Kitabı oku: «Sprachkontrast und Mehrsprachigkeit», sayfa 3

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3.1 Mehrsprachigkeit und (Sprach)bewusstsein1

Innerhalb der Mehrsprachigkeitsdebatte stellt der Begriff „(Sprach)bewusstsein“ (bspw. Wolff 2006, 51sqq.) eine nicht mehr wegzudenkende prominente Bezugsgröße dar, die als stabiler Faktor für die Entwicklung eines sensiblen und (sprach)bewussten Umgangs mit der eigenen sowie mit fremden Sprachen und Kulturen betrachtet wird. In einer gesellschaftlichen Konstellation mit demographischen Verschiebungen aufgrund von Zuwanderung, wie sie in vielen Ländern Europas, darunter auch Deutschland, Realität ist, gilt es, Sprachideologien abzubauen und im Gegenzug kontinuierlich Brücken zu fremden Sprachen und ihren unverwechselbaren kulturellen Nuancen aufzubauen. Unlängst hat die Europäische Union im Jahr 2000 in ihrer Charta (Artikel 21 und 22) zur Selbstverpflichtung auf Achtung der Kulturen, Religionen und Sprachen aufgerufen. Einige Jahre zuvor wurde im Weißbuch der Europäischen Union (1995) die Vielfalt der Sprachen hervorgehoben und zum Erlernen von Sprachen ermutigt. Der Blick auf den Begriff „Sprachbewusstsein“ aus soziolinguistischer und ideologiekritischer Perspektive sollte an dieser Stelle kurz angeschnitten werden. Aus soziolinguistischer Perspektive betrachtet, definiert Cornelia Stroh den Begriff wie folgt: „Darunter wird allgemein das Wissen gefaßt, eine bestimmte Sprache zu sprechen, das Wissen um ihre korrekte grammatikalische und soziale Verwendung und das Verfügen über Einstellungen und Bewertungen bezüglich Sprache“ (1993, 15).

Die Linguistin hebt die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten eines Individuums deutlich hervor, die aus den unterschiedlichsten Wissensbeständen resultieren, und ergänzt, dass eine direkte sowie indirekte Einflussnahme durch Aussagen und Meinungen von Sprechern und Sprecherinnen einer Gesellschaft bezüglich der Beurteilung von Sprache(n) das Sprachbewusstsein mitprägen (Stroh 1993, 16). Es handelt sich somit um ein soziales Phänomen, „das in Abhängigkeit von gesellschaftlichen und historischen Faktoren unterschiedliche inhaltliche Ausprägungen aufweisen kann“ (Stroh 1993, 17). Ihre Ausführungen untermauert sie mit dem mehrmehrdimensional ausgrichteten Modell zu Language Awareness, das auf James und Garrett (1992) zurückgeht. Das sind die Dimensionen:

1 „Die kognitive Domäne, in der es um die Entwicklung von Bewusstheit für Muster, Kontraste, Kategorien, Regeln und Systeme geht.

2 Die Domäne der Performanz, in der es um die Herausbildung einer Bewusstheit für die Verarbeitung von Sprache, aber auch um die Herausbildung einer Bewusstheit für das Lernen im Allgemeinen und das Sprachlernen im Besonderen geht. Für Letztere wird auch der Begriff Sprachlernbewusstheit gebraucht.

3 Die affektive Domäne, die sich auf die Herausbildung von Haltungen, Aufmerksamkeit, Neugier, Interesse und ästhetisches Einfühlungsvermögen bezieht.

4 Die soziale Domäne, in der es um die Entwicklung von Verständnis für andere Sprachen, um Toleranz für Minoritäten und ihre Sprachen geht.

5 Die Domäne der Macht, die sich auf das Vermögen, Sprache im Hinblick auf die ihr unterliegenden Möglichkeiten der Beeinflussung und Manipulation anderer zu durchschauen, bezieht.“ (James / Garrett 1992, 12sqq. zitiert nach Wolf 2002, 184sq.)

