Kitabı oku: «Urbanität und Öffentlichkeit», sayfa 2
2. Kirchentheoretische Grundanliegen
So zeigen sich also in der vielfältigen Beleuchtung der Themen Urbanität und Öffentlichkeit exemplarisch die grundlegenden kirchentheoretischen Herausforderungen an. Zugleich werden schon durch dieses Agendasetting bestimmte kirchentheoretische Grundanliegen und -überzeugungen mittransportiert:
Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass sich sowohl Aspekte der Urbanität wie der Öffentlichkeit als Ressourcen zukünftiger Kirchenentwicklung ausmachen lassen. Fern sei jedenfalls das Klagelied über den vermeintlichen Verfall einstmals überschaubarer lokaler Strukturen und einer einstmals organischen und ganz konfliktfreie Verfassung des öffentlichen Lebens. Dabei handelt es sich wohl um kaum mehr als Mythenbildung, auf deren Revitalisierung man allerdings sinnvollerweise weder Zeit und Energie verwenden sollte. Es geht auch nicht um eine Abwertung der Begriffe Urbanität und Öffentlichkeit unter der Hand oder um eine Art missionarischer Kolonialisierung, wie man dies in anderen kirchentheoretischen Zusammenhängen im Blick auf den Postmoderne-Begriff feststellen muss.11 Kirche und Gemeinden sind jedenfalls nicht einfach weltferne Grössen vor Ort, die sich nun etwa durch eine Art der Gegenkultur von allem Weltgetriebe per se absetzen könnten. Vielmehr besteht die kirchentheoretische Herausforderung darin, sich zu diesen Dynamiken in ein theologisch verantwortetes Verhältnis setzen zu können. Oder anders gesagt: Eine entscheidende kirchentheoretische Herausforderung besteht darin, nicht nur mit den Geschwindigkeiten und Kontrasten dieser Dynamiken umgehen zu können, sondern auch mit deren permanenten Innovationen, Transzendenzbewegungen12 und nicht zuletzt deren immanenten Widersprüchen,13 mit denen die Menschen im urbanen Raum aber offenbar zu leben gelernt haben.
Das heisst aber auch, dass hinter den zu bearbeitenden Schwerpunkten die Frage nach der verantwortlichen kirchlichen Praxis im Blick auf die Menschen selbst im Zentrum zu stehen hat – und zwar auch diejenigen Menschen, die auf den ersten Blick nicht den Kernbereich kirchlicher Gemeinde ausmachen. Denn offenkundig ballen sich in den Entwicklungen des technischen Zeitalters nicht nur Rohstoffe und Kapital, sondern auch die Ressourcen und Möglichkeiten des je einzelnen Menschen, mit diesen Herausforderungen des beschleunigten – und nun besonders verletzlichen – Lebens umzugehen. Städte bzw. urbane Kontexte sind im tatsächlichen und im symbolischen Sinn Ballungsräume unterschiedlichster Lebensformen und Lebenswelten.14 Damit ist aber auch klar, dass weder urbane noch öffentliche Entwicklungsdynamiken eine Eingrenzung kirchentheoretischer |22| Arbeit auf den vermeintlichen Kern oder heiligen Rest kirchlichen Lebens erlaubt.
Vielmehr steht hinter dieser Schwerpunktsetzung die feste Überzeugung, dass kirchentheoretisch auch zukünftig von vielfältigen Möglichkeiten volkskirchlichen Lebens ausgegangen werden kann.15 Schliesslich kann es nicht darum gehen, hier Patentprogramme für die zukünftige Kirchenentwicklung vorzulegen, sondern einige erste kirchentheoretische Überlegungen anzustellen und damit vor allem die inhaltliche Diskussion zu befördern, um damit dann auch über kriteriologische Massstäbe für konkrete Reformentwicklungen zu verfügen.
