ausgegrenzt (vgl. Czollek, Perko und Weinbach 2009: 37f.).
In Queer-Studies dagegen wird davon ausgegangen, dass Identität gesellschaftlich konstruiert ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Identität ohne Gesellschaft gar nicht existiert. So wird gegen die Auffassung argumentiert, wonach das Subjekt eine klar abgrenzbare Entität sei, vielmehr werde es durch die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Einflüsse (z.B. Kultur, Religion, GenderGender etc.) geformt (vgl. Czollek, Perko und Weinbach 2009: 40f.). Das Subjekt beinhalte eine Mehrdimensionalität, welche die Vorstellung von einem «abgeschlossenen, authentischen Ich, einem statisch Identitären als Illusion entlarvt» (Czollek, Perko und Weinbach 2009: 41). Die plural-queere gesellschaftliche Strömung will dieser Mehrdimensionalität gerecht werden, indem sie die Möglichkeit der Zugehörigkeit von der Selbstbestimmung abhängig macht: Wer dazugehören will, darf, wer nicht will, muss nicht. ‹GenderGender› wird in diesem Sinne als etwas Bewegliches wahrgenommen, dem die Möglichkeit zur Veränderung innewohnt (vgl. Czollek, Perko und Weinbach 2009: 41).
Judith Butler führt diesen Umstand in ihrer Schrift KörperKörper von Gewicht genauer aus. Laut Butler wird das biologische Geschlecht nicht mit den sozialen Bedeutungen erweitert. Dem biologischen Geschlecht werden die sozialen Bedeutungen vielmehr auferlegt. Butler stellt daraus resultierend die These auf, dass das biologische Geschlecht gar nicht existiert und wenn, dann nur als Fiktion (vgl. Butler 1995: 26). Doch trotz dieser Überlegungen muss festgehalten werden, dass in weiten Teilen der Gesellschaft nach wie vor ein Binaritätsdenken in der Geschlechterfrage vorherrscht. Deshalb soll hier die Frage aufgeworfen werden, wie eine Gleichstellung der GenderGender in Bezug auf die SprachassistenzenSprachassistenz erreicht werden könnte. Im besten Fall würde sich diese digitale Gleichstellung auf die Gesellschaft übertragen.
4.3 Die geschlechtsneutrale Stimme Q
Einen Anfang hin zu einer genderneutralen SprachassistenzSprachassistenz soll Q machen. Q ist eine von verschiedenen Pride-Bewegungen und ITIT-Unternehmen entwickelte genderneutrale Stimme. Sie befindet sich in einem bestimmten Frequenzbereich, der weder als männlich noch weiblich wahrgenommen wird. Die herstellenden Unternehmen weisen darauf hin, die Stimme mit der Absicht entwickelt zu haben, die Binarität der Geschlechter bei künstlicher IntelligenzKünstliche Intelligenz aufzubrechen. Damit würde die einseitige Wahrnehmung der Menschen in Bezug auf GenderGender in Frage gestellt und StereotypeStereotyp durchbrochen (vgl. Nordic Virtue 2019).
Die Frage stellt sich, wie Q sprechen müsste, um nicht nur aufgrund ihrer Stimmlage, sondern auch anhand ihres Sprechverhaltens als genderneutral wahrgenommen zu werden. Vielleicht müsste die Stimme gelegentlich Hedges und Question tags und hin und wieder einen Kraftausdruck verwenden oder weder das eine noch das andere. Hier würde es sich anbieten, eine Studie durchzuführen, welche die verschiedenen Reaktionen der Anwendenden erfasst und auswertet. Könnten die Benutzenden – trotz genderneutraler Stimme – anhand des Sprechverhaltens eine Tendenz in ihrer Wahrnehmung Richtung weiblich oder männlich festmachen? Das könnte ein Hinweis darauf sein, wie stark diese Binarität der Geschlechter noch in der Gesellschaft und im Denken verankert ist. Zweitens könnte auf diese Weise herausgearbeitet werden, welche der in Kapitel 2 besprochenen Merkmale des Kommunikationsverhaltens immer noch als ‹typisch weiblich› oder ‹typisch männlich› wahrgenommen werden. Denn auch wenn die Sprachwissenschaft in grossen Schritten von der Annahme einer ‹Frauen- bzw. Männersprache› weggekommen ist, ist diese Denkweise noch in der Gesellschaft verankert. Dabei handelt es sich aber nicht nur um StereotypeStereotyp; hinzu kommt, dass die strikte Trennung in ‹weiblich› und ‹männlich› exkludierend für Menschen ist, die sich mit keinem dieser beiden Attribute identifizieren.
