Kitabı oku: «Der Richter in mir», sayfa 3



Es gibt nur das eine Foto vom Abendmahl (Abb. 3.10) aus der Kirche, deswegen auch die schlechte Qualität.
Im Jahr 2007 haben die Polen diese Kirche originalgetreu renoviert (Abb. 3.11).
René, Kreativität kennt keine Grenzen, wie man an dem Großvater erkennen kann. Das könntest glatt du sein.
Ach, Richter, wenn man mich lassen würde – aber dann richtig!
„Ein Beispiel für das selbstbewusste Handeln meines Großvaters: Für den Einsatz der Feuerwehr bestimmte grundsätzlich er, welches Pferdegespann aus dem Dorf die Spritzenpumpe ziehen musste. Er erkundigte sich stets vorher, wo es brannte. War das Gebäude sanierungsbedürftig und lagerten darin keine wertvollen Güter, wurden schwere, langsame Pferde vorgespannt, war es hingegen ein gutes Gebäude, wurden schnelle Warmblüter eingesetzt. Im ersten Fall wurde der Brandschaden größer, die von der Brandkasse zu zahlende Versicherungssumme auch. Hier nun ein Beispiel für das geschickte Regeln einer Sache: Zu dem Hausgrundstück meines Großvaters gehörte 1 Morgen Ackerland (= 2.553 Quadratmeter). Diese Fläche verpachtete er an den Friseur, der mit seiner Familie sehr ärmlich lebte und das Land gern haben wollte. Als Pachtpreis wurde vereinbart, dass der Friseur jeden Tag morgens um 8 Uhr zu meinem Großvater kommen musste, um ihn zu rasieren, ihm den Bart zu stutzen und bei Bedarf die Haare zu schneiden. Das war für beide Seiten eine günstige Regelung, zumal der Friseur nur 150 Meter entfernt wohnte. Durchsetzungsfähigkeit, Verhandlungsgeschick und Mut zu unkonventionellen, konsequenten Entscheidungen waren die hervorragenden Eigenschaften meines Großvaters. Die Kraft seiner Persönlichkeit war sicherlich die Ursache für seinen wirtschaftlichen Erfolg. Ich habe öfter beobachtet, dass er respektgebietend wirkte, distanziert und auch hart war. Seine beiden Söhne hatten wohl auch zu leiden und waren gegenüber dem Vater oft aufsässig. Sein Sohn Arthur beispielsweise ging als Achtzehnjähriger mit Gleichaltrigen aus dem Dorf zum Tanzen in eine Arbeitersiedlung. Das hatte ihm sein Vater verboten, weil zwischen Bauern und Arbeitern soziale Spannungen bestanden. Erwartungsgemäß kam es zur Prügelei, Arthur wurden Rippen gebrochen und seine Freunde brachten ihn nach Hause.“
Ist das wahr, René? Dein Opa Arthur, ein Bauer, bekam die Hucke voll von Arbeitern?
So ist das, Richter, wenn man als Achtzehnjähriger nicht hören kann oder will. Ich kenne so was auch.
„Ungerührt sagte mein Großvater: ‚Ihr habt ihn dahin mitgenommen, also seht zu, wie ihr ihn ins Krankenhaus bekommt.‘ Das Krankenhaus war fünfzehn Kilometer entfernt, es gab weder Autos noch Krankenwagen noch Telefon. Sohn Arthur verließ schließlich mit etwa zwanzig Jahren bei Nacht und Nebel ohne Abschied das Elternhaus. Einige Monate lang gab es keinen Kontakt zwischen Vater und Sohn, bis meine Großmutter es in die Hand nahm und zwischen den beiden vermittelte. Ohne elterliche Hilfe machte er eine Ausbildung zum Diakon und war danach in den Von Bodelschwinghschen Anstalten für psychisch Kranke in Bethel angestellt. Anfang der 30er Jahre heiratete er und wohnte mit seiner Frau in Holzminden. 1934 bekamen sie eine Tochter, Hannelore Karge, die der Verfasser der Chronik nie kennengelernt hat.“
René, jetzt werde ich stutzig. In deiner Kinderheimakte steht 1933, und du schreibst hier 1934?