3. Ansprüche des Zentrums für Kirchenentwicklung
Von diesen Überlegungen aus sei noch auf den Anspruch des für diesen Band verantwortlichen Zentrums für Kirchenentwicklung eingegangen. Um mit einigen eher generellen Überlegungen zu beginnen: Ein Zentrum – wo auch immer man sich dieses vorstellt – hat es mit sehr unterschiedlichen Referenzgrössen und Dynamiken zu tun. Streng genommen und kybernetisch gesprochen kann von einem Zentrum überhaupt nur die Rede sein, weil es eben auch das Nicht-Zentrum gibt, also all das, was sich um diesen Punkt bzw. Ort herum, ganz nah, in gewisser Entfernung oder an der Peripherie abspielt.
Ein Zentrum hat es zugleich kybernetisch gesprochen nicht nur mit Steuerungsvorgängen, sondern dabei auch mit Wechselwirkungen und Rückkoppelungen zu tun: Kern und Umgebung sind keineswegs unabhängig voneinander zu denken. Dabei ist durchaus nicht automatisch klar, was eigentlich was beeinflusst, gar steuert? Das Zentrum die Umgebung oder die Umgebung das Zentrum? Zudem ist ja immer auch die Frage, wie gross der proklamierte Zentralort etwa im Verhältnis zu allem Umgebenden mit seinen Eigendynamiken ist – auch von dort her bestimmt sich die wechselseitige Dynamik und die Einflusskraft in erheblichem Sinn.
Zudem stellt sich die Frage, wie fest und stabil ein solches Zentrum überhaupt sein kann. Ist es möglicherweise aufgrund der verschiedenen Zentripetal- und Zentrifugalkräfte sogar in permanenter Neuformung und Entwicklung, per se hoch plural, multiperspektivisch, möglicherweise gar instabil und somit womöglich gar ein virtueller Ort? Weiter wäre zu fragen: Ist ein solches Zentrum als das Auge eines Orkans vorzustellen oder stellt es einen Brennpunkt dar, in dem unterschiedliche Dynamiken aufeinander treffen, mit einander korrespondieren, sich versöhnen oder neue Kraft gewinnen, bestimmte Kräfte permanent zur Mitte hin oder davon weg streben? |23|
Zu merken ist hier schon, dass es der Zentrumsbegriff im wahrsten Sinn des Wortes in sich hat. Und nun stellt sich die Frage nach den Dynamiken, Wechselwirkungen und Steuerungskräften umso stärker, wenn man wie die Praktische Theologie in Zürich ein Zentrum für Kirchenentwicklung aus der Taufe hebt. Denn damit wird es einerseits inhaltlich konkreter und klarer, aber auch deutlich komplexer:
Klarer wird der Begriff im konkreten Fall des Zentrums für Kirchenentwicklung durch eine bestimmte Form der Institutionalisierung: eine Geschäftsordnung, festgeschriebene Verantwortlichkeiten, reale Räume und Personen, schliesslich die Finanzierung, die bestimmte Möglichkeiten und Grenzen mit sich bringen. So heisst es in der entsprechenden Geschäftsordnung, dass das Zentrum zum Ziel hat, «Fragen der Kirchenentwicklung und des Gemeindeaufbaus sowohl wissenschaftlich fundiert wie praxisrelevant zu bearbeiten». Es soll sich «der Forschung, Lehre und Anwendung im Bereich der praktisch-theologischen Kybernetik» widmen und sich insbesondere «für die Profilierung der reformierten Ekklesiologie in der schweizerischen und ökumenischen Öffentlichkeit» einsetzen. Zum Aufgabenkatalog gehört, «der verstärkten Forschung auf dem Gebiet der Kirchenentwicklung und des Gemeindeaufbaus» zu dienen, «Personen aus dem universitären und kirchlichen Umfeld im In- und Ausland, welche sich mit den Fragestellungen des Zentrums beschäftigen», zu vernetzen, «Grundlagenarbeit im Hinblick auf künftige Herausforderungen an die kirchliche Präsenz in der Gesellschaft» zu leisten sowie «Kirchen und kirchliche Gremien in ihrer ekklesiologischen Konzeptions- und Planungsarbeit» zu unterstützen.
