Kitabı oku: «Methodenlehre in der Sozialen Arbeit», sayfa 3
◼ Alltag und Methode ergänzen sich (auch): Was als gegensätzlich verstanden werden kann, erhält eine Relevanz, wird zur Kompetenz – das Identifizieren von Alltagsstrukturen der Adressaten, das Gestalten eines stabilisierenden Alltags, was immer auch auf einen methodischen Bezug verweisen kann, eine geregelte Abfolge von bewusst und zielorientiert konzipierten Schritten umfasst (Zielklärung, Vorgehen und Regeln festlegen, ihre Revidierbarkeit sichern).
Entsprechend bezeichnet Winkler (1999, 1119) den Umgang mit diesen Paradoxien und Herausforderungen als wichtige Kompetenz, ferner ist ihm das Wissen um die Komplexität sozialer Prozesse sowie möglicher professionell-methodischer Zugänge zu Situationsdeutungen und der Gestaltung von Situationen bedeutsam. Dies muss umso mehr betont werden, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sozialpädagogisches Handeln schwierige und spannungsvolle Balancen aushalten muss, in denen sie einerseits Problemanalysen, Deutungen, Konzepte entwickeln soll, andererseits die Einmaligkeit der Adressaten nicht missachten darf; den ganzen Lebenszusammenhang im Blick haben soll, jedoch begrenzte Schritte umsetzen muss; stellvertretend deuten und handeln will, ohne Mündigkeit reduzieren zu dürfen.
Zusammenfassung des 1. Schrittes: Fasst man diesen Abschnitt rückblickend auf das Praxisbeispiel zusammen, so lässt sich sagen, dass die Sozialarbeiterin
◼ methodisch handelt, wenn sie einen Prozess gestaltet, in dem sie Methoden, Verfahren und Techniken situations- und problemadäquat flexibel einsetzt, Fachwissen einbindet und mit einer spezifischen beruflichen Haltung in Einklang bringt,
◼ in der Situation mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert ist, da ihr Handeln nicht standardisierbar und in seinen Wirkungen kaum vollends vorhersagbar ist,
◼ gegebenenfalls Probleme mit der Klärung ihres Auftrages, mit der Einschätzung der Situation (Beobachten, Beurteilen), der Interventionsplanung (Handeln) und der Klärung der Arbeitsbeziehung mit den Klienten haben könnte,
◼ trotz vielfältiger Herausforderungen handeln muss und wird und dabei eines beherrschen sollte: die Reflexion der Bedingungen ihres Handelns.
2. Schritt: Das Können im Zusammenhang mit Wissen und Reflexion erkennen: Was zeichnet typische Handlungssituationen in der Sozialen Arbeit aus?
Die Reflexion der Bedingungen und Prozesse des eigenen Handelns kann man als eine Schlüsselanforderung und -kompetenz bezeichnen, die einhergehen sollte mit einer soliden Grundlage wissenschaftlichen bzw. Theoriewissens, das diese Reflexion fundiert. Die Fähigkeit zur Reflexion und die Verfügbarkeit von Wissen, mithin ihre Verknüpfung, werden in vielen Darstellungen zum professionellen und methodischen Handeln explizit erörtert. Einige Beispiele seien hier angeführt:
Der ‚wissenschaftliche Habitus‘ soll das Handeln in Balance halten: Im genannten Beispiel muss die Sozialarbeiterin ein Maß an Ungewissheit über die Situation und ihr Handeln darin bewältigen können, indem sie der Komplexität und Ambivalenz der Praxisanforderungen reflexiv und bewusst gegenübertritt (Helsper 2008, 63). Da sozialpädagogisches Handeln nicht direkt steuerbar, sondern immer koproduktiv ist (vom Klienten mit gestaltet wird), sollten SozialarbeiterInnen einen ‚wissenschaftlichen Habitus‘ als eine distanzierte Praxisform entwickeln, wie es Helsper nennt (2008, 164). Dieser Habitus soll im Handeln zu einer Ausbalancierung des Gestaltungsanspruches von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern (asymmetrische Beziehung durch Wissens- und Erfahrungsvorsprung) und des Aneignungshandelns der Klienten (selbst gesteuerte Inanspruchnahme von Hilfen) führen. Denn der ‚wissenschaftliche Habitus‘ meint nicht nur, dass SozialarbeiterInnen über Fachwissen verfügen, sondern darauf gründenden Erklärungen und Beurteilungen auch kritisch gegenüberstehen (Helsper 2008, 167). Man könnte sagen: Ohne einen ‚wissenschaftlichen Habitus‘ würden SozialarbeiterInnen nur durch ihr Erfahrungswissen gesteuert werden, es nicht infrage stellen und ihre Gestaltungsmöglichkeiten überschätzen – mit der Konsequenz eines entsprechenden Ungleichgewichtes im (dann einseitigen und gleichförmigen) Handeln.
