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Literatur

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1.
Institutionelle Räume
Ulrike Tanzer
Bibliotheken als Orte der Literaturvermittlung
1. Verführung

Ein zwölfjähriger Junge verbringt die Sommerferien bei seinem Onkel, einem Prälaten und Stiftsbibliothekar. Um den kostbaren Boden des barocken Büchersaals zu schützen, soll der Neffe an die BesucherInnen Filzpantoffel austeilen. Der Junge merkt bald, dass sich ihm neue Welten eröffnen – die Welt der Bücher und des anderen Geschlechts. Fasziniert beginnt er zu lesen und wagt es, scheue Blicke unter die Röcke der Besucherinnen zu werfen – argwöhnisch beäugt von der gestrengen Haushälterin des Onkels, die dem Fleiß des Jungen misstraut und um dessen Seelenheil fürchtet. Es ist ein Sommer, der für den Jungen eine Zäsur markiert: Seine Mutter erwartet Nachwuchs und im Herbst steht ihm der Eintritt in ein Klosterinternat in den Schweizer Bergen bevor.

Diese Geschichte – Sie werden sie wahrscheinlich längst erkannt haben – erzählt der Schweizer Schriftsteller und Dramatiker Thomas Hürlimann in seiner 2001 erschienenen Novelle Fräulein Stark. Die Bibliothek, die darin beschrieben wird, die Stiftsbibliothek des Klosters St. Gallen, scheint aus einer versunkenen Welt. Von schweren Folianten ist die Rede, von Hilfsbibliothekaren mit dickglasigen, rundgerillten Brillen, grauen Ärmelschonern und nikotingefärbten Krummfingern, von griechischen Inschriften auf Portalbögen: Psychesiatreion – »Heilstätte für den Geist: Seelen-Apotheke« (Hürlimann 2001, S. 35). Die Aura, die diese Bibliothek verströmt, ist für den Ich-Erzähler so fremd wie verführerisch. Gleich am Beginn heißt es:

Mein Onkel war Stiftsbibliothekar und Prälat, seine Hüte hatten eine breite, runde Krempe, und gedachte er die Blätter einer tausendjährigen Bibel zu berühren, zog er Handschuhe an, schwarz wie die Dessous meiner Mama. An Bord unserer Bücherarche, sagte der Onkel, haben wir schlicht und einfach alles, von Aristoteles bis Zyste. (Hürlimann 2001, S. 7)

Die Bibliothek als Ort des allumfassenden Wissens, der Ordnung und damit der Zuflucht vor einer chaotischen Welt sind einige der Aspekte, die hier anklingen.1 Zugleich ist der Text erotisch aufgeladen. Leselust und körperliche Lust, in der Geschichte des Lesens bekanntlich mit dem Verdikt des Krankhaften und Krankmachenden belegt (vgl. Anz 2002, S. 11–32), werden hier bildhaft zusammengeführt.

Die Kritik hat Hürlimanns autobiografisch gefärbte Novelle als einen Entwicklungsroman en miniature gefeiert, als einen Text, der nicht nur zwischen katholischer Triebunterdrückung und aufflackernden Pubertätsfantasien changiert, sondern auch die verdrängten antisemitischen Tendenzen in der Schweizer Geschichte benennt. Der Bibliotheksraum wird darin für den Jungen zum Schwellenraum zwischen der Welt der Kindheit und der Welt der Erwachsenen, ein Raum mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und wohl gehüteten Geheimnissen, ein Raum der Suche nach sich selbst.

2. Bibliotheken der Zukunft

Zwischen der von Hürlimann geschilderten und einer modernen Bibliothek liegen sprichwörtlich Welten. Die Bibliothekslandschaft befindet sich seit etlichen Jahren in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess.2 Längst haben audiovisuelle Medien in die Bibliotheken Einzug gehalten. Die Digitalisierung eröffnet neue Perspektiven der Konservierung und Nutzung. Von multifunktionalen Schnittstellen der Information ist die Rede, wenn das Bild einer »Bibliothek der Zukunft« (vgl. Zimmer 2000) skizziert wird. Zu einem großen und sich ausweitenden Teil wird – so Dieter E. Zimmer – die Bibliothek der Zukunft aus digitalen Medien bestehen. Alles Geschriebene ist dabei, sich zu »entmaterialisieren« (Zimmer 2000, S. 7) und immer mehr auszubreiten in einen virtuellen Raum. »Bibliotheken aus Stein und Beton und Glas sind überflüssig«, schreibt Zimmer, »die neue, die allgegenwärtige Bibliothek ist aus elektrischem Strom« (Zimmer 2000, S. 9). Alles wandert ins Netz – vom gedruckten Buch zum E-Book, von der gedruckten Zeitschrift zum E-Journal. Ist also die Bibliothek als institutioneller Ort, als »steinerne[s] Depositorium von Büchern« (Zimmer 2000, S. 9) obsolet geworden?

Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Bibliotheken erfreuen sich im Digitalisierungs- und Internetzeitalter wachsender Attraktivität. Davon zeugen neue spektakuläre Bibliotheksbauten in Asien (China, Japan, Singapur und Südkorea), Nordamerika (Seattle, Montreal) und Europa wie z.B. in Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Dänemark und den Niederlanden (vgl. Roth 2010; Krämer 2007). Diese Bauten sind »Erlebnisarchitekturen« (Leiß 2011, S. 216), die als Kulturbauten wahrgenommen werden, neue städtebauliche Akzente setzen und zur Aufwertung von Stadtvierteln beitragen. In Österreich sind in diesem Zusammenhang neben der Wiener Hauptbücherei am Gürtel die beiden Neubauprojekte in Linz (Wissensturm) und Salzburg (Salzburger Stadt:Bibliothek in der Neuen Mitte Lehen) zu erwähnen.3 Signifikant sind die städtebaulichen Konzeptionen, die mit den erwähnten Bibliotheksbauten einhergehen. Die Wiener Hauptbücherei wurde an einer der verkehrsreichsten Straßen errichtet, in einer Gegend, in der sich verschiedenste Bevölkerungsgruppen mischen. Auch in Salzburg wurde mit dem Standort Lehen ein Stadtteil mit hoher Bevölkerungsdichte und einem hohen Anteil an MigrantInnen gewählt.

Abb. 1: Bibliothek Salzburg außen (Copyright Helmut Windinger)


Damit folgen die Einrichtungen, um mit Caroline und Johann Leiß zu sprechen, dem Konzept der »extrovertierten Bibliothek« und damit einem der drei Trends, die – durchaus widersprüchlich und konkurrierend – entscheidend für die künftige Entwicklung sind (Leiß/Leiß 2011, S. 224–232). Bibliotheken verstehen sich in diesem Sinne als soziale Integrationsorte, die Konzerte, Lesungen und kulturelle Veranstaltungen anbieten,4 die in zentralen Bereichen über Cafés und gemütliche Sitzecken verfügen und die damit auch in ihrer Raumkonzeption dem Bedürfnis nach sozialem Austausch entgegenkommen. Bislang sind Versuche, Bibliotheken auf Online-Plattformen als virtuelle Orte zu etablieren, gescheitert.5 Der zweite Trend lässt sich mit dem Begriff der »introvertierten Bibliothek« umschreiben. Nicht ein Ort des sozialen Austauschs in der Umgebung von Büchern steht im Zentrum dieser Überlegungen, ein Raumkonzept, das Multimedia-Shops und Einkaufscentern entspricht, sondern eine Umgebung, die konzentriertes Lesen und Arbeiten ermöglicht. Diese Bibliotheken, die sich architektonisch an den klassischen, symmetrisch möblierten Lesesälen orientieren und sich insgesamt durch klare Strukturen auszeichnen, sind auch heute noch inmitten des Lärms, der Unübersichtlichkeit und Beschleunigung als (Gegen-)Orte der Ruhe, Ordnung und Entschleunigung konzipiert – und damit den alten Klosterbibliotheken nicht ganz unähnlich.6 Die »virtuelle Bibliothek« ist der dritte Trend, der sich abzeichnet. Das Nebeneinander von gedruckten und elektronischen Medien wird seit den 1990er Jahren unter dem Stichwort »hybride Bibliothek« (Leiß/Leiß 2011, S. 230) subsumiert. Viele wissenschaftliche Bibliotheken geben mittlerweile den größeren Teil ihres Einkaufsbudgets für elektronische Medien aus und verfolgen in einzelnen Bereichen wie Zeitschriften und Nachschlagewerken die Strategie, nur noch elektronische Werke zu kaufen. Die Konsequenzen für den Bibliotheksbau sind immens. Magazine werden weitgehend überflüssig, der Weg in die Bibliothek ebenso. Die Vorteile liegen auf der Hand. Bequem und rasch können die gewünschten Inhalte bereitgestellt werden.