Komplexer ist nun allerdings im Anschluss an die vorherigen kybernetischen Überlegungen, welcher Auftrag inhaltlich mit dem Titel selbst sinnvollerweise verbunden werden kann. Es ist also zu fragen, in welchem Sinn die Begrifflichkeit «Zentrum für Kirchenentwicklung» gemeint ist: Das heisst, geht es darum, Kirche tatsächlich zu entwickeln, oder darum, Entwicklungen zu beobachten und zu begleiten? Immerhin ist ja zu bedenken, dass es sich hier um eine universitäre Einrichtung handelt, die sich zu Recht auf ihre Wissenschaftsfreiheit beruft und bezieht. Von daher kann es nicht um eine Pro-domo-Aufgabe im Sinn der Auftragswissenschaft für das Kirchenregiment und die Kirchenleitung gehen, weil man sich ansonsten sogleich auf einer rein anwendungsorientierten, instrumentellen Ebene befände. Gefragt ist vielmehr die wissenschaftliche Beschreibungsleistung von Kirchenentwicklung, womit wir uns richtigerweise auf der grundlagenforschenden Ebene positionieren.
Es geht dann aber ganz konkret um die Frage, welche Steuerungs- und Leitungsfunktion ein solches Zentrum in Korrespondenz mit seinem Umfeld haben kann. Und hier verweisen die Aufgaben und Möglichkeiten des Zentrums auf ihre unmittelbare Sache selbst. |24|
Dass dabei von Kirchen- und nicht von Gemeindeentwicklung und schon gar nicht von Gemeindeaufbau gesprochen wird, ist hier ebenfalls kein Zufall. Die Sache selbst ist vielmehr in der Tat möglichst weit zu denken. Abgesehen davon, dass für konkrete Gemeindeentwicklungsprozesse mindestens im Zürcher Kontext schon eine Reihe von kirchlichen Beratungs- und Begleitungsstellen bestehen, erscheint eine Fokussierung auf Struktur-, Gestaltungs- und Umsetzungsfragen vor Ort sicherlich deutlich zu eng.
Will man die Unterscheidung von Makro- Meso- und Mikroebene hier in Verwendung bringen, so positioniert sich dieses Zentrum folglich nicht auf der Mikroebene. Kirche rückt vielmehr in einem weiten theologischen und gesellschaftlichen Bezugshorizont in den Blick. Wie ja schon im Blick auf die Schwerpunktsetzung dieses Bandes festgehalten wurde: Erst von der weitgreifenden Reflexion auf die Konstruktions- und Existenzbedingungen des Systems Kirche können und sollten dann konkrete Reformprogramme und Umsetzungsschritte anvisiert werden. Oder um es in Analogie zu den ökonomischen Disziplinen zu sagen: Die hier betriebene kirchentheoretische Forschung versteht sich sehr viel stärker in einer volkswirtschaftlichen als in einer betriebswirtschaftlichen Perspektive. In Analogie zur Erziehungswissenschaft würde dies heissen: Nicht um die Beratung einzelner Schulen soll es hier gehen, sondern um Schulentwicklung im Sinn der Analyse der Rahmenbedingungen und der Konzipierung grundlegender Zukunftsstrategien von Schule als intermediärer und zivilgesellschaftlicher Institution.
Angesichts dieser Ortsbestimmung stellt sich dann nochmals die grundsätzliche Frage, wie sich die zukünftige Grundlagenforschung mit der Sache selbst verbindet: Braucht es – kurz gesagt – ein vorgängig bestimmtes Leitbild von Kirche und Gemeinde, eine genauere Fassung etwa des Entwicklungs- und Wachstumsbegriffs, um dann von dort aus bestimmte Zielvorstellungen überhaupt erst entwickeln zu können? Sind also bestimmte inhaltliche Vorentscheidungen mit dem prinzipiellen Ziel einer offenen und freien Forschung vereinbar?
