Kitabı oku: «Zimmer mit Mord», sayfa 2

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»Das alte Ägypten war eine außerordentliche Zivilisation«, sagte der Concierge. »Wussten Sie, dass die Pyramiden keineswegs von Sklaven erbaut worden sind, wie alle behaupten?« Er betrachtete die Kiste von allen Seiten.

»Wer sonst sollte denn diese unliebsame Arbeit verrichten? Sklaven gab es doch im Überfluss«, erwiderte Benedict ruppig. Er konnte es nicht leiden, wenn jemand in seinem Fachgebiet wilderte, obgleich er selbst darin nur dilettierte. Und ein Concierge, soweit kannte Eva ihren Lord inzwischen, gehörte nicht zu den raren Spezialisten, deren Urteil Benedict würdigte.

Monsieur Gisbert zündete sich eine Zigarette an und zog daran. Den Rauch ausstoßend, antwortete er abwesend: »Wer sonst sollte solch gigantische Bauwerke errichten, Bauwerke zu Ehren eines Königs und Gottes, wenn nicht freie Menschen mit freiem Willen?« Er streifte den Aschekegel über einem Bakelitdöschen ab, das er in der anderen Hand hielt. »Natürlich waren Sklaven im Altertum die Basis der Wirtschaft, in Ägypten, wie fürderhin im alten Griechenland oder Rom. Auch in Karthago, dem Erbfeind der Römer, bildeten Sklaven einen Wirtschaftsfaktor. Haben Sie sich einmal mit den Karthagern befasst? Nein? Welch Frevel! Hier wurde in nuce vieles schon gedacht und gemacht, was die moderne Wissenschaft stets dem Genius der Griechen oder Römer zuschreibt. Welch Fehlung! Vielmehr waren es doch die Karthager, die Schiffe am Fließband produzierten! In diesen Tagen wären Kaiser Wilhelm und Großadmiral Prinz Heinrich von Preußen gut beraten, sich eingehend mit den Fertigkeiten der Karthager zu befassen, ja, sogar über den Schiffbau hinaus! Hannibal und seine Kesselschlacht bei Cannae zum Beispiel, davon konnte auch ein Helmuth von Moltke lernen.«

»Können Sie uns freundlicherweise beim Öffnen der Kiste behilflich sein?«, unterbrach ihn Eva. Benedicts wissenschaftliche Exkurse stillten ihren Bildungshunger bereits ausreichend.

»Dann wollen wir einmal sehen …« Der Concierge rüttelte am Deckel, der sich keinen Millimeter bewegte.

Eva hatte sofort erkannt, dass das so einfach nicht sein würde. »Können Sie uns eine Brechstange, einen großen Schraubenzieher oder dergleichen besorgen? Und eine Zange.«

»Sehr wohl, Lady Pace«, sagte der Concierge.

»Und wenn nicht kostbare Artefakte«, murmelte Benedict, als sich die Tür hinter Monsieur Gisbert geschlossen hatte, »dann liegt da vielleicht eine Mumie drin.«

Am Nachmittag brachte Monsieur Gisbert eine Brechstange, und Benedict machte sich sogleich ans Werk. Dicht an dicht reihten sich die Nägel auf dem Kistenrand, für die Ewigkeit verschlossen, schien es Eva. Nun, angesichts ihres Transports über Tausende von Kilometern kein Wunder. So sehr sich Benedict aber auch mühte – die Kiste blieb verschlossen. »Und jetzt?«, fragte er.

Eva zuckte hilflos die Schultern.

Es klopfte. Eva schrak zusammen. Himmel! Kam das aus der Kiste? Ah, nein, es war nur an der Tür, das Zimmermädchen meldete, Monsieur Gisbert habe eine Nachricht für sie; sie möchten sich bitte hinunterbemühen.

Der Concierge sah ihnen entgegen. »Ein Franzose war hier und hat sich nach Ihnen erkundigt.«

Eva und Benedict wechselten einen Blick. Yann. Der Teufelskerl hatte sie gefunden.

»Er ist gegangen«, sagte der Concierge und schüttelte sich eine Zigarette aus einem braunen Päckchen. »Ein unangenehmer Mensch mit schauerlicher Redensart. Er meinte, ein Gepäckstück sei doch für Sie eingetroffen. Ich indes erklärte, nichts dergleichen zu wissen. Nun, Gustav hat ihn nach- und eindrücklichst hinausgeworfen.«

Eva spürte, wie Benedict versteifte. Vielleicht war das nur eine Falle, und Yann lauerte hier irgendwo auf eine günstige Gelegenheit. Andererseits, welche Gelegenheit wäre günstiger als diese? Mit Monsieur Gisbert als Komplizen?

