Kitabı oku: «PHANTASTISCH! PHANTASTISCH!»
Monika Niehaus, Jörg Weigand & Karla Weigand (Hrsg.)
PHANTASTISCH! PHANTASTISCH!
Thomas Le Blanc zum 70. Geburtstag
AndroSF 146
Monika Niehaus, Jörg Weigand & Karla Weigand (Hrsg.)
PHANTASTISCH! PHANTASTISCH!
Thomas Le Blanc zum 70. Geburtstag
AndroSF 146
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: 13. August 2021
p.machinery Michael Haitel
Titelbild: Rainer Schorm
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel
Herstellung: Schaltungsdienst Lange oHG, Berlin
Verlag: p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 248 5
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 849 4
Jörg Weigand:
Die »Phantastischen Miniaturen«
Eine literarische Pioniertat
Der am 13. August 1951 im hessischen Wetzlar geborene Thomas Le Blanc, Gründer der dortigen »Phantastischen Bibliothek«, ist seit Jahrzehnten ein leidenschaftlicher Anthologist und Initiator ganzer Reihen solcher Sammelbände. Ein gutes Beispiel dafür sind die »Sternenanthologien«, die Le Blanc in den Jahren 1980 bis 1985 im Münchner Wilhelm-Goldmann-Verlag herausgebracht hat. Insgesamt erschienen zehn Bände: Von »Antares« bis »Jupiter«, astronomisch benannte Sammelbände, in denen sich der Herausgeber auch – und das verstärkt – dem schriftstellerischen Nachwuchs widmete.
Die hier vorgelegte Anthologie phantastischer Kürzestgeschichten ist zunächst einmal eine Hommage zum 70. Geburtstag eines Mannes, der über lange Jahre anhaltenden (und unberechtigten) Anfeindungen ausgesetzt war. Eines Mannes, der dennoch unbeirrt seinen Weg ging und dem letztlich sein Erfolg Recht gegeben hat.
Es war Ende 2010 oder Anfang 2011, genau ist mir (J. W.) das nicht mehr erinnerlich, jedenfalls präsentierte Le Blanc zusammen mit Falko Löffler den ihm bekannten und von ihm geschätzten Autorinnen und Autoren ein Projekt, das nicht nur ungewöhnlich klang, sondern auch ungewöhnlich war. Rund um den Satz »Ihr Haar zersprang wie blaues Glas« sollten phantastische Kurzgeschichten aller Untergenres wie Märchen, klassische Phantastik oder Science-Fiction geschrieben werden, die diese Formulierung im Text enthielten beziehungsweise mit diesem Satz endeten. Und das mit einem reduzierten Umfang von durchschnittlich 700 Worten, Höchstgrenze 900. Erscheinen sollte diese Anthologie phantastischer Kürzestgeschichten als Eigenproduktion der »Phantastischen Bibliothek«.
Das von den Herausgebern als einmalige Herausforderung an die Autorinnen und Autoren gedachte Heft im Umfang von 50 Seiten erschien im August 2011. Und damit – so hatten sich das Thomas Le Blanc und Falko Löffler gedacht – sollte Schluss sein. Doch als Karla und ich Thomas im Herbst des gleichen Jahres in Wetzlar besuchten, konnten wir ihn umstimmen: Uns schien das Konzept eine unbedingte und unwiederbringliche Chance für die deutsche phantastische Kurzgeschichte zu sein. Und es gelang uns, den Herrscher über die Schätze der »Phantastischen Bibliothek« zu überzeugen. Band 2 mit dem Titel »Invasion der Gnurks« erschien 2012 und es folgten dem zahlreiche weitere Titel; Anfang 2021 gab es bereits deren 50 Ausgaben. Und: Mögen noch viele weitere folgen!
Dass es mir gelang, und ich freue mich darüber, auch noch den einprägsamen Titel »Phantastische Miniaturen« zu finden, sei nur am Rande vermerkt. Mit dieser Anthologienreihe hat Thomas Le Blanc etwas ins Leben gerufen, was wie ein belebendes Element die Autorinnen und Autoren über die Jahre ermunterte und geradezu beflügelte. Erfreulich ist, dass diese Wirkung im Sinne einer Pflege des phantastischen Kurztextes weiterhin anhält – und hoffentlich noch lange anhalten möge.