Stimmt, Richter. Aber ich lasse jetzt hier in der Chronik das Jahr 1934 stehen, denn den Verfasser kann ich nicht fragen, schließlich kenne ich ihn noch nicht.
„Später schlossen Vater und Sohn Frieden, ihr Verhältnis zueinander blieb aber distanziert. Auch mit Sohn Oskar ging es nicht glatt. Dieser hatte ein Verhältnis mit Frieda Kretschmer, Tochter des Altenlohmer Maurermeisters. Am 29. Januar 1929 bekam Frieda einen Sohn, Heinz, und im Sommer 1930 heirateten sie. Aber Frieda wollte nicht mit den Schwiegereltern auf dem Hof zusammenleben. Erst als mein Großvater das Altenteilerhaus (das Ausgedinge) fertig gebaut hatte und vom Hof wegzog, zog sie auf den Hof. Es war offensichtlich nicht leicht, sich gegen den Willen meines Großvaters durchzusetzen. Das zeigt sich auch in der Abbildung (Abb. 3.12): Statur, Haltung, Gangart und Gesamteindruck dieses Mannes signalisieren dem Betrachter: ‚Ich weiß, was ich will, und ich will es durchsetzen.‘ Daneben der zweiunddreißigjährige Sohn Oskar versuchte es sowohl in Kleidung als auch in seinem Gesamteindruck dem Vater gleichzutun.“

„Großmutter Berta Karge (Abb. 3.2) war eine resolute Bauersfrau: zupackend, tüchtig, liebevoll für Kinder und Enkel sorgend. Ihre Wirkungsfelder waren Küche, Haus und Garten. Sie arbeitete ständig und hatte trotzdem immer Zeit für uns Kinder. Obwohl ich sie täglich um mich hatte – wir wohnten ja im selben Haus (Abb. 3.6) –, kann ich eigentlich nichts Besonderes von ihr berichten. Sie war immer da und regelte den Alltag zuverlässig und sicher. Ohne diese Frau hätte mein Großvater seine vielen Aktivitäten nie erfolgreich durchführen können. Die letzten zehn Lebensjahre meiner Großeltern waren so eng mit meinem Leben verknüpft, dass diese Zeit zusammen mit meinem eigenen Leben behandelt werden soll.
Elterngeneration der Karge: Großmutter und ihre Brüder, Zeitraum 1895 bis 1985:
Meine Großeltern hatten drei Kinder – zwei Söhne und eine Tochter. Der Erstgeborene und spätere Hoferbe, Oskar Karge, wurde 1897 in Rosenthal geboren und ist 1984 in Warza bei Gotha gestorben. Ein oder zwei Jahre später wurde sein Bruder Arthur Karge geboren, dieser ist im Herbst 1944 als Sanitätssoldat an der Ostfront in Russland gefallen. Mehr als zehn Jahre nach ihren Brüdern wurde meine Mutter Elsa Frieda Karge am 19. Mai 1910 in Altenlohm geboren. Sie starb am 29. April 1984 in Baumerlenbach/Baden-Württemberg. Alle drei Kinder wurden in ein bäuerliches Leben hineingeboren, daher gingen die Jungen, nachdem sie die Grundschule absolviert hatten, in eine gute Landwirtschaftsschule. Das Mädchen kam in eine Hauswirtschaftsschule und erhielt zudem Klavierunterricht, wie damals viele Töchter auf den Höfen. Alle Kinder lernten den Umgang mit Nutz- und Haustieren. Von meiner Mutter weiß ich, dass sie schon als Zwölfjährige ohne erwachsene Begleitung die Strecke zum sechs Kilometer entfernten Bahnhof mit der Kutsche fuhr und auch allein zum Klavierunterricht in die vierzehn Kilometer entfernte Stadt kutschierte. Hoferbe Oskar übernahm 1932 den Hof, während Elsa das Hausgrundstück und Bargeld erben sollte. Arthur sollte sein Erbe ausschließlich in Bargeld erhalten. Außerdem