»Der wohl unaufhaltsame Umstieg der traditionellen Bibliotheken in digitalisierte Formen [bringt] auch beträchtliche Verluste mit sich« (Pfoser 2010, S. 236), so der Germanist und Bibliothekar Alfred Pfoser. Das hat nicht (nur) mit einem nostalgischen Blick zurück zu tun, denn Bibliotheken sind Orte der Kommunikation7 – und der »Verführung«. Es gilt also, mit den BibliotheksbenutzerInnen auf Tuchfühlung zu bleiben. Die Bibliothek mag ihre Funktion als ausschließlicher Aufbewahrungsort und Ausleihanstalt einbüßen – als Ort, wo Integration und (interkulturelles) Lernen, wo Leseförderung und Literaturvermittlung stattfinden, wird sie nach wie vor und mehr denn je gebraucht. Die öffentlichen Bibliotheken, von denen hier vor allem die Rede sein soll, reagieren auch darauf, indem sie zum Beispiel Mischformen anbieten. Peter Vodosek hat in diesem Sinne für die Bibliothek der Zukunft die Formel »Informationsbibliothek + x« geprägt (Vodosek 2011, S. 212).

3. Leseförderung und Literaturvermittlung. Drei Beispiele

Die PISA-Studien8 haben die öffentliche Wahrnehmung der Kulturtechnik Lesen gestärkt. Die Bedeutung von Lesen als einer Schlüsselkompetenz für schulischen Erfolg und damit weitere berufliche Möglichkeiten ist deutlicher in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Über die Notwendigkeit einer verstärkten Leseförderung in allen Schultypen, besonders aber für die 20 Prozent an Jugendlichen der »Risikogruppe« (Leistungsstufe I und darunter in der PISA- Wertung), herrscht allgemeiner Konsens. Aus der Perspektive der Deutschdidaktik wird nun langsam akzeptiert, worauf schon vor Jahren hingewiesen wurde (vgl. Hurrelmann 1994), nämlich dass wir eine dreifache begriffliche Ausweitung von Leseförderung brauchen:

Leseförderung ist nicht mehr auf AnfängerInnen und »schwache« LeserInnen beschränkt, sondern für alle SchülerInnen auf allen Schulstufen erforderlich.

Das Handlungsfeld der Leseförderung ist nicht ausschließlich der Deutschunterricht, sondern das sind alle Schulfächer in Verbindung mit außerschulischen Angeboten wie Bibliotheken, Literaturhäusern und anderen Formen der Leseförderung (wenn auch dem Deutschunterricht nach wie vor eine Schlüsselfunktion zukommt).

Leseförderung im Medienzeitalter ist nicht mehr mit Literaturdidaktik gleichzusetzen, sondern erfordert eine Neuorientierung der Buchkultur im Medienkontext.

Zugleich hat PISA aber auch den Effekt, dass zumindest der politisch-pädagogische Diskurs sich nicht wirklich auf das Lesen konzentriert, sondern auf das Abschneiden der eigenen Nation im internationalen Ranking. Das hat hektische und nicht immer gut überlegte Initiativen zur »Leseförderung« zur Folge, ohne dass genau analysiert wird, wo eigentlich die Defizite liegen. Vor allem scheint sich die Debatte um die Leseförderung zu verengen, auf den – bisher unterschätzten – Bereich der basalen Lesekompetenzen und die Fähigkeit, aus Sachtexten Informationen zu entnehmen.

Diese zweifellos wichtigen Kompetenzen werden nur allzu oft gegen das literarische Lesen ausgespielt. Was wir hingegen brauchen, ist die Wiederherstellung und Aktualisierung eines ganzheitlichen Begriffs von Lesen, der zumindest die folgenden Hauptelemente umfassen müsste:9

basale Lesekompetenz (im Sinne einer Informationsentnahme) gegenüber Alltagstexten, Fachliteratur und Massenmedien, die beruflichen Erfolg und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erlaubt,

»kritisches Lesen«, um Textintentionen zu durchschauen und gegenüber Manipulation und Meinungsbeeinflussung wachsam zu bleiben,

literarisch-ästhetisches Lesen als die Fähigkeit, Imaginationen zu entwickeln und bestehende Welten zu transzendieren, als Entwicklung des »Möglichkeitssinns«.10

