Kitabı oku: «Zimmer mit Mord», sayfa 3

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Adam hatte der Dame geschrieben. Er hatte ihr den Sachverhalt erläutert. Die nachfolgende Korrespondenz hatte gezeigt, dass die Sache weder billig noch einfach werden würde. Aber Adam war bereit, nach jedem Strohhalm zu greifen. Und darum waren sie hier. Morgen würde sie kommen. Madame Baltazár hatte sich bereit erklärt, sie im Bellevue aufzusuchen. Und das zu tun, was nun eben getan werden musste, um Elvira aus dem schrecklichen Bann zu befreien.

Adam seufzte. Er schluckte. Nein. Er konnte niemandem davon erzählen. Nicht einmal Monsieur Gisbert, der jetzt nachdenklich lächelte und langsam nickte. »Ich verstehe«, murmelte er.

Adam zuckte zusammen. Er klang wirklich, als verstünde er. Hatte er etwa seine, Adams Gedanken gelesen? Verdammt, er wurde noch wahnsinnig über all dem Gespensterunfug! Es reichte! Es reichte wirklich. Er konnte es kaum erwarten, Madame Baltazár zu empfangen. Diesmal würden ihn keine zehn Pferde davon abbringen, an der Séance teilzunehmen. Und wenn dieser Wüstling auftauchte, würde er ihn beim Ektoplasma packen und dahin schicken, wo er hingehörte. Ja, Adam würde kämpfen. Um seine Ehre, seine Ehe, um das Glück seiner kostbaren Elvira.

»Ein zauberhaftes Mysterium, das sind sie wohl, die Damen.« Gisbert zündete sich eine weitere Zigarette an und lächelte. »Als Freund und Concierge verbietet es sich, weiter in Sie zu dringen, mein werter Freund. Aber was immer auch kommen mag, Sie können auf mich zählen, genau wie auf alle anderen in diesem Hause. Und natürlich auf unsere Diskretion.«

»Ich weiß.« Adam lächelte dankbar. »Das weiß ich, mein lieber Gisbert.« Er fühlte sich sonderbar getröstet, dabei ein wenig benommen. Möglicherweise hatte er dem ausgezeichneten Cognac zu entschlossen zugesprochen. Er zog seine Uhr aus der Westentasche, warf einen Blick darauf und erschrak. »So spät schon! Ich sollte dringend nach Elvira schauen!«

Er fand sie wach, aufrecht im Bett sitzend. Ihr Wangen schimmerten rosig. Sie hatte lange nicht so wohl ausgesehen. Das verklärte Lächeln, das um ihre Lippen spielte, verschwand allerdings, sobald sie Adam bemerkte, wich einem fast schuldbewussten Ausdruck.

Adam ignorierte das. »Hast du dich ein wenig ausruhen können, mein Liebling?«

Sie nickte.

»Das ist gut. Fühlst du dich kräftig genug, um hinunter zum Abendessen zu gehen? Hast du überhaupt Appetit?«

Sie schwang die schlanken Beine mit Elan aus dem Bett. »Appetit würde ich es nicht nennen«, verkündete sie. »Eher einen Bärenhunger.«

Sie tänzelte an ihrem fassungslosen Gatten vorbei. »Ich mache mich nur rasch ein wenig frisch«, verkündete sie und verschwand im Badezimmer.

Das gemeinsame Essen erschien Adam wie ein Traum. Der prächtige Speisesaal, das glänzende Silber, das feine Porzellan, der Kerzenschein – all das verblasste neben Elviras leuchtendem Gesicht. Während junge Kellner, streng überwacht von Mathis, beflissen hin- und hereilten, um die Wünsche der Gäste zu erfüllen, konnte Adam kaum den Blick von seiner Frau wenden, die mit erstaunlichem Appetit die Schildkrötensuppe löffelte, sich dann mit freudiger Hingabe dem gebratenen Fasan widmete und schließlich gar noch zwei Portionen des geeisten Obstsorbets, das zum Dessert gereicht wurde, verzehrte. In seiner glücklichen Irritation sprach Adam indes kräftig dem ausgezeichneten Wein zu, derweil sich in seinem Herzen Hoffnung und Zuversicht in glücklichem Reigen einten.

Es war daher nicht verwunderlich, dass er nach dem Essen von einer rechtschaffenen Erschöpfung ergriffen wurde und darum Elviras Wunsch, sich alsbald zur Ruhe zu begeben, nur allzu gern nachkam.