‚Kontrolliertes Verallgemeinern‘ als Praxis, die ohne Theorie nicht zustande käme: Theorie und wissenschaftliches Wissen sollen zur Flexibilisierung des Handelns beitragen, laufen aber in dieser Erwartung Gefahr, genau dies zu verhindern. Denn wer Theorien praxisbezogen versteht, sollte nicht ‚Regel-Anwendungen‘ aus ihr ableiten, was wiederum ein ‚mechanisches‘ Handeln zur Folge hätte, das ohne Reflexion auskommt (Merten 2000, 402). Stattdessen sollten es Theorien und wissenschaftliches Wissen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern ermöglichen, ‚sich einen Begriff von etwas zu machen‘, Problemdeutungen vorzunehmen und schließlich die Praxissituationen neu und differenzierter zu strukturieren. PraktikerInnen integrieren in ihr Handeln immer auch Prozesse des Erklärens und Verstehens, sie verallgemeinern dabei Situationen, Fälle, Probleme und sollten dies kontrolliert, sprich reflektiert und anhand transparenter Bewertungskriterien tun. Handeln, so Merten (2000, 411), ist demnach immer eine ‚reflexive Erkenntnis‘, die an praktischen Problemlösungen orientiert ist. Ohne Theorie und wissenschaftliches Wissen wäre Handeln kein Erkennen, Erklären und Strukturieren, sondern eine situative und routinierte Reaktion, könnte man überspitzt sagen. Um dies zu verhindern, ist eine ‚kritische Distanz‘ zum eigenen Handeln, zu Konzepten, Methoden, Verfahren und Techniken sowie den institutionellen Bedingungen Sozialer Arbeit durch (Selbst-)Reflexion einzunehmen, wie es Hege (Hege 2001, 16) fordert: Reflexion, Wissensüberprüfung, positive Routinen der SozialarbeiterInnen sind zu unterstützen (diese Forderung erhebt auch Thiersch 2009, 250, der Authentizität im lebensweltorientierten Handeln grundsätzlich daran gebunden sehen will).
‚Reflektiertheit‘ als ein zentraler Bestandteil von Handlungsmodellen: Reflexion und Wissen werden in mehreren Handlungsmodellen der Sozialen Arbeit als zentrale Kategorien benannt und gehören zum grundlegenden Handlungsverständnis der SozialarbeiterInnen. May (2010, 83) führt diese Modelle in ein Rahmenmodell des Handelns zusammen und betont, dass das breite Spektrum von Interventionsformen in der Sozialen Arbeit (von ressourcenorientiert, mehrdimensional, mehrperspektivisch, vernetzend, bis hin zu alltagsorientiert, umfeldbezogen, partizipativ) ohne eine reflektierte und wissensbasierte Haltung gar nicht realisierbar wäre. So verstehen Geißler / Hege (2007, 195 ff.) kompetentes Handeln in der Sozialen Arbeit als eine Verknüpfung von drei Kompetenzformen:
◼ instrumentelle Kompetenz (gekonnte Anwendung von Diagnose- und Handlungsmethoden bzw. -techniken),
◼ soziale Kompetenz (sich einlassen auf Klienten, empathische und kommunikative Fähigkeiten) sowie
◼ eben die reflexive Kompetenz (Rekonstruktion und bewusste Handhabung von beruflichen und persönlichen Haltungen sowie Deutungsmustern).
Man könnte sagen: Reflexion ist Teil eines breit geteilten Professionalitätsverständnisses und unverzichtbarer Bestandteil von (in der Regel entsprechend zirkulär angelegten) Modellen methodischen Handelns.