war vorgesehen, einen an den angrenzenden 40-Hektar-Betrieb (das Friese-Gut) zu kaufen, was aber in den 1930er Jahren aus mir nicht bekannten Gründen vom Staat nicht gestattet wurde. Die Großeltern wollten, dass Arthur und Elsa auf Höfe einheirateten. Die beiden hatten jedoch andere Pläne. Mein Onkel Arthur verließ, wie schon berichtet, das Elternhaus im Zorn. Meine Mutter heiratete einen Lehrer. Sie hatte es leichter als ihre Brüder, denn sie war der Liebling ihres Vaters und ein verwöhntes Kind. So ist zum Beispiel mein Großvater mit seiner zehnjährigen Tochter mit der Eisenbahn die rund einhundert Kilometer bis nach Breslau gefahren, nur um einen Mantel für das Kind zu kaufen. Dem Mädchen gefiel nämlich in sämtlichen Geschäften der vierzehn Kilometer entfernten Stadt Haynau kein einziger Mantel. Dieses Verwöhntsein hat sie ihr Leben lang nicht abgelegt. Häufig forderte sie von anderen einen Einsatz, den sie selbst zu geben nicht fähig oder bereit gewesen wäre. Jedoch wurde alle drei Kinder meiner Großeltern zu Leistungsbereitschaft, Ehrgeiz und Durchsetzungskraft erzogen.“

Ein Dankeschön geht an meinen Großcousins U. Von ihm bekam ich am 9. November 2014, genau 25 Jahre nach dem Mauerfall, eine E-Mail, in der er mir mitteilte, dass auch Verwandte von mütterlicher Seite da seien. Zu verdanken habe ich diese positive Nachricht der Behörde in Holzminden, dem Geburtsort meiner Mutter, die mir bei der Suche unbürokratisch geholfen hat. Danke, Holzminden!
Meinen Opa Arthur konnte ich nicht kennenlernen, denn er ist am 22.03.1945 gefallen. Bei dem, was U. in der Familienchronik über meinen Opa Arthur geschrieben hat, kann ich Ähnlichkeiten entdecken, denn hin und wieder habe ich mich gefragt: René, von wem hast du das? Lieber Großcousins U., jetzt weiß ich es! Ich danke dir für die Auszüge aus der Familienchronik, die mich ein wichtiges Stück weitergebracht haben.

Die Nachricht an meine Oma Charlotte Maria Karge, dass Opa Arthur auf dem Friedhof zu Zirz in Ungarn zur letzten Ruhe gebettet wurde.
Gebiet und Bevölkerung Niederschlesiens
Von 1919 bis 1938 und von 1941 bis 1945 war Niederschlesien eine eigenständige preußische Provinz mit der Hauptstadt Breslau. Die Provinz Niederschlesien wurde 1919 durch Teilung der bisherigen Provinz Schlesien gegründet und bestand im Wesentlichen aus den Regierungsbezirken Liegnitz und Breslau. Als Folge des Zweiten Weltkrieges wurden 1945 die Landesteile Niederschlesiens östlich der Oder-Neiße-Linie unter polnische Verwaltung gestellt.
Der kleine Teil westlich der Lausitzer Neiße, der allerdings – mit Ausnahme des Dorfes Pechern – historisch ein Teil der Oberlausitz war, nicht zum Kernland Niederschlesiens gehörte und diesem erst nach 1815 durch die preußische Verwaltungsreform angeschlossen wurde, gehört heute zu den deutschen Ländern Sachsen und Brandenburg. Es handelt sich um das Gebiet um Görlitz, Hoyerswerda, Rothenburg, Weißwasser, Niesky, Ruhland und Ortrand (siehe auch Niederschlesischer Oberlausitzkreis und Landkreis Oberspreewald-Lausitz).
Seit 1999 gibt es eine polnische Woiwodschaft Niederschlesien, die teilweise mit dem historischen Niederschlesien übereinstimmt.
