Kitabı oku: «SOKO Marburg-Biedenkopf», sayfa 4
»Es muss getan sein«, sagte ich. »Wir können nicht noch mehr Zeit verlieren.«
Sie zögerte kurz, wusste nicht, was sie antworten sollte. Panik schien ihre Gesichtszüge zu lähmen.
»Kannst du sie nicht hören? Die Toten am Grund des Flusses. Hörst du nicht, wie sie nach dir rufen?«
»Peredur, du bist völlig wahn…!« versuchte sie noch zu schreien, doch ich unterbrach sie.
»Euch zum Wohlgefallen!«, rief ich laut aus. Die drei Worte waren ebenso zum Mond gerichtet, wie auch an die Toten in den kühlen Fluten.
Sie wollte sich losreißen, aber ich hielt sie noch immer fest gepackt. Ihren kurzen Moment der Unachtsamkeit nutzte ich aus und zerrte sie nun vollends in das Wasser hinein.
»Ich weiß, sie rufen auch mich, aber meine Stunde ist noch nicht gekommen! Kannst du sie nun endlich hören?«
Sie wollte noch etwas sagen, aber sie brachte nur noch ein kurzes Gluckern zustande, während ich sie unter die Wasseroberfläche drückte. Ein Schwall großer Luftblasen stieg auf, als sie sich mit Händen und Füßen zu wehren versuchte. Danach folgten zahlreiche kleinere Bläschen.
»Du hättest es anders haben können, doch nun ist dein Leben verwirkt!«
Ich spürte, wie mir ihre Fingernägel einige tiefe Wunden in die Unterarme rissen, aber unbeirrt drückte ich sie weiter unter Wasser. Trotz der allgegenwärtigen Dunkelheit meinte ich, ihre weit aufgerissenen Augen dicht unter der Wasseroberfläche zu sehen. Ein Anblick, den ich lange nicht vergessen werde, obwohl ich mir selbst nicht erklären kann, warum ich ihren Todeskampf überhaupt in dieser Schattenwelt beobachten konnte.
Sie versuchte, mir in die Hände zu beißen, aber sie kam nicht heran. Zu geschickt hatte ich sie gefasst. Ein Verrückter wäre zur Planung und Ausführung der Tat niemals fähig gewesen! Auch wenn mir einige Finger fehlen, hielt ich sie unerbittlich unter Wasser. Ja, unbändige Kraft habe ich trotz allem noch!
Während ihre Zuckungen langsam ein wenig nachließen, gelang es mir, die Augen von ihr zu lassen, und den blutroten Mond zu betrachten. Völlig ungeachtet meiner Tat, hatte sich an seinem Anblick nichts geändert. Große Panik wollte in mir aufsteigen. Sollte sich die Mühe nicht gelohnt haben? Nahm das Schicksal nun doch völlig unbarmherzig seinen Lauf? Sollten wir trotz allem nicht verschont werden?
Noch einige letzte Zuckungen, ein finales sanftes Beben, und alles Leben war endgültig aus ihr gewichen. Ich beschwerte ihren Körper mit einem kleinen Felsbrocken, den ich mir schon am Nachmittag zu diesem Zweck ausgesucht hatte. War es nicht äußerst geschickt, wie ich den schweren Block mit zahlreichen Streifen Schilf an ihr festzurrte? Niemand, der nicht bei Verstand ist, bringt es zu solch einer Meisterschaft in dem, was er tut!
Ich sah ihr dabei zu, wie sie langsam auf den Grund des Gewässers glitt. ›Gehab’ dich wohl, du schönes Kind. Schade, dass wir nicht füreinander bestimmt waren! Mögen dich die Toten mit Freude empfangen. Sollen alle in Stille ruhen, bis sie auch mich dereinst in ihrer Mitte willkommen heißen!‹
Eine Weile hatte ich den Mond nicht mehr betrachtet. Jetzt, wo mein Werk vollendet war, fand sich wieder Gelegenheit dazu. Er wirkte nun nicht mehr ganz so glutrot, und der dunkle Schatten schien nach rechts aus ihm heraus zu wandern. Es hatte also ganz den Anschein, als hätte meine Tat die Götter doch noch besänftigt, ganz so, wie wir drei Eingeweihten es im Sinn gehabt hatten.
