Kitabı oku: «Spenglers Nachleben», sayfa 5
Gilbert Merlio
Oswald Spengler –
Ein Denker der Postmoderne,
der Hypermoderne oder gar der Vormoderne?
Die im Rahmen der erwähnten Tagung zur Diskussion gestellten Ausgangsthesen besagen, bei Spengler seien »viele dezidiert postmoderne Konzepte« zu finden: Eine Verabschiedung des modernen Fortschrittsmodells, die Ersetzung des Gesellschafts- durch den Kulturbegriff, kultureller und historischer Relativismus, die Identifikation von abendländischer Kultur und kritischer Vernunft, das Paradigma der historischen Kulturtechnikforschung, und nicht zuletzt der methodische Eklektizismus der kulturwissenschaftlichen Disziplinen. Andererseits scheinen die Autoren der Themenstellung Spenglers – relative – Vergessenheit der Legitimationsnot der Postmoderne zuzuschreiben. Soll das bedeuten, dass die meisten Vertreter der Postmoderne die explizite Bezugnahme auf Spengler gemieden haben, weil sie sich bewusst gewesen sind, dass sie nicht vom selben ideologisch‐politischen Horizont kommen und mit ihrer Kritik an der Moderne auch nicht das gleiche Ziel verfolgen?1 Inwiefern kann dann die sogenannte Postmoderne mit Hilfe Spenglers überwunden werden? Wird man nicht vielmehr bei den Vertretern der Postmoderne Auswege finden, die es erlauben, Spengler zu überwinden?
Zunächst muss eine methodische Überlegung vorausgeschickt werden. Bei Spengler haben wir es mit einem abgeschlossenen kohärenten Denksystem zu tun, was bei der Postmoderne, denkt man an die sogenannte french theorie, die ich hier vorwiegend in Betracht ziehen will, bei weitem nicht der Fall ist. Einige französische Denker wie Jacques Bouveresse, Marcel Gauchet oder Antoine Compagnon betonen deshalb die Entbehrlichkeit des Begriffs. Schon Foucault wollte nicht als postmoderner Denker angesprochen werden.2 Die Frage ist nicht nur, ob der Begriff derart vielfältige, manchmal kontradiktorische Phänomene subsumieren kann, sondern auch, ob die Postmoderne entweder einen Bruch mit oder eine Fortsetzung der Moderne darstellt? So ziehen einige Denker es vor, von Hypermoderne zu sprechen. Darüber hinaus scheint mir eine gewisse Begriffsverwirrung zwischen Strukturalismus, Poststrukturalismus und Postmoderne zu herrschen.
Im Folgenden soll zunächst dem Phänomen der – scheinbaren – Nähe von Spenglers Werk zu bestimmten »postmodernen« Positionen nachgegangen werden, um anschließend die grundsätzlichen Unterschiede herauszuarbeiten, die sie von diesem trennen.
Inwiefern weist Spengler auf die Postmoderne hin?
Spengler selbst hätte höchstwahrscheinlich das Prädikat ›postmodern‹ von sich gewiesen. Für ihn wären die sogenannten postmodernen Merkmale logische Konsequenzen einer Moderne gewesen, die mit der Aufklärung begonnen hat, also einer ›Moderne‹, die in jeder ›Hochkultur‹ in Form der dekadenten ›Zivilisation‹ eintritt. Der Lebensphilosoph Spengler erzählt uns nämlich die sich in jedem Kulturzyklus wiederholende Selbstauflösung (oder postmodern: Dekonstruktion?) der Moderne. In jeder Hochkultur sei eine Dialektik des Geistes am Werke; jede stelle einen Versuch dar, das Leben zu vergeistigen. Diese ›Zusammenarbeit‹ ergebe zunächst die großen Schöpfungen der ›Kultur‹, das heißt der aufsteigenden kreativen Phase der Hochkultur. Es komme aber immer wieder ein Zeitpunkt, wo der Geist (das ›Wachsein‹) sich vom ›Dasein‹ (vom schöpferischen Leben) emanzipieren wolle. Diese Entzweiung leite das ›Klimakterium‹ der Hochkultur ein, das heißt den Beginn der ›Zivilisation‹, in der der Geist – in Form des theoretischen und praktischen Rationalismus – sich immer mehr von den schöpferischen Quellen des Lebens entferne, diesem seine eigenen Gesetze diktieren wolle und sich dann in rein quantitativen und expansiven Leistungen erschöpfe, bis er selber seiner Abstraktheit, seiner eigenen Leere, oder seines illusionären, machtlosen Charakters angesichts der harten ›Tatsachen‹ des Lebens innewerde.3 Für Spengler, wie beispielsweise auch für Simmel, wohnt der Kultur ein tragischer Charakter inne: Sie endet mit der Niederlage des Geistes, dem sie ihre Entstehung verdankt.