Wenn man sich diese Ausführungen vor Augen führt, stehen Reflexion und Wissensbasierung im Mittelpunkt der Betrachtung, nicht nur das Handeln selbst, sondern seine Begleitung durch Analysieren, Bewerten, Öffnen von Perspektiven: Ein ‚wissenschaftlicher Habitus‘ soll Distanz schaffen und Angemessenheit im Handeln ermöglichen, PraktikerInnen sollen kontrolliert Verallgemeinerungen vornehmen und Praxis als reflexive Erkenntnisleistung vollziehen. Dabei wird Reflektiertheit als geradezu allgemeingültiges Merkmal von Professionalität in der Sozialen Arbeit unterstrichen. Trotz allem: SozialarbeiterInnen handeln, sollen Probleme in der Praxis lösen, ihnen gestellten Anforderungen gerecht werden. Die Aufmerksamkeit kann also nicht nur bei der Reflexion liegen, sie muss auch das Handeln betreffen, das der Reflexion vorausgeht und ihr folgt. Die Trennung beider Aspekte, ihre Gegenüberstellung, wäre ein Missverständnis, hier soll vielmehr eine andere Position vertreten werden: Die beiden Seiten der ‚Medaille Reflexion‘ sind Anwendung und Analyse (s. dazu die Abb. 1). Reflexion ist zu sehen in Beziehung zum Handeln (als Anwendung im Sinne von Können sowie als Merkmal der Anwendung, die bewusst erfolgt) und zur Analyse (als wissensbasierter Prozess, der durch Erkenntnisse aus der Wissenschaft Soziale Arbeit unterstützt wird und Folie für Strukturierungen ist). Reflexion ist das Bindeglied zwischen Anwendung und Analyse, das wesentlich durch Konzepte, Methoden, Verfahren und Techniken unterstützt wird, die der Erschließung, Orientierung, Strukturierung und Umsetzung in unterschiedlichen Kontexten methodischen Handelns dienen, dort wirksam und auch anhand reflexiver Prozesse von den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern ausgewählt werden (reziproker Prozess der Interventionsplanung). Die Kontexte methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit sind vor allem das Fallmanagement, die Organisationsgestaltung und das berufliche Handeln im Team. In ihnen zeigt sich auf unterschiedliche, aber auch vereinende Art der grundlegende Prozess von Beobachten, Beurteilen, Handeln als Grundlage professioneller Tätigkeit.
Abb. 1 Reflexion im methodischen Handeln zwischen Analyse und Anwendung
Wissenschaft und Praxis nehmen zwar bestimmte Phänomene (Probleme und Handlungsanforderungen in der Praxis: z. B. Umgang mit Kindeswohlgefährdung) unterschiedlich in den Blick (s. Tab. 1), methodisches Handeln, so v. Spiegel (2018, und Kap. 1.4), sollte als praktisches Handeln jedoch wissenschaftliche Prinzipien integrieren, indem SozialarbeiterInnen
Tab. 1 Methodisches Handeln integriert wissenschaftliche und praktische Prinzipien (v. Spiegel 2018, 59 ff.; eigene Darstellung)
Wissenschaft | Praxis |
definiert und beschreibt Teilprobleme | legt Vorverständnisse im Beobachten und Beurteilen selten offen |
sammelt Daten | ist im Handeln durch Erfahrungen gesteuert |
strukturiert ein Problem | nimmt selektiv wahr |
definiert Beobachtungskategorien | prägt Problemsicht durch eigenes Handeln und dessen Bedingungen |
führt Beobachtungen zu Aussagesystemen zusammen (Theoriebildung) | definiert situative Kausalketten |
interpretiert | vergleicht und verallgemeinert |
ist misstrauisch gegenüber eigener Erkenntnis | steht in Gefahr, Erfahrung und Routine dominieren zu lassen |
Methodisches Handeln ist Handeln in der Praxis, das wissenschaftliche Prinzipien integriert:Reflexion, Transparenz, Strukturiertheit, Mehrperspektivität, Dokumentation und Evaluation |
◼ ihre Vorverständnisse und Hypothesen bezüglich der Handlungssituationen offenlegen, der Diskussion und Überprüfung zugänglich machen,
◼ sich ihre eigenen Erfahrungen und beruflichen Haltungen vergegenwärtigen und sie dadurch bewusst in ihren Auswirkungen auf den Handlungsprozess beurteilen können,
◼ mehrperspektivisch vorgehen können, unterschiedliche Sichtweisen, Erklärungen, Lösungsmöglichkeiten analysieren und bewerten können, sprich: Beobachten, Beurteilen und Handeln nicht als ‚Einbahnstraßen-Prinzip‘ verstehen, sondern als komplexe und durch Rückkoppelungsschleifen gekennzeichnete Anforderung professionellen Handelns,
◼ das eigene Handeln und dessen Ergebnisse dokumentieren, damit diese Informationen für (Selbst-)Evaluation und Qualitätsmanagement genutzt werden können (vgl. Kap. 3.1.2 und Kap. 3.14).