Als ich wieder an der Feuerstelle ankam, war die Angst einem angeregten Stimmengewirr gewichen. Koloman und der weise Myrddin schauten mich wohlwollend an, als ich ihnen mit einem kurzen Blick andeutete, dass die Tat vollbracht war.
Ich gesellte mich zu ihnen und blickte zufrieden zum Himmel. Der Schatten auf dem Mond war nicht mehr zu sehen, und auch seine rote Färbung war verschwunden.
Ihr seht nun: Ich habe im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte wie auch im Sinne der Allgemeinheit gehandelt. Wie könnt ihr euch also anmaßen, über mich richten zu wollen?
Kopflos in Biedenkopf
RALF KRAMP
Nennen Sie mich ruhig Charly. Ich sage Ihnen, die Diagnose kam keinesfalls überraschend. Ich hatte schon seit geraumer Zeit diesen stetig ansteigenden Leistungsdruck gespürt, diese enger und enger werdende Umklammerung der knapp und knapper werdenden Zeit und der Anforderungen, die an mich gestellt wurden. Meine Arbeit ließ mir einfach keine Luft mehr zum Atmen. Ich erntete immer weniger Anerkennung für das, was ich tat. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, dass der Arzt mir die Benennung meiner Krankheit präsentierte: Burn-out.
Ja, da staunen Sie. Ich hatte auch nicht gewusst, dass auch mich in meinem Beruf so was hatte heimsuchen können. Ich bin Auftragskiller. Mein Job hat mir immer Spaß gemacht. Eine so vielgestaltige Tätigkeit, eine so kreative Beschäftigung. Aber auch dieser Berufsstand unterliegt nun einmal den Gesetzen der Globalisierung. Anstatt auf gute deutsche Wertarbeit zu setzen, auf beste Materialien und saubere Ausführung, bestellt man sich heute mühelos per Internet einen Killer aus dem Ural, der für Dumpingpreise arbeitet. Heutzutage ist es offenbar nur wichtig, dass das Opfer mausetot ist. Die künstlerische Gestaltung dieser Auslöschung scheint niemanden mehr zu interessieren.
Mitten in die lähmende Apathie, die schleichend von mir Besitz ergriffen hatte, war dann eines Tages die Nachricht vom Ableben meiner Tante Reinhilde geplatzt. Gut gekannt habe ich sie nicht. Eine Schwester meiner Mutter, und irgendwie meine einzige noch lebende Verwandte. Es war mir wie ein Fingerzeig des Schicksals erschienen, dass mir plötzlich eine Erbschaft ins Haus stand: Von heute auf morgen war ich Besitzer einer Immobilie in der stillen Abgeschiedenheit des mittelhessischen Hinterlands geworden. Ja, lachen Sie nicht, hören Sie doch erst mal zu. Ein unscheinbares Einfamilienhaus mit einer kleinen Einliegerwohnung am Fuße des Eschenbergs in Biedenkopf. Frau Breugel, die dicke alte Untermieterin, empfing mich freudig und weihte mich in den folgenden Wochen in die Geheimnisse von Biedenkopf ein. Sie ist sehr mütterlich.
Biedenkopf – das klingt schon so … bieder. Das hört sich nach Ruhe und Beschaulichkeit an. Das versprach mir in meinem Zustand rasche Genesung. Und so war es dann auch. Vom ersten Moment meiner Ankunft in dem Städtchen an der Lahn habe ich gespürt, dass Geist und Körper begannen, Energie zu tanken. Was für ein Kontrast zu meinem bisherigen Leben in den Metropolen der Bundesrepublik, mit ihren Flughäfen und Hotels, mit ihren riesigen Konzernsitzen, Mietskasernen und Parteizentralen. Was für einen Unterschied bieten diese putzigen bunten Fachwerkgassen zu den finsteren Großstadtschluchten, über die hinweg ich bisher mit seinem Nachtsichtgerät meine Ziele anvisiert hatte.
Hier trägt die Tageszeitung mit Stolz den Titel »Hinterländer Anzeiger«, und das Skigebiet den absurden Namen »Sackpfeife«, hier gibt es kein organisiertes Verbrechen und keine Großbordelle. Nicht mal Kleinbordelle. Halten sich hier nicht.