4.4 Sprache als Mittel zur Veränderung
Wie Penelope Eckert und Sally McConnell-Ginet in ihrem Buch Language and Gender festhalten, ist die Vorstellung, die Gesellschaft mithilfe der Sprache verändern zu können, sehr alt; sie stösst aber auch heute noch oft auf Ablehnung (vgl. Eckert und McConnell-Ginet 2013: 42). Die Autorinnen weisen darauf hin, dass Veränderung nie von heute auf morgen geschieht und sich nicht durch einzelne Handlungen, sondern nur durch die Akkumulation verschiedener Handlungen vollzieht. So wisse man auch nie, wie die Veränderung genau aussehen werde: Sie wird durch eine einzelne Handlung angestossen, wird von der Gesellschaft aufgenommen, erlebt dadurch selbst Veränderungen und endet möglicherweise an einem Punkt, den niemand vorhersehen konnte (vgl. Eckert und McConnell-Ginet 2013: 43).
Nichtsdestotrotz sollten Veränderungen weiterhin angestossen werden, zum Beispiel mit einer genderneutralen SprachassistenzSprachassistenz. Warum kann nun eine genderneutrale Stimme ein Weg zu möglichst stereotypenfreiemStereotyp Sprechverhalten sein? Weil weitreichende Veränderungen zwar nicht durch einzelne Handlungen erreicht, aber durch einzelne Handlungen angestossen werden können. Damit Handlungen von der Gesellschaft aufgenommen werden und sich verbreiten, sollte man sich, so Eckert und McConnell-Ginet, auf konkrete Situationen fokussieren (vgl. 2013: 45). Genau dieses Vorgehen schlägt die vorliegende Arbeit vor: den Anfang hin zu einer möglichst genderneutralen Sprache zu machen, indem man ein Alltagsinstrument wie die SprachassistenzSprachassistenz entsprechend ausstattet. Denn das Verhältnis von Sprache und Wahrnehmung ist nicht determiniert. Es kann bewusst gemacht werden, deshalb ist es auch Veränderungen zugänglich (vgl. Hellinger 2019: 53).
4.5 Eine genderneutrale SprachassistenzSprachassistenz
Es stellt sich nun die Frage, was eine genderneutrale Stimme und ein genderneutrales Sprechverhalten – sofern ein Sprechverhalten gegendert sein kann – gegen die Verhaftung in biologischen Geschlechtern bewirken kann. Hier ist die blosse Auseinandersetzung mit der Thematik bereits der erste wertvolle Schritt. Die Feststellung, dass oft immer noch stereotypesStereotyp Sprechverhalten erwartet wird, die auf die problematische Wahrnehmung von GenderGender in der Gesellschaft hinweist, könnte von einer genderneutralen SprachassistenzSprachassistenz-Stimme wie Q unterstützt werden und schliesslich zu einem Umdenken führen. Es ist davon auszugehen, dass Sprachassistenzen in den nächsten Jahren zunehmend populärer werden und somit einen noch grösseren Teil unseres alltäglichen Lebens mitgestalten könnten. Es ist des Weiteren anzunehmen, dass die Stimme und auch die Art und Weise, wie die Sprachassistenz spricht, einen weitaus grösseren Einfluss auf die Menschen haben, als man bewusst wahrnimmt. Gerade auch Kinder, die mit SprachassistenzenSprachassistenz aufwachsen, sei es in Smart HomesSmart Home oder durch das SmartphoneSmartphone, könnten durch das Sprechverhalten der Assistenzen beeinflusst werden.