Fallbezogene Zusammenfassung des 2. Schrittes: In Bezug auf das Beispiel der Sozialarbeiterin in der Familienhilfe würden sich an ihr Handeln einige Fragen stellen (und sie sich im Prozess ebenso): Was ist mein Bild vom gelingenden Aufwachsen eines Kindes? Was weiß ich über Bedürfnisse von Kindern, was über Folgen von deren Missachtung? Welche Emotionen kommen in der Situation auf, mit welchen Konsequenzen (z. B. Schuldzuweisungen an die Mutter, blockierte Hilfeperspektive, einseitige Situationsklärung, unreflektierte Parteinahme)? Was genau ist die Situation und wie ist sie zu erklären? Wie und in welchen Schritten sollte demnach gehandelt werden? Was beeinflusst das Denken und Handeln (z. B. Erfahrungen, Zeitdruck, drohende Gefahr für die Kinder, Befürchtung, falsch zu handeln)? Gab es schon vergleichbare Fälle? Was lässt sich übertragen, was ist anders und stellt eine neue Anforderung dar? Usw. usw. Wenn der Anspruch an methodisches Handeln der Sozialarbeiterin in diesem Beispiel also ist, dass sie in ihrem praktisches Handeln wissenschaftliche Prinzipien integrieren sollte, stellt sich nunmehr die Frage: Wie kann sie diese Integration vornehmen? Oder: Geschieht dies nicht ohnehin in ihrem Handeln, gegebenenfalls ohne es als bewussten Prozess zu gestalten? Wie generiert sie demnach Wissen und Strategien des Handelns in Praxissituationen, die nicht überfordernd, sondern befähigend wirken?
3. Schritt: Das Regelhafte in der Offenheit erkennen und gestalten: Wie gewinnen und ordnen SozialarbeiterInnen Wissen und Strategien des Handelns in Praxissituationen?
Handeln ist alltäglich. Wir beobachten uns und andere Menschen, Situationen und Vorkommnisse, häufig treffen wir dazu Entscheidungen, bewerten, was zu tun oder zu lassen ist. Solch alltägliches Handeln vollzieht sich auch in der Sozialen Arbeit – wird es durch den beruflichen Rahmen, durch den Bezug auf soziale Probleme, ihre Beobachtung und Einschätzung sowie die Planung von Hilfen automatisch zum professionellen Handeln? Nein, denn entscheidend ist nicht der berufliche Rahmen allein, sondern die Bewusstheit und Systematik des Agierens, die das auch alltäglich stattfindende Beobachten, Beurteilen und Handeln zu professionellem Handeln werden lässt. Es zeichnet sich durch eine Trennung, durch ein Aufeinanderaufbauen und durch die gekonnte Gestaltung des Zusammenspiels von Prozessen des Beschreibens durch Beobachtung, der Beurteilung und des Erklärens sowie des darauf gründenden Handelns aus (Nolting / Paulus 1999, 170). Professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit soll präzise, begründet und reflektiert erfolgen, im Vergleich zum alltäglichen Handeln, wenn man so will, auf einem ‚gesteigerten Sorgfaltsniveau‘. Die Trennung, das Auseinanderhalten dieser einzelnen Prozesselemente des Handlungsvollzuges setzt ihre Kenntnis voraus, auch um sie wieder in ihrem Zusammenspiel sehen und in ihrem Stellenwert bestimmen zu können. Was meint demnach Beobachten, Beurteilen und Handeln als Prozesselemente professionellen Handelns? Und: Wie kann ein Gesamtmodell aussehen, das sie integriert, einen Rahmen bietet und ein grundlegendes Modell professionellen Handelns beschreibt?