Bald lagen sie in weichen Kissen. Adam hörte, wie Elvira sich unruhig herumwälzte. Kurz erwog er in trunkenem Übermut, ihr vorzuschlagen, das zu tun, was nun einmal Sinn und Zweck einer Ehe war. Aber er wollte das Glück nicht überstrapazieren, außerdem sprachen Cognac und Wein deutlich gegen derlei Vorhaben. Darum schloss er die Augen und fiel in einen tiefen Schlummer.

Was ihn geweckt hatte, hätte er später nicht mehr sagen können. Das Bett neben ihm war leer. Suchend sah er sich um, erblickte Elvira im bleichen Licht des Mondes, das durchs Fenster fiel. Sie kniete vor der Kiste, ihre Hände umklammerten das samtene Tuch und zogen es mit einem Ruck herunter.

»Elvira?« Adams Stimme war heiser. »Was tust du da?«

Sie schien ihn gar nicht zu hören. Sie hob beide Arme. »Geliebter«, deklamierte sie. »Endlich, endlich ist es soweit!«

Schlagartig war Adam hellwach. Er sprang aus dem Bett und erreichte sie, als sie eben den Deckel der Truhe hochgestemmt hatte.

»Elvira, Liebste, das kannst du nicht tun. Diese Dinge gehören uns doch nicht …« Angesichts der bizarren Situation klangen seine Worte auch in seinen Ohren sonderbar unpassend, gleichsam aber unumgänglich, begann Elvira doch nun, mit beiden Händen Holzwolle aus der Kiste zu zerren und hinter sich zu werfen.

»Er gehört mir«, rief sie. »Und ich gehöre ihm!« Ihre Wangen schienen zu glühen, ihre Stimme zitterte vor Erregung. Bald flogen Statuetten und Skarabäen durch die Luft. Adam versuchte, die möglicherweise kostbaren Stücke vor Schaden zu bewahren. Das lenkte ihn immerhin von Elviras keuchendem Atem ab, der ihm einen Schauer über den Rücken jagte. »Gleich«, keuchte sie geisterhaft. »Gleich sind wir vereint, mein Geliebter!« Sie zog einen länglichen Gegenstand vom Grund der Kiste und umschlang ihn mit einem verzückten Schrei. »Mein König, mein geliebter Pharao!« Sie versenkte das Gesicht in die gelblichen Binden, die einen muffigen Geruch verströmten. Stöhnte ekstatisch, während sie das Ding auswickelte. Gelähmt vor Entsetzen sah Adam den vertrockneten Mumienarm, der sich nun enthüllte und den sie umgehend an ihre Brust presste, um ihn gleich danach wieder anzuheben und mit leidenschaftlichen Küssen zu bedecken. Ihm wurde übel, seine Knie wurden weich. Er barg das Gesicht in den Händen. Erst als sie trocken zu husten begann, vermochte er es, den Blick zurück auf die schaurige Szene zu lenken. Sie stöhnte, hustete, sie seufzte, hustete noch mehr, liebkoste dabei den ledernen, widerwärtigen Arm, als sei er alles, was sie je auf dieser Welt begehrt hatte. Adams Gedanken rasten hilflos. Wie gern hätte er ihr das Ding entrissen, es durchs Fenster geschleudert, hinaus in den Park. Aber er konnte es nicht, denn so unheimlich und bizarr die Szene auch wirkte, so genau sah er in Elviras Gesicht doch auch das, wonach er sich so sehr gesehnt hatte. Reines, unendliches Glück! Ja, seine Frau war glücklich, auch wenn sie nun der nächste Hustenkrampf heimsuchte, so heftig, dass sie sich krümmte und zu Boden sank.

Das war zu viel für Adam. Er rannte aus dem Zimmer, wollte um Hilfe rufen, aber er brachte nur ein Krächzen zustande.

Dennoch tauchte umgehend Gisbert auf. »Mein lieber Adam, um Himmels willen, was ist geschehen?«

Adam gab ein gurgelndes Geräusch von sich und deutete auf die Tür zur Kaisersuite.

Schon während Monsieur Gisbert neben Elvira kauerte und nach einem Puls suchte, war ihm klar, dass diese Hoffnung wohl vergeblich war. Der große Blutfleck, der die Brust ihres Nachthemds rot verfärbte, sprach für sich und war weitaus erschreckender als der Mumienarm, den die offensichtlich Verblichene nach wie vor fest umklammerte. Er hörte Adam aufschluchzen.