Möglicherweise lässt sich diese Frage am besten beantworten, indem man einen vergleichenden Blick auf das EKD-Zentrum «Mission in der Region» wirft. Dieses ist Teil des EKD-Reformprozesses, an den Standorten Dortmund, Stuttgart und Greifswald angesiedelt und soll eng mit dem Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) der Universität Greifswald kooperieren. Im ersten digitalen Newsletter dieses Zentrums heisst es unter anderem: Die Arbeit des Zentrums «soll möglichst effektiv unterstützen und begleiten, was einen missionarischen Aufbruch in Regionen, Gemeinden und Landeskirchen fördert»16. Konkret nimmt man sich u. a. vor: Theologische und sozialwissenschaftliche |25| Arbeit «zur Entwicklung einer missionarischen Ekklesiologie für die Region in der EKD» und etwa die Aufstellung eines exemplarischen Tableaus von zehn bis fünfzehn Modellregionen für missionarische Initiativen. Dazu kommt die Aufgabe, «Förderer und Bremser des Mentalitätswandels in einer aufbrechenden Kirche [zu] identifizieren»,17 damit die Gemeinden dem «Nazaretheffekt»18 entgehen, also nicht die Erfahrung Nazareths zu wiederholen, «ohne Neugier» auskommen zu wollen und damit die Wunder des eigenen Propheten Jesu zu verpassen – sprich: vorbildliche Gemeindeerfahrungen einfach zu übersehen. Dazu werden dann im weiteren Verlauf des Newsletters z. B. «Tugenden eines Veränderungsprozesses» benannt, wie «Handeln Sie mehr in Kooperation und weniger in Konkurrenzen»,19 «Bleiben Sie offen dafür, dass Gott was anderes will als Sie».20
Das Problem eines solchen Zentrums muss nun nicht unbedingt eine bestimmte problematische Theologie sein. Was es aber, mindestens aus Sicht des Zürcher kirchentheoretischen Selbstverständnisses, dort kritisch zu bedenken gibt, ist der unübersehbare implizite und explizite Steuerungsanspruch und ein kybernetisches Leitbild, bei dem der «Gemeindeaufbau zum Anfang und Zenit der theologischen Praxis»21 erklärt wird – wie wenn durch einen Magneten einzelne Eisenspäne monolinear ausgerichtet werden sollen. Eine solche eindeutige Orientierungsinstanz mitsamt gewissen Tendenzen zu einer «Kultivierung von Unzufriedenheit»22 und den entsprechenden «handlungs- und strukturbezogenen absoluta»23 mit eindeutigen Entwicklungszielen schwebt jedenfalls den Zürcher Initianten nicht vor. Schon gar nicht soll es darum gehen, «missionarische Blaupausen zu entwickeln, die in möglichst unterschiedlichen Regionen Deutschlands eingesetzt werden können».24
Von welchem kybernetischen Paradigma soll dann aber für die schweizerischen Verhältnisse ausgegangen werden? Und wo steht das hiesige Zentrum in der weiteren deutschsprachigen kirchentheoretischen Landschaft?
Wie schon oben angedeutet, geschieht die kirchentheoretische Arbeit nicht voraussetzungslos, sondern erfolgt auf dem konkreten Boden der reformierten Tradition und vor dem Hintergrund der aktuellen religiösen und kirchlichen |26| Situation und Entwicklungen in der Schweiz. Prinzipiell kann allerdings davon ausgegangen werden, dass sich die Grundherausforderungen gegenwärtiger Kirchenreformen in Deutschland und der Schweiz grundsätzlich nicht wesentlich unterschiedlich darstellen25. Zudem ist zu erwähnen, dass zwar die faktischen und rechtlichen Gegebenheiten der protestantischen Kirchen in der Schweiz mehrheitlich reformiert geprägt sind, andererseits natürlich sowohl unter den Pfarrerinnen und Pfarrern wie unter den Gemeindegliedern auch mit lutherischen Denktraditionen und einem entsprechenden theologisch-ekklesiologischen Selbstverständnis zu rechnen ist.
Eine Kernaufgabe des Zentrums kann darin gesehen werden, den Sinn für ein Verständnis protestantischer Freiheit zu schärfen, wonach diese nicht als eine Freiheit von Verbindlichkeit und Verpflichtung, sondern als eine Freiheit zur Partizipation an der Zukunft von Volkskirche und ihren Einzelgemeinden verstanden wird.
