Kitabı oku: «Was bildet ihr uns ein?», sayfa 7

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Die Wahl des Vorbildes

Die individuelle Bewertung führt auch dazu, dass sich die Beziehung zwischen Schülern und Lehrern verbessert, da das Aburteilen und Aussortieren nicht mehr im Vordergrund steht, sondern es um das gemeinsame Voranschreiten, das Aufzeigen von Wegen geht. Und für die Motivation und den Schulerfolg ist nicht nur guter Unterricht wichtig, sondern auch eine gute Schüler-Lehrer-Beziehung. Wer von uns erinnert sich nicht zumindest an einen Lehrer, in dessen Unterricht man gerne ging und von dem man die Begeisterung für das Fach übernommen hat. Oder der gar verantwortlich für die Berufswahl ist. Dieser Aspekt der Schule wird meist erst in der Retrospektive deutlich. Nur die wenigsten würden ihre Lehrer als Vorbilder bezeichnen.

Wenn Jugendliche nach Vorbildern gefragt werden, so landen Lehrer häufig auf den hinteren Plätzen – aber sie kommen vor. So darf unter Vorbild aber nicht ein Idol verstanden werden – also jemand, dessen soziale Rolle man einnehmen will. Bei Vorbildern geht es eher darum, eine Person vor sich zu haben, an der wir uns zu orientieren suchen. Es sind meist Menschen aus unserer Nähe, von denen wir lernen wollen und an deren Meinung wir interessiert sind, um uns selbst weiterzuentwickeln. Oft werden sie auch unbewusst gewählt.97

Dass aus Lehrern verstärkt Vorbilder werden, ist nun kein Prozess, den man bewusst steuern könnte. Lehrer müssen aber in den Fokus gestellt werden, wenn über Motivation in der Schule gesprochen wird. Denn sie sind es schließlich, die motivieren sollen.

Schaut man sich die derzeitige Situation der Lehrer an, so blickt man auf einen Berufsstand, der für jegliches Scheitern verantwortlich gemacht wird. Sie gelten als die ausführende Hand des selektierenden Schulsystems und werden häufig gar als Feind gesehen. Hinzu kommt das weitverbreitete Klischee, Lehrer hätten ja so oft Ferien und sollten sich nicht über ihre Arbeit beschweren. Um die Vorbildfunktion des Lehrers steht es also schlecht. Setze wie Gerhard Schröder sie sagte, als er noch niedersächsischer Ministerpräsident war, tragen da nicht zur Besserung bei: „Ihr wisst doch ganz genau, was das für faule Säcke sind“, beschrieb er Lehrer im Jahr 1995. Diese Meinung ist auch heute noch weitverbreitet.

Sicherlich wird es „faule“ Lehrer geben, wie es eben auch „faule“ Mitarbeiter in jedem anderen Unternehmen geben wird. Zur Beschreibung eines Berufsstandes taugt es jedoch nicht. Dass inzwischen fast jeder fünfte Lehrer daran denkt, in Frühpension zu gehen, zeigt hingegen, welch großer Druck auf ihnen liegt: Ein Berufsstand, der das geradebiegen soll, was die Gesellschaft nicht hinbekommt. Inzwischen kämpfen Lehrer sogar gegen Eltern, die meinen, es besser zu wissen. Das alles klingt nicht nach einem Vorbild und schon gar nicht danach, dass Lehrer selbst motiviert sein können. Dass ist aber die Grundvoraussetzung, um andere zu motivieren, wie schon Augustinus wusste: In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst. Wie kann man also garantieren, dass die Flamme bei Lehrern nicht erlischt?