Spengler schreibt sich so in eine alte Tradition der Gegenaufklärung ein. Logozentrismus und Geschichtsoptimismus der Aufklärung wurden schon zur Zeit ihrer Blüte in Frage gestellt. Giambattista Vico (1668‐1744) erblickte in der Geschichte eine Reihe von corsi und ricorsi und fürchtete für Europa eine ›zivilisierte Barbarei‹. In Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit (1774) lehnte sich der junge Herder gegen die linear fortschrittlichen Geschichtsphilosophien auf, die damals florierten. Er rehabilitierte das ›Vorurteil‹, das heißt die Tatsache, dass jede Kultur4 ihre eigene Sicht der Dinge entwickelt und ihre eigenen kulturellen Produktionen erzeugt, deren Wert nicht am Maßstab der folgenden Epochen und vor allem nicht am Maßstab einer sich als Krönung der Geschichte betrachtenden okzidentalen Moderne beurteilt werden kann.5 Andererseits hegte Herder Befürchtungen angesichts eines sich immer stärker durchsetzenden Rationalismus, der von Frankreich her nach Deutschland hineinwirkte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts haben dann Historismus und Ethnologie die Individualität und Pluralität der Kulturen hervorgehoben. Auch derjenige Geschichtsphilosoph, der in der Weltgeschichte die allmähliche Verwirklichung der Vernunft erblickte, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, konnte nicht umhin, festzustellen, dass diese Weltgeschichte von Diskontinuitäten markiert ist, das heißt von einer Folge von nacheinander zugrunde gegangenen Großreichen. Keiner dieser Denker ging aber so weit, die Existenz eines universal zu denkenden menschlichen Subjekts und, da sie alle Christen waren, die von Gott gelenkte Einheit der Menschengeschichte zu negieren.
Neben der legitimistisch‐traditionalistischen, auf christlichen Werten beruhenden Gegenaufklärung entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts eine lebensphilosophische Strömung, die – in Fortführung der bei Vico, Herder und den Romantikern vorhandenen Keime – im um sich greifenden modernen Rationalismus eine Gefahr für das Leben und die menschliche Lebenswelt erblickte. Entscheidend ist hier Nietzsches Denken, das nach Heinz Dieter Kittsteiner mitten in der Fortschrittsmoderne die Wende zur heroischen Moderne einleitete.6 Von Nietzsche geht eine anti‐intellektuelle Denkrichtung aus, die im Panvitalismus von Klages, für den der Geist zum Widersacher der Seele wurde,7 ihren philosophischen Höhepunkt erreichte. Spengler ist in diese Tradition einzuordnen.
Hier ist eine Unterscheidung angebracht, die unter anderen von Rolf Peter Sieferle getroffen worden ist.8 Eine Gesellschaftskritik wie zum Beispiel die marxistische findet in der Moderne selbst die Mittel oder die Werte, um deren kapitalistische ›Übel‹ zu bekämpfen und zu überwinden: Klassenkampf, Abschaffung der Klassengesellschaft. Die eigentliche Zivilisations‐ bzw. Kulturkritik9 greift tiefer, und stellt den Kultur‐ oder Zivilisationsprozess an sich in Frage, der den Keim des Problems in sich berge. In diesem Sinne ist ein Buch wie Die Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer, welches das Herrschafts‐ und Unterdrückungspotential der Vernunft von Anfang an aufdeckt, echte Kulturkritik. Dennoch verfallen Adorno und Horkheimer nicht in Kulturpessimismus, denn sie glauben noch an eine substantielle oder objektive Vernunft, die es erlauben sollte, die Schäden der ›subjektiven‹ instrumentellen Vernunft wieder gut zu machen.