»Ist sie … o Gott, sie ist doch nicht …«

Der Concierge erhob sich. »Ich fürchte doch, mein armer, lieber Freund. Es tut mir so leid.« Er schloss Adam in die Arme. Und während er dort schluchzte, fragte sich Gisbert, ob es doch angebracht gewesen wäre, die Zweifel, die er am Nachmittag gehegt hatte, laut auszusprechen. Zweifel an der Kompetenz des Crugherrschen Hausarztes nämlich, der offenbar nicht imstande war, eine galoppierende Schwindsucht zu diagnostizieren, auch wenn sie derart offensichtlich war. Ob der Blutsturz, der nun die zarte Lebensflamme der Comtesse ausgepustet hatte, durch die Aufregung verursacht worden war oder ohnehin unvermeidlich gewesen wäre, würde wohl immer ein Geheimnis bleiben. Vielleicht waren es aber auch hochgiftige Pilze, die an Mumien hafteten und für Personen mit einer schwachen Lunge lebensgefährlich waren. All das spielte in diesem Moment allerdings auch keine Rolle, denn es stand fest, dass der armen Elvira nicht mehr zu helfen war.

Obwohl Gisbert kein sonderlich abergläubischer Mann war, beschloss er in diesem Moment, die Kaisersuite nie wieder an junge Ehepaare zu vermieten. Er war als guter Concierge zwar in der Lage, mit derlei Kalamitäten fertig zu werden, aber in dieser Frequenz würden auch ihn derartig fatale Krisen mit Sicherheit auf Dauer überfordern.

»Nun hat er doch gewonnen!« Adams heiseres Flüstern riss ihn aus seinen Gedanken. »Er hat ihr den Arm gereicht, und sie ist mit ihm gegangen.« Er befreite sich aus Gisberts Umarmung und ging neben seiner Gattin in die Hocke. Sanft streichelte er ihre nun wieder so bleiche Wange. »Ich habe es nicht vermocht, dich glücklich zu machen, mein Herz.« Er schluchzte auf. »Dabei war das alles, was ich wollte. Aber jetzt, jetzt bist du es endlich.« Er wandte den Kopf, sah Gisbert an. »Schauen Sie«, flüsterte er und deutete auf Elviras totes Gesicht, auf dem tatsächlich ein verklärtes Lächeln lag. »Ich verspreche dir, dass ihr vereint bleibt, meine Liebste. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde nicht zulassen, dass man ihn dir wieder entreißt. Gisbert wird mir helfen. Gisbert wird eine Lösung finden. Nicht wahr, mein lieber, guter Freund?«

Der Concierge räusperte sich. »Nun«, sagte er. »Nun.« Er dachte daran, dass die Herausforderungen seines Berufs doch ganz anderer Natur zu sein schienen, als er geglaubt hatte. Er dachte an Lady Eva, die, sollte sie je zurückkehren, um diese unselige Kiste abzuholen, gewiss den Verlust eines vermutlich ohnehin nur mäßig wertvollen Mumienarms verschmerzen würde. Dann sah er Adam an, dessen Verzweiflung weit härtere Herzen als seines hätte brechen können.

Er lächelte. »Selbstverständlich, mein armer, lieber Adam. Überlassen Sie alles weitere getrost Ihrem Concierge.«

1919 – Weimarer Republik
Agatha

VON ELKE PISTOR

Das Leben der Dame, die durch den Haupteingang das Hotel betrat, würde sich durch die Begegnung mit Monsieur Gisbert vollkommen verändern. Aber das ahnten zu diesem Zeitpunkt weder die Dame noch Monsieur Gisbert, der in Erwartung neuer Gäste hinter dem Empfangstresen des Bellevue stand, seinen stattlichen Schnauzbart glatt strich und Hänschen, dem Pagen, mit einem Blick bedeutete, sich um das Gepäck der Dame zu kümmern.

So könnte man die folgenden Ereignisse vielleicht als vorherbestimmt bezeichnen oder als unausweichliches Schicksal, auf jeden Fall aber als großes Glück für einen großen Teil der Menschheit. Für einen kleineren Teil, genaugenommen einen sehr viel kleineren Teil, oder, um es exakt zu benennen, für einen Menschen nahmen die Ereignisse allerdings einen eher unerfreulichen Verlauf, an dessen Ende der Tod stand.

Aber das ahnte in diesem Moment ebenfalls noch niemand, und so nutzte Monsieur Gisbert die Zeit, die die Dame benötigte, um die Hotelhalle zu durchschreiten, um sich ein Bild von ihr zu machen.

Die Kleidung elegant, aber zweckmäßig, die Schuhe trotz der Reise sauber. Ihre Miene verriet außer einer leichten unbestimmten Müdigkeit nichts. Monsieur Gisbert schätzte ihr Alter auf Ende Zwanzig, Anfang dreißig. Ihre Koffer, die Hänschen nun auf dem Gepäckwagen durch den Nebeneingang in die Halle schob, zeigten neben dem gutem Geschmack ihrer Besitzerin auch einen Hauch vom Glanz vergangener Tage.