Von diesen verweist die vierte, die soziale Domäne auf die Notwendigkeit fremden Sprachen empathisch zu begegnen, was mit Rückgriff auf Stroh (s.o.) – um es einmal gedanklich durchzuspielen – aufgrund von gesellschaftlichen und/oder individuellen Einstellungen verweigert werden kann. In der Zusammenfassung verweisen die Domänen mit Blick auf die gesellschaftliche Ebene auf machtpolitische Interessen (bspw. mangelnde Toleranz gegenüber anderen Sprachen, folglich auch anderen Sprechern gegenüber). Auf individueller Ebene ist die intrinsische Motivation eine treibende Kraft, was mit gesellschaftlicher Akzeptanz einhergeht, und auf der kognitiven Ebene geht es um das Wissen über Sprache(n). Schließlich: „Größere Sprachaufmerksamkeit führt zu mehr Sprachwissen und zu höherer Sprachbewusstheit, die wiederum aufmerksamer macht und das Wissen fördert“ (Oomen-Welke 2003a, 453). Nicht zuletzt gilt sprachbewusstes Handeln als Schlüsselqualifikation für (angehende) Lehrerinnen und Lehrer und nimmt einen besonderen Stellenwert im Zusammenhang mit dem Lehren und Lernen von (Fremd)sprachen und von Deutsch als Zweitsprache ein (Rieder 2002, 449sqq.). Sprachbewusstsein ist somit als eine Größe identifiziert worden, auf der sich die Mehrsprachigkeitsdidaktik entfalten kann. Darauf nimmt der nächste Abschnitt Bezug.

4 Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitsdidaktik

In der Auseinandersetzung mit der Mehrsprachigkeitsdidaktik stellen sich sogleich zwei Kernfragen: Welche Implikationen werden mit diesem Terminus assoziiert? Welche didaktischen Umsetzungsmöglichkeiten stehen Lehrkräften zur Verfügung? Letztere wird nicht abschließend beantwortet werden können. Die in den 1980er und 1990er Jahren entwickelte und von der Fremdsprachenforschung eingeführte Mehrsprachigkeitsdidaktik (bspw. Gnutzmann / Köpcke 1988; Krumm 1999a, b; Hufeisen 1991; Meißner 1995, 1998), verfolgte das übergeordnete Ziel „die Mehrsprachigkeit sowie das allgemeine Sprachbewusstsein von Fremdsprachenlernern zu fördern“ (Tekin 2012, 174). Etwas differenzierter umzeichnet Wiater das Profil von Mehrsprachigkeitsdidaktik: „Die Didaktik der Mehrsprachigkeit ist die Wissenschaft und Lehre vom kombinierten und koordinierten Unterricht und Lernen mehrerer Fremdsprachen innerhalb und außerhalb von Schule. Ihr primäres Ziel ist die Förderung der Mehrsprachigkeit durch Erarbeitung sprachenübergreifender Konzepte zur Optimierung und Effektivierung des Lernens von Fremdsprachen sowie durch die Erfahrung des Reichtums der Sprachen und Kulturen“ (2006, 60). Angelehnt an Vorstudien konkretisiert Wiater diese Gelingensbedingungen. Es werden folgende aufgelistet:

 die Vorrangstellung des lernenden Subjekts und seiner funktionalen Kommunikationskompetenz,

 die Zentrierung auf Fragen der Sprachtypologie, der Sprachfamilien, der Sprachähnlichkeiten, der Sprachparallelen und der sprachlichen Universalien zu Lasten der spezifischen und einzelnen Fremdsprachenkenntnis,

 die curriculare Abstimmung hinsichtlich der Inhalte, Ziele, Methoden und Medien zwischen den zu lernenden Sprachen,

 die Entscheidung über eine förderliche Sprachenabfolge,

 die Nutzung der Beziehungen zwischen verschiedenen Sprachen für das Lernen (vgl. Transfer, Interferenz),

 das Erarbeiten interlingual nutzbarer Elemente (Wortschatz, Formen) und Strategien für das Verstehen unbekannter, fremdsprachlicher Texte (vgl. Interferenz),

 den Aufbau sprachengemeinsamer kognitiver Schemata und das Erlernen von Dekodierungstechniken,

 lernorientierte Methoden und Individualisierung beim Sprachenlernen,

 die Vernetzung des schulischen mit dem außerschulischen Lernen und der vorgelernten und der nachgelernten Sprachen im Sinne einer lifelong language learning perspective und