In der Kritik an der von Max Weber sogenannten ›okzidentalen Rationalität‹ – also in der Kultur‐ und nicht nur in der Gesellschaftskritik – sind die sogenannten postmodernen Denker und Spengler sich einig: Sie gehen vom Scheitern oder von der Diskreditierung des Projekts der Moderne und von der Hoffnung aus, einen Ausweg aus der modernen ›Krise‹ oder ›Pathologie‹ zu finden. Die von der Aufklärung ausgehende Moderne versprach den Menschen, sie durch das rational erworbene Wissen zur Tugend und zum Glück zu führen.10 Auch die Polis konnte und sollte durch einen Vertrag zwischen vernunftbegabten, freien Individuen rational organisiert werden. Spengler meint, ganz wie die postmodernen Denker, diese rationale bzw. rationalistische Moderne sei in eine Sackgasse geraten. Die Vernunft sei unvernünftig geworden. Seine vergleichende Geschichtsmorphologie soll eben diese These bekräftigen, indem sie in den vergangenen Hochkulturen analoge Phänomene feststellt.
Einigkeit herrscht auch in der Verwerfung der homogenen Zeit der linearen Geschichtsschreibung. Die These von der historischen Diskontinuität, die von den Vertretern des Historismus leise angesprochen wurde, wird von Spengler auf die Spitze getrieben, wenn nicht ad absurdum geführt. Die signifikante Weltgeschichte besteht für ihn in einer Reihe von Hochkulturen, die aufeinander folgen, ohne einander fortzusetzen. Da Spengler Beziehungen zwischen den verschiedenen Hochkulturen nicht übersehen kann, spricht er von Missverständnissen oder von ›Pseudomorphosen‹. Er entlehnte diesen Begriff der Kristallographie und bezeichnet damit die Art und Weise, wie eine neue Kultur sich manchmal wie Lava in die schon erstarrten Formen einer sterbenden Kultur ›gießen‹ muss und sie mit einem völlig neuen Geist erfüllt. Der Austausch zwischen den Hochkulturen bleibt also rein äußerlich, und aus neuen Kombinationen von ›Erbschaften‹ ergibt sich keinesfalls die Eigenheit der assimilierenden Kultur. Diese entspringt vielmehr einer originellen ›Kulturseele‹, die auf rätselhafte Weise in einer bestimmten Landschaft erwacht und von nun an all den Produktionen der neuen Kultur ihr Gepräge verleiht. Weil sie einander völlig fremd sind, können die Hochkulturen einander nicht richtig verstehen. Aber man kann zwischen ihnen Gemeinsamkeiten finden, ›synchrone Epochen‹, die strukturell homolog, aber als Ausdruck des jeder Kultur eigentümlichen Weltbilds (oder ›Ursymbols‹) semantisch oder ›symbolisch‹ verschieden sind.
Der vergleichenden Geschichtsmorphologie an sich haftet übrigens ein postmoderner Charakter an. Denn sie ist ein Versuch, nach der Disqualifikation der Vorsehungs‐ oder Fortschrittsidee und des damit verbundenen Eurozentrismus die Universalgeschichte zu erfassen.11 Gaston Bachelards Schüler Gilbert Durand, Vater der Mythokritik und Autor der Structures anthropologiques de l’imaginaire (1969) behauptet, Spengler habe durch seine Geschichtsschreibung einen wichtigen Beitrag zum nouvel esprit épistémologique geleistet. Er habe uns mit seiner radikalen Kritik an der Fortschrittsidee und mit dem Begriff der Pseudomorphose zur Erkenntnis verholfen, dass die Entlehnungen und Erbschaften zwischen Kulturen nicht als einfache Filiationen, sondern als Wiederaneignungen zu denken sind.12 Er habe so mit der auf abstrakter Kausalität basierenden »totalitären Epistemologie« des Abendlands gebrochen und mit seiner physiognomischen Methode und der Verwendung von Begriffen wie »Homologie« oder »synchroner Epoche« ein auf dem »hermetischen« Prinzip beruhendes Menschenbild geboten, das Gleiches in Verschiedenem und relative Chronologien innerhalb der absoluten Chronologie offengelegt.13 In Der Trilogie der Sphären wird Sloterdijk – von dem ich eigentlich nicht weiß, ob er als postmodern zu gelten hat – trotz aller Distanznahme zu Spengler eine verwandte morphologische Herangehensweise auf die Geschichte anwenden.14