Monsieur Gisbert deutete lächelnd eine leichte Verbeugung an.

»Willkommen im Bellevue«, sagte er, sobald die Dame in Hörweite war. »Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Man hat ein Zimmer für mich reserviert.« Die Dame sprach Englisch mit einem beinahe unhörbaren amerikanischen Akzent. »Mein Mann ist in der Nähe stationiert. Ich besuche ihn.«

Monsieur Gisbert nickte. In der Umgebung gab es mehrere Standorte der alliierten Armeen, die in Folge des verlorenen Weltkrieges das Rheinland besetzt hielten. Die Briten saßen in Köln wie auf einer Insel, umgeben von den Belgiern im linksrheinischen Norden der Rheinprovinz von Aachen bis zum Rhein und den Amerikanern in Koblenz und dem Umland. Er wusste um all die Verhandlungen und Verträge, um die Absichten und Pläne und um den Unmut, den diese in weiten Teilen der Bevölkerung hervorriefen. Aber für Monsieur Gisbert zählte all das nicht. Für ihn war jeder Herr und jede Dame, die das Bellevue betraten, in erster Linie ein Gast, den es wertzuschätzen und zuvorkommend zu behandeln galt, ungeachtet seiner Herkunft, seiner Nationalität und seiner Beweggründe.

»Selbstverständlich«, antwortete er deswegen und blätterte in dem großen Reservierungsbuch auf der Suche nach dem richtigen Eintrag.

»Reserviert für Oberst Archibald Christie«, half ihm die Dame, aber in diesem Moment hatte er ihren Namen bereits entdeckt.

»Dann sind Sie Mrs. Agatha Christie«, stellte Monsieur Gisbert fest und winkte einen der Hausdiener heran. »Es ist schon alles für Sie vorbereitet.«

Monsieur Gisbert sollte Mrs. Christie erst einige Stunden später wiedersehen, nachdem sie auf ihrem Zimmer gespeist und ausgiebig geruht hatte. Allerdings unterschied sich ihr Äußeres zum Zeitpunkt des erneuten Zusammentreffens an der Rezeption doch erheblich von ihrem Erscheinungsbild bei der Ankunft, denn sie trug nichts weiter als ein Nachthemd.

Nun war Monsieur Gisbert kein Kostverächter und schönen Damen in der Nacht durchaus zugetan, aber Mrs. Christie machte nicht den Eindruck, ihm in dieser Hinsicht Avancen machen zu wollen.

»Sie sollten sofort mit mir kommen, Monsieur Gisbert. Aus meinem Nachbarzimmer dringen Schreie und Stöhnen, und ich habe nicht den Eindruck, dass da Vergnügen im Spiel ist.«

Ihr aufgeregter Gesichtsausdruck verriet Monsieur Gisbert, dass etwa Schlimmes geschehen sein musste. Er kräuselte seinen Schnauzbart und schaute auf die Uhr. Es war deutlich nach Mitternacht.

»Handelt es sich um das Zimmer zur Linken oder zur Rechten?«

»Rechts neben meinem. Zuerst habe ich die Geräusche ignoriert, aber mittlerweile bin ich zu der Meinung gelangt, dass dort drinnen dringend Hilfe benötigt wird.«

»Das ist das Zimmer von Frau Idelsberger. Sie und ihre Familie kehren seit vielen Jahren immer wieder bei uns ein. Ihr Gatte ist allerdings heute am späten Nachmittag schon abgereist.«

»Dann befürchte ich, dass Frau Idelsberger ernsthaft erkrankt ist. Es hört sich nach einer Art Anfall an. Ich habe bereits angeklopft, aber das Zimmer ist von innen verschlossen.«

»Ich komme umgehend.« Monsieur Gisbert drehte sich zum Schlüsselbrett um, trat hinter dem Empfangstresen hervor.

Er folgte Mrs. Christie die Treppe hinauf, eilte mit ihr die Flure entlang und blieb schließlich vor der Tür des besagten Zimmers stehen. Er lauschte. Und richtig: Aus dem Zimmer drangen gequälte Geräusche, die nichts Gutes verhießen. Monsieur Gisbert klopfte energisch an die Zimmertür.