 Überlegungen zum interkulturell erziehenden Unterricht und zum multilingual bildenden Lernen in den Fremdsprachenfächern. (Wiater 2006, 60)

Fachspezifische Inhalte der Vergleichenden Sprachwissenschaft decken den größten Teil der o.g. Anforderungen ab (bspw. Fokussierung auf die Sprachtypologie, Sprachkontrast, genetische Verwandtschaft von Sprachen), und sind somit für eine Sensibilisierung im Sinne einer Language Awareness konstitutiv. Ein Blick auf die curricularen Vorgaben unterstreicht das Gesagte. Beispielhaft wird zusätzlich auf die Kernlehrpläne für das Gymnasium in der Sekundarstufe I Bezug genommen.1 Im ausgewählten Kompetenzbereich für die Fremdsprache Französisch fehlt der Begriff Sprachbewusstsein (cf. KLP 2019, 14) ebenso in der Beschreibung für das Fach Spanisch. Zu den Fachkompetenzen, die Spanischlernende zu bewältigen haben, zählt neben dem Sprachgebrauch auch die Fähigkeit einen Sprachvergleich zur Auffindung von Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten durchführen zu können (cf. KLP 2019, 23). Es kann vorerst vorsichtig konstatiert werden, dass die Sensibilisierung für einen bewussten Umgang mit Mehrsprachigkeit nicht flächendeckend geschieht und diese aufklaffende Lücke dringend geschlossen werden sollte. Die Gelingensbedingungen sind zum einen von den internen curricularen Vorgaben abhängig, die es zu optimieren gilt. Zum anderen ist die thematische Abstimmung von Inhalten genau zu überlegen.

Dass die Forschung zur Mehrsprachigkeitsdidaktik und ihre Umsetzung in konkreten Lehr-Lernzusammenhängen noch lange nicht abgeschlossen ist, stellt Marx besonders kritisch heraus. Sie konstatiert, dass der „Weg zu einer effektiven Mehrsprachigkeitsdidaktik und somit auch zu einer Vergrößerung der gesellschaftlichen Akzeptanz anderer Sprachen (v.a. der community languages) größtenteils unbeschritten [geblieben ist]“ (2014, 20). Reimann versucht diese und weitere Lücken zu schließen und plädiert in seinem 2016 erschienenen Aufsatz „Aufgeklärte Mehrsprachigkeit – Sieben Forschungs- und Handlungsfelder zur (Re-)Modellierung der Mehrsprachigkeitsdidaktik“ für die Einbindung weiterer Sprachen als die klassischen Schulfremdsprachen in mehrsprachige Lehr-/Lernprozesse, denn das „[…] Ziel mehrsprachigkeitsdidaktischer Bemühungen ist die Entwicklung einer transkulturellen kommunikativen Kompetenz, die als Fähigkeit zur Verständigung über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg verstanden werden kann“ (Reimann 2016, 29). Zu diesem Zweck modelliert Reimann sieben Diskurs- und Handlungsfelder (unter Einbezug bspw. von Herkunfts- und Familiensprachen, des Deutschen als Muttersprache und als Fremd-/Zweitsprache), innerhalb derer die rezeptiven und produktiven Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern aufgebaut werden sollen (2016, 18sqq.).