»Und das hat er geglaubt?« Benedict runzelte die Stirn.

»Selbstverständlich. Würden Sie meine Worte bezweifeln?« Monsieur Gisbert neigte den Kopf und wirkte trotz seiner Jugend wie ein Geistlicher. Bis er erneut an seiner Zigarette zog. »Ist der Inhalt der Kiste denn zu Ihrer Zufriedenheit?«, fragte er beiläufig.

»Ja. Doch.«

»Also werden Sie imstande sein, die Rechnung zu begleichen?« Er hob die Brauen.

»Gewiss«, sagte Eva.

Der Concierge zog an seiner Zigarette, und nachdem er sie alle in eine dichte Rauchwolke gehüllt hatte, nickte er. »Sagen Sie mir denn, worum es sich handelt?«

»Wenn Sie sich bis morgen gedulden, dann werden wir alles gesichtet haben.«

»Nun gut, ausnahmsweise will ich …« Eine Stimme vom Ende des Korridors unterbrach ihn. »Monsieur Gisbert? Eine Frage zum Menü heute Abend.«

»Entschuldigen Sie, mein Rat ist offenbar in der Küche vonnöten. Was unsere Angelegenheit betrifft, werde ich mich bis morgen gedulden.«

Zurück in der Suite wandte sich Benedict erneut der Kiste zu. Eva beobachtete ihn bei einem weiteren Versuch, den Deckel zu heben.

Ein Geräusch von der Tür ließ sie innehalten. Besorgt drehte sich Eva um. Die Tür stand offen, im Dämmerlicht des Flures erkannte sie nur einen Schemen, der auf der Schwelle verharrte.

»Eva, Chérie! Da bin ich.« Yanns vertrauter bretonischer Zungenschlag. »Du weißt, so leicht gebe ich nicht auf.«

»Yann!«

»Du hast es mir schwer gemacht, euch zu finden. Sehr schwer.«

Erst jetzt nahm Eva wahr, dass der Franzose eine Waffe in der Hand hielt.

»Komm nicht auf dumme Gedanken, Engländer!« Er wedelte mit seiner Pistole, während er eintrat und die Tür hinter sich schloss. »Ah! Da ist ja die Kiste!«

»Du Schurke!«, rief Benedict. »Ich werde meine Schulden schon begleichen; Spielschulden sind Ehrenschulden.«

Yann nickte Benedict zu. »Ich nehme an, durch den Verkauf von Odilons Artefakten? Amüsant, seine Schulden aus der Tasche des Gläubigers zu begleichen. Hat es den kleinen Lord nicht gewundert, dass die Kiste so zufällig im Weg stand? Ich wusste doch, er würde nicht widerstehen können.« Zu Eva gewandt fragte er: »Habt ihr schon die Diamanten in der Statue entdeckt?« Sein Blick streifte die verschlossene Kiste. »Ah, ihr habt sie noch gar nicht geöffnet? Eva, glaubtest du wirklich, Odilon interessierte sich für den alten Krempel? Er schmuggelt Edelsteine auf diese Weise. Als ich es herausfand, wusste ich, das ist der Schlüssel für unser neues Leben. Was hältst du von Amerika?«

Yanns Lächeln verursachte Eva eine Gänsehaut.

»Wir lieben uns schon seit Jahren!«

Benedict starrte Eva ungläubig an. »Was sagt er da? Was hast du mit diesem Kerl zu schaffen?«

»Nichts, Darling!«

Yann trat einen Schritt auf sie zu. »Was soll das, Eva? Du wolltest doch von Odilon weg, warst seine Avancen leid. Gejammert hast du, dass er dich nicht gehen ließe, hast mir ständig in den Ohren gelegen, mit dir zu fliehen.«

Eva wich zurück. »Yann, du warst mir wie ein Bruder, ein vertrauter Freund. Nie habe ich dir Hoffnung gemacht. Ich liebe Benedict. Und jetzt steck die Waffe weg, der Concierge kann jeden Augenblick heraufkommen.«

»Der ist beschäftigt. Aber du hast recht, hier erregen wir Aufmerksamkeit. Also raus hier!« Yann trat zurück, winkte sie zur Tür und drückte Benedict seine Pistole in den Rücken. »Los jetzt, runter in den Park!« Er trieb sie vor sich her den Korridor entlang Richtung Treppe.

