Kitabı oku: «Nation, Europa, Christenheit», sayfa 3

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Lothar Mack begibt sich mit dem deutsch-jüdischen Philosophen Eugen Rosenstock-Huessy in einen intensiven Gedankenaustausch zum Thema „Deutschland als Heimat“, aus dem eine Art prophetische Meditation resultiert. Der Austausch erfolgt über eine Zeit von hundert Jahren hinweg, geht aber dabei doch von so frappierend übereinstimmenden Bedingungen der geistig-geistlichen Situation und Verfasstheit aus, dass die damals gewagten Gedankenwürfe auch Licht in unsere Gegenwart bringen und sie klären helfen können. Der Tendenz zur politischen, kulturellen und intellektuellen Selbstverschließung unserer Zeit setzt Lothar Mack den tastenden Aufbruch ins Offene, Dunkle und noch Unerkannte entgegen.

Daniel Zöllner steuert eine kulturphilosophische Betrachtung zu Europa als Ursprungsort und ideengeschichtlichem Entwicklungsraum der Säkularisierung bei. Die Säkularisierung wertet er im Unterschied sowohl zu einem linken Geschichtsverständnis, das in ihr die positive Überwindung des Christentums versteht, als auch zu einem rechten Geschichtsverständnis, das in ihr die negative Entfremdung vom Christentum sieht, als notwendige Konsequenz des christlichen Glaubens selbst. Als Kronzeugen ruft er dabei den jüdischen Philosophen Jacob Taubes und den zu Unrecht in Vergessenheit geratenen jungkonservativen Theologen Friedrich Gogarten auf. Zöllners Sicht legt nahe, dass Europa als Kulturraum aus der Verbindung von Christentum und Säkularisierung entstanden ist und nur durch deren bleibende Verbindung als solcher bewahrt werden kann.

André Thiele versucht in einem kurzen, aber prägnanten Essay, Realität und durchaus antibürgerliche Radikalität des Kreuzes als Einbruch einer absoluten Gegenwelt ins Politische jeder Art zu fassen.

Marc Stegherrs Aufsatz thematisiert die katholischen Traditionalisten, ein mittlerweile weitgespanntes Netz aus Priesterbruderschaften und Interessengruppen. Diese eint ihre Ablehnung der Anpassung der kirchlichen Lehre und Liturgie an progressive, linksliberale Zeitströmungen. Sie deshalb als politisch rechts zu bezeichnen, greift zu kurz und wird der Problematik nicht gerecht. Man versucht damit, die substanzielle Kritik der Anhänger der Tradition, ihre paradigmatische Anfrage an die Kirche, ob sie aus der Tradition lebt oder sich quasi täglich „neu erfindet“, ins Politische abzuschieben und zu stigmatisieren. Auch sind die Ansätze und Charismen der verschiedenen Gemeinschaften der Tradition trotz generell gemeinsamer Anliegen zu heterogen, um sie – wie es oft geschieht – auf den simplen und im Grunde unscharfen Nenner des „Traditionalismus“ zu bringen.

Jaklin Chatschadorian formuliert eine Fundamentalkritik am christlich-islamischen Dialog. Werden seitens der Politik und der Leitmedien durchweg die Erfolge dieses Dialogs beschworen – bzw. bereits der Dialog an sich zum Erfolg erklärt –, deckt sie Missverständnisse und Falschdarstellungen auf, die bisher noch nirgendwo Eingang in die Berichterstattung gefunden haben. Sie erklärt, was unter dem Stichwort der Islamisierung zu verstehen ist, warum dies kein eingebildeter, sondern ein höchst wirklicher und wirksamer Prozess ist und warum gerade der mit zu vielen irrigen Hoffnungen überfrachtete „Dialog“ kein echter Dialog ist, sondern zum Katalysator der Islamisierung geworden ist. Als Juristin denkt sie vornehmlich von der rechtlichen Sicht auf die Phänomene her, verfügt aber gleichzeitig über vielfältige persönliche Erfahrungen im Bereich der Integrationspolitik. Ihre Kritik richtet sich ebenso sehr gegen den Tunnelblick der christlichen Seite wie gegen die Haltung der islamischen Seite und regt zum grundsätzlichen Überdenken der bisherigen Voraussetzungen und Umsetzungen des christlichislamischen Dialogs an.