Die Kreierung der Anthologienreihe »Phantastische Miniaturen« durch Thomas Le Blanc war eine Pioniertat, für die alle in diesem Band vereinten Autorinnen und Autoren dankbar sind und dies mit der Teilnahme an diesem Geburtstagsgeschenk zum Siebzigsten des Gründers der »Phantastischen Bibliothek« bekräftigen.
Insgesamt liegen hier 52 neu geschriebene phantastische Miniaturen vor, extra ausgedacht und niedergeschrieben zu Ehren des Jubilars. Den Autorinnen und Autoren war es freigestellt, unter den von Band 1 bis Band 50 behandelten Themen ein ihnen genehmes Arbeitsgebiet auszuwählen und in ihrer Miniatur zu behandeln. Dabei haben die drei Herausgeber Wert darauf gelegt, die einzelnen Texte nicht redaktionell anzugleichen, sondern in ihrer dedizierten Originalität bestehen zu lassen.
Die drei für diese Anthologie Verantwortlichen haben sich darüber hinaus die Freiheit erlaubt, jeweils eine zweite Story zu schreiben: Eine zusätzliche Hommage an den Jubilar.
Bewusst haben die Herausgeber auf einen Themenhinweis bei jeder einzelnen Geschichte verzichtet. Das wäre natürlich möglich gewesen, hätte aber sozusagen »den Spaß an der Freud« gemindert. Denn so haben die Leserinnen und Leser dieser Geschichtensammlung die Gelegenheit, eine Zuordnung selbst vorzunehmen. Zu diesem Zweck ist dem Band auf den letzten Seiten eine Liste der Bände 1 bis 50 angefügt. Doch Vorsicht: So manche dieser Miniaturen kann auch mehrfach und damit verschiedenen Themenbänden zugeschrieben werden. Für den Jubilar allerdings an seinem Jubeltag, dem 13. August 2021, sicherlich eine leichte Aufgabe.
Hier gilt es noch, den Jubilar für listenreiches Vorgehen um Verzeihung zu bitten. Nur so war es möglich, dass in dem Thomas gewidmeten Band von ihm selbst eine neue Geschichte enthalten ist (nach den gleichen Kriterien geschrieben wie von uns allen); in seinem Falle angereichert mit einem kleinen Interview zu den »Phantastischen Miniaturen«.
Wir gratulieren im Namen aller Autorinnen und Autoren, die jemals in den »Phantastischen Miniaturen« publizieren durften:
Alles Gute, Thomas!
Und:
Auf viele weitere Jahre im Auftrag
und im Interesse der phantastischen Literatur.
Monika Niehaus | Karla Weigand | Jörg Weigand
Maren Bonacker:
Mismatching Mitchells
Als die Pakete kamen, war die ganze Familie in heller Aufregung. Zum einen, weil für jede Sendung allein vier Drohnen im Einsatz waren, was schon eine kleine Sensation war. Zum anderen, weil der ersehnte Paketinhalt so vielversprechend war.
»Ich nehme das Erste«, sagte Alex schnell, kaum dass es auf dem Boden aufgekommen war.
»Nein, das will ich«, maulte Lilly, knuffte Alex mit einem äußerst spitzen Ellbogen in die Seite und schob sich schnell vor ihn. Unsanft zog er sie an den Haaren zurück und achtete nicht darauf, dass sie dabei ins Straucheln geriet. Er war der Ältere der beiden Geschwister, und das erste Paket gebührte ihm, so viel war mal klar.
Gar nichts war klar, fand indes Lilly und biss ihn kurzerhand in die Wade. In dem Getümmel, das daraufhin entstand, hätten die beiden beinahe das zweite Paket mitsamt den Drohnen heruntergerissen.