Es wäre demnach sinnvoll, die stereotypenStereotyp Kommunikationsmerkmale bei der ProgrammierungProgrammierung von Sprachassistenzen zu bedenken und die SprachassistenzSprachassistenz so zu programmieren, dass sie ausgewogen kommuniziert. Dies würde allerdings bedingen, dass SiriSiri und Co. nicht mehr als neuronales Netzneuronales Netz funktionieren, sondern als ‹simple› SoftwareSoftware, da die Programmierenden sonst nicht die volle KontrolleKontrolle über die Software und deren Sprachgebrauch haben. Bei dieser Möglichkeit würden vorprogrammierte Reaktionen eingespeist und die Sprachassistenz würdeSprachassistenz nicht mehr selbstlernend agieren. Damit könnte erreicht werden, dass die Benutzenden die ihnen – vielleicht unbewusst – vertrauten Merkmale nicht mehr mit einem bestimmten Geschlecht verknüpfen. Durch die genderneutrale Stimme Q und das gleichermassen männlich und weiblich konnotierte Sprechverhalten würden die starren Grenzen zwischen den Geschlechtern aufgehoben. So würden zum Beispiel gleich viele Aussagen mit Hedges wie Aussagen ohne Hedges getätigt. Im besten Fall würden sich die Aussagen abwechseln und damit gar nicht erst den Eindruck eines bestimmten StereotypsStereotyp aufkommen lassen.
Die zweite Möglichkeit ist die naheliegendere Lösung: nämlich die Assistenz von unterschiedlichsten Expert*innen entwickeln zu lassen. Dabei müsste darauf geachtet werden, dass sich darunter auch Menschen befinden, die sich nicht mit dem binären Geschlechtermodell identifizieren. Die SprachassistenzSprachassistenz könnte in diesem Ansatz selbstlernend aufgebaut sein. Wenn alle Programmierenden möglichst genderneutrale Sprache als Trainingsdaten für die Sprachassistenz zur Verfügung stellen und man zusätzlich dazu die genderneutrale Stimme Q verwenden würde, dürfte das Resultat relativ weit entfernt von StereotypenStereotyp sein und somit relativ nah an der gewünschten Genderneutralität. Diese Lösung würde ausserdem eine gewisse Authentizität mit sich bringen. Eine forciert genderneutrale Sprachassistenz (wie oben als erste Möglichkeit beschrieben) könnte auch den gegenteiligen Effekt erzielen und bei den anwendenden Personen Missfallen auslösen. Auf den Sprachgebrauch der Nutzenden kann im zweiten Lösungsansatz jedoch keinen Einfluss genommen werden. Je nachdem könnte sich die selbstlernende SprachassistenzSprachassistenz im DialogDialog mit diesen Personen dann wieder von einer ‹genderneutralen› Sprache entfernen.
5 Fazit
Bereits in den frühen Arbeiten zum Thema ‹Frauen- und Männersprache› wird darauf hingewiesen, dass mögliche Unterschiede eher auf den Machtverhältnissen im realen Leben als auf dem Geschlecht beruhen könnten. Ein wichtiges Merkmal ‹typischer› Frauensprache sei die Höflichkeit. Dieser Aspekt zieht sich durch die Forschungsliteratur, wenn er auch sehr unterschiedlich bewertet wird.1 Auch wenn Höflichkeit kein rein weibliches Phänomen sei, würden vermehrt Frauen darauf zurückgreifen und dadurch gesellschaftliche Unterschiede weiter verfestigen. Diese Diskussion von Unterschieden zwischen männlichem und weiblichem Sprechverhalten geht davon aus, dass nur zwei GenderGender existieren würden. Dabei werden alle Menschen übergangen, die sich nicht in diesen heteronormativen Kategorien wiederfinden. Es stellt sich die Frage, wie solche ‹nicht-heteronormativen› Menschen sprechen bzw. wie ihre Rolle in der Gesellschaft aussieht, wenn man sie nicht als ‹weiblich› oder ‹männlich› kategorisieren kann. Um dieses binäre Denken, das immer noch stark vorherrschend ist in unserer Gesellschaft, aufzubrechen, würde sich eine SprachassistenzSprachassistenz mit genderneutraler Stimme und absichtlich genderneutralem Sprechverhalten anbieten. Allerdings sind mit diesem Vorschlag auch einige Komplikationen verbunden. So müsste beispielsweise entschieden werden, ob nun das genderneutrale Sprechverhalten der Sprachassistenz oder das selbstlernende Verfahren wichtiger ist. Beides lässt sich nicht verbinden, da eine selbstlernende Sprachassistenz durch den Sprachgebrauch der Nutzenden beeinflusst wird. Vielleicht wird es aber irgendwann möglich sein, eine SprachassistenzSprachassistenz für gendergerechten Sprachgebrauch zu ‹sensibilisieren›, indem sie entsprechend trainiert wird und danach selbstständig in der Lage ist, das Sprechverhalten der Nutzenden zu analysieren und entsprechend ‹bewusst› damit umzugehen.