Volker Münz sieht im Populismus eine Reaktion auf Krisensymptome der Demokratie, welche angesichts der wachsenden Kluft zwischen der Minderheit der Gewinner und der Mehrheit der Verlierer der Globalisierung zutage treten. Er bricht eine Lanze für einen wohlverstandenen Populismus, der eine christlich-konservative Politik unterstützen kann.

Daniel Führing arbeitet in seinem Aufsatz die Quintessenz des vielfach auslegbaren Naturrechts heraus, das der damalige Papst Benedikt XVI. 2011 in seiner Bundestagsrede als große Errungenschaft des abendländischen Geistes herausgestellt hat. Naturrecht ist nicht ohne das Richtmaß der Vernunft zu denken. Aus der schon seit Generationen feststellbaren Abkehr vom Naturrecht und aus der Dominanz des rein formalistischen Rechtspositivismus resultieren verschiedene Deformationserscheinungen wie die „Ehe für alle“ oder die Abirrungen des Gender-Mainstreamings. Zu Recht zitiert Führing mit Leo Strauss einen großen Vertreter jüdisch-abendländischen Geistes, der durch den Rassenwahn aus seiner Heimat vertrieben wurde und gerade deshalb die verbindlichen Maßstäbe eines epochenübergreifenden Rechts mit Verve verteidigt hat: „Die gegenwärtige Ablehnung des Naturrechts führt nicht zum Nihilismus, nein, sie ist identisch mit Nihilismus.“

Weihbischof Athanasius Schneider nimmt den Brand der Kirche Notre-Dame zum Anlass für ein Mahnwort an die deutsche Christenheit, sich den christlichen Glauben mit neuem Ernst persönlich anzueignen und für den Erhalt der christlichen Identität des Abendlands einzustehen.

Literatur

Barth, Heinz-Lothar: „Die gemeinsame Erklärung von Papst Franziskus und dem Kairoer Großimam in Abu Dhabi: Einige Stärken – erhebliche Schwächen“; in: Kirchliche Umschau 22 (4/2019), S. 4–53.

Bender, Justus: Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland, München 2017.

Böckenförde, Ernst-Wolfgang: „Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“; in: Sergius Buve (Hg.): Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart u. a. 1967, S. 75–94.

Congdon, Lee Walter: „Orbáns ungarischer Aufstand“; in: Cato. Magazin für neue Sachlichkeit 3/2019, S. 29–36.

Czopf, Támas: Neues Volk Gottes? Zur Geschichte und Problematik eines Begriffs, St. Ottilien 2016.

Dahm, Klaus-Peter: Vom Klimawandel zur Energiewende: Eine umfassende Prüfung der zugrundeliegenden Annahmen, Berlin 2016.

Decker, Frank (Hg.): Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?, Wiesbaden 2006.

Depenheuer, Otto u. Grabenwarter, Christoph (Hg.): Der Staat in der Flüchtlingskrise. Zwischen gutem Willen und geltendem Recht, Paderborn 2016.

Dibelius, Otto: Obrigkeit, Stuttgart u. Berlin 1963.

Dirsch, Felix: „‚… lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann‘. Lesarten und Interpretationsprobleme der Böckenförde-Doktrin als eines kanonisierten Theorems der deutschen Staatsrechtslehre“; in: Zeitschrift für Politik 56/2009, S. 123–141.

Ders.: „Greta & Co. Propheten und Pseudopropheten halten die Menschheit seit Jahrhunderten moralisch auf Trab“; in: Die Tagespost vom 02. Mai 2019, S. 19.

Ders., Münz, Volker u. Wawerka, Thomas (Hg.): Rechtes Christentum? Der Glaube im Spannungsfeld von nationaler Identität, Populismus und Humanitätsgedanken, Graz 2018.

Freundl, Otto: Das Urchristentum in der Betrachtung des historischen Materialismus. Darstellung und historisch-methodische Kritik an Hand der Werke von Friedrich Engels, August Bebel und Karl Kautsky, Phil. Diss., München 1974.

Fukuyama, Francis: Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet, Hamburg 2019.

Habermas, Jürgen: „Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den ‚öffentlichen Vernunftgebrauch‘ religiöser und säkularer Bürger“; in: ders.: Zwischen Naturalismus und Religion: Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 2009, S. 119–154.