Hier gibt es Natur, schöne Aussicht und gute Luft. Und zwar jede Menge davon.
Ich konnte ja gar nicht anders, als hier gesund zu werden.
Es dauerte nicht mal ein Jahr, und ich war wieder topfit.
Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, aber wie alles, über das man im übermaß verfügt, begann irgendwann auch die Entspannung mich zu langweilen. Immer nur spazieren gehen wird auch anstrengend. Egal ob mit oder ohne die alte Frau Breugel, die mich, glaube ich, fast adoptiert hat. Ja, es waren diese elend gemütlichen Spaziergänge, die eines Tages anfingen, mich richtig aufzuregen. Weil sie mich auf den immer gleichen Pfaden durch die Wälder rund um das Lahntal führten, hin zu den traditionellen Kartoffel-Bratplätzen und bei Wind und Wetter durch die Sträßchen der Oberstadt, wo ich die fein mit schwarzer Farbe hingepinselten Sinnsprüche in den Gefachen der alten Häuser schon fast alle auswendig kann.
So mancher geht vorüber
und nimmt es nicht in Acht,
daß jede viertel Stunde
sein Leben kürzer macht.
Ich fühlte plötzlich, dass mir etwas fehlte. Ich habe einen, wie ich finde, ordentlichen Beruf erlernt und habe ihn viele Jahre erfolgreich ausgeübt. Dazu hat mir mein großes Talent verholfen. Das Talent, das nun schon vier Jahreszeiten lang brachliegt.
Es kam mir plötzlich so vor, als sei das schon eine Ewigkeit her, dass ich zuletzt einen richtig schön sauberen Auftragsmord ausgeführt hatte. Ich erinnere mich genau. Ein Politiker. Christdemokrat. Badewanne. Der Klassiker.
Es war ein sonnendurchfluteter Junitag, an dem mein Spaziergang mich zum gefühlten dreihundertsten Mal zum Schloss hinauf führte. Ich stand an der Mauer, ließ den Blick über die bewaldeten Hügel des Hinterlandes schweifen, blickte auf die Stadt hinunter und guckte dem silbern glänzend Band der Lahn hinterher, das sich durch das bebaute Tal windet.
Hier ist alles Tradition und Folklore, hier bleibt man im Lande und nährt sich redlich. Kein Wunder, dass Karin Tietze-Ludwig mit Abstand die berühmteste Persönlichkeit ist, die aus Biedenkopf stammt.
Ich ging den Weg zum Schlosshof hinauf. Das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen. Etwas war anders als sonst. Nicht das alte Gemäuer, nicht der trutzige, zinnenbewehrte Bergfried, nein, etwas in mir selbst. Ich versuche es mal so zu beschreiben: Eine Art vorfreudiger Unruhe, von der ich nicht wusste, wo sie herkam.
Wie von selbst führten mich meine Schritte rechter Hand durch das hölzerne Portal in die Räumlichkeiten des Museums. An diesem Tag herrschte großer Betrieb, denn das schöne Wetter hatte viele Wanderer angelockt. Ich schnappte Satzfetzen auf Holländisch und Englisch auf. Alles war mir bestens vertraut. Die riesige Esse der Burgküche, das liebevoll ausgestaltete Szenario mit der Postkutsche.
Auch in der ersten Etage war alles wie immer. Historische Gerätschaften aus den Hinterländer Haushalten, die Grenzgangstrachten – vergangene Zeiten, in Unbeweglichkeit erstarrt. Nein, trotzdem, etwas war heute anders. Als ich die Hand auf das Treppengeländer legte, sah ich, dass sie zitterte. Was war nur los?
Es ging weiter hinauf ins nächste Stockwerk. Und dort blieb mein Blick an einem großen Holzstamm und an mehreren martialisch aussehenden Äxten und Beilen hängen. Ich spürte, wie meine Fäuste sich in den Jackentaschen ballten. Das war es! Noch nie hatte ich mit einer Axt gearbeitet! Dies war das einzige Mordwerkzeug, das hierher passte, in diese Idylle. Eine ehrliche, rustikale Mordwaffe. Und im nächsten Moment durchzuckte mich ein weiterer Geistesblitz, und ich taumelte, vorbei an den überraschten Touristen, wieder hinunter in die Grenzgangs-Ausstellung.