Aus dieser Perspektive könnte man Spengler als Verdienst anrechnen, dass er postnational und insofern auch ›postmodern‹ von der typisch okzidentalen nationalen Geschichtsschreibung abgerückt ist, und die Kulturen, diese ›Individuen höherer Ordnung‹, zu Subjekten und Sinneinheiten der Weltgeschichte gemacht hat. Der Historismus (man denke an Burckhardt, aber auch an die schon erwähnten Großreiche bei Hegel), die Ethnologie (beispielsweise Frobenius) und die sogenannten Geistes‐ bzw. Kulturwissenschaften hatten auch hier den Weg gewiesen, den Spengler wie üblich resolut zu Ende ging. So resolut jedoch, dass der nationalistische Impetus seines Denkens zugleich wieder überdeutlich hervortritt. Bei Herder und seinen Nachfolgern war die Relativität historisch fundiert: Nur weil Nationen oder Völker innerhalb der Menschheitsgeschichte nicht zur selben Zeit gelebt und gewirkt hatten, durften ihre Werte und Werke nicht über einen allgemeinen Leisten geschlagen werden. Spenglers Relativität ist hingegen ethnisch‐kulturell fundiert: Die These von der vollkommenen Abgeschlossenheit der Kulturen, die er vertritt, scheint das Autarkieideal des Nationalismus auf höherer Ebene zu reproduzieren. Darüber hinaus postuliert Spengler in seiner agonalen Sichtweise dieselbe Verständnis‐ und Verständigungsunfähigkeit zwischen den Nationen.
Spengler war sicherlich kein Rassist im biologischen Sinne. Aber sein überbetonter Relativismus grenzt an psychischen Rassismus. Es gibt für ihn nicht nur eine ägyptische, chinesische, antike, faustische Moral oder Kunst, sondern auch eine ägyptische, faustische usw. Wissenschaft, wie es etwas später für Rosenberg eine ›jüdische‹ und ›arische‹ Wissenschaft geben wird (und für die Marxisten eine ›bürgerliche‹ und eine ›proletarische‹ Wissenschaft!). Die Hochkultur ist nämlich für ihn nicht, wie zum Beispiel die große Zivilisation bei Arnold Toynbee, ein im Nachhinein empirisch ermitteltes Gebilde, das zum besseren Verständnis der Geschichte verhilft,15 sondern sie beansprucht den Rang einer geschichtlich lebendigen Wesenheit, die nur vom intuitiven ›physiognomischen Takt‹ des ›geborenen Historikers‹ erfasst werden könne und die vom Anfang bis zum Ende das Los der ihr zugehörigen Menschen bestimmt. Darüber hinaus paart sich die absolute Pluralität der Kulturen nach außen mit einer monolithischen Einheit nach innen: Hier atmet alles denselben Geist und folgt demselben Entwicklungsrhythmus.16 Diese Relativität verschont kein Gebiet, sodass von keiner universellen Wahrheit die Rede sein kann und jeder kumulative Fortschritt auch im Bereich der Naturwissenschaft und der Technik prinzipiell ausgeschlossen ist. Für Spengler ist die Geschichte wirklich ›unverfügbar‹ und er hätte in dieser Hinsicht mehr als alle anderen die Vorwürfe verdient, die Popper an den »naturalistischen« Historismus richtet.17 Wegen dieses völligen Geschichtsdeterminismus und ‐fatalismus18 hat ihn Thomas Mann einen Defätisten der Humanität gescholten.19
Mit der These der vollkommenen Determiniertheit des Menschen durch eine Kultur, welche als ›fensterlose Monade‹ konzipiert wird, dekretiert Spengler auf seine Weise den ›Tod des Menschen‹ (Michel Foucault).20 Er beruft sich in dieser Hinsicht auf den Satz von Goethe an Luden: »Die Menschheit? Das ist ein Abstraktum. Es hat von jeher nur Menschen gegeben und wird nur Menschen geben.«21 Goethe wollte damit sagen, dass der Mensch erst durch seine Zugehörigkeit zu einer Kultur Mensch wird, was Verschiedenheiten zwischen den Kulturmenschen erzeugt. Allerdings wäre der Autor des Westöstlichen Divans und Fürsprecher der ›Weltliteratur‹ der letzte gewesen, der Kommunikationsunmöglichkeit zwischen den Kulturen postuliert hätte. Doch stellt sich die Frage, ob diese Auffassung der Hochkulturen als geschlossene Systeme eben nicht die Vorstellungen von Strukturalisten wie Levi‐Straus (Rasse und Geschichte) oder gar ein Konzept wie die episteme bei Foucault vorwegnimmt. Bei beiden ist schließlich der Grundgedanke vorhanden, dass der Mensch nicht als rationales, universalisierbares, autonomes Subjekt aufzufassen sei, sondern von seinem kulturellen Umfeld in seinem Denken und Wirken bestimmt wird.