Es stellt sich natürlich auch die grundsätzliche Frage, wie viel eine genderneutrale SprachassistenzSprachassistenz tatsächlich bewirken kann. Die Autorin der vorliegenden Arbeit ist davon überzeugt, dass Sprache das Denken stark prägt und gesellschaftliche Veränderungen im Sprachgebrauch beginnen können. Sprachassistenzen sind bereits jetzt ein wichtiger Teil des alltäglichen Lebens und werden in den kommenden Jahren sicherlich immer prominenter. Warum also nicht die Gelegenheit ergreifen und sich die neue Technologie zu Nutze zu machen, indem eine SprachassistenzSprachassistenz auf den Markt gebracht wird, die für das Ohr genderneutral klingt, aber mit stereotypischemStereotyp Sprechverhalten spielt, um damit binäres Geschlechterdenken in den Köpfen der Menschen aufzubrechen? Sind Kategorien oder auch Stereotype nicht mehr klar abgrenzbar, lösen sie sich auf.
Bibliographie
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Smart HomeSmart Homes im öffentlichen Diskurs
Drei Fallbeispiele
Ann Fuchs & Zora Naef
1 Einleitung
TechnischeTechnik Neuerungen halten Einzug in unseren Alltag – so auch das «Smart HomeSmart Home». Darunter wird ein Zuhause verstanden, das «informations- und sensortechnisch aufgerüstet» sowie «in sich selbst und nach aussen hin vernetzt» ist (Gabler Wirtschaftslexikon: Smart HomeSmart Home). Beispiele hierfür sind sowohl eingebaute automatische Elemente für Heizungen oder Fenster als auch externe Geräte, die über ein SmartphoneSmartphone gesteuert werden. Die komplexen technischenTechnik Hintergründe und die Gefahren (z.B. hinsichtlich Datenschutz) können allerdings von den wenigsten Menschen eingeschätzt werden. Oft zeigen sich Vorbehalte, aber auch Bewunderung und Faszination für die vielen neuen Möglichkeiten.
Der vorliegende Beitrag nimmt die Diskussion zum Thema «Smart HomesSmart Home» in den Fokus und fragt danach, wie im öffentlichen Diskursöffentlicher Diskurs darüber kommuniziert wird. Es interessiert dabei besonders die Frage, wie Zugang zu dem Wissen über die Thematik für eine breite Öffentlichkeit geschaffen wird. Hier spielen die MassenmedienMassenmedien eine wichtige Rolle. Deshalb richten wir den Blick vor allem auf den Diskurs in Online-Tageszeitungen. Anhand von drei Fallbeispielen aus unterschiedlichen Zeitungen wird analysiert, wie die Beiträge Zugänglichkeit zu dem vielschichtigen und komplexen Thema Smart HomeSmart Home schaffen. In Kapitel 2 werden mit Verweis auf die aktuelle Forschung einige theoretische Aspekte geklärt. Hier erläutern wir die für diese Untersuchung vorgenommene Einteilung in zwei verschiedene Stufen der Zugänglichkeit. In Kapitel 3 gehen wir auf unsere Datengrundlage, die Methode und die linguistischen Analysekriterien zur Beantwortung der Forschungsfrage ein. Sodann werden die drei Beiträge einzeln analysiert und schliesslich in einem Vergleich zusammengeführt. Die Untersuchung schliesst mit einem Fazit und einem Ausblick auf mögliche weitere Forschungsfragen.