»Frau Idelsberger?«, rief er, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten. Nur ein weiteres Stöhnen drang zu ihnen auf den Hotelflur hinaus. Monsieur Gisbert ergriff die Türklinke und rüttelte heftig daran, aber ohne Erfolg. Ungeachtet der späten Stunde hämmerte er gegen das Holz. Die Tür blieb verschlossen.

Auf dem Flur öffneten sich weitere Türen, aus denen fragende Gesichter spähten. Ein junger Mann trat auf den Flur. Als er die Menschenansammlung vor Frau Idelsbergers Zimmertür erblickte, erstarrte er, bevor er sich wieder in sein Zimmer zurückzog.

»Was ist hier für ein Getöse mitten in der Nacht?« Baron Wilhelm von Emsdetten runzelte ärgerlich die Stirn und trat zu Monsieur Gisbert. Er trug einen eleganten nachtblauen Seidenkimono über seinem Pyjama und lederne Hausschuhe. »Brauchen Sie Hilfe?«, fragte er den Concierge mit einer Vertraulichkeit, die seinem Status als häufiger Gast entsprang, Monsieur Gisbert aber immer wieder als unangemessen empfand. Gast blieb Gast, und Hauspersonal blieb Hauspersonal. Wo käme man denn hin, wenn die Grenzen verschwimmen und alle gleich behandelt würden?

»Die Dame in dem Zimmer benötigt Hilfe.« Mrs. Christie deutete auf die Zimmertür und sprach das aus, was Monsieur Gisbert dachte.

»Soll ich sie aufbrechen?«, bot der Baron an und warf sich, ohne eine Antwort abzuwarten, im selben Moment gegen die Tür, die unter dieser Kraftanstrengung zwar erbebte, sich aber ansonsten gänzlich unbeeindruckt zeigte.

Monsieur Mathis, der Oberkellner, und Anna, das Erste Zimmermädchen, traten zu der Szene. Anna trug unter ihrer Haube einen besorgten Gesichtsausdruck zur Schau. Sie kümmerte sich bei jedem der Aufenthalte von Frau Idelsberger um die ältere Dame und betrachtete sich beinahe als ihr persönliches Dienstmädchen.

»Wenn ich Sie daran erinnern darf, Monsieur Gisbert. Frau Idelbergers Zimmer ist mit einer Zwischentür versehen, die direkt ins Zimmer ihrer Tochter führt. Haben Sie versucht, diesen Weg zu gehen?« Der Oberkellner hob die Hand und klopfte energisch gegen die benachbarte Zimmertür, noch bevor Monsieur Gisbert eine Antwort geben konnte. Nichts rührte sich.

»Mademoiselle Anna«, wandte sich Monsieur Gisbert an das Erste Zimmermädchen, »Sie haben doch an Ihrem …«

» … Schlüsselbund den zweiten Schlüssel für das Zimmer«, ergänzte die Angesprochene, drehte sich auf dem Absatz um und eilte zur Treppe, die in den Dienstbotentrakt führte. Wenige Minuten später war sie wieder zur Stelle, steckte den Schüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Hinter ihr drängten Monsieur Gisbert, Mrs. Christie und die anderen Zaungäste ins Zimmer.

Frau Idelsberger lag ausgestreckt auf ihrem Bett. Krämpfe schüttelten ihren Körper; ihr Gesicht war von Schmerzen verzerrt. Röchelnd rang sie nach Luft. Neben ihr auf dem Boden lagen ein Wasserglas und eine Karaffe, deren Inhalt sich auf dem Teppich verteilt und dort einen dunklen Fleck hinterlassen hatte.

Frau Idelsberger richtete sich kurz auf, streckte die Hand nach Monsieur Gisbert aus und fiel dann mit einem heftigen Keuchen wieder zurück in ihre Kissen, bevor sie von einem erneuten Krampf erfasst wurde. Anna eilte an ihre Seite und legte ihr hilflos die Hand auf die Stirn, eine Geste, die beruhigend auf die Kranke wirkte. Trotzdem ging ihr Atem stoßweise, und ihre Worte waren nur schwer zu verstehen.

»Wie gut. Sie sind da.« Wieder streckte sie die Hand aus, diesmal nach Anna.

»Sie glüht.« Das Zimmermädchen wirkte noch besorgter als zuvor.

»Jemand muss die Tochter benachrichtigen.« Monsieur Gisbert ging zu der Zwischentür, die die beiden Zimmer voneinander trennte, klopfte und schob die Tür einen Spalt breit auf, als niemand reagierte. Vorsichtig spähte er hinein. Zu seiner großen Verblüffung war das Zimmer leer, das Bett unberührt. Hinter ihm stöhnte Frau Idelsberger laut auf.