Provinz Schlesien: 37.013 km2; 4.846.333 Einwohner (Mai 1939)
Begriff nach 1945
Unterrichtungstafel der A 4 an der alten Grenze bei Weißenberg
Die Verwendung des Landschaftsnamens „Schlesien“ oder „Niederschlesien“ für die Gebiete westlich der Lausitzer Neiße war bis 1989/1990 in der DDR offiziell nicht erwünscht und nur bis 1968 im Namen „Evangelische Kirche von Schlesien“ gebräuchlich. Danach untersagte die DDR-Führung der Landeskirche den Gebrauch des Begriffs und sie nannte sich „Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes“.
Der 1990 gegründete Landesverband Sachsen der Jungen Union nennt sich „Junge Union Sachsen & Niederschlesien“. Die Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes nahm 1992 den neuen Namen „Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz“ (EKsOL) an.
1994 entstand nach der Landkreisreform in Sachsen der Niederschlesische Oberlausitzkreis aus den Kreisen Görlitz-Land, Niesky und Weißwasser. Im August 2008 ging er im neuen Landkreis Görlitz auf. Nach einer Reform der polizeilichen Verwaltungsstrukturen in Sachsen entstand 2005 aus der Zusammenlegung der Polizeidirektionen Bautzen und Görlitz die Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien. Diese wurde zum 1. Januar 2013 in „Polizeidirektion Görlitz“ umbenannt. Das Sächsische Kulturraumgesetz hat einen Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien für die kommunale kulturelle Zusammenarbeit definiert.
Die Evangelische Kirche der schlesischen Oberlausitz fusionierte am 1. Januar 2004 mit der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zur Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz. Der CVJM-Landesverband Schlesische Oberlausitz e. V. hat seinen Sitz in Görlitz.
Ferner spielt der Niederschlesische Fußballverein Gelb-Weiß Görlitz 09 in der Sachsenliga.
Auch die Sparkasse im Landkreis Görlitz trägt den Namen „Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien“, die Volksbank firmiert unter „Volksbank Raiffeisenbank Niederschlesien e. G.“ und die Verkehrsbetriebe heißen korrekt „Niederschlesische Verkehrsgesellschaft“.
Im russischen Sektor
René, jetzt hast du ja erfahren, dass deine Mutter aus einer wohlbehüteten und sesshaften Familie stammt. Wie kam es dazu, dass sie in den russischen Sektor geraten ist?
Richter, ich habe mit meinem Großcousin telefoniert und darüber gesprochen. Der Vater ihrer Tochter R. spielt da eine Rolle. Sie hat den Kindsvater, der aus Dresden stammt, in Holzminden geheiratet und zog 1955 mit ihm nach Dresden. Dort kam es zur Scheidung, und schon ein Jahr später, 1956, wollte sie wieder nach Hause, was nicht mehr ging, weil sie in die Fänge des MfS geraten war. Richter, das klingt nach Heiratsschwindel, um Menschen aus dem Westen in den russischen Sektor zu entführen! Wer lässt sich nach so einer kurzen Zeit schon scheiden und will wieder nach Hause? – Ich bin die Unterlagen aus der Kinderheimakte durchgegangen und habe Folgendes herausgefunden:
Meine Mutter kommt aus einer gutbürgerlichen Familie. Deren Wurzeln sind in Altenlohm und Rosenthal – beide Orte in Niederschlesien gelegen. Wer aus solch einer Familie kommt, ist mit Sicherheit nicht freiwillig in den russischen Sektor gegangen.