In Finnland beispielsweise gibt es eine hohe Motivation Lehrer zu werden. Die besten eines Jahrgangs entscheiden sich für diesen Beruf.98 Es muss also zumindest mehr über die Arbeit von Lehrern gesprochen werden und es müssen auch ernsthaft engagierte Lehrer und ihre Visionen in den Vordergrund gestellt werden. Nur so kann man versuchen, das Bild des Lehrers in der Gesellschaft neu zu bestimmen. Doch das gesellschaftliche Ansehen ist nur ein Punkt, der die Arbeit in einer Schule prägt. Nicht allein dadurch ist es zu schaffen, dass Lehrer ein motivierendes Arbeitsumfeld haben. Wie ist das also zu erreichen?

Mehr Lehrer, mehr Gestaltungsraum, kleinere Klassen sind wohl Antworten, über die häufig diskutiert wird. Interessant ist das israelische Modell des sogenannten Sabbatjahres.

Alle sieben Jahre unterrichten Lehrer für ein Jahr nicht, sondern nutzen die Zeit, um sich weiterzubilden. Das kann in den verschiedensten Bereichen sein. So könnte ein Mathematiklehrer Programmieren oder Twittern lernen oder sich schlicht mit neuen pädagogischen Konzepten auseinandersetzen. Er könnte sich damit beschäftigen, wie es die Japaner schaffen, dass ihre Schüler so gut in Bruchrechnung sind usw. Dies würde dazu führen, dass Lehrer aus dem Klassenraum herauskommen und eine andere Perspektive gewinnen. Sie können sich Inspiration holen und die im Alltag vielleicht verlorene Leidenschaft für ihr Fach wiedergewinnen, was ganz entscheidend für die Motivation von Schülern ist. Auch könnten sich Lehrer regelmäßig auf gesellschaftlich neue Entwicklungen einstellen und so erhielte der Raum Schule stetig neue Impulse. Auch lebenslanges Lernen, das in Deutschland gerade verstärkt gefördert wird,99 bekäme eine ganz neue Bedeutung. In Israel geben Lehrer dafür 4,2 Prozent ihres Gehaltes monatlich ab, und der Staat zahlt noch einmal das Doppelte dazu – so kann dieses System finanziert werden.

Dieses Sabbatjahr gibt es in Ansetzen auch in Deutschland. Zumindest besteht gesetzlich die Möglichkeit auch hierzulande, solch ein Jahr zu nehmen. Allerdings gibt es keine Schätzungen, wie viele Lehrer diese Regelung tatsächlich in Anspruch nehmen. Vermutlich ist es aber eine schwindend geringe Zahl. In Deutschland wird es wohl viele Kämpfe geben müssen, bevor sich solch ein Modell durchsetzt. Zu stark ist das Bild des „faulen“ Lehrers in den Köpfen der Menschen verwurzelt.

Vor diesem Hintergrund muss die Rolle des Lehrers verstärkt diskutiert werden. Für die Schüler ist es nur von Vorteil, wenn der Lehrer wieder mehr gesellschaftliches Ansehen erringt und dadurch auch bewusstes Vorbild sein kann. Gerade Kinder aus bildungsfernen Familien könnten davon profitieren. Hier ist der Lehrer oftmals die einzige Person, die einen anderen Bildungshintergrund hat als die Familien, wodurch er andere Perspektiven für die Schüler eröffnen kann.

Auch für Schüler mit Migrationshintergrund ist die Vorbildfunktion entscheidend, wie verschiedenste Studien bewiesen haben.100 Hier sind allerdings gerade Lehrer gefragt, die selbst einen Migrationshintergrund haben – sogenannte „minority teacher“101. Bei einer guten Lehrer-Schüler-Beziehung geht es um Sympathie, Vertrauen und das Gefühl des „Sich-Verstanden-Fühlens“, und dies entsteht besonders, wenn sich Personen einander ähnlich sind oder gleiche Erfahrungen teilen102. Mit einem „minority teacher“ haben Schüler mit Migrationshintergrund also eine bessere Chance, sich durch Eindrücke von außen weiterzuentwickeln. Doch es geht noch über die Vorbildfunktion hinaus: Lehrer mit Migrationshintergrund wissen oftmals aus eigener Erfahrung, wie unterschiedlich bestimmte (Unterrichts-) Inhalte aufgefasst oder Lösungswege gesucht werden können. Dies führt im besten Fall dazu, dass diese die Lernbedürfnisse und Herangehensweisen ihrer Schüler mit Zuwanderungsgeschichte eher erkennen und gezielt darauf eingehen103.

