Kitabı oku: «Migration|Integration|Exklusion - Eine andere deutsch-französische Geschichte des Fußballs», sayfa 7

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Zusammenfassung

Der Beitrag begann mit dem ersten dokumentierten eigenständigen Fußballverein in Lothringen. Er war wie alle Vereine in der Gründungszeit zunächst ein Freizeitverein und als solcher überwand er tatsächlich Grenzen. Migranten aus Deutschland und einheimische Lothringer fanden hier zusammen, weil sie gleiche Interessen – das gemeinschaftliche Fußballspiel – verfolgten. Dass der Fußball aber auch bereits in seiner Gründungszeit Ausgrenzungseffekte generieren konnte, zeigte sich auch darin, dass die Vereine sich ihrerseits abgrenzten vom Anderen, das heißt von anderen Gruppierungen und für sich selbst eine exklusive bürgerlich geprägte Fußballvereinskultur begründeten.

Fußballvereine konnten daher sowohl einen integrativen Charakter haben, wenn es bei den Mitgliedern unterschiedlicher Herkunft um die Verfolgung gleicher Interessen ging. Zugleich hatten sie einen exklusiven Charakter gegenüber anderen sozialen Gruppierungen. Deshalb war es nur begrenzt möglich, den Fußballsport in sozialen oder auch konfessionellen Milieus einzuhegen und für Zwecke der Abschottung des jeweiligen Milieus zu nutzen. Dies war bei Turnvereinen ebenso zu beobachten wie im Arbeitersport und im konfessionellen Sport.

Auffallend ist, wie alle außersportlichen Akteure – von der Deutschen Turnerschaft über die Reformpädagogen, den preußischen Staat oder das Militär den Fußball instrumentalisierend für außersportliche Zwecke nutzen wollten. Die damals vollkommen neue Projektionsfläche Fußball bot jedem etwas: Sozialdisziplinierung, Erziehung durch Bewegung oder Wehrertüchtigung. Die Indienstnahme des Fußballs für außersportliche Zwecke gilt, wie gezeigt wurde, auch für den Arbeiter- wie für den katholischen Sport. Die Ausübung des Fußballsports in sozialen Milieus wurde daher zwar praktiziert, war jedoch quantitativ nicht von großer Bedeutung in Hinblick auf die Entwicklung des Fußballsports als Profi- wie auch als Breitensport.

Die Jugendlichen, wie auch die guten Fußballspieler, gingen zu den sogenannten bürgerlichen Vereinen, die sich für die soziale Herkunft und Konfession nicht interessierten. Die prinzipielle Offenheit war letztendlich auch das Geheimnis ihres Erfolges. Bei ihnen stand der sportliche Erfolg auf dem Platz im Vordergrund. Es ging ihnen – zugespitzt gesagt – um Punkte und Tore im Ligabetrieb. Es ging ihnen nicht um die Festigung eines Milieus, um Abwehrkämpfe, sondern um den sportlichen Erfolg ihres Vereins, der in erster Linie zu diesem einen Zweck gegründet worden war. Pragmatisches Vorgehen war für die bürgerlichen Sportvereine hierbei absolut notwendig.

Wie sehr mit pragmatischem Vorgehen auch ein staatstragendes Verhalten einherging, das wurde in diesem Beitrag am Beispiel der lothringischen Vereine nach 1918 aufgezeigt. Vereine wie die US Forbach hatten sich innerhalb weniger Jahre mit den neuen politischen Gegebenheiten arrangiert. Durch die Verfolgung kongruenter Interessen im Einklang mit Wirtschaft und Politik und durch das Zusammenwirken und -spielen mit Vereinen aus der übrigen Lorraine im lothringischen Fußballverband wurden auch die ursprünglich deutschsprachigen Vereine nach und nach in das republikanische Frankreich integriert.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen

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Sport, Fußball und Migration im Kohlerevier

Polnische Migranten im Ruhrgebiet und in Nordfrankreich

Diethelm Blecking

„Tout immigré est un ȇtre à la fois déchiré entre deux cultures et enrichi par elles“

(Janine Ponty)