(1) Beschreiben durch Beobachten – wer es unterlässt, entzieht dem Handeln die Basis: Beschreibungen sind grundlegend, ohne sie können Tätigkeiten nicht zielgerichtet ausgeführt werden. Wir können sehr konkret oder eher allgemein beschreiben, je nachdem wie strukturiert wir beobachten, denn Beobachtungen liefern die Informationen, die wir zu Beschreibungen verdichten. Beobachtungen sind nicht als objektive Prozesse zu verstehen, vielmehr werden sie vom Beobachter beeinflusst und konstruiert. Man kann zudem nur etwas beobachten, wenn es von anderen Phänomenen (Situationen oder Sachverhalten) unterschieden und benannt werden kann. Beobachten bedeutet also, Situationen zu klassifizieren, indem sie Begriffen, Wissen, Erinnerungen, Erfahrungen zugeordnet werden – Beobachten geschieht auf der Basis subjektiver Denkmuster, die auch auf Fachwissen gründen (was seinerseits durch Beobachtungen wissenschaftlicher Art zustande gekommen ist: Forschung ist kriteriengeleitete Beobachtung). Man könnte sagen, SozialarbeiterInnen wenden situativ etabliertes Wissen an und generieren dabei fallspezifisch neue Wissenskonstellationen (Wechselwirkung von Analyse und Anwendung im je eigenen Fall). Professionelles Handeln ist systematisches Beobachten, das heißt, man legt fest, was oder wen man, wie, mit welchem Ziel in welchen Situationen beobachtet (Martin / Wawrinowski 2003 9 ff.; Nolting / Paulus 1999, 171 ff.).
Komplexe Phänomene, wie z. B. Kindeswohlgefährdung, sind durch Beobachtungen schwer zu beschreiben, daher ist es umso wichtiger, dass SozialarbeiterInnen eine Wissens- und Erfahrungsgrundlage haben, um diese komplexen Situationen zu strukturieren, ohne vorschnellen Kausalitäten zu erliegen: ‚Immer wenn ich dies beobachte, passiert das …‘. Solche Denkroutinen können zu unpräzisen Beobachtungen und dann Beurteilungen führen, die letztlich aber das Beobachtete sprachlich beschreiben und eine Einstufung auf einer normativ geprägten, gedachten Skala vornehmen sollen (Nolting / Paulus 1999, 173 ff.). Diese Skalierung wird in Fragen der Sozialarbeiterin deutlich wie z. B.: ‚Welche Qualität hat mein Verhalten (zwischen gut und schlecht)‘? ‚Wie ausgeprägt ist die belastende Lebenssituation für die jungen Menschen (zwischen hoch und niedrig)‘? ‚Welche Dringlichkeit an Hilfen ist mit der vorfindbaren Situation verbunden (zwischen akuter Gefahrenabwehr und Möglichkeit des Abwartens)‘?
(2) Bewerten – öffnet oder schließt die Tür zum Handeln: Bewertungen werden häufig sehr schnell getroffen, sollten sich im Rahmen professionellen Handelns jedoch auf gründlichen Beschreibungen stützen. Während Beschreibungen sich auf die gegenwärtige Situation beziehen (IST-Stand) führen Bewertungen zum SOLL-Stand: Wie sollte eine Situation eigentlich sein? Was kennzeichnet die Diskrepanz zwischen IST und SOLL? Wie ist die Diskrepanz vor dem Hintergrund fachlichen Wissens einzuschätzen? SozialarbeiterInnen müssen sich dabei stets bewusst sein und erkennen können, wann sie Bewertungen auf einer fachlichen Grundlage vornehmen und wann sie von persönlich-subjektiven Denkmustern beeinflusst (vielleicht sogar überformt) werden. Bewertungen sind neben den Erklärungen die Türen zum Handeln: Je nachdem, welche Schlüsse ein Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin aus einer beobachteten Situation zieht (zu welchen Beurteilungen und Bewertungen er oder sie kommt), werden Entscheidungen über das Handeln und dessen Planung getroffen: ob und wie gehandelt wird, selbst oder vermittelt an andere, mit welchem Zeithorizont und welchen Erwartungen. Die Risikoeinschätzung, die SozialarbeiterInnen im Falle der Kindeswohlgefährdung vornehmen, ist ein Beispiel für eine solche ‚reflexive Tür‘, die je nach Ergebnis unterschiedliche Handlungsoptionen nach sich zieht. Die Handlungsplanung wird zudem entscheidend durch Erklärungen einer Situation beeinflusst, die SozialarbeiterInnen haben.