Der Concierge! Er würde ihnen helfen. Doch Evas verzweifelte Hoffnung erstarb, die Halle war leer, Monsieur Gisbert offenbar noch in der Küche.

Ungesehen kamen sie in den Park.

»Gehen wir ein paar Schritte«, forderte Yann sie auf und schob Benedict vor sich her einen Pfad entlang, der zwischen den Bäumen verschwand.

Eva blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen. Was konnte sie tun? Sie musste Yann aufhalten … »Yann, bitte! Es hat doch keinen Sinn!«, rief sie verzweifelt.

Benedict stolperte über eine Wurzel, Yann geriet ins Straucheln. »He!«

Eva registrierte, wie Benedict in die Tasche des Jacketts griff und eine Pistole herauszog. Seit wann besaß Benedict eine Waffe …?

Ein Schuss fiel, fast gleichzeitig ein zweiter … Dann war es still.

Eva schlug die Hand vor den Mund und starrte fassungslos auf ihren Mann, der zu ihren Füßen auf dem Boden lag, die Pistole noch in der Hand. Blut quoll aus einem Loch in seiner Brust. Drei Schritte entfernt lag Yann. Sonnenlicht fiel durch die Baumwipfel und legte sich wie eine goldene Decke über die beiden leblosen Körper.

Eine große Leere breitete sich in Eva aus. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie neben Benedict auf die Knie sank. »O mein Gott!«

Was sollte sie jetzt nur tun?

Die wenigen Habseligkeiten hatte sie schnell gepackt. Die Tasche warf Eva aus dem Fenster. Nur gut, dass noch keine weiteren Gäste im Hause waren. Und einen Gärtner hatte Eva auch nicht gesehen. Gute Aussichten, dass so schnell niemand die beiden Leichen entdeckte. Jetzt hieß es nur noch, die Dunkelheit abzuwarten.

Der Concierge war in seine Lektüre vertieft und nickte kurz, als Eva an ihm vorbeiging. »So ein herrliches Wetter! Ich gehe ein wenig spazieren«, informierte sie ihn mit belegter Stimme.

Die Tasche lag noch unter dem Fenster, die beiden reglosen Körper unter der Baumgruppe. Sie konnte die beiden doch unmöglich so zurücklassen. Sollte sie eine Grube ausheben? Unschlüssig sah sie sich um, überall fester Boden, aussichtslos. Aber was war das da? Auf einer Lichtung abseits des Pfades war ein Haufen aus Totholz, Zweigen und Laub aufgeschichtet. Bei ihnen zu Hause wurde das Grün immer verbrannt. Ob das auch hier so war? Einerlei, sie hatte keine andere Wahl.

Anna, das Erste Zimmermädchen, lief rascher, als es in der distinguierten Atmosphäre des Bellevue üblich war, zur Rezeption, auf die das noch blasse Licht der Morgensonne fiel.

»Monsieur Gisbert, die Herrschaften aus der Kaisersuite sind offenbar abgereist!«

Der Concierge zuckte zusammen. Wie sollte er der Direktion erklären, dass er bei einem zwielichtigen Paar eine Ausnahme bei der Bezahlung der Rechnung gemacht und keine Vorkasse verlangt hatte? Aber er bewahrte seine Contenance. »Dann richten Sie die Räume bitte für die neuen Gäste her«, sagte er ruhig zu Anna.

Mit sich selbst hadernd, verließ Monsieur Gisbert die Rezeption, um einige Minuten frische Luft im Park hinter dem Hotel zu atmen. Er zündete sich eine neue Zigarette an und ging ein paar Schritte den Pfad zur Lichtung entlang. Dann kniff er die Augen zusammen. Unter den hohen Bäumen am Ende bemerkte er noch immer den Totholzhaufen von den Gartenarbeiten in der letzten Woche. Anscheinend war er inzwischen deutlich größer geworden. Seltsam. Wie auch immer, er hätte längst verbrannt gehört. Er würde mit dem Gärtner ein ernstes Wort reden müssen.

In der Kaisersuite stand einsam die verlassene Kiste. Der Deckel war verschlossen. Jemand klopfte.