Henze, Arnd: Kann Kirche Demokratie? Wir Protestanten im Stresstest, Freiburg i. Br. 2019.

Knütter, Hans-Helmuth: Die Faschismuskeule. Herrschaftsinstrument der Linken, Schnellroda 2018.

Küng, Hans: Projekt Weltethos, München u. Zürich 1990.

Ders.: Das Christentum. Wesen und Geschichte, München u. Zürich 1999.

Legutko, Ryszard: Der Dämon der Demokratie. Totalitäre Strömungen in liberalen Gesellschaften, Wien u. Leipzig 2017.

Lesch, Walter (Hg.): Christentum und Populismus. Klare Fronten?, Freiburg i. Br. u. a. 2017.

Limburg, Michael u. Mueller, Fred F.: Strom ist nicht gleich Strom. Warum die Energiewende nicht gelingen kann, Jena 2015.

Lübbe, Hermann: Religion nach der Aufklärung, 3., veränd. Aufl., München 2004.

Martin, Malachi: Der letzte Papst, Rottenburg 2007.

Matussek, Matthias: „‚Ich mag Ihnen nicht mehr folgen‘“; in: Junge Freiheit vom 12. April 2019, S. 13.

Messner, Johannes: Das Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik, 3., neubearb., wesentl. erw. Aufl., Innsbruck u. a. 1958.

Müller, Jan-Werner: Wo Europa endet. Ungarn, Brüssel und das Schicksal der liberalen Demokratie, Berlin 2013.

Ders.: Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin 2016.

Niethammer, Lutz: Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur, Reinbek b. Hamburg 2000.

Palm, Kerstin: „Ist Geschlecht naturgegeben oder konstruiert?“; in: Laubach, Thomas (Hg.): Gender – Theorie oder Ideologie?, Freiburg i. Br. 2017, S. 147–160.

Ratzinger, Joseph: Das neue Volk Gottes. Entwürfe zur Ekklesiologie, Düsseldorf 1969.

Ders.: Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche, St. Ottilien 1992.

Rohrmoser, Günter: Der Ernstfall. Die Krise unserer liberalen Republik, 2. Aufl., Frankfurt a. M. u. Berlin 1996.

Ders.: Geistiges Vakuum – Spätfolgen der Kulturrevolution. Plädoyer für die christliche Vernunft, Bietigheim 1997.

Ders.: Kampf um die Mitte. Der Moderne Konservativismus nach dem Scheitern der Ideologien, München 1999.

Ders.: Kann die Moderne das Christentum überleben? Oder: Kann die Moderne ohne das Christentum überleben?, hg. v. Harald Seubert, Ansbach 2013.

Schachtschneider, Karl Albrecht: Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik: Ein Staatsstreich der politischen Klasse, Rottenburg 2011.

Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen, Hamburg 1933.

Schöpflin, György: „Mitteleuropa in der Falle. Zur Mesalliance mit der EU“; in: Osteuropa 3–5/2018, S. 323–349.

Schuler, Ralf: Lasst uns Populisten sein. Zehn Thesen für eine neue Streitkultur, Freiburg i. Br. 2019.

Schwarz, Hans-Peter: Die neue Völkerwanderung nach Europa. Über den Verlust politischer Kontrolle und moralischer Gewissheiten, München 2017.

Sommerfeld, Caroline: „‚Gegen Allahu akbar hilft nur Deus vult!‘ Christentum und Identitäre Bewegung“; in: Dirsch, Münz u. Wawerka (Hg.): Rechtes Christentum?, S. 190–203.

Spaemann, Robert: „Weltethos als ‚Projekt‘“; in: Merkur 50/1996, S. 893–904.

Ders.: Meditationen eines Christen. Eine Auswahl aus den Psalmen 52–150, Stuttgart 2016.

Troeltsch, Ernst: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, 2 Bde., Tübingen 1998.

Anmerkungen

1Statt anderer Publikationen, die ebenfalls fundierte Einwände vorbringen, ist zu nennen: Dahm 2016.

2Einer der Lautstarken unter ihnen war der 2008 verstorbene Sozialphilosoph Günter Rohrmoser, der die Trendwende in vielen Publikationen weit ausholend hinterfragte; vgl. etwa Rohrmoser 1996.