Ein weiterer Punkt lässt einen Vergleich von Spenglers Geschichtsmorphologie mit dem Strukturalismus als naheliegend erscheinen: Die Geschichtsmorphologie drängt die homogene, lineare Zeit zugunsten von Querschnitten in den Hintergrund. Diese ermöglichen die Herausstellung von Synchronien und Isomorphien zwischen voneinander unabhängigen, je ihr eigenes menschliches Subjekt determinierenden Gebilden bzw. Strukturen. Was Levi‐Strauss betrifft, bietet der tiefe Geschichtspessimismus, der am Ende der Traurigen Tropen zum Ausdruck kommt, und sich auf die Diagnose einer in jeder Kultur oder Gesellschaft wirkenden Tendenz zur Entropie bezieht, einen weiteren Vergleichspunkt.22 Es muss aber andererseits berücksichtigt werden, dass Levi‐Strauss’ Relativismus einen universalisierenden Fluchtpunkt beinhaltet, der bei Spengler energisch versperrt wird: Für den Ethnologen handelt es sich darum, den ›Blick aus der Ferne‹ zu praktizieren, das heißt in einer Art phänomenologischer Reduktion sich des mit jeder Zugehörigkeit zu einer Kultur verbundenen ›Vorurteils‹ zu entledigen, um zu einem besseren Verständnis der fremden Kulturen zu gelangen, und so ein Bild des Allgemein‐Menschlichen herauszustellen, das über die eurozentrische Eindimensionalität des traditionellen okzidentalen Humanismus hinausgeht.
Auch Spengler behauptete diesen ›Blick aus der Ferne‹ zu besitzen: Er antwortete im Voraus auf den Einwand mancher Kritiker, die auf den Widerspruch zwischen seinem Postulat der Kommunikationslosigkeit zwischen den Kulturen und seinem Anspruch, sie alle zu verstehen, hinwiesen.23 Als Repräsentant einer Hochkultur, die mit einem besonderen Sinn für das räumlich und zeitlich Unendliche, also auch für das Historische begabt, und darüber hinaus in die skeptische Phase der Zivilisation eingetreten sei, könne er sich weit genug vom Vorurteil seiner eigenen Kultur lösen, um die Eigenheit der anderen zu durchschauen. Er meinte damit eine kopernikanische Wendung in der Geschichtsphilosophie herbeizuführen, wie Kant sie für die Philosophie geleistet hatte. Über das »unglaubwürdige, dürftige und sinnlose Schema« Altertum – Mittelalter – Neuzeit schreibt er:
Ich nenne dies dem heutigen Westeuropäer geläufige Schema, in dem die hohen Kulturen ihre Bahnen um uns als den vermeintlichen Mittelpunkt alles Weltgeschehens ziehen, das ptolemäische System der Geschichte und ich betrachte es als die kopernikanische Entdeckung im Bereich der Historie, daß in diesem Buche ein System an seine Stelle tritt, in dem Antike und Abendland neben Indien, Babylon, China, Ägypten, der arabischen und mexikanischen Kultur – Einzelwelten des Werdens, die im Gesamtbilde der Geschichte ebenso schwer wiegen, die an Großartigkeit der seelischen Konzeption, an Gewalt des Aufstiegs die Antike vielfach übertreffen – eine in keiner Weise bevorzugte Stellung einnehmen.24
Spenglers Geschichtsphilosophie will also explizit mit dem Eurozentrismus brechen und erklärt alle ›Hochkulturen‹ im Prinzip für gleichrangig. In der Tat kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass besonders das Bild der rationalisierten ›Zivilisation‹ durch Rückprojektion vieler Züge unserer eigenen Zivilisation auf die anderen Hochkulturen entstanden ist. Vor allem: Die Überlegenheit unserer ›faustischen‹ Hochkultur wird implizit postuliert und gleichsam metaphysisch begründet. Leben ist für den Nietzsche‐Schüler Spengler ›Wille zur Macht‹, was in seinen Augen einfach Wille zur Herrschaft bedeutet, Herrschaft über die Natur wie über die Menschen. Und die mit dem stärksten Willen zur Macht begabte Hochkultur sei unsere ›faustische‹. Deshalb sei sie auch diejenige, in der sich der praktische Rationalismus am stärksten auswirkt und die ›Tragödie der Kultur‹ – heute wohl besonders sichtbar durch die Zerstörung der Umwelt – ihre größte Intensität erreicht.