Ihre Eltern, Susan und Frank Mitchell, warfen sich einen resignierten Blick zu. Szenen wie diese waren keine Ausnahme. Seit Lilly und Alex sich jenseits ihrer Babylauftrainer frei bewegen konnten, gingen sie aufeinander los. Sie hatten Angst, das größere Stück Beyond-Beef zu verpassen, kämpften erbittert um elterliche Zuneigung, gönnten einander kein Stück Stevia und mussten immer und auf jeden Fall die erste Rolle spielen. Hatten ihre Eltern die kleinen Auseinandersetzungen anfangs noch drollig gefunden, verärgerte sie der Zwist, je länger er andauerte. Obwohl ihre Wohneinheit exakt auf die vierköpfige Familie abgestimmt war und alle über den gleichen Raum verfügten, steigerten sich die Geschwister in zerstörerische Eifersüchteleien hinein und raubten den Eltern mit ihrem Gezänk den letzten Nerv. Besuche beim Familiencoach blieben erfolglos; alle Versuche, zu schlichten oder zu besänftigen, brachten nur für kurze Zeit Ruhe, bevor die Kinder eine neue Nichtigkeit fanden, über die sie sich erbittert in die Haare gerieten.
Als die Nachricht vom PaedX3.0 über die Screens flimmerte, schöpften die Mitchells Hoffnung. Als humanoider Gefährte war er für Alleinstehende oder kinderlos gebliebene Paare konzipiert. Tadellos im Benehmen, anspruchslos im Bedarf war der PaedX3.0 nur im positiven Sinne wahrzunehmen. Er parlierte aufs Artigste, konnte einfache Melodien auf verschiedenen Instrumenten spielen und erwies sich als kultivierter Gesprächspartner, der nie die Grenzen des guten Geschmacks verletzte. Vertrat er argumentativ die Gegenseite, dann nur, um die Kommunikation interessant zu gestalten. Sobald seine fein gestimmten Sensoren Unbehagen oder gar Verärgerung bei seinem menschlichen Gegenüber wahrnahmen, schaltete er in der Diskussion auf beifällige Zustimmung um und vermied so jeglichen Konflikt. Die Mitchells sahen eine Chance: In die Familie integriert könnte es der PaedX3.0 vielleicht schaffen, ihre Kinder zu einem besseren Miteinander anzuregen. Vorgelebte Harmonie, natürliche innerfamiliäre Liebe (wenn auch maschinell gestärkt), die perfekte Demonstration friedlichen Miteinanders – so wollten sie ihren Kindern ein positives Modell vorsetzen, dessen vorbildliches Verhalten hoffentlich auf Alex und Lilly abfärben würde. Sie schickten aktuelle 3-D-Bilder ihrer Kinder an die KI-Zentrale und beschlossen gleich zwei der kostspieligen Modelle zu leasen, die für den entsprechenden Zeitraum in ihrem Äußeren bis ins Detail an Alex und Lilly angepasst sein würden. So könnte Alex mitmenschlichen Umgang mit dem Konterfei seiner Schwester trainieren und Lilly zwistfreie Kommunikation mit dem Abbild ihres Bruders. Hatten Lilly und Alex gelernt, respektvoll und freundlich miteinander umzugehen, würde ein unkompliziertes Resetting persönliche Daten aus den elektronischen Gehirnen des PaedX3.0 zuverlässig löschen und die humanoiden Gefährten könnten – runderneuert – anderen Familien zugestellt werden.
Die Mitchells waren glücklich. Der Tag, an dem die Drohnen die beiden Pakete zustellten, sollte den Anfang einer neuen, harmonischeren Familie markieren. Dass zwei Mitglieder der Familie in just diesem historischen Moment ineinander verkeilt und verbissen über den allzeit staubfreien Teppich rollten, war zu verschmerzen; ein Ende der Ära »Mismatching Mitchells« endlich absehbar. Dachten die Mitchells.
Doch in den folgenden Wochen zeigte sich, dass Alex’ und Lillys Hang zu Rechthaberei, Neid und Streit deutlich stärker ausgeprägt war, als die Eltern geahnt hatten. Alex3.0 und Lilly3.0, wie sie ihre neuen Hausgenossen liebevoll getauft hatten, schalteten von angepasstem Betragen schnell auf unterwürfiges Hab-mich-lieb um und waren doch weit davon entfernt, durch ihre Nachgiebigkeit Frieden zu ernten. Vielmehr wurden sie geknufft und getreten, und einmal versuchte Lilly gar, Alex3.0 ein Glas Wasser in die Elekronik zu kippen. Nur die hautähnliche Rundumversiegelung verhinderte das Schlimmste.