»Lassen Sie mich zu ihr. Ich habe im Weltkrieg als Krankenschwester gearbeitet.« Mrs. Christie war neben ihm als Erste wieder in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, wie Monsieur Gisbert feststellen musste. Diese junge Frau bewies auch in turbulenten Situationen starke Nerven. Das entlockte ihm eine gewisse Bewunderung.

Während Frau Idelsberger Annas Hand umklammerte, zog sie die Beine an sich und krampfte mit noch größerer Heftigkeit als zuvor. Ihr Körper verbog und streckte sich in einem Maße, wie es in ihrem deutlich fortgeschrittenen Alter eigentlich nicht hätte möglich sein dürfen. Sie keuchte, rang nach Luft.

»Heinrich! Heinrich«, rief sie matt. Dann wich alle Spannung aus ihr, und sie glitt reglos in die Kissen zurück.

Mrs. Christie umfasste ihre Handgelenke, hob und senkte die Arme der Kranken, presste sie rhythmisch auf ihren Brustkorb und bemühte sich, das Leben in den Körper zurückzuholen. Vergeblich.

Nach einigen Minuten, in denen nur das angestrengte Arbeiten Mrs. Christies im Zimmer zu hören war, hielt sie inne, ließ von ihr ab und schüttelte bedauernd den Kopf.

Stille trat ein. Alle verharrten reglos, schauten auf den leblosen Körper der alten Dame, aus deren Zügen nun die Anspannung wich, als ergreife sie eine große Erleichterung.

Monsieur Gisbert fasste sich als Erster wieder. Er zwirbelte seinen Schnauzbart, räusperte sich und nickte bedächtig.

»Nun. Ich danke Ihnen allen für Ihre Hilfsbereitschaft bei diesem wirklich sehr bedauernswerten Vorfall. Lassen wir der Toten nun ihre Ruhe. Ich werde mich um die notwendigen Schritte kümmern und mit der Tochter sprechen, sobald die Lage es erlaubt.«

Zum Glück fragte niemand danach, warum die Tochter nicht erschienen war. Er selbst war sich nicht sicher, ob sie nicht vielleicht doch am Mittag mit dem Vater aufgebrochen war, obwohl er sie nicht mit ihm zusammen gesehen hatte.

»Bitte begeben Sie sich wieder auf Ihre Zimmer. Vielleicht finden wir ja alle noch ein wenig Schlaf.« Er breitete die Hände aus und bat die Anwesenden mit dieser stummen Geste, den Raum zu verlassen, der diese schweigend nachkamen. Er würde nicht nur den örtlichen Arzt rufen, um den Totenschein ausstellen zu lassen, sondern auch die Polizei. Auch wenn ihm diese Vorstellung nicht gefiel, denn es war nicht das erste Mal, dass im Bellevue jemand auf unnatürliche Art zu Tode kam, was auf Dauer dem Ruf des Hauses nur schaden konnte. Und dieser Todesfall erschien ihm alles andere als natürlich.

»Warten Sie bitte einen Augenblick, Monsieur Gisbert.« Mrs. Christie berührte ihn leicht am Ärmel seines Anzugs.

»Ja, bitte?«

»Ich bin nicht sicher …« Mrs. Christie zögerte einen Moment, bevor sie weitersprach.

Monsieur Gisbert hob die Augenbrauen.

»Wissen Sie, ich habe nicht nur als Krankenschwester gewirkt, sondern einen großen Teil meiner Zeit in der Apotheke gearbeitet.« Mrs. Christie knetete die Hände.

Der Concierge schwieg abwartend. Er ahnte, worauf sie hinauswollte. Besser gesagt, er hoffte, dass sie auf das hinauswollte, was er im Stillen bereits ahnte. »Ja?«, fragte er schließlich, um sie zum Weitersprechen zu animieren.

»Nun.« Mrs. Christie rang mit sich. »Ich möchte nur ungern einen falschen Verdacht aufkommen lassen, aber …«

Monsieur Gisbert seufzte und schloss die Zimmertür. Er warf der Toten auf dem Bett einen Blick zu, schaute dann wieder die junge Frau in ihrem Nachthemd an.

»Diese Streckkrämpfe, das hohe Fieber, die Atemnot, ihre Unruhe«, zählte Mrs. Christie auf. »Alles das deutet auf eine Vergiftung hin.«

Monsieur Gisbert nickte erneut. Beinahe hätte er gelächelt, wenn es in dieser Situation nicht vollkommen unangebracht gewesen wäre.

Agatha Christie hatte aber ausgesprochen, was sich ihm als Verdacht aufgedrängt hatte: Frau Idelsberger war einem Mord zum Opfer gefallen.