(3) Erklären – geschieht es am Anfang, machen SozialarbeiterInnen einen Fehler: Nicht nur Bewertungen gehen häufig schnell von der Hand, auch (vermeintliche) Erklärungen werden nicht selten (vor-)schnell formuliert. Erklärungen sollten immer differenzierte Beschreibungen vorausgehen, damit sie möglichst präzise und differenziert erfolgen. Erklärungen dienen allgemein dazu, Gründe für eine Situation zu identifizieren (die Frage nach dem ‚Warum‘). Erklären bedeutet, dass ein Sachverhalt zu einem Bedingungsgefüge verdichtet und in allgemeine Gesetzmäßigkeiten eingeordnet wird: Bedingungen, Einflüsse, Ursachen und Abhängigkeiten werden beschrieben.
Dabei kann man Erklärungen 1. und 2. Ordnung unterscheiden. Erklärungen 1. Ordnung beschreiben Kausalitätsbeziehungen (also Wenn-dann-Zusammenhänge), Erklärungen 2. Ordnung erklären die Gründe für diese Erklärungen oder ersetzen Kausalitätsbeschreibungen durch interdependente Wechselwirkungen. Wichtig ist dabei, dass Beschreibungen von Zusammenhängen nicht automatisch über Ursachen aufklären. Gerade bei vermeintlich einfachen Konstellationen sollten SozialarbeiterInnen ‚Erklärungsschleifen‘ absolvieren, indem sie mehrere Erklärungsmöglichkeiten zulassen, abgleichen und in ihren möglichen Auswirkungen auf das Handeln durchdenken (Nolting / Paulus 1999, 173). Denn gerade Soziale Arbeit ist häufig mit sehr komplexen sozialen Situationen konfrontiert, die ein Verstehen, ein Lesen der Situation erfordern: Wenn von Fall-,Verstehen‘ der Sozialarbeiterin in unserem Beispiel die Rede ist, meint dies etwa das Erfassen von Zusammenhängen, das Verständnis für Menschen und ihre Situation, im Sinne einer Bildung von Hypothesen und Vermutungen. Diese sind für Erklärungen sehr wichtig, da es sich dabei um einen wechselseitigen Prozess von Hypothesenbildung und Überprüfung handelt (Nolting / Paulus 1999, 187 f.). Hypothesen sind plausible Vermutungen, die aber im Verlaufe folgender Prozesserfahrungen widerlegt werden können.
(4) Prognostizieren – die Vorstellung des Zukünftigen kann das gegenwärtige Handeln fördern: An dieser Stelle denkt die Sozialarbeiterin über die gegenwärtig erlebte Situation in der Familie hinaus. Wie entwickelt sich die Situation, wenn bestimmte Faktoren bestehen bleiben oder sich verändern? Was könnte eine bestimmte Hilfe für die Familie bewirken? Was passiert (vor allem mit den Kindern), wenn eine Hilfe nicht erfolgt oder nicht angenommen wird? Allgemein gesprochen: Es wird eine Vorhersage zu den erklärten Zusammenhängen getroffen, indem man sich vor Augen führt, was eine Situation beeinflusst (ein ‚Mittel‘), und es auf einen Sachverhalt bezieht, der vorhergesagt werden soll (ein ‚Prädikator‘). Wie genau eine Prognose erstellt werden kann, hängt davon ab, welche Faktoren SozialarbeiterInnen beschreiben können, wie verlässlich diese Faktoren sind, ob sie Erfahrungen mit ähnlichen Situationen haben und ob es überhaupt die Möglichkeit gibt, das Eintreffen der Prognose zu erkennen (Nolting / Paulus 1999, 189 f.).