Nach sechs Monaten kam wie vereinbart der Fragebogen über eine mögliche Leasingverlängerung. Frank und Susan saßen traurig über den Dokumenten und mussten sich eingestehen, dass sie gescheitert waren. Alle Versuche der positiven Interaktion hatten zu nichts geführt. Alex3.0 und Lilly3.0 waren jedermanns Liebling – nur an Alex und Lilly perlte ihre gleichbleibende Freundlichkeit ab. Das Experiment fortzuführen, hatte wenig Sinn, aber Frank und Susan wollten sich ihre Entscheidung nicht zu leicht machen.
»Wir könnten es noch sechs Monate versuchen«, wagte Susan zaghaft vorzuschlagen. Die Erinnerung an das freundliche Lächeln der beiden humanoiden Gefährten, als Lilly und Alex sie am ersten Tag aus ihren Verpackungen gerissen hatten, schmerzte. So hatten sie immer ihre Kinder sehen wollen – glücklich, unbeschwert, vielversprechend. Der PaedX3.0 entsprach genau ihrer Vorstellung von einem perfekten Kind.
Ihr Blick traf den ihres Mannes. »Wir könnten …« Aber als sie Franks entschlossenen Gesichtsausdruck bemerkte, brach sie ab. Dann nickte sie.
In stummem Einvernehmen packten sie die beiden Pakete. Sorgfältig polsterten sie alles aus – sie hatten die beiden doch irgendwie lieb gewonnen. Doch nun hieß es Abschied nehmen und nach vorn zu schauen, in ein anderes Leben; friedlicher und harmonischer als es je gewesen war. Und als die Drohnen am kommenden Morgen die Pakete mitnahmen und Susan und Frank Hand in Hand mit ihren humanoiden Gefährten auf der Veranda standen, wussten sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatten.
Gerald Bosch:
Phonetischer Paradigmenwechsel
»Potztausendsakrament! Patagonischer Pavianarsch! Pest und Pocken! Parbleu!«
Leicht irritiert blickte ich von meinem Clipboard hoch.
Verlegen räusperte sich der Typ auf der Chaiselongue. »‘tschuldigung, Tourette.«
Auch das noch! Seitdem ich vor zwei Jahren bei der Word & more Consulting als Live Coach angefangen habe, sind mir schon ein paar schräge Vögel untergekommen, aber der hier hatte sich schon beim Reinkommen in die Top Ten Playlist hochgewuppt. Summa summarum ein eher spirreliger Typ, mit durchgestrecktem Rücken und geschwollener Brust, platter Nase, Pickeln und Pomadentolle. Schon der erste Eindruck hätte sofort die Geschmackspolizei alarmieren müssen: Pastellgrüne Popelinehose, purpurner Pullunder, pinkes Piquéhemd – gut, in diesem Punkte gibt es eventuell Diskussionsbedarf. Doch seine weiteren Accessoires wie Plüschpantoffeln, Piratenhut und Pincenez – absolutes No Go! Mental machte ich mir eine Notiz, ihm einen Termin bei meiner Kollegin Ramona zu besorgen, ihres Zeichens Expertin für Farb- und Stilberatung.
»Was führt Sie zu mir, Herr …«, mein Blick schweifte über die Liste, »… Peeh!«
»Please, bloß P«, stöhnte gequält mein Gegenüber. Seine Lippen formten hauchend den richtigen Laut. »Ohne e. Schlicht und einfach nur P. Puristenkacke! Putain!«
Blitzartig schoss mein Adrenalinspiegel auf Milchstraßenniveau: Mist, schon wieder einer dieser durchgeknallten Lettern aus dem Gutenbergprojekt, mit dem mein Chef voriges Jahr freudestrahlend von der Frankfurter Buchmesse zurückgekehrt war. Wie sich herausstellte, eine globale Imagekampagne für Buchstaben, die erst in die digitalen Wechseljahre und dann in kommunikative Vergessenheit geraten waren.