1913 – Vor dem Krieg
Die Stimme aus dem Jenseits

VON SABINE TRINKAUS

Im letzten Moment wich der Chauffeur der Droschke aus, die in halsbrecherischem Tempo aus der Einfahrt zum Bellevue bog. Der Motor erstarb mit einem Röcheln. Der Fahrer – Gustav, so hatte er sich eben vorgestellt, als er Adam Crugherr und seine Gattin Elvira in Köln am Hauptbahnhof abgeholt hatte – stieß einen leisen Fluch aus, wandte dann den Kopf. »Madame, Monsieur, ich bitte um Entschuldigung.«

»Nichts passiert, mein Lieber.« Adam nickte ihm beruhigend zu, während sich seine Gattin Elvira immerhin zu einem schwächlichen Lächeln hinreißen ließ. Seit sie am Morgen in Koblenz in die Eisenbahn gestiegen waren, hatte sie kaum ein Wort verloren. Ein unbeteiligter Beobachter hätte das möglicherweise den Strapazen der Reise angelastet, denn Elvira war von zarter und feinnerviger Konstitution. Adam hingegen wusste es besser. Seine Gattin befand sich seit Wochen im Zustand der latenten Katatonie. Und er, Adam, war am Ende seiner Kraft und Weisheit. Dabei war es eben jene nervöse Empfindsamkeit, die ihn einst so zu ihr hingezogen hatte. Wie eine delikate Lichtgestalt war sie ihm erschienen, Elvira, ehemals noch Comtesse von Beisenstein. So exotisch, zart und flirrend, so ganz anders als alle Frauen, die er vor ihr getroffen hatte, dort in der rheinischen Provinz, in der er als wohlhabender Erbe eines florierenden Brauereibetriebs durchaus als gute Partie gegolten hatte. Er hatte sein Glück kaum fassen können, als sich Elvira bereit erklärt hatte, die nächste Frau Crugherr zu werden. Und er hatte sich und ihr geschworen, sie zur glücklichsten Frau der Welt zu machen.

Während Gustav den Motor wieder zum Leben erweckte und in gemessenem Tempo die Auffahrt zum Bellevue hinaufrollte, musterte Adam seine Gattin heimlich. Das Sonnenlicht, das durchs Wagenfenster fiel, ließ ihr weißes Madonnengesicht fast durchsichtig erscheinen. Zarte blaue Äderchen schimmerten an ihren Schläfen; die übergroßen, traurigen Augen glänzten fiebrig. Ein leiser Seufzer entrang sich seiner Brust.

Gustav bremste erneut, wieder ein wenig zu abrupt, diesmal, um eine Kollision mit zwei Fahrrädern zu verhindern, auf die sich ein junges Paar vor dem prächtigen Portal just schwang, um fröhlich klingelnd in Richtung Park zu verschwinden. Gustav verbot sich jeden Anflug von Neid angesichts dieser Lebensfreude und Vitalität. Er konzentrierte sich lieber auf den livrierten Herren, der nun den Wagenschlag öffnete und Elvira aus dem Sitz half, bevor er beflissen um das Automobil herumeilte, um auch Adam beim Aussteigen behilflich zu sein. Dann warf er Gustav, der sich aus seinem Fahrersitz geschält hatte und nun wohlig die langen Storchenbeine reckte, einen tadelnden Blick zu. »Parbleu!«, zischte er. »Diese Fingernägel, dégoûtant! Und dieser Fleck, Gustav, wie oft habe ich dir gesagt, dass du diesen furchtbaren Fleck entfernen lassen musst, bevor du unsere Gäste …«

Eine sonore Stimme übertönte sein Schimpfen. »Adam, mon cher ami!« Monsieur Gisbert kam mit ausgebreiteten Armen die breite Freitreppe hinunter. »Wie lange ist das her?«

Lange, dachte Adam, während er sich von Gisbert umarmen und kräftig auf den Rücken klopfen ließ. Sehr lange, und doch war Gisbert ein Grund, dass Adam das Bellevue gewählt hatte. Sie kannten sich eigentlich eher flüchtig, waren sich in einer Zeit begegnet, in der sie beide noch grün hinter den Ohren gewesen waren. Aber Gisbert hatte einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen. Man traf schließlich nicht alle Tage einen so vortrefflichen Mann, feinsinnig und gebildet, der schon in jungen Jahren fließend in mehreren Sprachen zu parlieren vermochte, außerordentlich musikalisch war und dessen Talente und Klugheit zudem von Herzenswärme und einem trefflichen Humor aufs Feinste ergänzt wurden. Ja, wenn es irgendjemanden gab, den Adam bei der heiklen Mission, in der er unterwegs war, gern in seiner Nähe wissen wollte, dann war es Gisbert, an den der Livrierte, der eben Gustav gescholten hatte, nun ein tadelndes Zungenschnalzen richtete.