So muss es gelaufen sein mit meiner Mutter, den Geschwistern mütterlicherseits und mir. Das Wort „Zwangsadoption“ spielt in dem Kapitel eine gewichtige Rolle. Meine Mutter wurde am 19.09.1933 in Holzminden in Niedersachsen als Hannelore Charlotte Maria Karge geboren, ihr Vater war Deutscher, von ihrer Mutter weiß ich nur wenig. Aus einem Urteil West B 182/70 – WK ID 278/70 vom 5. und 6. Februar 1971 Kreisgericht Dresden, Stadtbezirk West geht hervor, dass meine Mutter aus einer Arbeiterfamilie stammt. Von 1940 bis 1948 besuchte sie in Holzminden die Grundschule und wurde aus der 8. Klasse entlassen. Danach war sie in verschiedenen Haushalten als Wirtschaftskraft tätig. Wenn man weiterliest, weiß man auch, woher das Gericht diese Informationen hatte. Am 7. Februar 1951 kam in Holzminden ihr Halbbruder Herbert Nowack auf diese Welt. Dank des völkerrechtswidrigen Mauerbaus vom 13. August 1961 konnte ich Onkel Herbert jedoch nie kennenlernen, laut Informationen des örtlichen Amts soll er bereits verstorben sein. Anfang der 50er Jahre muss meine Mutter ihren ersten Mann, M. M., kennengelernt haben, er stammte aus der am 7.10.1949 neu gegründeten DDR. 1954 bekam meine Mutter eine Tochter, R. M., und am 23. März 1955 zog sie von Holzminden nach Negenborn (Landkreis Holzminden). Im Jahr 1955 kam die junge Familie frisch verheiratet nach Dresden, wo M. M. herkam, bevor er in den Westen ging, um eine BRD-Bürgerin zu heiraten. In Dresden fand die Familie nicht gleich eine Wohnung. Sie gaben das Kind R. zu einer Frau F. Seit dem 19.09.2014 weiß ich, dass Frau F. mit Vornamen E. heißt und eine Schwester von M. M. ist. 1956 erhielt meine Mutter eine Wohnung in Dresden, Nürnbergerstraße 47. In diesem Jahr bekam sie ihr zweites Kind von M. M., nur wurde dieses auf dem Gebiet der DDR geboren, war also zur damaligen Zeit Eigentum der DDR. Da die junge Familie nun eine Wohnung hatte, wollte meine Mutter ihr Kind R. zurückhaben und bat Frau F. – wie bereits erwähnt die Schwester von M. M. – um Herausgabe. Diese jedoch gab das Kind mit der Begründung, dass sie (meine Mutter) ja aus dem Westen sei und er (der Vater der ersten Tochter R.) ein Rückkehrer, nicht zurück. Auf Anordnung des Referats Jugendhilfe, Abteilung Volksbildung, Frau G. N., konnte Frau F. das Kind adoptieren und bei sich behalten. Meine Mutter ließ sich schließlich von M. M. scheiden. Ich gehe davon aus, dass sie mit der Situation völlig überfordert war und mit den Gepflogenheiten in der DDR als BRD-Bürgerin nicht zurechtkam. Sie wollte wieder zurück zu ihrer Familie, während M. M. bleiben wollte. So kam es dazu, dass ein Kind, welches in der damaligen BRD geboren war, bei der Schwester von M. M. in der DDR aufwachsen musste. Ich gehe davon aus, dass diese Tochter, R. M., nicht einmal wusste, dass sie in Holzminden geboren worden war und es vermutlich erst nach der Vollendung ihres achtzehnten Lebensjahres erfahren hat.
René, merkst du noch was? Das sind die Namen deiner Geschwister! Die wurden zur Adoption freigegeben.
Klappe, Richter! Ja, das sind meine Geschwister, wie du es schon erkannt hast – die Kinder meiner verstorbenen Mutter.
Laut Jugendamt/Adoptionsvermittlung Dresden teilt Frau F. mit, dass R. krank und es aus diesem Grund nicht möglich sei, meine Schwester von mütterlicher Seite kennenzulernen. Herr M. M. durfte seine Tochter D. 1964 adoptieren. Ich selbst habe im Jahr 2000 meine Schwester D. mütterlicherseits kennengelernt und telefoniere ab und zu mit ihr. Das Thema „Vergangenheit“ ist für sie ein rotes Tuch, da unsere Mutter ihr Schlafmittel gegeben hat, als sie vorhatte, die DDR zu verlassen. D. gibt an, dass sie R. und die anderen Geschwister mütterlicherseits nicht kennt. Am 16.1.1960 bekam meine Mutter das Kind C., ein Mädchen, dessen Vater ebenfalls M. M. ist. In der Kinderheimakte ist vermerkt, dass C. wenige Tage nach ihrer Geburt an Lungenentzündung gestorben sei.