3Rohrmoser 1999: bes. 269–282.

4Eine lesenswerte Analyse: Knütter 2018.

5Rohrmoser 1999: 24, der wortmächtig eine „rechte Mitte“ fordert.

6Stellvertretend: Limburg/Mueller 2015.

7Pointiert: Schachtschneider 2011.

8Hauptsächlich vom politischen wie historischen Standpunkt: Schwarz 2017; stärker aus juristischer Sicht verfasst sind die bei Depenheuer/Grabenwarter 2016 abgedruckten Beiträge.

9Als eines von vielen Beispielen: Bender 2017.

10Als Beispiel für die Zeit vor der gegenwärtigen Großdebatte über den Populismus: Decker 2006.

11Aus der Fülle an Literatur ist zu nennen: Müller 2016; als ausgewogene Darstellung über den Populismus darf gelten: Schuler 2019.

12Aus prominenter Warte (und anders akzentuiert als bei John Rawls): Habermas 2009: 119–154.

13Böckenförde 1967: 75–94. Aus der Fülle der Interpretationen: Dirsch 2009: 123–141.

14Statt anderer Veröffentlichungen vom gleichen Autor: Rohrmoser 2013.

15Lübbe 2004.

16So unter anderem bei Rohrmoser 1999: 280.

17Als herausragendes Beispiel für einen Vertreter des Kulturprotestantismus ist exemplarisch anzuführen: Troeltsch 1998.

18So in seinen Hauptströmungen das Luthertum mit starkem Rekurs auf Röm 13; als Beispiel: Dibelius 1963. Auch herkömmliche katholische Bezüge auf Naturrecht und Schöpfungsordnung, welche auch eine protestantische Auslegung kennt, können in toto als konservativ gelten; stellvertretend für andere sei die beinahe erschöpfende Monografie von Messner 1958 genannt.

19Zu den wichtigen materialistischen Deutungen des Urchristentums bei einigen sozialistischen Klassikern: Freundl 1974.

20So der Grundtenor der Beiträge in dem Sammelband von Lesch 2017; als Pendant auf protestantischer Seite Henze 2019: bes. 33–50. Die Ablehnung der „unheiligen Allianzen“ von Kirche und Populisten darf natürlich nicht fehlen.

21Siehe dazu den Beitrag von Palm 2017: 147–160. Immerhin hat sich das oberste kirchliche Lehramt mittlerweile zu einer deutlichen Ablehnung der Gender-Ideologie durchgerungen.

22Siehe die preisgekrönte, in den frühen 1950er-Jahren erstmals publizierte Dissertation von Joseph Ratzinger (Ratzinger 1992).

23So die Aufsatzsammlung des jungen Theologen Ratzinger 1969.

24Czopf 2016.

25Matussek 2019: 13.

26Siehe die ausführlichen Anmerkungen zu dieser Erklärung bei Barth 2019: 4–53.

27Kritisch gegenüber dem medialen Greta-Hype Dirsch 2019: 19.

28Martin 2007.

29Zu einigen Hintergründen des Demokratiediskurses in Ungarn und den Widerständen in der EU dagegen: Müller 2013.

30„Viktor Orbán’s ‚State of the Nation‘ Address“; zit. n. Congdon 2019: 29–36, hier 34 f.

31Congdon 2019: 33.

32Schöpflin 2018.

33Legutko 2017.

34Kritisch gegenüber dem Faktor Identität, besonders in seiner kollektiven Variante, die in den letzten Jahren weltweit intensiv diskutiert wurde: Niethammer 2000; der Bestseller von Samuel P. Huntington, „Kampf der Kulturen“ (München 1996), löste viele Debatten aus, ebenso der mächtige internationale Islamismus in unterschiedlichen Facetten; zu den viel diskutierten Titeln in letzter Zeit: Fukuyama 2019.

35Zur Kritik: Spaemann 1996: 893–904.

36Küng 1996. Im Anschluss an diese Schrift sind, zum Teil vom Autor selbst initiiert, etliche Bände erschienen, die diese Unternehmung spezifizieren.