»Der Stein, die Grenze, in Ewigkeit« Das ist die geheimnisvolle Formel, die beim Grenzgang deklamiert wird, bei diesem einzigartigen Volksfest, das nur alle sieben Jahre hier stattfindet. Ich hatte bereits schon so viele Geschichten darüber gehört. Tausende von Menschen marschieren aus einer alten Tradition heraus drei Tage lang die Grenzen des Stadtwalds ab und feiern dabei ein Fest, von dem sie sich offenbar erst einmal wieder sechs Jahre lang erholen müssen.
Und dann sah ich sie! Dort an der Wand waren sie ausgestellt: Die traditionellen Hüte und Schärpen der Grenzgang-Gesellschaften. Am ersten Tag des Grenzgangs wecken die Böllerschüsse vom Schloss die Bürger des Städtchens, und wenig später versammeln sich die elf Männergesellschaften und die acht Burschenschaften aus den einzelnen Straßen unter lauter Blasmusik auf dem Marktplatz, von wo aus das bunte Treiben sich dann seinen Weg bahnt.
Ich habe sie mir nie so richtig vorstellen können, all die kauzigen Rituale, die an den Grenzsteinen vollführt werden. Ein bunt kostümierter Mohr spielt eine wichtige Rolle, so viel kann ich sagen. Und Hauptmann und Reiter und Wettläufer und all so was. Und Bier. Sehr viel Bier auch.
Diese Hüte und die bunten Schärpen zogen meinen Blick magisch an. Ich dachte wieder an die schweren Äxte, und mit einem Mal sah ich die Köpfe, auf denen diese Hüte einmal gesessen hatten. Und ich bekam in diesem Moment eine unbändige Lust, wieder einmal zu arbeiten.
Als ich am Abend den ersten Namen auf einem Zettel notierte, war mir bewusst, dass diesmal alles anders sein würde als bei den Morden früherer Tage. Damals hatte ich im Auftrag anderer gehandelt. Dieses Mal trieb mich nichts weiter an als die eigene Kreativität. Serienmörder hatten mich von jeher fasziniert. Das waren Künstler, die immer das große Ganze im Blick hatten. Das wollte ich jetzt auch mal ausprobieren. Ich saß bei einer Tasse Kräutertee am Panoramafenster meines Wohnzimmers und studierte Telefonbücher und Heimatkalender. Unten auf der Terrasse saß Frau Breugel und reckte ihr faltiges Dekolletee zum Bräunen der Sonne entgegen. Neunzehn Morde, das war kein Pappenstiel, aber schließlich hatte ich ja fast ein ganzes Jahr dem süßen Nichtstun geopfert. Ich war jetzt wieder bereit.
Ich hatte mir vorgenommen, mit den Männergesellschaften zu beginnen und mich nach dem Alphabet durchzuarbeiten. Die erste Gesellschaft trug den wohlklingenden Namen »Galgenberg«. Glauben Sie nicht? Ist aber so!
Zuerst hatte ich erwogen, mir heimlich eine der historischen Äxte aus dem Museum zu borgen, aber das erschien mir dann doch zu riskant. Mit diesen alten Dingern machte man ja außerdem unter Umständen auch mehr kaputt als nötig. Ich fuhr extra bis nach Kassel, um mir im Fachhandel eine vernünftige Spaltaxt zu kaufen. An Kohlköpfen und Wassermelonen übte ich ein paar Tage lang heimlich, bis ich glaubte, den richtigen Schwung rauszuhaben.
Und dann knöpfte ich mir also Heinz Füchtner vor. Männerführer bei der Grenzganggesellschaft Galgenberg und Kassierer im Edeka Hercules. Ich fand ihn abends in der Kneipe »Zur Gini«, gleich beim Marktplatz. Da saß der Füchtner offenbar häufig und ausdauernd. Ich trank mein Bierchen und schielte immer wieder wachsam zu der länglichen Sporttasche hinüber, die ich an der Garderobe abgestellt hatte, und in der mein Handwerkszeug verborgen war.