Gisbert schlug sich in gespielter Verzweiflung die Hand vor die Stirn. »Mein braver Mathis, du hast völlig recht!«, rief er aus. »Wo bleiben nur meine Manieren?« Er wandte sich an Elvira, die wie eine Marmorstatue dastand und mit somnambulem Blick an der prächtigen Hotelfassade hochsah, auf deren Zinne sich eben ein Rabe niederließ. »Pardonnez-moi, Madame! Sie müssen die Comtesse von Beisenstein sein!« Er griff nach der Hand, die sie ihm zögerlich hinstreckte, und küsste sie galant. »Nun, natürlich, Frau Crugherr. Enchanté, Madame. Sie sind, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, noch schöner, als man überall erzählt. Mein Freund Adam ist wahrlich ein Glückspilz!«

Adam verkniff sich tapfer den nächsten Seufzer. Zu seinem Erstaunen erwiderte Elvira indes Gisberts Lächeln und tat ihren entzückenden kleinen Mund auf. »Merci, Monsieur«, hauchte sie und strich sich eine der blonden Locken, die den grazilen Schwanenhals umspielten, nach hinten. »Ich bin … entzückt, hier zu sein.« Wieder wanderte ihr unsteter Blick hinauf zu dem schwarzen Vogel. »Ich bin … ganz absonderlich tief entzückt.«

»Das, äh, das freut mich.« Gisbert wirkte kurz verwirrt. Nicht halb so verwirrt wie Adam allerdings, denn es war Wochen her, dass Elvira derart Anteil an ihrer Umgebung genommen hatte. Er gestattete sich einen kurzen Moment der Hoffnung. Ja, er tat das Richtige. Und alles würde gut werden, ganz gewiss.

Monsieur Gisbert reichte Elvira den Arm und geleitete sie die Stufen hinauf in die Halle, in der sich das Sonnenlicht funkelnd in prächtigen Leuchtern brach. Elvira ließ sich auf einen der gestreiften Samtsessel sinken, während Gisbert zum Tresen eilte, rasch nach der filterlosen Zigarette griff, die dort im Aschenbecher vor sich hin qualmte, und einen tiefen Zug nahm, bevor er sich an Adam wandte. »Sie müssen entschuldigen, mein lieber Freund«, sagte er. »Es ging ein bisschen drunter und drüber in den letzten Tagen. Wir haben nämlich elektrisches Licht bekommen.« Er lächelte stolz. »Schon seit zwanzig Jahren gibt es die Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke der Stadt Köln, aber erst jetzt sind wir an der Reihe. Moderner Komfort, unerlässlich heutzutage, aber derlei Dinge gehen natürlich mit einem gewissen Tohuwabohu einher. Das soll die Comtesse und Sie aber nicht irritieren. Ich habe die Kaisersuite für Sie reserviert, gerade gut genug für so geschätzte Gäste. Es ist alles bereit. Nicht wahr, Anna?«

Die letzten Worte waren an das Mädchen adressiert, das neben ihm aufgetaucht war. Es nickte, knickste kurz und trat dann ein Stück näher. »Es ist nur … die Kiste«, flüsterte sie deutlich vernehmlich. »Sie ist zu groß und zu schwer, ich konnte sie nicht vom Fleck bewegen, und ich hätte auch nicht gewusst, wohin damit …«

Kurz entglitten Gisberts Züge, aber er fand die Contenance schnell wieder. »Die Kiste, ach, das ist doch Nebensache. Leg einfach eine Tischdecke darüber«, wisperte er und wandte sich dann wieder an Adam. »Ein Tohuwabohu, wie gesagt! Die Gäste vor Ihnen sind ein wenig überstürzt abgereist. Aber ich versichere Ihnen, dass das keinerlei Inkommodation für Sie bedeutet. Wenn doch, zögern Sie nicht, mich das umgehend wissen zu lassen.«

»Oben, nicht wahr?«, mischte sich nun eine weitere Stimme ein. Adam zuckte zusammen. Elvira war aufgestanden und unbemerkt neben ihn getreten. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie Gisbert an. »Die Suite des Kaisers, ein Palast, ganz nah am Himmel. Man kann direkt ins Paradies schauen?« Sie wirkte erregt, auf ihren Wangen leuchteten rote Flecken. Sie hustete.