37Schmitt betont in seiner wirkmächtigen Schrift über den „Begriff des Politischen“, dass in der rund tausendjährigen Konfliktgeschichte zwischen Islam und Christentum noch niemand auf den Gedanken gekommen sei, mit Rekurs auf das Gebot der Nächstenliebe freiwillig christliche Räume dem Islam auszuliefern. Er kannte jedoch noch nicht das hypermoralisch-humanitaristisch aufgeladene Christentum unserer Zeit. Der (wenigstens in politischer, nicht unbedingt in privater Hinsicht gültige) Feindbegriff lässt sich Schmitt zufolge nicht suspendieren (Schmitt 1933: 11). Der eine Generation jüngere, stärker am katholischen Lehramt orientierte Philosoph Robert Spaemann verweist auf die Notwendigkeit des Geschichtsgedächtnisses zum Zusammenhalt eines Volkes oder einer kulturell miteinander verbundenen Gemeinschaft. Im konkreten Fall gehörten substanziell zu dieser Erinnerung „der tausendjährige Abwehrkampf der christlichen Zivilisation gegen den islamischen Imperialismus, die Erzählung von Karl Martell und der Schlacht von Tours und Poitiers, vom Sieg der Christen in der Seeschlacht von Lepanto mit Don Juan d’Austria, begleitet vom Rosenkranzgebet der ganzen Christenheit“ (Spaemann 2016: 21), des Weiteren noch die Errettung Wiens durch Prinz Eugen und den polnischen König. Die Identitäre Bewegung, die Gegenstand heftiger Attacken des Establishments ist, versucht diese Erinnerung weiter aufrechtzuerhalten.

38Ohne Vorbehalte und faktengesättigt: Sommerfeld 2018: 190–203.

39Zu entsprechenden Hintergründen in kulturkritischer Absicht: Rohrmoser 1997.

40Dirsch, Münz u. Wawerka 2018.

41Anhand reichhaltigen historischen Materials wird bei Küng 1999 der Kuhn’sche Begriff des Paradigmenwechsels in kirchengeschichtlichen Kontexten erörtert.

Biblisch-theologische Grundlegung I: Nächstenliebe und Barmherzigkeit

Von Thomas Wawerka

I.

Das sog. Framing-Manual empfiehlt der ARD: „Wenn Sie Ihren Mitbürgern die Aufgaben und Ziele der ARD begreifbar machen und sie gegen die orchestrierten Angriffe von Gegnern verteidigen wollen, dann sollte Ihre Kommunikation nicht in Form reiner Faktenargumente daher kommen, sondern immer auf moralische Frames aufgebaut sein, die jenen Fakten, die Sie als wichtig erachten, Dringlichkeit verleihen und sie aus Ihrer Sicht – nicht jener der Gegner – interpretieren. […] Wer maximale Framing-Effekte hervorrufen will, der muss in seiner Kommunikation also auf moralische Kohärenz achten.“1


Moral, der Wille zum Gutsein, ist eine höchst ambivalente Angelegenheit. Auf der einen Seite ein innerer Kompass des Denkens, Redens, Handelns, die Stimme des sokratischen daimonion, die Stimme des Gewissens, Ausdruck der Freiheit, Ausweis des Menschseins, indem der Mensch sich übers „Reich der Notwendigkeit“ erhebt und der Welt, besonders der Welt seiner Mitmenschen, der sozialen Welt, kreativproduktiv gegenübertritt. Auf der anderen Seite vielleicht bloße Umweltresonanz, Konditionierung durch die Gesellschaft, ein passives Sich-formen-Lassen, Sich-Gleichmachen, Anpassen an Erwartungen, Nachsprechen und Nachmachen des Gegebenen. Im schlechtesten Falle – wie im Fall des ARD-Framing-Manuals – jedoch ein Mittel zu Zwecken im Werkzeugkasten von Sophisten, Faktor in einer Kosten-Nutzen-Rechnung, kalte Klinge des Sozialtechnikers, Brennholz für den Propagandisten. Und oft ist das eine vom anderen schwer oder kaum noch zu unterscheiden, allzu oft tritt das eine in der Maske des anderen auf oder sind die Aspekte unentwirrbar eng miteinander und ineinander verknäult. Und jeder einzelne Aspekt für sich genommen ist ambivalent.

Moral will sich äußern. Moral will gestalten. Moral will verändern, auf die eine oder andere Weise.