Grundsätzlich ist jedenfalls kybernetisch davon auszugehen, dass sich die Kirche und Gemeinden bzw. das Priestertum aller Getauften nur in einem sehr begrenzten Umfang überhaupt zentralinstanzlich komplett regieren oder gar neu umsteuern lassen. Somit sollten die Steuerungsmöglichkeiten nicht überschätzt werden. Kirchenentwicklung ist in gewissem Sinn steuerbar, zugleich aber auch der Sache nach organisatorisch wie theologisch und kybernetisch gleichermassen eben nur in bestimmte Grenzen planbar, um nicht zu sagen, unorganisierbar26 und unverfügbar.
Dies impliziert für die Zentrumsarbeit neben der Sensibilisierung für die gemeinsamen Traditionen und Zukunftsaufgaben die konkrete Wertschätzung der beteiligten Personen und die Beachtung der menschengemässen Grenzen jeglicher Kirchen- und Gemeindeentwicklung. Insofern sind hier die Stellgrössen und die Stellhebel so genau wie möglich in den Blick zu nehmen: Was lässt sich steuern, was entwickelt sich eigendynamisch? Was sind die kommunizierenden Röhren im System und was sind die inhaltlichen Antriebskräfte? Und wie kann – um es noch einmal auf die kirchentheoretische Zentrumsarbeit zu übertragen – ein Transmissionsriemen zwischen Theorie und Praxis konkret aussehen?
Natürlich stellt eine solche Initiative eine Gratwanderung zwischen Grundlagenforschung und Anwendungswissenschaft dar. Einerseits besteht man als wissenschaftliches Forum, andererseits versteht man sich selbst als Einfluss nehmender Faktor – nicht im Sinn des genehmen Stichwortgebers, sondern im Einzelfall |27| durchaus als tatsächlich sperrige Orientierungsgrösse. Für eine von solchen Faktoren bestimmte Aufgabe braucht es aber eben erhebliche Unterscheidungskompetenz und Pluralitätsfähigkeit. Gerade weil bestimmte Strukturen und ihre einzelnen Elemente immer nur von relativer Stabilität sind, bedürfen sie der permanenten Deutung und Interpretation. Es geht also um eine «realistische und theologisch orientierte Bearbeitung der ‹Zukunftsaufgaben des protestantischen Kirchentums›».27 Dies könnte dann möglicherweise sogar im hilfreichen Sinn als ein produktives Irritieren und Entschleunigen der gegenwärtigen Reformhysteriestimmung empfunden werden.
4. Hermeneutische Perspektiven auf gelebte Religion und kirchliche Praxis
Daraus folgt, dass die kybernetische Praxis als eine Hermeneutik protestantischer Ekklesiologie und kirchlicher Praxis zu profilieren ist. «Steuern» kann das Zentrum nur im Modus einer offen orientierenden Deutungspraxis – und dies unter möglichst breitem Einschluss der Kommunikation mit den betroffenen bzw. verantwortlichen Akteuren und Multiplikatoren.
Gegenüber etwa einer religionssoziologischen oder religionswissenschaftlichen Betrachtungsweise wird die besondere praktisch-theologische Kompetenz dabei gerade in der theologischen Deutung der institutionellen Aspekte und organisatorischen Phänomene von Kirche und Gemeinde bestehen – denn ob die gegenwärtig von jener Seite aus konstatierte Deinstitutionalisierung und der angeblich massive Bindungsverlust der Mitglieder so tatsächlich stattfindet, wäre erst noch weiter zu verifizieren.
Das Zentrum für Kirchenentwicklung kann also als Steuerungs-, Leitungs- Deutungsinstanz in wechselseitiger Kommunikation und Korrespondenz mit den kirchlichen Akteuren verstanden werden.
Zudem gilt es, sich gegen schnelle Verzweckung eindeutig zu verwahren. Dies heisst dann aber auch, dass es nicht einfach darum gehen kann, einen bestimmten kybernetischen Regelkreis, also etwa die Temperatur oder das Fliessgleichgewicht der Institution Volkskirche irgendwie auf dem bisherigen gewohnten Niveau aufrechtzuerhalten, also diesem System gleichsam neue Substanz zuzuführen, wenn das Absinken der Temperatur oder das Erstarren der Strukturen droht. Wenn man schon in diesem Beispiel bleiben will, geht es eher um die Aufgabe zu überlegen, wie ein geeigneter Thermostat aussehen könnte. Damit ist dann aber auch zugleich klar, dass ein Zentrum für Kirchenentwicklung nicht die Steuerungsaufgabe |28| selbst übernehmen kann. In seinen Bereich fallen vor allem Diagnose, Analyse und Prognose, Zielsetzung und gegebenenfalls Kontrolle im Sinn einer neuen Analyse, nicht aber die einzelne Zielsetzung, deren Planung, Organisation und Realisation im Sinn der Durchführung/Erledigung der geplanten Massnahmen. Es geht also tatsächlich um Kybernetik und nicht in erster Linie um die Ausarbeitung konkreter Kybernesen.