Auch der Vergleich mit Foucaults episteme ist durchführbar. Dieser Begriff, den Foucault später durch den Begriff des Dispositivs ersetzte – zeugt auch von einer diskontinuierlichen Auffassung der Geschichte, welche nicht mehr als eine aufsteigende Folge von direkten Filiationen modelliert wird, sondern als eine Reihe von Brüchen, Zäsuren und Mutationen. Foucault teilt auch die Verwerfung des eurozentrischen Universalismus, den Spengler als Illusion des Unendlichkeitssinns des ›faustischen‹ Menschen interpretierte. Die episteme und später das Dispositiv haben dieselbe transversale Tragweite wie die Spenglersche Kulturseele, das heißt sie/es betrifft alle Fächer oder Ausdrucksformen eines Kulturkomplexes, welche gleichsam alle dieselbe Sprache sprechen bzw. dieselben diskursiven Regeln einhalten. Aber Foucault vertritt keinen ethnisch‐kulturellen sondern, wie Herder, einen historischen Relativismus. In Die Ordnung der Dinge gehören die von ihm umrissenen drei episteme übrigens zur selben okzidentalen Kultur. In dem Maße, wie er sich für die Möglichkeitsbedingungen des Wissens interessiert, ist Foucault eher als Nachfolger der Wissenssoziologie zu sehen, die zur Zeit Spenglers unter anderen von Scheler und Mannheim vertreten wurde. Psychoanalyse, Strukturalismus und linguistic turn trugen dann dazu bei, das ältere Bild des Menschen als autonomes transzendentales Subjekt und bewusstes geschichtliches Agens, und somit sowohl als Erkenntnissubjekt als auch als Erkenntnisobjekt der klassischen episteme, in den Hintergrund zu drängen. Der von Foucault diagnostizierte Tod des Menschen ist ein vorwiegend epistemologisches Phänomen. Die episteme ist ein a posteriori empirisch ermitteltes, nie abgeschlossenes Netz von Beziehungen, und hat viel mehr mit dem intelligible field of study von Toynbee als mit der Spenglerschen Kulturmonade gemein.
Mehr als dieser ethnisch‐kulturelle Relativismus und der damit verknüpfte Fatalismus könnte die schon kurz erwähnte, alles relativierende Skepsis, die nach Spengler in der entzauberten Zivilisation keinen Bereich verschont, dem postmodernen Denkstil zugeordnet werden. Der große Vorläufer Spenglers ist hier wiederum Nietzsche, der zeigte, »wie die ›wahre Welt‹ endlich zur Fabel wurde«, das heißt, wie nicht nur die Religion, sondern auch der Rationalismus an den eigenen Wahrheiten zu zweifeln begann, und sich bewusst wurde, dass der rational Erkennende am Ende des Erkenntnisprozesses nur sich selbst wiederfindet. Die Erkenntnis ist somit nicht nur Funktion, sondern auch Fiktion des Erkennenden. Aus der sich in der Zivilisation unwiderstehlich verbreitenden allgemeinen Skepsis erklären sich nach Spengler nicht nur die religiös konzipierte ›Entzauberung der Welt‹, sondern auch das, was Daniel Bell das Ende der Ideologien nennt, also das Ende des Glaubens an die großen Erzählungen. Der Geschichtspessimist Spengler hält sie für verderbliche Illusionen, was nicht nur für die liberale (und marxistische) Fortschrittsgläubigkeit gilt, sondern auch für den nationalsozialistischen Glauben an das ›Dritte Reich‹. Wie man weiß, sah Lyotard in dem Ende dieser métarécits eine der Hauptcharakteristiken der Postmoderne.