Dennoch, zur Verwunderung vieler Nichtchristen und mittlerweile wohl auch vieler Christen ist Moral nicht das Leitthema des christlichen Glaubens. Es bedeutet, den christlichen Glauben empfindlich zu beschneiden, ja ihn zu verstümmeln, wenn man ihn als Regularium zur Besserung des Menschseins auffasst. Der christliche Glaube kann und muss mitunter sogar amoralisch sein. Das betrifft nicht nur die Konfrontation mit einer aus christlicher Perspektive falschen oder unzureichenden Moralität, wie es beispielsweise in der Konfrontation Christi mit den Pharisäern deutlich wird, wie es auch in der Konfrontation des Paulus mit „denen, die sich selber rühmen“ deutlich wird, sondern die Aufhebung des sozialen Urteils anhand einer Gut-böse-Bruchlinie überhaupt.

Die Polarität von „gut und böse“, die sich in jedweder Moral ausdrückt, scheint zum Grundbestand des Menschseins zu gehören, näherhin zur Grundverfassung des Menschen als sozialem Wesen. Für Robinson hatte Moral jenseits erlernter Konventionen auf seiner Insel keinerlei Raum, bis Freitag kam. Moralität ist eine Folge der Sozialität. Durch die Begegnung mit dem Anderen kam es für Robinson zur moralischen Situation: Sollte er ihn vor den Kannibalen retten? Sollte er ihn den Kannibalen ausliefern? Sollte er ihn und die Kannibalen ignorieren? Und apropos Kannibalen: Wie sollte er sich denen gegenüber verhalten? Was ist in dieser Situation gutes, was ist böses Handeln? Die moralische Situation ist eine Entscheidungssituation.

Vor der Heraufkunft des christlichen Abendlandes war diese Entscheidungssituation bzw. die Bruchlinie durch die Sitten der Väter definiert. Die Bedingungen des Zusammenlebens sind in der kahlen, kühlen Bergwelt andere als im schönsten Wiesengrunde, sie sind im ewigen Eis andere als in der ewigen Wüste. Man müsste meinen, die Art und Weise des Zusammenlebens und folglich das, was „gut“ und „böse“ genannt wird, müsse sich den natürlichen Gegebenheiten ebenso optimal anpassen wie jeder einzelne Mensch durch die Art und Weise seiner Kleidung, Ernährung, Behausung, aber so ist es nicht. „Gut“ war durchaus nicht immer das, was das gute Leben förderte – und so ist es bis heute. Moral drückt sich oft gerade als Gegenteil des Wohllebens aus: als Einschränkung, als Verzicht, als Opfer bis hin zum Martyrium. Dahinter verbirgt sich auch keine „Do-ut-des“-Berechnung, nach der ein Opfer nützlich sein kann, wenn es mir beispielsweise jemanden zur Dankbarkeit verpflichtet, wenn ich bei jemandem etwas „guthabe“, jedenfalls nicht ausschließlich. Das Gute, dem man durch die Moral zu entsprechen versucht, ist originär metaphysischer Natur. Antigone muss ihren getöteten Bruder Polyneikes bestatten, auch wenn es nur symbolisch durch eine Handvoll Erde geschieht. Der innere Ruf, ja der Zwang zu dieser moralischen Handlung ist stärker als das Gesetz des Königs und als jedweder denkbare Nutzen. Antigone kann für ihre moralische Handlung nichts anderes erwarten als den eigenen Tod. Auch sonst hat niemand einen Nutzen davon.

Moral ist eine Macht, und wer die Macht über die Moral hat, hat größere Macht als der, der wie Kreon die Macht über Leben und Tod hat.

In der zweiten Epoche der europäischen Moralgeschichte war die Entscheidungssituation bzw. die Bruchlinie christlich definiert. Mehr als tausend Jahre lang bestimmte die Lehre der Kirche, was „gut“ und was „böse“ war. In der aktuellen dritten Epoche sind es die „Werte“, die sich aus dem Kondensat der philosophischen Diskussion ergeben, die mit der Aufklärung begonnen hat und deren letzte Aktualisierung die Frankfurter Schule darstellt: Ideen, die sich in Schlagworten wie „Menschenwürde“ oder „Menschenrechte“ äußern, „Demokratie“, „Gerechtigkeit“, „Solidarität“, „Gleichheit“. Dabei will man säkular sein, bedient sich aber reichhaltig und durchaus eklektisch aus dem spirituellen Schatz, der in der vorangegangenen Epoche angespart wurde, verleiht er doch dem Menschlich-Allzumenschlichen höhere Weihen. Besonders beliebt ist die Beschwörung der christlichen Begriffe – und hier sind sie nun endlich – „Nächstenliebe“ und „Barmherzigkeit“.