2 Zugänglichkeit zum und im Internet
Laut dem schweizerischen Bundesamt für Statistik waren in der Schweiz 2019 über 95 % der Haushalte per Breitband an das Internet angeschlossen: Im europaweiten Vergleich befindet sie sich damit auf dem viertbesten Platz, wenn es um das Thema Internetzugang geht (vgl. BFS 2019). Das Nachbarland Deutschland liegt mit fast ebenso vielen Prozentpunkten nur zwei Plätze dahinter, während Österreich nicht ganz so gut abschneidet, aber trotzdem bei ca. 90 % Prozent liegt (vgl. ebd.). Es lässt sich also festhalten, dass der Zugang zum Internet für den grössten Teil der hiesigen Bevölkerung mittlerweile selbstverständlich ist. Der Aufwand, mit dem der Ausbau des Internetzugangs europaweit vorangetrieben wird, zeigt die Wichtigkeit des Internets für unsere Gesellschaft: Während der Zugriff auf viele Informationen bis vor wenigen Jahren noch mit dem aufwändigen Besuch in Bibliotheken und Archiven verbunden war, lässt sich heute das meiste mit wenigen Mausklicks herausfinden.
Dass der Zugang zum Internet grösstenteils gewährleistet ist, heisst allerdings nicht, dass innerhalb des Internets alles für alle gleich gut zugänglich ist. Der Besuch mancher Seiten erfordert das Login über ein Benutzerkonto, das zum Beispiel käuflich erwerbbar sein kann, oder die Zugehörigkeit zu einer Institution, wie zum Beispiel der Universität Zürich. So unterscheidet Torsten Siever zwischen dem «Zugang zum Internet» und dem «Zugang zu Diensten im Internet» (2013: 8–10). Wir betrachten diese beiden Aspekte hier als Zugänglichkeit erster Stufe, die gegeben sein muss, um überhaupt zu den gesuchten Inhalten im Internet zu gelangen. Der Begriff soll also den Zugang bis zur Textoberfläche umfassen. Andere bezeichnen diese Ebene des Zugangs auch als materielle oder technischeTechnik (vgl. Bauer 2010: 137) Zugänglichkeit.
Der technischeTechnik Zugang zu Inhalten im Internet kann mit gradueller Abstufung niedrig- oder hochschwellig sein, abhängig davon, wie viele Leute Zugriff haben. So ist ein E-MailE-Mail-Konto bestenfalls nur für dessen Besitzerin*in zugänglich und abonnementpflichtige Zeitungsartikel können nur von denjenigen gelesen werden, die über die finanziellen Mittel dazu verfügen. Beiträge im Internet sind also nicht zwingend öffentlich zugänglich. Christa Dürscheid unterscheidet deshalb zwischen «öffentlicher», «halb-öffentlicher» und «nicht öffentlicher» Kommunikation im Internet (2007): Frei zugängliche Beiträge bezeichnet sie als «öffentlich», nur für eine gewisse Gruppe mit zuvor erworbenem Zugang sichtbare Inhalte als «halb-öffentlich» und nur zwischen Verfasser*in und direkt adressierten Rezipient*innen ausgetauschte Inhalte als «nicht-öffentlich» (Dürscheid 2007: 27–29). Kirsten Adamzik spricht in diesem Kontext von einem «Tauschwert» von Texten (vgl. 2016). So ist Werbung, deren Verbreitung hauptsächlich im Interesse der jeweiligen Firma liegt, überall frei und oft unerwünscht verfügbar. Es ist auch allgemein bekannt, dass Firmen gute Platzierungen für ihre Inserate bei Suchmaschinen käuflich erwerben und Influencer*innenInfluencer*in Likes kaufen können, um ein grösseres Publikum zu erreichen. Informationen, die die Internetbenutzer*innen wirklich erhalten wollen, müssen hingegen oft gesucht und teilweise bezahlt werden (vgl. ebd.: 166). Einige Informationen werden durch öffentliche Gelder finanziert, andere durch Werbung und wieder andere mit den persönlichen Daten des*der jeweiligen Internetnutzer*in bezahlt (vgl. Siever 2013: 11).