»Diese Symptome passen zu Strychnin.« Mrs. Christie trat an das Bett und betrachtete die Tote. »Allerdings …« Sie runzelte die Stirn, schaute sich um und bückte sich, um die Karaffe aufzuheben. Sie schnupperte daran.

»Aha.«

»Lassen Sie mich an Ihrer Erkenntnis teilhaben?«

»Wie bitte?« Mrs. Christie schreckte wie aus einer tiefen Andacht auf. »Ja. Natürlich. Verzeihen Sie bitte.« Sie hielt die Karaffe hoch. »Sie enthielt Wasser.«

»Natürlich. Anna wird es bereitgestellt haben, als sie das Zimmer zur Nacht hergerichtet hat.«

»So natürlich ist das nicht. Strychnin ist ein schnell wirkendes Gift. Also liegt es nahe, dass man es ihr kurz vor dem Eintreten der Krämpfe verabreicht hat.«

»Dagegen spricht aber, dass die Flüssigkeit in der Karaffe Wasser ist, weil Wasser allein den bitteren Geschmack des Giftes nicht verdeckt hätte. Jedoch …« Er unterbrach sich, ging zu dem am Boden liegenden Glas, hob es hoch und schnupperte daran. »Gin. Damit könnte es gelingen.«

»Sie erstaunen mich, Monsieur Gisbert. Sie erstaunen mich wirklich. Sie scheinen auch ein solides Wissen über dieses Gift zu haben.«

»Man tut, was man kann, gnädige Frau.« Monsieur Gisbert deutete eine Verbeugung an, ging dann auf die Knie und griff unter das Bett. Es dauerte einige Sekunden, bis er ein kleines Medizinfläschchen zutage förderte.

Mrs. Christie nahm das Glas und roch ebenfalls daran. »Beefeater. Ohne Frage«, murmelte sie, roch erneut und nickte, wie um sich selbst zu bestätigen. »Doch darin ist kein Strychnin.« Sie reichte ihm das Glas zurück. »Was ist mit der Medizin?«

»Die Flasche ist leer. Ein Stärkungsmittel.«

»Ich frage mich, welchen Grund jemand haben könnte, eine alte Dame zu ermorden.«

Mrs. Christie schlang die Arme um sich und ließ sie dann auf ihren Bauch gleiten. Sie fröstelte und blickte an sich herunter. Erst jetzt schien ihr aufzufallen, dass sie sich, mit nichts als einem Nachthemd bekleidet, alleine mit einem Herren im Zimmer befand.

»Morgen früh sehen wir sicher klarer«, half ihr Monsieur Gisbert aus der Verlegenheit. Er zog den Schlüssel aus der Tasche, verschloss die Zwischentür und ging zur Tür. »Gehen Sie zu Bett, Madame Christie. In Ihrem Zustand brauchen Sie viel Schlaf.«

»Woher wissen Sie von meinem Zustand, Monsieur Gisbert?« Mrs. Christie sprach leise, sah ihn aber sehr interessiert an. Der Concierge hob den Kopf und lächelte. Selbst die wenigen Stunden Schlaf hatten der jungen Frau gut getan. Sie sah erholter aus als noch am Vortag. Oder war es die Aufregung um den rätselhaften Todesfall, die etwas Rot auf ihre Wangen gebracht hatte? Er selbst war schon seit fünf Uhr früh wieder auf den Beinen, hatte sich um alles gekümmert. Der Bestatter und die Herren von der Polizei waren bereits wieder fort und hatten zur großen Zufriedenheit Monsieur Gisberts Frau Idelsbergers sterbliche Überreste diskret mit sich genommen, bevor die ersten Hotelgäste erwacht waren. Denn auch wenn einige Gäste Zeugen des nächtlichen Geschehens geworden waren, so hatten die meisten doch die Aufregung selig verschlafen, und das sollte auch so bleiben. Immerhin waren die Gäste zur Erholung hier und nicht, um Schauergeschichten zu erleben.