Irgendwann entschloss sich Füchtner dann doch, nach Hause zu gehen. Er wohnte in einem Haus am Rande des Stadtparks, unterhalb des Parkhotels. Nach all dem Bier, das er vorher in sich hineingeschüttet hatte, war es kein Wunder, dass er sich unterwegs einen Baum aussuchte, um einen Teil davon wieder hinauszulassen. Ich glaube, er sah meine Axt gar nicht, als ich mich ihm in der Dunkelheit näherte. Er drehte sich nur halb zu mir um und knurrte: »Hau ab!«
Nun gut, das ließ ich mir nicht zweimal sagen.
Es wurde viel gerätselt in Biedenkopf. Wieso der Füchtner? Wieso geköpft? Wieso war da so ein komischer Strohhut auf dem Kopf? Ich gebe zu, dass ich mir mit einem billigen Utensil aus dem Fastnachtsbedarf behalf, das nicht viel Ähnlichkeit mit der echten Grenzgang-Kostümierung aufwies. An das Original wäre ich aber nun mal nicht so ohne Weiteres herangekommen, und so etwas gehörte bei einem Serienmörder einfach dazu. Da musste es für die öffentlichkeit und für die Ermittler immer was zum Kniffeln geben.
In Stuttgart hat mal einer sieben Frauen getötet und ihnen munter die abgeschnittenen Nasen vertauscht. Und sie am ganzen Körper mit Speisequark eingerieben. Die Verfallsdaten der Quarkbecher, so fand man irgendwann heraus, ergaben in der Quersumme sein Geburtsdatum. So was ist unheimlich wichtig. Deshalb habe ich den Kopf vom Füchtner auch vor sein Haus platziert und mit einem dicken Eddingstift einen Sinnspruch auf seine Fassade geschrieben, den ich selbst gedichtet habe:
Der Tod macht gerne Überstunden,
Und ist stets da für seine Kunden.
Kassiert sie ab mit einem Schlag,
Auch gern am langen Donnerstag.
Passt doch schön nach Biedenkopf, so ein schnörkeliger Sinnspruch, oder?
Ja, ich gebe zu, das war alles ganz nach meinem Geschmack. Das war etwas anderes als Zielfernrohr und Laserpunkt. Ich spürte am Abend nach der Tat zwar ein leichtes Ziehen im Nacken, aber da half ein Wärmepflaster.
Als nächstes war die Gesellschaft Hainstraße dran. Beziehungsweise Olli Spies, der klapperdürre Kerl, der sie führte. Der Frührentner bewohnte eine kleine Etagenwohnung unweit der Stadtschule und gärtnerte sich mit viel Engagement durch eine kleine Parzelle, die er hinter dem Schwimmbad gepachtet hatte. Ich besuchte ihn am Nachmittag, als er gerade dabei war, seinen Lattenzaun um seinen prächtigen Gemüsegarten zu reparieren. Er blickte von seiner Arbeit auf und sah mich fragend an. Zwischen den zusammengepressten Lippen hatte er ein paar Nägel eingeklemmt, und ich hätte fast losgeprustet, weil mir den Spruch von den »Nägeln mit Köpfen« in den Sinn kam. Es ging bei Olli Spies fast noch besser als bei meinem ersten Delinquenten.
An den Giebel seiner Hütte schrieb ich hinterher mit akkurater Schrift:
Die Zähne kauen Möhren,
Sie malmen Kohl und Lauch.
Das kann den Tod nicht stören,
Ins Gras beißen sie auch.
Nach der zweiten geköpften Leiche stand ganz Biedenkopf Kopf. Bundesweit titelten die Zeitungen mit den Früchten meiner Arbeit. Auch das Fernsehen fiel in den kleinen Ort ein.
Ich konnte mein Glück kaum fassen. Die Zeit des Herumreisens war endgültig vorbei. Ich wollte am liebsten nur noch direkt vor der eigenen Haustür morden. Kill local lautete jetzt meine Devise. Ich wollte nicht länger ein Global Player sein, sondern arbeitete eifrig an meinem neuen Image als Hidden Champion.