Als abgebrochener Kunstgeschichtsstudent und Hobbysinologe mit drei Jahren Berufserfahrung in der Eventgastronomie hatte ich bei W&mC recht bald den Ruf weg, ein fantasievoller Querdenker zu sein. Mein Erfolg schien diesem Image gerecht zu werden. Pech nur, dass mein Chef mir seitdem stets die hoffnungslosesten Fälle zuschusterte, an denen sich andere bereits alle Zähne ausgebissen hatten. Letzte Woche erst hatte ich bei einem schnöseligen M und einem verhuschten D (beides verkrachte Altphilologen) einen verborgenen Faible für große Zahlen entdeckt und die Jungs mit einem Crash Kurs in lateinischer Numerik für das Börsengeschäft in Italien fit gemacht. Und fast jeden Tag bekomme ich überschwängliche E-Mails von einem blassen C aus Madrid, das dank meiner aufmunternden Zurede – verbaler Tritt in den Allerwertesten wäre die wohl eher zutreffende Wortwahl – zur leitenden Position in der spanischen Kohlenstoffchemie aufgestiegen war. Die Wesenheit auf der Couch fiel offenbar in eine ähnliche Kategorie.
»Was stört Sie denn an Ihrem Dasein als Konsonant? Das Gros von Ihnen findet doch immer einen passenden Vokal als Partner für eine optimale Klangharmonie. Und wenn sie nicht gestorben sind … Geht dieses Konzept bei Ihnen etwa nicht auf?«
»Pshaw, meist schon. Doch die Monotonie geht mir auf den Geist: Immer nur Pe, Peh, Pee. Und dann schubbert dieses dösige e dauernd seinen Rücken an mir. In Kombi mit den anderen Selbstlauten steh ich übrigens keinen Deut besser da. Nehmen wir nur mal das o. Möchten SIE gerne jeden Morgen als ›Gesäß‹ begrüßt werden?«
Eins zu null für dich, mein Freund, dachte ich grimmig. Zuckersüß kam dann auch meine nächste Frage: »Könnten Sie sich denn eine Liaison mit einem anderen Konsonanten vorstellen?«
Frustriert winkte mein Gegenüber ab. »Hab ich schon probiert. Sowohl mit h wie mit s. Ging voll in die Hose. Beide sind mit meinem Pass und zwei minderjährigen is nach Griechenland durchgebrannt, wo sie kreuzfidel unter neuer Identität firmieren – Ψ & Φ Kyrillikon GmbH & Co. KG. Tolle Wurst.«
Diese Alternative brachte uns auch nicht weiter. »Hmm, Ihnen schwebt also eher ein völlig neues Leben als Single vor?« Ein breites Grinsen über seine beiden Pausbäckchen war mir Antwort genug. Dieses nerdige P als phonetischer Rambo? Tricky. Ein Hardlinerlabiallaut im Alleingang? Noch schwerer vorstellbar. Die Challenge gestaltete sich kniffliger als gedacht, und meinen Großhirnsynapsen gingen allmählich die Neurotransmitter aus.
Ein leises Pling! aus dem Laptop riss mich aus meinem Gedankenchaos. Schon wieder eine Mail von diesem überaus dankbaren Señor Carbonico. Der nervt allmählich, dachte ich mir … doch dann kam mir blitzartig die Erleuchtung.
»Ein vollständiger Existenzwechsel ohne Wenn und Aber? Sehr gut, ich hätt’ da vielleicht ‘ne Idee. Phonetisch gehören Sie doch zu den Plosiven, oder? Das wär’ schon mal die halbe Miete. Sie müssten sich allerdings von Ihrem bisherigen farblichen Outfit trennen und ausschließlich Rot, Weiß oder Schwarz tragen. Alles Weitere steht in diesem Infotext.«
Skeptisch überflog er meine Broschüre. »Periodensystem der Elemente? Sichere Existenz? Und obendrein mit hohem Unterhaltungswert?«
»Genau, anorganische Chemie ist DIE Lösung: V. Hauptgruppe Platz 15. Da geht die Post ab, sag ich Ihnen, als roter Phosphor können Sie's so richtig krachen lassen. Aus PLOSIV wird exPLOSIV. Party pur.«
Dem verschmitzten Lächeln nach zu urteilen, schienen meinem Kunden diese Aussichten zu gefallen. Ich hatte mal wieder den richtigen Riecher gehabt.