Das Suchen nach Information und Wissen im Internet erfordert von Benutzer*innen Kompetenzen, die Reinhard Bauer im Zusammenhang mit seiner Betrachtung des Internets als Wissensspeicher oder «digitale Bibliothek von Babel» genauer erläutert (vgl. Bauer 2010). Unter dem Begriff der Informationskompetenz fasst er Kompetenzen zusammen, die Benutzer*innen für den Zugang erster Stufe sowie für den Zugang auf Textebene benötigen. Als Beispiel sei hier die Computerkompetenz genannt, die das Bedienen und den technischenTechnik Umgang mit Hard- und SoftwareSoftware meint (vgl. ebd. 2010: 139). Hinzu kommen die MedienkompetenzMedienkompetenz sowie die «Media Literacy», welche im nächsten Abschnitt diskutiert werden. Für das Verständnis dieser Begriffe ist es wichtig, festzuhalten, dass unter einem MediumMedium/Medien hier nicht ein Gerät, sondern ein spezifischer Text auf einem Gerät gemeint ist.
Der technischeTechnik Zugang zu Informationen bringt dem*der Einzelnen aber nur dann etwas, wenn diese Informationen auch verstanden und verarbeitet werden können. Deshalb wollen wir den Hauptfokus dieser Arbeit auf die Zugänglichkeit auf Textebene legen. Die grundlegende Voraussetzung für das Textverständnis ist die Lesekompetenz.1 Auf der Lesekompetenz aufbauend benötigen Benutzer*innen Kompetenzen, die unter dem Stichwort «Media Literacy» (Bauer 2010: 134–139) beschrieben werden und die Fähigkeit meint, zu navigieren und die Textbedeutung zu verstehen. Ein grosser Unterschied zwischen schriftlicher und mündlicher Kommunikation ist, dass die Produzent*in in der schriftlichen KommunikationKommunikationquasi-synchrone2 keine direkte Reaktion der rezipierenden Person erhält und diese deshalb im Schreibprozess antizipieren muss (vgl. Dieter 2007: 89). Auf der Autor*innenseite müssen also Hypothesen über die Leser*innenschaft gebildet werden. Je grösser und diverser aber die potentielle Rezeptionsgemeinde eines Textes ist, desto schwieriger wird es für die Produzent*in, einen Beitrag zu erstellen, der für alle passend formuliert ist. Der Begriff «Zugang» greift also nicht nur auf technischerTechnik, sondern auch auf textueller Ebene, so unsere These.
Besonders schwierig wird es, wenn zwischen Autor*in und Leser*innenschaft ein Wissensgefälle besteht, wie dies beim Fachjournalismus der Fall ist. Damit die Rezipierenden einem Beitrag, der neues Wissen vermitteln soll, folgen können, muss dieser vielfältigen Ansprüchen genügen. So gibt es einiges an Literatur dazu, wie ein Fachtext geschrieben sein soll, damit er für ein breites Publikum zugänglich ist. Ein Beispiel für ein solches Lehrbuch ist Beatrice Dernbachs Einführung Die Vielfalt des Fachjournalismus (2010). Unter anderem findet sich darin ein Kapitel, in dem die Merkmale von Fachsprache, Allgemeinsprache und fachjournalistischer Sprache auf den Ebenen Lexik und Semantik, Syntax, Text, Struktur und Pragmatik skizziert werden. Der Fachjournalismus versteht sich, so wird hier dargelegt, als Bindeglied zwischen Expert*innen und Fach- und Laienpublikum, was sich in einer präzisen, aber nicht komplizierten Sprache niederschlagen soll (vgl. ebd.: 108–110). In Andreas Schümchens Werk zum TechnikjournalismusTechnik (2008) wird ausserdem die Wichtigkeit der Unterhaltung des Lesers betont. So sollen Texte über technische Geräte in einer Sprache mit vielen Vergleichen und Beispielen ausgestaltet, mit möglichst wenigen technischenTechnik Fachtermini verfasst und durch visuelle Elemente ergänzt werden (vgl. ebd.: 67–82).