Der Lehrer Markus Schlott wohnte auf der Hatzfelder Straße. Er war Führer der Gesellschaft Hasenlauf. Und ich muss auch wirklich sagen, dass er wahrhaftig lief wie ein Hase, als er plötzlich meine Axt sah. Ich erwischte ihn beim Joggen im Wald, und fast wäre er mir durch die Lappen gegangen, denn auch wenn ich Ruhe und Erholung in Hülle und Fülle genossen hatte, war meine Kondition doch eher durchschnittlich. Aber, wie gesagt, Schlott fiel dann doch meinem Axthieb zum Opfer. Ich glaube sogar, dass sein Körper noch ein paar Meter weiterlief. Für diesen Kopf fand ich einen besonders schönen Platz. Wenig später zierte er einen der Grenzsteine im Norden der Stadt. Das war ja nun wirklich absolut passend. Gottseidank war auch eine kleine Hütte in der Nähe, sodass ich meinen Sinnspruch unterbringen konnte:
Dem Hasen rinnt der Schweiß herab,
Er bricht jeden Rekord,
Doch wartet froh der Tod am Grab
Und ruft: »Ich bin schon dort!«
Beim Serienmord kommt es auf die Kontinuität an. Das baut alles aufeinander auf. Wie bei diesem Serienkiller in Bremen, der nur alle fünf Monate zuschlug und ausschließlich einäugige Männer tötete. Er füllte die leeren Augenhöhlen mit Aufzuchterde und pflanzte darin Brunnenkresse.
Jetzt kommen Sie mir nicht mit Familie und Hinterbliebenen und all so was. Natürlich ist das betrüblich. Denken Sie denn, ich habe kein Herz, nur weil ich mich zur Professionalität zwinge? Jeder wird vom Leben doch an eine bestimmte Stelle gestellt. Und ich stehe eben ganz am Ende.
Ein paar Abende später sitze ich jetzt also hier bei einer Tasse Tee über den Plänen für den nächsten Tag. »Hewwe un drewwe da Läh« heißt die Männergesellschaft. Das klingt doch mal so richtig schön hinterländisch. Wer ist denn der Kopf von der Bande? Soso, einer von den Stadtwerken. Ein breiter, bärtiger …
… irgendwie genau so einer wie der Mann, der jetzt plötzlich direkt vor meinem Wohnzimmertisch steht. Ich schrecke so sehr zusammen, dass der Tee über den Rand meiner Tasse schwappt.
»Wie sind Sie hier …?«
Er lächelt hintergründig und sagt mit einer hohen Stimme, die nicht zu seinem stämmigen Äußeren passt: »Denken Sie gar nicht drüber nach. Ich bin eben drin. Gelernt ist gelernt.«
Ach so? Was will er mir damit sagen? Wieso trägt er Handschuhe?
Er zieht etwas aus der Tasche seines Blousons, das aussieht wie ein Knäuel Draht. Während er es entwirrt, erzählt er seelenruhig: »Hören Sie, haben Sie wirklich geglaubt, Sie können hier in aller Gemütlichkeit eine Mordserie inszenieren, ohne dass Ihnen irgendjemand auf die Schliche kommt? Mir war vom ersten Moment an klar, worauf das alles hinauslaufen soll.«
»Ach ja?«, sage ich patzig.
»Die falschen Hüte! Das ist wirklich dilettantisch. Die Gedichte! Das ist doch total antiquiert. Geben Sie’s zu, Sie sind Anfänger, stimmt’s?«
Als ich nicht gleich antworte, sieht er mir unverwandt in die Augen. »Ihre Nummer mit der Axt ist ja eigentlich gar nicht übel, aber es ist nun mal eben ein typisches Anfängerinstrument.«
»Moment mal, aber ich bin kein Anfänger!«
Er lacht höhnisch. So eine Frechheit. Aber ich kann ihm natürlich unmöglich meine Profikillerkarriere auf die Nase binden.
Abfällig sagt er: »Lassen Sie mich raten, Sie waren Auftragsmörder und wollen jetzt auf Serienkiller umsatteln.«
Ich bin sprachlos.
Er nickt, wie um sich selbst zu bestätigen. »Also so einer, der sich immer sagen lassen musste, wen er wann umzunieten hat. Traurig, so was. Und jetzt soll es also gleich eine Serie mit neunzehn Opfern sein. Da haben Sie sich aber ein bisschen übernommen, mein Lieber. Und dann diese Schlagzahl. Drei in anderthalb Wochen! Das ist ein schlechter Rhythmus. Man fängt mit großen Abständen an, sagen wir mal zwei Monate, und dann macht man im Verlauf der Serie immer mehr Speed.«
Das, was er da vor meinen Augen entwirrt hat, ist eine Garrotte. Ein dünner Draht mit zwei Haltegriffen an den Enden. Mich beschleicht so eine Ahnung …
»Und ich soll also der nächste sein«, sagt er lauernd.