Wirft man jedoch einen Blick in die deutschen Lehrerzimmer, so findet man nur selten, Lehrer, die einen Migrationshintergrund haben. Derzeit stehen den fast 25 Prozent Schülern mit Migrationsgeschichte nur etwa 1 Prozent Lehrer mit Migrationshintergrund gegenüber. Lange Zeit blieb dieser Missstand an deutschen Schulen von der Wissenschaft, Politik und von Interessensverbänden unberücksichtigt. Erst seit wenigen Jahren ist dieses Problem in den Fokus gerückt, zumal durch die PISA-Studie deutlich wurde, dass Schüler mit Migrationshintergrund besonders benachteiligt werden.

Schulbücher liefern Migranten Stereotype statt Vorbilder

In den letzten Jahren wurden verstärkt Lehrer mit Migrationshintergrund eingestellt, die dieser Benachteiligung entgegenwirken sollen. Staatliche und von Stiftungen initiierte Programme versuchen gezielt, Abiturienten mit einem Migrationshintergrund für das Lehramtsstudium zu gewinnen und unterstützen vermehrt angehende Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte. Allerdings beschränken sich diese Bemühungen bisher eher auf einzelne Projekte, als dass es sich um flächendeckende Maßnahmen handelte. Diese Bestrebungen müssen aber dringend ausgeweitet werden. Denn durch Lehrer mit Migrationshintergrund wird den Schülern anschaulich vor Augen geführt, was man auch unter ungünstigen Voraussetzungen noch alles erreichen kann. Dies ist jedoch entscheidend, wenn es für die Schüler darum geht, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Und aufgrund der vielen Vorurteile, die ihnen entgegengebracht werden, ist es oft nicht einfach. So stoßen sie beispielsweise in Schulbüchern auf klischeehafte Bilder. Darin werden Migranten einer Studie zufolge104 überwiegend als „Problemfall“ gezeigt.105 Es gibt zwar auch positive Darstellungen, die wiederum betonen, wie die eigene Kultur durch Einwanderer bereichert wird. Das ist jedoch äußerst problematisch, da auch dadurch noch eine absolute Trennung zu den „deutschen“ Schülern vollzogen wird. Denn diese Bilder in den Lehrmaterialien verdeutlichen, dass Kinder mit Migrationshintergrund fremd sind und es auch bleiben werden.

Lehrer mit Migrationshintergrund können hier ein Bindeglied sein und die Schüler in ihrem Kampf gegen Klischees unterstützen.

Auch für den Unterricht ist es wichtig, dass Schüler mit Migrationshintergrund auf „minority teacher“ treffen. Wie Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum zeigen, können die von den Lehrern an Schüler gerichteten Leistungserwartungen stark ihre Leistung beeinflussen106. Wenn also ein Lehrer davon ausgeht, dass ein bestimmter Schüler keine hohen Leistungen erbringen wird, dann wird er diese wahrscheinlich wirklich nicht erreichen. Dies hat weniger damit zu tun, dass der Schüler sie nicht erbringen könnte. Sondern vielmehr damit, dass der Lehrer sein Verhalten nach dieser Erwartung ausrichtet und beispielsweise das Kind weniger fördert oder seltener zu Leistung motiviert. Zudem kann es sein, dass ein Schüler die an ihn gerichteten Erwartungen wahrnimmt und versucht, diesen zu entsprechen107. Das Problematische ist nun, dass besonders jene Kinder, die einer anderen sozialen Schicht oder Gruppe angehören als ihre Lehrer, besonders häufig von negativen Leistungserwartungen betroffen sind108. Dieses Phänomen ist unter den Namen „Pygmalion-Effekt“ und „sich selbst erfüllende Prophezeiung“ bekannt geworden. Um ihm entgegenzuwirken, sollte zum einen bundesweit verstärkt für mehr Lehrer mit Migrationshintergrund geworben werden. Zudem sollten Lehrer dafür sensibilisiert werden und immer wieder reflektieren, wie sie einen Schüler beurteilen und wie sie ihn daraufhin fördern.