Einleitung

Im Jahre 1948 traf der RC Lens beim Endspiel um den französischen Landespokal auf den OSC Lille. Lens verlor dieses Spiel 2:3, bäumte sich aber zweimal gegen die Führungstreffer des Gegners auf. Beide Tore für Lens erzielte „Stanis“ Stefan Dembicki. Der äußerst beliebte Stürmer mit dem polnisch klingenden Namen war allerdings weder in Polen noch in Frankreich zur Welt gekommen. Dembicki wurde 1913 in Dortmund-Marten im deutschen Kohlerevier geboren, er stammte von der ersten Generation polnisch sprechender Migranten*innen im deutschen Ruhrgebiet. Auf Seiten des RC Lens war neben Stefan Dembicki der Verteidiger Marian Pachurka eingesetzt, der am 18. Januar 1918 in Sodingen geboren wurde.1 Dembicki zog nach dem Ersten Weltkrieg mit seiner Familie nach Frankreich, heuerte bereits im Alter von 13 Jahren auf einer Zeche an und war bis zur Rente 1968 in einer solchen in Lens angestellt. Der Sportler hält einen unglaublichen fußballerischen Rekord, weil er in der Spielzeit 1942/43 beim Pokalspiel gegen Auby-Asturies, das 32:0 für Lens endete, 16 Tore schoss. Im Alter betrieb er eine Tabakbar, die Vorverkaufsstelle für Tickets bei Matches und Treffpunkt des Fanclubs von „Racing“ war und „Sang-et–or“ nach den Vereinsfarben hieß. Reminiszenzen an den Tabakladen des Schalker Stars Ernst Kuzorra, der dann an den legendären Dribbelkünstler „Stan“ Libuda überging, sind naheliegend.2 Die migrantisch geprägten Fußball-Kulturen der Reviere in Rheinland-Westfalen und in Nord-Pas-de-Calais in Frankreich hängen zusammen, sind mit der Zeitverschiebung einer Generation Teil der klassischen, älteren Erwerbsmigration, die im 19. Jahrhundert in den ländlichen Gebieten des aufgeteilten polnischen Staates, der ehemaligen Adelsrepublik beginnt. Von diesen Prozessen und ihren Folgen für die Migrationskulturen, für Akkulturation, Integration und Assimilation im Kontext Sport und Fußball soll im Folgenden die Rede sein.

In beiden Regionen spielten polnische Migranten, die in den Kohlegruben arbeiteten, eine tragende Rolle für die Organisation von Vereinen und für ihre Identitätskonstruktionen. Im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung sind diese historischen Prozesse zumeist noch als Legenden und Mythen lebendig. Der politische Diskurs nutzt sie häufig als Referenzfeld für harmonisierende, populäre Reden, die die integrative Kraft des Sports beschwören. Diese affirmativen Bezüge gründen hauptsächlich in der Vorstellung, Sport sei eine Art Selbstläufer in der Bewältigung von Problemen ethnischer Heterogenität, die im Prozess der Migration entstehen und diene der „Integration“ zwischen Zuwanderer*innen und alteingesessener Bevölkerung. Zum Standardrepertoire von Politikern verschiedener Provenienz gehörten deshalb in Deutschland in den letzten Jahrzehnten Statements, die in diesem Kontext angebliche positive historische Erfahrungen beschworen und damit Geschichtspolitik betrieben.3 Auch bei dieser spekulativen Form der Erinnerungskonstruktion ist die Lage in Deutschland und in Frankreich ähnlich. Eine offizielle Geschichte, die in Frankreich 1998 zur Fußball-Weltmeisterschaft ediert wurde, fasste dieses Vor-Urteil so zusammen:

Football in coalmining was an ideal place to closely integrate boys who had different origins and backgrounds. It was a way to provide social promotion.“4

Die Dekonstruktion bzw. die Ausdifferenzierung dieses transnationalen Stereotyps ist ein weiteres Anliegen dieses Artikels.

Polnische Migration ins Ruhrgebiet

Vor dem Ersten Weltkrieg entstand durch Binnenwanderung, insbesondere aus den polnischen Gebieten des Deutschen Reiches1, eine polnischsprachige Minderheit hauptsächlich im Ruhrgebiet2, in Berlin3 und in norddeutschen Städten4. Die Push- und Pullfaktoren, welche die Migration aus den agrarischen Ostprovinzen des Reiches ins schwerindustrielle Ruhrgebiet bedingten, resultierten aus dem unterschiedlichen Tempo und der verschiedenen regionalen Akzentuierung des Modernisierungsprozesses in Deutschland, damit einhergehend der agrarischen Überbevölkerung im Osten, im so genannten „Hinterland“ des Reiches. Schon seit Anfang der 1870er Jahre kamen Polinnen und Polen ins Revier. Der eigentliche Motor der Wanderungsbewegungen war dann die Hochkonjunktur seit 1895.5 Im Zuge der steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften in den Zechen des Reviers strömten polnisch sprechende Menschen aus Oberschlesien, Westpreußen und dem Posener Gebiet sowie aus Masuren, dem südlichen Ostpreußen, nach Westen.6 Im Jahre 1914 arbeiteten über 130.000 Bergarbeiter aus den Ostprovinzen des Reiches in den Zechen des Reviers.7 „Westfalen“ wurde – auch angetrieben durch Kettenwanderungen im klassischen Sinne – zum „ethnoscape“ zum Erfahrungsraum8 für polnische Migranten.