Zugleich geht es – und dies wird in vergleichbaren Forschungseinrichtungen zu häufig vergessen – um die Forschung gelingender Praxis, also um die Sondierung dessen, was an kirchlicher Praxis nach wie vor gut gelingt: Dementsprechend kann es nicht einfach nur um die Sammlung von best practices gehen, sondern um die Bearbeitung der Frage, was eine best practice tatsächlich zu einer solchen macht. Dies wird – um nochmals den Faden von oben aufzunehmen – ebenfalls zugleich nicht ohne eine stärkere Aufmerksamkeit auf die empirische Forschung gelingen können.
Die Frage nach dem output oder outcome des Zentrums mag vonseiten der Geldgeber berechtigt sein und in der Tat wird man hier über kurz oder lang Rechenschaft über die eigene Wirkkraft geben müssen. Allerdings ist dann auch immer wieder daran erinnern, dass sich gerade der Beitrag der Praktischen Theologie nicht in das Raster eines einlinigen Ursache-Wirkungs-Komplexes einordnen lassen kann. Deutung heisst folglich hier, so die Komplexität der realen Situation zu fokussieren, dass wichtige Wechselwirkungen in den Blick geraten können. Zugleich muss man sich aber professionell kybernetisch auch der Tatsache bewusst zu sein, dass die (zwischen-)menschliche Wirklichkeit immer mehr beinhaltet als die Informationen, die durch die Theoriearbeit erfasst werden können. Und das ist dann tatsächlich eine genuin theologische Aufgabe! Und immerhin sei daran erinnert, dass bei den ersten Überlegungen zur Kybernetik in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein der Theologie nicht ganz unvertrauter Begriff in Anwendung kam: konkret ging es um die Konstruktion und das Verstehen eines sogenannten Fliehkraftreglers, im Englischen ein so genannter governor, also um nichts anderes als den gubernator28.
Kirchentheoretische Professionalität erfordert also eine «Reflexionsperspektive»29, genauer eine Deutungs- und Beschreibungskunst, die sowohl dogmatische Beschreibungen der geglaubten als auch nichttheologische Beschreibungen der sichtbaren und erfahrbaren empirischen Kirche miteinander in ein Korrespondenzverhältnis bringt. Nur wenn man sich sowohl für die Sache der Kirchenentwicklung |29| wie für ihre theoretische Durchdringung klar macht, dass hier jeweils von denselben funktionalen Konstruktionsmechanismen und Wirkweisen auszugehen ist, wird dies dann auch eine sachgemässe Arbeit ermöglichen.
Problematisch wäre es dabei allerdings, «nicht auf die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen und damit nicht auf ein locker integriertes Netzwerk setzen, sondern auf Arbeitsteilung und Hierarchie sowie […] auf einen ‹Paradigmen- und Mentalitätswechsel›»:30 «Die Kybernetik erhebt keinen Machtanspruch, sondern einen Theorieanspruch. Es geht darum, die praktisch-theologische Urteilsbildung der besonnenen Kirchenleitung zu unterstützen».31
Insofern können an den Steuerungschancen und -grenzen von Kirchenentwicklung auch die Chancen und Grenzen einer solchen Zentrumsinitiative erkannt werden, wie es vor kurzem für die kirchliche Organisation und Kirchenleitung festgehalten wurde: Diese haben «weniger die Aufgabe, ein Großunternehmen zentralistisch zu steuern als vielmehr, behutsam, lernbereit und selbstkritisch zu überlegen, wie Gemeinden und das pastorale Handeln vor Ort unterstützt und entlastet werden können».32
In jedem Fall soll es nicht um blueprint ecclesiologies33 – so das Schlagwort von Nicholas Healy – gehen, also um Entwürfe, in denen «die geglaubte Kirche als ideale ‹Blaupause› der empirischen Kirche vorgestellt wird».34 Denn sonst droht gerade die Gefahr, «die Freiheit des Glaubens und die Verantwortlichkeit kontextbezogener Entscheidungen in der Gestaltung der empirischen Kirche zu unterlaufen»35. Die «Tendenz zur Übererwartung»36 ist somit nicht nur organisatorisch, sondern auch theologisch ein Problem.
