Kitabı oku: «Standardsprache zwischen Norm und Praxis»
Standardsprache zwischen Norm und Praxis
Theoretische Betrachtungen, empirische Studien und sprachdidaktische Ausblicke
Winifred V. Davies / Annelies Häcki Buhöfer / Regula Schmidlin / Melanie Wagner / Eva Lia Wyss
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-7720-0024-9
Inhalt
Regula Schmidlin, Eva L. Wyss & Winifred V. Davies: Plurizentrik revisited – aktuelle Perspektiven auf die Variation der deutschen Standardsprache
I. Theoretische BetrachtungenMartin Durrell: Die Rolle der deutschen Sprache in ideologischen Konstrukten der NationRegula Schmidlin: Normwidrigkeit oder Variationsspielraum? Die Varianten des Standarddeutschen als sprachliche ZweifelsfälleKonstantin Niehaus: Die Begrenztheit plurizentrischer Grenzen: Grammatische Variation in der pluriarealen Sprache DeutschRobert Möller: Deutsch in Ostbelgien – ostbelgisches Deutsch?
II. Empirische StudienWinifred V. Davies: Gymnasiallehrkräfte in Nordrhein-Westfalen als SprachnormvermittlerInnen und SprachnormautoritätenEva L. Wyss: Sprachnormurteile im Dilemma. Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer an Deutschschweizer Gymnasien beurteilen Sprachkompetenzen, Sprachgebrauch und ZweifelsfälleMelanie Wagner: Deutsch im gymnasialen Unterricht: Das Beispiel LuxemburgRudolf de Cillia, Ilona E. Fink & Jutta Ransmayr: Varietäten des Deutschen an österreichischen Schulen. Ergebnisse des Forschungsprojekts „Österreichisches Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache“Aivars Glaznieks & Andrea Abel: „So einen Fehler wird einem das ganze Leben lang verfolgen.“ Empirische Untersuchung grammatischer Kompetenzen am Ende der Oberschule
III. Interdisziplinäre ZugängeKarin Gehrer, Maren Oepke & Franz Eberle: Der EVAMAR II-Deutschtest für GymnasiastInnen – Implikationen für die Plurizentrik-Debatte?Stefan Neuhaus: Wertung mit Grenzen. Das Zusammenspiel von literarischem Kanon und Geographie im deutschsprachigen Raum (und darüber hinaus)
IV. Sprachdidaktische AusblickeKlaus Peter: Sprachwissen als Schlüsselfaktor beim Umgang mit sprachlicher Variation im DeutschunterrichtAdriana Gatta: Untersuchung des Korrekturverhaltens von Lehrpersonen auf der Sekundarstufe II in Bezug auf nationale Varianten der Schweizer StandardspracheChiara Scanavino: Die Teutonismen in der Lernerlexikographie des 21. Jahrhunderts. Aktueller Forschungsstand und Zukunftsperspektiven
Plurizentrik revisited – aktuelle Perspektiven auf die Variation der deutschen Standardsprache
Regula Schmidlin, Eva L. Wyss & Winifred V. Davies
Im deutschen Sprachraum finden sich unterschiedliche Konstellationen von Standardvarietäten, Umgangssprachen und Dialekten. Diese bestehen aus mündlichen und schriftlichen Repertoires, welchen die Sprecherinnen und Sprecher bestimmte Einstellungen entgegenbringen. Im vorliegenden Band fokussieren wir die Standardsprache in ausgewählten Regionen Deutschlands, in der Deutschschweiz, in Österreich, Luxemburg, Südtirol und Ostbelgien. Diese weist auf allen linguistischen Ebenen Besonderheiten auf und unterliegt unterschiedlichen Verwendungsbedingungen. Die Diskussion, wie die Variation der Standardsprache in den deutschsprachigen Ländern theoretisch adäquat beschrieben werden kann, wird schon lange geführt. Sie intensivierte sich ein erstes Mal in den 1980er Jahren im Kontext der Plurizentrikdebatte1 und wird seit dem Erscheinen des Variantenwörterbuchs des Deutschen (Ammon et al. 2004, Ammon et al. 2016) auch im Hinblick auf empirisch-lexikographische Fragestellungen in verschiedenen Expertenkreisen geführt. Der monozentrische Blick auf die deutsche Sprache, der von einer geographischen Lokalisierbarkeit der Standardsprache ausging, wich der Fokussierung auf verschiedene so genannte Zentren (Ammon 1995), die aufgrund politisch und historisch autonomer Entwicklung eigene Varietäten hervorbrachten. Dies ist auch daran ersichtlich, dass zumindest teilweise zentrumseigene Kodices aus dieser Entwicklung hervorgingen und es damit zur Endonormierung der Standardsprache in den jeweiligen Zentren kam. Dem plurizentrischen Konzept mit einer plurinationalen Ausprägung (z.B. Clyne 1995) wurde sodann das pluriareale Konzept (Scheuringer 1996) mit einer regionalen Ausprägung kritisch gegenübergestellt. Die Unterschiede zwischen diesen Konzepten lassen sich folgendermassen