»Durch Beobachtung, Madame Christie. Ich schaue mir die Menschen in meiner Umgebung genauestens an, füge einzelne Details zu einem Ganzen und komme dann zur Erkenntnis.«

»Welche Beobachtungen haben in meinem Fall denn zur Erkenntnis geführt?«

»Sie sind recht jung verheiratet. Beim Eintragen in das Hotelbuch haben Sie zunächst Ihre Unterschrift mit den Buchstaben »Mil« begonnen, dann aber durchgestrichen und mit Ihrem Ehenamen unterschrieben. Dann haben Sie sich sofort nach dem Essen niedergelegt und sehr viel geschlafen. Ihr geschärfter Geruchssinn. Die letzte Bestätigung gab mir Ihre Geste gestern Nacht, mit der Sie Ihren Leib geschützt haben. Eine typische Handbewegung, wenn Sie mir die Bemerkung verzeihen.«

»Sehr gut, Monsieur Gisbert. Eine erstaunliche Beobachtungsgabe, nein: Lebenserfahrung für jemanden, der ähnlich alt wie ich ist.«

Der Concierge lächelte bescheiden.

»Auch wenn das sicherlich kein Thema zwischen einer englischen Dame und ihrem Gastgeber sein sollte, so haben Sie nicht nur recht, sondern geben mir auch Anlass zu Bewunderung und Hoffnung.«

»Hoffnung? Worauf?«

»Dass wir beide hinter das Rätsel von Frau Idelsbergers Tod kommen.«

»Wir beide?« Monsieur Gisbert war für einen Augenblick sprachlos, was nicht sehr häufig vorkam.

»Natürlich wir beide. Wir waren uns doch gestern Abend bereits einig, dass Gift im Spiel sein muss. Da stellt sich doch die Frage nach dem Warum und Wer ganz automatisch.« Mrs. Christies Wangen glühten nun vor Aufregung. Sie trat einen Schritt näher an den Empfangstresen und legte beide Hände flach darauf. »Wissen Sie, Monsieur Gisbert, ich habe mit meiner Schwester gewettet, dass ich es schaffe, einen Kriminalroman zu schreiben. Ich habe auch schon damit begonnen, aber der Funke springt noch nicht über. Mir fehlt die praktische Erfahrung zur Inspiration.«

»Nun ja. Man muss nicht in der Pfanne gelegen haben, um über gebratenes Wild zu schreiben, denke ich.«

»Nein.« Mrs. Christie lachte leise auf. »Aber es schadet sicher nicht, dem Koch beim Zubereiten über die Schulter zu schauen.« Sie schob die Schultern zurück und straffte sich. »Mein Mann wird erst heute Abend hier erscheinen. Ich habe also den ganzen Tag Zeit. Wie gehen wir vor?«

Beinahe hätte Monsieur Gisbert erwartet, dass die englische Dame wie ein kleines Mädchen vor Aufregung auf und ab gehüpft wäre. Er lächelte.

»Nun. Als Erstes sortieren wir die Tatsachen und bringen sie in eine ordentliche Reihenfolge. Dann prüfen wir, was wichtig und was unwichtig ist. Das Wichtige behalten wir, das Unwichtige verwerfen wir. Et voilà – wird die Lösung vor uns liegen.«

»Wunderbar, mein lieber Monsieur Gisbert.« Sie öffnete ihre Handtasche und entnahm ihr ein kleines Notizbuch samt Bleistift. »Was wird die Polizei dazu sagen?«

»Ich fürchte, Madame Christie, wir setzen uns dem schweren Verdacht aus, neugierig zu sein.« Wieder schmunzelte er.

»Wir werden erst zur Polizei gehen, wenn wir schlüssige Beweise haben, Monsieur Gisbert. Die haben ihre Methoden, und wir haben die unseren.« Sie schaute sich in der Lobby des Hotels um. »Beginnen wir mit der Familie.« Sie drehte den Bleistift in den Händen und schaute Monsieur Gisbert erwartungsvoll an. Als dieser ihren Blick nur stumm erwiderte, ergänzte sie: »Herr Idelsberger, der Ehemann der Verstorbenen, und die Tochter.«

»Herr Idelsberger ist bereits der zweite Gatte. Sie haben vor zwei Jahren geheiratet. Er ist ein paar Jahre jünger als seine Frau. Die Tochter entstammt ihrer ersten Ehe. Er ist gestern abgereist und war also über Nacht nicht mehr im Haus.«

»War?«

»Richtig.« Monsieur Gisbert nickte. »Heute Morgen stand er sehr aufgeregt vor mir und sagte, die Polizei habe ihn informiert.«

»Kennen Sie den Grund für seine Abreise? Vielleicht ist etwas geschehen?«

»Peut-être«, murmelte Monsieur Gisbert. Er strich über seinen Leib, der allmählich einen stattlichen Umfang anzunehmen begann, rückte die Weste zurecht und trat hinter dem Empfangstresen hervor. »Vielleicht hatte es auch etwas mit der jungen Dame zu tun, die die Idelbergers gestern zum Essen hier empfangen haben. Folgen Sie mir bitte, Madame Christie.«

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