In den von Peußen während der polnischen Teilungen erworbenen Gebieten wurde in dieser Zeit die ökonomische Motivation zur Wanderung durch politischen Druck erhöht. Diese zunehmenden ethnisch-nationalen Spannungen setzten sich bald bis in die Zuwandererkolonien im Reich fort. Die politisch-kulturelle Repression durch die preußisch-deutsche Administration hatte auch hier einen Ethnisierungs- und Politisierungsprozess unter den Polinnen und Polen zur Folge und ließ transnationale Netzwerke entstehen, die von den östlichen Provinzen über Berlin bis ins Revier reichten.9 Die Zahl der vor dem Ersten Weltkrieg im rheinisch-westfälischen Industriegebiet ansässigen polnischsprachigen Menschen wird auf 300.000 bis 400.000 geschätzt.10 Dazu kam noch einmal knapp die Hälfte dieser Zahl Masuren.11

Polnisches Vereinswesen im Revier – die ersten Turnvereine

Kennzeichnend für die soziale Konstruktion ihrer Lebenswelt war für die katholischen „Polen“ ein früh entstehendes Vereinswesen unter dem Patronat der katholischen Kirche, aus dem sie sich aber bald im Laufe der oben explizierten Nationalisierung und Ethnisierung emanzipierten. Die Zeichen standen auf Selbstbestimmung, Eigenorganisation und Zentralisierung. Die aus diesem Prozeß der Ethnisierung sozialen Handelns entstehenden Institutionen sind im Begriff der Subkulturbildung1 zusammengefasst worden. Die zeitgenössische Literatur hat dieses Phänomen bereits umfassend erkannt und beschrieben, wenn Ludwig Bernhard vom „polnischen Gemeinwesen“ im preußischen Staat sprach2 oder wenn auf polnischer Seite zur Kennzeichnung des ethnischen Organisationsgefüges der Begriff „społeczeństwo“ (Gemeinschaft)3 benutzt wurde. Im Kontext der Verdichtung des Netzes polnischer Vereine entstanden im Revier seit 1899, als der erste Verein in Oberhausen gegründet wurde, polnische Turnvereine, „Sokół“ (Falke)4 genannt, die das bereits aus den Ostprovinzen des Reiches bekannte Modell einer nationalkulturellen Bewegung, einer Verkörperung der Nation5 zu implementieren versuchten.6

Die massiven Desintegrationserfahrungen der in der großen Mehrheit als Bergarbeiter beschäftigten Polen im Zuge der Wanderung aus dem agrarisch strukturierten Osten hatten durch soziale Entwurzelung und relative Entrechtung zur Dekonstruktion7 der alten Identitäten geführt. Dies forcierte das Verlangen nach einem stabilen, polnisch getönten Rahmen zumindest in der freien Zeit.8 Die Vereine erreichten bis 1914 zwar nur die Zahl von knapp 7.000 Mitgliedern in der Industrieregion, stellten aber nach den kirchlichen Arbeitervereinen die größte Gruppe im differenzierten polnischen Organisationsnetz. Der Organisationsgrad, bezogen auf die soziale Gruppe der polnischen Migranten*innen im Revier, lag aber mit 1,75 Prozent sogar über dem der Deutschen in der Deutschen Turnerschaft (1,66 Prozent) bezogen auf die Bevölkerung des Reiches.9 Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass der Organisationsgrad der Industriearbeiter im Sport vor dem Ersten Weltkrieg (und bis heute10) erheblich niedriger als der der bürgerlichen Mittelschichten ist. Die Mitglieder waren sozial in der überwiegenden Mehrheit Bergarbeiter.