Spengler stellt seine eigene Geschichtsmorphologie als Frucht dieses Skeptizismus vor, der alles relativ, das heißt als geschichtliche Erscheinung versteht, welche nur genetisch oder genealogisch zu erhellen ist: »Der Skeptizismus ist Ausdruck einer reinen Zivilisation; er zersetzt das Weltbild der voraufgegangenen Kultur. Hier erfolgt die Auflösung aller älteren Probleme ins Genetische.«25 Sollen wir hier wiederum einen gemeinsamen Zug zwischen Spenglers Morphologie und der Genealogie bei Foucault erkennen? Der genealogische Ansatz wurde von Nietzsche aus folgendem Grund gefordert: Wenn kein ›Sein‹, sondern nur noch ein ›ewiges Werden‹ vorausgesetzt werden kann, muss alles geschichtlich, genealogisch untersucht werden. Nun entziehen sich Spenglers ›Kulturseelen‹ jeder Historisierung. Spengler beschreibt die Geschichte einer Hochkultur als sich auf jeder Entwicklungsstufe abwandelnden Ausdruck ihres ›Ursymbols‹. Darüber hinaus wird ihre Geschichte in sich ständig wiederholende, ›organische‹, das heißt quasi biologische Zyklen eingeschrieben, die aus seiner vergleichenden Morphologie ein bloßes rigides »Kulturchronometer«26 machen. Wenn Spengler auch für die Universalgeschichte eine geradlinige Entwicklung zurückweist, so ist der Verlauf seiner Kulturzyklen letzten Endes nichts als ein geradliniger – nur kreisförmig umgebogen. Nichts scheint mir der Foucaultschen genealogischen Methode fremder, als diese systematische, irgendwie noch den Geist des rigidesten Positivismus atmende Geschichtsschreibung.
Am Anfang seines Aufsatzes Nietzsche, die Genealogie, die Historie27 erklärt Foucault, dass die Genealogie, wie er sie versteht, mit den großen »wohltuenden Irrtümern«, das heißt mit den metahistorischen Bedeutungen und Teleologien bricht, und »kleine unscheinbare Wahrheiten« nach einer »ernsthaften« mühsamen Forschungsarbeit an den Tag zu bringen hat. Ihr Ziel: die Singularität der Ereignisse herauszustellen, was schon für Schopenhauer der Sinn der Historie war. Dies schließt vor allem eines aus: alles auf einen Ursprung zurückzuführen.28 Genau das ist es aber, was Spengler macht, der in der Hochkultur alles auf das sogenannte ›Urphänomen‹ zurückführt. Foucaults ganzes Bemühen bestand hingegen darin, das Komplexe, Heterogene und Zufällige der historischen und sozialen Wirklichkeit zu zeigen und alles Eindimensional‐Schematische als Vereinfachendes und somit Unterdrückendes darzustellen.
Was den postmodernen Anstrich Spenglers verstärkt, ist zweifelsohne seine Kulturkritik. Ihre Resonanz rührt meines Erachtens weniger von der Neuheit ihrer Motive her, als von der Art und Weise, wie sie sämtliche topoi der konservativen Kulturkritik systematisiert und radikalisiert und sie in einer Geschichtsmorphologie bündelt, die den Diagnosen und Prognosen die Wucht des geschichtlichen Fatums verleiht. Doch verleiht ihr die Treffsicherheit und Hellsicht mancher Diagnosen und Prognosen einen postmodernen Anflug. Als einer der ersten hat Adorno Spenglers Verdienste erkannt. Angesichts der Vergessenheit, in die Spengler geraten war, schrieb er in Spengler nach dem Untergang: »Spengler rächt sich, indem er droht, recht zu behalten.«29 In der Tat: Die Reprimitivierung der Sitten in den kosmopolitischen Weltstädten, die Rückkehr der Religiosität nach gut einem Jahrhundert ›Orgie des Rationalismus‹, die Figur des geistigen Nomaden der Großstadt als Symbol des Verlusts der traditionellen gemeinschaftlichen Bindungen, der Verlust der Mitte (wie Hans Seldmayer später formulierte) in der Kunst, die Suche nach kräftigender Entspannung, nach Sport, Jazz, Erotik, nach Massenvergnügungen, kurz der lärmende Massenhedonismus resümiert in der Formel panem et circenses, der Geburtenrückgang als Zeichen des wachsenden Individualismus und Egoismus, dies alles kann man als Diagnosen lesen, die auf das Versagen der aufklärerischen Moderne und auf die Heraufkunft einer postmodernen Ära hinweisen. Spenglers Kritik des politischen und wirtschaftlichen Liberalismus ist selbstverständlich die eines entschiedenen Gegners der Demokratie. Sie nimmt Motive wieder auf, die von anderen vor ihm angeschlagen worden waren, wie Tocqueville, Nietzsche, die Vertreter der italienischen aristokratischen Soziologie, Werner Sombart oder Max Weber. Und doch fällt sie durch ihre verblüffende Aktualität auf: Die wachsende Kluft zwischen Eliten und Volk, Demokratieverdrossenheit, Herrschaft der Wirtschaft bzw. des internationalen Finanzkapitalismus und der Massenmedien über die Politik sind Themen, die uns heute noch bekümmern und beschäftigen. Aber im ressentimentgeladenen Urteil Spenglers werden sie nur als Zeichen eines verdienten nahen Zusammenbruchs gedeutet.