Ausgerüstet mit dem Erntestock klopft man die Krone des alten Baumes ab, ob vielleicht doch noch ein paar brauchbare Oliven herabfallen mögen.

Man entfremdet die Begriffe von ihrem christlichen Ursprung. Man verändert sie damit. Sind sie erst einmal im Sprachsalat des modernen Humanitarismus gelandet, gehen sie ihres Sinns und ihrer Würde verlustig. Ein letzter Schimmer ist schon noch vorhanden, ein Nachgeschmack des Eigentlichen (sonst wären sie ja nicht zu gebrauchen), doch wie wenig hat das, was man nun vollmundig verbreitet, mit dem zu tun, was eigentlich nur nachgebetet werden kann! – Aber so funktioniert es. Das ist Framing.

Framing ist nicht generell verwerflich. Es bedeutet einfach: etwas in einen Bezugsrahmen einordnen. Das tun wir alle. Es ist auch nicht unbedingt als politisches Instrument verwerflich. Die nachständische bürgerliche Gesellschaft ist Massengesellschaft, und die Masse muss irgendwie in irgendeiner Form gehalten werden. Natürlich geht man vom Idealbild des mündigen Bürgers und der demokratischen Verfassung aus, aber wie jedes Ideal ist auch dieses nur bedingt praktikabel oder alltagstauglich. Die bürgerlichen Institutionen, die bisher dem Einzelnen und damit der Gesellschaft insgesamt Form gaben, die Orientierung und Ordnung vermittelten – Schule, Kirche und Heer –, verlieren unter dem Diktat der Liberalisierung und der politischen Gleichschaltung zunehmend ihre Prägekraft. Auf die Liberalisierung folgt Banalisierung. Man kann die Masse auch durch Gewalt und Gulag lenken, wenn man das aber nicht will, ist man auf die Mittel der Psychologie angewiesen. Edward Bernays eröffnet sein 1928 erschienenes Buch „Propaganda“ mit den Worten:

„Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist. Wir werden regiert, unser Verstand geformt, unsere Geschmäcker gebildet, unsere Ideen größtenteils von Männern suggeriert, von denen wir nie gehört haben. Dies ist ein logisches Ergebnis der Art, wie unsere demokratische Gesellschaft organisiert ist. Große Menschenzahlen müssen auf diese Weise kooperieren, wenn sie in einer ausgeglichen funktionierenden Gesellschaft zusammenleben sollen. In beinahe jeder Handlung unseres Lebens, ob in der Sphäre der Politik oder bei Geschäften, in unserem sozialen Verhalten und unserem ethischen Denken, werden wir durch eine relativ geringe Zahl an Personen dominiert, welche die mentalen Prozesse und Verhaltensmuster der Massen verstehen. Sie sind es, die die Fäden ziehen, welche das öffentliche Denken kontrollieren.“2

Entsprechend dem „Laplaceschen Dämon“ der Physik ließe sich ein „Bernaysscher Dämon“ vorstellen, der jede moralische Regung eines menschlichen Gewissens sowie die moralischen Regungen aller Gewissen kennt und ein perfektes psychologisches Instrumentarium zur Hand hat, mit dem er diese Regungen steuern kann. Die Steuerung einer Gesellschaft und jedes einzelnen ihrer Individuen wäre dann ohne jeglichen Zwang, sogar ohne jegliche Androhung von Zwang oder Gewalt möglich – die Menschen würden aus moralischen Gründen und damit aus (vermeintlich) eigenem Antrieb heraus tun, was sie im Sinne der „unsichtbaren Regierung“ tun sollen.

Der „Bernayssche Dämon“ ist keine Realität, und es ist fraglich, ob er es je werden kann. Aber genauso fraglich ist es, ob er nicht dennoch Wunsch- und Zielvorstellung in politischen Stiftungen und Instituten, Denkfabriken und NGOs ist. Die Instrumente sind da, sie werden eingesetzt, und das moralische Framing ist eines davon.