beschreiben: Das plurizentrische Konzept geht davon aus, dass es gleichwertige, von staatlichen Grenzen beeinflusste (nationale) Standardvarietäten des Deutschen gibt und auch in so genannten Halbzentren (Südtirol, Liechtenstein, Luxemburg und Belgien) standardsprachliche Besonderheiten der deutschen Sprache zu finden sind; Ammon (1995) entwickelte ein theoretisch und terminologisch differenziertes Modell, das neben dem Variantenwörterbuch (Ammon et al. 2004, 2016) eine Reihe von empirisch fundierten Arbeiten zur Folge hatte (z.B. Markhardt 2005, Ransmayr 2006, Schmidlin 2011, Wissik 2014). Das Variantenwörterbuch dokumentiert auch länderübergreifende und regionale Phänomene, wobei für den bundesdeutschen Raum gemeinhin sechs und für Österreich vier regionale Räume angenommen wurden.2 Das pluriareale Konzept (vgl. Ammon 1998) hingegen wurde zunächst in den 1990er Jahren, bisweilen sehr emotional (vgl. Scheuringer 1996, Seifter & Seifter 2015), als eine konzeptuelle und sprachenpolitische Gegenposition vorgebracht, ohne dass eine weitergehende theoretische Ausarbeitung und ein systematisches Begriffsinventar zur Analyse entwickelt wurden (Glauninger 2015). Im Gegenzug zum plurizentrischen Zugang betont man aus pluriarealer Perspektive sprachliche Unterschiede gerade innerhalb Deutschlands zwischen Norden und Süden oder innerhalb Österreichs zwischen Osten und Westen und führt die zahlreichen grenzüberschreitenden Gemeinsamkeiten auf, z.B. Übereinstimmungen zwischen Süddeutschland, Österreich und der Schweiz oder zwischen Westösterreich und Südostdeutschland oder zwischen Vorarlberg, Liechtenstein und der Schweiz. Auf dieser Basis hat sich im Rahmen detaillierter empirischer linguistischer Analysen, auch im Zuge der Weiterentwicklung der Korpuslinguistik, eine neue Ausprägung des pluriarealen Ansatzes entwickelt, der zwar, soweit Publikationen vorliegen, theoretisch (noch) nicht so ausgebaut und terminologisch ausdifferenziert ist wie die plurizentrische Theorie, der aber gewichtige empirische Befunde für eine pluriareale Konzeptualisierung des Deutschen vorlegt (s. Elspaß & Niehaus 2014, Dürscheid, Elspaß & Ziegler 2015, Niehaus in diesem Band). Anhand konkreter empirischer Analysen zur Variation in der Grammatik des Standarddeutschen (z.B. dem Gebrauch des Adjektivs n-jährig oder diskontinuierlicher Richtungsadverbien) wird argumentiert, dass der pluriareale Zugang standardsprachliche Variation adäquater erfassen kann als der plurizentrische und auch die Dynamik der Variation besser zum Ausdruck bringt (Herrgen 2015, Niehaus in diesem Band).
In diesem theoretischen Spannungsfeld – und darüber hinaus – widmet sich der vorliegende Band der vertieften Reflexion und theoretischen Weiterentwicklung des Begriffsinventars, der Untersuchung spezifischer soziolinguistischer Praktiken und Bewertungsmuster in Bezug auf die Varietäten der deutschen Standardsprache. Die Beitragssammlung gliedert sich in vier Teile mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Während im ersten Teil stärker theoretische Aspekte wie zum Beispiel die Frage nach der Bestimmung und Abgrenzung von Standardsprachen gegeneinander sowohl aus plurizentrischer als auch pluriarealer Perspektive diskutiert werden (Durrell, Schmidlin, Niehaus, Möller), gibt der zweite Teil Einblicke in neuere empirische Studien, die an der Schnittstelle zwischen Norm und schulischer Praxis zu Forschungsergebnissen zu den Standardvarietäten in Österreich, Deutschland, Luxemburg, Südtirol und der Deutschschweiz geführt haben (de Cillia, Fink & Ransmayr; Davies; Wagner; Wyss; Glaznieks & Abel). Im dritten Teil des Bandes wird die Diskussion sowohl in Richtung Bildungswissenschaft als auch in Richtung Literaturwissenschaft geöffnet: Darin werden Fragen zum schulischen Normvermittlungserfolg und zu geographisch-territorialen Aspekten literarischer Kanonisierung behandelt (Gehrer, Oepke & Eberle; Neuhaus). Im vierten Teil werden sprachdidaktisch relevante Überlegungen zur Bewertung von Varianten vorgestellt – in Abhängigkeit von Sprachbewusstheit und Sprachwissen sowie in Abhängigkeit weiterer, aussersprachlicher Faktoren (Peter, Gatta). Abgeschlossen wird der vierte Block mit einem Beitrag zur Thematisierung von Teutonismen in Lernerwörterbüchern (Scanavino).3
Im Folgenden werden die Hauptargumentationslinien der Beiträge kurz skizziert.