Wohlgemerkt, in der Anklageschrift vom 13.09.1961, also einen Monat nach dem Mauerbau und noch bevor meine Mutter verhaftet wurde, ist folgender Satz vermerkt: „Die am 19.9.1933 geborene Angeklagte ist geschieden. Sie ist Mutter von 3 Kindern, von denen 1 ihren Hausstand noch teilt.“ Die drei Kinder, von denen die Rede ist, sind also R., geboren 1954, D., geboren 1956, und C., geboren 1960. Mit mir war meine Mutter gerade schwanger. Am 23.10.1961 wurde meine Mutter inhaftiert. Was sie und ich in dem Haftkrankenhaus erleben mussten, schildere ich an dieser Stelle nicht, aber eines sei gesagt: Wir hatten es mit Tätern und Mördern zu tun! Hier liegt also eine vorgetäuschte Eheschließung vor, um eine Frau mit ihrem Kind aus dem Westen in die DDR zu locken, und damit dies nicht bekannt wurde, verurteilte man meine Mutter einen Monat nach dem Mauerbau, angeblich wegen Kindesmisshandlung, für ein Jahr. In der Haft wurde meine Mutter entsozialisiert und während der Schwangerschaft mit Psychopharmaka psychisch zersetzt. Mir hat man ab dem 4.4.1962 – ich war gerade einen Monat alt – das Neuroleptikum Propaphenin verabreicht, was meine Mutter nicht verhindern konnte, denn sie war am 23.3.1962 in den STVA Görlitz verlegt worden. Am 28.4.1962 wurde ich in das Dauersäuglingsheim Weinbergstraße 2 in Dresden verlegt. Ich habe die Kinderheimakte studiert, bin jede Seite durchgegangen und stelle mir die Frage: Wer waren M. M. und seine Schwester E. M., heute Frau F., wirklich? Was die Aufgabe von Frau G. N. vom Referat Jugendhilfe Abteilung Volksbildung war, weiß ich, seit ich meine Mutter im Alter von achtzehn Jahren richtig kennenlernen konnte. Wie man auf wehrlose Menschen einen solchen Hass entwickeln, wehrlosen Müttern die Kinder wegnehmen und diese an SED-Kader vermitteln konnte, ist mir schleierhaft. So etwas geschah mehr als 70.000 Mal in der DDR! Frau G. N. war auch nach der Wiedervereinigung als Referatsleiterin im Rathaus Dresden tätig. Die Frau hat in ihrer Position Familien zerstört, anders kann man es nicht beschreiben. Mir gelingt es nicht, mich in solche Personen gedanklich hineinzuversetzen. 1963 bekam meine Mutter wieder eine Tochter, Ra. Der Vater ist ein Herr V. Auch dieses Kind wurde ihr weggenommen. Die Gründe sind mir nicht bekannt, die Daten und Fakten jedoch konnte ich der Kinderheimakte entnehmen.