Sportvereine als Vehikel von Nationalisierung

Körperübungen waren für die Sokolvereine Vehikel im Kontext nationaler Inszenierungen der Ruhrpolen, sie dienten zur Identitätsstiftung und Entwicklung einer neuen sozialen Identität. Deshalb wurden die Übungen aus dem Repertoire des Deutschen Turnens, die im Sokol dominierten bei den Massenfreiübungen, die während der Turnfeste1 stattfanden, durch Übungen mit weiß-roten Fahnen und u.a. mit den Ulanenlanzen ergänzt. Die Turnbewegung trat auch bei ihren Festen als Verkörperung der Nation auf. Vor dem Hintergrund einer wenn auch naiven Vorstellung von „Integration“, wie sie in den oben beschriebenen Legenden generiert wird, können die polnischen Vereine deshalb eher als Vehikel zur Verhinderung für die Eingliederung der Zuwanderer mit polnischer Biografie in die deutsche Mehrheitsgesellschaft beschrieben werden. Folgt man migrationssoziologischen Reflexionen, die „marital assimilation“ als Schlüsselgröße für „Integration“ ansehen2, dann war die polnische Community im Revier im Grunde erfolgreich in der Verhinderung von Integration bzw. Assimilation. Mischehen waren bis zum Ersten Weltkrieg im Ruhrgebiet selten.3 Das Konzept der gegenseitigen ethnischen und gesellschaftlichen Abgrenzung, die oben skizziert wurde, war erfolgreich. Andererseits stellten die Vereine Überlebenshilfen in einer fragmentierten und segmentierten Gesellschaft dar, die als logische Konsequenz der Ausgrenzung nur die Möglichkeit der eigenen Organisation4 ließ. Für die Binnenintegration der polnischen „społeczeństwo“ besaß die Sokolbewegung einen hohen symbolischen Wert, ihre Mitglieder transportierten ein Avantgarde- und Elitebewußtsein, das auch von ihren Gegnern honoriert und bestätigt wurde. Sie halfen mit, polnische Gemeindestrukturen aufzubauen, die den Migranten*innen Angebote für Handlungsmöglichkeiten und den Erwerb einer neuen Identität boten. Die Brückenfunktion, die Migranten*innenorganisationen häufig in der Literatur zugewiesen wird5, auch das „bridging capital“ des Sports6 konnten diese Organisationen im Kontext der Wilhelminischen Gesellschaft schwerlich aktivieren.

No sports – die Randstellung der Arbeiterklasse

Zwar waren bereits seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts die konkurrenzorientierten „english sports“, also der moderne Sport, nach Deutschland gekommen. Fußball, Leichtathletik und Radsport wurden die zentralen Sportarten, die urbanen Metropolen Hamburg sowie Berlin die zentralen Orte der Sportbewegung. Die Industriearbeiterschaft blieb jedoch von den „sports“ ausgeschlossen. Hatte sich in der Deutschen Turnerschaft das ältere Bürgertum, die Schicht der Gebildeten, Studenten, Ärzte, Juristen, Professoren versucht zu vergemeinschaften, so stellte hier jetzt die neu entstandene Schicht der Angestellten mit ihren Distinktionsbedürfnissen die Mehrheit. Sie dominierten im Radsport, im Fußball und in der Leichtathletik und waren dort mit 42,8 Prozent die größte Gruppe. Der moderne Sport wirkte funktionell als Sozialtechnologie bei der Vergesellschaftung dieser „randständigen“ Gruppe und der ebenso von den Eliten der Gesellschaft und ihren Kastenritualen, z.B. vom Reserveoffizierswesen1, ausgeschlossenen Gruppe der Juden. Aber auch der Sport sah sein Ziel in der Erfüllung einer „nationalen Mission“.2 Fußball war demgemäß im Ruhrgebiet weder sozial noch politisch ein Feld für das polnische Bergarbeiterproletariat. Erst die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George Kennan) sorgte für jenen rasanten sozialen Wandel, der für die polnische Minderheit und den Sport im Revier neue Optionen dringlich und möglich machte.

Nach dem „Großen Krieg“ – Der Weg der polnischen Minderheit zur Assimilation

Die Neubildung des polnischen Staates nach dem Waffenstillstand im November 1918 veränderte die Lage für die Polen im Revier dramatisch, sodass sich die Geschichte und die Lage der Ruhrpolinnen und -polen vor und nach dem Ersten Weltkrieg kaum vergleichen lässt.1 Bis Januar 1922 optierten „deutlich unter 50.000“ für Polen2, zwischen 50.000 und 80.000 Polinnen und Polen wanderten hauptsächlich in die belgischen und französischen Kohleregionen ab. Im Jahre 1929 ging das polnische Konsulat in Essen nur noch von 150.000 Polinnen und Polen im Ruhrgebiet aus.3 Die Spielerkarriere im „Polacken- und Proletenklub“4 geriet jetzt zur „assimilativen Handlungsopportunität“5. Diese Änderung in der Zweck- und Zielbestimmung der polnischen Sportbewegung im Revier reflektierte das Ende einer selbstreferentiellen Subkultur polnischer Migranten.6 Die Ziele ihres ethnisch-nationalen Programms waren durch die Folgen und die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges mit der Wiedererrichtung des polnischen Nationalstaates erreicht worden.7 Die Uhr des sezessionistischen Nationalismus war abgelaufen.8