»Nun, Paradies, Palast …« Gisbert kratzte sich verlegen am Nacken. »Sagen wir einfach, es ist unsere schönste Suite. Und der Blick in den Park ist durchaus formidabel. Aber keine Sorge, unser Haus verfügt natürlich über einen Aufzug, Sie müssen sich also nicht mit Treppen quälen, Comtesse. Ah, da kommt schon Mathis!« Er deutete auf den Livrierten, der einen Jungen vor sich her durch die Halle scheuchte, der unter der Last der Koffer fast zusammenbrach. Hänschen warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Lift. »Er wird Ihnen den Weg zeigen. Ich bin sicher, Sie werden alles zu Ihrer Zufriedenheit vorfinden.«

»Ich auch, oh ja, ich bin ganz sicher …« Elvira presste eine Hand auf ihren Busen und hustete erneut. Sie schwankte leicht.

Adam hakte sie eilig unter und wich Gisberts fragendem Blick geflissentlich aus. »Du bist gewiss schrecklich erschöpft von der Reise«, murmelte er. »Du solltest ein wenig ruhen.«

Elvira lächelte matt und nickte.

Ein Palast war die Suite natürlich nicht, aber der helle, weite Raum mit dem geschmackvollen Interieur wirkte einladend und gemütlich, und der Blick auf die gepflegte Parkanlage war tatsächlich ganz zauberhaft. Adam half Elvira zu dem breiten Bett, auf das sie sich seufzend sinken ließ. Seit Wochen hatte sie nicht so entspannt und gelöst gewirkt. Adam konnte sich keinen rechten Reim darauf machen. Und doch stärkte die wundersame Verwandlung seine Zuversicht.

Er nahm auf einem der zierlichen Sessel Platz und sah sich um. In einer Ecke des Raums entdeckte er die dubiose Kiste, von der das Mädchen eben gesprochen hatte, und gab Gisbert im Geiste recht – keine Inkommodation, ganz im Gegenteil. Bedeckt mit dem roten Samttuch wirkte das Ding, als gehöre es zur Einrichtung.

»Adam?« Er zuckte zusammen. Er konnte sich nicht erinnern, wann Elvira zum letzten Mal das Wort direkt an ihn gerichtet, seinen Namen ausgesprochen hatte. Er sprang auf, eilte zu ihr. »Was, meine Liebe, was kann ich für dich tun?«

»Ach, Adam, du guter, guter Mann«, hauchte sie. »Ich wollte dir nur sagen, dass ich dir sehr dankbar bin. Du tust so viel für mich, all das hier! Und ich kann fühlen, dass etwas Großes bevorsteht.« Sie griff nach seiner Hand und presste sie kurz auf ihr milchweißes Dekolleté. »Spürst du, wie aufgeregt mein Herz pocht?«

Adam spürte es. Ihr Herz. Und auch seines, außerdem eine andere körperliche Regung, nicht unangenehm. Es war ewig her, dass sie ihm eine derart intime Geste gewährt hatte.

»Ich würde nun gern ein wenig ruhen, mein lieber Adam«, flüsterte sie. »Wenn du mich für eine Weile allein lassen könntest?«

»Natürlich, meine Liebste.« Adam führte zärtlich ihre feingliedrige Hand an die Lippen, küsste sie sanft und verließ dann den Raum.

Zu seiner Freude fand er Monsieur Gisbert an der Rezeption vor. »Adam, mein lieber Freund! Haben Sie sich gut eingerichtet? Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?«

»Ganz wunderbar«, erwiderte Adam. »Es gibt tatsächlich nur eins, das mir zum Glück noch fehlt …« Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn Anna, das Mädchen, stand plötzlich da, in der Hand ein Tablett, auf dem sich eine Karaffe nebst zwei Cognacschwenkern befand. »Ich dachte, die Herren möchten vielleicht eine Erfrischung zu sich nehmen.«

Adam sah sie verwundert an. Ein Cognac war genau das, was er sich gerade hatte wünschen wollen. Der Concierge nickte Anna wohlwollend zu und lächelte. Dann schenkte er großzügig ein. Sie stießen an. Der Cognac brannte angenehm in Adams Kehle. Als Gisbert ihm die Schachtel mit den Zigaretten hinhielt, griff er dankbar zu. Er gab sich einen Moment dem Wohlbehagen hin. »Es tut gut, hier zu sein«, sagte er dann, um das Schweigen zu brechen. »Aber sagen Sie, lieber Gisbert, was hat es denn nun auf sich mit der geheimnisvollen Kiste?« Nicht, dass es ihn sonderlich interessierte, er hatte andere Dinge im Kopf. Aber es schien ihm ratsam, das Gespräch zunächst in unverbindliche Bahnen zu lenken.