Heute wirft sich mir die folgende Frage auf: Wenn die erste, 1954 in Holzminden geborene Tochter meiner Mutter, R., vom Referat Jugendhilfe der DDR der Schwester von M. M. anvertraut wurde und die zweite Tochter, D., 1956 in Dresden geboren, von M. M. adoptiert wurde – kennen sich dann etwa die Geschwister R. und D.? Zumindest wohnen M. M. und seine Schwester E. F. in derselben Stadt. Meine Schwester D. habe ich im Jahr 2000 kennengelernt, und zu dem Zeitpunkt wusste D. nichts von der Existenz ihrer Schwester R. Wie haben E. F. und ihr Bruder M. M. das hinbekommen mit den zwei Töchtern meiner Mutter, die sich laut Aussage meiner Schwester D. bis heute nicht kennengelernt haben? Haben E. F. und M. M. die Kinder belogen? Durften die Kinder sich nicht sehen oder waren die Geschwister E. F. und M. M. gar zerstritten? All dies sind Fragen, die noch offen sind. Die Abteilung Adoptionsvermittlung des Jugendamtes Dresden schweigt auf meine Anfragen. Die Wahrheit wird gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Meine Oma, Charlotte Karge, war gegen die Hochzeit meiner Mutter mit M. M. Es gab Gerüchte, dass Spitzel des MfS versuchten, Menschen aus dem Westen in den russischen Sektor zu locken. In diesem Fall ist es offenbar mit einer Hochzeit geglückt. Meine Mutter war Anfang zwanzig, und in dem Alter zählt die große Liebe mehr als beherzte Worte einer Mutter. Weil durch die Übersiedlung in den russischen Sektor auch das Kind R. Eigentum der DDR wurde und sich unsere Mutter in den Fängen des MfS und des Referats Jugendhilfe befand, scheiterte 1956 der Grenzübertritt zurück in den Westen.
ARTIKEL 5
(1) Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts binden die Staatsgewalt und jeden Bürger.
(2) Die Aufrechterhaltung und Wahrung freundschaftlicher Beziehungen zu allen Völkern ist die Pflicht der Staatsgewalt.
(3) Kein Bürger darf an kriegerischen Handlungen teilnehmen, die der Unterdrückung eines Volkes dienen.
Sag mal, René, wenn man als Rückkehrer galt, musste man nicht erst zur Überprüfung in ein Lager des MfS?
Das stimmt, doch wenn es sich um IMs (inoffizielle Mitarbeiter) oder MfS-Mitarbeiter handelte, wenn Verwandte oder Familienmitglieder bei „Horch und Guck“ beschäftigt waren, dann mussten diese nicht in so ein Lager. Weißt du, ich musste schlucken, als ich während meiner Recherchen las, wie man mit Rückkehrern umgegangen ist. Dieser Mann, den meine Mutter in Holzminden geheiratet hat, musste nicht in ein solches Lager. Es war ihm sogar möglich, nach der Scheidung von meiner Mutter seine Tochter D. zu adoptieren, was nicht die Regel war.
Mensch, René, das entwickelt sich ja noch zu einem Krimi!
Keine Ahnung, Richter, wohin das führt. Ich bemerke nur, dass Aufarbeitung nottut, damit nicht alles unter den Teppich gefegt wird. Mit der geschwärzten Anklageschrift und „Im Namen des Volkes! In der Strafsache“ versucht man es zumindest. Hier wurden wesentliche Textpassagen geschwärzt, was, dem BStU Dresden sei Dank, das Aufarbeiten so langwierig macht.
René, zeig doch mal das Schreiben, das dir Frau G. zugeschickt hat!
Das werde ich gleich tun, Richter. Oh ja, Frau G. vom BStU Dresden verweigert mir, die Originale zu sichten. Ganz sicher ist das nicht im Sinne des Gesetzgebers. Ich habe einen Rechtsanspruch auf Akteneinsicht, und das sollte dem BStU in Dresden klar sein. Das Schwärzen von Dritten, von eventuellen IMs und MfS-Mitarbeiten, ist leider legitim, doch kenne ich die Personen vom VEB Horch und Guck, seit ich beim Referat Jugendhilfe unter dem Pantoffeln stand. Zum BStU Dresden kann ich nur sagen: VEB Schwärzen und Vertuschen – wir kehren alles unter den Teppich und lassen der Geschichte ihren Lauf. Dabei ist es doch mein Ansinnen, Betroffenen zu erzählen, wie wichtig die Aufarbeitung der Vergangenheit ist. – So, du Richter, hier nun die Akteneinsicht ganz nach Belieben des BStU Dresden. Hiermit macht man eine strafrechtliche Rehabilitierung meiner Mutter und meiner eigenen Person unmöglich.
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