Warum Spengler doch kein postmoderner Denker ist
Die Denker der Postmoderne kritisieren den Logozentrismus der Moderne, weil sie erkannt haben, dass die Vernunft kognitiv, ethisch und politisch ihre Grenzen und ihr gefährliches Potential gezeigt hat: Sowohl hinsichtlich der Werte als auch der Zwecke hat sie die Tendenz, alles zu vereinheitlichen, immer wieder die Versöhnung der Gegensätze zu erzielen. In der Diskreditierung dieses Panlogismus und im Verlust des transzendentalen Subjekts als wirksam agierende Geschichtspotenz sehen die Postmodernen die Möglichkeit, das Heterogene, das Gegensätzliche, die Pluralität, die différance, das Eklektische, das Unsichere wieder zur Geltung zu bringen und das Feld des Möglichen und damit neue Freiheitsräume zu öffnen. Das ist, glaube ich, der Grundunterschied zu Spengler. Die Vertreter der Postmoderne kritisieren den ›stählernen Käfig der Hörigkeit‹, der durch Subjektivierung, Rationalisierung und Bürokratisierung in der Moderne entstanden ist. Durch ihre Kritik suchen sie aber die Möglichkeitsbedingungen einer offenen Gesellschaft neu zu schaffen. Dagegen erblickt Spengler in dieser offenen Gesellschaft die Wurzel der modernen Pathologie und erzielt durch sein Ethos und seine politische Doktrin die Schaffung einer geschlossenen Gesellschaft. Es mag Konvergenzen in der Diagnose einer sich selbst auflösenden Moderne geben; was die praktisch‐ethischen Konsequenzen betrifft, die daraus gezogen werden, gehen die Meinungen auseinander. Foucault und die Postmodernen denken zwar auch historisch und relativistisch, glauben aber noch an das kognitive Potential einer rationalen Wissenschaft, die als solche dem Relativismus enthoben zu sein scheint. Sie sind keine ›Defätisten der Humanität‹ und glauben noch an die mögliche Universalisierbarkeit der Wissenschaft und der Moral. Sie bleiben in der Regel überzeugte Demokraten, die, auch wenn sie die Relativität bzw. den Verlust der Werte betonen und alles auf ›Diskurse‹ (Foucault) oder ›Sprachspiele‹ (Lyotard) zurückführen, in der freien, nie endenden Konfrontation dieser Diskurse oder Sprachspiele die beste Gewähr für die Freiheit erblicken.30
Ein Philosoph wie Gilles Lipovetsky nimmt zwar den Sinnverlust und die Labilität – mit Spengler gesprochen: den schwachen Willen – der Persönlichkeit in der hyperindividualistischen Konsum‐ und Mediengesellschaft wahr. Er meint aber, die permissive ›Hypermoderne‹ gewähre dem »narzißtischen« Individuum größere Freiheitsräume angesichts totalitärer Tendenzen der Moderne. Auf diese Hypermoderne wendet Lipovetsky die Formel an, die Churchill auf die Demokratie bezog: Sie sei das schlimmste der Szenarien, bis auf alle anderen.31
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