Ich mache einen zaghaften Versuch. Meine Stimme klingt ein wenig heiser, als ich sage: »Nun, ich könnte Sie ja vielleicht überspringen.«
»Wie bitte?« Seine Augen funkeln böse. »Überspringen? Haben Sie jemals gehört, dass ein ordentlicher Serienmörder ein Opfer übersprungen hat?« Er spuckt diese Worte regelrecht aus. »So etwas tut man nicht!«
»Sie kennen sich ja ganz schön aus.« Ob es klug ist, ihn auch noch zu reizen?
Er strafft den Draht und nähert sich mit bedächtigen Schritten. »Die Kölner Pilzsuppen-Morde aus den Neunzigern? Die Mainzer Linienbus-Mordserie von vor dreizehn Jahren?«
Ich erinnere mich. Sechzehn junge Frauen, ertränkt in ihren mit Champignoncremesuppe gefüllten Badewannen und elf Mordopfer verschiedenen Geschlechts, deren Leichen, mit Panzertape auf die Dächer der Linienbusse geklebt, tagelang durch die Stadt fuhren, bevor sie entdeckt wurden. In beiden Fällen wurde nie ein Täter gefunden.
»Sagen Sie bloß, das waren Sie?«
Er nickt und lächelt stolz. »Ich lebe jetzt seit neun Jahren hier in Biedenkopf. Es ist gemütlich, es ist bequem. Aber so langsam hätte ich wirklich Lust, noch mal eine schöne Serie zu starten.« Sein Draht ist jetzt nur eine Handbreit von meiner Kehle entfernt Er ist kräftig. Ich werde mich nicht gegen ihn wehren können. Ich hebe langsam meine Hände, obwohl ich nichts werde ausrichten können.
Nein, so habe ich mir das nicht gedacht. Außer mir ist da tatsächlich noch ein echter Serienmörder in Biedenkopf! Was für ein unglaublicher Zufall, dass wir beide hier gelandet sind!
Der Draht berührt jetzt meinen Adamsapfel. Ich rieche sein süßliches Aftershave.
Gleich ist es vorbei.
Da zuckt er plötzlich zusammen und reißt die Augen weit auf. Aus seinem Mund kommt zuerst ein grässliches Röcheln, und dann sprudeln kleine Blutströpfchen hervor. Seine Hände, in denen er die straff gespannte Garrotte hält, verkrampfen sich, er sackt zuerst auf die Knie, und dann kippt sein Oberkörper nach vorne, und er bleibt mit dem Gesicht auf dem Teppich liegen. Zwischen seinen Schulterblättern erkenne ich den Knauf eines Messers, um den herum langsam das Blut in den Stoff seines Blousons zieht.
Frau Breugel beugt sich mit einem Ächzen über ihn und tastet in seiner Halsbeuge nach seinem Puls. Was sie fühlt, scheint sie zu befriedigen. Oder besser, was sie nicht fühlt.
Sie zieht das Messer aus der Wunde, setzt ihre Lesebrille auf, die an einem geflochtenen Bändchen um ihren Hals baumelt, und betrachtet die blutige Klinge.
Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Sie legt das Messer auf den Wohnzimmertisch und holt sich aus dem Schrank eine Tasse. Als sie sich zu mir an den Tisch gesetzt hat, schenkt sie sich Kräutertee aus der Kanne ein. Ihre faltigen Hände hantieren ganz ruhig mit dem Porzellan.
»Das mit dem Kopf machen Sie am besten in der Badewanne«, schnarrt sie mit rauchiger Stimme. »Wo wohnt er? Sachsenhausen? Haben Sie schon einen Spruch?«
»Frau Breugel«, sage ich fassungslos. »Sehe ich das richtig? Haben Sie wirklich gerade diesen Mann erstochen?«
Sie lächelt mich mit ihren schlecht sitzenden dritten Zähnen an. »Naja, ist mal was anderes, wissen Sie. Bei den siebenundvierzig anderen habe ich es immer nur mit Gift gemacht.«
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