In kaum einem anderen Zusammenhang wird dies aktuell so deutlich wie in der Migrationsdebatte, und in kaum einem anderen wird – gerade von Protagonisten, die sich sonst aggressiv oder zumindest bewusst säkular geben – die christliche Begrifflichkeit derart inflationär verwendet, derart ausgeschüttelt und ausgewrungen, als gälte es, das letzte bisschen höhere Bestimmung herauszupressen, mit der man die eigenen Absichten gerade angesichts zunehmender Kritik bemäntelt und beschützt sehen will. Den Kritikern der Migrationspolitik werden hingegen unisono „Nächstenliebe und Barmherzigkeit“ abgesprochen bzw. wird von ihnen ein Bekenntnis zu „christlichen Werten“ gefordert, die wahlweise auch „europäische Werte“ seien und die man nicht aufgeben könne, ohne dass „Europa seine Seele verliere“.

Auch das ist Framing. Migrationspolitische Entscheidungen werden – lehrbuchmäßig, wie es u. a. das ARD-Manual empfiehlt – in einen moralischen Bezugsrahmen eingeordnet. Er dient einerseits dazu, den Kritiker unter moralischen Rechtfertigungsdruck zu bringen (DDR-Bürger kennen das: „Du bist wohl gegen Frieden?“), andererseits dazu, die politischen Entscheidungen in eine Sphäre höherer Weihen zu heben, wo sie nicht mehr kontrovers diskutiert werden können und nicht mehr rational begründet werden müssen, sondern nur noch hinzunehmen und zu tragen sind.

Es geht im Folgenden nicht um die Migrationspolitik, sondern um die moralische Haltung, die im Zusammenhang damit deutlich wird, und kontrastierend dazu um die eigentlich christliche Haltung. Ich werde mich auch mit der Dekonstruktion dieses Framings nicht lange aufhalten. Nur ein paar Punkte:

1.Nächstenliebe und Barmherzigkeit sind keine „christlichen Werte“. Der Ausdruck „christliche Werte“ ist überhaupt irreführend.3 „Werte“ sind ein soziales Konstrukt der liberalen Moderne. Solange man den christlichen Glauben hatte, brauchte man keine „Werte“. „Werte“ sind nur ein moderner Ersatz: Überzeugungen, die Zustimmung einfordern. Nächstenliebe und Barmherzigkeit hingegen sind Christi Gebote an seine Jünger. Sie verlangen keine Zustimmung, sondern persönliche und praktische Umsetzung. Sie sind kein Gegenstand der Diskussion, sie wirken in Form von Befehl und Gehorsam. Werte dagegen wirken in Form von Appell und Affirmation.

2.Dietrich Bonhoeffer schreibt zum Wesen der christlichen Ethik: „Das Wissen um Gut und Böse scheint das Ziel aller ethischen Besinnung zu sein. Die christliche Ethik hat ihre erste Aufgabe darin, dieses Wissen aufzuheben. Sie steht mit diesem Angriff auf die Voraussetzungen aller sonstigen Ethik so allein, dass es fraglich wird, ob es einen Sinn hat, überhaupt von christlicher Ethik zu sprechen.“4 Diese Sätze sind radikal zu verstehen. Der christliche Glaube beurteilt Menschen überhaupt nicht als „Gute“ oder „Böse“ in dem Sinne, dass die „Guten“ z. B. jene wären, die sich der Nächstenliebe befleißigen (oder, im modernen Sinn: die zustimmen, dass es sich dabei um „unsere Werte“ handelt, und anderen die Ausführung überlassen). „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein“, sagt Christus in Mk 10,17. Und der Apostel Paulus in Röm 3,23: „Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.“ Es gibt keinen Menschen, der „gut“ wäre (das christologische Problem, das durch die Antwort Jesu aufgeworfen wird, sei hier ignoriert), deshalb besteht auch kein Grund, „sich selbst zu rühmen“ und über andere „zu richten“. Alle sind Sünder. Allen ist das Gebot der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit auferlegt. Keiner hat das Recht, über einen anderen zu richten. Jedes Richten über den anderen fällt unweigerlich auf den zurück, der richtet (Röm 2,1). Nach jeder Art herkömmlichen Verständnis’ von Moral kann das Christentum deshalb nur amoralisch genannt werden.

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