Es schließt sich sodann die zweite Frage an: Welche didaktischen Umsetzungsmöglichkeiten können Lehrkräften an die Hand gegeben werden, um den curricularen Vorgaben genüge zu leisten und die Sprachenvielfalt im Klassenzimmer zu berücksichtigen und in das Unterrichtsgeschehen einzubinden? Auf eine Antwort mit Umsetzungspotential ist vorerst noch nicht zu hoffen, unterscheiden sich doch die Perspektiven der beteiligten Forscher und Forscherinnen nicht selten. Bredthauer formulierte jüngst: „Die Forschung und Entwicklung mehrsprachiger Unterrichtskonzepte ist […] dringend erforderlich“ (2019, 128). Martinez klingt optimistischer, wenn sie festhält, dass es inzwischen eine Reihe von Aufgaben gibt, die die „rezeptive Kompetenz im Rahmen von interkomprehensiven Ansätzen, die Schulung produktiver und interkultureller Kompetenzen sowie Diskursfähigkeit“ fördern (2015, 11). Einschränkend betont sie jedoch die noch nicht vorhandene Typologie derart konzipierter Aufgaben und nennt zumindest einige zielführende Prinzipien wie einen intra- und interlingualen Transfer und die Interkomprehension (ibid. 12). Im Deutschunterricht, so beklagt Wildemann (2013, 324), sei das Potential metasprachlicher Kompetenzen bei mehrsprachigen Lernern längst nicht ausgeschöpft, obschon bereits im Jahre 2011 unter der Ägide des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung eine Handreichung mit Sprachvergleichen (z.B. Bosnisch-Deutsch; Polnisch-Deutsch; Portugiesisch-Deutsch) unter dem Titel „Mehrsprachigkeit zur Entwicklung von Sprachbewusstsein – Sprachbewusstsein als Element der Sprachförderung“ veröffentlicht worden war. Für diesen immer noch misslichen Umstand stellte sie folgende Gründe zusammen:

 Im Deutschunterricht wird immer noch viel zu wenig auf das sprachliche Wissen mehrsprachiger Lerner rekurriert (Wildemann 2010a; 2010b; Roth 2006).

 Die Diskussion und Entwicklung von Sprachförderung zielt vornehmlich zu einseitig auf die Beherrschung der Mehrheitssprache ab und ist damit primär defizitorientiert konzeptualisiert (dazu auch Ehlich 2009; Maas 2008; Wildemann 2010a).

 Dies alles geschieht auf einer noch unzureichend empirisch erschlossenen Grundlage im Hinblick auf Sprachaneignung, Sprachdiagnostik und Sprachfördermaßnahmen (dazu Redder 2011).

Mit der Frage, inwiefern sich der Deutschunterricht an Schulen tatsächlich für die Idee einer Mehrsprachigkeitsdidaktik geöffnet hat, beschäftigte Marx. Unter Berücksichtigung des niedersächsischen Kerncurriculums sichtete sie Lehrwerke für den Deutschunterricht und unterzog diese einer genauen Analyse (Marx 2014, 12sqq.). Zwei der Ergebnisse wurden zur Darstellung herausgegriffen: „Erstens wird häufiger auf die kulturelle Diversität eingegangen als auf die sprachliche, und zweitens besteht schon bei dieser Erstanalyse ein deutliches Übergewicht des Englischen“ (Marx 2014, 14). Auf qualitativer und quantitativer Ebene beobachtete Marx viele Leerstellen. Es ist zunächst festzuhalten, dass die gesichteten Lehrwerke einige Anknüpfungspunkte für eine Didaktik der Mehrsprachigkeit anbieten, jedoch die Hinführung zu einer Sprachenbewusstheit nur schwach ausgeprägt ist. Ebenso inkonsequent aufbereitet ist die sprachreflektierende Arbeit (bspw. Reflektion von Lexemen, sprachvergleichende Übungen, sprachübergreifende Lern-, Schreib- oder Erschließungsstrategien) (Marx 2014, 17sqq.). Diese ersten Ergebnisse Verweisen auf den Umstand, dass mehrsprachigkeitsfördernde Konzepte die schulische Alltagsrealität noch lange nicht erreicht haben, auch wenn bereits sprachvergleichendes Material für den didaktischen Einsatz entwickelt worden ist.2 Aus der Perspektive von lehrpraktischen Überlegungen bedarf es aber einer Didaktik, die sich dem Wandel der Zeit zuwendet und die mehrsprachige Lebenswelt von Menschen stärker berücksichtigt bzw. ihre individuelle Mehrsprachigkeit nicht aus dem Blick verliert. Die Hinwendung zu allen Schülerinnen und Schülern unterstreicht die Idee einer Mehrsprachigkeitsdidaktik. Als weiteres Argument kann die Spracherwerbsforschung herangezogen werden, die unlängst durch zahlreiche empirische Studien die Bedeutung der Erstsprache für den Erwerb weiterer Sprachen belegen konnte (bspw. Cummins 1981; Brizić 2007). Diese Ressource nutzt mehrsprachigen Lernern „zum Erwerb einer Zweit- und Drittsprache, ganz im Sinne der Sprachbewusstheit (‚language awareness‘), um Verbindungen zwischen den Sprachen herzustellen und Gemeinsamkeiten oder Unterschiede transparenter werden zu lassen“ (Wiater 2006, 64). Die Rückbindung auf erworbene oder erlernte Sprachen entwickelt nicht nur das Sprachenbewusstsein, sie führt zudem „zu vertiefter Sprach(en)kompetenz (aller Sprachen, ob Erst-, Zweit-, Herkunfts- oder Fremdsprachen), zur Vorbereitung auf das Lernen weiterer Sprachen und zur Erhöhung der Sprachlernmotivation“ (Marx 2014, 9). Mehrsprachigkeit zielt darauf ab, individuelle Sprachbiographien ernstzunehmen und ein Bewusstsein für andere Sprachen und Kulturen zu entwickeln. Die Mehrsprachigkeitsdidaktik sucht nach Wegen, dieses Ziel zu erreichen. Die Frage nach adäquaten Unterrichtsmaterialien (u.a.) stellt weiterhin ein Desiderat dar, das im wissenschaftlichen Diskurs hochaktuell behandelt wird (Bredthauer 2019, 129), obschon es bereits erste Vorstöße in diese Richtung gibt.3 Die Sprachbiographie und Sprachlernerfahrung von neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler – dies gilt es zusätzlich zu bedenken – offenbart eine stärkere sprachliche und kulturelle Diversität als bisher berücksichtigt und die Frage nach didaktisch wirksamen Materialien ist auch mit Blick auf diese Schülergruppe virulenter denn je.