(5) Handeln und Evaluieren – am Ende des Reflexionsprozesses und doch der Anfang: Beschreiben, Bewerten, Erklären, Prognostizieren, diese Prozesselemente sind letztlich Vorbereitungen für das professionelle Handeln, und sie beeinflussen es auch in ihren Zielen, Erwartungen und praktischen Schritten. Das Handeln der SozialarbeiterInnen kann je nach Ergebnis des vorgelagerten Reflexionsprozesses eher intervenierend (Korrektur einer als problematisch bewerteten Situation), eher fördernd (Optimieren einer bestehenden, positiv bewerteten Situation) oder präventiv wirken (mögliche negative Entwicklungen vermeiden). Die Evaluation des Handelns ist schließlich motiviert durch die Frage: ‚War die Handlung angemessen und hat sie zum Erfolg geführt? Woran ist dies erkennbar?‘ Es findet also die erneute Beschreibung einer (veränderten) Situation statt, eine Erklärung (‚Welche Faktoren führten (nicht) zur Änderung, welche Bedingungen konnten (nicht) stabilisiert werden?‘), Prognose (‚Wie entwickelt sich demnach die Situation weiter?‘), gegebenenfalls (bei einer Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand) setzen wiederum veränderte Handlungsstrategien der Sozialarbeiterin oder des Sozialarbeiters ein. In unserem Beispiel wird Evaluation v. a. durch Hilfeplangespräche, kollegiale Beratungen und die Dokumentation des Hilfeverlaufes gefördert.
Zusammenfassung des 3. Schrittes: Der Prozess von Beobachten, Beurteilen und Handeln ist auf Fertigkeiten und Fachwissen gleichermaßen angewiesen und auf ein berufliches Selbstverständnis, das sich der das Handeln prägenden Vorverständnisse von sozialen Problemen, von Klienten und der helfenden Beziehung sowie Normalitätsvorstellungen bewusst ist (Michel-Schwartze 2009a, 124 ff.) und sie kritisch reflektiert. In der Abb. 2 ist der vorstehend skizzierte Prozess der handlungsbezogenen Reflexion und Wissensgenerierung (Maykus 2001) grafisch veranschaulicht. Der Modus ‚handlungsbezogene Reflexion‘ ist als Kreislaufmodell zu verstehen. Es soll bei aller Offenheit sozialer und sozialpädagogischer Situationen das Regelhafte in seiner doppelten Bedeutung verdeutlichen, mit dem SozialarbeiterInnen Komplexität strukturieren und ihr Handeln professionalisieren: ‚Strukturierte Offenheit‘ entsteht einerseits durch den regelgeleiteten Umgang damit (sorgfältiger Prozess handlungsbezogener Reflexion in geregelten Schritten) und durch die Konstruktion situationsspezifischer Regeln im Sinne verallgemeinerter Bedingungsgefüge (Wissensanwendung und situationsspezifische -generierung). Diese doppelte Perspektive macht das ‚Handeln nach den Regeln der Kunst‘ aus. Der Prozess verläuft dabei von der Beschreibung und Bewertung der Situation (oder eines aktuell auftretenden Problems; erster Schritt) über deren Erklärung und Prognose (zweiter Schritt) hin zum zielorientierten Handeln mit anschließender Überprüfung der Zielerreichung (dritter Schritt, der wiederum aus der Beschreibung einer neuen Situation besteht und bei einer Diskrepanz zwischen Zielsetzung und Ist-Stand zum Neueinsetzen des Reflexionsprozesses führt). Dieser Prozess hat in der Praxis der Sozialen Arbeit eine generalisierte Bedeutung und äußert sich in mehreren Kontexten methodischen Handelns, die über die adressatenorientierte Fallarbeit hinausgehen.