Polnische Migranten im Ruhrgebietsfußball

Der Fußballsport hatte durch seine Bedeutung als Militärsport1 während des Ersten Weltkrieges eine große Verbreitung unter den Soldaten gefunden, die auch nach der Demobilisierung an dem Kampfsport festhielten und dem Spiel eine große Härte verliehen, die die sportliche Sozialisation an der Front nicht verbergen konnte.2 Hatte die Mitgliedszahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) 1913 bei 161.600 gelegen, so verfünffachte sich diese Zahl fast bis 1921 auf 780.500.3 Dabei blieb deutschlandweit die Dominanz der Angestellten und der Mitglieder aus bürgerlichen Berufen gerade unter den Aktiven erhalten.4 Eine Evidenz, die ihre Erklärung u.a. im strikten Festhalten des DFB am Amateurismus findet, der als struktureller sozialer Distinktionsmechanismus gegenüber den Unterschichten wirkte.5

Anders sah die Situation im Ruhrgebiet aus. Hier gewann jetzt in der Zuwanderungsgesellschaft des Reviers die multiethnische und proletarische Dimension des Fußballsports im Ruhrgebiet an Bedeutung.6 Gerade in der unmittelbaren Nähe zu den großen Zechen entstanden Mannschaften mit überwiegend proletarischen Mitgliedern und proletarischem Anhang.7 Unter diesen finden sich jetzt in vielen Vereinen des Reviers Menschen mit polnischen Namen, so z.B. beim Traditionsverein Rot-Weiß Essen. Dem Verein traten seit 1919 zahlreiche Mitglieder mit polnischem Namen bei und sie wirkten auch als Funktionsträger bzw. als Angestellte. Bis 1939 stellten sie ca. 10 Prozent der Mitgliedschaft. Seit 1931 wirkte für den Verein der Platzwart Hermann Greszick, der seinen Namen 1932 in Kress änderte. Die Namensänderungen sind ein deutliches Zeichen für die Assimilation. Andere Spieler änderten ihre Namen von Regelski zu Reckmann, von Czerwinski zu Rothardt und von Zembrzyki zu Zeidler. Etwa 240.000 polnisch bzw. masurischstämmige Menschen sollen auf diese Weise bis 1937 im Ruhrgebiet ihre Namen „germanisiert“ haben.8 Für die Forschung zu den multiethnischen Dimensionen des Sports nach dem Ersten Weltkrieg bleibt das Problem, dass allein auf Grund der Namen keine Differenzierung zwischen „Polen“ und „Masuren“ möglich ist.

Auch im sozialistischen Arbeitersport finden sich jetzt im Ruhrgebiet Mitglieder mit polnischen Namen. So im Essener Arbeiter-Turn- und Sportverein Schonnebeck sogar durchgehend im Vorstand. Für die Zeit der Weimarer Republik ist damit von einem Nebeneinander von polnischen Sportverbänden bzw. Vereinen und Mitgliedschaften in den anderen Verbänden bis hin zum Arbeitersport auszugehen. Die aktive Mitgliedschaft als Fußballer in einem renommierten Verein des Reviers gewann jetzt für die Nachkommen der Migranten den Charakter einer rationalen Wahl zur Verbesserung ihrer sozialen Situation.

Gerade der höherklassige Fußball im Revier wurde jetzt stark von Spielern mit einer polnischen Migrationsbiographie geprägt: Von 15 Vereinen, die 1937/38 in den Ligen Westfalen und Niederrhein um die Gaumeisterschaft spielten, schickten alle „in mindestens einer Begegnung Spieler mit polnischen Familiennamen wie beispielsweise Rodzinski, Pawlowski, Zielinski, Sobczak, Lukasiewicz, Tomaszik oder Piontek auf das Spielfeld“9. Unter allen Spielern, die eingesetzt werden, sind 68 mit polnischen Familiennamen. Auch die zeitgenössische deutsche Fußballnationalmannschaft führt mit Szepan, Kuzorra, Gellesch, Urban, Kobierski, Zielinski und Rodzinski solche Spieler im Tableau.

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