I. Theoretische Betrachtungen
Im einleitenden Beitrag dieses Bandes stellt Martin Durrell zwei Ansichten über das Verhältnis zwischen Sprache und Nation im deutschsprachigen Raum des 18. und 19. Jahrhunderts zur Diskussion. Da ist zunächst die Annahme, dass die deutsche nationale Identität eine ethnolinguistische Basis hat und dann der daraus resultierende Topos, dass in Deutschland die sprachliche Einheit der politischen Einheit vorausging und die unabdingbare Voraussetzung für diese bildete. Durrell argumentiert, dass der Mythos einer grundlegenden, homogenen Sprache dazu beiträgt, dass die faktische Heterogenität der deutschen Sprache (vor allem auf mündlicher Ebene) ausser Acht gelassen wird und dass man sich auf die standardisierte schriftliche Varietät des Deutschen bezieht, wenn man die Sprache als Symbol der nationalen Identität instrumentalisiert. Dieser Mythos der einheitlichen Sprache hat auch die Perzeption des Deutschen als monozentrischer Sprache geprägt. Ferner zeigt Durrell mit Bezug auf neuere historische Untersuchungen des „Alten Reichs“, dass die sprachliche Einigung doch in einem Staatsgebilde stattfand, mit dem sich die Bildungselite identifizierte und das sich nicht so stark von einem modernen Nationalstaat unterschied, wie oft angenommen wird.
Entlang von Kleins Modell zur Erfassung sprachlicher Zweifelsfälle (Klein 2003) zeigt Regula Schmidlin, dass die Varianten des Standarddeutschen als freie, graduelle und konditionierte Zweifelsfälle betrachtet werden können. Dabei erweitert sie Kleins Modell um die Sprecherperspektive, hängt doch die Beurteilung der Korrektheit von regionalen und nationalen Varianten des Standarddeutschen von der regionalen Herkunft des zweifelnden Subjekts ab. Schmidlin plädiert dafür, nicht nur der Dynamik der Varietäten selbst, sondern auch der Dynamik der Einschätzung der Varietäten in Lehr- und Lernkontexten vermehrt Aufmerksamkeit zu schenken. Das Zweifeln über die Richtigkeit und Angemessenheit sprachlicher Varianten ist ein willkommener Anlass und Anfang von Sprachreflexion. Ein kompetenter Umgang mit lexikographischen und korpuslinguistischen Hilfsmitteln kann dabei Inkongruenzen zwischen subsistenten, statuierten und intuitiv vermuteten Normen aufzeigen.
Konstantin Niehaus präsentiert Erkenntnisse aus dem österreichisch-schweizerischen Projekt „Variantengrammatik des Standarddeutschen“, das die grammatische Variabilität des Standarddeutschen untersucht. Der Autor fokussiert den Mehrwert der korpus- und systemlinguistischen Zugangsweise und zeigt anhand von exemplarischen Analysen einzelner Konstruktionen, dass verschiedene Teilbereiche der Grammatik des Standarddeutschen eine areale Variation aufweisen. Da diese Variation über Staatsgrenzen hinausgeht, wird sie – laut Niehaus – adäquater mit einem pluriarealen Modell als mit dem plurizentrischen erfasst. Der Autor geht auch auf sprachdidaktische Folgerungen für den Deutschunterricht ein und argumentiert für mehr Variationstoleranz, die man seiner Meinung nach eher durch das pluriareale Modell und die höhere theoretische Gewichtung relativer Varianten als durch das plurizentrische Modell erreichen kann.