Literarische Sozialisation ist »kein Programm für eine elitäre Minderheit, sondern Bestandteil allgemeiner Bildung« (Tanzer 2006, S. 6). Dass dieses Konzept von Bildung heute durch eine von reinem Nützlichkeits- und Verwertbarkeitsdenken geprägte Aus-Bildung nicht nur bedroht, sondern weitgehend ersetzt worden ist, ist evident. Davor ist auch die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Bibliotheken (vgl. Neuhaus 2009, S. 234–247) nicht gefeit. Meist werden die schuleigenen Bibliotheken in den Unterricht integriert, seltener finden Kooperationen auch mit öffentlichen Bibliotheken statt. Im Mittelpunkt der didaktischen Überlegungen steht in überwiegendem Maße die Informationskompetenz (vgl. Umlauf 2005). Die Schulbibliotheken selbst haben in den letzten Jahren einen großen Wandel durchgemacht und sich vom »Bücheraufbewahrungsort« zu »multimedialen Lese- und Lernwerkstätten« entwickelt (Fritz 2010, S. 31–38). Sie dienen als Fach- und Unterrichtsraum, stellen Medien für den Unterricht und als Unterrichtsergänzung bereit, sind Orte der Unterrichtsvor- und -nachbereitung für SchülerInnen und LehrerInnen. Lesen sollte aber nicht nur unterrichtsbezogen stattfinden. Schulbibliotheken – und umso mehr öffentliche Bibliotheken – sind daher auch Orte, wo SchülerInnen ihre Freizeit verbringen können, um sich zu treffen, um zu spielen, vor allem aber um zu schmökern. Bei allem Eifer für didaktisch-methodische Konzepte zur Leseförderung und Literaturvermittlung sollte das Bild der Bibliothek als Ort des plan- und ziellosen Lesens, auch des Lesens »verbotener« Literatur, nicht aus unseren Köpfen verschwinden. Denn »Schmökern lernen«, so Gerhard Falschlehner, Geschäftsführer des Österreichischen Buchklubs der Jugend, sei »die wichtigste Form des Lesens: Jenes ziellos-absichtsvolle Hin- und Herblättern, da und dort hängen bleiben, hineinlesen. Ein angenehmer Spaziergang durch Bücher anstelle eines Lesemarathons. Der Anfang jedes Lesens« (Falschlehner 1997, S. 215).

Die Förderung von Lesekompetenzen muss immer mit der Förderung von Lesemotivation Hand in Hand gehen. Der Büchereiverband Österreichs (BVÖ), der Dachverband der öffentlichen Bibliotheken mit mehr als 3000 Mitgliedsbibliotheken, setzt in diesem Zusammenhang viele Initiativen, am öffentlichkeitswirksamsten wohl mit der 2006 ins Leben gerufenen Aktion »Österreich liest. Treffpunkt Bibliothek«, einer großen Imagekampagne für das Lesen und für die Bibliotheken eine Woche vor dem Nationalfeiertag. Drei Beispiele aus der Praxis der öffentlichen Bibliotheken seien zur Illustration herausgegriffen. Die Beispiele sind subjektiv gewählt und selbstredend um weitere zu ergänzen.

1. Das österreichische Bibliothekswerk mit Sitz in Salzburg, das als Forum katholischer Bibliotheken von der Bischofskonferenz eingerichtet wurde, hat sich in den letzten Jahren durch eine Vielzahl innovativer Projekte ausgezeichnet. Zu erwähnen sind hier vor allem die Fachzeitschrift für Bibliotheken bn.bibliotheksnachrichten (www.biblio.at), die umfangreiche Rezensionsdatenbank Rezensionen online (www.rezensionen.at) und Materialien zur Lesemotivation (www.biblio.at) wie Lesemotive und LebensSpuren.11 Vor kurzem wurde das Projekt Buchstart: mit Büchern wachsen initiiert, das sich der frühkindlichen Leseförderung widmet. Hier wird erfolgreich versucht, das große Potenzial, das Bibliotheken gerade im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur aufweisen, mit anderen Einrichtungen und Initiativen (z.B. Eltern-Kind-Gruppen) zu vernetzen. Stichwort: »Bibliothek trifft Purzelbaumgruppe!« (Hesche 2011, S. 441). Die Themenbereiche der im November 2011 in Salzburg abgehaltenen Studientagung12 vermitteln einen guten Überblick über die inhaltlichen Aspekte der frühkindlichen Leseförderung: wie Babys und Kleinkinder mit ihren Eltern Bücher entdecken, der spielerische Umgang mit Sprache (Reime und Verse), von den ABC-Büchern bis zu den Erstlesereihen, Leseförderung und Lesespaß. Ziel des Projektes ist es, mit niedrigschwelligen Angeboten, Familien – auch aus so genannten bildungsfernen Schichten – in die Bibliotheken zu »locken« (Ehgartner 2011, S. 439–443).