Chance vertan: kaum Vorbilder in der Literatur

Eine andere Möglichkeit, Vorbilder in der Schule zu finden, sind Bücher, die beispielsweise im Deutsch-Unterricht behandelt werden. So können die Biographien der Autoren, aber auch die einzelnen Figuren in den Werken Anregungen für das eigene Handeln geben. Auf diese Weise bekommen Jugendliche ebenfalls Impulse von Außen – sei es aufgrund von Figuren, an denen sie sich orientieren oder die sie als Gegenmodell verwenden. Schaut man sich an, welche Bücher in der Schule gelesen werden, so fällt schnell auf, dass die Autoren vor allem weiß und männlich sind. Sicherlich können Frauen und Schüler mit Migrationshintergrund auch Vorbilder in diesen Büchern finden. Doch ist es wahrscheinlich, dass sie auf bestimmte Rollenmodelle begrenzt sind.

Dass ein Buch im Schulunterricht gelesen wird, hängt jedoch bei weitem nicht nur von der literarischen Qualität eines Werkes ab, sondern auch und vor allem davon, wer die Macht hat, es auszuwählen. Die Bücher entstammen einem bestimmten „Inventar“, dem sogenannten Kanon. Dieser ist aufs engste mit der Nation verknüpft, was bedeutet, dass die Bücher aufgenommen werden, die widerspiegeln, wie sich Deutschland als Nation versteht. Minderheiten wie Einwanderer sind bis heute im Kanon kaum vertreten.

So ist deutlich: Der Kanon und entsprechend die Lehrpläne müssen sich also an die veränderte Welt anpassen, einmal um Vorbilder zu schaffen, aber auch um die Pluralität unserer Gesellschaft zu betonen. Es müssen mehr Autorinnen aufgenommen werden, und auch die migrantische Literatur muss einen Platz erhalten. Bereits 1990 stellte der Schriftsteller Zafer Şenocak in einem Essay heraus, dass ein „Bewusstseinswandel“ eintreten müsse, der „der zweiten Generation endlich den Spielraum schafft, der es ihr ermöglicht, ihren Weg zu finden“. Şenocak schloss daran weiter die Forderung an: „Aber es bedarf auch der Veränderung der hiesigen Gesellschaft, des kulturellen Lebens, der Lehrpläne und der Bildungsinhalte in deutschen Schulen.“109 In Schulen muss also Literatur behandelt werden, in der Schüler auf der Suche nach Vorbildern Erfolg haben oder sich in den behandelten Büchern zumindest wiederfinden. So hat jedes Kind die Chance, über diesen Weg seine eigene Identität zu formen.

Sind Mentoren die Lösung?

In Schulen werden Jugendliche also nur selten fündig, wenn es um Vorbilder geht. Gerade für sozial benachteiligte Schüler und solche mit Migrationshintergrund fehlt es an Optionen. Dies ist ein Grund, weswegen in den letzten Jahren verstärkt sogenannte Mentorenprogramme eingeführt wurden. In der Wirtschaft wird im Bereich der Personalförderung schon seit langem auf Mentoren gesetzt. Dabei geht es darum, dass eine erfahrene Person, also der Mentor, sein Wissen und seine persönliche Erfahrung an einen Schützling, dem Mentee, weitergibt und ihm Ratschläge erteilt. Dabei kann der Mentor auch zum Vorbild werden. Der Name geht dabei auf die Figur Mentor in der griechischen Mythologie zurück. Dieser war der Ratgeber von Telemach, dem Sohn des Odysseus. Mentor unterstützte ihn in der Abwesenheit des Vaters und übernahm die Rolle eines erfahrenen Begleiters. Weil seine Hilfestellung dabei von außergewöhnlicher Vortrefflichkeit war, fasst man die Erwartungen an einen selbstlosen Unterstützer noch heute unter seinem Namen zusammen.110