Abb. 2 Der Modus ‚handlungsbezogene Reflexion‘ am Beispiel der adressatenorientierten Fallarbeit (Quelle: Maykus 2001, 108)
4. Schritt: Den Blick öffnen: Beobachten, Beurteilen, Handeln ist auf mehreren Praxisebenen in Kontexten methodischen Handelns wichtig
Als Hintergrund zu dem hier gewählten Beispiel: SozialarbeiterInnen führen u. a. den Schutzauftrag der Kinder- und Jugendhilfe (nach § 8a SGB VIII) aus: Die Kinder- und Jugendhilfe, allen voran der öffentliche Träger, ist verpflichtet, bei vermuteter Kindeswohlgefährdung Familien zu unterstützen, schwierige Lebens- und Erziehungssituationen mit gezielten Hilfeangeboten zu entschärfen bzw. auch zu intervenieren, wenn Eltern bei akuter Kindeswohlgefährdung Hilfen nicht annehmen. In diesem Fall sind familiengerichtliche Maßnahmen zu vollziehen, was die Kinder- und Jugendhilfe in ein Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle bringt. Dieses Spannungsfeld ist letztlich in allen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe auszutarieren und verlangt nach expliziten Konzepten der Einbindung von Verfahren des Erkennens sowie des Handelns bei Kindeswohlgefährdung in die alltägliche sozialpädagogische Praxis. Hier ist im Besonderen der kompetente Handlungsmodus – Beobachten, Beurteilen, Handeln – gefordert, um jungen Menschen positive Lebensbedingungen zu ermöglichen. Der im § 8a SGB VIII geregelte Schutzauftrag präzisiert das Handeln der Kinder- und Jugendhilfe – und damit der SozialarbeiterInnen – im Kontext drohender oder akuter Kindeswohlgefährdung. Mit dieser Präzisierung werden auch notwendige Rahmenstandards für den Schutzauftrag formuliert. Fachliche Grundlagen hierzu sind inzwischen in mehreren Standardwerken differenziert ausgearbeitet worden (u. a. ISS 2012). Dabei wird die Rolle der Kinder- und Jugendhilfe im Kinderschutz stets explizit verhandelt: Schutz wird zu einer leitenden Maxime im Handeln der Kinder- und Jugendhilfe (vor allem im Handeln der ASD-MitarbeiterInnen) und fordert entsprechend den gesetzlichen Vorgaben eine neue Qualität des Zusammenwirkens von öffentlichen und freien Trägern (vgl. auch Kap. 3.8.) Wenn wir uns die zu Beginn dieses Kapitels beschriebene situative Skizze aus der Praxis einer Familienhelferin vergegenwärtigen, welche Kontexte methodischen Handelns wären dabei zu berücksichtigen?
Erster Kontext methodischen Handelns – adressatenorientierte Fallarbeit: Der skizzierte Fall von Kindeswohlgefährdung löst ein notwendiges Handeln der Fachkräfte im ASD in Kooperation mit der sozialpädagogischen Familienhelferin aus. Diesen Einzelfall (die Situation der Familie, v. a. der Mutter und der Kinder) zu bearbeiten, hieße (Michel-Schwartze 2009b, 130 ff.), eine Informationssammlung vorzunehmen, dabei eine Trennung der Informationen nach Annahmen, Unterstellungen und Bewertungen zu beachten, die gesammelten Informationen in den Kontext, in die vorfindbare Situation einzuordnen, um sich der Frage zu nähern: Wie entstanden die Probleme? Erste Erklärungsversuche auf der Basis von Beobachtungen und Beschreibungen erfolgen, Beurteilungen werden angestellt, auch – soweit möglich und der Situation dienlich – unter Einbeziehung der Betroffenen und deren Urteil über die Situation. Die zu bearbeitenden Probleme werden schließlich definiert, Ziele formuliert und der Auftrag der SozialarbeiterInnen geklärt. Hierbei nehmen sie Sortierungen vor, sie strukturieren die Situation, ‚lesen‘ sie anhand des regelhaften Handlungsmodus. Letztlich erstellen die beteiligten SozialarbeiterInnen eine Typologie des Falles, kennzeichnen den Sachverhalt in seinen charakteristischen, bekannten, aus anderen Fällen bereits erfahrenen und übertragbaren sowie spezifisch ermittelten Aspekten, gewichten Problembereiche: Sie beobachten, kommunizieren, erkennen, klassifizieren im Rückgriff auf Indikatorenlisten und Fachwissen, beurteilen, entscheiden. Für das einzelfallorientierte Handeln sind hier, dem Beispiel folgend, die Verfahren des Kinderschutzes sowie des Hausbesuches (vgl. Kap. 3.8 und Kap. 3.9), der (Sozialpädagogischen) Beratung (Kap. 3.1) sowie des Case-Managements (Kap. 2.1) von Bedeutung. SozialarbeiterInnen sind in solchen und anderen Praxissituationen angewiesen auf die bereits benannte ‚doppelte Regelhaftigkeit‘ im Handeln, die eine strukturierende Wirkung hat und in entsprechende Arbeitshilfen (bezüglich der Planung, Durchführung, Reflexion und Dokumentation) für die Fallarbeit münden kann (vorbildlich dazu v. Spiegel 2018).
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