Gisbert winkte ab. »Ach, Plunder. Ägyptischer Plunder, nichts von Interesse wahrscheinlich.« Er zögerte. »Sie wissen ja, wie verrückt die Europäer nach diesem Zeug sind. Ich persönlich halte es offen gestanden für eine Schande, dass man eine so außerordentliche Kultur entwürdigt, indem man fragwürdige Artefakte an sammelwütige Möchtegern-Wissenschaftler verramscht.« Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Bleibt zu hoffen, dass ein solches Schicksal anderen Hochkulturen erspart bleibt. Nicht auszudenken, dass der Schatz von Karthago …«

Adam konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Geschichte war immer Gisberts Steckenpferd gewesen. Schon in seiner Jugend hatte er so lebhaft über Hannibal und Alexander den Großen referieren können, dass Adam ihm einst sogar vorgeschlagen hatte, doch einmal einen Roman über historische Begebenheiten zu verfassen. Natürlich hatte Gisbert lachend abgewinkt. Ein zu windiges Geschäft sei diese Schreiberei doch, zudem furchtbar brotlos. Heute schien ihm der Sinn aber nicht nach historischen Exkursen zu stehen, denn er schwieg, zündete sich eine weitere Zigarette an und musterte Adam nachdenklich. »Ich möchte nicht indiskret sein, mein lieber Freund …«, murmelte er. »Aber gestatten Sie mir bitte die Frage – was ist es, das Sie so bekümmert?«

Adam spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. »Ist es … so offensichtlich?« Er trank einen großen Schluck Cognac.

Gisbert schenkte ihm ein warmes Lächeln. »Nun, ein guter Concierge muss ein feines Gespür für die Befindlichkeiten seiner Gäste haben. Und es ist nicht zu übersehen, dass die Comtesse sich nicht in der allerbesten Verfassung befindet. Sie hat es auf der Brust, nicht wahr?«

Adam seufzte. »Ja, ja. Das auch. Aber unser guter Hausarzt hat mir versichert, dass diesbezüglich kein Anlass zur Sorge besteht.« Er fing Gisberts zweifelnden Blick auf. »Nun, Frauen ihrer Wesensart sind nun einmal anfällig für derlei Leiden. Aber wir waren erst kürzlich in Davos. Die dortige Liegekur ist Elvira ganz ausgezeichnet bekommen; ihre Lunge hat sich vortrefflich erholt.«

»Gut«, murmelte Gisbert zweifelnd. »Das ist gut.«

Adam nickte beflissen. Dabei war der Aufenthalt in Davos möglicherweise der schlimmste Fehler gewesen, den er je begangen hatte. Denn dort hatte das Unheil ja seinen Lauf genommen. Dort war Elvira erst in Kontakt gekommen mit dem ganzen Hokuspokus.

Gisbert schenkte Cognac nach.

»Elviras Problem ist eher nervlicher Natur.« Adam zögerte. »Sie ist derzeit ein wenig überspannt.« Er trank einen großen Schluck. Verfluchte innerlich diese russische Hexe, dieses Medium, das Elvira in der Schweiz kennengelernt hatte.

»Sie braucht viel Ruhe«, plapperte er weiter, während er nach Worten suchte, um Gisbert die Dinge zu erklären, für die er selbst kaum eine Erklärung hatte. Er hatte Elviras erwachendes Interesse für Spiritismus anfangs für eine typisch weibliche Grille gehalten. Darum hatte er ihr nach der Rückkehr aus Davos auch leichtfertig gestattet, mit einem weiteren Medium zu korrespondieren, es dann sogar zu sich einzuladen. Fräulein Matzbach war eine ältliche Dame von mindestens fünfzig, recht belesen, ein wenig verfressen, zuweilen sarkastisch. Aber ihre Gesellschaft schien Elvira wohlzutun. Darum hatte Adam sich weder an ihrer Anwesenheit im Hause noch an den täglich stattfindenden Séancen gestört. Bis Elvira sich zu verändern begann. Sie war stiller geworden, immer bleicher, hatte kaum noch einen Blick oder ein Wort für ihn gehabt. Wie eine Schlafwandlerin war sie durch die Villa geirrt, wenn sie nicht gerade sehnsüchtig seufzend am Fenster saß und mit leerem Blick ins Nichts starrte. Mit jeder Séance war es schlimmer geworden. Mit jedem Tag war Adams Sorge gewachsen. Und darum hatte er irgendwann beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen.