»Sollten Sie irgendwann doch wieder Stabilität und Ruhe in Ihrem Leben wünschen: Ich hätte da vier arbeitslose Os im Angebot, die nur darauf brennen, unter Ihrem Kommando die Arbeitsgruppe PHOSPHAT zu bilden. Und mit drei zusätzlichen Hs – die gibt’s auf dem freien Markt wirklich en masse – könnte Ihr chemisches SWAT-Team dann auch richtig schön ätzend werden. Projekt Phosphoric Acid. Geil, gell? – Abschließend nur noch eine klitzekleine Frage: Sie haben doch grundsätzlich keine Bindungsängste, oder?«
Maike Braun:
Systemrelevant
»Wir wissen nicht genau, worin die Bedrohung besteht«, sagte El Jefe, vulgo: Polizeikommandant des Úmbigo-Systems. »Es kann sich um einen Cyberangriff auf Global City handeln, um eine schmutzige Bombe, selbst das Platzieren von Mini-Schwarzen-Löchern, mit deren Hilfe unser gesamtes Torsystem lahmgelegt werden kann, ist nicht ausgeschlossen.«
»Wissen wir, wer dahinter steckt?«, fragte jemand.
El Jefe verzog das Gesicht. »Leider nein.«
Der Verbindungsoffizier der Dusaner, ein Zweimeter-Waran, schlug mit seinem Schwanz gegen die Wand. Mit einem Klirren fiel die Ernennungsurkunde des Kommandanten zu Boden.
»Zum Glück bekommen wir Verstärkung von Terra«, sagte der Chef schnell. Der Dusaner brummte etwas. Die Monkis, die sich bei der ersten Regung des Dusaners hinter ihrem Schreibtischen verschanzt hatten, setzten sich wieder auf den Schreibtisch und selbst die Lubas in ihren Wassertanks pressten jetzt interessiert die Saugnäpfe gegen die Glasscheiben. Die Terraner waren ein abergläubisches Völkchen, in Ermittlungen aber erstaunlich effizient.
In dem Moment betrat eine kleine Frau in Blümchenkleid und mit blondem Haarmopp den Raum.
Unwillkürlich strich ich mir über meinen Bürstenschnitt.
»Darf ich vorstellen: Heidi Baumann«, sagte der Chef und wollte der Kollegin gerade die Lage schildern, als die abwinkte. Sie tippte sich gegen die Schläfe und sagte: »Ich habe mich auf dem Hinflug informiert.«
Auf seinen fragenden Blick hin ergänzte sie: »Schläfenlink.« Dann deutete sie auf ihre Augen. »Retinakameras. Sobald wir eine Verbindung mit Ihrem System hergestellt haben, können Sie alles verfolgen, was ich sehe und höre.«
El Jefe winkte mich herbei. »Das ist Joara«, sagte er. »Unsere IT-Expertin.«
Sobald die Verbindung stand, wandte sich die Baumann zum Gehen. »Wohin wollen Sie?«, fragte ich.
»Zum Friseur«, sagte sie.
Als Blümchenkleid kurz darauf an den Empfangstresen des Salons trat, warf ihr die Fari einen mitleidsvollen Blick zu und führte sie umgehend zu einem Waschbecken. Linkerhand färbte eine Monki gerade einem Dusaner die Stirnplatten in Metallfarben.
Kurz darauf rollte eine Monkifrau auf ihrem motorisierten Friseurwagen herbei und begann, der Baumann mit allen vier Armen gleichzeitig das Haar zu schamponieren.
Mit den Worten »Schon was Neues?« holte mich der Chef in das Hier der Polizeistation zurück.
»Die Haare werden gerade gewaschen«, antwortete ich.
Auf dem Frisierstuhl nutzte die Kollegin den Spiegel, um sich unbemerkt umzusehen. Mir fiel eine Gestalt im Wartebereich auf.
Weiter nach links, bitte, sagte ich daher per Schläfenlink, sorry, nach rechts.
Die Baumann musterte den Mann, graues Hemd, dunkelgraue Hosenträger, der in irgendwelchen bunten Heftchen blätterte.