Dabei ist schliesslich und zu allererst die Gefahr einer Auftrennung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche zu vermeiden, und gerade an den einheitsstiftenden Charakter der Wortverkündigung selbst zu erinnern: «Kirche ist deshalb primär und zuerst die sich um die Wortverkündigung versammelnde Gemeinde und erst in zweiter Linie auch Organisation».37 Oder wie es die Zürcher Kirchenordnung |30| gleich im ersten Abschnitt unter «Ursprung und Bekenntnis» formuliert: «Kirche ist überall, wo Gottes Wort aufgrund der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes verkündigt und gehört wird. Kirche ist überall, wo Menschen Gott als den Schöpfer anerkennen, wo sie Jesus Christus als das Haupt der Gemeinde und als den Herrn und Versöhner der Welt bekennen und wo Menschen durch den Heiligen Geist zum Glauben gerufen und so zu lebendiger Gemeinschaft verbunden werden. Kirche ist überall, wo Menschen durch Glaube, Hoffung und Liebe das Reich Gottes in Wort und Tat bezeugen».38
Unter dieser Massgabe ergeben sich dann auch die entscheidenden kirchentheoretischen Fragehorizonte, die ebenso die Gestalt des vorliegenden Bandes wie die Zürcher Ausrichtung insgesamt prägen: Wie lässt sich Kirchenentwicklung praktisch-theologisch so thematisieren, dass dabei Kirche als «Musterbeispiel einer zu flexibler Selbststeuerung fähigen Institution»39gerade in ihrer «Dialektik von leiblich-äusserlicher Sichtbarkeit und geistlicher Verborgenheit der Kirche»40 zum Vorschein kommt? Welche Themenkomplexe erscheinen für eine solche Deutungsaufgabe als besonders herausfordernd und ergiebig, was erscheint in diesem Zusammenhang als bisher noch zu wenig bearbeitet, was können sinnvolle Kriterien für die Bestimmung des Gelingenden sein, wenn von Kirche als «Organisation des Unorganisierbaren»41 auszugehen ist? Wie lassen sich die Deutungspraxis des Zentrums und die Erkenntnisse der Forschung in konkrete kirchliche Kommunikations- und Handlungskontexte so einspielen, dass dabei protestantische Freiheit und Verbindlichkeit in ihrer komplementären Wechselwirkung zum Tragen kommen – und dies gerade angesichts fluider Problemkonstellationen und mancher machtvollen Steuerungsabsichten oder faktischen Beharrungskräfte kirchlicher Akteure und Repräsentanten. Für die hier nun vorgenommene Schwerpunktsetzung standen diese Leitfragen vor Augen.
Gleichwohl ist der Band selbst nur sehr indirekt als Programmschrift anzusehen – es sei denn, man wolle die hier erkennbare Pluralität als Programm ausgeben. Es ist dies aber dann keine beliebige Pluralität, sondern vielmehr Signal der Offenheit für unterschiedliche Deutungen dessen, was Urbanität und Öffentlichkeit für die Kirchenentwicklung bedeuten könnten. Denn letztlich, so die kirchentheoretische Überzeugung, wird sich die Frage nach einer profiliert reformierten |31| und reformiert profilierten Kirche nur im prozessorientierten Diskurs ergeben können. Ob sich von dort her dann für die kirchliche Leitungs- und Gestaltungspraxis selbst verbindliche Orientierung ergibt, ist den weiteren Wahrnehmungen, Diskussionen und Umsetzungsbemühungen der Akteure selbst zu überlassen. |32|