Wie aber hätte er Gisbert, seinem geschätzten Freund, von diesem Moment berichten können, an dem er vor der Tür des Salons gekauert und das Ohr ans Schlüsselloch gepresst hatte? Allein die Erinnerung führte dazu, dass eben dieses so heiß wurde, dass er unwillkürlich das Cognacglas dagegen drückte. Wie konnte er Worte finden für das, was er gehört hatte? Elviras Stimme und diese andere. Eine fremde Stimme, tief und sehr männlich, dazu absolut unerklärlich, befanden sich doch nur Fräulein Matzbach und Elvira im Salon. Allein der Gedanke, das wiederzugeben, was diese Stimmen geäußert hatten, trieb dem armen Adam die Schamesröte ins Gesicht. Elviras Seufzen, ihr verzücktes Säuseln. Ihren unsterblichen Geliebten hatte sie das geheimnisvolle Gegenüber genannt. Von verzehrender Sehnsucht gesprochen, den brennenden Wunsch nach körperlicher Vereinigung in unerhörten Details geschildert. Nein, es gab keine Worte für dieses Entsetzen und den Zorn, der ihn alsbald ergriffen hatte, als die Stimme die Liebesbeteuerungen seiner Gattin leidenschaftlich erwidert hatte. Dinge gesagt hatte, die jede verheiratete Frau empört hätte von sich weisen müssen.

Nicht einmal dem guten Gisbert gegenüber brachte Adam es über sich, das auszusprechen, woran es doch keinen Zweifel geben konnte: Seine wunderbare, unschuldige Elvira war vom rechten Wege abgekommen. Und dass sie sich nicht nach einem anderen Mann verzehrte, sondern nach einem Geist, machte die Sache nicht wirklich besser.

Adam griff nach dem Glas, das Gisbert erneut gefüllt hatte.

Natürlich hatte er Elvira zur Rede gestellt. Sie war zusammengebrochen. Hatte schrecklich geweint. Sie wisse, dass er, Adam, sie liebe. Sie sei seine Frau, nehme ihr Eheversprechen ernst, hatte sie beteuert. Aber das, was sie da heimsuche, sei so stark, so mächtig, dass sie sich nicht wehren könne. Ein Wesen, das nicht von dieser Welt war. Eine Liebe, die sich den Zeiten enthob. Sie hatte von früheren Leben gefaselt, von Inkarnationen und diesem Gefährten, der sich in einer anderen Welt nach ihr verzehrte. Sie sei machtlos gegen sein Werben, zumal der Geist sie mittlerweile nicht nur in den Séancen berühre.

An dieser Stelle hatte Adam das Gespräch abgebrochen. Er war aus dem Raum gestürmt, direkt ins Zimmer von Fräulein Matzbach, um sie zur Rede zu stellen. Das ältliche Fräulein hatte sich bestürzt gezeigt, aber lebhaft seine Unschuld beteuert. Sie sei ja nur, was sie eben sei – ein Medium, von daher nicht wirklich anwesend bei den Séancen, wenn sie in Trance falle, ihr Körper nurmehr ein Gefäß und eine Stimme für den Geist, der sich zu manifestieren wünschte. Und ja, sie sei spirituell begabt, aber keinesfalls in der Lage, sich einer derart mächtigen Präsenz entgegenzustellen, sie in die Schranken zu weisen oder gar zu bannen.

Adam hatte sie aus dem Haus geworfen. Und heimlich gehofft, dass der Spuk so von selbst ein Ende finden würde.

Diese Hoffnung hatte sich allerdings nicht erfüllt. Elvira war von Tag zu Tag durchsichtiger geworden. Sie schien ihm und der Welt völlig zu entgleiten. Und spätestens, nachdem Adam sie erwischt hatte, wie sie nachts aus dem gemeinsamen Schlafzimmer schlich, somnambul auf die Chaiselongue im Salon sank und … Dinge tat. Dinge! Die Adam gesehen hatte, die er aber unter keinen Umständen je irgendwem hätte mitteilen können oder wollen. Seine Elvira, unschuldig und rein! Nicht bei sich, in Trance, ja, ganz offensichtlich, aber das machte es ja umso schlimmer! Spätestens nach diesem Anblick war Adam klar geworden, dass sich das Problem nicht von selbst lösen würde.

In seiner Verzweiflung hatte er sich noch einmal an Fräulein Matzbach gewandt. Das Medium war ihm zum Glück nicht mehr gram gewesen, sondern voller Mitgefühl. Es hatte ihm geraten, Kontakt mit einer gewissen Madame Baltazár aufzunehmen. Die Ungarin sei eine Spiritistin von Weltruhm, ein überaus starkes Medium, und logiere zudem derzeit in Köln. Wenn es jemanden gab, der Elvira von dem unseligen Geist befreien konnte, dann sei es gewiss Madame Baltazár.

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