»Wer ist das?«, fragte sie die Monki, die mit dem Schneiden begonnen hatte.
»Unser Hausgeist.«
»Hausgeist?«, fragte die Baumann.
Manchmal fragte ich mich, ob die Terraner hinter dem Mond lebten. Jedes Kind wusste, dass ohne Hausgeister kein Geschäft lange gut lief.
»Erst vor einer Woche hat ein Dusaner eine Fari angebrüllt, weil diese zuerst bedient wurde«, erzählte die Monki. »So eine Zweimeter-Echse braucht eine Fari nur anzuschnauben und sie fliegt gegen die Wand, so leicht, wie die sind.«
Die Baumann nickte.
»Sofort hat unser Hausgeist dem Dusaner eine Geschichte vorgelesen«, fuhr die Monki fort, »das hat ihn beruhigt.«
»Um was ging es denn in der Geschichte?«
Wenn die Baumann so weiter machte, waren wir morgen noch hier.
Nur Geduld, funkte da die Baumann zurück. Hatte ich etwa zu laut gedacht?
»Es ging um einen Kartoffelfehler«, sagte die Monki. »Ein ernst zu nehmendes Problem für einen Dusaner.«
Was ist ein Kartoffelfehler?, fragte ich.
Keine Ahnung. Sie können es später nachlesen. Im Moment haben wir Wichtigeres zu tun.
»Ihr Hausgeist sieht ein bisschen blass aus«, meinte die Baumann.
Die Monki ließ die Scheren sinken und nickte traurig. »Wenn wir nicht bald Nachschub an neuen phantastischen Geschichten bekommen, wird er sich ein anderes Etablissement suchen.«
Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass schon seit Monaten keine neuen Hefte mehr geliefert wurden. Checken Sie mal, wo die herkommen, funkte die Baumann mir zu.
Schon in Arbeit.
Die Storys stammten von einer eingeschworenen Gemeinschaft von Phantasten auf Terra. Allerdings hatte sich eine Gegenbewegung formiert, die sogenannten Neorealisten. Die bekämpften alles, was nicht q.e.d.-bar war. Der Brandanschlag auf eine Lagerhalle in Lunex vor einer Woche ging auf das Konto der Gruppe.
Ich schickte die Info an die Baumann, der die Monki gerade Strähne für Strähne auf Lockenwickler rollte.
Müssen Frachter von Terra nicht auf Lunex einen Zwischenstopp zum Auftanken einlegen, bevor sie hier im Úmbigo-System landen?
Ich veranlasse sofort die Überprüfung sämtlicher Frachter aus Lunex, funkte ich zurück.
Die Dauerwelle der Baumann war gerade trocken, als das Einsatzkommando aus Menschen und Dusanern den Containerhafen stürmte. Bereits beim zweiten Container wurden die Kollegen fündig. Er enthielt unmarkierte Ampullen. Der Kommandant ließ die Biogefahrentruppe anrücken.
»Und?«, fragte die Baumann, als sie frisch eingefärbt und dauergewellt ins Präsidium zurück kehrte.
»Das Labor sitzt noch dran. Aber wir haben auf Lunex nachgefragt. Dort befindet sich ebenfalls eine kleine Truppe von Phantasten, die sich ein Virus eingefangen haben. Seit Tagen bringen die nur noch drögen Realismus hervor.«
Es stellte sich heraus, dass sich in den Ampullen just dieses Virus befand. Es griff gezielt den rechten Gyrus angularis an und beschädigte das dort angesiedelte Sprachverständnis sowie die Vorstellungskraft.
Ein Gegenmittel war schnell gefunden, der Nachschub an phantastischen Geschichten lief wieder.
Ich ließ es mir nicht nehmen, dem Hausgeist die neuen Hefte persönlich vorbeizubringen – und mit metallisch schimmernden Haarstacheln wiederzukehren.
El Jefe schaute ziemlich schockiert und fragte mich, ob ich mir aus Versehen eine Überdosis Phantasmus eingefangen hatte.
»Heidi hat’s gefallen«, sagte ich. Außerdem habe der Fall ja wohl gezeigt, dass Phantastik systemrelevant sei.