Die Eigenständigkeit der Standardsprache in Belgien stellt Robert Möller zur Diskussion, denn Deutsch ist in Belgien die Sprache einer kleinen Minderheit. Diese hat in den vergangenen Jahrzehnten zwar an Bedeutung gewonnen und spielt für die Identität der heutigen Ostbelgier eine wichtige Rolle. Die ostbelgischen Varianten werden aber explizit von der deutschen Standardsprache abgegrenzt (im Sinne von Varianten der „Regionalsprache“). In einem Überblick stellt Möller die Heterogenität der Konstellation in den Vordergrund, indem er den dialektalen Hintergrund der Region und ihre Teilung in das südliche Moselfränkisch und das nördliche Ripuarisch sowie die nachbarschaftliche Nähe zu Deutschland hervorhebt und dabei auch historische Entwicklungen in Verwaltung und Schulwesen identifiziert. Schliesslich weist er darauf hin, dass gerade die Identifikation mit Belgien dazu führt, dass die Pflege der Mehrsprachigkeit zumeist einen höheren Stellenwert hat als die eingehende Beschäftigung mit dem Deutschen.
II. Empirische Studien
In den Beiträgen von Winifred V. Davies, Eva L. Wyss & Melanie Wagner werden die Ergebnisse der Studie „Deutsch im gymnasialen Unterricht: Deutschland, Luxemburg und die deutschsprachige Schweiz im Vergleich“ vorgelegt, die an den Universitäten Aberystwyth, Basel und Luxemburg durchgeführt wurde. Das Projekt untersucht das Normbewusstsein und -wissen von DeutschlehrerInnen an Gymnasien in Luxemburg, Deutschland (Nordrhein-Westfalen) und der deutschsprachigen Schweiz und beschäftigt sich mit ihrer Rolle als Sprachnormautoritäten. Anhand von Daten, die mit Hilfe von Fragebögen erhoben wurden, werden die Praktiken der Lehrenden in den drei verschiedenen Ländern beleuchtet, in denen die deutsche Sprache eine jeweils unterschiedliche Rolle spielt:
Winifred V.Davies beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Rolle von DeutschlehrerInnen in einer bestimmten deutschen Region (Nordrhein-Westfalen) und untersucht, inwiefern das Plurizentrik-Modell, das in der Soziolinguistik bisher dominant war, den Lehrenden überhaupt bekannt ist und sich auf ihre Praxis auswirkt. Davies zeigt, dass das Modell in den Lehrplänen, die die Lehrenden befolgen sollen, nicht vorkommt und keine Relevanz für sie besitzt. Sie zeigt auch, dass die Meinungen der Lehrenden darüber, was als korrekt bzw. standardsprachlich gilt, nicht immer mit den Meinungen der Kodifizierer übereinstimmt, was das Konzept einer einheitlichen variationsfreien Standardsprache weiter in Frage stellt.
Mit einem Fokus auf die Schweizer Sprachsituation zeigt Eva L.Wyss die Komplexität, die der Überlagerung von Diglossie und Plurizentrik in der Deutschschweiz erwächst. In einem ersten Teil werden die aktuellen Ergebnisse zu konstellativen, medialen, spracherwerbsbezogenen und unterrichtlichen Spezifika des deutschschweizerischen Raumes zusammengefasst, was in einer Kritik am weit verbreiteten Diglossiekonzept mündet, das gemäss Wyss durch eine differenzierte Sprachgebrauchsbeschreibung abgelöst werden sollte. Im zweiten Teil werden die Daten der erwähnten international vergleichenden Studie aus Deutschschweizer Perspektive ausgewertet. Hier finden sich bei den DeutschlehrerInnen sehr vage und variate Standardsprachkonzepte, die auch in den Curricula (vgl. Davies in diesem Band) nachgewiesen werden können. Darauf abgestützt erstaunt nicht weiter, dass auch die sprachdidaktische Situation von DeutschlehrerInnen nicht einhellig als muttersprachlich wahrgenommen wird. Schliesslich werden die divergierenden Einschätzungen der Sprachsituation und wenig loyale Bewertungen von deutschschweizerischen Standardkonstruktionen durch die Lehrenden in drei Typen unterschieden – einmal als Anpassung an die höher bewertete Sprachform, dann als Eigenständigkeit sowie als eine Lücke im Sprachwissen. Diese Sprachgebrauchsrealität wird im Anschluss mit der Metapher des „schielenden Blicks“ erläutert, durch die eine konzeptionelle Inkohärenz als eine Überlagerung der Eigen- und Fremdperspektive begriffen wird.