4.1 Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze am Beispiel der Interkomprehension

Im Kern bedient sich die Mehrsprachigkeitsdidaktik des Mittels der Bewusstmachung bezogen auf das bereits vorhandene Wissen über die eigene Sprache und Kultur, wobei der Vergleich „eine Verbindung sprachlicher Wissensbestände“ herstellt (Wildenauer-Józsa 2005, 239; Brdar-Szabó 2010). Konzepte wie die Interkomprehension (Bär 2009), Translanguaging (bspw. García / Wei 2014) und Language Awareness (bspw. Neuland 2002, 5; Luchtenberg 1997; 2010) setzen eine Bewusstheit für Muster, Kontraste, Kategorien, Regeln und Systeme voraus bzw. werden durch sprachsensible Zugänge erst bewusstgemacht. Am Beispiel der Methode Interkomprehension soll dies näher expliziert werden. Der Terminus Interkomprehension, auch als Tandemkommunikation bekannt (Tafel 2009, 6), ist nicht leicht zu definieren (bspw. Meißner 1995). Tafel formuliert: „Unter Interkomprehension ‚gegenseitige Verständlichkeit‘ (frz. intercompréhension, engl. Mutual intelligibility, intercomprehension), versteht man eine Kommunikationstechnik, die es gestattet, in der eigenen Muttersprache mit einem Sprecher einer anderen Sprache zu sprechen. Sprecher A spricht bspw. Russisch und versteht Ukrainisch, Sprecher B spricht Ukrainisch und versteht Russisch“ (2011, 5, Hervorhebungen durch die Autorin). Das Konzept sieht also weniger die Vermittlung neuer Sprachstrukturen im Sinne des traditionellen Grammatikunterrichts vor als vielmehr die Aktivierung individueller Vorerfahrungen (sprachliches Wissen und Weltwissen), die durch die Sprecher und Sprecherinnen ins Spiel gebracht werden. In Verbindung mit dem Wissen über sprachliche Beziehungsgeflechte, die eine Zuordnung in eine Sprachfamilie erlauben, ergeben sich Synergieeffekte und somit auch eine mögliche Transferbasis. Im Falle des o.g. Beispiels ist die slawische Sprachfamilie der gemeinsame Nenner, auf den sich die beiden Kommunikationspartner stützen. Sofern also Schüler und Schülerinnen bereits eine Sprache der Sprachfamilie beherrschen, kann diese bezüglich der zu erlernenden Zielsprache die Funktion einer Brücken- oder Transfersprache einnehmen (bspw. Meißner 2007; Doyé 2010; Zybatow 2010). Die Förderung der Sprachenbewusstheit und der Sprachlernbewusstheit sind Merkmale von Interkomprehension, die sich erst entfalten kann, wenn der Lerner sich auf eine sprachliche Entdeckungsreise begibt (intrinsische Motivation als Voraussetzung) und selbstbestimmt bedeutsame Inhalte ins Gespräch bringt. Diese und weitere Merkmale bezeichnet Bär als Prinzipien interkomprehensiver Arbeit. Diese sind:

1 das Prinzip der Bewusstmachung (kognitives Lernen)

2 das Prinzip der Lernerautonomisierung (entdeckendes Lernen)

3 das Prinzip der Authentizität (inhaltsorientiertes Lernen)

4 das Prinzip der Rezeptivität (verstehensorientiertes Lernen). (2009, 33sqq.)

Vorrangig werden „die rezeptiven Kompetenzen des Lese- und Hörverstehens sowie die Erarbeitung transferbasierter Erschließungsstrategien“ anvisiert (Wiater 2006, 61). Das didaktische Vorgehen folgt den sog. sieben Siebe. Diese Analyseschritte werden nach der Vorlage von Wiater (2006, 62sq.) vorgestellt. Sie sehen folgende Vorgehensweise vor:

1 Absuchen des Textes auf enthaltenen internationalen Wortschatz.

2 Suche im Text nach dem Wortschatz, der in der ganzen Sprachgruppe gemeinsam vorhanden ist.

3 Ermitteln der für die Sprachgruppe charakteristischen Lautentsprechungsformen mit Hilfe von vorher erworbenen Kenntnissen über den Lautwechsel (historische Philologie).

4 Untersuchen der Schreibweise (Grafie) und der Aussprachkonventionen.

5 Analyse der Morphosyntax auf relevante grammatische Phänomene.

6 Erfassung der Wortstellung und des Satzbaus.

7 Beobachtung zu Präfixen und Suffixen anstellen.

Neben diesen Teilfertigkeiten empfehlen Zybatow / Zybatow (2002, 89) die Aneignung von Wissen über die geographische Verbreitung von Sprache(n) sowie über ihre historische Entwicklung. Mit diesem Analyseverfahren ist somit ein Abgleich und das Feststellen von Besonderheiten zwischen der Erstsprache und weiterer Sprachen (Suchen nach internationalem Wortschatz in Texten, Ermitteln von Lautentsprechungen, Analyse von morphosyntaktischen Phänomenen, Syntax und von Präfix und Suffixen) (Wiater 2006, 62) umsetzbar.1 Ollivier / Strasser unterzogen das Konzept der Interkomprehension (IK) unter Berücksichtigung der Frage nach den hierfür notwendigen spezifischen Kompetenzen einer ausführlichen und kritischen Analyse. Das Ergebnis stellt sich wie folgt dar:

Unsere Arbeit hat gezeigt, dass der IK eine komplexe plurilinguale Kompetenz zu Grunde liegt. Wichtige Komponenten einer solchen Kompetenz sind linguistische Kenntnisse und kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten. Diese sind als übergeordnete Kompetenzbereiche zu betrachten, die für jegliche Form der IK für besonders wichtig erachtet werden. Je nach sprachlicher Aktivität (Rezeption oder Interaktion) werden […] unterschiedliche Teilkompetenzen hervorgehoben: Für die rezeptive IK sind dies linguistische Kompetenzen und kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten, für die interaktionale IK neben linguistischen Kompetenzen Einstellungen und Haltungen, kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten, interkulturelle und diskursive Kompetenz. (Ollivier / Strasser 2016, 124)

Eine Didaktik unter Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit, hier am Beispiel der Interkomprehension, baut auf solides linguistisches Wissen unter Einbezug von Teildisziplinen der Vergleichenden Sprachwissenschaft auf; darunter die typologische Zuordnung von Sprachen, der Vergleich von Sprachen zur Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden etc. Klein / Stegmann (2000) erachten das Konzept als vielversprechend und setzen auf eine Europäische Interkomprehension (EuroCom) (cf. auch germanistische Interkomprehension, slawische Interkomprehension, romanischen Interkomprehension), ein Projekt, dessen Ziel in der Vermittlung einer rezeptiven Mehrsprachigkeit liegt.

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