2. Auch die Stadt:Bibliothek Salzburg in der Neuen Mitte Lehen13 richtet sich mit ihren Angeboten an Eltern mit Kleinkindern. Ein Schwerpunkt sind interkulturelle Veranstaltungen und Veranstaltungsreihen (z.B. Lesungen unter dem Titel Miteinander lesen und der Konversationskurs Miteinander reden). Zweisprachige Märchenlesungen für Kinder zwischen sechs und zehn Jahren werden gemeinsam mit dem Literaturhaus Salzburg angeboten. Die Broschüre Miteinander lesen mit Tipps zum Vorlesen in zehn Sprachen, von Albanisch bis Türkisch, von Arabisch bis Rumänisch, wurde in Zusammenarbeit mit der Integrationsbeauftragten der Stadt Salzburg und anderen PartnerInnen erstellt. Dieser Leitfaden soll demnächst über den Büchereiverband eine österreichweite Neuauflage erfahren. Darüber hinaus läuft gerade unter dem Titel Wo die wilden Kerle lesen ein Leseförderungsprojekt für Jungen an. Ein eigenes Regal mit Lesestoff für Buben wurde eingerichtet. Eine Mitarbeiterin beschäftigt sich in ihrer Projektarbeit im Rahmen der Ausbildung zur Bibliotheksassistentin mit diesem Thema. Ein weiteres Projekt, das Genderaspekte in der Leseerziehung in den Mittelpunkt rückt, ist die umfangreiche Vorleseliste für Väter und erziehende Männer. Darin finden sich altersspezifische Lesetipps, Lektürevorschläge für alleinerziehende Väter, Patchwork-Väter und homosexuelle Väter.14

Abb. 2: Bibliothek Salzburg innen (Copyright Magistrat Salzburg INFO-Z)


Abb. 3: Lesendes Kind (Copyright Christina Repolust)


Wichtige Impulse für die Leseförderung in Salzburg und Tirol sind in den letzten Jahren auch vom Bibliothekswerk der Erzdiözese Salzburg ausgegangen.15 Neben Fördermaßnahmen im Bereich der frühen Leseförderung (z.B. das Vorleseprojekt mit dem Titel Wenn am Abend die Stimme zärtlich wird) sind es vor allem Projekte im Bereich der Erwachsenenbildung im ländlichen Raum. Das Foto-Projekt zum Weltfrauentag 2005 Frauen lesen und schreiben ist ein Beispiel dafür. Ausgehend von einer Gesprächsrunde in der Öffentlichen Bibliothek in Tamsweg zum Thema »Bücher meines Lebens« entstand die Idee zu dieser Fotoserie. Zwölf Lungauerinnen ließen sich beim Lesen und Schreiben an ihrem Lieblingsplatz fotografieren. Sie reflektierten dabei über ihre Lese- und Schreiborte, über Rituale und Möglichkeiten, den »Büchern wieder Raum im All-Tag zu geben« (Gastager-Repolust 2006). Der Wunsch der Germanistin, Bibliothekarin und Fotografin Christina Repolust, Frauen beim Lesen und Schreiben zu fotografieren, verband sich mit dem Anliegen, Frauen zum Lesen zu motivieren und »Lesen selbstbewusst als Tätigkeit, auch als Vergnügen, neben andere Tätigkeiten zu stellen« (Gastager-Repolust 2006, S. 118).

Alle genannten Initiativen geben – kurz zusammengefasst – professionelle Anleitungen zum Lesen und damit letztlich zum »Leseglück«. Damit ist der emotionale Vorgang gemeint, den das Lesen von Literatur darstellt.16 Ludwig Muth hat versucht, den emotionalen Akt des Lesens mit Hilfe der »flow«-Theorie des Chicagoer Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi (Csikszentmihalyi 1999) zu fassen. Mit dem englischen Begriff »flow«, der meist unübersetzt bleibt und wörtlich übertragen »fließen«, »strömen« bedeutet, bezeichnet die Glücksforschung den Zustand einer »optimalen Erfahrung« (Csikszentmihalyi 1999, S. 61). Das Bewusstsein ist in diesem Zustand höchster Konzentration gut geordnet, alle Gedanken und Sinne sind auf das gleiche Ziel gerichtet, nichts anderes scheint eine Rolle zu spielen. Diese Erfahrung der Harmonie entsteht im hohen Maße bei Aktivitäten, die herausfordern, aber nicht überfordern, die zielgerichtet sind und eine völlige Konzentration und Hingabe verlangen. Dadurch kommt es zu einer Veränderung des Zeitgefühls, Ich-Grenzen werden überwunden, die Sache geschieht um ihrer selbst willen. Das Aufgehen in einer Arbeit ist eine der Tätigkeiten, die Csikszentmihalyi als besonders charakteristisch für diese »autotelische Erfahrung« anführt, ebenso wie Klettern, Hochseesegeln, Schachspielen – und Bücherlesen (vgl. Csikszentmihalyi 1999, S. 70).

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