Inzwischen gibt es im Bereich der Bildungsförderung zahlreiche, vor allem private, ehrenamtliche Mentorenprogramme. So werden im Projekt Junge Vorbilder beispielsweise gezielt Schüler mit Migrationshintergrund gefördert, um sie auf eine weiterführende Oberschule oder auf das Abitur vorzubereiten. Die Mentoren selbst haben ebenfalls einen Migrationshintergrund und kennen daher genau die Hürden ihrer Mentees, denn sie haben sie schon überwunden. In diesem Projekt hat sich gezeigt, dass sich durch die Mentorenprogramme das Selbstwertgefühl der Jugendlichen und die Einstellung zur Schule positiv veränderten. Die Ergebnisse zeigen sogar, dass sich das Klima in Klassen, in denen Mentees lernen, wandelt.111 Hieran wird deutlich, wie fruchtbar ein solches Vorbild für den einzelnen sein kann und dass sein innerer Antrieb, der unter den schlechten Erfahrungen gänzlich zusammengebrochen war, schon allein dadurch wieder freigelegt werden kann, dass jemand Perspektiven aufzeigt und einem zur Seite steht.

Auch Programme für Jugendliche aus Arbeiterfamilien wie Arbeiter-Kind.de und Rock Your Life, die vor allem mit Hauptschülern arbeiten, zeigen, wie hilfreich es sein kann, jemanden zu haben, der Wege aufzeigt und seine Erfahrungen teilt. Für den einen oder anderen Schüler kann das bedeuten, sich erstmals einen Menschen als Vorbild zu nehmen und aus deren Werdegang eigene Schritte abzuleiten.

Doch es fragt sich, ob dadurch die Schwächen des Schulsystems wirklich ausgeglichen werden können. Bei allen positiven Aspekten, die jede Art von Mentoring mit sich bringt, ist zu betonen, dass solche Projekte nicht die existierende Bildungsungerechtigkeit aufheben können und auch nicht sollen. Ein solcher Anspruch käme der Forderung gleich, die Fehler des Bildungssystems nicht an ihrem Ursprung anzugehen.

Die Mentorenprogramme sind aber ein Indiz dafür, wo es Schwachstellen im Schulsystem gibt, daher sollte die Politik dort genau hinsehen. Um diese zu beseitigen, darf es nicht darum gehen, die Probleme durch Reförmchen auszubessern, es braucht eine gänzlich neue Schule!

Diese Schule muss so gestaltet werden, dass Jugendliche mehr Vorbilder finden können, sei es dadurch, dass Mentorenprogramme an eine Schule gekoppelt werden oder andere Bücher als bislang in den Literaturkanon aufgenommen werden. Auch müssen wir uns als Gesellschaft intensiv mit der Rolle des Lehrers auseinandersetzen, denn dieser ist schließlich die Person, die die Schüler motivieren soll und stark das Interesse für ein Fach prägt. Doch Lehrer sind nicht die einzigen Personen an der Schule, die Vorbild sein können. Auch Schüler selbst können dabei eine wichtige Rolle einnehmen. Führt man beispielsweise Schülerlernpatenschaften ein – durch die ein starker Schüler einen schwächeren Schüler unterstützt, kann dies auch Möglichkeiten für das eigene Handeln aufzeigen – und das in beide Richtungen.

Wir brauchen eine Schule, die sich wieder auf die grundlegenden Dinge besinnt und sich daran orientiert, wie Lernen im Kopf funktioniert: Eine Schule, in der Lernen wieder Spaß macht, muss also das Ziel sein.