Melanie Wagner widmet sich in ihrem Beitrag dem Status der deutschen Sprache im luxemburgischen Gymnasium. In einem ersten Schritt beleuchtet sie die Sprachensituation Luxemburgs sowie die aktuell angewandte Lehrmethode für das Fach Deutsch im luxemburgischen Schulsystem. Sodann stellt sie die Ergebnisse einer Befragung von DeutschlehrerInnen vor und liefert eine Analyse der Curricula des Fachs Deutsch im Gymnasium sowie von Leitlinien zur Sprachplanung und Sprachpolitik in Luxemburg. Anhand der Ergebnisse der Befragung und der Analyse der Dokumente zeigt sie, dass eine klare Kategorisierung der Lehrmethode für das Fach Deutsch (Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache) nicht möglich ist, was die Frage aufwirft, ob Luxemburg, wo Deutsch hauptsächlich Schulsprache, jedoch weder Umgangs- noch Erstsprache ist, heutzutage tatsächlich noch ein Halbzentrum im plurizentrischen Modell darstellt (vgl. Ammon 1995).
Rudolf de Cillia, Ilona Fink & Jutta Ransmayr berichten über das FWF-Forschungsprojekt „Das österreichische Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache“. Anhand einer Analyse von Lehrplänen, Studienplänen an Universitäten und pädagogischen Hochschulen, Lehrmitteln und einer Fragebogenerhebung bei Lehrpersonen und SchülerInnen aus ganz Österreich wird untersucht, ob das Konzept der Plurizentrik in der Ausbildung von Lehrenden bekannt ist, wie das Korrekturverhalten zur Sprachloyalität der eigenen Varietät in Beziehung gesetzt werden kann und ob eine Sensibilisierung der SchülerInnen für die Variation der deutschen Sprache stattfindet. Auch wenn das Konzept der Plurizentrik kaum bekannt ist, ist ein Bewusstsein für unterschiedliche Ausprägungen der deutschen Standardsprache durchaus vorhanden. Allerdings fallen die Einschätzungen der Varietäten unterschiedlich aus – beispielsweise je nach dem, ob man die Korrektheit oder Gleichwertigkeit von Varianten thematisiert. Es ergibt sich ein Komplex unterschiedlicher Variablen, die die Spracheinstellungen der Lehrkräfte beeinflussen, was wichtige Ansatzpunkte für künftige Vergleiche mit Lehrpersonen aus anderen Regionen des deutschen Sprachgebiets darstellt.
Der Aufsatz von Aivars Glaznieks & Andrea Abel präsentiert Ergebnisse linguistischer Analysen zur grammatischen Kompetenz aus einem korpuslinguistischen Forschungsprojekt zum Thema „Bildungssprache im Vergleich“, in dem auf der Basis von ca. 1300 Erörterungsaufsätzen aus Südtirol, Nordtirol und Thüringen die Schreibkompetenz von Oberschülerinnen und -schülern ein Jahr vor der Matura bzw. dem Abitur beschrieben wird. Interessant ist dabei die Tatsache, dass die Alltagssprache der meisten Schülerinnen und Schüler nicht mit der schulischen Varietät, der sogenannten Bildungssprache, gleichzusetzen ist, die im schulischen Kontext erwartet und schliesslich auch bewertet wird. Je nach Region kann die Alltagssprache mehr oder weniger grosse Unterschiede zur Standardsprache aufweisen und zudem durch regionale und nationale Varianten charakterisiert sein. In der Untersuchung gehen Glaznieks & Abel auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Schreibenden bei grammatischen Normverstössen ein. Dazu gehört die Frage, ob und gegebenenfalls welche regionalen Unterschiede bei Schreibenden im deutschen Sprachraum feststellbar sind, oder die Frage, inwiefern andere aussersprachliche Variablen wie Schultyp und Geschlecht in Bezug auf die Verteilung grammatischer Normverstösse eine Rolle spielen. Dabei stehen in der Darstellung der Ergebnisse Analysen zur Rektion im Mittelpunkt. Glaznieks & Abel interpretieren die meisten vorkommenden Rektionsfehler als Normunsicherheiten, die auf die gleichzeitige Beherrschung von verschiedenen Normen zurückzuführen sind. Bei Präpositionen mit Nebenkasus wird aber davon ausgegangen, dass sie als Zweifelsfälle beschrieben werden können, die vielen Deutschsprachigen Schwierigkeiten bereiten, egal, ob diese mehr als eine Norm beherrschen oder nicht. Es wird vorgeschlagen, authentische Beispiele für Zweifelsfälle, die in den Texten der Schülerinnen und Schüler vorkommen, im Unterricht zu verwenden, um eine Diskussion über angemessenen Sprachgebrauch anzuregen sowie die Lernenden unter Umständen auch auf Sprachwandelprozesse aufmerksam zu machen.