Neben dem Fachjournalismus spielen für die Kommunikation zwischen Expert*innen und Laien auch die MassenmedienMassenmedien eine wichtige Rolle. Maja N. Volodina (2009) betont das «informatorische Einwirken der Sprache auf den Menschen» (313), d.h. Massenmedien wie Tageszeitungen, aber auch TV- und Radiosendungen kommt eine grosse Wirkungsmacht zu (vgl. 309–314). Cristina Besio und Ruth Hungerbühler (2009) weisen in diesem Zusammenhang auf die Vermittlerfunktion zwischen Wissenschaft und Laien von MassenmedienMassenmedien hin. Doch ist es problematisch, den öffentlichen Wissenstransfer als unidirektionalen Wissensstrom anzusehen, der von den Expert*innen über den Fachjournalismus an die breitere Öffentlichkeit gelangt. Wie Spitzmüller (2011) herausarbeitet, ist es keineswegs so, «dass auf Seiten der ›Laien‹ ein Wissens-›Vakuum‹ besteht, das man einfach so mit Expertenwissen ›füllen‹ kann» (171). Vielmehr sei es oft so, dass das Expert*innenwissen gar nicht mit dem Laienwissen in Einklang gebracht werden könne, da es «teilweise tief verwurzelten Überzeugungen» widerspreche (ebd., vgl. hierzu auch Möller 2009: 139–151). Weiter sei es problematisch, Wissenschaft, MedienMedium/Medien und Öffentlichkeit als getrennte Entitäten mit klaren Rollen – die Wissenschaft als Produzentin, die MedienMedium/Medien als Vermittlerin und die Öffentlichkeit als Rezipientin von Wissen –anzusehen, weil MedienMedium/Medien und Öffentlichkeit sehr wohl und aktiv ihre eigenen Interessen in den Wissensdiskurs einbringen (vgl. Spitzmüller 2011: 172).
Ein Verständnis von Fachjournalist*innen als reinen Vermittlungsfiguren ist also abzulehnen: Obwohl die Zugänglichmachung von Wissen eine nicht zu unterschätzende Funktion von Fachtexten ist, verfolgt jeder mediale Beitrag ein eigenes Interesse und tritt mit einem grösseren Diskurs in InteraktionInteraktion. Die immer grösser werdende Zugänglichkeit zum Internet stellt dabei den Fachjournalismus vor immer neue Herausforderungen. Erstens wird die potentielle Leser*innenschaft, über welche die Journalist*innen Prämissen treffen müssen, immer grösser und diffuser. Die Hypothesenbildung «ist beim Schreiben im Websiteformat schwieriger als beim Schreiben in vielen anderen Formaten, da es kaum vorhersehbar ist, wer, wann, unter welchen Bedingungen auf einer bestimmten Website landet» (Dieter 2007: 89). Zweitens schafft das Internet neue Konkurrenzverhältnisse: Presse, Rundfunk und TV stehen längst nicht mehr im Zentrum der öffentlichen Meinungsbildung (vgl. Fähnrich/Hein 2019: par. 2). Durch öffentliche Diskussionsforen, Blogger*innen, soziale MedienMedium/Medien usw. wird Wissen (beziehungsweise Nichtwissen) zunehmend von Laien an Laien weitergegeben (ebd.: par. 3). (Fach-)Zeitungen, die ja immer auch ein ökonomisches Eigeninteresse verfolgen, sind somit gezwungen, über neue Kanäle wie zum Beispiel FacebookFacebook und «in multiplen und oft interaktiven Formaten» zu kommunizieren, Texte zu verändern oder durch Videos zu ersetzen, um auf dem neuen Markt bestehen zu können (vgl. ebd.: par. 3). Fachliche Beiträge im Internet stehen also immer auch in Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der potentiellen Leser*innenschaft zueinander. Um diese zu erhalten, müssen sie auf materieller wie auch auf textueller Ebene gut zugänglich sein.