Dafür müssen wir versuchen, uns von unseren eigenen Schulvorstellungen zu lösen, um Schritte zu tun, die uns anfangs vielleicht suspekt erscheinen: Eine Schule ohne Noten ist möglich. Und diese hat nichts mit Kuscheln zu tun, sondern damit, dass wir Kindern und Jugendlichen erlauben, Fehler zu machen, ihnen einen Raum schaffen, in dem sie ohne Angst und Selbstzweifel herausfinden können, was ihre Stärken sind. Die Forderung muss also lauten: Lasst endlich das Glück wieder in die Schule hinein!



Früh und folgenreich sortiert: die Aufteilung der Kinder nach der Grundschulzeit
Felix Peter und Stefanie Dieckmann


Um den individuellen Unterschieden von Kindern auf dem Weg zum Erwachsenen- und Berufsleben gerecht zu werden, hat Deutschland ein möglichst komplexes, feingliedriges Bildungssystem geschaffen. Das klingt zunächst einmal nach einem guten Plan, denn den verschiedenen Schülertypen werden so anscheinend passgenaue Schulformen angeboten, in denen sie am besten lernen und sich entwickeln können. Bekanntlich werden sie entsprechend ihrer Leistung aufgeteilt, damit die Lehrenden einfacher auf ihre Schwächen und vor allem auf ihre Stärken eingehen können. Doch profitieren junge Menschen tatsächlich, wenn sie früh in Schubladen gesteckt, also voneinander getrennt werden? Und sind die Schubladen tatsächlich passgenau?

Gerade nach der ersten PISA-Studie aus dem Jahr 2000 ist die Debatte um das mehrgliedrige Schulsystem lauter geworden. Denn Deutschland ist einer von nur wenigen Staaten weltweit, die ihre Schüler derart früh, nämlich bereits im Alter von zehn Jahren, auf eine Fülle von Ausbildungswegen aufteilen. So lernen derzeit in den Klassenstufen sieben bis zehn, der sogenannten Sekundarstufe I, insgesamt 1,5 Millionen Kinder auf einem Gymnasium. Etwas weniger als 1,2 Millionen besuchen Realschulen und etwa 700.000 Schüler Hauptschulen.112 Hinzu kommen noch jene Schüler, die Gesamtschulen besuchen, welche üblicherweise alle drei Zweige unter einem Dach vereinen, sowie Schüler, die auf Förderschulen unterrichtet werden.

Insbesondere der Hauptschulabschluss erfuhr in den letzten Jahrzehnten eine immer stärkere Entwertung.113 Dagegen sind Abiturienten auch beim Wettbewerb um einen Ausbildungsplatz inzwischen in immer mehr Ausbildungsberufen klar im Vorteil. Genau das ist aber einer der Gründe, weswegen die konkrete Entscheidung beim Übergang von der Grundschule auf eine höhere Schulform so wichtig ist. Doch wie genau gestaltet sich dieser Übergang überhaupt?

Die hellseherischen Fähigkeiten des Systems

Fast 2,9 Millionen Kinder besuchen in Deutschland gegenwärtig eine Grundschule, in die sie in der Regel im Alter von sechs Jahren eingeschult wurden und die sie in den meisten Bundesländern nach vier Jahren wieder verlassen werden.114 In diesem Zeitraum werden nahezu alle Kinder einer Altersklasse gemeinsam unterrichtet, unabhängig von ihren Begabungen und ihrer Herkunft. Nach der 4. Klassenstufe werden die Kinder dann aufgeteilt: Gute Schüler sollen das Gymnasium besuchen, schwache die Hauptschule und das Mittelfeld die Realschule. Für Kinder mit besonderen körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen, aber leider auch mehr und mehr für jene mit Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwächen, gibt es zudem verschiedene Förderschulen.

Wie genau die Grundschule gestaltet ist und wie lange Jungen und Mädchen diese besuchen, obliegt den einzelnen Ländern. Auch die Regelung des Übergangs ist Ländersache, und so halten das auch alle Bundesländer auf ihre Weise, wie eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung herausgegebene Studie zeigt.115 Das führt dazu, dass der Übergang von der Grund- auf die weitergehende Schule sehr komplex und unübersichtlich gestaltet ist. Einheitlich geregelt ist in allen Ländern, dass die Lehrkräfte der Grundschulen eine weiterführende Schulform empfehlen. Als Hauptkriterium für diesen Vorschlag ziehen einige Länder einen bestimmten Notendurchschnitt heran. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz fordern zusätzlich ein von den Lehrkräften zu erstellendes pädagogisches Gutachten, welches in den meisten Bundesländern als alleiniger Maßstab für die Empfehlung gilt.116

Löblich ist, dass bis auf Schleswig-Holstein jedes Land den Eltern anbietet, sich durch die Grundschulen beraten zu lassen – entweder vor oder nach der erfolgten Empfehlung. Nur in Sachsen und Nordrhein-Westfalen werden die Eltern zur Teilnahme an der Beratung verpflichtet. Falls der Elternwille dem Vorschlag der Lehrkräfte entgegensteht, sehen zumindest einige Länder ein für die Eltern verbindliches Beratungsgespräch vor, andere hingegen verlangen in solchen Fellen eine zusätzliche Eignungsprüfung für das Kind. Die Regelungen sind also sehr unterschiedlich.117 Relativ einfach funktioniert der Übergang von der Grundschule in jenen Ländern, in denen die Eltern das letzte Wort haben. So können Eltern in Hamburg nach der Übergangsempfehlung ihre Kinder ohne Probleme an der gewünschten Schulform anmelden. Das Gegenteil demonstriert NRW: Hier gibt es zunächst ein freiwilliges Beratungsgespräch bei abweichendem Elternwunsch. Wenn die Eltern dann eine höhere als die empfohlene Schulform ins Auge fassen, muss das Kind an einem Prognoseunterricht teilnehmen, anhand dessen schließlich die Entscheidung für einen Schultyp gefällt wird.

Geschuldet ist diese Komplexität dem Wunsch nach Einigkeit von Eltern und Schule bei der Schulformwahl. Weder die eine noch die andere Seite sollte diese wichtige Entscheidung alleine treffen. Und dass jedes Land seine eigene Lösung für den Übergang anbietet, ist auch Beleg dafür, dass sich die Bundesländer der Schwierigkeit und der schwerwiegenden Folgen einer solchen Entscheidung bewusst sind. Schließlich beeinflusst die Art des Schulabschlusses die persönliche Entwicklung und spätere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Nur besteht eben Uneinigkeit über den besten Weg. Immerhin ist die Konferenz der Kultusminister um allgemeine Standards bemüht. So soll der Übergang „mit aller Behutsamkeit und Sorgfalt vorbereitet und vollzogen werden“.118 Zudem müsse jedem Kind „ohne Rücksicht auf Stand und Vermögen der Eltern – der Bildungsweg offenstehen, der seiner Bildungsfähigkeit entspricht“.119

Die Realität sieht allerdings anders aus: Kinder werden bereits nach der Grundschule auf fragwürdige Art und Weise, praktisch nach sozialem Hintergrund, auf verschiedene Schulformen verteilt, und nicht ausschließlich, wie theoretisch vorgesehen120, nach Leistung und Entwicklungspotenzial. Anders lässt es sich nicht erklären, dass die Chancen von Kindern aus der Oberschicht auf einen Platz am Gymnasium statt an einer Realschule ungefähr dreimal so hoch sind wie jene ihrer Altersgenossen aus Arbeiterfamilien.121 So schafft das System keine Leistungsgerechtigkeit, sondern nur eine Hürde an der viele Schulkinder scheitern.

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